Grand Hotels: Geschichte, die lebt

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Grand Hotels: Geschichte, die lebt
1 2013 Das Magazin für die Kunden der Schindler Aufzüge AG
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Grand Hotels:
Geschichte, die lebt
Schweizer Hoteliers als Pioniere des Bahnbaus
Der Schindler 3400 – die Revolution auf dem Dach
Solar-Impulse-Weltumrundung: Das Ziel heisst 2015
Schindler Award: Schützenmatte Bern 13 Jahre später
Inhalt
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Es lebe das Grand Hotel
150 Jahre Schweizer Hotelgeschichte
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Orlim Vargas – der letzte Liftboy Europas
«Das Schweizer Grand Hotel gibt es nicht»
Interview mit Jürg Schmid von Schweiz Tourismus
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«Villa Castagnola» in Lugano
Eine entspannte Atmosphäre des guten Geschmacks
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«Beau-Rivage Palace» in Lausanne-Ouchy
Seit 152 Jahren jeden Tag offen
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«Victoria-Jungfrau» in Interlaken
Über Jahre hinweg Spitzenklasse im Wellnessbereich
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Hoteliers als Bahnpioniere
Zug um Zug auf die Gipfel des Genusses
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Schindler 3400 – die Revolution auf dem Dach
Interview mit Bertrand Piccard und André Borschberg
Solar Impulse fliegt 2015 rund um den Globus
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Fachhochschule St. Gallen: Neuer Akzent im Stadtbild
Schindler Award 2012:
Die Schützenmatte im Jahre 2025
Titelbild:
Das «Beau-Rivage Palace» am Ufer des Genfersees –
eine schönere Lage für ein Grand Hotel
ist fast nicht denkbar.
Impressum
Herausgeber Schindler Aufzüge AG, Marketing & Kommunikation, CH-6030 Ebikon Redaktion Beat Baumgartner Redaktionsadresse next floor,
­Zugerstrasse 13, CH-6030 Ebikon / Luzern, nextfloor @ ch.schindler.com Adressverwaltung address @ ch.schindler.com Titelbild Credit: «Beau-Rivage Palace»
Layout aformat.ch Litho click it AG Druck Multicolor Print AG Auflage 32 000 Ex. Ausgaben next floor erscheint zweimal jährlich in deutscher,
französischer und italienischer Sprache Copyright Schindler Aufzüge AG, Nachdruck auf Anfrage und mit Quellenangabe www.schindler.ch
Editorial
Style
Liebe Leserinnen und Leser
Style, Design, Qualität und hochstehende Architektur – all das verbinden wir mit Grand
Hotels. Zwischen 1850 und 1910, als der Tourismus in Europa zum Massenphänomen
wurde, entstanden überall – insbesondere auch bei uns in der Schweiz – solche Luxushotels.
Diese Hotels verfügten als erste über Annehmlichkeiten, von denen Normalsterbliche damals
nur träumen konnten: Fliessend kaltes und warmes Wasser in den Zimmern, elektrische
Beleuchtung, Zentralheizung, Telefon und … natürlich auch Aufzüge.
Aufzüge sind bis heute ein wichtiges architektonisches Element von Grand Hotels geblieben:
Es handelt sich dabei zumeist um hochwertige, spezialgefertigte Anlagen und sehr häufig –
so zumindest in der Schweiz – sind es Aufzüge, die unser Unternehmen geliefert hat.
Aufzüge ermöglichten in den Grand Hotels erstmals durchgehende barrierefreie Mobilität,
von der insbesondere Menschen mit Gebehinderungen oder ältere Menschen profitieren.
Allerdings ist das Bewusstsein für «Access for all» bis heute noch nicht durchgängig in allen
Köpfen verankert. Bereits zum fünften Mal hat darum der Schindler Konzern mit Erfolg
den internationalen Architekturwettbewerb «Schindler Award» durchgeführt, der
Studierende für das Thema «Barriefreiheit» und «Zugänglichkeit von Gebäuden» sensibilisiert.
Der Wettbewerb – es ging dabei um eine Aufwertung der «Schützenmatte» in der Nähe
der Berner Altstadt – zeigte eindrücklich auf, dass ein solcher Anlass nicht nur an den
Universitäten, sondern auch politisch etwas in Bewegung setzen kann.
Bisher gab es allerdings einen Gebäudetyp, der sich der «Barrierefreiheit» konsequent
widersetzte: Es sind dies historische Gebäude, deren Gebäudehülle aus Gründen des
Ortsbildschutzes keine Veränderung erfahren darf. Da Aufzüge aber normalerweise einen
Schachtaufbau benötigen, der das Dachprofil verändert, konnten sie in solche Bauten kaum
oder nur mit Mühe eingebaut werden. Hier bietet sich neu der überfahrtlose Schindler 3400
als Lösung an. Er braucht nur eine tragende Wand und benötigt keinen Dachaufbau mehr.
Mehr davon in diesem next floor. Lassen Sie sich überraschen, inspirieren und überzeugen.
Rainer Roten
CEO Schindler Schweiz
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Thema
Die Hoteliers waren es, die den Tourismus vor 150 Jahren ins Rollen brachten.
Mit ihren legendären Grand Hotels setzte die Schweiz Massstäbe. Noch heute betören
die Prunkbauten mit üppigem Ambiente und höchster Servicequalität. Und beweisen,
dass man am Puls der Zeit bleiben kann, ohne auf jeden Trend aufzuspringen.
4
Der Nationalquai vor dem Luzerner
Grand Hotel «Palace» – seit über 100 Jahren
ein beliebter Ort zum Flanieren und Entspannen.
Es lebe das Grand Hotel
TEXT Christoph Zurfluh BILD Albert Zimmermann
E
ine milde Frühlingssonne lässt auf dem Vierwaldstättersee die Lichter tanzen und auf den Berg­
gipfeln rund um Luzern den Schnee schmelzen. Liebespärchen flanieren dem Ufer entlang, ein munteres
Grüppchen Einheimischer spielt vor dem Casino
­Pétanque, und Touristen aus Japan fotografieren ­zuerst sich selber, dann das Bilderbuchpanorama und
schliesslich das majestätische Hotel
in ihrem Rücken: das «Palace».
«Darf ich Ihnen mit dem Koffer behilflich sein?», fragt der Portier
freundlich. Ich tauche ein in eine
Hotelwelt, die nicht nur 5-SterneAnnehmlichkeiten garantiert, sondern einen ganz besonderen Geist
atmet: den der Geschichte. Ein
­langer Gang führt vorbei am bekannten Hotelrestaurant Jasper,
das nicht auf Michelin-Sterne und
Gault­Millau-Punkte schielt, sondern eine unkomplizierte Küche
auf höchstem Niveau zelebriert,
und dann landet man mitten im
Herzen des Hauses: in der riesigen
Jugendstil-Lobby mit ihren roten
Marmor­säulen und dem Originalplattenboden aus
der Jahrhundertwende. Hier wurde Hotelgeschichte
geschrieben. Als Gast wird man ein Teil davon – bis
heute.
Einst eines der weltweit elegantesten Hotels
«Herzlich willkommen», sagt Catherine Hunziker, die
zusammen mit ihrem Mann Raymond das historische
Grand Hotel seit diesem Jahr führt. Genau so fühle ich
mich auch: herzlich willkommen. Und so müssen sich
die Gäste schon vor hundert Jahren vorgekommen
sein. Denn das letzte Haus an der Luzerner Quaipromenade war einst das erste: Als das «Palace» 1906
mit Pauken und Trompeten eröffnet wurde, zählte es
zu den elegantesten Hotels der Welt. Auf 350 Betten
kamen sagenhafte 120 Bäder und Toiletten. Das
liess die lokale Konkurrenz vor Neid erblassen: Im
«National» nebenan waren es auf 450 Betten gerade
mal 79, und selbst im «Schweizerhof» mussten sich
die Gäste mit 70 Bädern auf 400 Betten zufriedengeben. Künftig, so schworen sich die Direktoren dieser
beiden Luzerner Nobelhäuser,
würden sie den «Bucher» ganz
schön anrennen lassen.
König der Hoteliers
Der «Bucher» kam aus dem nahen
Kerns, war Haudegen, Visionär
und Hotelpionier wie die legendären Hoteliers Johannes Badrutt
und Alexander Seiler. Oder César
Ritz, von dem König Edward II. von
England einst gesagt haben soll,
er sei nicht nur der Hotelier der
­Könige, sondern auch der König
der Hoteliers. Doch Franz Josef
Bucher war weniger Gastgeber als
Unternehmer. Mit seinem Geschäftspartner Robert Durrer aus
Sarnen gründete er ein Hotelimperium, das vom
­heimischen Engelberg übers benachbarte Italien bis
ins ferne Ägypten reichte und am Ende zehn Luxus­
hotels umfasste, die er mit Vorliebe «Palace» taufte.
Das «Palace» in Luzern war sein zweites Hotel vor Ort –
und eines zu viel für seine Konkurrenten: Sie stellten
die Zusammenarbeit mit dem hemdsärmligen Obwaldner umgehend ein.
Fast 900 000 Franken – atemberaubende 270 Franken
pro sumpfigen Quadratmeter Land – hatte Franz ­
Josef Bucher für den Logenplatz am See bezahlt.
­Weitere 4 Millionen kostete der Bau. Da durfte man
schon etwas erwarten. Denn das «Palace Luzern» war
eines der letzten grossen Grand Hotels der Schweiz, c
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5
Thema
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Als das «Palace Luzern» 1906 eröffnet wurde,
zählte es zu einem der elegantesten Hotels der Welt.
Es wurde auch in den letzten Jahrzehnten immer
wieder an die sich wandelnden Bedürfnisse
der Luxushotellerie angepasst.
die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts überall dort
gebaut wurden, wo es am schönsten ist: direkt am
See wie die berühmten Quai-Hotels in Luzern, Montreux und Lugano, an erhöhter Lage darüber und in
den Bergen, beispielsweise auf der Rigi. Die Hoteliers
waren es, die dem Schweizer Tourismus auf die
Sprünge halfen. Und die legendären Grand Hotels
machten der Welt vor, was echtes Gastgebertum ist.
c
Leidenschaftlicher Gastgeber, hohe Servicequalität
«Das hat sich bis heute nicht verändert», sagt «Palace»-­
Direktor Raymond Hunziker. «Wer ein solches Hotel
führt, muss vor allem ein ­leidenschaftlicher Gastgeber
sein. Wir können uns nur
über die Servicequalität
behaupten.» Denn die einzigartige historische Infrastruktur hat auch ihre
­Tücken: Der Unterhalt der
Häuser ist teuer und die
Abläufe entsprechen oft
nicht modernen Anforderungen. Und bei jedem
Eingriff besteht die Gefahr, dass das verloren
geht, was den Charme
des Hauses ausmacht: seine Geschichte. «Es hat
­keinen Sinn, jedem Trend hinterherzurennen», ist
der 37-jährige Gastgeber überzeugt. «Aber wir
­müssen am Puls der Zeit bleiben.» Und da ist vor
allem Swissness angesagt – was weit mehr bedeutet
als Handörgelimusik und Fondueplausch: «Für uns
­stehen die Kernwerte Sicherheit, Verlässlichkeit und
Pünktlichkeit an erster Stelle.»
Pünktlich um vier Uhr wartet im kleinen, feinen SpaBereich denn auch eine Massage auf den Gast. Verwöhnkultur eben, wie sie in den Grand Hotels schon
immer zelebriert wurde. Und während ich mich
schrittweise aus dem Alltagstrott in einen Zustand
glückseliger Entspannung kneten lasse, verlieren sich
meine Gedanken irgendwo im Nirgendwo. Sie kehren
erst dann wieder an die Luzerner Seepromenade
­zurück, als ich auf den kleinen Balkon meines riesigen
Zimmers trete und mir ein bisschen vorkomme wie
der Papst an ­Ostern. Unter mir flanieren die Men-
schen, während die letzten Sonnenstrahlen die
­stolzen Hotelfassaden dramatisch in Szene setzen.
Unglaublich, mit welchem Selbstbewusstsein sich
das Gastland Schweiz vor hundert Jahren der Welt
präsentierte.
Wilde Blüten
Doch der Hotelbauboom trieb mitunter auch wilde
­Blüten. So beispielsweise im Flecken Maloja, wo mit
dem «Maloja Palace» ab 1884 eines der grössenwahnsinnigsten Projekte der Belle Epoque in der Schweiz
­realisiert wurde. Massgeblich finanziert wurde das
Prunkhaus mit seinen 350 Zimmern vom belgischen
Grafen Camille Frédéric
Maximilian de Renesse.
Er wollte sich im Engadin
mit dem Geld seiner vermögenden Frau und horrenden Bankkrediten ein
Denkmal setzen. Glanz­
volles Highlight der kurzen
Geschichte des «Maloja
­Palace» blieb jener GalaAbend im August 1887,
an dem der Speisesaal
­geflutet wurde, damit die
Kellner als Gondoliere in Originalgondeln aus Venedig
die illustre Gästeschar bedienen konnten.
Jugendlicher Spirit
Das «Palace Luzern» ist zwar auch schon geflutet
­worden, damals aber eher ungewollt vom Hoch­
wasser. Dann stand die Küche schon mal knietief unter
Wasser, und die privilegierte Lage am See wurde für
einmal zur Plage. Im Moment allerdings ist von Hochwasser keine Rede. Die Sonne verwandelt den Himmel
über dem ­Pilatus gerade in ein Flammenmeer, und
draussen auf dem See dümpeln ein paar Boote träge
vor sich hin. Die Stimmung im Restaurant Jasper ist entspannt und entspricht wohl genau dem, was sich das
neue ­Direktorenpaar wünscht: ein Haus zu werden, das
seine Geschichte als vornehmes Grand Hotel zwar nicht
leugnet, aber Berührungsängste abbauen möchte.
Wie sagte Raymond Hunziker noch? «Man soll unseren
jugendlichen Spirit spüren.» Das tut man. Zweifellos. n
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Thema
Der letzte Liftboy Europas
Er hat in seiner Heimat Ecuador Biologie studiert – doch es war die Liebe, die ihn in die
Schweiz gebracht hat. Heute ist Orlim Vargas der letzte Liftboy Europas im legendären
Hotel «Les Trois Rois» in Basel. Für ein kurzes Gespräch hat er immer Zeit – und feine
Antennen für die Gefühlslage seiner Gäste, die er im Lift nach oben oder unten begleitet.
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Facts & Figures
1681 w
ird die Herberge «Zu den Drei Königen» als Unterkunft
für Händler und Schiffs­reisende erstmals erwähnt.
1841 kauft der Schneidermeister Johann ­Jakob Senn das
­Hotel, das mittlerweile aus ­mehreren Liegen­schaften besteht. Er lässt alles niederreissen. Nach den ­Plänen des
Basler Architekten Amadeus Merian ­entsteht das Hotel,
dessen ­Fassade und ­Umrisse bis heute mass­gebend sind.
1936Erstmals ist das Hotel nicht mehr inhaber­geführt und
­erhält eigene Direktoren.
2005 / 06Das Hotel wird nach Denkmalschutzkriterien renoviert
und in die Zeit um 1844 zurück­gebaut.
ufzüge
A
3 Personenaufzüge
Spezialausführungen, die von ­Liftboy Orlim Vargas
­betreut werden. Die ­Kabinen sind mit Holz verkleidet,
die Bedienungstableaus aus Messing, die Etagen
­erhalten nostalgische ­Stockwerkanzeigen.
3 Personenaufzüge
Schindler 5400 für das Hotel­personal.
1 Personenaufzug Spezialausführung, die als Behindertenaufzug mit
Begleitung dient. Der Lift verbindet Innen- und
Aussenbereich des Hotels.
1 Kleingüteraufzug für den Küchen­betrieb.
Text Christian Schreiber Bild Albert Zimmermann
K
urz zupft Orlim Oldemar Zurita Vargas seine ­weissen Handschuhe zurecht, blickt auf seine rote Weste und die polierten
schwarzen Schuhe. Die Uniform sitzt perfekt. Muss sie auch,
schliesslich arbeitet der 37-Jährige im Basler Nobelhotel «Les Trois
Rois». Und er ist nicht irgendein Page: Er ist der letzte Liftboy in
­Europa. Das behauptet er nicht einfach so.
Der gebürtige Ecuadorianer ist eine ehrliche Haut, nie würde er das
aus PR-Zwecken einfach so raus­posaunen. Bekannte hatten ihn
­angespornt, doch mal zu recherchieren, ob es irgendwo noch andere
Hotel­angestellte gibt, die einen ähnlichen Job machen. Also hat er
bei Hoteliersverbänden, Tourismusorganisationen und Ämtern
nachgeforscht. Und überall in ­Europa war die Antwort dieselbe:
«So einen Beruf gibt es nicht mehr.» Auch dem Schweizer TourismusVerband STV ist auf Nachfrage kein weiterer Liftboy bekannt.
Die Uniform sitzt also. Orlim Vargas drückt aufs Knöpfchen. Dritter
Stock, 20 Sekunden. Was sind schon 20 Sekunden? Im Aufzug eine
Ewigkeit, wenn man sich anschweigt. «Deswegen versuche
ich immer eine Kommunikation aufzubauen», erklärt der 37-Jährige.
Er frage zum Beispiel, ob die Gäste mit dem Hotel ­zufrieden sind
oder schon Zeit hatten, einen Spaziergang durch Basel zu machen.
Er beschreibt ihnen auch gerne die Sehenswürdigkeiten und kann
sogar einen kurzen, fundierten Vortrag über das berühmte Münster
halten. Die meisten sind gesprächs­­bereit und froh, wenn er das
Eis bricht. c
Das «Les Trois Rois» heute, nach dem
Totalumbau: Es sieht wieder so
aus wie in seiner Ursprungszeit 1844.
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9
Thema
Liftboy Orlim Vargas
ist immer für
seine Gäste da.
Natürlich gibt es auch Ausnahmen: Gäste, die mit dem falschen
Bein aufgestanden sind, eine lange und stressige Anreise hatten
oder Miesepeter, denen nichts an einem Wortwechsel liegt. Aber
Orlim Vargas hat ein Gespür für Menschen. Er besitzt ganz feine Antennen, um die Gefühlslage anderer sofort zu ­erfassen. Kollegen im
Hotel sagen ihm telepathische ­Fähigkeiten nach, und Vargas glaubt,
dass er diese Begabung seinem Grossvater verdankt, der Schamane
war. «Ich schaue den Gästen in die Augen und weiss, was los ist.»
Aber er fühlt sich auch für ganz praktische Dinge ­zuständig. Manche
kommen schon mit bestimmten Vorstellungen ins Hotel, wollen für
den Abend noch zwei der begehrten ­Konzertkarten oder ein Flugticket für übermorgen. Andere sind froh über jede Anregung, nehmen dankend den Tipp entgegen, das neue Theaterstück zu besuchen oder den Abend im ­Hotel bei Klaviermusik ausklingen zu
lassen.
So merken die Gäste auch schnell, dass sein Arbeitstag mehr ist als
Knöpfchen drücken und Smalltalk.
Ausserdem muss ja auch der Lift sauber sein. Hochglanzpoliert. Deswegen hat Vargas in einer kleinen Kammer im Erdgeschoss Putzmittel deponiert. Wenn es mal ruhiger zugeht, schnappt er sich Eimer
und ­Lappen, sprüht die verspiegelte Aufzugtür ein und reibt akribisch jeden Fingerabdruck weg. Doch der äussere Schein darf nicht
c
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trügen, sein Aufzug hat ja auch ein ­Innenleben. Strassendreck,
Fussel, kleine ­Papierchen, Haare. Wenn es schnell gehen muss,
fegt Orlim Vargas mit dem Besen durch.
Vor zehn Jahren hat er in seiner ­Heimat Ecuador eine Schweizer
­Mathelehrerin kennengelernt, die ­Urlaub machte. Heute ist er mit
ihr verheiratet, sie haben drei Kinder. Als Vargas damals in die
Schweiz kam, hat er als Tellerwäscher angefangen. Doch die Verantwortlichen des Hotels erkannten schnell, dass mehr in ihm steckt.
Schliesslich hat er in Ecuador Biologie studiert. Das nützt ihm auch
in der Schweiz, mehrmals die ­Woche führt er Besucher durch den
botanischen ­Garten in Basel. ­Ausserdem begleitet er für einen
­Reiseveranstalter manchmal Touristen nach Ecuador und zeigt ihnen
sein Heimatland.
Dann besucht er natürlich seine Familie und erzählt von seinem aufregenden Leben. Schliesslich hat er eine Bilderbuchkarriere hingelegt. Vargas’ Familie gehört zu einem Indianerstamm, der zu seiner
­Kindheit noch nicht zivilisiert war. «Wir lebten vom Tauschhandel
und hatten keine Kleidung.» Aber er bekam die Chance, sich zu
­bilden und zu studieren. Jetzt plant er mit seiner Familie die erste
Reise in die Heimat, die drei Monate dauern soll. «Wir gehen ­mitten
rein in den Urwald und ich zeige ihnen, was man essen und wie
man dort überleben kann. n
Unbezahlbare Erlebnisse
«Das Schweizer Grand Hotel gibt es nicht», sagt Jürg Schmid, Direktor von
Schweiz Tourismus. «Aber es gibt die Schweizer Tradition von Grand Hotels,
die auf die Anfänge des alpinen Tourismus zurückgeht.»
Jürg Schmid, was macht die Schweizer Grand ­Hotels zu etwas Besonderem?
Nirgends sonst empfindet der Gast Hotelgeschichte
intensiver: In jedem Raum spürt man den Pioniergeist,
der die Hoteliers während der Gründerzeiten antrieb.
Seither sind mehr als hundert Jahre vergangen.
Was hat sich in dieser Zeit geändert?
Nicht viel. Noch immer stehen Grand Hotels für
­leidenschaftliches Gastgebertum, für persönlichen
Service und beidseitige Freude am Aufenthalt. Und
natürlich befindet sich die Infrastruktur der Schweizer
Grand Hotels nach wie vor auf der Höhe einer ge­
hobenen Hotellerie. Was sich aber ver­ändert hat,
ist die Herkunft der Gäste: Waren es vor 150 Jahren
vornehmlich Briten, kommen heute auch viele Gäste
aus Asien, den Golfstaaten, ­Russland und den USA.
Verraten Sie uns Ihre Favoriten?
Die Liste an einzigartigen Grand Hotels, die
über die ganze Schweiz verteilt sind, ist lang.
Um trotzdem ­einige hervorzuheben: Das
Badrutt’s Palace in St. Moritz, das Mont Cervin
­Palace in ­Zermatt, das Grandhotel Giessbach in
­Brienz, das Victoria-Jungfrau Grand Hotel & Spa
in ­Inter­laken, das ­Lausanne Palace & Spa und
das Grand Hotel Les Trois Rois in Basel ­gehören
­bestimmt zu den echten Klassikern. n
Was unterscheidet das historische Grand Hotel vom modernen Luxushotel?
Der Charme und der Zauber! Und die Patina, die dem
Hotelgast von früheren Zeiten erzählt. Aber auch die
Tatsache, dass das Hotel in seiner jahrhunderte­alten
Tradition in gastgeberischer ­Perfektion bestehen blieb.
Bezahlt man da nicht vor allem für das nostalgische Ambiente?
Auf keinen Fall. Aber das Erlebnis eines authen­tischen
Grand Hotels ist tatsächlich etwas ­Wert­volles – da
entstehen Eindrücke, die lange ­nach­schwingen.
Grand Hotels vermitteln in ­unseren schnelllebigen
­Zeiten Beständigkeit. Und das ist unbezahlbar.
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Thema
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Seit 22 Jahren führt Ivan Zorloni
das Hotel – immer noch mit der gleichen
Leidenschaft wie am ersten Tag.
Es gibt Hotels, die sind weit mehr als das: Die «Villa Castagnola» in Lugano
etwa könnte man als Privatgalerie bezeichnen, in der man im siebten
Himmel tafeln und nebenbei auch stilvoll übernachten kann. Es gibt nur
ein Problem: Man will hier nicht wieder weg.
Eine Oase des guten Geschmacks
Text Matthias Mächler Bild Albert Zimmermann
U
Nur noch Räume mit Seesicht: Die «Villa Castagnola»
reduzierte darum in den
­letzten Jahren die Anzahl
Zimmer kontinuierlich von
110 auf 78 und modernisierte sie gleichzeitig sanft.
nzählige Gemälde, Skulpturen und alte Wand­
teppiche ­hauchen der 150-jährigen Villa Leben
ein, doch das schönste Bild malt die Natur: Der Blick
aus der Lobby schweift zwischen schlanken ­Palmen
hindurch über den Rasen des Hotelparks, schwebt
­unter tief­blauem Himmel über den Luganersee und
bleibt hängen am mächtigen San Salvatore, dem
­«Zuckerhut von Lugano». Was für ein Hotel!
Ein zweites Zuhause
«Eigentlich wollen wir gar kein Hotel sein», sagt Ivan
Zorloni, der ­Direktor, schmunzelnd. «Wir sehen die
Villa mehr als zweites Zuhause für unsere Gäste.» Was
andernorts nach Marketingfloskel riecht, bringt das
Wesen der «Villa Castagnola» auf den Punkt. Für Ruhe
und Rückzug bleibt einem nicht nur das Zimmer. Man
kann im blauen Saal in einer Nische vor dem knisternden Kamin träumen oder in e­ iner ruhigen Ecke im Park
in die Sonne blinzeln. Nichts wirkt in dieser Kulisse aufgesetzt, nichts weckt den Verdacht auf Künstlichkeit.
Hier herrschen Authentizität und behagliche Eleganz.
Und das hat viel mit der Person des Direktors zu tun.
Ivan Zorloni schafft ein seltenes Kunststück: Er ist immer präsent, ohne sich je aufzudrängen. Entspannt,
als ob man sich schon ewig kennen würde, verwickelt
er seine Gäste ins Gespräch – mit einer Mischung
aus Weltgewandtheit, Humor und Vertrautheit. Denn
Ivan Zorloni mag Menschen und ihre Eigenheiten.
Er liebt den Austausch mit ihnen ebenso wie das
­Hotel, das der Familie seiner Frau gehört. Auch nach
22 Jahren führt er es noch mit einer Leidenschaft,
als hätte er sich erst gestern in die Villa verliebt.
Ein Glück für den Gast ist es, dass die Besitzerfamilie
die «Villa ­Castagnola» in erster Linie als Liebhaberund nicht als Investitions­objekt betrachtet. «Würde
die Effizienz an oberster Stelle stehen, hätten wir auch
heute noch so viele Zimmer wie vor 22 Jahren», sagt
Ivan Zorloni. Die Familie aber entschied, nur noch
Räume mit Seesicht anzubieten: Alle mit Balkon, alle
von erlesenem mediter­ranen Charme, alle individuell
möbliert. Man reduzierte darum die ­Anzahl Zimmer
kontinuierlich von 110 auf 78 und versteckte in
den letzten Jahren hinter geschmackvollen Tapeten
allerneuste Technik. Auf dem Bett liegen zwei unterschiedlich dicke Kissen zur Auswahl und die Wäsche
duftet nach Sandelholz.
Nicht nur Details wie diese machen die «Villa Cas­
tagnola» zum ­einzigen Fünf-Sterne-Superior-Hotel
­Luganos und zum Mitglied der erlauchten Gruppe
der «Small Luxury Hotels oft the World». Zum c
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Thema
Facts & Figures
Ein Schmuckstück der «Villa Castagnola» stellt
der neue, elegante Schindler-­Glasaufzug dar,
der 2012 installiert wurde. Er erschliesst von
der Lobby aus komfortabel die Hotelzimmer.
Typ Spezialausführung in Glasschacht
Geschwindigkeit 1 m/s
Haltestellen 7
Traglast 1125 kg
Alt und Neu stilvoll vereint:
Der neue Glasaufzug
in der Hotellobby.
tischem Interieur kommt nicht nur die Ausstellung
von Yoshiyuki Miura (bis 31. August 2013) imposant
zur ­Geltung, sondern auch die Aussicht auf den
San Salvatore. Und die ist so zauberhaft, dass Oberkellner Andreas Keller noch immer fast täglich mit
dem iPhone ein Foto schiesst, obwohl er hier seit der
­Eröffnung des «Artè» im Jahr 2002 arbeitet.
Star am Luganeser Gastro-Himmel
­Gesamtkunstwerk gehören auch die beiden
­ estaurants, die so ­unterschiedlich sind wie ihre
R
Chefs. Während im frisch umgebauten, südländisch
opulenten «Le Relais» der perfektionistische Italiener
Christian Bertogna die Mittelmeerküche neu erfindet
und dafür von GaultMillau mit 14 Punkten geadelt
wurde, erwartet den Gast im Restaurant «Artè» eine
völlig andere Geschichte.
Das «Artè» ist in einem Haus direkt am Wasser untergebracht und setzt mit seinem Design einen modernen Kontrapunkt zur altehrwürdigen Villa. Dank puris-
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Für Chefkoch Frank Oerthle sind es weniger die Lichtstimmungen als die Wechselausstellungen, die ihn
zu seinen Fischkreationen und deren Dekoration inspirieren. Doch die besten Ideen kommen dem
­gebürtigen Deutschen, wenn er aufs Bike steigt und
hinter dem Hotel den Monte Brè erklimmt: «Glückshormone sind bei mir der wichtigste Faktor für Kreativität.» Frank Oerthle brachte es 2009 zum Tessiner
GaultMillau-Aufsteiger des Jahres und gilt seit 2010
mit 16 Punkten und einem Michelin-Stern als Star am
Luganeser Gastro-Himmel. Das habe er allerdings
nicht nur seinen Biketouren zu verdanken, sagt er
schmunzelnd, sondern auch ausnahmslos besten
­Zutaten, die oft nur wegen ihm in die Stadt geliefert
würden.
Und so empfindet man die «Villa Castagnola» fast
schon als Geschenk, obwohl man für ein Zimmer eine
rechte Summe bezahlt. Doch als Gegenleistung gibt
es mehr als ein gutes Bett: Man taucht ein in eine
s­ tilvoll-entspannte Atmosphäre des guten Geschmacks,
wie man das sonst auch in Luxushotels selten erlebt.
Und verdrängt nur den einen Gedanken: Dass man
hier irgendwann wieder aus­checken muss. n
Thema
Seit 152 Jahren jeden Tag offen
Das flanierende Publikum kehrt hier ein, ohne es sich zweimal
zu überlegen, Hotelfachschüler huldigen ihm, Facebook-Followers
schätzen den Preisvorteil: Das «Beau-Rivage Palace» in Lausanne
baut Schwellenangst ab wie kaum ein anderes Fünfsternehotel.
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Thema
Wie wenn er schon immer zum
«Beau-Rivage Palace» gehört hätte –
der stilvolle Glasaufzug von Schindler
im Treppenhaus.
Hönig vom Hotel «Beau-Rivage Palace». «Denn viele
Nicht-Hotelgäste haben Hemmungen, durch die
Lobby eines Fünfsternehotels zu gehen.» Natürlich
spielt auch die herrliche Lage am See eine Rolle und
die Nachbarschaft zum Olympischen Museum. Zudem
muss sich das «Beau-Rivage Palace» die Fünfsternekundschaft in Lausanne lediglich mit dem Hotel
­Palace oben, im Stadtzentrum, teilen muss. Und trotzdem scheint im «Beau-Rivage Palace» ein besonderer
Geist zu herrschen.
Annina Hart-Hönig erzählt vom Grundsatzentscheid,
den Direktor François Dussart 2003 fällte. Unter dem
Motto «Tradition in Bewegung» verordnete er dem
Hotel eine respektable Verjüngungskur. Er liess die
Lobby renovieren, das angestaubte Gourmetrestaurant Rotonde in einen lichtdurchfluteten Frühstückssaal verwandeln, Zwischendecken entfernen und alte
Deckengemälde freilegen. Zurückhaltende moderne
Elemente fügen sich heute dezent ins historische
­Dekor, ohne diesem den Charme streitig zu machen.
Im Gegenteil: Die wunderbaren Marmorböden, die
prunkvollen Art-déco-Leuchter und zauberhaften
Holzverarbeitungen kommen wieder in ihrer ganzen
Pracht zur Geltung.
Text Matthias Mächler Bild Albert Zimmermann
D
ie Schweizer Luxushotellerie hat ein Problem:
Die goldenen Zeiten sind vorbei, der Franken ist
teuer, die Konkurrenz gross. Die Gäste strömen nicht
mehr in Scharen herbei wie auch schon. Darum wollen sich die Fünfsternehäuser öffnen, neue Segmente
ansprechen, um ihre Betten auszulasten, die Tische
ihrer Gourmetrestaurants, Terrassen und Bars. Doch
viele tun sich schwer damit.
Nicht so das berühmte «Beau-Rivage Palace» in
­Lausanne-Ouchy. Sobald die Sonne wärmt, drängen
sich die Passanten unter die Laube vor dem Café
Beau-Rivage; die ungezwungene, aber gepflegte
Brasserie gehört seit jeher zu den beliebtesten Treffpunkten der Stadt. Nebenan hat das Hotel vor einem
Jahr die «BAR» eröffnet: Sie stellt mit ihrem kosmopolitischen Interieur, dem leuchtenden Onyx-Tresen und
stilvoller Sinnlichkeit manch ein Trendlokal in Zürich,
London oder New York in den Schatten. Von der
­Sushi-Bar über die Lobbyterrasse bis hin zum Feinschmeckerrestaurant von Anne-Sophie Pic mit zwei
Michelin-Sternen: Das «Beau-Rivage Palace» hat
keine Mühe, seine Tische zu füllen.
Ein besonderer Geist
«Bei uns gibt es keinen Krawattenzwang. Bestimmt ist
es auch ein Vorteil, dass man die Restaurants und
Bars nicht nur durch die Lobby, sondern auch direkt
von der Promenade her erreicht», sagt Annina Hart-
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Seit 120 Jahren verbunden
Doch was wäre eine schöne Kulisse ohne die richtigen
Akteure? Dass der Direktor bei der Wahl seines Per­
sonals aus dem Vollen schöpfen kann, liegt nicht nur
am guten Namen des Hotels, an den gekrönten
Häuptern, die hier logieren, oder an Stars wie Phil
Collins, die hier heirateten. Sondern auch daran,
dass das «Beau-Rivage Palace» seit jeher eng mit der
ältesten Hotelfachschule der Welt zusammenarbeitet,
der «Ecole hôtelière de Lausanne». Diese wurde
1893 vom damaligen «Beau-Rivage Palace» Direktor
Jacques Tschumi gegründet. Den Studierenden aus
­aller Welt dient das Hotel als Fallbeispiel, und manch
einer würde ­alles dafür geben, hier dereinst eine
Stelle zu bekommen.
Entsprechend profitiert das «Beau-Rivage Palace»
auch von der Schule und den neusten Erkenntnissen,
die dort gelehrt werden. Moderne Kommunikationskanäle wie das Facebook werden aktiv genutzt. So
profitieren User, die dem «Beau-Rivage Palace» ­folgen,
immer wieder von Spezialpreisen. Auch dank solchen
Zückerchen kommt es gemäss Annina Hart-Hönig auf
eine für Fünfsternehotels komfortable Auslastung.
Dass das altehrwürdige Grand Hotel so frisch und
­lebendig wirkt, hat aber noch einen anderen Grund:
Seit es 1861 eröffnet wurde, stellte es sich in ­guten
und in schlechten Zeit stets den Umständen, die
­gerade herrschten – und hatte in den 152 Jahren
noch keinen einzigen Tag geschlossen. n
Das Unmögliche
möglich machen
Die Leser der «Bilanz» wählten sie 2012 zur
besten Concierge der Schweiz: Sylvie Gonin
prägt mit ihrer roten Mähne die Lobby des
«Beau-Rivage Palace» in Lausanne-Ouchy.
Dezente und moderne Elemente (unten)
stehen neben dem erneuerten historischen Dekor,
ohne dessen Charme zu konkurrenzieren.
Silvie Gonin, worauf führen Sie die Ehre zurück,
zur besten Concierge der Schweiz gewählt
­worden zu sein?
Natürlich versuche ich meinen Job so gut wie möglich zu machen. Doch ohne meine Mitarbeitenden
ginge das nicht. Letztlich aber habe ich das ­Gefühl,
dass diese Auszeichnung den Eindruck wider­
spiegelt, den die Gäste vom gesamten Hotel haben.
Was ist für Sie ein guter Concierge?
Ein gutes Einfühlungsvermögen ist wichtig und
eine schnelle Auffassungsgabe, man muss improvisieren können und darf die Nerven nicht verlieren.
Als ­Concierge ist der Ausnahmezustand Alltag:
Es muss Freude bereiten, auch scheinbar Unmögliches möglich zu machen.
Was umfasst die Arbeit eines Concierge?
Der Concierge ist der Chef der Lobby. Er dirigiert
die Réception, die Voituriers, die Gepäckträger.
Und man ist erste Anlaufstelle, wenn der Gast ein
Problem hat oder einen Wunsch.
Und wie wird sich Ihr Beruf in Zukunft verändern?
Vor noch nicht allzu langer Zeit gab es noch keine
Handys. Heute mailen uns die Gäste ihre Wünsche
vom Golfplatz aus. Trotzdem wird der persönliche
Kontakt künftig noch viel wichtiger: In zehn Jahren
bedeutet wohl wahrer Luxus, dass man seine
­Wünsche einem Menschen statt einer Maschine
­mitteilen kann.
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17
Thema
18
Ortstermin
im «besten Wellnesshotel Europas»
Wie schafft es ein Wellnesshotel, sich über Jahre hinweg in der Spitzenklasse der Branche zu
behaupten? Wir haben es selbst ausprobiert und uns einen Tag im «Victoria-Jungfrau Grand
Hotel & Spa» in Interlaken verwöhnen lassen.
Die Pool-Landschaft
im «Victoria-Jungfrau»,
eine der Perlen des
Spa-Bereichs.
Text Stefan Doppmann Bild Albert Zimmermann
«Noch etwas zaghaft gleiten die Füsse in die bereitstehende
Schüssel mit warmem Wasser. Geschickt beginnen geübte Hände
ihr Werk. Sie kneten, drücken, streichen – und ich spüre, wie sich
allmählich die Anspannung im ganzen Körper löst. ­Gedämpftes
Licht erhellt indirekt die Decke in dem zu Beginn ­gewünschten
Farbton. Die wohltuende Fussbehandlung ist das Auftaktritual zur
balinesischen Entspannungsmassage.»
D
as «Victoria-Jungfrau Grand Hotel & Spa» in Interlaken ist im
­eigentlichen Sinn ein ausgezeichnetes Haus. Die Anerkennung
als «bestes Wellnesshotel Europas» im «GEO Saison»-Ranking 2013
ist die jüngste Ehrung in einer beeindruckend langen Reihe von
­Preisen und Belobigungen. Doch was braucht es, um sich wie das
«Victoria-Jungfrau» dauerhaft an der Spitze der Wohlfühloasen
­behaupten zu können?
Das richtige Angebot
«Mit unseren exklusiven Anwendungen heben wir uns von anderen
Wellnesshotels ab. Gleichzeitig dürfen unsere Gäste für jedes Bedürf­
nis eine individuelle Antwort erwarten», erklärt Spa-Direktorin
­Theresa Brandl. Dieser Anspruch auf Exklusivität verlangt nach aufwendigen Investitionen. Der 5500 Quadratmeter grosse Spa-Bereich
wurde 1991 gebaut und vor elf Jahren für 17 Millionen Franken
­erweitert. Heute bietet dieser 21 Behandlungsräume, eine Pool­
landschaft mit verschiedenen Schwimm-, Sprudel- und Solebecken
sowie Dampfbad, diverse Saunen, ein Fitnesscenter und Tennisplätze.
2009 kam der weltweit einzigartige Sensai Select Spa dazu, wo
die japanische Ausprägung der Badekultur zelebriert wird. Und
woher kommen die Ideen für diese Neuinvestitionen? «Wir ­befragen
unsere Gäste und besuchen Messen, um die neusten ­Strömungen
rechtzeitig zu erkennen. Auch unsere Mitarbeitenden liefern c
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19
Thema
Das «Victoria-Jungfrau» verkörpert
wie kein zweites Grand Hotel
Schweizer Tourismusgeschichte.
wertvolle Hinweise», erklärt Theresa Brandl. Die Nase stets im
Wind versucht sie, den Trends nicht nachzuspüren, sondern diese –
wenn immer möglich – selber zu setzen.
c
«Nun auf dem Rücken liegend, entfernen sich Körper und Geist
­immer weiter vom hektischen Alltag. Die Kopfmassage lässt
jedes Zeitgefühl entschwinden. Sphärische Klänge füllen den
Raum und fügen dem Erlebnis eine weitere Dimension hinzu.
Es breitet sich Harmonie aus.»
Das stilvolle Ambiente
Das «Victoria-Jungfrau Grand Hotel», das den Rahmen für den Spa
bietet, verkörpert wie nur wenige andere Herbergen Schweizer
­Tourismusgeschichte. 1865, vor fast 150 Jahren, eröffnete der
­Hotelier Eduard Ruchti das neu gebaute Hotel Victoria. Seit diesen
Tagen kommen die Reichen und Schönen dieser Welt ans Ufer des
Brienzer­sees, um von hier aus die atemberaubende Jungfrauregion
zu erkunden. Die historische Bausubstanz aus der Gründerzeit paart
sich mit dem Prunk der Belle Epoque und dem Luxus ­moderner
­Prägung zu einer einzigartigen Atmosphäre. Die kristallenen Lüster im
Salon Napoléon III strahlen wie zu des Kaisers Zeiten und auf dem
silbrig glänzenden Tranchierwagen wurde gewiss schon vor dem
Ersten Weltkrieg der Braten an den Tisch herangefahren.
Liebevoll und aufwendig gepflegt und unterhalten, atmet dieses
Haus in jeder Ecke Geschichte und Authentizität. Gleichzeitig beweist das Vorhandensein des modernen Spas, dass die Schweizer
Luxushotellerie in ihrer Entwicklung zu keiner Zeit stehen geblieben
ist. Vielmehr liegt der Reiz für den Gast in dieser Kombination von
glamouröser Vergangenheit mit moderner Lebensart.
20
«Beine und Arme wiegen unendlich schwer. Da fährt ein
unerwarteter Wärmeblitz durch sie hindurch. Und wieder.
Und noch einmal. Erst nach einigen Wiederholungen
begreife ich, dass heisse Lavasteine über Arme, Beine
und Rücken streichen. Vor den geschlossenen Augen lässt
jeder Hitzestrich ein buntes Blitzlicht aufflackern.
Der Duft von ätherischen Ölen dringt bis tief ins Gehirn.»
Der perfekte Service
Wer in einem Fünfsternehotel logiert, hegt hohe Erwartungen.
«Diese zu erfüllen, ist unser oberstes Ziel», betont Theresa Brandl.
Das ist nur mit bestausgebildeten und topmotivierten Mitarbei­
tenden möglich, die überdies stolz sind auf ihre ­hochwertige
Dienstleistung. Deshalb hält die Spa-Direktorin den Teamgedanken
hoch. «Wenn man voraussetzt, dass den ­Gästen Wertschätzung
entgegengebracht wird, muss man auch den Mitarbeitern mit
Wertschätzung begegnen», lautet ihr Credo. Dazu gehören ­neben
einer ausgeprägten Feed­back-Kultur eine gute Verpflegung sowie
interessante ­Weiterbildungsmöglichkeiten.
«Nach der Massage führt der Weg in den Ruheraum.
Der Blick gleitet durch die Panoramafenster auf den gegen­
überliegenden steil aufsteigenden Wald. Langsam kehrt die
Wahrnehmung der Aussenwelt zurück. Unfassbar, dass die
Behandlung eineinhalb Stunden gedauert haben soll.
Doch Zeit spielt keine Rolle – entspanntes Liegen.
Eine aus­gedehnte warme Dusche leitet über zum Ausklang
im Poolbereich. Dampfbad, Schwimmbecken und ­Whirlpool
runden den Wellnesstag ab.» n
Der elegante Schindler-Glasaufzug
in der Lobby des Grand Hotels.
Langjährige Partnerschaft
Eine jahrzehntelange Zusammenarbeit verbindet Schindler mit dem
«Victoria-Jungfrau Grand Hotel & Spa» in Interlaken. Schindler hat
im Fünfsternehaus zwölf Personenaufzüge, sechs Serviceaufzüge und
einen Warenaufzug installiert. Der Einbau der auf Kundenwunsch
individuell zugeschnittenen Aufzüge in den denkmalgeschützten
Bauten verlangte konstruktives Fingerspitzengefühl und erfüllt betreffend Materialisierung und Ästhetik höchste Ansprüche.
Auf jedes Wellnessbedürfnis
eine individuelle Antwort.
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21
Thema
Zug um Zug
auf die Gipfel des Genusses
Hoteliers waren nicht nur die eigentlichen Motoren des Schweizer Tourismus, sondern
auch des Bahnbaus: Ihre Häuser – oft an spekta­kulärer Aussichtslage – mussten bequem
erreichbar sein für eine Klientel, die sich einiges gewohnt war. Vor allem Komfort.
Eines der unzähligen Meisterwerke
schweizerischer Bahnpioniere:
Die Bürgenstockbahn, um 1900.
22
Ob auf den Bürgenstock, auf
den Sonnenberg bei Luzern
oder auf das Stanserhorn (v.l.):
Immer wieder wurden Grand
Hotels mit eigens für sie
gebauten Standseilbahnen
erschlossen. Beim Bürgenstock
wurde zudem der längste
Freiluftaufzug Europas gebaut,
der Hammetschwand-Lift.
Text Christoph Zurfluh Bild Keystone und Privat
K
aum haben sich die Passagiere auf ihren gediegenen Schalen­sitzen angeschnallt, schliessen sich
die Türen fast geräuschlos. Über Lautsprecher rieseln
ein paar freundliche Informationen. Und dann geht’s
los, rauf auf den Berg. Die Sessel im futuristischen
­Silberpfeil kippen sanft zurück, auf dass die Fahrgäste
mit Talblick nicht runterpurzeln: Gut 2 Minuten dauert die Fahrt auf der rund 500 Meter langen Monorailstrecke mit ihren verwegenen 52 Prozent Maximalsteigung.
Der «Tschuggen Express» in Arosa erinnert mehr an
eine Achterbahn als an eine Bergbahn, aber sein
Zweck ist nicht die Unter­haltung ­der maximal zwölf
Passagiere, sondern deren Transport ins 150 Meter
höher gelegene Ski- und Wandergebiet. Der «Tschuggen Express» ist eine klassische Hotelbahn, auch
wenn er bei seiner Eröffnung 2009 eine Weltneuheit
war: Welches Hotel beamt seine Gäste schon exklusiv
mit einem «Roller Coaster» ins Freizeitparadies?
Neu ist zwar die 7 Millionen Franken teure Bahn, aber
nicht die Idee, Hotelgäste so komfortabel als möglich
ans Ziel zu transportieren. Ob dies nun vom Hotel zur
nächsten Sehenswürdigkeit sei oder – weiter verbreitet – das letzte Wegstück zum Haus. Und auch die
komfortable Mobilität im Hotelinneren war schon den
Pionieren der Schweizer Hotellerie ein Herzensanliegen: Grand Hotels waren die ersten in der Schweiz,
die in ihre Gebäude elegante Fahrstühle, schon damals vorwiegend der Marke Schindler, einbauten.
Denn dies hatten die Schweizer Hoteliers schon früh
gelernt: Ein gutes Hotel hat nur dann Erfolg, wenn
man es auch bequem erreichen kann. Also bauten sie
Bahnen.
Hotelboom als Initialzündung
Die Geschichte des Bahnbaus beginnt deshalb konsequenterweise mit der Geschichte des ersten grossen
Hotelbaubooms. Und der setzt im 19. Jahrhundert
ein. Dann nämlich weicht die Angst vor den mächtigen Bergen und schwer zugänglichen Tälern allmählich der Neugierde, und die Touristenströme Richtung
Schweizer Alpen setzen ein. Um die Mitte des 19. Jahr­
hunderts geschieht zudem etwas Entscheidendes:
Reisen verliert seine Exklusivität. Immer öfter ist Kreti
und Pleti mit Kind und Kegel unterwegs. Sichtbares
Zeichen dafür sind die ersten Gruppenreisen des englischen Tourismuspioniers Thomas Cook, der 1855
erstmals eine Reisegruppe von England auf den
­Kontinent führt. Die Schweiz wird in der Folge zum
Tummelplatz Europas und etabliert sich als eines der
Pionier­länder des Tourismus weltweit.
Der Gast muss zu dieser Zeit kaum gewonnen werden, die Nachfrage ist gross. Aber transportiert und
untergebracht werden muss er. Hotels – teils von
zweifelhafter Qualität – schiessen deshalb wie Pilze
aus dem Boden (1912 gibt es bereits 211 000 Hotelbetten, 2009 sind es 274 000). Gleichzeitig werden
Strassen und Alpenpässe ausgebaut, auf den Seen
kreuzen Dampfschiffe, und Eisenbahnlinien werden
aus dem Boden gestampft – anfänglich ebenso rasant
wie unkoordiniert. Aber man peilt immerhin konsequent die touristischen Zentren an.
Zahnrad macht Eisenbahn gebirgstauglich
Die Erfindung des Zahnrads macht die Eisenbahn
schliesslich gebirgstauglich. Und die Hotels an spektakulärer Aussichtslage werden plötzlich bequem erreichbar – oder überhaupt erst gebaut. 1871 wird
­beispielsweise die erste Zahnradbahn auf dem europäischen Festland von Vitznau nach Rigi Staffel eröffnet. Vier Jahre später zuckelt zwischen Rigi Kaltbad
und Scheidegg die erste – übrigens heute nicht mehr
existierende – Eisenbahn, die ausschliesslich der Erschliessung von Hotels dient; sie ist damals die höchstgelegene Bahnlinie Europas. Innert kürzester Zeit entstehen alle heute ­bestehenden Bergbahnen in der c
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23
Thema
Auch der 2009 eröffnete
«Tschuggen Express» ist
eine klassische Hotelbahn.
Bild: Tschuggen Hotel Group.
Nähe der bekannten Tourismusgebiete, allen voran
die steilste Zahnradbahn der Welt auf den Pilatus
(auch sie erschliesst ein Hotel) und – als Krönung der
Schweizer Bergbahn-Baukunst – jene in Richtung
Jungfraugipfel.
Ihren Beitrag zur Erschliessung der Berge leistet auch
die Drahtseilbahn. Von den rund sechzig in der
Schweiz erbauten Anlagen, die grösstenteils zwischen
1883 und 1914 entstehen, sind rund ein Dutzend
reine Hotelbahnen. Was,
wie gesagt, nicht von ungefähr kommt: Die Hoteliers sind zur Blütezeit des
Schweizer Tourismus die
treibenden Kräfte, auch
wenn natürlich nicht alle
Projekte auf ihre Initiative
zurückgehen.
Einer der herausragenden
Bahnpioniere jener Zeit
ist der Obwaldner Hotelier
Franz Josef Bucher (1834 –
1906), der zusammen mit
seinem Geschäftspartner Robert Durrer (1841–1919)
aus Sarnen ein riesiges Hotelimperium begründet und
diese Hotels, wo immer nötig, verkehrstechnisch erschliesst. So bauen die beiden die Strassenbahnen in
Lugano, Genua und Stansstad sowie zahlreiche
Drahtseilbahnen, unter anderem auf das Stanserhorn,
zum Reichenbachfall, auf den Mont Pèlerin, zum San
Salvatore und nach Braunwald. Mit Strom versorgt
werden sie meist aus eigenen Kraftwerken. Seine
­Hotelgrossüberbauung auf dem Bürgenstock oberhalb des Vierwaldstättersees erschliesst Franz Josef
Bucher mit einer Strasse und einer eigenen Bahn.
c
Bahnpioniere Franz Josef
Bucher-Durrer (1834–1906)
und Josef Durrer-Gasser
(1841–1919).
Zum Hotel Giessbach
führt die älteste Drahtseilbahn der Schweiz.
Bild: BAK / Thomas Batschelet,
www.seilbahninventar.ch
24
Auch die berühmte Aussichtsattraktion Hammet­
schwand-Lift, der mit 152,8 Metern Betriebslänge
höchste Freiluftaufzug Europas, gehört dazu.
Franz Josef Bucher mag der verrückteste unter den
bahnbauenden Hoteliers gewesen sein, der einzige
war er bei weitem nicht. Bereits 1879 erschloss beispielsweise eine Drahtseilbahn, heute die älteste noch
fahrtüchtige Drahtseilbahn der Schweiz, das Grand
Hotel Giessbach von der Schiffstation am Brienzersee
aus. Ab 1884 liessen sich auch die Gäste des legendären Hotel Gütsch in Luzern locker per Bahn in den
siebten (Hotel-)Himmel befördern. Die 1888 eröffnete
erste elektrische Eisenbahn der Schweiz zwischen
dem Grand Hotel in Vevey und dem Schloss Chillon
hatte rein touristische Zwecke und verband alle am
Seeufer gelegenen Hotels. 1895 wurde das Zürcher
Hotel Waldhaus Dolder mit einer Drahtseilbahn ab
Römerplatz erschlossen; wenig später folgte die
Tramverbindung zum Grand Hotel Dolder. 1899
wurde in Zermatt die höchstgelegene Eisenbahnlinie
der Schweiz gebaut – alleine zur Erschliessung des
Grand Hotels auf der Riffelalp. Und seit 1913 klettert
die Drahtseilbahn vom Dorf St. Moritz zum Kurhotel
Chantarella.
Mobilität und Innovation
Seit 150 Jahren machen Bahnen ihre Hotelgäste
­mobil. Doch sie sind traditionsgemäss nicht nur Transportmittel, sondern Teil des Hotelerlebnisses. Wenn
das Schindler-Standseilbähnchen seine Gäste ins Artdéco-Hotel Montana hoch über Luzern bringt, weht
ein Hauch von Nostalgie durch die Kabine. Wenn die
steilste Standseilbahn der Welt Zahn um Zahn den
­Pilatus erklettert, verdient nicht nur das Grand Hotel
auf dem Gipfel, sondern auch die Fahrt ein paar
Sterne. Und wenn der «Tschuggen Express» mit vier
Metern pro Sekunde Richtung Aroser Bergwelt gleitet, wird einem bewusst, wie innovativ Schweizer
­Hoteliers sind. Und es immer schon waren. n
Innovation
Revolution
auf dem Dach
Der Schindler 3400 ist da – der Aufzug, der keinen
Dachaufbau für die Überfahrt mehr benötigt. Damit
eröffnen sich Planern, Architekten und Bauherren
ganz neue Möglich­keiten für die ­Erschliessung von
Mehrfamilienhäusern.
Facts & Figures
Nutzlast
K
5 bis 13 Personen, 400 bis 1000 kg
1 m / s
Förderhöhe
max. 30 m
Haltestellen
max. 14
Zugänge
gleichseitig, gegenüberliegend
Türbreite
750 – 900 mm
Türhöhe
2000 mm (2100)
Schachtkopfhöhe min. 2400 mm
Schachtgrubentiefe 1000–1150 mm
Neues Konstruktionsprinzip
Neue gestalterische Möglichkeiten
Mit der Markteinführung des Schindler 3400 existiert nun eine Aufzugslösung, die ohne Dachaufbau auskommt. Sie kommt damit den
Wünschen von Planern, Architekten, Bauherren sowie der Nachbarschaft entgegen. Bereits eine Höhe des ober­sten Stockwerkes von
2,40 Metern genügt für den Einbau der neuen Aufzugsgeneration,
ohne dass ein Dachaufbau nötig wäre. Möglich wird der Verzicht
durch ein – vom ­üblichen Schema abweichendes – Konstruktions­
prinzip von Kabine und Führungsschienen sowie einen äusserst kompakten Antrieb.
Bei klassischen Aufzügen wird die ­Kabine auf je einer Schachtwand
von einer Schiene geführt. Der Schindler 3400 hängt jedoch an
zwei nahe beieinander liegenden und an derselben Schachtwand
befestigten Führungsschienen. Der ­äusserst kompakte Aufzugs­
antrieb wiederum findet oben im Schacht­­kopf zwischen den beiden
Schienen Platz. ­Dadurch kann die Kabine am Antrieb vorbei bis
ganz nach oben fahren. Und fast alle Service­arbeiten lassen sich so
nach der Demontage der Seitenwand direkt aus der Kabine heraus
erledigen – dadurch ist die ­Sicherheit des Service­personals auch ohne
Überfahrt gewährleistet.
Der Wegfall des Dachaufbaus bringt viele Vorteile mit sich, die bisher
nur mit den wesentlich langsameren und für weniger grosse Förderhöhen geeigneten ­hydraulischen Aufzügen gegeben waren: Erstens
wird die Architektur des Gebäudes nicht mehr gestört. Zweitens
gibt es keine bauphysikalisch heiklen Stellen mehr, da die eigentlich
unerwünschten Durchdringungen der Dachhaut entfallen (Wärmeverluste). Und drittens können selbst bei Häusern mit Giebeldächern
oder in Gebieten, wo das Baugesetz im Dachbereich keine Über­
fahrten erlaubt, neu alle Geschosse mit einem Aufzug erschlossen
werden.
«Ein Aufzug ohne Überfahrt und mit nur einer tragenden Schachtwand ­bietet ganz neue gestalterische Möglichkeiten», sagt Nico
­Bittel, Architekt und Product Manager für den ­Schindler 3400.
Für den Planungsprozess ändert sich – von den neuen Möglich­
keiten im ­Dachbereich abgesehen – nichts: Die Schachtquerschnitte
sind gleich dimensioniert wie bei anderen Aufzügen derselben
­Grössenklasse – so können die Grundrisse der Geschosse wie bis
­anhin geplant werden, bevor der endgültige Entscheid für das
­jeweilige Aufzugs­modell gefällt wird. n
Geschwindigkeit
Text Reto Westermann Bild Alex kreuzer
ompakt, kubisch, schlicht – die zeitgenössische Architektur­
sprache kommt gerne schnörkellos ­daher. Umso mehr stört
der meist unumgängliche Dachaufbau bei Aufzugsschächten das
­Erscheinungsbild moderner Mehr­familienhäuser. Und nicht selten
ärgern sich auch Nachbarn eines Neubauprojekts, weil der Aufbau
ihnen die Aussicht verstellt – ein Problem, das bei der immer dichteren Bebauung von Quartieren in der Schweiz künftig vermehrt zum
Thema wird. Dabei erfüllt der ­Dachaufbau für die Überfahrt des
­Aufzuges eigentlich einen wichtigen Zweck: Er dient der ­Sicherheit
der ­Servicetechniker bei ­Arbeiten auf dem Dach der Kabine.
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25
Nachhaltigkeit
Bertrand Piccard (links)
und André Borschberg
im Hangar Payerne.
Solar Impulse
vor neuen Höhenflügen
Schindler ist einer der Hauptpartner des Solarflugzeugs Solar Impulse. In Payerne haben
die Projektleiter und Piloten Bertrand Piccard und André Borschberg über ihre bisherigen
Erfolge gesprochen und die nächsten Projektetappen von Solar Impulse umrissen.
26
Interview Jean-Louis Emmenegger bild Albert Zimmermann
B
ertrand Piccard und André Borschberg, vorletztes Jahr sind Sie erstmals über die Schweiz hinaus bis nach Brüssel
geflogen. Und 2012 haben Sie Ihren ersten Interkontinental­flug
­gemeistert, der Sie von Payerne bis ins marokkanische Ouarzazate und zurück führte. Welche Bilanz ziehen Sie?
Bertrand Piccard: Vor allem die, dass das Flugzeug Solar Impulse
­leistungsfähiger und zuverlässiger ist, als wir anfangs dachten. Zu
Projektbeginn diente es als Prototyp für Testflüge in der Schweiz.
Diese sollten zeigen, dass man Tag und Nacht mit Solarenergie
­fliegen kann. Das Flugzeug hat sich aber als so leistungsfähig erwiesen, dass es mittlerweile sogar von Kontinent zu Kontinent fliegt –
über das Atlasgebirge und die Wüste!
André Borschberg: Es ist wichtig zu verstehen, dass wir mit einem
­absolut einzigartigen Flugzeug fliegen. Je länger man tagsüber fliegt,
desto mehr Energie wird in den Batterien gespeichert. Selbst wenn
man gegen Mitternacht landet, wie es in Rabat der Fall gewesen ist,
sind die Batterien noch immer voll. Damit ist unser Flugzeug ­Solar
Impulse wirklich ein Paradebeispiel für Energieeffizienz! Auch was
das operative Zusammenspiel des Teams betrifft, hätte der ­Erfolg
nicht grösser sein können.
und die Atomkraft zu ersetzen. Wir müssen unbedingt im grossen Stil
Energie einsparen, was dank sauberer Technologien möglich ist. Auf
diese Technologien müssen wir vorbehaltlos setzen, obwohl sie – oft
zu Unrecht – mit ­sinkendem Lebensstandard, weniger Komfort und
geringerer Mobilität assoziiert werden. Solar Impulse zeigt, dass das
Gegenteil stimmt: Energieeinsparungen sind konkret realisierbar!
Ist das denn keine Utopie?
Bertrand Piccard: Absolut nicht! Nutzte man die sauberen Technologien in dem Stil, wie wir es beim Solar Impulse tun, würde der
­Energieverbrauch um 50 Prozent sinken. Die Hälfte des restlichen
Energiebedarfs, also 25 Prozent der Gesamtmenge, könnte man
durch erneuerbare Energien decken. Davon bin ich überzeugt.
Würde man alle Register ziehen, blieben nicht einmal 25 Prozent
­übrig, die mittels fossiler Energieträger produziert ­werden müssten.
Ein solarbetriebenes Verkehrsflugzeug ist also nicht realistisch?
André Borschberg: Jedenfalls nicht kurzfristig. Denken Sie an die ­Brüder
Wright: Nachdem beiden 1903 der erste Flug der Geschichte gelungen war, dauerte es noch 25 Jahre, bis Lindbergh mit seinem Flug-
«Mit Solar Impulse verbreiten wir die Botschaft, dass die Welt ihre Abhängigkeit von den fossilen
­Energieträgern abbauen kann. Die sauberen Technologien, die wir in unserem Flugzeug verwenden, können auch in Autos,
­Gebäuden sowie Heiz- und Beleuchtungssystemen eingesetzt werden und so deren Effizienz erhöhen.» Bertrand Piccard
Welche Herausforderungen mussten Sie während Ihrer letzten Flüge bewältigen?
Bertrand Piccard: Wir hatten nur sehr wenige technische Probleme,
­eigentlich nur eines: Aus Sicherheitsgründen entschieden wir uns,
ein Bauteil auszutauschen. Überrascht wurden wir eher vom Wetter.
Manchmal hatten wir mit sehr viel mehr Wind zu kämpfen als erwartet. Wir mussten lernen, bei Windgeschwindigkeiten von bis zu
50 Knoten zu fliegen.
André Borschberg: Auf unserem Flug nach Ouarzazate mussten wir
umdrehen. Der durch das Atlasgebirge verstärkte Wind war einfach
zu stark. Während des Flugs Rabat–Madrid hatten wir zu viel
Rücken­wind, sodass das Flugzeug zu schnell in Richtung Madrid
­vorankam. Landen durften wir aber erst am späten Abend nach
dem Linienverkehr. Deshalb mussten wir unseren Flug abbremsen.
Solar Impulse fliegt ohne Kerosin, weil seine Motoren von ­Solarenergie ­angetrieben werden. Denken Sie, dass die ­Solarenergie die Energie der Zukunft ist?
Bertrand Piccard: Die Solarenergie ist ein Bestandteil des Energiemix
von morgen. Sie reicht aber nicht aus, um die fossilen Energieträger
zeug alleine den Atlantik überflog. Und dann vergingen nochmals
25 Jahre, bevor Transatlantikflüge mit rund 100 Passagieren möglich wurden. Was wir heute in Angriff nehmen, dient der Entwicklung einer saubereren Luftfahrt. Und wenn wir nicht heute ­damit
anfangen, werden wir morgen niemals bereit sein. Unsere Flugzeugtechnologie erlaubt es uns, quasi mit der Motorstärke eines Motorrollers rund um die Welt zu fliegen. Ohne Zweifel lässt sich diese
Technologie auch am Boden einsetzen, um die Energieeffizienz zu
erhöhen.
Wie fühlt es sich an, mit dem Solar Impulse zu fliegen?
André Borschberg: Am eindrücklichsten ist es, den ganzen Tag
fliegen und bis auf 9000 Meter aufsteigen zu können, während
sich die Batterien immer weiter aufladen. Je länger ich tagsüber
fliege, desto mehr Energie speichert das Flugzeug. Als ich erstmals
das Steuer des Solar Impulse übernahm, lastete einerseits eine
­grosse Verantwortung auf mir. Denn das ganze Team hatte viele
Jahre lang sehr hart an der Planung und Konstruktion des Flugzeugs ­gearbeitet. ­Andererseits erfüllte mich dieser Moment auch
mit unbeschreib­licher Freude. Auf diese Chance hatte ich sechs c
next floor
27
Nachhaltigkeit
Facts & Figures
November 2003Projektstart
2003Machbarkeitsstudie
durch das EPFL (Lausanne)
Dezember 2009 Erstmalige Vorstellung und erster Start
April 20101. Testflug
7. und 8. Juli 20101. Tag- und Nachtflug (nonstop während 26 Stunden)
13. Mai 2011 Flug nach Brüssel auf Einladung der EU-Institution
15. Juni 2011 Landung in Paris als Sondergast bei der Internationalen
Luft- und Raumfahrtmesse (Salon International de l’Aéronautique
et de l’Espace in Bourget)
24. Mai bis 21. Juni 20121. Interkontinentalflug Payerne – Madrid – Rabat – Ouarzazate
29. Juni bis 24. Juli 2012Rückflug Ouarzazate – ­Rabat – Madrid – Toulouse – Payerne
2013 USA Kontinentalflug
Team 80 Mitglieder
Basis Flugplatz Payerne (Waadtland) und Dübendorf (Zürich)
Jahre lang ­gewartet. Da oben ist alles still, fast lautlos. Ich höre
lediglich das leichte Pfeifen der vier Motoren.
c
Bertrand Piccard, Sie gelten als «Pionier» und setzen damit das
Erbe Ihres Grossvaters und Vaters fort, die ebenfalls historische
Rekorde aufgestellt haben. Wie gehen Sie damit um?
Bertrand Piccard: Um ein Pionier zu sein, braucht es eine bestimmte
Einstellung. Mich persönlich interessiert es, Denkweisen zu verändern und Einstellungen weiterzuentwickeln. Man muss sich neue
­Lösungen ausdenken und mit aller Kraft in die Realität umsetzen.
Was macht aus Ihrer Sicht einen «Pionier» in unserem 21. Jahrhundert aus?
Bertrand Piccard: Ein Pionier ist jemand, der eine Vision und eine Idee
hat und diese in die Realität umsetzen kann, ohne sich von Gewissheiten und Gewohnheiten leiten zu lassen. Ein Pionier fürchtet sich
nicht davor, sich weiterzuentwickeln, anderes auszuprobieren,
aus den gewohnten Bahnen auszubrechen und ein neues Denken
zu praktizieren. Diese Fähigkeit kann auf verschiedenen Gebieten
zum Tragen kommen.
Woher nehmen Sie die Motivation, immer wieder neue Herausforderungen anzunehmen?
Bertrand Piccard: Ich bin nie mit dem Status quo zufrieden. Für mich ist
es selbstverständlich, meine Neugier und meinen Wissensdurst zu
28
kultivieren und mich immer wieder in Frage zu stellen. Ich bedauere
zutiefst, dass es den Entscheidungsträgern an Kreativität mangelt.
Dass sie immer wieder dieselben Fehler machen und von Mal zu Mal
kaum etwas dazulernen. Das betrifft vor allem die Akteure in der
Wirtschaft und im Finanzsektor.
Dann sind Sie also Pessimist?
Bertrand Piccard: Ja. Und das vor allem, weil ich keine wirklichen Projekte zur Entwicklung erneuerbarer Energien entdecken kann. Und
weil man Importzölle auf Waren aus Ländern erhebt, denen man
angeblich helfen will. Seien wir ehrlich: Es lässt sich nicht behaupten, die Menschlichkeit sei heutzutage auf dem Vormarsch. Ich bin
aber sehr wohl optimistisch, wenn ich mir unsere Ingenieurteams
anschaue. Diese Experten strotzen vor Kreativität und setzen diese
gemeinsam für Solar Impulse ein. Auch wenn unser Projekt technischer Natur ist, gewinnt es zunehmend eine humanistische Dimension. Wir hoffen, dass wir durch unser Projekt Innovationen in
­anderen Bereichen anstossen.
Wie leitet man ein derart komplexes Projekt?
André Borschberg: Anfangs hat man eine Idee, aber kein Team. Im
Zuge der Projektentwicklung findet man dann Partner, die als echte
Pioniere an das Projekt glauben. Sie sind für uns eine unverzichtbare
Unterstützung, bringen sie doch die benötigten Technologien und
ihr gesamtes Know-how in das Projekt ein. Wir haben versucht, in-
Solar Impulse beeindruckt
durch die extreme Flügelspannweite von 72 Metern.
Solar Impulse und Schindler.
Zwei Unternehmer,
ein visionäres Projekt
Freuen sich auf
das ultimative
Welt­umrundungsAbenteuer:
Die Solar-Impulse-­
Pioniere André
Borschberg (links)
und Bertrand Piccard.
nerhalb des Unternehmens förderliche Werte zu
entwickeln. So mussten wir intern den Pioniergeist wecken und unsere Teammitglieder ermutigen, ohne Erfolgsgarantie Dinge aus­zuprobieren
und in Angriff zu nehmen. Der Ingenieur muss in
der Lage sein, Risiken einzugehen. Und wir müssen ihn unterstützen können – egal ob er scheitert oder Erfolg hat. Für mich zählen drei wesentliche Werte: Man muss Dinge ausprobieren, das
Misserfolgsrisiko ohne Wenn und Aber akzeptieren und vor allem lernen und sich entwickeln.
Dass Solar Impulse fliegt, ist auch Ihren
­Finanz- und Technikpartnern zu verdanken,
darunter Schindler. Was bedeuten Ihnen diese Partner?
André Borschberg: Wir haben dieselbe Einstellung wie unsere Partner.
Uns verbinden viele gemeinsame Werte, und die Unterstützung der
Partner ist für uns unverzichtbar. «Wir stehen Ihnen zur Seite» versprechen diese Partner uns – und das auch bei Schwierigkeiten, wie
wir sie letztes Jahr erlebt haben. Da ist bei einem Test der Längs­
träger eines Flügels gebrochen. Dadurch hat sich die Fertigstellung
des neuen Flugzeugs um sechs Monate verzögert. Schindler bringt
sein technisches Know-how in vielen Bereichen ein, auch im Hinblick auf Aspekte wie Zuverlässigkeit, Energiesparen, Leichtmaterialien, Elektronik und Komponenten. Ausserdem profitieren wir von
Schindlers Erfahrung im gesamten Testbereich.
Der finanzielle und technische Beitrag, den die Partner
leisten, ist für den Erfolg eines Projekts wie Solar Impulse unverzichtbar. Das Technikteam und die Partnerunternehmen arbeiten eng in gutem Einvernehmen
­zusammen. Schindler ist seit 2011 ein Hauptpartner
von Solar Impulse und engagiert sich an der Seite von
Solvay, Omega und Deutsche Bank. Schindlers Unterstützung für Solar Impulse ist aber nicht nur finanzieller,
sondern auch technischer Natur. So gehören zwei
­Ingenieure von Schindler dem permanenten Team von
Solar Impulse an. Ihr Know-how kommt in zwei Bereichen zum Tragen: angewandte Elektronik und Werkstoffstruktur ­(Festigkeit).
Von San Francisco nach New York
Von San Francisco nach New York, quer über den amerikanischen Kontinent – diese Strecke wird Solar Impulse
dieses Jahr zurück­legen. Es ist der letzte Test vor der
­geplanten Weltumrundung im Jahr 2015. Schindler als
Hauptpartner von Solar Impulse unterstützt auch diese
Amerikareise finanziell. Gestartet wurde am 1. Mai in
San Francisco mit Ziel Washington und New York.
Auf der Strecke gibt es zwei bis drei Zwischenhalte.
Laut Bertrand Piccard ist es nicht das Ziel dieses Fluges,
neue Rekorde aufzustellen, sondern in den USA die
­Aufmerksamkeit auf die Solarfliegerei zu lenken.
Worin unterscheidet sich das zweite Solar-Flugzeug vom ersten?
André Borschberg: Unser erstes Flugzeug war ein für Testflüge ausgelegter Prototyp. Das zweite wird ein «Reiseflugzeug» mit anderen
­Eigenschaften sein: Die Spannweite wird 72 Meter betragen und die
des Vorgängers um 8 Meter übertreffen. Das Flugzeug wird im
­Verhältnis leichter sein und ein viel geräumigeres Cockpit besitzen,
damit der Pilot bequem lange Strecken zurücklegen kann. Die
­Batterien werden effizienter, die Karbonschichten dünner und die
Elektronik leistungsfähiger. Ausserdem wird es einen Autopiloten
geben. Lange Rede, kurzer Sinn: Unser Flugzeug wird bestens ausgestattet sein, damit wir unser grosses Ziel, die Weltumrundung
2015, erreichen. n
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Architektur Schweiz
Aussergewöhnlich –
sowohl die Hülle
des Turms wie der
Innenhof des neuen
Flachbaus.
St. Gallen hat ein neues architektonisches Wahrzeichen
direkt am Bahnhof: das ausser­gewöhnliche Gebäude der
Fachhochschule. Die Institution ist nicht nur eine Bereicherung
für das Stadtbild, sondern auch für das Bildungsangebot.
Bewusster Akzent im
Stadtbild von St. Gallen
Text Katrin Ambühl Bild Albert Zimmermann
D
er Wissensdurst unter jungen Menschen ist sehr gross. So gross,
dass manche Fachhochschule heute an ihre Grenzen stösst.
Auch die Fachhochschule St. Gallen (FHS), die bis vor kurzem auf
acht Standorte verteilt war. Eine unbefriedigende Situation, nicht
nur wegen der komplizierten Mietsituation oder der prekären Platzverhältnisse. «Uns ist Interdisziplinarität sehr wichtig, aber das war
bisher kaum zu bewerkstelligen», sagt Sebastian Wörwag, Rektor
der Fach­hochschule St. Gallen. Gemäss seinen Visionen sollen
­angehende Betriebsökonomen, Pflegeexpertinnen und Wirtschaftsingenieure gemeinsam – zum Beispiel im Fach Ethik – unterrichtet
werden, sie sollen sich begegnen und austauschen können.
Nun ist seine Vision Realität geworden. Ende Januar zogen die
­ersten Hochschulbereiche in das neue Gebäude ein. «Ich freue mich,
dass nun alle Fach- und Leistungsbereiche unter einem Dach sind»,
sagt Sebastian Wörwag. Die neue Hochschule besteht aus einem
­liegenden, 19,5 Meter hohen Bau und einem 65-Meter-Turm. «Das
Gebäude ist kompakt und übersichtlich», sagt der Rektor. Seit 2003
leitet Sebastian Wörwag die Geschicke der Fachhochschule St. Gallen.
Im gleichen Jahr wurde der Architekturwettbewerb für den Neubau
entschieden. Die Planung hat also vor über 10 Jahren begonnen,
was bei ­öffentlichen Bauten keine Seltenheit ist. «Doch der Aufwand
hat sich gelohnt», betont Sebastian Wörwag. Mit einem Glanz­ c
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Facts & Figures
BauherrschaftHochbauamt
Kanton St. Gallen,
City Parking St. Gallen AG,
Tiefbauamt Stadt St. Gallen
ArchitekturGiuliani Hönger Architekten, Zürich
Baumanagementb+p Baurealisation, Zürich
Bauzeit2009 bis 2012
Kostenca. 132 Mio. Franken
Turm
Sockelbau
Tiefgarage
Warenlift
Aufzüge
3 Schindler 5400 mit Zielrufsteuerung
3 Schindler 5400
2 Schindler 5400
1 Schindler 2600
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Architektur Schweiz
im Stadtbild von St. Gallen und ergänzt die Türme der Hauptpost,
des Rathauses und des neuen Bundesverwaltungsgerichts.
Aus Train-Station wird Brain-Station
Den Rektor freut neben der äusseren Erscheinung vor allem das
­grosse Raumangebot und die Qualität des Gebäudeinnern. «Tageslicht wird intelligent mittels Lichthöfen und Oblichtern bis ins Erd­
geschoss geleitet. Das gibt dem Gebäude eine freundliche, helle
­Anmutung», betont Sebastian Wörwag. Die zwei Lichthöfe sind das
Herzstück der architektonischen Idee. Der Turm ist so im Sockel
­platziert, dass auf zwei Seiten ein Hof geschaffen wird: ein Aussenhof, der die Erschliessungen und die Eingangshalle belichtet und
ein überdachter Hof, der als Bibliothek dient.
2900 Studierende werden in Zukunft die Räume der neuen Hochschule beleben. Und das direkt am Bahnhof. Das neue Gebäude ist
unterirdisch direkt mit den Gleisen verbunden, und auch die Bahnhofsvorfahrt liegt neu im Untergeschoss der Schule. «Aus der TrainStation ist mit der neuen Hochschule eine Brain-Station geworden»,
sagt Sebastian Wörwag. Sein Büro befindet sich übrigens nicht im
obersten Stockwerk des Hochhauses, sondern eine Etage tiefer.
Doch auch von hier, in 60 Metern Höhe, hat er einen guten Überblick über die Skyline von St. Gallen, die nun um ein Wahrzeichen
reicher ist. n
resultat von 82 Prozent Ja-Stimmen wurde das Bauprojekt 2008
von der St. Galler Stimmbevölkerung gutgeheissen.
c
Der Zeit voraus
Die hohe Akzeptanz ist erstaunlich, denn Hochhäuser stossen oft
auf Widerstand. Salonfähig sind sie in der Schweiz erst wieder in
jüngster Zeit geworden – wegen der Bodenknappheit und der zunehmenden Forderung nach verdichtetem Bauen. «Nur wenige eingereichte Projekte schlugen für die neue FHS ein Hochhaus vor»,
sagt Tobias Greiner. Er ist einer der beiden Projektleiter bei Giuliani
Hönger Architekten, Zürich, die 2003 den Wettbewerb gewonnen
hatten. Ein gewagter Vorschlag für die damalige Zeit, der auch vom
Hochbauamt Kanton St. Gallen als Bauherrin Mut gefordert habe,
fügt der Architekt an.
Die Kernidee des Projekts basiert auf zwei unterschiedlichen Volumen, die auch unterschiedliche Bereiche beinhalten: einerseits der
blockartige Sockelbau, in dem Unterrichtsräume, Aula, Bibliothek
und Mensa untergebracht sind, und andererseits der 18-stöckige
Turm mit den Verwaltungsräumen. Der Flachbau ist für den Lehrund Weiterbildungsbereich, der Turm für die Institute und die Administration. «Der Dachgarten auf dem Sockelbau ist eine Terrasse für
alle, er bildet den Übergang zwischen den beiden Bereichen»,
­erläutert Tobias Greiner.
Der Dachgarten ist auf Augenhöhe mit den umliegenden Gebäuden,
die vorwiegend aus Savoyer Sandstein bestehen. Das spielte bei der
Fassadengestaltung des Neubaus der Fachhochschule eine wichtige
Rolle. «Uns war bewusst, dass ein so grosser Baukörper einen Bezug
zur gebauten Umgebung haben muss», sagt Tobias Greiner. Deshalb haben die Architekten die Betonfassade in einem sandsteinähnlichen Farbton gehalten. Das Hochhaus setzt zudem einen Akzent
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Dank der Zielrufsteuerung arbeiten
die drei Aufzüge im Turm der
Fachhochschule äusserst effizient.
Schindler Award
Das Siegerprojekt der
deutschen Studenten
fordert prominent ein
Hochhaus zwischen den
beiden Aarebrücken.
«Enhance and Revitalize»:
Die Schützenmatte im Jahre 2025
Über 1000 Studierende haben am Schindler Award 2012 teilgenommen und sich mit der Frage auseinander­
gesetzt, wie aus der Berner Schützenmatte ein für alle zugängliches Quartier werden könnte. Gewonnen haben
den Wettbewerb drei Studenten aus Berlin: Auf den Spuren ihres Siegerprojekts unternehmen wir 13 Jahre
später einen fiktiven Rundgang durch die Berner City.
Text Hannes Tscherrig Bild Andreas Gemperle / Albert Zimmermann / RAFFAEL WALDNER
O
rtstermin Berner Schützenmatte im Jahr 2025: «Vor zehn
­Jahren hätten wir hier nicht viel gesehen», sagt Joe Manser.
Gemütlich gleitet der Architekt in seinem Rollstuhl am Uni-Café und
den locker dasitzenden Studierenden vorbei. Der im Sommer 2024
fertiggestellte Uni-Kubus neben der Mensa erwacht langsam zum
Leben. Studierende strömen in die Vorlesungssäle des «Neustbaus».
Von der Terrasse davor zeigt sich das veränderte Gesicht von Bern.
hinunter in die City, versichert Joe Manser. «2012, als der Schindler
Award hier gastierte, war das viel komplizierter», erzählt er, während
wir auf den Aufzug warten. Bis vor ­einigen Jahren ­erstreckte sich hier
ein zwischen Gleisen und Strassen isolierter Parkplatz, der manchmal
als Jahrmarkt umgenutzt wurde. Der uner­müdliche ­Kämpfer für hindernisfreies Bauen fasst zusammen: «Die Schützenmatte von damals
war voller Barrieren.» Wir steigen ein.
Verkehrsknoten
Gräben in der Stadt überbrückt
Zehn Meter unter uns rauschen die Züge der SBB gen Zürich und
Bern. Der «Schindler-Arch», eine futuristische Brücke aus Stahl und
Glas, verbindet das erweiterte Uni-Gelände mit dem Gebiet der
­ehemaligen Schützenmatte. Dabei ist das neu gebaute Hotel und
Kongresszentrum nicht nur zum Dreh- und Angelpunkt geworden.
Mit seinen 13 Stockwerken fungiert es auch als Orientierungspunkt
und «Landmark» für die Stadt Bern. Über die Rampe und das Lift­
system im Hotelgebäude gelange man selbst im Rollstuhl sehr einfach
2012 war Mark Werren Stadtplaner. Über 1000 Studenten,
die am Schindler Award teilnahmen, hatten Vorschläge zur besseren
­Zugänglichkeit der Berner City gemacht. Als Jurymitglied zeichnete
Mark Werren das Projekt aus, das die Entwicklung von einer ­Asphalt-­
Einöde zur Berner City angestossen hatte. «Die Stadt Bern hat natürlich nicht alles umsetzen können», kommentiert er das ­Berliner
Siegerprojekt «Enhance and Revitalize». «Manche Visionen waren
zu gewagt für die kompromissgeplagte Bundeshauptstadt.» c
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Schindler Award
Blindenschrift
und Duftkonzept
Das Gelände der Schützenmatte rund
um die Berner Reithalle, mit dem sich
die Studierenden des fünften Schindler
Award auseinandersetzen mussten.
Interview Eliane Kunz
Benjamin Saner und Roman Koch schafften es am Schindler
Award 2012 mit ihrem Projekt «Joining» als einzige Schweizer
in die Top Ten. Insgesamt 113 Arbeiten wurden eingereicht.
Was hat Sie eigentlich zur Teilnahme am Architektur-
wettbewerb bewogen?
Roman Koch: Für die Bachelorarbeit hat uns die Schule zwei
­Projekte vorgeschlagen. Eines davon war der Schindler Award.
Die Wettbewerbsform hat uns gereizt und wir wollten beweisen,
dass wir nach vier Jahren berufsbegleitendem Architekturstudium
eine solche Aufgabe meistern können.
Benjamin Saner (rechts im Bild) und
Roman Koch haben ihr Architekturstudium
berufs­­­begleitend an der Zürcher
Hochschule für Angewandte Wissenschaften
(ZHAW, auslaufender Bachelorstudiengang
der ehemaligen HSZ-T) absolviert.
Worin lag Ihrer Meinung nach die grösste Herausforderung?
Benjamin Saner: Auf kleinstem Raum mussten auf dem Wett­
bewerbsgebiet der Schützenmatte in Bern die verschiedensten
­Facetten der Zugänglichkeit berücksichtigt werden. Soziale
Themen wie die Integration der Drogenanlaufstelle in das
städtebauliche Konzept waren genauso Teil der Aufgabe wie
die Lösung des Problems der verschiedenen Höhenniveaus
am Martinshang. Diese Vielfältigkeit machte das Projekt zwar
sehr interessant, aber eben auch aufwendig.
Ihr Projekt hat es unter die besten zehn geschafft. Was hat Ihnen zum Erfolg verholfen?
Benjamin Saner: Unsere Dozenten haben uns sehr gut unter­
stützt. Wir bekamen wichtige Inputs zum Thema «Access for all»,
mit dem wir uns eigentlich erst durch die Teilnahme am Schindler
Award so richtig auseinandergesetzt haben.
Und was haben Sie aus der Teilnahme am Award gelernt?
Roman Koch: Ich denke, die wichtigste Erkenntnis war, dass
man den Fächer beim Thema Zugänglichkeit in der Architektur
weiter öffnen sollte. So konnten wir viel Neues entdecken:
Wir haben uns beispielsweise mit der Blindenschrift beschäftigt
oder duftende Pflanzenkonzepte entwickelt. Auch Menschen
mit einer Sehbehinderung sollen sich auf einem öffentlichen
Gelände zurechtfinden können.
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Im Innern des neuen Kongresszentrums befördert ein Hochleistungsaufzug Joe Manser vom Uni-Campus hinunter in die City.
Glänzend neue Türen geben den Blick auf die Kulturmeile Berns frei.
«Links, die Alternativen», schmunzelt Joe Manser und deutet auf
die Reithalle. ­Wie zur Bestätigung leuchten die Graffiti am fast
40-jährigen Kulturzentrum hervor. «Und rechts, die eher bürgerliche
Hoch-­Kultur.»
c
einzigen langen Kulturinstitution verbinden. Doch es kam anders,
als Christopher Ruhri, Thomas Buser und Stefan Gant es sich ausgedacht hatten: Im «House R» wird heute, im Jahre 2025, gediegen
und mit bester Aussicht auf die Aare getafelt. Anstelle von Räumen
für klassische Kunst entstanden stilvolle Lofts. «Damals sahen die
Planenden die Schützenmatte als einen kulturellen Hotspot», erklärt
Manser, «dieser Teil der Vision wurde nicht verwirklicht.» Umgesetzt
wurde aber der Ansatz «Access for all».
Vision wurde teilweise Wirklichkeit
Joe Manser zeigt auf den modernen Glasbau, der ursprünglich das
benachbarte Kunstmuseum erweitern sollte. Die Gewinner des
Schindler Award 2012 wollten die Reithalle im Norden, das alte
Kunstmuseum im Süden und das «House R» dazwischen zu einer
Übergabe des ersten Preises des Schindler Awards 2012 (von links):
Moderatorin Mireille Jaton, Jurymitglied Professor Kees Christiaanse,
die Sieger Christopher Ruhri, Thomas Buser und Stefan Gant
von der Technischen Universität Berlin (TU Berlin),
Schindler-CEO Jürgen Tinggren sowie Christos Stremmenos
und Bettina Bauerfeind, die die Studenten betreuten.
«Access for all»
Zugänglichkeit bedeute nicht nur Rampen und Aufzüge statt Treppen. Genauso wichtig seien die auf den ersten Blick kleinen Dinge.
Die Bedienelemente im Lift etwa müssen auch sitzend erreichbar,
der Aufzug auffindbar sein. «Das ist hier hervorragend gelöst»,
lobt Joe Manser: Die Aufzüge im Kongresszentrum Bern etwa sind
direkt sichtbar, Bedienelemente sind gut für Stehende, Sitzende
und Blinde erreichbar.
«Als sich im Rahmen des Schindler Award Studenten aus ganz
­Europa mit der Problemzone Schützenmatte befassten, verlangten
wir Jurymitglieder, dass der neue Stadtteil allen sozialen Schichten
zugänglich sein musste», erinnert sich Mark Werren. Die zentrale
Berner Drogenanlaufstelle ist auch deshalb 2025 nahtlos in ein
­Bürogebäude beim Bahnhof integriert.
Randgruppen im Zentrum
Ein Teil des Gebäudes ist für Abhängige reserviert. «Die Anlaufstelle
ist ein sicherer Hafen für Süchtige», erklärt Joe Manser. Hier werden
Menschen medizinisch betreut, beraten und therapiert. Deshalb
ist es auch so wichtig, dass die Anlaufstelle mitten in der Stadt liegt.
Wer nicht erkannt werden will, kann hier anonym bleiben.
Gleichzeitig zeigt sich das «normale» Leben gleich nebenan: Das
­Restaurant und der Innenhof sind öffentlich zugänglich. Verschiedene Firmen haben sich in den Büros über der Anlaufstelle ein­
gemietet. Und vier Stöcke über der Strasse findet sich einer der
­schönsten Rooftop-Gardens Berns. Ein helles und offenes Auge
im Orkan städtischer Hektik.
Neue Linien in Bern
Auf dem Weg zur Lorrainebrücke überqueren wir die Schützen­
mattstrasse. Fussgängerampeln in der City zeigen nicht nur grün,
sondern geben mit einem lauten Summen akustisch grünes Licht.
So können auch blinde oder sehbehinderte Menschen sicher durch
die Strassen navigieren. Joe Manser weist auf eine im Boden ein­
gelassene Markierung hin. «Die Strukturen und die Kontraste
­bilden eine Orientierungshilfe für Menschen mit eingeschränktem
Sehvermögen.»
Vom Botanischen Garten aus blicken wir auf die Berner City zurück.
Das elegante «House R», das Hotel und Kongresszentrum, die
SBB-Brücke, das erweiterte Uni-Gelände mit Übergang zur Schützen­
matte, die Reithalle. Joe Manser schmunzelt. «Das ist schon eine
richtige Skyline.»
Vor zehn Jahren hätte man hier noch viel weniger gesehen. n
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Rubrik
Beetham Tower, Manchester
Wir bewegen.
In Goldach und im weiteren Umkreis.
Täglich nutzen weltweit 1 Milliarde Menschen Aufzüge, Fahrtreppen
und innovative Mobilitätslösungen von Schindler. Hinter unserem
Erfolg stehen 45 000 Mitarbeitende auf allen Kontinenten.
www.schindler.ch
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