Michael Barsuhn/Jutta Braun/Hans Joachim Teichler

Transcription

Michael Barsuhn/Jutta Braun/Hans Joachim Teichler
Michael Barsuhn/Jutta Braun/Hans Joachim Teichler
Chronik der Sporteinheit
vom Mauerfall bis zur Aufnahme der fünf neuen Landessportbünde
am 15. Dezember 1990 in den Deutschen Sportbund
Mit freundlicher Unterstützung
der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, des Deutschen Sportbundes und
der Bundeszentrale für politische Bildung
Impressum
Die Chronik der Sporteinheit: vom Mauerfall bis zur Aufnahme der fünf neuen Landessportbünde am
15. Dezember 1990 in den Deutschen Sportbund
Autoren und Redaktion: Michael Barsuhn, Jutta Braun, Hans Joachim Teichler
Layout: Berno Bahro, Jens Schielmann
Weitere Mitarbeiter: Kristin Rybicki, Uta Langwisch, Martin Einsiedler, Tobias Kneschke, Jens Wissendaner
Arbeitsbereich Zeitgeschichte des Sports
Universität Potsdam
Am Neuen Palais 10
14469 Potsdam
Prof. Dr. Hans Joachim Teichler
(geb. 1946); Studium von Sport- und Sozialwissenschaft in Bonn bei Bernett und Bracher;
Promovierte in Bochum bei Ueberhorst; drei Jahre Sportreferent der SPD-Bundestagsfraktion;
Vertrauensdozent der Friedrich-Ebert-Stiftung; langjähriger Sprecher der Sektion Sportgeschichte in der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft; seit 1994 als Professor für
Zeitgeschichte des Sports im Institut für Sportwissenschaft der Universität Potsdam tätig; Arbeitsschwerpunkte: Medien, Arbeitersport, Sportpolitik im Dritten Reich und Sportgeschichte
der DDR.
Dr. Jutta Braun
(geb. 1967); Studium der Zeitgeschichte, Osteuropäischen Geschichte und Sinologie in München; 1999 Promotion zur Enteignungspolitik in der DDR; Mitarbeiterin am Arbeitsbereich
Zeitgeschichte des Sports der Universität Potsdam; Veröffentlichungen zur Justizgeschichte
der DDR und den deutsch-deutschen Sportbeziehungen.
Michael Barsuhn
(geb. 1977), studierte Geschichte, Neuere deutsche Literaturwissenschaften und Politik an der
Humboldt-Universität zu Berlin; Mitarbeiter am Arbeitsbereich Zeitgeschichte des Sports an
der Universität Potsdam; freier Sportjournalist, u. a. Berliner Zeitung, MAZ und Deutschlandfunk
INHALTSVERZEICHNIS
Vorwort (Hans Joachim Teichler)
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NOVEMBER 1989
Chronik
Glasnost und Perestroika „Die Öffnung der Mauer kam für den Fußball eine Woche zu früh“ (Michael Barsuhn)
Chronik
Frankfurter Rundschau 18. November 1989
Chronik
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DEZEMBER 1989
Chronik
Sport frei! Schon kurz nach dem Mauerfall gab es über 5.000
deutsch-deutsche Begegnungen (Jutta Braun)
Chronik
Frankfurter Allgemeine Zeitung 11. Dezember 1989
Chronik
Dezember ´89 Collage
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JANUAR 1990
Chronik
Tod einer Massenorganisation (I). Der DTSB war in der Wendezeit
nur scheinbar reformwillig (Michael Barsuhn)
Chronik
Frankfurter Allgemeine Zeitung 08. Januar 1990
Chronik
Januar ´90 Collage
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FEBRUAR 1990
Chronik
Go West! Trainer und Spitzensportler wechseln in den „goldenen
Westen“ (Jutta Braun)
Chronik
Süddeutsche Zeitung 5. Februar 1990
Chronik
Februar ´90 Collage
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MÄRZ 1990
Chronik
Befreiung von der Altlast. Am 31. März 1990 wurde im DDRFußball der Demokratisierungsprozess eingeleitet (Michael Barsuhn)
Chronik
Frankfurter Allgemeine Zeitung 12. März 1990
Chronik
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APRIL 1990
Chronik
„Gemeinsam sind wir die Größten“? Olympia 1992 als Traum und
Albtraum (Jutta Braun)
Chronik
Süddeutsche Zeitung 6. April 1990
Chronik
April ´90 Collage
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MAI 1990
Chronik
Tod einer Massenorganisation (II) Der innere und äußere Machtverlust des DTSB (Jutta Braun)
Chronik
Frankfurter Allgemeine Zeitung 9. Mai 1990
Chronik
Mai ´90 Collage
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JUNI 1990
Chronik
„Was ist lila und pfeift zur Halbzeitpause?“ Sponsoring weckte große
Hoffnungen, erfüllte aber nicht alle Erwartungen (Jutta Braun)
Chronik
Frankfurter Allgemeine Zeitung 25. Juni 1990
Chronik
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JULI 1990
Chronik
Einheit und Zwietracht. Während Deutschland 1990 in Rom FußballWeltmeister wurde, stritten die Funktionäre um die Zukunft des gesamtdeutschen Fußballs (Michael Barsuhn)
Chronik
Frankfurter Allgemeine Zeitung 16. Juli 1990
Chronik
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AUGUST 1990
Chronik
„Geheimnisse“ des DDR-Sports. Die Nachwirkungen der Repression
im DDR-Sport sind bis heute spürbar (Jutta Braun)
Chronik
Süddeutsche Zeitung 18. August 1990
Chronik
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SEPTEMBER 1990
Chronik
Schussfahrt in die Einheit. Im September 1990 begann die Vereinigung der Fachverbände (Michael Barsuhn)
Chronik
Frankfurter Allgemeine Zeitung 25. September 1990
Chronik
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OKTOBER 1990
Chronik
„Ostdeutsch oder westdeutsch Rudern?“ Bei der Vereinigung der
Fachverbände erkannten ost- und westdeutsche Athleten schnell, dass
sie künftig in einem Boot sitzen (Jutta Braun)
Frankfurter Allgemeine Zeitung 6. Oktober 1990
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NOVEMBER 1990
Chronik
Die olympische Einheit. Ein schneller Zusammenschluss mit langfristigen Folgen (Michael Barsuhn und Jutta Braun)
Frankfurter Allgemeine Zeitung 22. November 1990
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DEZEMBER 1990
Chronik
Rückblick. Die deutsche Sporteinheit – eine Zwischenbilanz nach 15
Jahren (Michael Barsuhn und Jutta Braun)
Frankfurter Allgemeine Zeitung 17. Dezember 1990
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ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
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Vorwort
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Hans Joachim Teichler
Vorwort
von Hans Joachim Teichler
Der Sport war ein Sonderfall der deutschen Vereinigung. Während die meisten anderen Teile
des DDR-Staates abgewirtschaftet hatten, war die DDR der Bundesrepublik in bestimmten
Segmenten des Leistungssports seit Ende der 1960-er Jahre weit überlegen. Deshalb gab es
zahlreiche Stimmen und Fragen im Vereinigungsprozess, welche Elemente des „Sportwunderlandes DDR“ erhaltenswert seien.
Diese Diskussion hält bis heute an.
Ein historischer Sonderfall liegt insofern vor, da hier ein (vermeintlich) positives Erbe des
SED-Regimes zur Verhandlung stand. War alles tatsächlich so positiv, und was wurde im
Zuge der Einheit aus den verschiedenen Elementen und Systembestandteilen des DDR-Sports
gemacht? Die Dramatik und Brisanz, aber auch die Leichtigkeit der deutschen Sporteinheit im
Jahr 1990 kann nachträglich nur verstanden werden, wenn man zuvor eine nüchterne Abschlussbilanz des west- und ostdeutschen Sports zieht und sich fragt, welche Merkmale und
Strukturen den Sport auf beiden Seiten von Zonengrenze und Mauer bestimmten.
Der Sport im Osten trat auf Geheiß der SED in eine Frontstellung gegen das „kapitalistische
Ausland“; es entsprach der kommunistischen Erziehung, den westlichen Sport zu übertreffen
und dessen Athleten als „Klassenfeinde“ zu betrachten. Dies war die offizielle Lesart, jedoch
gab es neben der Abgrenzung oftmals auch eine deutsch-deutsche Sportkameradschaft auf der
unteren Basis und auch in Gremien auf internationalem Parkett. Der DSB bemühte sich in den
seit 1974 geführten Kalendergesprächen vergeblich um eine Intensivierung des deutschdeutschen Sportverkehrs vor allem auf der unteren Ebene und im grenznahen Bereich. Es
blieb bei 80 bis 90 Ost-West-Begegnungen, denen im DTSB stets eine Schulung und meist
auch ein Extra-Training vorausgingen. Auf der letzten Tagung des DTSB am 6.-8. November
1989 in der SED-Parteischule Karl-Liebknecht in Kleinmachnow wurde allerdings deutlich,
dass es ein ungebrochenes Interesse an gesamtdeutschen Begegnungen gab: die DTSBKreisvorsitzenden berichteten von sehr vielen Anträgen auf Städtepartnerschaften und WestOst Austausch. Das dreistufige Antragsverfahren wurde an die Bezirke delegiert und auf ein
zweistufiges reduziert. Als die Delegierten zu Hause ankamen, waren auch diese Bestimmungen zur Makulatur geworden. Der mit dem Mauerfall am 9. November gewonnenen Reisefreiheit hatte der DTSB nichts mehr entgegenzusetzen. Die Verkündigung des Endes der Kalendervereinbarung und der Freiheit des deutsch-deutschen Sportverkehrs durch die Präsidenten von DSB und DTSB, Hans Hansen und Klaus Eichler am 17. November in Berlin, hatte
nur noch einen nachträglichen formalen Charakter.
Die Reisefreiheit öffnete aber auch den Blick auf die wesentlichen Unterscheidungspunkte
nach vierzig Jahren Trennung. In der DDR gab es keine Vereine mehr. Der Basissport war
anders organisiert, meist über die Trägerbetriebe der Betriebssportgemeinschaften finanziert.
Die seit 1957 festgefrorenen Mitgliedsbeiträge machten im Schnitt nur 6-8% der Sportkosten
aus. Schnell wurden die Disproportionen im personellen Bereich deutlich. Während in der
DDR-Leichtathletik 592 Trainer im Verband und in den Clubs und Trainingszentren arbeiteten, waren im Westen nur 15 Trainer im DLV und ca. 30 in Großvereinen angestellt. Dabei
hatte die westdeutsche Leichtathletik über 800.000 Mitglieder, während in der DDR etwa
80.000 Leichtathleten aktiv waren. Ähnlich lag es im Rudern: vier westdeutschen Trainern
standen 60 Trainer in der DDR gegenüber. Die in einem Geheimtreffen im Dezember 1989
zwischen Vertretern des Bundesausschuss Leistungssport und Experten der Deutschen Hochschule für Körperkultur und Sport in Langen bei Frankfurt/M. genannte und zutreffende Zahl
von ca. 8.000 DDR-Trainern im Nachwuchsbereich und im Leistungssport stieß im Westen
auf Unglauben.
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Vorwort
Hans Joachim Teichler
Ein weiterer wesentlicher Unterschied lag, was sich aufgrund der geschönten DTSBStatistiken erst später herausstellen sollte, im sportlichen Organisationsgrad der Bevölkerung.
So waren im Bereich Potsdam (Stand und Umland) nur 13% der Bevölkerung sportlich organisiert, zieht man von den damaligen internen Zahlen die Angler und Sportgemeinschaften der
Armee und der Polizei ab. Über diesen geringen Organisationsgrad ist man bis heute noch
nicht hinaus gekommen. In den Flächenländern der alten Bundesrepublik war ein Drittel der
Bevölkerung in Sportvereinen organisiert.
Wie reagierte nun der Sport auf den Prozess der Wende? Während sich auf unterer Ebene
Vereine wiedertrafen, im grenznahen Bereich Wiedersehenssportfeste organisierten, Partnerschaften zwischen Ost und West geschlossen wurden, reagierte der Leistungssport verhaltener. Sportliche Rivalität war nicht nur staatlich verordnet, sondern auch den Sportlern in
Fleisch und Blut übergegangen, so z.B. im Handball: Die Kieler ärgerten sich jedes Mal besonders darüber, wenn sie gegen die Rostocker oder Magdeburger verloren.
Im Prozess der Vereinigung fürchteten die jeweiligen Spitzensportler die Übermacht des anderen Staates in bestimmten Sportarten, so hatten etwa die West-Schwimmer Angst vor dem
Verlust ihrer Startplätze bei Barcelona 1992. Und die DDR-Leichtathleten hatten beim letzten
Start als eigenes Team bei den Europameisterschaften 1990 in Split den DLV förmlich deklassiert. Das Schweigekartell der DDR-Sportführung zum Thema Doping funktionierte solange die Regierung Modrow im Amt war. Seit März 1990 erschütterten immer neue Doping
Enthüllungen die Sportwelt. Das Stasi-Thema rückte erst Ende 1990 in den Blickpunkt der
Öffentlichkeit. Die notwendige Aufarbeitung kam nur zögerlich in Gang.
Auf ein weiteres Paradoxon der Vereinigung muss ebenfalls hingewiesen werden: Einerseits
wurden (durch SED-Verstrickung belastete) Reisekader der DDR durch die Demokratisierungswelle abgelöst; dies erschwerte jedoch andererseits die Annäherung zwischen Ost und
West, da der Westen an die international bekannten Gesichter gewöhnt war und damit oftmals
die üblichen Kommunikationswege wegbrachen. Daraus resultierte im Westen eine gewisse
Unsicherheit: Mit wem konnte man verhandeln, wer war legitimiert und wer nicht?
War z.B. der DTSB aufgrund seiner neuen Spitze ein demokratisch legitimierter Verhandlungspartner? Die Sportministerin der DDR, die dies verneinte und konsequent die Verbände
stärkte, handelte sich den Unwillen der Dachverbände von Ost und West ein.
Wir werden in diesem Zusammenhang der Frage nachgehen müssen, welche Rolle die offizielle Sportpolitik in Ost und West spielte und ob es einen unabhängigen Weg des Sports in
die deutsche Vereinigung gab. Es war die Stunde der Exekutive, welche die Richtung vorgab,
im Einigungsvertrag aber den Breitensport ausklammerte. Das Jahr 1990 brachte für viele
DDR-Sportler freudige Überraschungen aber auch Enttäuschungen: Viele Sportarten in der
DDR aus dem Korb der „nicht besonders geförderten Sportarten“ erlangten zwar wieder ihre
Reisefreiheit, erhielten aber nicht die erhoffte finanzielle Förderung, z.B. Bogenschießen oder
Tennis. Zu berücksichtigen sind aber auch die vielen Neuanfänge und Erfolge der Wende
(Karate, Triathlon, Drachenfliegen, Golf, Fanreisen in den Westen z.B. Sonderzüge zum WMQualifikationsspiel in Wien, Segeln und Surfen auf der Ostsee, der Neujahrslauf durch das
Brandenburger Tor, der Wegfall der Wassersperren im Berliner Umland usw.).
Viele Einrichtungen, wie die Runden Tische des Sports oder die Revisionskommissionen des
DTSB, hatten nur eine kurze Lebensdauer und sind heute beinahe vergessen.
Die folgende Chronik der „Deutschen Sporteinheit“ soll an die vielfältigen und spannenden
Ereignisse der 14 Monate vom Mauerfall bis zur Vereinigung des deutschen Sports am 10.
Dezember 1990 in Hannover erinnern und eine Basis für die sportgeschichtliche Aufarbeitung
dieser lebhaften Zeit schaffen.
Chronik November 1989
November 1989
04.11.1989
Berlin: Größte Protestdemonstration in der
Geschichte der DDR auf dem Berliner Alexanderplatz.
06.11.-08.11.1989
Kleinmachnow: dreitägige Beratung des
Sekretariats des Bundesvorstandes des
DTSB gemeinsam mit den Bezirks- und
Kreisvorsitzenden sowie Generalsekretären
der Sportverbände. Der DTSB will einen
eigenständigen Beitrag leisten für „einen
besseren Sozialismus in der DDR“. Dafür
verlangt man eigene Mandate einschließlich zu bildender Sportausschüsse in den
Volksvertretungen.
07.11.1989
Rücktritt der Regierung der DDR.
Der „Tagesspiegel“ meldet: Der Weltverband (FIVB) beschließt auf Antrag des
Präsidenten des Deutschen Volleyballverbandes (DVV), Roland Mader, Umsiedler
aus der DDR und anerkannte Asylbewerber ab sofort im Bereich des DVV in allen
Klassen spielen zu lassen.
09.11.1989
Fall der Mauer – Öffnung der innerdeutschen Grenze.
10.11.1989
Das Präsidium des Deutschen Fußballverbandes der DDR (DFV der DDR) verkündet ein Aktionsprogramm zur Demokratisierung des Verbandes.
12.11.1989
55.000 Zuschauer sehen im Olympiastadion die Zweitligabegegnung Hertha BSC
gegen Wattenscheid 09 (1:1), darunter
Tausende DDR-Bürger.
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13.11.1989
Die Volkskammer wählt Hans Modrow
zum neuen Ministerpräsidenten.
Kreischa: Erstmals haben Sportjournalisten
der DDR-Medien die Gelegenheit, sich
über die Arbeit des offiziellen Dopingkontrolllabors der DDR zu informieren.
15.11.1989
Die DDR verliert in Wien gegen Österreich ihr entscheidendes WM-Qualifikationsspiel mit 0:3. „Am Rande wedelten
die Spielerberater aus der Bundesrepublik
mit ihren Geldscheinen.“ (Jürgen Nöldner,
heute Kicker-Sportmagazin).
DDR-Bürger erhalten Freikarten zu zahlreichen Sportveranstaltungen in der Bundesrepublik.
Rundfunk-Premiere: zum ersten Mal übernimmt die ARD in ihren Rundfunkprogrammen einen vierminütigen Sportbeitrag
der Ost-Reporter Oertel und Knobloch.
Mitte November 1989
Erste frei organisierte Basistagung der 15
Vorsitzenden der Fußball-Bezirksfachausschüsse und deren Geschäftsführer in
Magdeburg auf Initiative von Hans-Georg
Moldenhauer.
16.11.1989
Mastercup-Gewinnerin Martina Navratilova hat doppelten Grund zum Jubeln. Die
Öffnung der Grenzen ihres Heimatlandes
CSSR rührte sie zu Tränen.
17.11.1989
DSB und DTSB verkünden, dass sich der
Sportverkehr zwischen den beiden deutschen Staaten nun frei und unreglementiert
entfalten kann. Die Präsidenten der Dachverbände DSB Hans Hansen und DTSB
Klaus Eichler vereinbaren nach einem
Vier-Augen-Gespräch in Berlin den freien
deutschen Sportverkehr.
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Glasnost und Perestroika – „Die Öffnung der Mauer kam für den Fußball eine Woche zu früh“
Michael Barsuhn
Glasnost und Perestroika
„Die Öffnung der Mauer kam für den
Fußball eine Woche zu früh“
von Michael Barsuhn
November 1989. Als am 9. November
1989 die Mauer fiel, war die FußballNationalmannschaft der DDR mit ihren
Gedanken schon im Ausland. Denn nur
wenige Tage später, am 15. November,
sollte das alles entscheidende WMQualifikationsspiel in Wien gegen Österreich stattfinden. Nun aber drängten die
politischen Ereignisse den Sport in den
Hintergrund. An eine geregelte Vorbereitung war nicht länger zu denken. Dennoch
reiste der Tross um Trainer Eduard Geyer
besonders motiviert nach Wien. Nur bei
einem Sieg würde man den fahrenden
WM-Zug noch erreichen. Es winkte überhaupt erst die zweite WM-Teilnahme einer
DDR-Fußball-Nationalmannschaft
nach
1974. Rein sportlich waren die Voraussetzungen gut. Schließlich hatte man sich in
den letzten Partien keine Blöße gegeben.
Spätestens seit dem hart umkämpften 2:1
Erfolg gegen die Sowjetunion im Oktober
1989 glaubten die von Glasnost und Perestroika umwehten Fußballfans der DDR
wieder an ihre Mannschaft.
Dass es am Ende trotz tausender mitgereister Anhänger eine 0:3 Klatsche gab, lag
sicherlich nicht nur am gut aufgelegten
dreifachen Torschützen Toni Polster.
„Obwohl man versucht hat die Mannschaft
abzuschirmen waren da zig Medienvertreter und Berater von Bundesligaklubs,“ erinnert sich der damalige Chefredakteur des
DDR-Fußballmagazins „Neue Fußballwoche“ Jürgen Nöldner. Und fährt leicht zynisch fort: „Die Öffnung der Mauer kam
für den Fußball einfach eine Woche zu
früh.“
Vielleicht war das aber auch nur eine Ausrede. Denn der DDR-Fußball war interna-
tional nie konkurrenzfähig. Ob Argentinien
78, Spanien 82, oder Mexiko 86, nie hatte
man die WM-Qualifikation heil überstanden. Die chronische Erfolglosigkeit gepaart
mit fußballerischen Glanzlichtern der Bundesrepublik reizte die DDR-Sportführung.
So taugte der Fußball als Mittel im Klassenkampf nicht viel. Die SED-Führung
ließ das Massenspektakel im Inland zu,
konzentrierte sich im internationalen politischen Kampf aber auf die leichter kontrollierbaren olympischen Einzeldisziplinen. Durch ein besonders ausgefeiltes
Sichtungssystem, Trainingszentren und
nicht zuletzt den Einsatz so genannter unterstützender Mittel (Doping) gehörte die
verhältnismäßig kleine DDR zusammen
mit der UDSSR und den USA zum olympischen Triumvirat.
Aber auch in der Mannschaftssportart Fußball kam die „Siegerdroge“ der DDRSportführung zum Einsatz. Axel Kruse, im
Jahr 1989 Spieler beim DDR-Oberligisten
Hansa Rostock, wurde vor einem Freundschaftsspiel gegen Schalke 04 aufgefordert
drei rote Pillen zu schlucken. „Ich bin abgegangen wie Schmitz Katze“, beschrieb
Kruse die Wirkung der leistungssteigernden Substanzen. Beim Rostocker 2:1 Erfolg erzielte er beide Treffer, musste allerdings nach 70 Minuten mit Magenkrämpfen ausgewechselt werden.
Körperliche Schmerzen hatten die Nationalspieler der DDR nach der Niederlage
von Wien sicherlich nicht. Und dass die
Bundesrepublik zeitgleich durch ein glückliches 2:1 gegen Wales die Qualifikation
zur Weltmeisterschaft in Italien sicherstellte, war auch nicht mehr als die Fortsetzung
einer altbekannten deutsch-deutschen Fußballgeschichte.
Chronik November 1989
11
17.11.1989
Der 1. FC Köln verteilt für das Bundesligaspiel gegen den 1. FC Kaiserslautern
10.000 Freikarten an DDR-Bürger. Fußballzweitligist Blau-Weiß 90 Berlin gewährt DDR-Bürgern zukünftig freien Eintritt; freier Eintritt auch ins Eisstadion Berlin-Neukölln und Berlin-Wilmersdorf.
21.11.1989
Öffentliches Forum zu Fragen des Sports
in Frankfurt (Oder).
Handballnationalspielerin Katja Kittel von
SC Empor Rostock hat ihren Klub verlassen und weilt in Bremen.
22.11.1989
Innerhalb des Flug- und Fallschirmsportverbandes gründet sich der Klub der Drachenflieger.
18.11.1989
Außerordentliche Tagungen der Präsidien
des Deutschen Handball-, Volleyball- und
Judoverbandes der DDR: Forderung nach
mehr Eigenständigkeit.
Juan Antonio Samaranch: die Zeit für eine
gemeinsame Ausrichtung Olympischer
Spiele in beiden Teilen Berlins ist noch
nicht gekommen.
Schwimmolympiasiegerin Kornelia Ender
(München 1972/ Montreal 1976) verlässt
die DDR in unbekannte Richtung.
19.11.1989
Der „Tagesspiegel“ meldet: Der 76-jährige
Willi Daume ist zum 7. Mal als Präsident
des NOK für Deutschland bestätigt worden.
20.11.1989
„Die Welt“ schreibt: Kristin Otto, die
weltweit erfolgreichste Schwimmerin, tritt
im Alter von 23 Jahren zurück und wechselt in den Journalismus.
Der „Tagesspiegel“ meldet: Annäherungsprozess: Der Präsident Manfred von Richthofen initiiert ein gemeinsames Training
von Ost- und Westklubs in Berlin. Die
Volleyballerinnen des Oberligisten TSV
Rudow (West) treffen zusammen mit den
Frauen des TSC Berlin (Ost), die Boxer
vom Spandauer BC trainieren zusammen
mit den Faustkämpfern des TSC Berlin.
DDR-Handballverband tritt erstmals mit
Trikotwerbung der Ladenkette „Kaufhof“
beim Supercup der Männer in der Bundesrepublik auf.
23.11.1989
Die Straßenradsportler Schneider, Freytag
und Behrends haben den SC Cottbus in
Richtung Bundesrepublik verlassen.
Die „Märkische Volksstimme“ meldet:
Vertrag zwischen NOK der DDR und der
Sportvermarktungsagentur ISL.
24.11.1989
Berlin: bei einer gemeinsamen Pressekonferenz verkünden Manfred von Richthofen,
Präsident des Landessportbundes Berlin
und der DTSB-Bezirksvorsitzende Ostberlins, Rudi Ebmeyer, die Zusammenarbeit
bei der Organisation des Sports in beiden
Teilen der Stadt zu verstärken.
Nach der Verkündung des freien deutschen
Sportverkehrs am 17. November 1989
plant von Richthofen (LSB Berlin) rund 80
sportliche Ost-West-Begegnungen bis zum
Jahresende. Des weiteren erläutert von
Richthofen den Wegfall des Zwangsumtausches bei Wettkampffahrten in den Osten sowie erleichterte Einreisebedingungen
auch für westliche Sportjournalisten.
25.11.1989
Bonn: Bundeskanzler Helmut Kohl hat
volle Unterstützung der Bundesregierung
für den Sportverkehr zwischen beiden
deutschen Staaten zugesagt.
12
Frankfurter Rundschau 18.11.1989
Gipfeltreffen zwischen Hans Hansen (DSB) und Klaus Eichler (DTSB) in West-Berlin
Freier Sportverkehr löst die starren Kalendergespräche ab
Olympische Spiele in Berlin bleiben in der Diskussion / Gesamtdeutsche Mannschaft für beide
Seiten kein Thema
Von unserem Redaktionsmitglied Bianka Schreiber-Rietig (z. Z. West-Berlin)
Konferenzorte von Hotels sind schon
immer beliebte Orte gewesen, um
Geschichte zu schreiben – auch Sportgeschichte. Am 8. Mai 1974 war im
Ost-Berliner Hotel „Stadt Berlin“ die
erste Vereinbarung nach dem Mauerbau von 1961 zwischen dem Deutschen
Sportbund (DSB) und dem Deutschen
Turn- und Sportbund (DTSB) der DDR
zustande gekommen. 15 Jahre später
war das traditionsreiche West-Berliner
Nobelhotel Kempinski der Ort, an dem
ein neues deutsch-deutsches Sportkapitel geschrieben wurde: Ab heute gibt es
keinen diktierten deutsch-deutschen
Sportkalender mehr.
DSB-Präsident Hans Hansen und
DTSB-Präsident Klaus Eichler hatten
sich ganz schnell am runden Tisch
darauf geeinigt, daß die Kalendergespräche in der bisherigen Form nicht
mehr stattfinden werden. „Die Entwicklung ist weitergegangen und rechtfertigt den starren deutsch-deutschen
Sportkalender nun nicht mehr“, so
Hansen. Eichler, der sehr gelöst wirkte,
sagte zu dem Neubeginn: „Die jüngste
Entwicklung in der DDR zur Erneuerung der sozialistischen Gesellschaft
haben auch neue Bedingungen für
Sportkontakte ermöglicht. Die Kontakte sind ein Beitrag gutnachbarschaftlicher Beziehungen. Ich sage ausdrücklich, daß der Sport in diese Beziehungen etwas einzubringen hat.“ Die Verhandlungsergebnisse sollen nun am
11./12. Dezember in Frankfurt unterschriftsreif sein.
In Zukunft werden DTSB und DSB
nur noch koordinierend und helfend
eingreifen, Sportbegegnungen sollen
zwischen den Fachverbänden und den
Landessportverbänden selbständig organisiert und abgesprochen werden.
„Nur bei grenzüberschreitenden Veranstaltungen müssen wir dann schon
zwischen DTSB und DSB Absprachen
treffen“, so Eichler. Schriftlich wurde
das so festgehalten: „Beide Seiten
fördern die direkten und eigenverantwortlichen Absprachen zwischen den
Verbänden, den Vereinen, Sportgemeinschaften und Institutionen in ihren
Bereichen. Entsprechend den Bestimmungen und allgemeinen Gepflogenheiten des Internationalen Olympischen
Komitees und der Internationalen
Sportorganisation und, was BerlinWest betrifft, auch in Übereinstimmung
mit dem Viermächte-Abkommen vom
3. September 1971.“
Themen, die in Zukunft die Präsidenten der beiden Dachorganisationen und
Kommissionen beschäftigen werden,
sind Umwelt und Doping. Wissenschaftliche Zusammenarbeit auf allen
Ebenen wird es in Zukunft in erheblichem Maße geben. Wie intensiv die
Sportbegegnungen in Zukunft sein
werden – in diesem Jahr waren in den
Kalendergesprächen 130 vorgesehen –,
kann keiner so richtig einschätzen.
Thema zwischen Hansen und Eichler
waren auch mögliche Olympische
Spiele im Jahr 2004 in Berlin. Während
Hansen vorsichtig meinte, solche Planungen seien immer von der politischen Großwetterlage abhängig, war
Eichlers Antwort sehr diplomatisch:
„Es würde die Basis erschrecken, wenn
sich die Sportpräsidenten nicht für
Olympische Spiele einsetzen würden,
doch es ist verfrüht, konkrete Absichten zu äußern. Olympische Spiele
haben Städte und Regionen verdient, in
denen es gute politische und gesellschaftliche Verhältnisse gibt, wo es
ruhige und friedvolle Verhältnisse gibt.
Die Öffnung bringt nun auch in den
DDR-Sport viel Bewegung. Der Leistungssport wird nicht mehr die Rolle
spielen, die er bisher spielte: Unterhaltung statt ideologischem Prestigekampf
mit dem Klassenfeind ist ange-
Frankfurter Rundschau 18. November 1989
sagt. Mit der Öffnung kommen Forderungen auf den DTSB zu, so zum Beispiel, daß Leistungssportler im Westen
Geld verdienen wollen. Eichler zu
möglichen Transfers: „Ich will das für
die Zukunft nicht ausschließen. In den
nächsten Tagen habe ich eine Begegnung mit bekannten Sportlern und
Trainern unseres Landes, bei der wir
über das Thema sprechen werden.
Allerdings dürfen wir uns nicht der
Illusion hingeben, daß mit möglichen
Transfers von Sportlern die ökonomische Situation im DDR-Sport geändert
werden kann.“
Daß es keinen Exodus der DDRSportler via Westen gibt, davon ist
Eichler überzeugt: „Ich gehe davon aus,
daß unsere Sportler, die ihr Talent in
der DDR ausprägen konnten, auch
Medaillen für dieses Land gewinnen
wollen. Die Gesamtoptik des DDRSports wird sich nicht verändern.“
In diesem Zusammenhang waren
sich beide Präsidenten auch in der
Frage der Sperrbestimmungen einig.
Beide Seiten wollen ein „liberalisiertes
Vorgehen“ anstreben, wenn Sportler
wechseln. Hansen sprach da auch den
Fall des Leichtathleten Wolfgang
Schmidt an: „Auch in diesem strittigen
Fall werden wir im Hinblick auf die
Europameisterschaften 1990 eine vernünftige Regelung finden.“
Das neue deutsch-deutsche Sportgefühl Voraussetzung für eine gesamtdeutsche Mannschaft? Knappe Antwort
des DTSB-Präsidenten: „Sicher nicht.“
Und Hansen meinte: „Die Sportbeziehungen werden zu normalen Verhältnissen führen, wie wir sie mit anderen
Ländern haben, aber am Ende kann
nach meiner Auffassung keine gesamtdeutsche Mannschaft stehen. Derartige
Überlegungen halte ich für abwegig.“
Chronik November 1989
25.11.1989
Roland Matthes, mehrfacher DDROlympiasieger im Schwimmen (19681976) und 7facher Sportler des Jahres, ist
mit seiner Frau in die Bundesrepublik übergesiedelt.
Die Interessensgemeinschaft Triathlon hat
sich auf ihrer Jahreshauptversammlung
positiv über eine bevorstehende Aufnahme
eines separaten Verbandes in den DTSB
geäußert.
27.11.1989
DTSB-Präsident Hans Eichler übt im
Sportgespräch des Deutschlandfunks Kritik
an der Sportpolitik der DDR. Nach Eichler
besäße Ostdeutschland nur unzureichende
Sportstätten und mäßige Infrastrukturen.
Des weiteren kritisiert er seinen Vorgänger
Manfred Ewald, der Ende der 60-er Jahre
die Ausselektierung vieler Sportarten aus
der internationalen Förderung verantwortete.
Der Skiläufer-Verband beschloss auf einer
außerordentlichen Tagung, dass künftig
alle Disziplinen gleichberechtigt sind.
Berlin (West): Joachim Ziesche, Trainer
der DDR-Eishockeyauswahl, plädiert für
ein Länderspiel zwischen der DDR und der
Bundesrepublik.
Katarina Witt wehrt sich in einem Interview mit dem Deutschlandfunk gegen Kritik an der Privilegierung von Spitzensportlern in der DDR.
28.11.1989
Helmut Kohl verkündet Zehn-Punkte-Plan
zur Überwindung der deutschen Teilung.
Das Präsidium des DDR-Boxverbandes
bekennt sich zur gesellschaftlichen Erneuerung in der DDR und lehnt die Einführung
des Profiboxsports im gleichen Atemzug
ab.
13
Der „Tagesspiegel“ schreibt: Auf einer
außerordentlichen Tagung in Oberwiesenthal beschließt das Präsidium des Deutschen Skiläuferverbandes der DDR, alle
Disziplinen, auch den alpinen Rennsport,
gleichberechtigt finanziell zu unterstützen.
Der Verband gründet zudem einen Skipool, dem auch alpine Skisportfirmen angehören sollen.
29./30.11.1989
Kienbaum: 15. Tagung des DTSB-Bundesvorstandes in der Sportschule Kienbaum.
Medienvertreter sind nicht zugelassen.
Klaus Eichler wird als Präsident ohne eine
Gegenstimme bestätigt. Die Anzahl der
Vizepräsidenten wird von elf auf fünf reduziert. Ein Positionspapier zur Erneuerung des DTSB wird vorgelegt.
30.11.1989
Der Präsident des Westberliner Fußballverbandes (BFV), Uwe Hammer, ruft alle
Weltfußballvereine zu Freundschaftsspielen mit der DDR auf. In der letzten November-Woche waren bereits mit der BSG
Turbine, Einheit Pankow und Lichtenberg
47 drei Vereine zu Gast in West-Berlin.
14
November 1989 – Eine Collage
Chronik Dezember 1989
Dezember 1989
01.12.1989
Kritik der ADN-Sportredaktion am Medienausschluss bei der Bundesvorstandssitzung des DTSB in Kienbaum.
Die Volkskammer beschließt die Streichung der bisher in der Verfassung verankerten Führungsrolle der SED.
Erstes Treffen DFV/DFB in Franfurt a. M.
auf der Basis zweier souveräner Verbände:
Erfahrungsaustausch zwischen DFV und
DFB auf allen Ebenen. Die Fußballnationalmannschaften von der DDR und der
Bundesrepublik sollen 1990 ein Länderspiel bestreiten; Klärung über Transferbestimmungen.
Erstmals wird ein Fußballsspiel wegen
Smogalarm abgesagt (Lokomotive Leipzig
– Dynamo Dresden).
02./03.12.1989
Tagungen mehrerer Sportfachverbände der
DDR. (Schwimmsportverband, Rudersportverband, Ringerverband, Leichtathletikverband und der Basketballverband).
03.12.1989
ZK und Politbüro der SED treten endgültig
zurück.
Erstmals nehmen Motorsportler des
ADMV der DDR bei der 19. ADAC/PRSRallye des ADAC Berlin teil.
04.12.1989
Basketballer treffen sich in Westberlin:
Kontaktaufnahme zwischen DBB und
15
DBV-Vertretern. Sofortige Wiederaufnahme des Spielverkehrs auf allen Ebenen.
Schwerin: Das Präsidium des Deutschen
Tennis-Verbandes der DDR beschließt
Nachwuchs- und Leistungssportlern mehr
internationale Wettkampfmöglichkeiten zu
bieten und den Breitensport zu fördern.
Der Verband stellt den Antrag zur Aufnahme in den Europäischen Tennisverband.
Präsidiumstagung des Schwimm- und des
Ruderverbandes: Breiten- und Leistungssport sollen künftig gleichberechtigt behandelt werden, bei gleichzeitiger Behauptung der Spitzenpositionen im Weltsport.
44. Tagung des DTSB-Präsidiums legt ein
Papier vor „Für einen neuen DTSB“.
05.12.1989
Der „Tagesspiegel“ meldet: Wolfgang
Spitzner, Generalsekretär des Fußballverbandes (DFV der DDR) bestätigt in „Die
Welt“ den Verdacht auf Schiedsrichtermanipulationen im Zusammenhang mit Spielen des BFC Dynamo Berlin (1978-1988
zehn DDR-Meisterschaften in Serie).
06.12.1989
In einer Pressemitteilung erklärt Jochen
Brauer, der sportpolitische Sprecher der
Grünen im Bundestag: „ Die Forderung der
großen Koalition, Olympische Spiele in
Berlin durch zu führen, lehne ich ab!“ Titel
der PM: „Keine Olympischen Spiele im
Sinne nationaler Vereinigungswünsche.“
16
Sport frei! – Schon kurz nach dem Mauerfall gab es über 5.000 deutsch-deutsche Begegnungen
Jutta Braun
Sport frei!
Schon kurz nach dem Mauerfall gab es
über 5.000 deutsch-deutsche Begegnungen
von Jutta Braun
Dezember 1989. Der Mauerfall war auch für
den Sport in Ost und West ein zentrales Ereignis. „Wir haben jetzt sportliche Zustände
wie vor 1961: Unkompliziert, direkt, begleitet von viel gutem Willen“ freute sich Manfred von Richthofen, damals Präsident des
Landessportbundes von West-Berlin. Tatsächlich hatte die Öffnung der Grenzen auch
für die Athleten ungeahnte Bewegungsfreiheit gebracht. Am 17. November erfolgte die
historische Entscheidung der Sportführungen
von Bundesrepublik und DDR, den innerdeutschen Sportverkehr „freizugeben“. Die
Sportler konnten nun erstmals seit 28 Jahren
ihre Treffen wieder völlig selbstbestimmt,
ohne bürokratischen Vorlauf und vor allem
zahlenmäßige Limitierung festlegen. Insbesondere die Berliner ließen sich dies nicht
zweimal sagen. Schon wenige Tage nach
Maueröffnung wurde von Wedding bis Köpenick wieder gesamtdeutsch Handball,
Fußball und Schach gespielt. Überall in
Deutschland regten sich die Anzeichen eines
Frühlings im innerdeutschen Sporttreiben:
Noch im Jahr 1989 kam es zu Hunderten
Treffen, im Frühjahr des nächsten Jahres
stieg die Zahl „explosionsartig“ auf 5.000
Begegnungen. Zu einem Volksfest geriet
wenige Wochen nach dem Mauerfall bereits
der Gesamt-Berliner Neujahrslauf. 30.000
Läufer fanden sich zu diesem historischen
Frühsport nach einer langen Silvesternacht
ein. In den Jahren zuvor durften Sportler aus
der DDR sich hier nicht einreihen, inoffiziell
Teilnehmende mussten mit Repressalien
rechnen. Wie weit die Angst ging, zeigt das
Beispiel eines ostdeutschen Läufers, der in
den Jahren vor der Wende zunächst unter
dem Namen seiner Katze, dann unter dem
seines Heimatdorfes startete. Erst im Rentenalter wagte er es, unter seinem richtigen
Namen anzutreten. Derartige Schwierigkeiten waren jedoch am euphorischen Januarmorgen 1990 vergessen.
Vielerorts in Deutschland konnten traditionelle Veranstaltungen, die aufgrund der
Grenzziehung für Jahrzehnte zwangspausiert
hatten, endlich wieder aufleben. So startete
am 8. September 1990 erstmals wieder der
legendäre Harzer Brockenlauf, der 1927 ins
Leben gerufen und dann 1960 zum 20. und
vorerst letzten Mal durchgeführt worden
war. NOK-Generalsekretär Walther Tröger,
dreimaliger Gewinner des Brockenlaufes von
1954 bis 1956, gab „freudig und sichtbar
bewegt“ das Startkommando für die mehr als
450 Teilnehmer aus Ost und West, unter
ihnen mit der Startnummer 1 der Sieger des
letzten Brockenlaufs 1960.
Emotionaler und symbolischer Höhepunkt
war jedoch der 17. Berlin Marathon am 30.
September. Nur drei Tage vor der deutschen
Vereinigung fielen für nahezu 25 Tausend
Läuferinnen und Läufer aus 61 Nationen alle
trennenden Schranken. Begleitet von einem
Medienrummel ohnegleichen vollzogen jubelnde Marathon-Läufer aus allen Kontinenten die Verschmelzung der bislang geteilten
Stadt. Fast eine Million Zuschauer feierten
das Ereignis. Die beiden Stadtoberhäupter
Walter Momper und Tino Schwierzina ließen mit dem Startschuss am Charlottenburger Tor Wirklichkeit werden, was noch vor
einem Jahr nur eine schöne Wunschvorstellung war. Ein ostdeutscher Redakteur der
Fachzeitschrift „Leichtathlet“ war bei den 42
km dabei und hielt seine Gefühle in „Notizen
aus dem Mittelfeld“ fest: „Darauf haben wir,
die Läufergemeinde der DDR lange, lange
Jahre gewartet: Ein Start beim BerlinMarathon! Ich kann mich gut erinnern, wie
uns zumute war, als wir zu gleicher Stunde
vor Jahren unseren kleinen Wettkampf im
Ostberliner Plänterwald hatten und wie wir
mit dem Herzen bei den Zehntausenden waren, die im damals unerreichbaren Westberlin vor einer Riesenkulisse beim Marathon
starten durften. Selten habe ich mich so eingemauert gefühlt wie in diesem Moment.“
Die Vereinigung vollzog sich auch bei der
Siegerehrung: Mit der inzwischen in Steglitz
wohnenden Uta Pippig gewann in der neuen
Streckenrekordzeit eine Läuferin aus Potsdam.
Chronik Dezember 1989
07.12.1989
In Berlin tritt erstmals der Zentrale Runde
Tisch zusammen.
Rücktritt des Staatsratvorsitzenden Egon
Krenz.
Leipzig: Das „Neue Forum“ übergibt dem
ADN ein Positionspapier „Zur Ethik und
Moral des Sports“.
Der Deutsche Eislaufverband der DDR hat
zugestimmt, dass der ehemalige Kapitän
der Eishockey-Nationalmannschaft Dieter
Frenzel bis Mitte April 1990 eine Gastspielgenehmigung für den EC Ratingen
erhält.
08.12.1989
Volkskammer berät Wahlgesetz.
Im „Neuen Deutschland“ erwähnt Manfred
Ewald
den
Freitod
des
DTSBVizepräsidenten Franz Rydz. In seinen
Schubladen wurden 300.000 West-Mark
gefunden, was Vorwürfe gegen das Finanzgebaren des DTSB auslöste.
09.12.1989
Cottbus: 22. Tagung des DTSBBezirksvorstandes. Bezirksvorstand Cottbus fordert Rücktritt des DTSB Präsidenten.
17
12.12.1989
DTSB Präsident Eichler tritt nach massiven Protesten aus dem ganzen Land zurück. Ein Arbeits-Ausschuss und ein Arbeitssekretariat übernehmen die Geschäfte.
Im Bundesvorstand des DTSB soll die
Zahl der Stellen von 678 auf 438 gekürzt
werden.
13.12.1989
Berlin: Pressekonferenz des neu gewählten
Vorsitzenden des Arbeitsausschusses des
DTSB Professor Dr. Hans-Georg Herrmann.
Paris: Protokoll über den Ausbau der
Sportbeziehungen zwischen Frankreich
und der DDR wird unterzeichnet.
15.12.1989
Der Torwart der DDR-Handballauswahl
Wieland Schmidt wechselt zum VfL Hameln.
16.12.1989
Pressekonferenz Berlin: Andreas Thom
(BFC Dynamo Berlin) unterschreibt als
erster DDR-Fußballer nach dem Mauerfall
einen Profivertrag beim westdeutschen
Spitzenklub Bayer Leverkusen. Spielberechtigung ab 1. Januar 1990.
11.12.1989
Samaranch begrüßt Olympiapläne Berlins.
Die CDU der DDR formiert sich neu, die
Partei Demokratischer Aufbruch orientiert
sich konservativ, die SED gibt sich den
neuen Namen SED-PDS.
Vertreter des SC Charlottenburg trafen sich
in Cottbus mit dem SC Cottbus zu Gesprächen über eine zukünftige Zusammenarbeit
beider Klubs.
Der Handball-Oberligist Dynamo HalleNeustadt (DDR) muss Konkurs anmelden,
da er vom Ministerium für Staatssicherheit
nicht länger gefördert wird.
Berlin: Diskussion des Ministerpräsidenten
Hans Modrow mit Sportlern, Trainern,
Funktionären sowie Wissenschaftlern und
Sportmedizinern über den Ausbau des
Breitensports sowie die Unterstützung der
Entwicklung aller Talente.
Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“
meldet: Nachdem sich der DTSB für Olympische Spiele in beiden Teilen Berlins
ausgesprochen hat, strebt Willi Daume
offizielle Gespräche mit dem NOK der
DDR an, möglichst im Januar 1990.
18
Frankfurter Allgemeine Zeitung 11.12.1989
Rücktritt der DTSB-Führung samt Eichler gefordert
Berlin (dpa/sid). Der Ost-Berliner
Bezirksvorstand des Deutschen
Turn- und Sportbundes (DTSB) der
DDR hat am Samstag den Rücktritt
des DTSB-Präsidiums mit Klaus
Eichler an der Spitze verlangt und
die Einberufung eines SonderTurn-und-Sporttages bis spätestens
Mitte Februar gefordert. Eichler
war erst kürzlich als DTSBPräsident wiedergewählt worden.
Seine Amtszeit ist befristet bis zum
nächsten Turn- und Sporttag, der
für den 22.-24. Juni 1990 einberufen worden ist. Hintergrund der
Angriffe ist ein Zwist zwischen
Eichler und seinem Vorgänger,
NOK-Präsident Manfred Ewald,
der laut Eichler in finanzielle Machenschaften verstrickt gewesen
sei. Der so Beschuldigte wehrt sich
in einem Papier, nach dem Eichler
doch über das Prämiensystem für
Leistungssportler unterrichtet worden sei. Darin heißt es: „Er (Eichler, Anmerkung der Redaktion)
nahm die betreffenden Unterlagen
entgegen und äußerte keinerlei
Vorbehalte.“
Bereits am Freitag hatten 192
Sportler des Armeesportklubs Vorwärts Potsdam sowie des SC Dynamo Potsdam Eichlers Rücktritt
gefordert. Als Sprecher der Gruppe
erklärte Volker Schmidt, der Olympiazweite im Kanu, die DTSBLeitung führe zur Zeit keine offene
Aussprache. „Wir sprechen uns
gegen das Verhalten von Eichler
aus, der von den Prämierungen im
Leistungssport nichts gewußt haben will“, sagte Schmidt. „Der
DTSB fällt im Augenblick nur
dadurch auf, daß sich Funktionäre
für die Sünden der Vergangenheit
gegenseitig die Schuld zuweisen.“
Bei der kontrovers geführten Diskussion im Berliner DTSBBezirksvorstand ging es vor allem
um die künftige Nutzung der zentralen Sportstätten Ost-Berlins.
Darüber solle an einem Runden
Tisch entschieden werden. Zu klären sei auch, wie zweckentfremdete
Sportstätten dem Sport wieder zur
Verfügung gestellt und instand
gesetzt werden könnten.
Der zur gleichen Zeit tagende
DTSB-Bezirksvorstand
Dresden
wies darauf hin, daß Kombinate,
Betriebe und Einrichtungen künftig
kaum noch Mittel für den Sport zur
Verfügung stellen wollen. Wegen
einer „Vernachlässigung der materiellen Basis“ in der Vergangenheit
stünden zur Zeit 220 Sportstätten in
Dresden oder sieben Prozent aller
vorhandenen Anlagen nicht zur
Verfügung. Sie seien verfallen oder
seien zweckentfremdet genutzt
worden.
In einem Interview mit der SEDParteizeitung „Neues Deutschland“
stellte der Berliner Klubvorsitzende
des DDR-Leistungszentrums Sportvereinigung Dynamo Berlin, KarlHeinz Büttner, fest: „Sicher ist, daß
der Leistungssport über einen langen Zeitraum mißbraucht wurde,
um mit ihm eine heile Welt, einen
heilen Sozialismus vorzugaukeln.“
In dem Interview, in dem sich außerdem Harry Tesch als neuer
Leiter des Büros der zentralen
Leitung äußert, machen beide Gesprächspartner deutlich, daß die
Klubeinrichtungen künftig einem
Frankfurter Allgemeine Zeitung 11. Dezember 1989
weit größeren Kreis als bisher zur
Benutzung offenstehen. So wird
angekündigt, daß das öffentliche
Eislaufen „schon zu den Feiertagen
verstärkt“ werde. Für Eislaufen und
für Schwimmen würden Lehrgänge
für Anfänger eingerichtet, die von
namhaften Sportlern und Trainern
betreut werden sollen.
Der Sportvereinigung Dynamo
Berlin gehören 280 000 Mitglieder,
davon 110 000 Kinder und Jugendliche, im gesamten Gebiet der DDR
an. Bisherige Trägerorgane waren
das frühere Ministerium des Inneren und für Staatssicherheit sowie
die Zollverwaltung. Mit der jetzigen Selbstverwaltung hätten sich
die materielle, personelle und finanzielle Unterstützung geändert,
und es gelte „wie überall, den
hauptamtlichen Apparat zu reduzieren“. Offensichtlich soll ein Großteil der Trainer entlassen werden.
Anscheinend ist es jetzt auch zu
Differenzen zwischen der Klubführung und dem DTSB gekommen.
Der Sportbund hat Konzeptionen
entwickelt, wonach die freiwerdenden Kader der zentralen Leitung an
der Basis des Sports arbeiten sollen.
Nach Auffassung der SV Dynamo
Berlin sollten freiwerdende Mitarbeiter vielmehr im allgemeinen
Dienstleistungsbereich, in der Produktion oder der Volksbildung,
„also dort, wo sie am dringendsten
gebraucht werden“, eingesetzt werden. Im DDR-Sport werden sogar
Forderungen laut, die SV Dynamo
völlig aufzulösen und die Leistungssportler anderen Klubs zuzuordnen.
Chronik Dezember 1989
19
16./17.12.1989
Potsdam:
Außerordentliche
DTSBBezirksvorstandssitzung. Das Bezirkssekretariat tritt zurück. Bis April Neuwahlen
und die Diskussion um ein zukunftsträchtiges Positionspapier.
Sportagentur GmbH will 1990 in der DDR
ihre Tätigkeit aufnehmen.
19.12.1989
Leipzig: Erstmals „offene Türen“ gab es
für DDR-Journalisten im Forschungsinstitut für Körperkultur und Sport.
22.12.1989
Öffnung des Brandenburger Tores.
Frankfurt (Oder): Zweites Frankfurter
Sportforum. Diskussion um den Sport im
Bezirk.
20.12.1989
Wahl zur Sportlerin/ zum Sportler des Jahres der DDR: Bei den Männern siegt Andreas Wecker (Turnen), bei den Frauen
Kristin Otto (Schwimmen). Die Mannschaftswertung geht an den Straßenvierer
unter Uwe Ampler. Die Jubelfeier verlief
aufgrund anhaltender Diskussionen um
Doping im DDR-Hochleistungssport im
kleinen Rahmen.
Berlin: Tagung des DTSB-Arbeitsausschusses. Klärung von Grundfragen der
Entwicklung des Sports in der DDR und
Neubestimmung des Platzes und der Funktion des DTSB.
21.12.1989
Rotterdam: Uwe Ampler (Olympiasieger
im Straßenvierer 1988 in Seoul) und Uwe
Raab (Weltmeister im Radrennen 1983)
haben Profiverträge beim holländischen
Rennstall von Jan Gisbers (PDM) ab Ende
1990 unterschrieben.
Berlin: Der Deutsche Radsportverband der
DDR und der Bund Deutscher Radfahrer
der Bundesrepublik vereinbaren eine engere Zusammenarbeit.
Der Amateurweltmeister im Boxen (1989),
Henry Maske, hat sich in einem Interview
der „Jungen Welt“ für den Profisport ausgesprochen. Er möchte aber weiter DDRBürger bleiben.
Katarina Witt gegenüber der „Deutschen
Presse Agentur: „Ich fühle mich auch total
missbraucht.“
Katarina Witt schließt in einem Fernsehinterview den Weggang aus der DDR nicht
aus. Sie liebe zwar ihr Land, so Witt, doch
fühle sie sich von der abgetretenen SEDFührung „missbraucht“. Gleichzeitig bedauere sie, millionenschwere Werbeverträge aus sozialistischen Gründen nicht angenommen zu haben.
23.12.1989
Handball-Nationalspieler Maik Handschke
vom ASK Vorwärts Frankfurt Oder siedelt
in die Bundesrepublik über.
27.12.1989
Bremen: Kristin Otto wird im Januar 1990
während eines Lehrgangs der D-Kader der
Bundesrepublik praktischen Unterricht am
Beckenrand erteilen.
28.12.1989
Die Eislaufverbände beider deutscher Staaten vereinbaren eine engere Zusammenarbeit.
Der Dynamo-Sport- und Freizeitkomplex
in Berlin ist ab sofort für die Bevölkerung
zugänglich.
Die „Bild-Zeitung“ titelt: „140 Medaillen!
Vereint sind wir die Nummer 1 der Sportwelt.“
20
Dezember 1989 – Eine Collage
Chronik Januar 1990
21
Januar 1990
zenamt. Rudi Hellmann, ehemals Leiter
der Sportabteilung im ZK der SED, tritt als
Vizepräsident und Mitglied zurück. Dr.
Günther Heinze, Vizepräsident und Mitglied des IOC, wird als Präsident gewählt,
Dr. Georg Zorowka wird Vizepräsident.
Heinz Beier und Dr. Günter Kohl werden
als Mitglieder des Präsidiums gewählt.
01.01.1990
Berlin: Neujahrsläufe
Berlin.
durch
Gesamt-
03.01.1990
Berlin:
Tagung
des
DTSBArbeitsausschusses. Der Dachverband fordert materielle und finanzielle Absicherung.
Die Fachzeitschrift „Neue Fußballwoche“
ist nicht länger Sprachrohr des Fußballverbandes (DFV der DDR). Der Sportverlag
Berlin übernimmt als alleiniger Herausgeber die Verantwortung. Die Redaktion
blieb in ihrer Zusammensetzung aber zunächst die alte, ebenso der Tonfall der Berichterstattung.
04.01.1990
Der DDR-Faustballverband nimmt an den
Weltmeisterschaften in Österreich teil.
05.01.1990
Ein Runder Tisch des DDR-Sports nimmt
die Arbeit auf und sucht nach neuen Wegen und Auswegen (Abschluss der Beratungen im März 1990); in einer Resolution
wird die Volkskammer der DDR erfolgreich aufgefordert, ein Jugend- und Sportministerium einzurichten.
Berlin (West): Hallenfußballturnier mit
dem 1. FC Magdeburg.
Erste Gespräche zwischen dem Deutschen
Schwimmverband (DSV) und dem Deutschen Schwimmverband der DDR (DSSV)
auf Initiative des DSV. Gemeinsame Lehrgänge und Trainingslager werden vereinbart.
06.01.1990
Berlin: Mitgliederversammlung des NOK
der DDR. Manfred Ewald tritt als Präsident
und Mitglied des NOK der DDR zurück.
Der einst mächtigste Mann des DDRSports verliert damit auch sein letztes Spit-
Berlin: erweiterte Präsidiumstagung des
Eislaufverbandes der DDR. Volkssportmannschaften im Eishockey sollen künftig
ebenso wie die Eisstockschützen und die
Anhänger des Shorttrack-Eisschnelllaufs
mehr Möglichkeiten zur Ausübung ihres
Sports erhalten.
07.01.1990
Berlin: Erstmals spielt ein DDRVolleyballer, René Hecht, mit offizieller
Genehmigung des Deutschen Volleyballverbandes (DVV) im Ausland.
10.01.1990
Cottbus: Die Vorsitzenden der Fußballklubs und Sektionsleiter der Fußballoberligamannschaften diskutieren eine grundsätzliche Erneuerung des Fußballsports in
der DDR und fordern die Loslösung vom
DTSB.
Die DDR-Volleyballnationalmannschaft
der Frauen schließt Sponsorenvertrag mit
der „Wella AG“.
Beratungen in München: Der Deutsche
Eishockey-Bund (DEB) und der Deutsche
Eislaufverband der DDR (DELV) streben
im Eishockey eine engere Zusammenarbeit
an.
11.01.1990
Zweites Gipfeltreffen DFV/DFB nach dem
Mauerfall. Einigung der Fußballverbände
über die Bestimmungen bei künftigen
Spielerwechseln. Terminierung eines Länderspielvergleichs DDR gegen Bundesrepublik für den 29.08.1990 in Leipzig.
22
Tod einer Massenorganisation (I) – Der DTSB war in der Wendezeit nur scheinbar reformwillig
Michael Barsuhn
Tod einer Massenorganisation (I)
Der DTSB war in der Wendezeit nur
scheinbar reformwillig
von Michael Barsuhn
Januar 1990. Nach Außen reformwillig
nach Innen verkrustet. So präsentierte sich
die Massenorganisation des DDR-Sports,
der Deutsche Turn- und Sportbund der
DDR (DTSB), in den ersten Wendemonaten. Tagungen, Pressekonferenzen, außerordentliche Sitzungen reihten sich aneinander – der DTSB verfiel in regen Aktionismus. Am 14. November 1989 philosophierte Präsident Klaus Eichler, der 1988
die Nachfolge von Manfred Ewald angetreten hatte, über „die Erneuerung des DTSB
im Prozess der Wende.“ Dass es sich dabei
aber lediglich um Luftblasen handelte,
zeigte sich knapp zwei Wochen später auf
der 15. Tagung des DTSB-Bundesvorstandes in der Sportschule Kienbaum.
Öffentlichkeit und Medienvertreter wurden
ausgesperrt. Immerhin konnten 15 Vertreter der Sportfachverbände in die heiligen
Hallen der Dachorganisation des DDRSports vordringen. Darunter Kegler,
Basketballer und Tischtennisspieler, die
seit 1969 in der Kategorie Sport 2 gegenüber dem olympischen Sport massiv benachteiligt worden waren. Nun wollten sie
ihrem angestauten Unmut mit Plakaten
Luft verschaffen: “Wir fordern die DTSBFührung zum Dialog mit unseren Sportverbänden auf,“ war dort zu lesen. Oder
„Das Gesicht des Sports dem Volk und den
Realitäten zugewandt.“
Der DTSB sah sich mit ungewohnt scharfer Kritik konfrontiert und reagierte nach
altbewährtem Muster. Was nicht ins Bild
passt, wird unterdrückt. Die Plakate wurden entfernt: „Der Direktor dieser Sportschule hat mit der Begründung, dass wir
mit dem Aufkleben die Möbelpolitur beschädigt haben, die Plakate demonstrativ
vor meinen Augen zerrissen“, erklärte ein
Vertreter der 15 Sportverbände vor laufenden Fernsehkameras. „Ich empfinde dies in
einer heutigen Zeit als empörend.“
Klaus Eichler präsentierte sich derweil im
Blitzlichtgewitter der internationalen Presse. Von seinen Kollegen war er einstimmig
im Amt bestätigt worden. Mit nunmehr
fünf statt zehn Vizepräsidenten an seiner
Seite, die allerdings allesamt SEDMitglieder waren, verkündete er stolz die
Reformbereitschaft des DTSB. Als Zeichen des Erneuerungswillens versprach er
die Gründung eines Triathlon- und eines
Studentensportverbandes in der DDR.
Am 12. Dezember 1989 wurde am Rande
einer außerordentlichen Sitzung des
DTSB-Bundesvorstandes klar, dass sich
auch die Vertreter des Leistungssports
nicht mehr durch Eichler repräsentiert fühlten: „Es ist ja bekannt, dass beispielsweise
die Sportklubvorsitzenden und die Generalsekretäre der Verbände ausgegrenzt
wurden. Trotz vorliegender schriftlicher
Einladung zur 15. Tagung wurden wir 24
Stunden vorher ausgeladen und insofern ist
das natürlich sehr bedauerlich, dass solche
Entscheidungen gefällt wurden ohne den
wirklich breiten Kreis der kompetenten
Leute dort mit ein zu beziehen.“ Mit dem
Rücktritt von Egon Krenz hatte Eichler
seinen politischen Rückhalt verloren. Unter
dem doppelten Sperrfeuer der benachteiligten Verbände von Sport 2 und des verunsicherten Leistungssports verkündete er am
Abend: „Es ist so, liebe Sportfreunde, dass
das Sekretariat durch die Gesamtheit der
bestehenden Probleme stark belastet ist. Es
hat die Situation geprüft und ist zu dem
Schluss gekommen, zurück zu treten.“ Die
ehemalige Führungsspitze des DTSB wurde schließlich am 27. Januar 1990 aus dem
Bundesvorstand entfernt. Dieser bestand
jedoch weiterhin zu 93 Prozent aus SEDMitgliedern.
Chronik Januar 1990
11.01.1990
Freundschaftliche Gespräche zwischen
DTSB und DSB. Trotz bislang ausgebliebener Demokratisierung des DTSB soll die
Zusammenarbeit zwischen den Dachverbänden des deutschen Sports beträchtlich
erweitert werden. Geplant sind u. a. gemeinsame Kommissionen.
Die ersten vier der DDR-Tennis-Rangliste
der Männer haben sich der TG Bochum 49
angeschlossen.
13.01.1990
Berlin: Gründung eines Deutschen Kraftsportund
Bodybuilding-Verbandes
(DKBV der DDR).
Berlin: Der Deutsche Anglerverband
(DAV) der DDR und der Verband Deutscher Sportfischer der Bundesrepublik vereinbaren eine engere Zusammenarbeit.
14.01.1990
Frankfurt (Oder): Henry Maske will Profiboxer werden. Erste Verhandlungen mit
dem Hamburger Manager und Promoter
Klaus-Peter Kohl.
15.01.1990
Erstürmung der Zentrale der Staatssicherheit in Berlin. Sicherung der Aktenbestände.
Die Zeitschrift „Start“, Organ des Bundesvorstands des DTSB, hat nach der Herausgabe des Januarheftes 1990 ihr Erscheinen
eingestellt.
16.01.1990
Manfred von Brauchitsch hat seinen Rücktritt als Präsident der Gesellschaft zur Förderung des Olympischen Gedankens in der
DDR erklärt.
dpa meldet, dass sich der VfB Stuttgart mit
Matthias Sammer (Dynamo Dresden) über
einen Wechsel geeinigt hat.
Der Präsident des Fußballverbandes (DFV
der DDR), Günter Erbach, hat den früheren
23
Dresdener Spielern Matthias Müller und
Peter Kotte in einem Gespräch Rehabilitierung zugesagt.
In einem offenen Brief von den Geschäftsführern aller Fußball-Bezirksfachausschüsse, wird die Besorgnis geäußert, dass
der Fußball erneut Opfer des Dirigismus
des DTSB wird.
17.01.1990
Presseerklärung des „Neuen Forums“
Leipzig: Sport sei als Bestandteil des kulturellen Lebens zu erhalten. Der drastische
Personalabbau gefährde die Existenz des
Sportes.
Karl-Marx-Städter DTSB wendet sich gegen den geplanten Planstellenabbau in seinem Bereich.
Beratung des Arbeitsausschusses des
DTSB-Bundesvorstandes. Im Mittepunkt
steht die finanzielle Sicherung des Sportreibens.
Pressekonferenz in Nürnberg: westdeutsche Firma rüstet künftig alle DDRStraßennationalmannschaften im Radsport
mit Rennmaschinen und Materialien aus.
18.01.1990
Halle: Sportlerdemonstration in der DDR
auf dem Halleschen Obermarkt.
Werbevertrag zwischen dem Schlitten- und
Bobsportverband der DDR und der
Münchner Brauerei „Spatenbräu“ unterzeichnet.
19.01.1990
Berlin: Der Generalsekretär des DDRLeichathletikverbandes, Dr. Heinz Kadow,
und der Geschäftsführer der UFA Filmund Fernseh GmbH, Bernd Schiphorst,
unterzeichnen einen Vertrag über die internationalen Fernseh- und Werberechte für
den Olympischen Tag der Leichtathleten in
Berlin.
24
Frankfurter Allgemeine Zeitung 08.01.1990
Günther Heinze auf einer Sondersitzung zum neuen Präsidenten bestimmt
Ewald weicht dem Druck und tritt zurück
Das NOK der DDR ist für Olympia in Berlin
OST-BERLIN (sid/dpa). Eine
Bewerbung um Olympische Sommerspiele in beiden Teilen Berlins
zeichnet sich immer deutlicher ab.
Auch das Nationale Olympische
Komitee (NOK) der DDR hat nun
die Idee, Olympische Spiele in
Gesamt Berlin im Jahr 2000 oder
2004 auszutragen, begrüßt. „Wir
unterstützen die Initiativen des
Oberbürgermeister Erhard Krack
und des Regierenden Bürgermeisters Walter Momper“, erklärte der
auf der NOK-Mitgliederversammlung am Samstag in Ost-Berlin
einstimmig berufene ÜbergangsPräsident Günter Heinze.
Heinze, der auch Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) ist, erklärte seine Bereitschaft, mit dem Präsidenten des
NOK für Deutschland, Willi Daume, ein Gespräch über weitere
Initiativen zur Vorbereitung der
Kandidatur zu führen. „Es ist zwar
eine Angelegenheit der beiden
Berliner Städte“, sagte der 66 Jahre
alte Präsident, „aber es gibt viel zu
besprechen.“ Gefordert hatte die
Mitgliederversammlung in der
Sportschule an der Regattastrecke
am Langen See auch eine bessere
Zusammenarbeit mit dem bundesdeutschen NOK. „Wir sind im
Sinne einer Vertragsgemeinschaft
offen“, lautete die Offerte, die
Heinze
seinem
Amtskollegen
Daume machte. Dieser wertete die
Aussage als „klares Verhandlungsangebot, das wir annehmen“. Heinze schloß jedoch eine Rückkehr zu
einer gesamtdeutschen Mannschaft
aus. „Es gibt zwei souveräne deutsche NOK und daher keine Voraussetzungen für die Bildung gemeinsamer Mannschaften“, sagte
der Staatswissenschaftler und Diplom-Sportlehrer.
Viel Zündstoff hatte es schon vor
der Sitzung gegeben. Die Präsidiumsmitglieder wollten mit aller
Macht den seit 1973 amtierenden
Präsidenten Manfred Ewald in
Pension schicken. Hinter verschlossenen Türen wurde Ewald
wegen seines unbeirrbaren Kurses
angegriffen. Der Sportfunktionär
trat dann auf der Mitgliederversammlung als Präsident zurück und
erklärte zugleich, er werde nicht
mehr länger Mitglied des NOK
sein. „Rücktritte geschehen auch
aus Einsichten“, erklärte NOKPressesprecher Volker Kluge salomonisch. Heinze wurde deutlicher:
„Ewald hat eine Reihe von Fehlern
gemacht, die er als Leiter des Kollektivs des NOK mitzutragen hat.“
Auch der bisherige Vizepräsident
Rudi Hellmann, lange Zeit Leiter
der Abteilung Sport beim Zentralkomitee der SED, wurde vom Vorsitzenden des DDR-Schwimmverbandes, Georg Zorowka, abgelöst.
Auf der NOK-Mitgliederver-
Frankfurter Allgemeine Zeitung 8. Januar 1990
sammlung im Juni soll ein neues
Präsidium gewählt werden. Gesucht
wird für das Präsidenten-Amt ein
verdienter Sportler, der vor allem
politisch unbelastet sein muß.
Heinze hat nicht die Absicht, sich
abermals zur Wahl zu stellen. Bei
der nächsten Sitzung werden sicher
ganz andere Mitglieder das Wort
erheben können. Denn im März bei
den Wahlen in den 26 DDR-Sportverbänden, bei denen auch die 26
ordentlichen NOK-Mitglieder zu
bestimmen sind, wird erstmals auch
der Demokratisierungsprozeß im
DDR-Sport greifen.
Mit dem Rücktritt von Ewald, der
bereits vor 13 Monaten als Präsident des Deutschen Turn- und
Sportbundes (DTSB) abgelöst wurde, endet eine Ära des DDR-Sports,
in der es bei Olympischen Spielen
und Weltmeisterschaften eine Medaillenflut gegeben hatte. Ewald
hatte den Leistungssport an harten
Zügeln geführt und mit stalinistischen Methoden konsequent auf
Erfolgskurs getrimmt. Schon vor
der politischen Wende wurde ihm
angekreidet, daß er demokratische
Entscheidungsprozesse unterbinde,
den Leistungssport von der Bevölkerung abschotte und als Geheimsache führe sowie ein Umdenken
hin zu modernen Vermarktungsmöglichkeiten strikt ablehne.
Chronik Januar 1990
19.01.1990
Paris: Erstmalig beteiligt sich der FechtNachwuchs der DDR an einem Europapokalturnier im Degenfechten.
Leipzig: Bürger richten aus Sorge um die
Entwicklung des Sports in der DDR einen
offenen Brief an Ministerpräsident Hans
Modrow und den Runden Tisch.
20.01.1990
Berlin: DDR-Boxsportverband gegen Profiboxen.
23.01.1990
Die „Neue Fußballwoche“ meldet: „Beim
BFV (Berliner Fußballverband/West) haben sich bisher 250 Spieler aller Altersklassen aus der DDR angemeldet.“ Allein
das Zweitligateam von Motor Ludwigsfelde beklagte im Februar den Verlust von 13
Spielern.
Berlin: Gründung des ersten Klubs der
Ballonfahrer, „mecklenburgisch-brandenburgische Ballonfahrerklub“ der DDR (16
Mitglieder) innerhalb des Flug- und Fallschirmsportverbandes der DDR.
26.01.1990
Klaus Schenkel, Auswahltrainer der DDRFechter, und Klaus Kotzmann, Cheftrainer
beim ASK Vorwärts Potsdam haben die
DDR Richtung FC Tauberbischofsheim
verlassen.
Presseerklärung des Amtes für Jugend und
Sport der DDR. Die Mittel für den Sport
sollen erhalten bleiben.
27.01.1990
Kienbaum: 17. Tagung des DTSB-Bundesvorstandes. Ausschluss der ehemaligen
Führungsspitze des DDR-Sports, der Präsidenten Manfred Ewald und Klaus Eichler
aus dem Bundesvorstand. Ausschluss des
ehemaligen Staatssekretärs für Körperkultur und Sport, Prof. Dr. Günter Erbach, des
früheren Leiters der Abteilung Sport des
ZK der SED, Rudi Hellmann, und des e-
25
hemaligen DTSB-Vizepräsidenten Volker
Ränke.
Leipzig: Die Zusammenarbeit zwischen
der Deutschen Hochschule für Körperkultur und Sport (DHFK) in Leipzig und der
Sporthochschule Köln wird intensiviert.
Malmö: Nach 24jähriger Pause stehen sich
die Ringer-Nationalmannschaften Schwedens und der DDR wieder in einem Länderkampf gegenüber.
Hertha BSC vs. 1. FC Union Berlin: Erstes
Aufeinandertreffen (unter freiem Himmel)
der beiden Berliner Traditionsvereine nach
28 Jahren im Berliner Olympiastadion vor
52.000 Zuschauern. Hertha siegt mit 2:1.
27./28.01.1990
Der Zentralvorstand der GST ist auf seiner
außerordentlichen Tagung zurückgetreten.
28.01.1990
Pressekonferenz zu den Ergebnissen der
17. Tagung des DTSB-Bundesvorstandes.
Aufruf durch Jochen Grünwald, Vorsitzender des Arbeitssekretariats, zu einer verstärkten Mitarbeit und einer breiten Diskussion bei der Erneuerung des DDRSports.
29.01.1990
Berlin (West): Informelles Gespräch zwischen den Präsidenten der beiden deutschen Nationalen Olympischen Komitees
Günter Heinze und Willi Daume.
31.01.1990
Berlin: Zweiter Runder Tisch.
Im Mittelpunkt steht die Sorge um den
Bestand und die Zukunft des DDR-Sports
auf allen Ebenen.
Berlin: Gründung eines Bürgerforums „Olympische Spiele 2000 in Berlin“.
Berlin (Ost): Arbeitsgruppe Sport der SPD
gebildet. Leiter wird Alfred Grzondziel.
26
Januar 1990 – Eine Collage
Chronik Februar 1990
27
Februar 1990
01.02.1990
Gemeinsamer Aufruf des „Neuen Forums“
und des Amtes für Jugend und Sport, um
die Zukunft des Sports zu sichern.
Übertragung der Fußball-Weltmeisterschaft 1990: Die ARD hat dem Fernsehen
und Rundfunk der DDR eine Zusammenarbeit angeboten.
Erfurt: Gründung eines sämtliche Bezirke
umspannenden DDR-Verbandes der Trainer und Sportlehrer.
02.02.1990
Zwickau: Neugründung von Vereinen:
Gründung des Fußballklubs FSV Zwickau.
Aufruf durch André Brunzlow zur Sportlerdemonstration in der „Märkischen
Volksstimme“.
Stockholm: Der Fußballverband (DFV der
DDR) unterschreibt einen Vier-JahresVertrag über Bandenwerbung und weltweite Vermarktung der Fernsehrechte mit der
Schweizer Agentur CWL.
03.02.1990
Potsdam/Berlin: Sportlerdemonstrationen
organisiert vom DTSB.
Der Arbeitsausschuss des Deutschen Boxverbandes (DBV der DDR) erteilt eine
generelle Gaststartgenehmigung für alle
DDR-Boxer aus den Klubs und Betriebssportgemeinschaften (BSG) in Vereinen
der Bundesrepublik.
Cottbus: Energie Cottbus unterzeichnet
Kontrakt mit der Schweizer Agentur CWL.
04.02.1990
Stockholm: Die DDR und die Bundesrepublik werden gemeinsam mit Wales, Belgien und Luxemburg in eine Qualifikationsgruppe zur Europameisterschaft 1992
in Schweden gelost.
Rehabilitierung des ehemaligen Diskuswerfers Wolfgang Schmidt. Wiederzulassung zu internationalen Meisterschaften.
05.02.1990
Berlin: Interview der „Berliner Zeitung“
mit Günther Netzer (CWL). Schweizer
Agentur möchte ganze DDR-Oberliga unter Vertrag nehmen.
Im Sportgespräch des „Deutschlandfunks“
fordert Dr. Rolf Donath, Direktor des
Sportmedizinischen Dienstes der DDR die
baldige Bildung einer gesamtdeutschen
Olympiamannschaft.
06./07.02.1990
Berlin (West): Treffen der Vorstände der
Handballverbände der DDR und der Bundesrepublik, um einen umfangreichen
Maßnahmenkatalog der gegenseitigen Zusammenarbeit zu beraten.
07.02.1990
Bonn: Die Bundesregierung bildet den
Kabinettsausschuss "Deutsche Einheit".
Berlin: Gründung des Deutschen Gehörlosen–Sportverbandes der DDR. Präsident:
Heinz Meurer. Generalsekretärin: Inge
Mandrek.
Als Vertretung von sporttreibenden Kindern und Jugendlichen gegenüber staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen
konstituierte sich eine Initiativgruppe
„Sportjugend der DDR“.
Handballländerspiel der Bundesrepublik
gegen DDR vereinbart.
Ludwigsfelde: Fußballfreundschaftsspiel
Motor Ludwigsfelde gegen Hertha 03 Zehlendorf.
28
Go West! – Trainer und Spitzensportler wechseln in den „goldenen Westen“
Jutta Braun
Go West!
Trainer und Spitzensportler wechseln in
den „goldenen Westen“
von Jutta Braun
Februar 1990. Die neue Freiheit wurde
nicht nur zu innerdeutschen Wettkämpfen
genutzt: Gleichzeitig setzte eine massive
Westwanderung von Sportlern, aber auch
Trainern ein, die ihr persönliches und berufliches Heil in der Bundesrepublik suchten. Den ersten Trainer aus der DDR verpflichtete der westdeutsche Skiverband im
Januar 1990 als Betreuer der Nordischen
Kombinierer. Wie in kaum einem anderen
Bereich der Wendephänomene wurde gegen diesen Exodus von verschiedener Seite
polemisiert: Eher selten wurden die Wechsel als persönliche Entscheidung der Athleten respektiert. Der westdeutsche Sport
wurde beschimpft ob seiner „Piratenakte“,
so der Vorwurf des Cheftrainers der Männer von DDR-Handballmeister Vorwärts
Frankfurt/Oder gegenüber den Verantwortlichen der Handball-Bundesliga. Auch der
Generalsekretär des DDR-Boxverbandes
Bernd Hönicke kritisierte die „Praktiken“
der Bundesligavereine, nachdem über 60
Amateurboxer von Dezember 1989 bis
März 1990 in die Bundesrepublik gewechselt waren. Zahlreiche westliche Funktionäre nutzten gezielt die Gunst der Stunde,
um mit Hilfe der „Goldkinder“ den bundesdeutschen Sport aufzupolieren. Beispielhaft ist hierbei das Vorgehen des Managers des VfL Hameln, dem es noch im
Dezember 1989 gelang, fast die gesamte
männliche Handball-Auswahlmannschaft
der DDR für den VfL zu verpflichten.
Die DDR-Sportler traf wiederholt der
Vorwurf, sie seien „Verräter“ und folgten
ausschließlich dem „Lockruf des Geldes“.
Als „nicht fair“ beschimpfte der KanuGeneralsekretär Werner Lempert den Abgang der Weltmeisterinnen Monika Bunke
und Katrin Borchert und ihres Trainers
Kersten Neumann nach Essen. Spektakulär
waren auch die Fälle im Radsport, praktisch die gesamte Nationalmannschaft
wechselte nach dem Fall der Mauer ins
Profilager. Olympiasieger wie Henry Maske, die im Westen Profi werden wollten,
mussten in der DDR um ihren guten Ruf
kämpfen.
Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble
forderte im März 1990 die bundesdeutschen Vereine zu Zurückhaltung auf: Man
könne nicht „mit dem großen Geldkoffer,
wie es Bayer Leverkusen im Fußball gemacht hat, in der DDR Leute anheuern,
sonst wirken wir doch wie die Pfeffersäcke.“ Für deutsch-deutsche Maßnahmen im
Spitzensport wurden im gleichen Jahr 1,8
Millionen Mark zur Verfügung gestellt mit diesem Geld wollte der Bundessausschuss Leistungssport unter anderem den
Spitzensport in der DDR stabilisieren.
Niemand könne daran interessiert sein, so
der Direktor des BAL, Professor Rolf
Andresen, dass DDR-Spitzenathleten weiterhin in die Bundesrepublik wechselten.
Doch beim zweiten Sport-Spitzentreffen
zwischen Hansen und Kilian am 18. April
war die Abwanderungswelle unverändert
ein zentrales Thema, das dem DTSBPräsidenten Martin Kilian „schlaflose
Nächte“ bereitete.
Der Exodus war nicht allein eine Folge der
Magnetkraft der Westmark. In der ersten
Zeit war es ebenso eine Flucht aus den
Kommandostrukturen des DDR-Sports,
später die Flucht vor dem wirtschaftlichen
Niedergang. Abgestoppt wurde die Welle
erst mit der grundlegenden Änderung der
politisch-wirtschaftlichen Rahmenbedingungen: Vor allem der Einführung der
Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion
am 1. Juli 1990. Zu diesem Zeitpunkt hatte
der DDR-Sport aber bereits einen beträchtlichen Teil seiner Substanz eingebüßt.
Chronik Februar 1990
07.02.1990
Crimmitschau: Gründung des ersten zivilen Eishockeyklubs der DDR nach dem
Mauerfall: EHC Crimmitschau.
08.02.1990
Berlin: Richard Winkels, Präsident des
Landessportbundes
von
NordrheinWestfalen, schließt eine gemeinsame deutsche Olympiamannschaft für 1992 aus:
„Das kann man den Sportlern aus der Bundesrepublik nicht antun“.
Oberhof: Offener Brief der Trainer des
ASK Oberhof. Forderung der Gründung
eines Wintersportzentrums Thüringen.
09.02.1990
In einem Interview mit der „Jungen Welt“
plädiert Dr. Heinze, Präsident des NOK
der DDR, für eine eigenständige Olympiamannschaft 1992.
Die deutschen Handballverbände vereinbaren einen intensiven Spielverkehr.
Leipzig: Das „Neue Forum“ stellt ein
Sportprogramm vor.
Stuttgart: Körperbehinderte Tischtennisspieler aus Cottbus, Sallgast und Jänschwalde sind zu Gast beim 1. deutschdeutschen
Tischtennis-Freundschaftsturnier der Körperbehinderten.
10.02.1990
Rücktritt von Günter Erbach als Präsident
des DFV der DDR; Günther Schneider
wird zu seinem Nachfolger bestimmt. Ab
sofort nimmt Hans-Georg Moldenhauer als
Vertreter der Fußball-Basis an den Sitzungen des Präsidiums des DFV der DDR teil.
Gran Canaria: Hamburger SV und Dynamo
Dresden absolvieren ein gemeinsames
Trainingslager.
29
11.02.1990
Der Schwimmausschuss des Deutschen
Schwimmverbandes (DSV) sagt gemeinsame Weltmeisterschafts-Qualifikationen
mit der DDR ab.
Gründung einer Arbeitsgruppe Sport und
Umwelt im DTSB.
13.02.1990
Der Cheftrainer des DDR-Leichtathletikverbandes, Dr. Ekkart Arbeit, reicht seinen
Rücktritt ein.
Berlin: Gert Barthelmes, Direktor der
Sporthochschule Kienbaum, teilt vor Pressevertretern mit, dass der DTSB die Unterdruckkammer in der Sporthochschule
Kienbaum ausländischen Partnern zur Mitnutzung anbieten will.
14.02.1990
Runder Tisch des Sports tagt: Zustimmung
für ein Paket von Sofortmaßnahmen des
Amtes für Jugend und Sport zur unmittelbaren Unterstützung der sportlichen Basis.
Sportler und Sportfunktionäre beider deutscher Staaten sprechen sich gegen übereilte
Schritte bei der Bildung einer gemeinsamen Olympiamannschaft aus.
Gründung eines Alpenvereins durch Wanderer und Bergsteiger aus Jena.
15.02.1990
Bürgerinitiative Olympia 2000 berät mit
Mitgliedern des DTSB-Arbeitssekretariats
über die Vorbereitungen Olympischer
Sommerspiele in beiden Teilen Berlins.
16.02.1990
Gründung des Fußballklubs Wismut Aue.
Präsident: Günter Palme. Geschäftsführer:
Herbert Ischt.
17.02.1990
Außerordentlicher Verbandstag des Boxsportverbandes der DDR. Manfred Bergs
wird zum neuen Präsidenten gewählt.
30
Süddeutsche Zeitung 05.02.1990
Erste Rufe nach gemeinsamen Olympiateam
DDR-Sprecher: Schon 1992 unter einer Fahne / Sportlerdemonstration in Berlin und Potsdam
Berlin (dpa/sid) – Die Pläne für mögliche gemeinsame Olympische Spiele in
Berlin im Jahr 2000 oder 2004 werden
jetzt auch in der DDR immer konkreter.
Das Präsidium des Nationalen Olympischen Komitees (NOK) der DDR hat
am Samstag auf einer Sitzung dem
Magistrat von Ost-Berlin seine Hilfe
bei der Ausarbeitung einer Machbarkeitsstudie angeboten, wie sie in WestBerlin schon vor knapp drei Wochen
vorgelegt worden war. Außerdem soll
die Zusammenarbeit mit der „Gesellschaft zur Förderung des Olympischen
Gedankens in der DDR“ intensiviert
und vertraglich vereinbart werden.
Das Thema Olympia stand auch auf
der Tagesordnung des ersten Gesprächs
zwischen dem West-Berliner Staatssekretär und Leiter des Olympia-Büros,
Hans-Jürgen Kuhn, mit Wilfried Poßner, dem Vorsitzenden des neugegründeten Amtes für Jugend und Sport in
der DDR. Beide Seiten vereinbarten
auch Inspektionsreisen zu den für
Olympia in Frage kommenden Sportstätten in beiden Teilen Berlins.
Bis zum Mai sollen im NOK der DDR
Entwürfe für ein neues Statut und eine
Wahlordnung im Hinblick auf die
nächste Mitgliederversammlung am 30.
Juni ausgearbeitet werden. An diesem
Tag steht in erster Linie die Neuwahl
des nur vorläufig im Amt befindlichen
NOK-Präsidiums bevor. Am 6. Januar
dieses Jahres trat Manfred Ewald, der
seit 1973 mitverantwortlich für die
Aufrüstung der DDR zur Weltmacht im
Sport war, von der NOK-Spitze ab. Das
IOC-Mitglied Günter Heinze, der in der
letzten Woche zum erstenmal in seiner
neuen Funktion mit dem NOKPräsidenten Willi Daume in WestBerlin zu einem Meinungsaustausch
zusammengetroffen war, trat Ewalds
Nachfolge an.
Süddeutsche Zeitung 5. Februar 1990
Im Hinblick auf die bevorstehenden
Olympischen Spiele 1992 in Barcelona
schlug das NOK-Präsidium der DDR
vor, gemeinsam mit dem Deutschen
Turn- und Sportbund der DDR (DTSB)
und dem neugeschaffenen Amt für
Jugend und Sport eine Kommission
„Olympische Spiele“ zu bilden. Damit
soll, wie die DDR-Nachrichtenagentur
ADN meldete, die „Olympiavorbereitung und erfolgreiche Teilnahme einer
DDR-Mannschaft“ gesichtet werden.
Das Präsidium wandte sich an den
DTSB und die Sportverbände mit der
Bitte, alle Möglichkeiten zu nutzen, um
die DDR-Sportler zielgerichtet auf
Barcelona vorbereiten zu können.
Nach Ansicht von Werner Neumann,
dem Sprecher des Arbeitskreises des
Deutschen Turn- und Sportbundes
(DTSB), könnte es dagegen in Barcelona „etwas ganz Spektakuläres“ geben. „Es werden zwar zwei deutsche
Mannschaften starten, aber sie werden
unter einer Fahne einmarschieren“. Das
war zuletzt 1968 bei den Spielen in
Mexiko der Fall, als die gemeinsame
deutsche Mannschaft erstmals aufgelöst worden war, aber noch unter einer
Fahne einmarschieren mußte. Im
„Sportgespräch“ des Deutschlandfunks
forderte Rolf Donath, der Direktor des
Zentralinstituts des sportmedizinischen
Dienstes der DDR in Kreischa, die
baldige Bildung von gesamtdeutschen
Olympiamannschaften. Donath („1989
hatten wir 14 positive Dopingproben in
der DDR“) möchte, daß spätestens zu
den zu erwartenden Spielen 2000 in
Berlin wieder gesamtdeutsche Olympiamannschaften antreten.
„1996 gibt es bestimmt bei den Olympischen Spielen eine gesamtdeutsche Mannschaft“, erklärte der Leiter
des provisorischen Arbeitssekretariats
des DTSB zum Stufenplan des
DDR-Ministerpräsidenten Hans Modrow. „Vom Sport muß ein gesellschaftlicher Ruck auf alle Politbereiche ausstrahlen. Wir Sportler können Vorbild
sein“. Zum Thema gesamtdeutsche
Olympiamannschaft sagte dagegen
Günter Heinze vom NOK: „Eine Bildung von gesamtdeutschen Olympiamannschaften für 1992 steht nicht auf
der Tagesordnung“. Für 1996 wollte
sich Heinze noch nicht festlegen.
Mehr als 7000 Spitzensportler, Freizeitsportler, Trainer und Sympathisanten haben am Samstag in Ost-Berlin
und Potsdam gegen Willkürmaßnahmen, einschneidende finanzielle Kürzungen und den Ausverkauf des Spitzensports in der DDR demonstriert.
Kugelstoß-Olympiasieger und Athletensprecher Ulf Timmermann forderte
dabei im Berliner Lustgarten von der
DDR-Regierung die Verabschiedung
eines Sportgesetzes noch vor den
Volkskammerwahlen am 18. März.
„Die Regierung ist verpflichtet, dem
Sport weiterhin ausreichend Geld zur
Verfügung zu stellen“, sagte Timmermann. Udo Beyer, der 1976 KugelstoßOlympiasieger war, warnte davor, „die
Sportbasis sterben zu lassen“. Bei allen
Bemühungen zur Eigenfinanzierung
des Sports, zu der auch Aktive und
Eltern bereit seien, bedürfe ein gesunder Sport auch künftig der tatkräftigen
Unterstützung durch den Staat. DTSBSprecher Werner Neumann sagte, daß
im Jahr 1990 40 bis 45 Millionen Mark
fehlen würden. Er forderte die sofortige
Bereitstellung von 20 Millionen Mark
aus einen Sonderfonds: „Jetzt muß alles
schnell und unbürokratisch gehen“.
Timmermann und Beyer sprachen sich
im übrigen für die Teilnahme des
Sports am Runden Tisch aus.
Chronik Februar 1990
31
17.02.1990
Cottbus: Dem SC Dynamo Cottbus stehen
rund ein Drittel weniger hauptamtliche
Trainer, Übungsleiter und andere Mitarbeiter als vor dem Mauerfall zur Verfügung.
26.02.1990
Das Amt für Jugend und Sport hat 18 Millionen Mark aus Lottomitteln zur Förderung des Sports vom Wettspielbetrieb erhalten.
Stendal: Aus der Sektion Fußball der BSG
Lok Stendal hat sich eine eigenständige
Fußball-Spielvereinigung Altmark Stendal
gegründet.
Hennigsdorf: Rugby-Vergleich zwischen
Stahl Hennigsdorf und VfR Döhren Hannover.
17./18.02.1990
Berlin: Tagung des Präsidiums des Deutschen Judoverbandes der DDR. Nach dem
Rücktritt von Prof. Dr. Gerhard Lehmann
wird Hans-Rüdiger Gach zum amtierenden
Präsidenten gewählt.
19.02.1990
Hameln:
Rostocks
Handball-Rekordnationalspieler Frank Michael Wahl unterschreibt einen Profivertrag beim VfL Hameln.
Bärbel Wöckel, Sprinterin der DDR, ist in
die Bundesrepublik übergesiedelt.
20.02.1990
Fußball-Oberligist BFC Dynamo Berlin
trennt sich von seinem alten Namen und
heißt fortan FC Berlin. Ehemalige MfSAngehörige verlassen die Klubleitung.
21.02.1990
Vereinigungsgesetz der DDR verabschiedet, nach dessen Inkrafttreten sich binnen
weniger Wochen Tausende neue Vereinigungen anmelden, hierzu gehören auch die
Sportvereine.
25.02.1990
Kienbaum: 18. Tagung des DTSB-Bundesvorstandes. Im Mittelpunkt steht weiterhin
die Sicherung des Sports. Der Orientierungsläuferverband wird als eigenständige
Föderation bestätigt. Der Federballverband
heißt ab sofort Badminton-Sportverband.
Berlin (West): Boxvergleich zwischen
TSC Berlin und Spandauer BC 26.
Cottbus: Tischtennisvergleich zwischen
Automation 86 Cottbus und SC Charlottenburg.
27.02.1990
DFB Präsident Herman Neuberger spricht
sich in einem Interview mit „Die Welt“
gegen eine sofortige Eingliederung von
DDR-Klubs in die Bundesligen und gegen
eine gemeinsame Mannschaft für die Europameisterschaftsqualifikation 1992 aus.
Berlin: Vollversammlung aller FußballOberligisten der DDR. Es wird ein Ligaausschuss im DFV gebildet. Vorsitzender:
Robert Pischke.
Die „Lausitzer Rundschau“ schreibt: Von
den 1989 dem DTSB zur Verfügung gestellten 402,6 Millionen Mark wurden 62,8
Prozent für den Leistungssport und 37,2
Prozent für den Massensport ausgegeben.
28.02.1990
Die DTSB-Bezirksvorstände Cottbus,
Frankfurt (Oder) und Potsdam knüpfen
erste Kontakte im Hinblick auf die zu diesem Zeitpunkt noch theoretische Überlegung der Bildung des Landes Brandenburg.
32
Februar 1990 – Eine Collage
Chronik März 1990
März 1990
01.03.1990
Gründung der Treuhandgesellschaft.
Bad Blankenburg: Gründung des Thüringer Fußballverbandes bestehend aus den
Bezirksfachausschüssen Suhl, Erfurt und
Gera.
02.-04.03.1990
Rückkehr auf die internationale Bühne:
Nach Jahrzehnten der Unterdrückung
nimmt die DDR-Tischtennis-Nationalmannschaft bei den Europameisterschaften
in Göteborg teil (Platz 24). Der Tischtennisverband der DDR (DTTV) hatte sich
nach internationalen Turnieren in Cottbus
(1971) und Gera (1973) aus dem Leistungsgeschehen zurückgezogen. Wettkämpfe waren nur noch mit Gegnern aus
den sozialistischen Ländern erlaubt.
03.03.1990
Karlsruhe: Erster Tischtennisländervergleich Bundesrepublik gegen DDR seit
1961.
Laucha: Erster offizieller Drachenflug auf
dem Territorium der DDR.
03.03.1990
Adidas-Produkte sind nun im DDREinzelhandel erhältlich.
03./04.03.1990
Außerordentlicher Turn- und Sporttag des
DTSB mit erstmals demokratischer Neuwahl des Präsidenten. Der ehemalige Präsident des Bobsportverbandes der DDR,
33
Martin Kilian, wird zum neuen ehrenamtlichen Präsidenten gewählt. Generalsekretär
wird Jochen Grunwald. Anwesend waren
1.100 Delegierte.
04.03.1990
Erstes Treffen zwischen Willi Daume, Präsident des westdeutschen Nationalen Olympischen Komitees und Joachim Weiskopf, ab dem 16. Juni 1990 Präsident des
ostdeutschen NOKs.
05.03.1990
Außerordentlicher
Verbandstag
ADMV der DDR (Motorsport).
des
Leipzig: DDR-Premiere für American
Football.
06.03.1990
Der Präsident des Deutschen Sportbundes,
Hans Hansen, appelliert in einem dpaInterview, nichts zu überstürzen.
Das erste Cottbusser Fitnessstudio wird
eröffnet.
07.03.1990
Mit einem 25:20 Sieg bei der HandballWeltmeisterschaft in der CSSR sichert die
DDR-Auswahl
der
gesamtdeutschen
Mannschaft die Olympiaqualifikation für
Barcelona. Die Auswahl des Deutschen
Handball-Bundes (DHB) hingegen nahm
an der drittklassigen C-WM in Finnland
teil und hätte sich maximal für die B-WM
1992 in Österreich qualifizieren können.
34
Befreiung von der Altlast – Am 31. März 1990 wurde im DDR-Fußball der Demokratisierungsprozess eingeleitet
Michael Barsuhn
Befreiung von der Altlast
Am 31. März 1990 wurde im DDRFußball der Demokratisierungsprozess
eingeleitet
von Michael Barsuhn
März 1990. Dreizehn Tage nachdem die
Mehrheit der DDR-Bevölkerung in den ersten freien und geheimen Volkskammerwahlen für eine schnelle Vereinigung votiert
hatte, bereiteten die Delegierten des DFV der
DDR das Fundament für die Demokratisierung ihres Verbandes. Dabei geriet der erste
unter Mitwirkung der Fußball-Basis vorbereitete Verbandstag in Strausberg bei Berlin
zu einer hochemotionalen Veranstaltung.
Heinz Krügel, ehemals Trainer des 1. FC
Magdeburg, warf der alten Verbandsleitung
in einer flammenden Ansprache Machtmissbrauch und Arroganz vor. Die Funktionäre
hätten den "Dirigismus von ZK und Bezirksleitung der SED" ohne Widerspruch geduldet
und zeitweise sogar selbst in Trainingsprozesse eingegriffen.
Die Stimmung war angeheizt. Das Plädoyer
überzeugte die Delegierten. Basis-Kandidat
Hans-Georg Moldenhauer setzte sich in freier und geheimer Wahl mit 55 Prozent gegen
den amtierenden Präsidenten und langjährigen Spitzenfunktionär Günter Schneider (44
Prozent) durch. Dieser war zu tiefen DDRZeiten unter anderem in die Aburteilung der
Dresdener Spieler Peter Kotte und Matthias
Müller involviert gewesen. Beide wurden
1982 wegen versuchter Republikflucht gesperrt. Obwohl Hans Modrow als damaliger
Sekretär der SED-Bezirksleitung Dresden für
eine Begnadigung plädierte, ließ sich
Schneider trotz persönlicher Bitte der Spieler
nicht erweichen. Die Anfrage wurde negativ
beschieden. Erst als ihre Karriere schon zu
Ende war - im Januar 1990 - erfolgte die
Rehabilitierung der beiden Spieler durch den
DFV. Für seine Fehlleistungen erhielt
Schneider nun nachträglich die Quittung.
Der Machtwechsel war perfekt. Wenige Minuten nach der Wahl verweigerte Generalsekretär Wolfgang Spitzner der neuen Füh-
rung demonstrativ die Gefolgschaft: Er
drückte dem verdutzten Moldenhauer einen
Zettel in die Hand: "Hiermit erkläre ich meinen Rücktritt als Generalsekretär des DFV."
Die abgewählte Führungsriege erschien nicht
einmal mehr zum abendlichen Bankett, da
sie sich, so die Beobachtung des damaligen
Chefs der Neuen Fußballwoche, Jürgen
Nöldner, als Opfer eines "Dolchstoßes" fühlte.
Frustration auf der einen, Erleichterung auf
der anderen Seite. Die Mehrheit der Delegierten freute sich über die lange Liste der
verabschiedeten Reformen. Sie umfasste
eine neue Lizenzspielerordnung, eine modifizierte Wettkampfordnung, eine neue Satzung, die Wahl eines Liga-Ausschusses zur
Vertretung der Interessen der Lizenzvereine,
die Umwandlung des Generalsekretariats zur
Geschäftsstelle - alles wichtige Schritte zur
Rechtsangleichung mit dem DFB. Auf dem
Weg zur deutschen Fußball-Einheit galt ab
dem 31. März 1990 die Losung Moldenhauers: "Je besser ich arbeite, um so kürzer bin
ich im Amt."
In zahlreichen Unterredungen bereitete er in
den kommenden Monaten mit DFBPräsident Neuberger die Vereinigung im
Fußball vor. Neuberger rechnete aus "sporttechnischen und -rechtlichen Gründen" mit
einem Zusammenschluss erst im Frühjahr
1992. Moldenhauer hingegen erkannte die
Dynamik der gesellschaftlichen Entwicklung. In einem Vier-Augen-Gespräch während der Fußball-WM in Italien appellierte er
an DFB-Abteilungsleiter Horst R. Schmidt:
"Haben Sie gesehen, wie die Mauer gefallen
ist? Wissen Sie, dass ein ganzer Block zusammengebrochen ist? Armeen sind weggefegt, Armeen! Staatssicherheit, alles fällt und
geht weg, und ich soll in diesem Ganzen
ausgerechnet einen eigenständigen Fußballverband mit dem Begriff DDR bis 92 erhalten!?"
Die Geschichte gab Moldenhauer Recht: Am
21. November 1990 trat der als Nordostdeutscher Fußballverband neu gegründete DFV
in Leipzig dem DFB bei: Die deutsche Fußball-Einheit war vollzogen.
Chronik März 1990
08.03.1990
Henry Maske unterschreibt Profivertrag
mit Manager Wilfried Sauerland.
Die „Märkische Volkszeitung“ beklagt den
Ausverkauf des DDR-Handballs.
35
Frankfurt am Main: Terminvereinbarungen
für die Qualifikationsspiele zur Europameisterschaft 1992 in Schweden, Gruppe
5, Bundesrepublik gegen DDR: Hinspiel
am 21. November 1990 in Leipzig; Rückspiel im Dezember 1991 in München.
09.03.1990
Bonn: Die Bundesregierung will die
deutsch-deutschen
Sportveranstaltungen
im laufenden Jahr mit 7,8 Millionen DMark unterstützen.
Gründung der Potsdamer Rudergesellschaft.
11.03.1990
Im Interview mit dem „Deutschlandfunk“
gibt sich der ehemalige DTSB- und NOKPräsident der DDR ahnungslos bezüglich
Doping- und Stasiverwicklungen im Sport.
15.03.1990
„ADN“: IOC-Mitglied Walther Tröger,
zugleich IOC-Sportdirektor und NOKGeneralsekretär, erklärt zu den Plänen einer gesamtdeutschen Olympiamannschaft:
„Die Politik müsse die Voraussetzungen
schaffen. Nach einer staatlichen Vereinigung werde das IOC selbstverständlich
dem deutschen Wunsch auf Anerkennung
eines NOK nachkommen.“
12.03.1990
„Gib das mal den Mädels“ – der ehemalige
DDR-Schwimmtrainer Michael Regner
äußert sich über seine alltägliche Dopingpraxis im „Spiegel“.
13.03.1990
Der Innenminister der Bundesrepublik,
Wolfgang Schäuble, spricht sich für eine
gemeinsame Olympiamannschaft aus. Das
Know-How des Leistungssports der DDR
müsse bewahrt bleiben, so Schäuble.
14.03.1990
Beginn der 2+4 – Verhandlungen.
Letzte Gespräche des Runden Tisches des
Sports. Es wird eine Resolution an die
Volkskammer verabschiedet.
15.03.1990
Reaktion auf Regners Anklage: DDRSchwimmer weisen Dopingvorwürfe zurück.
Potsdam: westdeutsche Kanuten testen das
Strömungsbecken der Potsdamer Kanuten.
Potsdam: Gründung der Leichtathletikgemeinschaft Luftschiffhafen.
„ADN“: Eine schnellere deutsche Wiedervereinigung im Sport hält hingegen Primo
Nebiolo, Präsident der Vereinigung der
Olympischen Sommersport-Fachverbände
(ASIOF)
und
des
InternationalenLeichtathletik-Verbandes (IAAF), für
möglich: „Auch ohne politische Einheit
könnte bei unserer nächsten Weltmeisterschaft 1991 in Tokio ein deutsches Team
antreten. Es genügt, wenn sich die beiden
Leichathletik-Verbände einigen und eine
einzige Anmeldung vornehmen“, erklärte
der Italiener.
17.03.1990
Rostock: Ein Ligaausschuss Handball aus
Vertretern aller elf Oberliga-MännerMannschaften konstituiert sich. Sprecher:
Ewald Astrath.
36
Frankfurter Allgemeine Zeitung 12.03.1990
Der ehemalige Potsdamer Schwimm-Trainer berichtet
Regner über Sportalltag in der DDR:
Schon Jugendliche systematisch gedopt
HAMBURG (sid/dpa). Im DDRSchwimmsport wurde jahrelang mit
Erfolg gedopt. Auch die sechsfache
Olympiasiegerin Kristin Otto und
Europameister Jörg Hoffmann sollen
von ihren Trainern systematisch mit
Anabolika versorgt worden sein. Das
schreibt in der neuesten Ausgabe des
Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“
der ehemalige Schwimmtrainer des
ASK Vorwärts Potsdam, Michael
Regner. Bei dem Medikament, das in
allen Trainingsgruppen in der DDR
verteilt worden sein soll, handelt es sich
um das Anabolikum Oral-Turinabol.
Das Präparat wird im VEB Jenapharm
hergestellt und ist eine rezeptpflichtige
muskelbildende
Arznei.
Wörtlich
schreibt Regner: „Die Anwendung der
Anabolika wurde zentral gesteuert. In
Ost-Berlin saß eine Kommission, die
jedes Jahr ein ‚Programm für die
sportmedizinische Unterstützung’ erstellte. Dies diente keinem anderen
Zweck als dem systematischen Aufbau
der Athleten mit Anabolika.“ Inzwischen sei durch die politischen Umwälzungen das Doping-Verfahren aber
nicht mehr intakt.
Die Trainer mußten nach Regners
Worten über jeden Zyklus Protokoll
führen. Nie sei ein Mitglied aus Potsdam während eines Wettkampfes des
Dopings überführt worden. Um diese
Gefahr auszuschließen, habe kein
Sportler die DDR verlassen dürfen, der
sich nicht vorher einer Dopingprobe
unterzogen hatte. Hierfür sei das Zentrale Dopinglabor des Sportmedizinischen Dienstes in Kreischa verantwortlich gewesen, in dem rund um die Uhr
gearbeitet worden sei. Regner schreibt
weiter, daß das Dopinglabor in Kreischa nach dem positiven Befund des
kanadischen Sprinters Ben Johnson bei
den Olympischen Spielen 1988 an
neuen Dopingmitteln gearbeitet habe,
die aus Nasenspray-Flaschen benutzt
werden sollten. Das Experiment habe
sich je doch nicht bewährt. Insge-
samt hat der Skandal um Ben Johnson
nach Regners Auffassung an der Doping-Praxis in der DDR wenig verändert. Nach den Sommerspielen 1988
habe nur eine kurze Verunsicherung
geherrscht. Bereits Anfang 1989 seien
die Schwimmer der DDR von den
Medizinern wieder in gewohntem
Umfang mit Anabolika versorgt worden.
Das erstemal war Regner im Juni
1987 vom Potsdamer Schwimm-Arzt
Dr. Jochen Neubauer mit Tabletten
versorgt worden, die er an seine Gruppe mit zwölf- bis vierzehnjährigen
Schwimmerinnen weiterreichen mußte.
Zwölf Tage lang mußte er den jungen
Mädchen jeweils eine halbe Pille in den
Vitamintrank mischen. Wenig später
mußte Regner eine GeheimhaltungsErklärung unterschreiben. Von Ende
Oktober 1987 an hatte Regner die
weibliche Spitzengruppe des ASK
Vorwärts Potsdam trainiert, zu der auch
Grit Müller und Diana Block gehörten.
Das Anabolikum erhielt er jetzt als
Tabletten in der Originalverpackung.
Die Mädchen, die ebenfalls ein Geheimhaltungs-Formular unterschreiben
mußten, wußten, was sie einnahmen.
Regner schreibt weiter: „Bei entsprechendem Talent und entsprechendem
Training haben Anabolika eine ungeheure Fahrstuhlwirkung. Jugendliche
im Alter von 14 oder 15 Jahren werden
damit systematisch aufgebaut und so in
relativ kurzer Zeit auf WeltklasseNiveau gehievt." Daß auch die sechsfache Olympiasiegerin von Seoul Kristin
Otto, Anabolika zu sich genommen
habe, beschreibt Regner im „Spiegel“
so: „So erzählt er (Trainer Kollege
Stefan Hetzer) mir beispielsweise, daß
seine beiden Parade-Schwimmerinnen,
Kristin Otto und Silke Hörner, im Zuge
der allgemeinen Angst vor verschärften
Kontrollen ‚erst mal bis zu den DDRMeisterschaften sauber bleiben’ soll-
Frankfurter Allgemeine Zeitung 12. März 1990
ten.“ Der heute 37 Jahre alte Trainer
lebt und arbeitet seit einigen Tagen in
Neuseeland. Seit Dezember 1978 war
er Schwimmtrainer in Potsdam. Im
August 1989 war er über Ungarn aus
der DDR geflüchtet und einige Monate
beim 1. Offenbacher Schwimm-Club,
dem Verein von Olympiasieger Michael Groß, tätig gewesen.
Die Enthüllungen von Regner finden
größtenteils Bestätigung. „Bis auf
einige Unklarheiten ist viel Wahres
dabei“, sagt der 22 Jahre alte Raik
Hannemann aus Leipzig, Europameisterschaftszweiter über 200 Meter Lagen. Allerdings schränkte er ein: „Nicht
alle DDR-Schwimmer waren oder sind
gedopt.“ Christian Poswiat, im vergangen November aus der DDR nach
Wuppertal übergesiedelt, sagt: „Die
Sportler wurden zum Doping gezwungen, uns blieb nichts anderes übrig.
Auch ich habe es kurzfristig ausprobiert. Aber ich habe gemerkt, daß es
bei mir ohne besser ging.“ Verärgert
reagierte die 20 Jahre alte Manuela
Stellmach, dreifach Europameisterin
aus Ost-Berlin. „Das hört sich so einfach an. Man geht jeden Tag zum
Trainer, holt sich eine Pille, und schon
ist man viel schneller als die anderen.“
Unterstützung erhält sie von Michael
Groß: „Wer die DDR-Mädchen einmal
trainieren sah, kann die Leistungen
nicht nur auf Doping zurückführen. Ich
glaube, die wären auch so überlegen
gewesen“, sagt der dreimalige Olympiasieger. Das Vorgehen Regners
verurteilt Groß. „Das ist nicht fair. Es
könnte auch jemand behaupten, ich sei
gedopt. Wie soll man sich dagegen
wehren?“ Der gleichen Ansicht ist auch
der Wuppertaler Frank Hoffmeister,
der sich 1984 in Rom vom DDR-Team
abgesetzt hatte. „Es gibt Leute, die
kommen hierher und werden damit
nicht fertig. Die wollen sich ins Gespräch bringen.“
Chronik März 1990
37
18.03.1990
Erste und einzige freie Parlamentswahlen
in der DDR. Sieger ist die „Allianz für
Deutschland“, die eine rasche Wiedervereinigung anstrebt.
23.03.1990
Stuttgart: Projektgruppe der Handballverbände der beiden deutschen Staaten. DHB
und DHV der DDR streben einheitlichen
Handballverband an.
Cottbus: Ausrüstervertrag zwischen Puma
AG Herzogenaurach und der Sektion
Leichtathletik des SC Cottbus.
Berlin (West): Otto Höhne wird zum neuen
Präsidenten des Berliner Fußballverbandes
(BFV) gewählt. Gemeinsam mit Uwe Piontek, Präsident des FVB (Ostberliner
Fußballverband), organisierte er später die
Vereinigung des Berliner Fußballs.
19.03.1990
Für das Amt des Präsidenten des Fußballverbandes (DFV der DDR) kandidieren
Günter Schneider und Dr. Hans-Georg
Moldenhauer.
21.03.1990
Berlin: Pressekonferenz des neuen DTSBPräsidenten Martin Kilian, der von der
DDR-Führung eine umfassende Unterstützung erwartet.
Oslo: Die DDR wird auf der Jahrestagung
des Europäischen Tennis-Verbandes als
neues Mitglied aufgenommen.
Berlin: Der Sportklub SC Dynamo Berlin
nennt sich ab sofort 1. Polizei-Sportklub
Berlin mit den Sportarten Boxen, Eiskunstlauf, Eisschnelllauf, Fechten, Handball,
Judo, Leichtathletik, Radsport, Rudern,
Schwimmsport, Turnen und Volleyball.
Die Sektion Eishockey formiert sich als
selbstständiger Eishockeyklub unter dem
Namen EHC Dynamo Berlin.
24.03.1990
Erste gemeinsame Präsidiumstagung der
Basketballverbände (DBV und DBB) in
der Landessporthalle Westberlin.
26.03.1990
Radball-Vertretungen der DDR nehmen,
nach 23jähriger Abstinenz am Europapokalwettbewerb teil.
29.03.1990
DTSB verkauft seine Yacht „Sturmvogel
II“.
31.03.1990
Erster demokratisch vorbereiteter Verbandstag des ostdeutschen Fußballs, erste
demokratische Wahl eines Verbandspräsidenten (Moldenhauer).
Erster deutsch-deutscher Renntag auf der
Galopprennbahn Hoppegarten.
38
März 1990 – Eine Collage
Chronik April 1990
April 1990
01.04.1990
Potsdam: Anrudern und Anpaddeln gemeinsam mit Westberlinern.
Bezirksfachausschuss Leichtathletik Berlin
und SCC Berlin organisieren gemeinsam
einen Lauf durch Berlin.
05.04.1990
Der Direktor des Bundesausschusses Leistungssport im Deutschen Sportbund, Professor Rolf Andresen, erklärt in der neusten Ausgabe der Zeitschrift „NOKReport“: „Gesamtdeutsches Team bei Olympia 1992 möglich“.
Duisburg: Die Kanusportverbände der beiden deutschen Staaten haben eine Arbeitsgruppe gebildet.
Hannover: Erstes Treffen der Präsidenten
des DTSB der DDR, Martin Kilian, und
des DSB, Hans Hansen. Klare Konturen
für den Vereinigungsprozess.
Frankfurt (Oder): U-20 Länderkampf im
Ringen zwischen DDR und Bundesrepublik bei den 1. Frankfurter Ringertagen.
07.04.1990
Der Leipziger Handball-Nationalspieler
Peter Hofmann wird in der nächsten Saison
für Wallau/Massenheim starten.
Der Deutsche Seglerverband ist ab sofort
bereit, Segel-Gemeinschaften aus der DDR
sowie auch DDR-Landesverbände in seinen Reihen aufzunehmen.
Frankfurt (Oder): Gründung des Brandenburgischen Gewichtheber- und Fitnessverbandes. Präsident: Frank Wetzold.
09.04.1990
Berlin: Der Präsident des Deutschen
Sportbundes, Hans Hansen, bietet im Gespräch mit Journalisten Unterstützung der
DDR Vereine an und verkündet zu diesem
39
Zweck eine Vertretung in Westberlin
gründen zu wollen.
10.04.1990
Potsdam: Erster Verbandstag des Deutschen Wasserskiverbandes der DDR.
Potsdam: Diskussionen des Kreisvorstandes des DTSB der DDR mit allen Parteien,
Massenorganisationen sowie politischen
Gruppierungen.
12.04.1990
Lothar de Maiziere wird in der Volkskammer zum Ministerpräsidenten gewählt.
Weißwasser: Gründung des Deutschen
Eishockey-Verbandes der DDR. Präsident:
Peter Kolbe.
13.04.1990
Hennigsdorf: Erstmals seit dem Zweiten
Weltkrieg spielt eine englische RugbyMannschaft gegen Stahl Hennigsdorf.
17.04.1990
Hoppegarten: Gründung von sechs Pferdesport-Rennvereinen: Hoppegarten, Dresden, Leipzig, Halle, Magdeburg und Gotha-Boxberg.
18.04.1990
Berlin: Pressekonferenz zur zweiten Runde
des deutsch-deutschen Sportgipfels. Die
Präsidenten, Martin Kilian (DTSB der
DDR) und Hans Hansen (DSB), drängen
auf Ministergespräch.
Handball: Weitere Abgänge gen Westen:
Rüdiger Traub, Olaf Peitz, Timo Pötzsch,
Matthias Bölk, Kathrin Kohlhagen.
Neubrandenburg: Sponsorenvertrag zwischen dem SC Neubrandenburg und der
Sportartikel-Firma Nike.
40
„Gemeinsam sind wir die Größten“? – Olympia 1992 als Traum und Albtraum
Jutta Braun
„Gemeinsam sind wir die Größten“?
Olympia 1992 als Traum und Albtraum
von Jutta Braun
April 1990. Im Jahr 1964 hatte es letztmalig
ein gesamtdeutsches olympisches Team gegeben. Damals noch unter den Bedingungen
des Kalten Krieges: Mit deutsch-deutschen
Qualifikationsspielen, die aufgrund der angespannten politischen Lage vor leeren Zuschauerrängen als Geisterspiele ausgetragen
werden mussten. Und bestimmt von dem
Bestreben der DDR, den kopfstärkeren Teil
der gemeinsamen Mannschaft zu stellen.
Nun im Jahr 1990, die deutsche Einheit vor
Augen, stellte sich die Frage eines gemeinsamen olympischen Teams mit brennender
Aktualität. Politik und Sport zeigten sich
hierbei optimistisch: Bundesinnenminister
Wolfgang Schäuble ging bereits im März
1990 von der Bildung einer gemeinsamen
Olympiamannschaft für die Olympischen
Spiele in Albertville und Barcelona 1992
aus; der ostdeutsche Ministerpräsident Lothar de Maziére plädierte ebenfalls bereits in
seiner Regierungserklärung vom 20. April
1990 für ein vereintes Team. Das IOC hielt
sich freundlich bedeckt: Diese Frage sei allein Sache der Deutschen, verkündete Antonio Samaranch. Weniger neutral wurde die
Angelegenheit vom westlichen Ausland beäugt: Im März 1990 schürte die Sporttageszeitung L’ Equipe Ängste vor einem „deutschen Sportkoloss“, illustriert durch einen
steinernen Muskelprotz der Nazi-Zeit auf der
Titelseite. Etwas höflicher, aber dennoch
bestimmt bemerkte ein amerikanischer ABCReporter im April bei einer Pressekonferenz
von DSB und DTSB, das Wichtigste für ihn
als Amerikaner sei die Frage, ob ein vereinigtes Deutschland 1992 bei den Olympischen Spielen die „Weltmacht Nummer
Eins“ werde.
Während das Ausland also das Bild eines
unbezwingbaren Monolithen beschwor, der
nur darauf wartete, mit vereinter Kraft sportlich loszuschlagen, waren zahlreiche ost- und
west-deutsche Spitzenathleten von der Idee
eines gemeinsamen Teams alles andere als
begeistert. Bundesdeutsche Sportler fürchteten, gegenüber den DDR-Athleten ins Hintertreffen zu geraten, so erklärte JudoOlympiasieger Frank Wieneke: „Ich bin gegen eine gemeinsame Mannschaft 1992. Die
Sportler dort haben jahrzehntelang die besten
Bedingungen geboten bekommen, und jetzt
geht das einfach so weiter. Die sollen erst
mal lernen, unter unseren, also reellen Bedingungen Sport zu treiben. Eine gemeinsame Mannschaft in naher Zukunft würde die
Chancen der bundesdeutschen Sportler enorm
einschränken.“
Auch
RodelWeltmeister Georg Hackl sah „nicht ein,
dass die DDR-Leute schon wieder bevorzugt
werden sollten.“ In die Sorge um die eigene
Karriere mischte sich hier ein offenbar seit
längerer Zeit aufgestauter Unmut über die als
besser eingeschätzten Rahmenbedingungen
der DDR-Sportler. Auf ostdeutscher Seite
kalkulierte man 1990 ebenfalls die Chancen
in einem vereinten Team. Diskuswerfer und
Olympiasieger Jürgen Schult rechnete vor, er
sei für zwei Mannschaften, einfach „weil
dann sechs Diskuswerfer starten können und
nicht nur drei.“
Stimmen für eine gemeinsame Mannschaft
hörte man vorwiegend von Sportlern, die
entweder nicht mehr aktiv waren oder Dank
ihres Ausnahmekönnens einen Startplatz so
gut wie sicher hatten.
Die Olympischen Spiele des Jahres 1992
wurden für das vereinte Deutschland tatsächlich zu einer sportlichen Sensation: Maßgeblich aufgrund der herausragenden Leistungen
der ostdeutschen Athleten im bundesdeutschen Kader gewann die Bundesrepublik bei
den Winterspielen in Albertville erstmals die
Medaillenwertung. 63 Prozent der Winterund 50 Prozent der Sommermedaillen wurden von Athleten aus der ehemaligen DDR
erzielt; sie stellten im Sommer zwei Drittel
aller olympischen Sieger, im Winter 60 Prozent. Dass die Sport-Welt dennoch nicht in
Angst vor einer alles überstrahlenden Olympia-Großmacht Bundesrepublik erstarren
musste, haben spätestens die Spiele von Athen 2004 gezeigt.
Chronik April 1990
18.04.1990
Boxfachleute aus den Bezirken Potsdam,
Frankfurt (Oder) und Cottbus trafen sich
zur Konstituierung des Arbeitsausschusses
für die Bildung eines Landesverbandes
Boxen im zukünftigen Land Brandenburg.
19.04.1990
Malta: UEFA-Kongress in Malta: Erstes
Treffen der Präsidenten der beiden deutschen Fußballverbände Hans-Georg Moldenhauer und Hermann Neuberger.
Potsdam: Tagung des Bezirkssportausschusses. Neuer Präsident: Professor Dr.
Gerhard Junghähnel. Der bisherige DTSBBezirksvorstand stellt seine Tätigkeit ein.
Der DTSB-Bezirksvorsitzende Helmut
Klopp geht in den Vorruhestand.
20.04.1990
Witten: Ringer-Ländervergleich zwischen
Luckenwalde und Witten.
Berlin: Tagung des Präsidiums des NOK
der DDR unter Vorsitz des amtierenden
Präsidenten Dr. Günther Heinze. DDRNOK plädiert für ein gesamtdeutsches
Komitee.
21.04.1990
Cottbus: Erweiterte Bezirksvorstandssitzung. Der bisherige hauptamtliche Vorsitzende Alfons Hengstler geht in den Vorruhestand. Neuer ehrenamtlicher DTSBBezirksvorsitzender: Günter Jentsch.
Berlin: Gründung des Läuferbundes der
DDR.
41
Leipzig: Gründung eines Berufsverbandes
der Trainer und Sportlehrer. Erster Vorsitzender: Uwe Wiegand.
Berlin: Außerordentlicher Verbandstag der
Pferdesportler. Neuer Präsident des Deutschen Pferdesportverbandes der DDR: Dr.
Rudolf Fuchs.
Bad Schmiedeberg: Außerordentlicher
Verbandstag des Deutschen Anglerverbandes der DDR. Neuer Präsident: Bernd Miukulin.
Verbandstag Gewichtheber und Fitness.
Neuer Präsident: Dr. Siegfried Schmücking.
22.04.1990
Güstrow: Nach 19 Jahren veranstaltet der
ADMV wieder einen WM-Lauf in Güstrow.
In einem Rundfunkinterview plädiert Cordula Schubert, neue Ministerin für Jugend
und Sport der DDR, für ein gemeinsames
Olympiateam 1992.
25.04.1990
Berlin (West): Pressekonferenz des DSBPräsidenten Hans Hansen. Die DSBFührung strebe eine großzügige Zusammenarbeit mit dem DDR-Sport ohne voreilige Zusammenschlüsse an.
Olaf Ludwig im Interview mit dem Magazin „Playboy“: „DDR-Sportsystem war
gut“.
Günter Radowski, DDR-Boxtrainer, ist in
die Bundesrepublik übergesiedelt.
Strausberg: Gründung des Brandenburgischen Judoverbandes e. V. aus Vertretern
der drei Bezirke Frankfurt (Oder), Potsdam
und Cottbus. Präsident: Henry Hempel.
21./22.04.1990
Dresden: Gründung des Deutschen GolfVerbandes der DDR. Präsident: Bernd Rudolph.
Leipzig: Gründung des Judoverbandes
Sachsen.
42
Süddeutsche Zeitung 06.04.1990
Die Methode des Artikels 23 als Favorit
Die Vereinigung der deutschen Sportverbände soll sich nach dem politischen Weg richten
Hannover (dpa) – Der Fahrplan
zur Einigung des deutschen Sports
nimmt Konturen an. Schon bis
Ende Juni wollen der Deutsche
Sportbund (DSB) und der Deutsche
Turn- und Sportbund (DTSB) der
DDR verbindlich vereinbaren,
unter welchen Bedingungen und in
welcher Form sich der Zusammenschluß des Sports der Bundesrepublik und der DDR vollziehen
soll. Darauf verständigten sich
DSB-Präsident Hans Hansen und
DTSB-Präsident Martin Kilian bei
ihrem ersten Sportgipfel am Donnerstag in Hannover. „Wir haben
beide auf das Tempo gedrückt. Bei
der Klärung der Fragen darf es
keinen Aufschub geben. Bis Ende
Juni wollen wir das Konzept für die
Einheit des Sports in Deutschland
auf den Tisch legen“, erklärten
Hansen und Kilian übereinstimmend.
Beide Spitzenfunktionäre hielten
schon für die Olympischen Spiele
1992 in Albertville und Barcelona
ein gemeinsames Olympiateam für
möglich, wobei das Prinzip gelten
soll: Zwei Länder, zwei Mannschaften – ein Land, eine Mannschaft. Kilian meinte dazu: „Sollte
die staatliche Einheit in der Zeit
Sommer/Herbst 1991 erfolgen,
dann gebe ich zu bedenken, in
Albertville noch mit zwei Mannschaften anzutreten.“ Hansen und
Kilian verwiesen in diesem Zusammenhang auf die Zuständigkeit
der beiden deutschen Nationalen
Olympischen Komitees (NOK),
denen sie wie den nationalen Fachverbänden der Bundesrepublik
Süddeutsche Zeitung 6. April 1990
und der DDR empfahlen bis Jahresmitte die Konzepte ihrer Zusammenschlüsse zu vereinbaren.
„Es war das wichtigste Zusammentreffen zwischen DSB und
DTSB in den letzten Jahrzehnten.
Bei dem hervorragenden Gespräch
gab es weitgehende Übereinstimmung“, erklärte Hansen nach dem
dreistündigen Treffen mit Kilian,
an dem auch beide Generalsekretäre Norbert Wolf (DSB) und Jochen
Grünwald (DTSB) teilnahmen.
Hansen und Kilian vereinbarten
schon für den 18. April in OstBerlin die ersten Verhandlungen
von Präsidialkommissionen von
DSB und DTSB. Die weiteren
Spitzentreffen dieses Lenkungsausschusses, in dem Hansen und Kilian
abwechselnd den Vorsitz übernehmen, wurden für den 23. März
(West-Berlin) und den 28. Juni
festgelegt. Für die Bereiche Leistungssport, Breitensport, Strukturen
und Wissenschaft werden vier gemeinsame Kommissionen schon
demnächst ihre Arbeit aufnehmen.
„Zu unseren Übereinstimmungen
gehörte auch, daß der künftige
gesamtdeutsche Sport föderativ
aufgebaut und von der Gemeinnützigkeit getragen sein muß“, berichtete Hansen. Der DTSB, der rund
drei Millionen Mitglieder hat
(DSB: 20 Millionen), war bis zur
politischen Wende in der DDR
strikt zentralistisch ausgerichtet.
Der Sport will sich jedoch nicht
nur im Tempo der Vereinigung an
der Politik ausrichten, sondern auch
in der Methode. „Sollte die deut-
sche Einheit nach Artikel 23 des
Grundgesetzes erfolgen, also durch
Beitritt der DDR zur Bundesrepublik, dann wird es auch im Sport
eine Entsprechung geben“, sagte
Hansen. Kilian meinte dazu:
„Wenn Parlamente und Regierungen den Artikel 23 als Grundvoraussetzung annehmen, wird der
Sport in gleicher Weise reagieren.“
Hansen war mit dem Ziel in diese
erste Gesprächsrunde mit dem
DTSB gegangen, „unter dem Dach
des DSB das Bewährte des DDRSports einzubringen.“
Kilian kündigte an, daß sich
schon unmittelbar nach der Bildung
der Länder in der DDR Landessportbünde nach dem Vorbild der
Bundesrepublik gründen würden.
Er könne sich vorstellen, „daß
Berlin sich nicht nur als gemeinsame Olympia-Stadt profilieren wird,
sondern auch als eine Sportunion
Berlin“, in der modellhaft die künftige Zusammenarbeit des deutschdeutschen Sports erfolgen sollte.
Als „größtes Problem“ der deutschen Sportvereinigung bezeichnete Hansen den Bereich der Fachverbände. Ihr Zusammenwachsen
sei auch abhängig von der Zustimmung der zuständigen internationalen Verbände, die darüber entscheiden würden, wann es zur
Bildung jeweiliger gemeinsamer
Nationalmannschaften
kommt.
Kilian wagte als persönliche Prognose, daß es „in einem Jahr oder in
eineinhalb Jahren“ einen einzigen
deutschen Sportbund geben werde.
Chronik April 1990
43
26.04.1990
Vorschlag von NOK –Präsident Heinze für
eine gemeinsames Olympisches Komitee.
28.04.1990
Gera: Die erste deutsch-deutsche Allkategorien-Meisterschaft der Gewichtheber.
Leipzig:
gleich.
Deutsch-deutscher
Tennisver-
Berlin: Gründung des BTSV, Bund technischer Sportverbände.
Verbandstag Badminton. Neuer Präsident:
Gerd Pigola.
Verbandstag Leichtathletik. Neuer Präsident. Professor Dr. Gerd Schröter.
28./29.04.1990
Dresden: Gründung des Deutschen Eishockeyverbandes der DDR. Präsident: Heinz
Illing.
Wendeverbandstage der Sportfachverbände der DDR
28./29.04.1990
„ND“-Gespräch mit Cordula Schubert zur
Finanzierung des Sports und über den
Entwurf des DTSB zu einem Sportgesetz.
Verbandstag Rudern. Neuer Präsident:
Alfred B. Neuman.
28.04.-01.05.1990
Rostock: Ost-West-Surf-Cup 90.
Verbandstag Faustball. Neuer Präsident:
Professor Dr. Heinz Frankiewicz.
29.04.1990
Werder/Potsdam: Erster deutsch-deutscher
Vergleich zwischen Wasserskisportlern.
Verbandstag Rennschlitten/Bobsport. Präsident: Karl-Heinz Anschütz.
Verbandstag Judo. Neuer Präsident: Dr.
Erhard Buchholz.
Verbandstag Ski in Wernigerode. Neuer
ehrenamtlicher Präsident Ulrich Wehling.
Verbandstag Radsport. Neuer Präsident:
Wolfgang Schoppe.
Verbandstag Ringen. Neuer Präsident:
Heinz Weinhold.
Verbandstag Segeln. Neuer Präsident:
Walter Kaczmarczyk.
30.04.1990
Berlin (Ost): Neuer DTSB-Bezirksvorsitzender: Dr. Wolfgang Schmahl.
Westdeutsches Versicherungsunternehmen
„Nürnberger“ wird neuer Hauptsponsor
des Deutschen Handballverbandes der
DDR.
44
April 1990 – Eine Collage
Chronik Mai 1990
45
Mai 1990
01.05.1990
Berlin: Olympiasieger beider deutscher
Staaten sprechen sich auf einem Treffen
für ein gemeinsames deutsches Team aus.
02.05.1990
DDR-Handball-Auswahlspieler
Fuhrig
wird von Wallau-Massenheim unter Vertrag genommen.
03.05.1990
Die beiden DDR-Eishockey-Klubs EHC
Dynamo Berlin und Dynamo Weißwasser
werden ab der Saison 1990/91 am Spielbetrieb der zweiten westdeutschen Eishockey-Bundesliga teilnehmen.
04.05.1990
Verbandstag des DTTV der DDR (Tischtennis). Demokratisierung des Verbandes.
05.05.1990
Wendeverbandstage der Sportfachverbände der DDR
Verbandstag Handball. Präsident Professor
Dr. Hans-Georg Herrmann wird im Amt
bestätigt.
Verbandstag Schwimmen. Neuer Präsident: Wilfried Windolf.
Verbandstag Kegeln. Neuer Präsident:
Gerhard Rostalski.
Verbandstag Tischtennis. Präsident Werrner Lüderitz wird in seinem Amt bestätigt.
Verbandstag Hockey. Neuer Präsident: Dr.
Günther Conradi.
Verbandstag Bogenschießen. Präsident Dr.
Günther Kohl wird in seinem Amt bestätigt.
Verbandstag Billard. Präsident Rolf Weiß
wird in seinem Amt bestätigt.
Verbandstag Rollsport. Neuer Präsident:
Horst Leonhardt.
05.05.1990
Zinnwald: Gründung eines selbstständigen
Fachverbandes der Kunstläufer. Präsident:
Reinhard Mirmseker.
Berlin: Gründung eines selbstständigen
Fachverbandes Eisschnelllauf.
Der Deutsche Boxverband der DDR beschließt die Bildung von Olympialeistungszentren in Schwerin, Berlin, Cottbus
und Halle.
Turnweltmeister Andreas Wecker kehrt
zum 1. SC Berlin zurück.
Cottbus: Fußballfreundschaftsspiel der
Altinternationalen der Bundesrepublik und
der DDR.
07.05.1990
Berlin:
Gespräch
zwischen
DDRSportministerin Cordula Schubert und dem
Präsidenten des Westberliner Landessportbundes, Manfred von Richthofen. Die
Sportanlagen sollen dem Vereinsleben
dienen.
08.05.1990
Berlin: Erstes Gespräch zwischen Cordula
Schubert und dem in der Bundesrepublik
für Sport zuständigen Innenminister, Dr.
Wolfgang Schäuble, über das Zusammenwachsen des deutschen Sports.
Königswinter/Bonn: Gemeinsame Tagung
von ost- und westdeutschen Sportjournalisten. DFB-Schatzmeister Egidius Braun
wird für das zögerliche Einheitstempo des
DFB scharf attackiert.
46
Tod einer Massenorganisation (II) – Der innere und äußere Machtverlust des DTSB
Jutta Braun
Tod einer Massenorganisation (II)
Der innere und äußere Machtverlust des
DTSB
von Jutta Braun
Mai 1990. Der „Außerordentliche Turn- und
Sporttag“ am 4. März 1990 sollte einen Neuanfang markieren. Doch hatten die ersten
freien Wahlen im DTSB von Beginn an einen entscheidenden Geburtsfehler: Die Delegierten des Turn- und Sporttages selbst
waren nicht aus einem demokratischen
Wahlverfahren hervorgegangen, sondern
nach altbekannter zentralistischer Manier
delegiert worden; der Wahl eines neuen
DTSB-Vorsitzenden fehlte damit von vornherein eine überzeugende Legitimation. Bedrückung und Untergangsstimmung prägten
die Veranstaltung: Vergeblich bemühte sich
das Präsidium, einen neuen Kapitän für das
leckgeschlagene Flagschiff des Staatssports
zu finden. Ein potentieller Kandidat nach
dem anderen erläuterte schulterzuckend dem
Plenum, weshalb er die Aufgabe nicht annehmen könne: der Präsident des Faustballverbandes „bedauerte außerordentlich“,
Sportidol Täve Schur verwies unter dem
Beifall der Delegierten auf sein Engagement
bei der PDS als Entschuldigung. Schließlich
erbarmte sich der Präsident des Schlittenund Bobsportverbandes, der damals 61 Jahre
alte Bürgermeister von Wernigerode, Martin
Kilian. Als einziger Kandidat stellte er sich
in Ost-Berlin den 1067 Delegierten – und
wurde dankbar gewählt. Der „Hans Modrow
des Sports“ war gefunden.
Die kommenden Monate sollten für den letzten Präsidenten des DTSB nicht leicht werden: Mit einem rapiden Personalabbau lösten
sich die hypertrophen Strukturen des mit
über 10.000 Beschäftigten aufgeblähten Apparates bereits seit Frühjahr 1990 auf. Der
innere Zerfall war begleitet vom äußeren
Bedeutungsverlust. Die wichtigste Maßnahme des ostdeutschen Sportministeriums war,
wie der damalige Referent Karl Hans Pezold
es formulierte, der Massenorganisation nicht
länger „einen Geldkoffer vor die Tür zu stel-
len“. Mit der Entscheidung, dem DTSB die
Finanzmittel zu entziehen und diese künftig
direkt den Fachverbänden zuzuleiten, leistete
die Ministerin Cordula Schubert im Mai
1990 den entscheidenden Beitrag zur Herstellung der Autonomie des Sports. Bislang
hatte der DTSB durch die dirigistische Verteilung der Mittel selbstherrlich über Wohl
und Wehe vieler Sportarten entschieden –
dies sollte nun ein Ende finden. Schubert
wurde mit dieser Entscheidung allerdings zu
einer der bestgehassten Personen der ostdeutschen Regierung. Auf der einer sozialistischen Wagenburg ähnelnden Tagung in
Kienbaum Mitte Mai forderte der DTSB
ihren Rücktritt, führende Tageszeitungen der
DDR stimmten ein. Aus der späteren Einsicht in Verstrickungen der Funktionäre und
Pressevertreter mit der Staatssicherheit sieht
Cordula Schubert diese Front rückblickend
als gezielte Kampagne: „Die haben damals
massiv gegen mich gehetzt, und ich weiß
mittlerweile auch bewiesen, warum. Das war
ihr Kampfauftrag.“
Der DTSB spielte in den deutsch-deutschen
Vereinigungsverhandlungen als Partner des
DSB nur kurzzeitig eine Rolle. Schäuble und
Schubert signalisierten jedoch dem Deutschen Sportbund, dass nicht die Massenorganisation der alten SED-Kader, sondern das
Sportministerium der ersten demokratisch
gewählten DDR-Regierung der angemessene
Ansprechpartner sei. Mit dem Zusteuern auf
die deutsche Einheit hatte der DTSB seinen
sicheren organisatorischen Tod vor Augen.
Als Massenorganisation hatte er die ideologisch zugeschriebene Aufgabe, als „Transmissionsriemen“ der führenden Partei der
Arbeiterklasse zu wirken. In Ermangelung
einer diktatorischen Einheitspartei erübrigte
sich diese Mission. Eine „Massenorganisation des Sports“ war, ebenso wie diejenigen
der Jugend und Gewerkschaft, dem staatlichen und sportlichen Gefüge einer westlichen Demokratie systemfremd und damit
nicht integrierbar. Zum 5. Dezember 1990
beschloss der ohnmächtige Riese DTSB seine Selbstauflösung.
Chronik Mai 1990
47
09.05.1990
Potsdam/Babelsberg: Erstes und einziges
Fußball-Länderspiel
der
FrauenNationalmannschaft gegen die CSFR (0:3).
Hameln: Mit Matthias Hahn wechselt der
dritte Handballer von SC Empor Rostock
zum VfL Hameln.
Erklärung des DTSB: Das Präsidium übt
Kritik an DDR-Sportministerin Cordula
Schubert.
Rundschreiben des Bezirksfachausschusses
Fußball: Ab Herbst 1990 soll es eine Landesliga Brandenburg geben.
10.05.1990
Der Fußballverband der DDR (DFV der
DDR) hat eine Nachricht über den Verzicht seiner Nationalmannschaft für die
kommende EM-Qualifikation dementiert.
Berlin: Erste Beratung der gemeinsamen
Arbeitsgruppe DTSB/DSB. Es kommt zu
einer Annäherung beim Thema Breitensport.
Die Fußballer Frank Rohde und Thomas
Doll wechseln von FC Berlin zum Hamburger SV. Nach der Spielzeit 1989/90
wechselten außerdem Ulf Kirsten, Matthias
Sammer, Hans Uwe Pilz, Matthias
Döschner, Andreas Trautmann (alle Dynamo Dresden), Wolfgang Steinbach (1.
FC Magdeburg) und Joachim Streich
(Trainer 1. FC Magdeburg) in die Bundesligen.
11.05.1990
Berlin: Gespräch zwischen Staatssekretär
Dr. Horst Iske und DTSB-Präsident Martin
Kilian. Missverständnisse über die Äußerungen von Sportministerin Cordula Schubert werden angeblich ausgeräumt.
München: Außerordentlicher Verbandstag
des Deutschen Eishockeybundes (DEB).
Die Vereinigung der Eishockeyverbände
der beiden deutschen Staaten ist nahezu
perfekt.
12.05.1990
Kienbaum: Auf der zweiten Bundesvorstandstagung des DTSB wird der Rücktritt
von Sportministerin Cordula Schubert gefordert.
Gründung des Triathlonverbandes und des
Karateverbandes der DDR.
Frankfurt (Oder): Gründung des Brandenburgischen Volleyballverbandes. Präsident:
Gerhard Frommert.
Magdeburg: Präsidiumstagung des Basketballverbandes der DDR. Als neuer Präsident wird Dr. Volkard Uhlig gewählt.
Eine engere Zusammenarbeit vereinbaren
der Deutsche Behindertensportverband
(DBS) und der Verband für Versehrtensport der DDR.
13.05.1990
Der Präsident des Deutschen Sportbundes,
Hans Hansen, rechnet erst nach Vollzug
der staatlichen Einheit mit einer Vereinigung des Sports.
14.05.1990
Gründung des Landesverbandes BerlinBrandenburg der Gehörlosensportler.
15.05.1990
Sportministerin Cordula Schubert spricht
sich gegen eine weitere finanzielle Unterstützung des hauptamtlichen Apparates des
DTSB aus. Ein vereinbartes Gespräch mit
DTSB-Präsident Martin Kilian wird abgesagt. DSB-Präsident Hans Hansen bekräftigt dennoch die weitere Zusammenarbeit
mit dem DTSB.
16.05.1990
Die besten Schwimmer der DDR und der
Bundesrepublik planen ein deutschdeutsches Anti-Doping-Pilotprojekt.
48
Frankfurter Allgemeine Zeitung 09.05.1990
„Habe nie den Wunsch geäußert, gesamtdeutscher Präsident zu werden“
DSB-Präsident dementiert Machtanspruch
Hansen will Einheit ohne Vereinnahmung
Jöh. KÖNIGSWINTER. „Ich habe
nie den Wunsch geäußert, gesamtdeutscher Präsident zu werden.“ So
hat Hans Hansen, Präsident des
Deutschen Sportbundes (DSB), am
Dienstag entsprechende Meldungen
zurückgewiesen. Einen Tag nach
einem Meinungsaustausch mit
Bundesinnenminister Schäuble und
Staatssekretär Walter Priesnitz vom
Bundesministerium für Innerdeutsche Beziehungen sprach Hansen
gestern in Königswinter bei der
dritten deutsch-deutschen Sportjournalisten-Tagung, der ersten
nach der politischen Wende in der
DDR. Der DSB-Präsident bekräftigte seinen Standpunkt, die Vereinigung des Sports mit Ruhe, Sachlichkeit und Fingerspitzengefühl zu
betreiben. Deshalb verzichte er
darauf, Machtansprüche zu äußern,
die einige im deutschen Sport gerne
von ihm sähen. „Die Vereinigung
des Sports muß nach Form und Zeit
wie die staatliche Vereinigung
ablaufen. Deshalb macht sich der
Sport aber nicht von der Politik
abhängig“, sagte der DSBPräsident.
Bis Ende Juni, so Hansen, müsse
aber die „grobe Richtung“ für die
Vereinigung von Deutschem Sportbund (21 Millionen Mitglieder) und
Deutschem Turn- und Sportbund
(DTSB) der DDR (3 Millionen
Mitglieder) feststehen. Eine bloße
Vereinnahmung des kleineren Verbandes lehnt Hansen dabei ebenso
ab wie Alleingänge von sich gründenden Fachverbänden in den künf-
tigen Ländern der DDR, die lieber
heute als morgen die Einheit mit
ihren westlichen Partnerorganisationen vollzögen. Bis Ende dieses
Jahres erwartet Hansen die Gründung von Landessportbünden in der
DDR und somit neue Impulse für
die Vereinigung.
Bis dahin will Hansen keine falschen Hoffnungen wecken. Die
Auszehrung des DDR-Sports durch
die Übersiedlung zahlreicher Aktiver könne der DSB so wenig verhindern, wie er bei einer sportlichen Einheit zum jetzigen Zeitpunkt auch nur in Ansätzen den
Bestand des DDR-Sports finanzieren könnte. Schon die in die Höhe
geschnellte Zahl von deutschdeutschen Sportbegegnungen stellt
den DSB vor Schwierigkeiten. Das
Ministerium für Innerdeutsche
Beziehungen wird nicht mehr als
fünf Millionen Mark zur Verfügung
stellen; gleichgültig, wie hoch die
Zahl der ursprünglich 4000 geschätzten Begegnungen am Ende
dieses Jahres sein wird. Hansen
erwartet etwa 6000 Begegnungen.
Nicht alle werden nach dem bisherigen Muster unterstützt werden
können, so daß zu erwarten ist, daß
von einem bestimmten Zeitpunkt
dieses Jahres an nur noch partiell
finanzielle Hilfe geleistet werden
kann. Zum Beispiel für Jugendbegegnungen.
„Diesen Prozeß der Einheit zum
Abschluß zu bringen, ist eine reizvolle Geschichte, deshalb werde
ich im Dezember wieder kandidie
Frankfurter Allgemeine Zeitung 9. Mai 1990
ren“, sagte Hansen und deutete
damit an, daß er doch der erste
gesamtdeutsche Sportpräsident sein
könnte. Sein am 18. März gewählter DTSB-Kollege Martin Kilian
hat in seiner Antrittsrede ja herausgestellt, daß er sich nur als „Übergangspräsident“ ansehe. Am 3. Mai
war Hansen vier Jahr lang im Amt,
für vier weitere Jahre wird er sich
am 15. Dezember in Hannover zur
Wahl stellen. Über den Zeitpunkt
dieses seit langem geplanten DSBBundestages will er nicht mit sich
reden lassen. Die ohnehin aus organisatorischen Gründen schon um
ein halbes Jahr verlängerte Amtszeit so lange auszudehnen, bis der
vereinte deutsche Sport seinen
Präsidenten wählen kann, bereite
ihm „rechtspolitische Bedenken“.
Nach der Vereinigung, zu welchem
Zeitpunkt auch immer, setzt Hansen auf „klare Verhältnisse“. Das
heißt, er zieht in diesem Fall Präsidiumsneuwahlen der Möglichkeit
vor, die Zahl der Vizepräsidenten
im DSB zu erhöhen und dann ehemalige DDR-Funktionäre hinzuzuwählen. Am 15. Dezember, so
Hansen, habe der Deutsche Sportbund die Möglichkeit zu Satzungsänderungen im Hinblick auf die
Einheit.
„Die Vereinigung ist auch eine
Chance für den DSB“, sagte Hansen in Köngiswinter. Reformbedürftig sei beispielsweise die Arbeit auf dem Gebiet Sport und
Umwelt. Die Aufgaben verdienten
den gleichen Stellenwert wie der
Leistungssport.
Chronik Mai 1990
17.05.1990
Im Magazin „Stern“ dementiert Katarina
Witt Vorwürfe, sie habe für das Ministerium für Staatssicherheit gearbeitet.
19.05.1990
Berlin (West): Erste gemeinsame Präsidiumstagung von DFB und DFV am Rande
des DFB-Pokalfinales: Vereinigung nicht
vor März/April 1992 geplant. Gemeinsamer Spielbetrieb startet mit der Saison
1992/93.
Berlin (West): Badminton-Ländervergleich
der beiden deutschen Staaten.
Berlin (Ost): Arbeitstagung des NOK der
DDR. Neuwahlen am 16. Juni 1990 in
Kienbaum.
21.05.1990
Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“
titelt: „ Fußballabteilung mit Verlängerung.
DFB und DFV fusionieren erst 1992. Präsident Neuberger verzögert das Tempo der
Vereinigung.“
22.05.1990
Auf dem achten Verbandstag des Deutschen Turnverbandes (DTV) der DDR
wird eine Erklärung zur baldigen Zusammenführung des DTV der DDR mit dem
Deutschen Turnerbund (DTB) verabschiedet. Präsident: Professor Dr. Günther
Borrmann.
49
ausüben wolle und eine schnellere Vereinigung der beiden deutschen Fußballverbände fordere.
26.05.1990
Bernau: Gründung des Brandenburgischen
Basketballverbandes e. V.
27.05.-03.06.1990
Bochum/Dortmund: Deutsches Turnfest.
Die Teilnehmerzahl liegt bei 87.242, darunter zahlreiche Sportler aus der DDR.
28.05.1990
Bonn: Zweites Gespräch zwischen DDRSportministerin Cordula Schubert und
Bundes-Innenminister Wolfgang Schäuble.
29.05.1990
Interview mit NOK-Mitglied Dr. Horst
Meyer in „Neue Zeit“: Meyer spricht sich
für frühzeitige Auswahlkriterien für ein
gemeinsames Olympiateam 1992 aus.
30.05.1990
Madrid: DTSB-Präsident Martin Kilian
und der Präsident des Obersten Sportrates
von Spanien, Javier Gomez Navarro, unterzeichnen ein Abkommen zur Entwicklung der Sportbeziehungen beider Länder.
31.05.1990
Bonn: Zum ersten Mal treffen sich die
CDU-Sportausschüsse beider deutscher
Staaten.
Potsdam: Gründung des 1. Potsdamer
Schwimmvereins.
Berlin: Gründung des Turn- und Sportbundes Berlin e. V.
24./25.05.1990
Berlin: Boxgipfel zwischen Delegationen
des Deutschen Boxverbandes (DBV) der
DDR und des Deutschen AmateurBoxverbandes (DABV) der Bundesrepublik. Vereinigung für 1991 vorgesehen,
eine gemeinsame Boxliga aber bereits im
laufenden Kalenderjahr.
Strausberg: Gründung eines Bundes deutscher Fußballtrainer. Präsident: Heinz
Werner.
25.05.1990
Köln: Der „Kölner Express“ berichtet, dass
die Bundesregierung auf den DFB Druck
50
Mai 1990 – Eine Collage
Chronik Juni 1990
Juni 1990
01.06.1990
Eigentumsrechte an Sportanlagen und
Sportstätten der DDR sollen den Gemeinschaften und Vereinen übertragen werden
(Gespräch zwischen Dr. Horst Iske, Staatsekretär im Ministerium für Jugend und
Sport, und DTSB-Vizepräsidentin, Dr.
Margitta Gummel).
Bonn: Pressekonferenz mit DDR-Sportministerin Cordula Schubert. Kein Schulterschluss mit dem DTSB. Gemeinsamer
Qualifikationsmodus für Olympia 1992
gefordert.
01./02.06.1990
Kienbaum: Die Vertreter der beiden deutschen Leichtathletikverbände vereinbaren,
eine gemeinsame Vorbereitung für die zu
erwartende gemeinsame Mannschaft zu
den Olympischen Spielen 1992 in Barcelona. Einig ist man sich darüber, dass die
diesjährigen Europameisterschaften in
Split und die im kommenden Jahr in Tokio
auf dem Programm stehenden Weltmeisterschaften mit getrennten Mannschaften
bestritten werden sollten.
Professor Dr. Manfred Steinbach, Sportwart des DLV, wollte damit jeweils drei
Athleten aus jedem Verband den Start ermöglichen, um dadurch eine starke Olympiamannschaft zu formieren.
04.06.1990
Unter der Überschrift „Westdeutsche
Klubs plündern den Amateursport der
DDR systematisch aus“ addiert der „Spiegel“ die bisherigen Verluste der jetzt schon
„Konkursreifen Medaillenfabrik DDR“.
Durch den anhaltenden Aderlass, so der
„Spiegel“, ist das konsequent auf Leistungssport ausgerichtete ostdeutsche Sport-
51
system ein halbes Jahr nach Öffnung der
Mauer in vielen Bereichen praktisch zusammengebrochen.
06.06.1990
Der „Spiegel“ meldet, dass mehr als 200
DDR-Spitzensportler in die Bundesrepublik übergesiedelt sind.
08.06.1990
Potsdam: Pressekonferenz mit DDRSportministerin Cordula Schubert. Im bisherigen Haushaltsentwurf seien nur neun
Millionen Mark für Jugend und Sport vorgesehen.
Ende des BSG-Sports: Regierung entbindet
Betriebe von der „Alimentation“ des Betriebssports.
10.06.1990
Die „Berliner Morgenpost“ meldet:
„Richthofen mahnt zur Eile, weil sonst
Berlins Olympia-Chancen sinken.“
11.06.1990
Frankfurt am Main: Der Deutsche Ringerbund der Bundesrepublik bietet dem DDRRingerverband den Anschluss an.
12.06.1990
Bad Blankenburg: Mit dem „Thüringischen Fußballverband“ gründet sich der
erste Fußball-Landesverband auf dem Territorium der DDR. Dieser setzt sich aus
den Bezirken Gera, Suhl und Erfurt zusammen. Präsident: Werner Triebel.
13.06.1990
Interview mit Willi Daume in der „FAZ“:
„Deutschland über alles wird man vom
Sport nicht hören.“
52„Was ist lila und pfeift zur Halbzeitpause?“ – Sponsoring weckte große Hoffnungen, erfüllte aber nicht alle Erwartungen
Jutta Braun
„Was ist lila und pfeift zur Halbzeitpause?“
Sponsoring weckte große Hoffnungen,
erfüllte aber nicht alle Erwartungen
von Jutta Braun
Juni 1990. Die Hoffnungen des DDR-Sports
auf westdeutsche Sponsoren waren groß, jedoch lautete das Fazit nach einem halben Jahr
offener
Grenzen:
vor
allem
DDRAuswahlmannschaften und Top-Ereignisse
wurden gesponsert. Vermarktungs- und Vermittlungsagenturen schossen aus dem Boden
und überschütteten westdeutsche Unternehmen
mit Angeboten, die vom Eiskunstlauf bis zu
lokalen Sporttagen reichten. Volvo, international eher auf Golfsport konzentriert, sah in den
DDR-Leichtathletinnen einen Werbepartner,
die männlichen Leichtathleten erhielten Unterstützung von Grundig. Eberhard König, Trainer der DDR-Läuferinnen, wünschte sich, dass
der Einfluss der Bundesrepublik „noch wesentlich deutlicher und energischer wird“, um wenigstens bewährte Strukturen aufrechterhalten
zu können. Zum schnelleren Auftauen der
deutsch-deutschen Sportbeziehungen trug eine
Tiefkühlfirma bei, indem sie die Bildung und
Finanzierung einer deutsch-deutschen 4 mal
400 Meter Staffel der Frauen sicherstellte. Das
Unternehmen unterstützte die gemeinsame
Vorbereitung der Läuferinnen in Trainingslagern mit Fahrzeugen, Lebensmitteln, Arznei,
Geräten und Geld. Auch andere Sportarten
kooperierten mit West-Firmen: Die Trikots der
Volleyball-Nationalmannschaft zierte bald der
Wella–Schriftzug;
die
Handball-Männer
schlossen nacheinander Vereinbarungen mit
Kaufhof, Henkel sowie der Nürnberger Versicherung. Eine besondere Werbe-Mission hatten die Neubrandenburger Handball-Frauen zu
erfüllen: Sie popularisierten auf ihren Trikotärmeln die Produkte der Firma Beate Uhse.
Durch Sponsoren wurden auch neue Veranstaltungsformen ermöglicht, so finanzierte die
Volkswagen AG das erste Grand Prix Turnier
der DDR im September 1990 in Leipzig. Die
Zuschauerkapazität in der Leipziger Messehalle wurde für diesen Event, an dem die Weltranglistenerste Steffi Graf und weitere internationale Spitzenspielerinnen teilnahmen, eigens
um 10.000 Plätze erweitert. „Der Tennissport
wird in der DDR hierdurch einen Aufschwung
nehmen, das Zuschauerinteresse ist schon jetzt
riesengroß“ freute sich Hans Joachim Petermann, Präsident des Tennisverbandes der
DDR. Der jahrelang als Sport II klein gehaltene Tennisverband ernannte eigens einen „Generalbevollmächtigten für Sponsorenverhandlungen mit der Bundesrepublik,“ den Posten
übernahm
der
siebzehnfache
DDREinzelmeister Thomas Emmrich aus Magdeburg. Denn ein Traum war noch nicht verwirklicht: Man hoffte, dass mit Hilfe von Sponsoren endlich die erste Tennishalle in der DDR
gebaut werden könne.
Der Fußball war für Sponsoren ein besonders
attraktives Feld: Die Hamburger Film- und
Fernsehgesellschaft Ufa erwarb die Vermarktungsrechte für die Bandenwerbung in den
Fußball-Oberliga-Stadien von Dresden, KarlMarx-Stadt, Jena und Erfurt. Vor allem Automobilfirmen, Versicherungen, Getränkehersteller, Reiseveranstalter und Warenhausketten
engagierten sich. Jägermeister unterstützte den
FC Magdeburg, die Vereinte Versicherung den
Klub Lok Leipzig, TUI stieg bei Dynamo Berlin ein.
Die skurrilen Seiten westlicher Vermarktungsstrategien mussten allerdings die Rostocker
erleben. Für ein Freundschaftsspiel im Februar
1990 zwischen Bremen und Rostock hatte der
Manager des SV Werder, Willi Lemke, die
Firma Milka als Sponsor gewonnen. Eine aufgeblasene Plastikkuh sorgte auf dem Rostocker
Marktplatz für Aufsehen, insgesamt wurden
eine Million Schokoriegel zu Dumpingpreisen
an DDR-Bürger gebracht. Während diese Begleiterscheinungen noch freundlich aufgenommen wurden, sorgte ein weiterer Werbegag denn doch für Stirnrunzeln: Unter Lemkes
Motto „Es muss mehr Farbe ins Spiel“ absolvierte der Fifa-Schiedsrichter Siegfried Kirschen aus Frankfurt (Oder) die Begegnung im
lila Dress. „Was ist lila, steht auf dem Rasen
und pfeift zur Halbzeitpause?“ wurde daraufhin zur spöttischen Scherzfrage unter Rostocker Bürgern.
Chronik Juni 1990
13./14.06.1990
Die „Süddeutsche Zeitung titelt: „Sporteinheit ein fließender Prozess“. Die Einheit
im deutschen Sport, so meint der Präsident
des Deutschen Sportbundes (DSB), Hans
Hansen, „ wird zu verschiedenen Terminen
hergestellt werden.“ Mit dieser Erklärung
bezog Hansen Stellung zu den Positionen
einiger bundesdeutscher Fachverbände in
der Frage der deutschen Sporteinheit und
nahm gleichzeitig Abschied von dem Verhandlungsaktionismus
des
DSBPräsidenten in den ersten fünf Monaten
nach dem Mauerfall. „Es kann keine Rede
davon sein, dass die Identität des Deutschen Sportbundes aufgelöst wird zugunsten einer Deutschen Sport-Union als Dachverband über der zu schaffenden Einheit.“
14.06.1990
Berlin: Gerhard Mayer-Vorfelder, der Vorsitzende des Bundesligaausschusses und
Präsident des VfB Stuttgart, plädiert in
einem Interview mit der „Stuttgarter Zeitung“ für einen schnellen Zusammenschluss.
Frankfurt (Oder): 1. Meisterschaften Brandenburg/Berlin im Gewichtheben.
16.06.1990
Kienbaum: Mitgliederversammlung des
NOK der DDR. Professor Dr. Dr. Joachim
Weiskopf wird zum neuen Präsidenten
gewählt. Das NOK der DDR stellt die
Weichen für die Vereinigung. Weiskopf
sieht seine Hauptaufgabe darin, eine gemeinsame Olympiamannschaft Deutschlands 1992 in Albertville und Barcelona zu
bilden. Eine frühest-mögliche Fusion der
beiden deutschen NOK solle deshalb angestrebt werden, wobei Weiskopf Ende dieses oder Anfang nächsten Jahres als realistische Termine ansieht. Deshalb sollten
auch schon 1991 an Europa- und Welt-
53
meisterschaften die Deutschen gemeinsam
starten.
Düsseldorf: Gespräch des „Sportinformationsdienstes“ mit dem Direktor des Forschungsinstituts für Körperkultur und
Sport in Leipzig, Professor Harold Tünnemann. Der DDR-Sport wird sich bei der
deutschen Vereinigung an die bestehenden
Sportstrukturen der Bundesrepublik anschließen, so Tünnemann.
18.06.1990
Der Fußballverband der DDR (DFV) will
die Vereinigung vor 1992. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erklärt DFVPräsident Hans-Georg Moldenhauer: „Wir
müssen jetzt das Vereinigungstempo anziehen. Die Integration des DDR-Fußballs
in die bundesdeutschen Liga-Systeme
muss zur Saison 1991/92 kommen.“
19.06.1990
Der DTSB kündigt eine umfassende Entlassungswelle an. Bis zum 30.6.90 werden
8.000 Mitarbeiter entlassen – rund 2.500
weitere Mitarbeiter werden folgen.
Washington: Sportexperten aus den USA
empfehlen dem NOK der USA den Kauf
von ostdeutschem Sport Know-How.
Die „Märkische Oderzeitung“ meldet:
„Ausverkauf des DDR-Handball geht weiter“.
Die „Neue Fußballwoche“ schreibt, dass
sich die DDR-Zweitliga-Teams Dynamo
Fürstenwalde, KWO Berlin, Chemie Buna
Schkopau und MSV Eisleben aus finanziellen Gründen aus dem Spielbetrieb zurückziehen.
54
Frankfurter Allgemeine Zeitung 25.06.1990
Der Hauptausschuß des Deutschen Sportbundes präsentiert ein Fünf-Punkte-Programm
Mit voller Fahrt und klarem Kurs Richtung Sporteinheit
TRAVEMÜNDE. Die Zonengrenze
vor Augen, sprachen am Samstag die
Delegierten des Deutschen Sportbundes
(DSB) über die deutsche Vereinigung.
Nach Wochen der Unsicherheit und
Konzeptionslosigkeit scheint der DSB
auf der 37. Hauptausschußsitzung in
Travemünde seinen Kurs gefunden zu
haben. Vielleicht hat die maritime
Umgebung dazu beigetragen, das
schlingernde Schiff zu stabilisieren und
auf Fahrt zu bringen. Nach lebendigen
Diskussionen mit den Sportfachverbänden und Landessportbünden sowie
einem fröhlichen Abend auf dem alten
Windjammer Passat wirkte Segler Hans
Hansen am Samstag vor dem kleinen
Sportparlament endlich richtungsbewußt. Die Wochen, in denen der DSBPräsident mit der Stange im Nebel
herumstocherte, sind wohl vorbei. So
etwas wie ein Konzept steht. Und dabei
ist es sekundär, ob sich der Fahrplan
zur Sporteinheit erst an den politischen
Fakten sowie an dem Vorprellen der
Fachverbände und der Landessportbünde orientiert hat.
Ein Fünf-Punkte-Programm soll das
Vorgehen bestimmen:
1. Nach den Landtagswahlen am 23.
September werden in der DDR Länder
gebildet.
2. im gleichen Zeitraum werden in
der DDR Landessportbünde entstehen.
Der Ostteil der Stadt schließt sich dem
Landessportbund Berlin an.
3. Hansen rechnet damit, daß die
Landessportbünde der DDR nach ihrer
Gründung umgehend einen Antrag auf
Beitritt zum Deutschen Sportbund
stellen. Die Aufnahme würde dann mit
dem Tage der staatlichen Vereinigung
wirksam werden.
4. Als Voraussetzung der Aufnahme
der ostdeutschen Landessportbünde
muß die Satzung des DSB geändert
werden.
5. Die Spitzenverbände und die
weiteren Mitgliedsverbände des DSB
vereinigen sich zu unterschiedlichen
Zeiten und in unterschiedlicher Form.
Hansen rief dabei zu einer schnellen
Vereinigung auf.
Das Prozedere orientiert sich an Artikel 23 der Verfassung, einem Aufgehen der Länder in der Bundesrepublik.
Das Gespräch zwischen Hans Hansen
und Martin Kilian, dem Präsidenten des
einst so mächtigen Turn- und Sportbundes (DTSB) der DDR, am Donnerstag in West-Berlin läßt sich damit nicht
mehr zum „Sportgipfel“ hochstilisieren.
Der DTSB, dessen Vermögen gerade
von der DDR-Regierung sichergestellt
wurde, ist nur noch als Nachlaßverwalter Partner in der technischen Abwicklung. Inzwischen hätten, so Hansen,
„die DDR-Vertreter auf allen Gesprächsebenen deutlich gemacht, daß
sie die Rahmenbedingungen eines
freien Sports, die der DSB und seine
Mitgliedsorganisationen für unverzichtbar halten, ohne Einschränkung
gutheißen“.
Beschlüsse des DSB
Die Neufassung der Rahmenrichtlinien für die Ausbildung wurde einstimmig angenommen.
Ein Talentförderungskonzept wurde
mit großer Mehrheit akzeptiert.
Der Deutsche Baseball- und SoftballVerband wurde als 55. Spitzenverband
in den Deutschen Sportbund aufgenommen.
Der Prozeß der Vereinigung ist auf
der Fachverbandsebene schon in vollem
Gange. Der Deutsche Verband für
Freikörperkultur hat bereits Tatsachen
geschaffen. Die Modernen Fünfkämpfer folgen im Herbst. Die Gewichtheber
haben es ebenfalls eilig, wobei deren
Modus, aus zwei gleichberechtigten
Verbänden einen neuen zu schaffen,
Frankfurter Allgemeine Zeitung 25. Juni 1990
zunehmend als problematisch beurteilt
wird.
Denn damit müßten, wie Kritiker
meinen, zu viele Altlasten und nach
einer Quotenregelung zu viele Parteigänger des Honecker-Regimes übernommen werden. Der Weg zur Einheit
dürfte vorwiegend über die Aufnahme
von DDR-Landesverbänden führen.
Bei der Vollversammlung der Spitzenverbände geriet übrigens der Deutsche
Fußball-Bund, der einen gemeinsamen
Spielbetrieb mit der DDR erst für das
Frühjahr 1992 anstrebt, zunehmend in
die Isolation. Der späte Zeitpunkt wird
von den meisten als nicht haltbar angesehen.
Allgemein wird die notwendige
Neuordnung des (gesamt-)deutschen
Sports als vorzügliche Gelegenheit
angesehen, Ballast über Bord zu werfen. Zu diesem Zwecke wurde jetzt
eine Strukturkommission gebildet, die
der Sportorganisation einen zeitgerechten Zuschnitt verpassen soll.
Am 15. und 16. Dezember, dem voraussichtlichen Termin für gesamtdeutsche Wahlen, müßte der DSBBundestag in Hannover die Grundlage
für einen allumfassenden Deutschen
Sportbund schaffen. Nach viereinhalb
Jahren Amtszeit stünde Hans Hansen
dann wohl vor einer Wiederwahl und
wahrscheinlich bei einem außerordentlichen „Vereinigungs-Bundestag“ im
Frühjahr 1991 vor der Wahl zum „Überpräsidenten“. Es sei denn, der Berliner „Landesfürst“ Manfred von Richthofen machte ihm beide Male als Herausforderer die Palme streitig. Das
DDR-Kommandounternehmen Deutscher Turn- und Sportbund dürfte bald
nur noch eine historische Reminiszenz
sein. Oder wie Roland Mader, der
Sprecher der Spitzenverbände, es ausdrückte: „Der DTSB ist die Henne, die
fünf Eier (sprich: Landessportbünde)
legen muß und dann geschlachtet wird.
STEFFEN HAFFNER
Chronik Juni 1990
20.06.1990
In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“
fordert Engelbert Nelle, sportpolitischer
Sprecher der CDU und Mitglied im DFBPräsidium, den baldigen Beitritt des DDRVerbandes: „Der Fußball muss sich der
Einigung anpassen.“
Dem vernachlässigten Breitensport der
DDR soll nach dem Willen des Sportausschusses des Bundestags im großen Maße
geholfen werden.
21./22.06.1990
Berlin: Beschlagnahme des DTSBVermögens und Unterstellung unter Treuhänderschaft. 144,6 Millionen Mark werden für den Sport bereitgestellt und gehen
ohne den Umweg DTSB direkt an die
Fachverbände. Entlassung von 77 Prozent
der hauptamtlichen Mitarbeiter der DTSBZentrale in Berlin.
Berlin (Ost): Die DDR-Volkskammer billigt einen von der SPD eingebrachten Antrag zur Sportförderung. Behinderte sollen
dem Spitzensport rechtlich gleichgestellt
werden .
22.06.1990
Berlin (Ost): Gründung des Fußballverbandes Berlin (FVB) im Casino des Stadions der Weltjugend. Uwe Piontek wird
zum Präsidenten des Berliner Fußballverbandes (FVB) gewählt. Der Verband stellt
die Weichen für die Vereinigung des Berliner Fußballs. In seinem Bericht zur Lage
des Verbandes malt Piontek ein düsteres
Bild: Von 818 Mannschaften in der letzten
Saison ist die Zahl auf inzwischen unter
650 gesunken. Den Ausweg sieht er nur in
einer schnellen Vereinigung mit dem
Westberliner Fußballverband (BFV).
Letztes „Derby“ der DDR in Hoppegarten.
55
25.06.1990
Travemünde: Auf der 37. Sitzung des
DSB-Hauptausschusses spricht sich DSBPräsident Hansen für das „Modell“ des
Beitritts des DDR-Sports aus.
Der Boxverband der DDR kündigt an, unmittelbar nach einer staatlichen Vereinigung fusionieren zu wollen.
Die Kanuverbände planen eine Vereinigung im April 1991.
28.06.1990
Vorstellung des Vereinigungspapiers von
DTSB und DSB durch die Präsidenten
Hans Hansen und Martin Kilian in Berlin
(West). Berlin: Spitzentreffen DTSB/DSB.
Die Präsidenten Martin Kilian und Hans
Hansen vereinbaren eine Konzeption der
Vereinigung. Der Beitritt des DDR-Sports
zum bundesrepublikanischen Sport soll
nach dem politischen Modell (Artikel 23
Grundgesetz) erfolgen. Der DTSB wird
sich auflösen.
30.06.1990
Verordnung vom Ministerrat verabschiedet: Gemeinnützige Sportvereine können
ab sofort unentgeltlich die öffentlichen
Sportstätten der DDR nutzen.
Potsdam: Gründung des Landesverbandes
Brandenburg in der Sportart Fechten. Präsident: Klaus Knopf.
56
Juni 1990 – Eine Collage
Chronik Juli 1990
Juli 1990
01.07.1990
Bonn: Der Staatsvertrag über die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion der
beiden deutschen Staaten tritt in Kraft.
West- und Ostdeutschland bilden nun ein
gemeinsames Währungsgebiet mit der
Bundesbank als Zentralbank und der Mark
als alleinigem Zahlungsmittel.
Rom: In einem Interview der „Deutschen
Presseagentur“ sagt DFB-Präsident Herman Neuberger, er habe keine Eile bei der
Vereinigung des Fußballs.
04.07.1990
Gipfeltreffen der NOK-Präsidenten der
DDR, Professor Dr. Dr. Joachim Weiskopf, und der Bundesrepublik, Willi Daume. Verhandlungen über die Modalitäten
der Vereinigung. Ziel: ein gesamtdeutsches
Team zu Olympia 1992.
Cottbus: Gründung des Tennisclubs Cottbus e. V.
07.07.1990
Kienbaum: 3. Bundesvorstandssitzung des
DTSB. Verabschiedung eines neuen
DTSB-Statuts mit föderativen Strukturen
und dem Ziel, eigenständige Spitzenverbände/LSB zu ermöglichen, Legislative
und Exekutive zu trennen sowie demokratische Organe auszubilden.
Gründung eines Vereins deutscher Olympiasieger, die sich gegen den Niedergang
des Sports in Ostdeutschland stark machen
wollen.
Kleinmachnow: Gründung des Landesschwimmverbandes Brandenburg e. V.
Präsident: Bernhard Preßler.
57
08.07.1990
Rom: Franz Beckenbauer führt die Fußball-Nationalmannschaft durch einen 1:0
Finalsieg über Argentinien zum dritten
Weltmeistertitel.
09.07.1990
Berlin: Gründung der „Arbeitsgruppe Olympia 2000“. Das Gremium soll die Federführung für die Olympiabewerbung
Berlins übernehmen.
Frauke Rupprecht, Vorsitzende der Sportjugend, appelliert, den Sport für die Jugend
in Ostdeutschland nicht zu gefährden.
Berlin: Fusionsgespräche zwischen dem
Deutschen Judobund und dem Deutschen
Judoverband der DDR. Vereinigung am 1.
Januar 1991.
Erste Sitzung des Lenkungsausschusses.
10.07.1990
Die „Süddeutsche Zeitung meldet: Bei der
Erfassung der Ost-Berliner Leistungssportstrukturen stößt Armin Baumert, Chef des
Olympiastützpunktes Berlin, auf einen
verblüffend hohen Personalaufwand bei
der Betreuung der Höchstleister. Beim SC
Dynamo standen 328 Sportlern der Kader
A bis C (nach bundesdeutschen Kriterien)
188 Trainer zur Verfügung, 161 zu 130
war die Relation beim TSC Berlin, 51 zu
37 bei den Ruderern und Kanuten in Grünau. Im Westen hingegen: Für 118 Kadermitglieder 23 Landestrainer; kein einziger
hauptamtlicher Bundestrainer.
„Das muss sich rapide ändern“, fordert der
Berliner OSP-Chef und nennt als vertretbare Position 80 Landestrainer.
58 Einheit und Zwietracht – Während Deutschland 1990 in Rom Fußball-Weltmeister wurde, stritten die Funktionäre um
die Zukunft des gesamtdeutschen Fußballs
Michael Barsuhn
Einheit und Zwietracht
Während Deutschland 1990 in Rom
Fußball-Weltmeister wurde, stritten die
Funktionäre um die Zukunft des gesamtdeutschen Fußballs
von Michael Barsuhn
Juli 1990. Deutschland wurde am 8. Juli
1990 zum dritten Mal Fußball-Weltmeister.
Die Partys nach dem Spiel gerieten in Berlin
zum vorgezogenen Fest der deutschen Einheit. Autokorsos zogen durch die Stadt.
Freudetrunken feierten Ost- und Westberliner Arm in Arm ihren Weltmeister.
Hinter den Kulissen aber brodelte es. Seit
Wochen hatten sich die Funktionäre des
Deutschen Fußball-Bundes (DFB) und des
Deutschen Fußball-Verbandes der DDR
(DFV) in einen Machtkampf um die Zukunft
des gesamtdeutschen Fußballs verstrickt.
Streitpunkte waren das Tempo der Vereinigungsbestrebungen sowie die Frage nach der
Anzahl der zu integrierenden Ostvereine.
„Wir wollen das Gebäude vom Keller an
aufbauen,“
argumentierte
DFBSchatzmeister Egidius Braun noch am 9. Mai
auf einer Sportjournalistentagung in Königswinter. „Keine Vereinigung der Verbände vor der Spielzeit 1992/93.“
Hans-Georg Moldenhauer, seit dem 31.
März 19990 als erster frei gewählter Präsident des DFV der DDR im Amt, verstand die
Welt nicht mehr. Die Währungsunion nahte,
die staatliche Einheit war absehbar, nur der
Fußball sollte sich gedulden? Aus ostdeutscher Sicht eine Katastrophe. Noch immer
überquerten jeden Monat mehr als 20.000
DDR-Bürger die Grenzen Richtung Bundesrepublik, darunter auch zahlreiche Fußballer
wie Thomas Doll, Matthias Sammer oder Ulf
Kirsten. Dramatisch war der Spielerschwund
in den unteren Ligen. Ganze Mannschaften
hatten das Land verlassen. „Nur ein gemeinsamer Spielbetrieb in einem vereinigten
Deutschland kann den Verfallsprozess aufhalten. Zumindest abmildern“, appellierte
Moldenhauer an DFB-Präsidenten Hermann
Neuberger. Dieser aber blieb stur. Der Grund
für sein zögerliches Verhalten war wirtschaftlicher Natur. Im Februar 1990 waren
die Bundesrepublik und die DDR in eine
Qualifikationsgruppe zur Europameisterschaft 92 in Schweden gelost worden. Die
Vermarktung der deutsch-deutschen Spiele –
im November 1990 in Leipzig und Dezember 1991 in München – hatte bereits begonnen. Engelbert Nelle, Mitglied im DFBPräsidium, rückte nun öffentlich von seinem
Chef ab: “Der politische Druck wird immer
stärker. Der Fußball muss sich der Einigung
anpassen.“ Seit dem 1. Juli gab es im Osten
und Westen nur noch eine Währung: Die DMark. Die ersten gesamtdeutschen Wahlen
würden am 2. Dezember 1990 stattfinden.
Neuberger konnte der politischen Realität
nicht länger ausweichen. Wenige Tage nach
dem WM-Finale erhielt Moldenhauer einen
Brief, in dem der DFB-Präsident sein Einverständnis für eine schnellere Vereinigung
der beiden deutschen Fußballverbände gab.
Diese fand am 21. November 1990 statt.
Bei der Anzahl der einzugliedernden Lizenzvereine einigte man sich auf einen
Kompromiss. Moldenhauer wollte alle 14
DDR-Oberligisten in den Profibereich integrieren, konnte jedoch nur acht beim DFB
durchsetzen. Der Meister und Zweite der
Oberligaspielzeit 1990/91 sollten sich demnach direkt für die erste Bundesliga qualifizieren, die sechs Zweitligisten würden in
einer internen Ausscheidung in der DDR
ermittelt. „Die Zwei-plus-sechs-Regelung
war von Anfang an der Kurs des DFB. Wie
überall auf der Welt setzte sich der Stärkere
durch“, kommentierte Hans Meyer als damaliger Trainer des Chemnitzer FC die Entscheidung von Frankfurt. 15 Jahre später
zeigt Moldenhauer hingegen Verständnis für
die Regelung: „Angesichts der unterschiedlichen Wirtschaftskraft von ost- und westdeutschem Fußball war die Entscheidung nachvollziehbar, lieber weniger Vereine mit einer
soliden finanziellen Perspektive als alle Vereine um jeden Preis zu integrieren.“
Chronik Juli 1990
10.07.1990
Nach Gesprächen mit dem Ministerium für
Jugend und Sport erhält der Fußballverband (DFV der DDR) ohne den Umweg
über den DTSB 152.000 D-Mark für seine
Nachwuchsarbeit.
11.07.1990
Berlin: Auf einem Treffen mit acht DDROlympiasiegern
räumt
DDR-Sportministerin Cordula Schubert Missverständnisse aus. Sie wolle den DDR-Sport nicht
demontieren.
Berlins regierender Bürgermeister Walter
Momper entbindet den 35 Jahre alten
Sport-Staatssekretär Hans-Jürgen Kuhn
vom Amt des Olympiabeauftragten. Neuer
Leiter des Ost/West-Berliner-Olympiabüros ist Senatsrat Jürgen Kießling (49),
als Abteilungsleiter Sport Kuhns Untergebener. Am 3. Juli hatte Willi Daume in
einem Vier-Augen-Gespräch Momper gebeten die Olympiabewerbung zur Chefsache zu machen.
12.07.1990
Frankfurt am Main: Bei einer Zusammenkunft der Spitzenverbände und der Landessportbünde der Bundesrepublik mit dem
Bundesausschuss Leistungssport des Deutschen Sportbundes wird über Strategien
beraten, wie ein Zusammenbruch des
DDR-Spitzensports verhindert werden
kann.
12.07.1990
Herzogenaurach: Pressekonferenz des
DDR-Fußballverbandes. Der DFV strebt
die sportliche Wiedervereinigung mit
schnelleren Schritten an als der DFB. Der
DFV unterbreitet den Vorschlag einer gemeinsamen Deutschlandliga ab der Saison
1991/92.
13.07.1990
Engelbert Nelle (Mitglied im Sportausschuss der CDU und im DFB-Präsidium)
kritisiert DFB-Präsident Neuberger in der
59
„Bild-Zeitung“ als „Bremser der Einheit“
und fordert eine Vereinigung des Fußballs
vor 1992.
Frankfurt am Main: Auf einer Vorstandssitzung des DFB wird erstmals ein Denkmodell erörtert, wie eine Vereinigung
schon 1991 möglich wäre.
14.07.1990
Laut einer Umfrage der „Deutschen Presseagentur“ vereinigen sich die Turner zuerst, die Fußballer zuletzt.
Potsdam: Gründung des Landeskanuverbandes Brandenburg e. V. Präsident: Manfred Glöckner.
14./15.07.1990
Kaiserau: Tagung einer gesamtdeutschen
Handballarbeitsgruppe: Gesamtdeutsche
Handballmeisterschaften ab der Saison
1991/92 geplant.
15.07.1990
Sportgespräch des „Deutschlandfunks“ mit
DTSB-Geschäftsführer Werner Neumann.
Der DDR-Sport sei an der Schmerzgrenze.
Von 10.500 fest angestellten DTSBMitarbeitern sind bereits 1.500 entlassen
worden.
15./16.07.1990
Treffen von Bundeskanzler Kohl mit sowjetischem Staatschef Michael Gorbatschow
im Kaukasus.
16.07.1990
Interessensverband der Trainer und Sportlehrer ruft in allen Städten der DDR zu
Demonstrationen auf.
17.07.1990
München:
Vereinigungsverhandlungen
zwischen beiden deutschen Eisschnelllaufverbänden.
60
Frankfurter Allgemeine Zeitung 16.07.1990
Die Athleten profitieren vom westlichen Interesse am östlichen Know-how im Fechten
„Der Emil Beck will sich den DDR-Sport angeln“
LYON. Im Ausverkauf des DDRSports sind die Fechter der Ladenhüter. Was nicht heißt, daß sie keine
Angebote bekämen. Die letzte
Mannschaft, die für die DDR bei
einer Fecht-Weltmeisterschaft gestartet ist, das Degen-Team, hat alle
Chancen gehabt, sich vor der Rückreise nach Berlin materiell zu verbessern. Die Kanadier haben ihnen
neue Taschen, Anzüge, Schuhe und
Fechtsäcke „sogar mit Rollen“
geboten, im Tausch „für alles, wo
DDR drauf steht“.
Aber dieses wohlfeile Angebot
zur Resteverwertung hat bei der
Mannschaft, die am Samstag nach
Niederlagen gegen Ungarn und die
Schweiz auf ihr letztes Gefecht
wartete, eher zur Melancholie beigetragen. „Ein ulkiges Gefühl“
empfand Gordon Lösser, zum ersten
Mal bei einer Weltmeisterschaft
dabei. Und zum letzten Mal, „da
sind wir realistisch“. Denn wenn im
nächsten Jahr die Qualifikation
gemeinsam mit den viel erfolgreicheren Westdeutschen erfolgen
wird, mit Olympiasieger Arnd
Schmitt oder Weltmeister Thomas
Gerull, „dann haben wir kaum einen
Chance“. Das sagt Uwe Proske, mit
28 Jahren der Erfahrenste im Team.
Die Furcht vor der Einheit, die
sportliche Platz-Angst ist im Fechten anders verteilt als etwa im
Schwimmen oder Turnen.
Aus dem westlichen Interesse am
östlichen Know-how schöpfen aber
auch diejenigen Hoffnungen, die
nur an dessen Rand stehen. „Der
Emil Beck will sich den DDR-Sport
angeln“, sagte Uwe Proske, „und
davon profitieren auch wir.“
Der Cheftrainer der Fechter bemüht
sich darum, den Nachlaß des früheren PSV Dynamo Ost-Berlin, der
heute 1. SC heißt, in einen noch zu
gründenden „großen Olympiastützpunkt“ zu überführen. Zwischen
dem Verein und der „Fechtmarketing Tauberbischofsheim“, einer
GmbH mit Becks Sohn René als
Geschäftsführer, ist bereits ein Kooperationsvertrag abgeschlossen.
Für Gordon Lösser heißt das,
„daß der Beck da Geld reingesteckt
hat“. Und daß es dem quirligen
Cheftrainer, der sich gern als Vordenker im Leistungssport darstellt,
vor allem um Rudern oder Leichtathletik, Schwimmen oder Turnen
gehe. Und nicht so sehr ums Fechten. Aber, so sagt Uwe Proske, „es
gibt ihm die Möglichkeit, in der
Hauptstadt präsent zu sein“. Natürlich verrät Beck seine Motive nicht
so leicht, aber die Gerüchte, die
kursieren, verraten einiges an Unsicherheit und schüren noch mehr an
Hoffnung.
„Erstmal abwarten“ ist die Devise, die Uwe Proske stellvertretend
für die Mannschaft ausspricht. Was
soll jemand auch sonst tun, der von
seinem „Brötchengeber Volkspolizei nicht mehr lang bezahlt wird“,
der nicht weiß, wie und mit wem er
künftig trainieren wird – mindestens
neun von dreizehn Trainern des
früheren Dynamo-Klubs ist zum
Ende des Jahres gekündigt worden –
und der nicht einmal sicher sein
kann, daß sein Sportlehrer-Diplom
demnächst noch anerkannt wird –
„obwohl wir im Leistungssport der
BRD deutlich überlegen waren“.
Aber, sagt Proske, „wir müssen uns
Frankfurter Allgemeine Zeitung 16. Juli 1990
ja in so vielem nach der BRD richten“.
Abwarten und weiterfechten. Aber
in Berlin und nicht in Tauberbischofsheim, trotz eines Angebots,
dort zu trainieren. „Es ist ja nicht so,
daß man ein Zigeuner ist“, sagte
Proske, der in Berlin seine Frau und
seine kranke Tochter hat. „Wer geht
schon freiwillig von Berlin nach
Tauberbischofsheim?“ fragt der 22
Jahre alte Elektromonteur Oliver
Falter, der an seiner Heimat- und
Weltstadt hängt. Und der 20 Jahre
alte Gordon Lösser „mag das Klima
dort nicht“ – und meint nicht das
Wetter in der mainfränkischen Provinz.
„Die Identifikation ist nicht so
einfach“, sagt Uwe Proske. „Jahrelang sind wir so erzogen worden,
daß das unser Hauptgegner ist, und
jetzt sollen wir vielleicht selber
dafür antreten?“ Ihn irritiert, daß
dieselben, die das eine gepredigt
haben, nun das andere sagen. „Komisch“ wird ihm jedenfalls bei dem
Gedanken, wenn über den Lautsprecher zum erstenmal „Proske, BRD“
gerufen werde. Vielleicht deshalb
hängt man so an seinen Erinnerungsstücken. Kurz bevor die Degen-Fechter sich mit dem letzten
Sieg eines DDR-Teams, einem 9:1
gegen Taiwan, von der Weltmeisterschaft in Lyon verabschieden, versucht es eine Kanadierin noch einmal mit der Souvenir-Suche. Diesmal wird sogar Whisky geboten, als
Wegzehrung für die lange Zugfahrt
nach Berlin. Aber Gordon Lösser
behält seinen Trainingsanzug mit
der Aufschrift „DDR“.
CHRISTIAN EICHLER
Chronik Juli 1990
19.07.1990
Frankfurt am Main: Tag der Entscheidung.
Gemeinsame Sitzung der Präsidien des
DFB und des DFV der DDR. Zusammenführung der beiden deutschen Fußballverbände im Profibereich wird von 1992 auf
1991 vorgezogen.
In der „Jungen Welt“ äußert sich DTSBGeneralsekretär Jochen Grünwald: „Jeder
wird mehr investieren müssen“. Der DTSB
solle bis zur Vereinigung erhalten bleiben.
Der Präsident des Deutschen Eissportverbandes der Bundesrepublik, Dr. Herbert
Kunze, ist über den Zuwachs der Sportler
aus der DDR erfreut.
Deutsch-deutsche Seglercrew holt den
WM-Titel.
61
26.07.1990
Die Vereine der zweiten FußballBundesliga kritisieren die Vereinigungspläne der beiden deutschen Verbände.
Vorstandssitzung des DFV der DDR: Endgültige Einigung über den Qualifikationsmodus zur Eingliederung von DDR-Klubs
in die Bundesligen. Danach qualifizieren
sich der Meister und Vizemeister der Oberliga-Spielzeit 1990/1991 direkt für die erste Bundesliga. Die Klubs auf den Plätzen
drei bis sechs qualifizieren sich direkt für
die zweite Bundesliga. Die Plätze sieben
bis zwölf spielen gemeinsam mit den beiden Meistern der zweiten DDR-Ligen in
zwei Vierer-Gruppen weitere zwei Mannschaften aus, die 1991/92 in die zweite
Bundesliga integriert werden.
Leipzig: Auf einem Polizeisportfest äußern
sich DDR-Innenminister Peter-Michael
Diestel und DTSB-Präsident Martin Kilian
zur Situation des DDR-Sports. Diestel:
„Wir müssen die Durststrecke überwinden.“ Kilian: „DDR-Sport wird in diesem
Jahr wieder an die Spitze kommen und
zwar in einem gesamtdeutschen Team.“
27.07.1990
Gründung des Lausitzer Behindertensportverbandes.
20.07.1990
Oberhof: Sitzung der Arbeitsgruppe Leistungssport des Deutschen Skiläuferverbandes der DDR und des Deutschen Skiverbandes. Ab dem 1. Oktober 1990 wird es
nur noch eine Nationalmannschaft geben.
Das Führungsgremium des DSLV wird
dem DSV angepasst.
Cottbus: Gründung des Brandenburgischen
Radsportverbandes e. V. durch die Vereinigung der Bezirksfachausschüsse Frankfurt (Oder), Cottbus und Potsdam. Präsident: Walter Rösler.
23.07.1990
Föderale Fußballstrukturen entwickeln sich
in der DDR.
Erste Sitzung der Arbeitsgruppe Leistungssport in Frankfurt am Main.
24.07.1990
Kommentar zur Situation des DDRFußballs von Hans Meyer (Trainer FC
Karl-Marx-Stadt): „Die Vereinigungsbeschlüsse sind für uns eine Zumutung.“
28.07.1990
Der DTSB erhält weitere 30 Millionen DMark zur Sicherung der Finanzen durch
das Ministerium für Jugend und Sport.
Potsdam: Gründung des Landesfußballverbandes Brandenburg aus den Bezirken
Frankfurt (Oder), Cottbus und Potsdam.
Präsident: Siegfried Kirschen.
28./29.07.1990
Kienbaum: Willi Klein, DSB VizePräsident für Breitensport, übergibt die
ersten DSB-Sportabzeichen an DDRBürger.
62
Juli 1990 – Eine Collage
Chronik August 1990
63
August 1990
01.08.1990
Berlin: Pressekonferenz mit DTSBPräsident Martin Kilian nach einem Gespräch mit Staatssekretär Horst Iske. Finanzfragen werden nun endgültig im Ministerium für Jugend und Sport geklärt.
Der DTSB benötige für das zweite Halbjahr 1990 120 Millionen Mark, so Kilian.
Ein verstärkter Personalabbau sei notwendig.
02.08.1990
Berlin: Pressekonferenz von DDRSportministerin Cordula Schubert. Insgesamt stünden für den Sport im zweiten
Halbjahr 1990 124 Millionen D-Mark zur
Verfügung. Davon erhält der DTSB 103
Millionen, der BTSV 20,8 Millionen und
das NOK der DDR 0,2 Millionen D-Mark.
Kommentar DTSB-Generalsekretär Jochen
Grünwald: „Dieser Betrag ist viel zu gering.“
Leipzig: Gründung des FC Sachsen Leipzig 1990 e. V.
Gründung des Turnvereins ATV 90 in der
Armeesportvereinigung e. V. Präsident:
Dr. Günter Beier.
03.08.1990
Berlin: Der Landessportbund Berlin fordert
die generelle Rückgabe von ehemaligen
Grundstücken und Immobilien Westberliner Sportvereine auf dem Territorium der
DDR.
Gründung eines Deutschen Olympiaclubs
e. V. in der DDR. Motto: „Leistung durch
Leistungssport.“
07.08.1990
Berlin: Tagung des Präsidiums und der
Geschäftsleitung des DTSB. Beschluss der
Maßnahmen zum Einsatz der finanziellen
Mittel für den DDR-Sport. Durch die Kürzungen komme der Kinder- und Jugendbereich teilweise zum Erliegen.
Baden-Baden: Treffen der beiden deutschen NOK. Beratung über Struktur- und
Personalfragen im Zusammenhang mit der
bevorstehenden Vereinigung. Die DDRSeite war durch den Präsidenten Professor
Dr. Dr. Joachim Weiskopf und Generalsekretär Wolfgang Gitter vertreten. Für die
bundesdeutsche Seite verhandelten Vizepräsidenten August Kirsch und Generalsekretär Walther Tröger.
08.08.1990
Düsseldorf: Im Interview mit dem „Sportinformationsdienst“ spricht sich der Vorsitzende des Sportausschusses des Deutschen Bundestags, Ferdi Tillmann, für eine
weitgehende Übernahme des DDR-Sportsystems in ein vereinigtes Deutschland aus:
„Die Struktur der bisher 35 Sportklubs in
der heutigen DDR soll erhalten und zeitgemäß erneuert werden. Es geht darum,
möglichst schnell die Olympiastützpunkte
in der DDR einzurichten und mit den dort
vorhandenen jahrzehntelangen Erfahrungen zu verbinden.“
Potsdam: Gründung des Landesverbandes
Brandenburg der Modernen Fünfkämpfer.
Präsident: Klaus Petrikowsky.
09.08.1990
Auf einer außerordentlichen Tagung des
Präsidiums des DTSB werden Konsequenzen aus der Kürzung der finanziellen Mittel um 33 Prozent beschlossen. Bis zum
Jahresende muss die Zahl der hauptamtlichen Mitarbeiter auf 2.300 reduziert werden. Von den 9.000 Beschäftigten waren
bereits 3.009 zum 30. September gekündigt
worden. Viele Sportschulen und Trainingszentren müssen stillgelegt werden.
64
„Geheimnisse“ des DDR-Sports – Die Nachwirkungen der Repression im DDR-Sport sind bis heute spürbar
Jutta Braun
„Geheimnisse“ des DDR-Sports
Die Nachwirkungen der Repression im
DDR-Sport sind bis heute spürbar
von Jutta Braun
August 1990. Im Schatten der Goldkinder lagen die verdeckten Seiten des DDRSportsystems: die Überwachung durch die
Staatssicherheit, flächendeckendes Doping
und geheim gehaltene Forschungsstätten
und -labors.
Bereits seit Sommer 1989 hatten die Dopingenthüllungen des Skisprung-Weltmeisters und
Olympiasiegers Hans-Georg Aschenbach, der
sein Insider-Wissen als Sportarzt des ASK
Oberhof nach seiner Republikflucht in der
„Bild Zeitung“ ausgebreitet hatte, in der Bundesrepublik für Aufmerksamkeit gesorgt. Mit
dem Eingeständnis, es habe auch in der DDR
im Jahre 1988 14 positive Fälle gegeben, brach
der Sportmedizinische Dienst der DDR zwar
Anfang November 1989 die bisherige Veröffentlichungssperre, versuchte aber den Eindruck zu erwecken, es habe sich um individuelle Verfehlungen gehandelt. Der DTSB verharrte in rigider Abwehrposition, Präsident
Eichler präsentierte den DTSB noch als Gegner des Doping, als die Öffentlichkeit bereits
Zutritt zum geheimen Doping-Labor Kreischa
erhielt. Noch im Dezember erging ein Beschluss des DTSB-Sekretariats, die Arbeit mit
den Geheimnisträgern zu verbessern, um „ihren Geheimhaltungswillen zu festigen“. Das
Schweigekartell der involvierten SMD- und
DTSB-Angehörigen funktionierte, solange die
Regierung Modrow im Amt war. Seit März
1990 jedoch, als deutlich wurde, dass das alte
Sportsystem nicht weiter fortbestehen würde,
offenbarten immer zahlreichere beteiligte Wissenschaftler ihre Kenntnisse gegenüber westlichen Medien. Trotz dieser Informationen dauerte es noch Jahre, bis das staatliche Zwangsdoping der DDR in vollem Umfang erkannt
wurde – ein später Sieg des perfekten Geheimhaltungssystems der DDR, in dem das Ministerium für Staatssicherheit ein wichtige Rolle
spielte.
Auch die Funktion dieses Geheimdienstes
wurde früh im Wendeprozess thematisiert, im
Januar 1990 wurden erste „Stasi-Untaten“ im
DDR-Sport bekannt, dabei ging es um die Ver-
folgung des später ausgereisten Diskuswerfers
Wolfgang Schmidt. Auch andere republikflüchtige Sportler beklagten ihre „Angst“ vor
der Staatssicherheit, so im August 1990 die
Bundesligaspieler Norbert Nachtweih und
Robert Pahl, die nach ihrer Flucht 1976 längere
Zeit observiert wurden. Aus Furcht vor einer
möglichen Entführung schlugen sie ein Vertragsangebot in Westberlin aus. „Wir haben
uns schon ausgerechnet, dass wir in Berlin
schnell mal eine Pille ins Bierglas bekommen
und dann am Alexanderplatz aufwachen würden.“ Auch die strukturelle Überwachung der
linientreuen Sportkader wurde angeklagt: Der
langjährige DDR-Auswahlspieler Peter Ducke
(Jena) beschuldigte Ende August 1990 im
Deutschlandfunk den Vize des DDRFußballverbandes, Günther Schneider, jahrelanger Stasi-Mitarbeiter zu sein. „Er trat immer
dort auf, wo es galt, Fußballer zu bespitzeln.
Wir wurden auf Schritt und Tritt beschattet. Es
war grauenhaft und widerlich.“ Ebenso kamen
langsam die unlauteren Methoden gegenüber
dem „Klassenfeind“ ans Licht. Der Magdeburger Erfolgstrainer Heinz Krügel berichtete
empört auf dem ersten demokratischen Fußballverbandstag, wie vor einem Europapokalspiel gegen den FC Bayern München ein StasiOffizier zu ihm kam und anbot: „Sie können in
der Pause mithören, was da in der BayernKabine gesprochen wird“. Was Krügel zurückwies und daraufhin karrieretechnisch von
der Nomenklatura ausgebootet wurde.
Trotz dieser ersten Einblicke in die repressiven
Seiten des DDR-Systems trat das volle Ausmaß, in dem die Krake Staatssicherheit den
DDR-Sport durchdrang, erst mit den Jahren zu
Tage. Verantwortung für diese verzögerte Erkenntnis trägt auch der Sport selbst, da nur
sieben der 35 Sportfachverbände sich der
schwierigen Vergangenheitsbewältigung stellten und eine freiwillige Überprüfung durch die
Gauck-Behörde anstrengten. So ist auch das
heutige Sportgeschehen noch immer von Enthüllungen über die Verstrickung von Sportlern,
Trainern, Funktionären und Journalisten begleitet.
Chronik August 1990
11.08.1990
Berlin: Beratungen des Präsidiums des
NOK der DDR über die Vereinigung der
beiden deutschen NOK, die noch im laufenden Jahr angestrebt wird.
Wien: Gespräche zwischen den Präsidenten der beiden deutschen Handballverbände mit dem Präsidenten der Internationalen
Handball-Föderation: Beratungen über
offene Fragen hinsichtlich einer gesamtdeutschen Mannschaft der Männer bei Olympia 1992 in Barcelona, da sich nur die
DDR-Nationalmannschaft sportlich qualifizieren konnte.
Startschuss zur letzten Saison der DDR
Fußball-Oberliga.
13.08.1990
München: Im Skisport gibt es die erste
gemeinsame Nationalmannschaft. Der
Deutsche Skiverband und der Deutsche
Skiläuferverband der DDR bilden eine
nordische Nationalmannschaft. Von Einsparungen sind über 50 Skisporttrainer der
DDR betroffen.
Berlin: Der Präsident des NOK der DDR
erklärt: „Wir werden die Vereinigung unabhängig von dem Fahrplan den die Politik
vorgibt, vollziehen, und gehen davon aus,
dass das NOK der DDR zum 31. Dezember seine Tätigkeit einstellt.“ Für den Start
von DDR-Sportlern zum Beispiel bei den
Ruder-Weltmeisterschaften in Australien
und in sozialen Härtefällen wurden NOKGelder zugesagt. Bislang wurden 1,9 Millionen D-Mark verausgabt.
14.08.1990
Nach Vorstellungen von Horst Bredemeier,
bundesdeutscher Auswahltrainer, soll sich
die künftige gesamtdeutsche Auswahl aus
dem Kern des DHB-Teams sowie etwa
sechs DDR-Spielern zusammensetzen.
65
Berlin: DDR-Handball-Präsident Professor
Dr. Hans-Georg Hermann reagiert auf
Bredemeier und wirft ihm vor, dass seine
Aussagen dem Vereinigungsprozess schaden würden.
DDR-Abrüstungsminister Rainer Eppelmann sieht die Zukunft des Leistungssports
in der Armee.
15.08.1990
Die GST-Nachfolgeorganisation, BTSV,
löst sich stufenweise auf. Am 31. August
werden sämtliche Bezirksstellen geschlossen.
Der Generalsekretär des NOK für Deutschland spricht sich für einen schnellen Zusammenschluss des deutschen Sports aus.
16.08.1990
Berlin: Gespräche der Präsidialkommission
beider deutscher Leichtathletikverbände.
Bis zum Jahresbeginn 1991 soll die Vereinigung vollzogen werden.
In der „Märkischen Oderzeitung“ plädiert
der Präsident des Fußballlandesverbandes
Brandenburg, Siegfried Kirschen, für einen
starken und unabhängigen Landesfußballverband.
17.08.1990
Berlin: Die beiden deutschen NOK erzielen weitgehende Einigkeit über den Weg
zu ihrer Vereinigung, die am 17. November 1990 in Berlin vollzogen werden soll.
IOC-Präsident Samaranch betont, dass das
IOC jeder Lösung der Deutschen im Hinblick auf eine Olympiamannschaft zustimmen werde: „Das IOC traut Deutschland, Deutschland kann dem IOC trauen.“
66
Süddeutsche Zeitung 18.08.1990
“Es ging um das nackte Menschliche“
Im gesamtdeutschen Leichtathletikverband finden von 592 DDR-Trainern nur noch 50 Arbeit
Berlin (dpa) – Die Vereinigung der
deutschen Leichtathletik am 24.
November in Salzgitter ist beschlossene Sache. Doch sie fordert
viele Opfer, vor allem auch unter
den Trainern und Funktionären in
der DDR. „Zum Schluß ging es um
das nackte Menschliche“, schilderte Jan Kern, der Generalsekretär
des Deutschen LeichtathletikVerbandes (DLV), die Stimmung
beim Berliner Verhandlungsmarathon mit dem Deutschen Verband
für Leichtathletik (DVfL) der DDR
am Donnerstagabend. Und Sportwart Manfred Steinbach ergänzte:
„Es ist schon schlimm, wenn man
bedenkt, wer da alles über die
Klinge springen muß.“
Wenn der DLV ab dem 25. November die Alleinverantwortung
für die deutsche Leichtathletik
übernimmt – bei einem außerordentlichen Verbandstag am Tag
zuvor stellen die Landesverbände
in den fünf neuen Ländern der
DDR ihren Aufnahmeantrag, der
DVfL hört auf zu existieren – werden von einstmals 592 festangestellten, vom Staat bezahlten DDRTrainern nur noch rund 50 einen
Arbeitsplatz haben, vom Bundesbis zum Honorartrainer. „Das Ergebnis ist unbefriedigend, ich bin
ernüchtert und enttäuscht“, sagte
DVfL-Präsident Gerd Schröter,
„die Hälfte der Trainer hätte man
abspecken können, ohne an die
Substanz zu gehen.“ Er erwartet
Verluste für die gesamte deutsche
Leichtathletik und die Abwanderung guter Fachleute ins Ausland.
„Es wäre schön, wenn aus einer
Leichtathletik und noch einer
Leichtathletik eine zweimal stärkere Leichtathletik würde. Aber ich
Süddeutsche Zeitung 18. August 1990
fürchte, das wird nichts.“ Steinbach allerdings meinte: „Angesichts meiner 16 Bundestrainer
kommt der DVfL in einer KostenNutzen-Relation gut weg.“
Auch die Funktionäre werden
Posten verlieren. „Wir werden in
jede Kommission, jede Arbeitsgruppe und auch in Präsidium
Mitarbeiter aus der DDR eingliedern“, unterstrich DLV-Präsident
Helmut Meyer, „aber etwa im
Verhältnis der Stimmen beim Verbandstag.“ Das sind nicht übermäßig viele. Die sollen nach Meyers
Worten aber möglicherweise schon
nach der Aufnahme der DDR-Landesverbände noch in Salzgitter
beim Verbandstag Sitz und Stimme
erhalten und schon am nächsten
Tag beim Verbandsrat dabei sein.
Was aus den verbleibenden Mitarbeitern des DVfL-Generalsekretariats – von ehedem 44 bleiben
fünf Funktionäre, von einst 18
Mitarbeitern im Wissenschaftlichen Zentrum Leipzig vier übrig –
wird, steht in den Sternen. Meyer:
„Es ist wie mit den Trainern: Woher soll das Geld kommen.“ Schröter, Professor für Theorie und Methodik an der Deutschen Hochschule für Körperkultur (DHfK) in
Leipzig, will sich auch im neuen
DLV um Position und Einfluß
bewerben.
Für die DDR-Leichtathletik gilt
auch auf anderen Gebieten das
„Prinzip Hoffnung“. „Vielleicht
können wir weitere Trainerstellen
über die Länder erschließen“, sagt
Schröter, „und wir werden uns
bemühen, alle bisherigen Leistungszentren, also die Sportclubs
zu erhalten, wenn auch nicht mehr
mit 20 Trainern, sondern vielleicht
nur einem hauptamtlichen.“ Unterstützung hat der DLV bei dem Streben zugesagt, das ehemalige Gebiet
der DDR nicht ganz von Leichtathletikveranstaltungen zu entblößen.
Wenn möglich, sollen auch deutsche Meisterschaften dort ausgetragen werden. Primo Nebiolo, der
Präsident
des
Internationalen
Leichtathletik-Verbandes (IAAF),
hat zudem zugesagt, daß neben dem
ISTAF im Olympiastadion auch der
Olympische Tag in (Ost-)Berlin als
zweites Grand-Prix-Meeting in
Berlin erhalten bleibt.
Die IAAF will im übrigen die
vereinten Deutschen finanziell
unterstützen, wenn sie künftig mit
einer größeren Mannschaft bei
internationalen
Meisterschaften
aufkreuzen. Vom 1. Januar 1991
wird ein Verband, eine Nationalmannschaft die deutsche Leichtathletik bei der IAAF vertreten. Nebiolo erwartet „eine große deutsche
Mannschaft“. Der Italiener schlug
am Donnerstag in Berlin zudem eine „Wiedervereinigungsfeier“ vor.
Nach fast 40 Jahren der Konfrontation bis hin zur offenen Gegnerschaft auch in der Leichtathletik ist
für manch einen, der die siebte
Verhandlungsrunde zwischen DLV
und DVfL am Donnerstag in Berlin
mitmachte, die nunmehr beschlossene Vereinigung auch fast ein Jahr
nach dem 9. November noch immer
ein Wunder. „So viele Verhärtungen von 40 Jahren lassen sich in ein
paar Stunden entknoten“, sagte
Prof. Georg Wieczisk, der nach der
„Wende“ als DVfL-Präsident abgelöst wurde, „dafür war das heute
eine lange, aber erfolgreiche Sitzung.
Chronik August 1990
18.08.1990
Berlin: Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz erklären IAAF, DVFL der DDR und
der DLV, dass die Vereinigung der Leichathleten am 24. November 1990 erfolgen
wird.
19.08.1990
Dresden: Letzte DDR-Meisterschaften der
Leichtathletik.
20.08.1990
Das Präsidium des Deutschen Schwimmverbandes beschließt nach einer zweitägigen Sitzung in Münster bei den Weltmeisterschaften im Schwimmen und Wasserspringen
im
Januar
1991
in
Perth/Australien mit einer deutschen
Mannschaft an den Start zu gehen. Der
Präsident
des
DDR-SchwimmsportVerbandes (DSSV), Wilfried Windolf,
hatte mitgeteilt, dass die teilweise noch zu
gründenden DDR-Landesverbände Ende
September um Beitritt zum DSV ersuchen
werden.
21.08.1990
Der Westdeutsche Schwimmstar Michael
Groß fordert im Vereinigungsprozess tragbare Lösungen für beide Seiten, gerechte
Qualifikationsnormen. Er befürchtet eine
große Rücktrittswelle.
Im Interview mit dem „Deutschlandfunk“
beklagt der Sprecher der DDR-Athleten,
Ulf Timmermann, dass der DDR-Sport von
den Entwicklungen überrollt worden sei.
Reibereien seien vorprogrammiert. Zudem
befürchtet er Probleme bei der Aufstellung
einer gemeinsamen Olympiamannschaft.
23.08.1990
Zweite Sitzung der Arbeitsgruppe Strukturfragen in Frankfurt am Main.
67
27.08.1990
Split: Bei den Leichtathletik-Europameisterschaften tritt die DDR zum letzten
Mal international auf. Ihre Medaillenbilanz
12/10/10.
Frankfurt am Main: Die deutschen Ruderer
nehmen an der Weltmeisterschaft vom
29.10.-3.11. mit zwei getrennten Mannschaften teil.
Freyburg: Turnfestival zum ersten Mal mit
Gästen aus dem Osten und Westen
Deutschlands.
SPD-Bundestagsfraktion kritisiert, dass im
Entwurf des Einigungsvertrages der Vereins- und Breitensport ausgeklammert
wird.
28.08.1990
Die Gewichtheber der DDR beantragen
beim
Internationalen
GewichthebeVerband, bei den Weltmeisterschaften im
November noch mit einer eigenen Mannschaft antreten zu können.
30.08.1990
Erklärung der Volkskammerfraktion und
des Vorstands der SPD der DDR: „Ohne
schnelle Hilfe droht dem DDR-Sport das
Aus.“ SPD fordert eine Übergangsfinanzierung durch den Bund.
31.08.1990
Berlin (Ost)/Frankfurt am Main: Verbandstagssitzungen der beiden deutschen Fußballverbände, DFV und DFB. Einigung auf
einen neuen vorgezogenen Termin für die
„Fußball-Einheit“: 21. November 1990.
68
August 1990 – Eine Collage
Chronik September 1990
69
September 1990
01.09.1990
Bonn: Beim Spitzengespräch von Vertretern der Sportverbände mit Innenminister
Wolfgang Schäuble spricht dieser sich für
eine Globalfinanzierung aus, um das Zusammenwachsen in vernünftiger Weise zu
ermöglichen. Damit soll auch der Ausverkauf des DDR-Sports gestoppt werden.
Stiftung Deutsche Sporthilfe benötigt für
1991 kurzfristig 19 Millionen D-Mark,
damit auch die Versorgung der bisherigen
DDR-Sportler ab dem 1. Januar 1991 gewährleistet ist.
Leimen: Der Internationale Gewichtheberverband stimmt dem Antrag des Deutschen
Verbandes für Gewichtheben und Fitness
der DDR zu, dass deutsche Gewichtheber
getrennt zur WM fahren.
Oberhof: Raimund Bethge, Klubtrainer
beim ASK Vorwärts Oberhof, wird BobBundestrainer.
Kassel: Boxgipfel, Verbände aus Ost und
West treffen sich zu Vereinigungsverhandlungen.
02.09.1990
Leipzig: Fußball-Freundschaftsspiel zwischen 1. FC Lok Leipzig und Bayern München vereinbart.
Gründung des Amateurboxverbandes des
Landes Brandenburg. Präsident: Knut Batavia.
03.09.1990
Die Modernen Fünfkämpfer aus der DDR
sind dem Deutschen Verband für Modernen Fünfkampf beigetreten.
04.09.1990
Radsportler benennen
Auswahl-A-Kader.
gesamtdeutsche
Königs Wusterhausen: Gründung des Landesverbandes Tischtennis im Land Brandenburg. Präsident: Klaus Lehmann.
05.09.1990
Bonn: Die CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestags fordert Anschubfinanzierung des Breitensports der DDR.
06.09.1990
Frankfurt am Main: Willi Daume, u. a.
Vorsitzender der Deutschen Sporthilfe teilt
mit, dass der Sporthilfe 25 Millionen DMark fehlen, um nach der Vereinigung
auch die Spitzensportler der DDR zu fördern.
07.09.1990
Bonn: Gespräche zwischen Bundeskanzler
Helmut Kohl, DSB-Präsident Hans Hansen, NOK-Präsident Willi Daume und Innenminister Wolfgang Schäuble. Fragen
des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik
und die Auswirkungen auf den Sport. Kohl
will sich für die Aufrechterhaltung des
hohen Niveaus des Leistungssports in der
DDR einsetzen.
Der Weltruderverband genehmigte den
Start zweier deutscher Mannschaften bei
der Ruder-WM im November 1990.
Pressemitteilung des Fußballverbandes
(DFB der DDR): Es habe keine Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatsicherheit gegeben.
08.09.1990
Aue: Letzte DDR-Meisterschaften im Bogenschießen.
70
Schussfahrt in die Einheit – Im September 1990 begann die Vereinigung der Fachverbände
Michael Barsuhn
Schussfahrt in die Einheit
Im September 1990 begann die Vereinigung der Fachverbände
von Michael Barsuhn
September 1990. Die Dynamik und Härte
eines Eishockeyspiels ist von anderen
Sportarten kaum zu übertreffen. Schon gar
nicht vom Golfen, das eher bedächtig daher kommt. Im Vereinigungsprozess des
deutschen Sports waren jedoch ausgerechnet die Golfer (ebenso wie die Turner)
schneller als die Kufenflitzer auf dem Eis.
Knapp einen Monat vor dem Beitritt der
DDR zur Bundesrepublik, am 3. Oktober
1990, und zwei Tage bevor sich die Eishockeyverbände der DDR und der Bundesrepublik am 11. September 1990 vereinigten,
schlossen sich die Golfer und Turner als
erste Sportfachverbände der beiden deutschen Staaten am 9. September 1990 zusammen.
Während das Turnen zu DDR-Zeiten als
olympische Sportart besonders hofiert
wurde, war der Mauerfall für Golf und
Eishockey eine Befreiung von bisheriger
staatlicher Unterdrückung.
"Golf wurde erst seit 1987 gespielt. Vorher
war hier rein gar nichts los", erzählt Bernd
Rudolph aus Dresden, der im Oktober
1989 die "Erste allgemeine Sportgruppe
Golf der DDR" ins Leben rief, aus der im
April 1990 der "Deutsche Golfverband der
DDR" hervorging. Es gab keine Klubs,
weniger als dreißig Aktive und keine Plätze. "Wir mussten in die Tschechoslowakei
fahren. Da gab es eine ungebrochene Golftradition. Die Anlagen in Brünn oder Prag
waren für DDR-Bürger zugänglich." Der
letzte Golfplatz in Oberhof war schon 1951
mit den Worten "Gemüse statt Golf" in
einen Acker verwandelt worden.
Wer aber dachte, nach der Wende würde
alles einfacher, täuschte sich. "Am liebsten
hätte der DGV (Deutscher Golf Verband)
die Gründung eines ostdeutschen Verbandes ganz verhindert", empört sich Rudolph.
Tatsächlich lag es nicht im Interesse des
DGV, wenige Monate vor der staatlichen
Vereinigung einen eigenständigen DDRVerband entstehen zu lassen. Die Integration des aktiven Häufchens hätte aus WestSicht ohne diesen Zwischenschritt vollzogen werden können. Die Ehe hielt denn
auch nicht lange. Nach endlosen Querelen
gingen Ossis und Wessis ab 1993 wieder
getrennte Wege. Der Golfförderverband
Ost löste sich vom DGV. Klubs und Sportler sind aber weiterhin Mitglieder im
Dachverband.
Die Vereinigung des Eishockeys verlief
unkomplizierter. "Nach dem Mauerfall
ging alles ganz schnell", sagt Hartmut Nickel, von 1976 bis 1990 Cheftrainer des
SC Dynamo Berlin (heute EHC Eisbären).
Im Januar 1990 löste sich Eishockey aus
den Fesseln des Deutschen Eislaufverbandes der DDR. Bereits im Mai 1990 wurden
die DDR-Klubs Dynamo Weißwasser und
Dynamo Berlin in den Deutschen Eishockey-Bund (DEB) aufgenommen. Im September 1990 war Eishockey die erste
Sportart, die in einer gesamtdeutschen Liga
ausgeübt wurde. Fortan kreuzten Weißwasser und Berlin die Schläger mit Köln
und Düsseldorf.
Gegenwärtig spielt Weißwasser in der
zweiten Liga, unter dem Namen Lausitzer
Füchse. Der EHC Eisbären ist neben den
Handballspielern des SC Magdeburg der
einzige große Klub aus der DDR, der einen
gesamtdeutschen Titel erringen konnte. In
ihrer Freizeit zieht es die Mannschaft hin
und wieder auf den Golfplatz. "Sie werden
jetzt grinsen oder lachen, aber ich finde
Golf toll," sagt Eisbären-Assistenztrainer
Nickel. Er lebt in Brandenburg. Dass man
nun in der früheren DDR ungehindert Golf
spielen kann, lässt selbst einen Eisbären
nicht kalt.
Chronik September 1990
08./09.09.1990
Hannover: Auf dem Deutschen Turntag
erfolgt die Vereinigung der beiden deutschen Turnverbände. Die Turner, Sportgymnastinnen, Faustballer, Orientierungsläufer und Spielleute treten dem bundesdeutschen Turnerbund (DTB) bei. Am
3.10. endet die Mitgliedschaft der DDRVerbände in der internationalen Turnföderation.
Potsdam: Gründung des Handballverbandes des Landes Brandenburg. Präsident:
Wolfgang Hartisch.
09.09.1990
Strausberg: Gründung des Brandenburgischen Verbands für Leichtathletik. Präsident: Günther Möbius.
10.09.1990
Bonn: Streit in der Politik um die Zukunft
der Finanzierung des Spitzensports der
DDR.
11.09.1990
München: Zusammenschluss der beiden
deutschen Eishockeyverbände.
Schleife: Letztes Länderspiel der DDRHandballerinnen gegen Norwegen.
12.09.1990
Moskau: Die Außenminister der UdSSR,
der USA, Großbritanniens, Frankreichs
und beider deutscher Staaten unterzeichnen
das Abschlussdokument der Zwei-plusVier-Gespräche, die den Weg zur deutschen Einheit geebnet haben. Beide deutsche Staaten erkennen die Oder-NeißeGrenze mit Polen an.
Brüssel: Letztes Länderspiel der Fußballnationalmannschaft der DDR in Brüssel
gegen Belgien. Die DDR siegt trotz zahlreicher Absagen der Bundesligaprofis mit
2:0, beide Treffer erzielt Matthias Sammer.
Berlin: Dem vereinten NOK für Deutschland sollen 13 Mitglieder aus der DDR
angehören.
71
Ein gemeinsames deutsches Ringer-Team
fährt zur Klassiker-WM nach Rom.
Potsdam: Gründung der Brandenburgischen Sportjugend. Präsidentin: Frauke
Rupprecht.
Karlsruhe: Treffen der Vertreter beider
deutscher Boxverbände. Aufstellung der
ersten gesamtdeutschen Kernmannschaft.
13-köpfiger A-Kader mit sieben Boxern
aus der DDR.
13.09.1990
Spremberg: Erster Golfplatz soll in der
Region Cottbus entstehen.
14.09.1990
Hamburg: Tagung des DSB-Präsidiums.
Erste Vorbereitungen eines Vereinigungsbundestages.
Berlin: Das Ministerium für Jugend und
Sport stellt 22,2 Millionen D-Mark zur
Absicherung des Sportbetriebs zur Verfügung.
Bonn: Sportpolitische Debatte im Bundestag. Die Bundesregierung will sich künftig
besonders für die Wiederbelebung der
Sportvereine in der DDR engagieren.
Cottbus: Ulrich Wagner, ein Unternehmer
aus Stuttgart, wird zum neuen Präsidenten
beim FC Energie Cottbus gewählt.
15.09.1990
Gründung des ersten – ostdeutschen – LSB
Brandenburg. Präsident: Professor Dr.
Junghähnel; Gründung der weiteren vier
LSB (Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen) bis
zum 27.9.1990.
72
Frankfurter Allgemeine Zeitung 25.09.1990
Der Sportausschuß-Vorsitzende Tillmann erwartet einen großen Aufschwung
90 000 Sportvereine und 400 Leistungszentren
eds. BONN. Der Vorsitzende des
Sportausschusses des Deutschen
Bundestages,
Ferdi
Tillmann
(CDU), erwartet einen großen Aufschwung im Sportvereinswesen des
vereinten Deutschlands. Tillmann
geht davon aus, daß es am Ende
dieses Jahrzehnts bis zu 90 000
Sportvereine in Deutschland geben
wird. In einer Pressekonferenz zum
Abschluß der 11. Legislaturperiode
des Parlaments sagte der Sportausschuß-Vorsitzende, zu den gegenwärtig 66 000 Sportvereinen im
Bundesgebiet kämen in wenigen
Jahren sicherlich bis zu 20 000
Vereine in den neuen östlichen
Bundesländern hinzu, die sich aus
den derzeit 10 000 Betriebssportgemeinschaften bilden würden.
In einer „Übersicht der leistungssportlichen Einrichtungen“ hat der
Sportausschuß erstmals die Planungen für die künftigen Bundesländer Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und den
Berliner Raum veröffentlicht. Zu
den 27 Bundesleistungszentren, 15
Olympiastützpunkten, 66 Landes-
leistungszentren und 160 Bundesstützpunkten sollen in den künftigen Bundesländern noch sechs
Olympiastützpunkte, 10 bis 15
Bundesleistungszentren und 100130 Bundesstützpunkte eingerichtet
werden. Das wären mehr als 400
Leistungszentren in Deutschland.
Tillmann regte zudem einen
Sportentwicklungsplan nach dem
Vorbild des „Goldenen Plans“ an.
Vorrangig sei es, den Verkauf und
den Verfall von Sportanlagen auf
dem gegenwärtigen Gebiet der
DDR zu stoppen. Einen „kritischen
Appell“ richtet der CDU-Politiker
an die Bundesländer und die Landessportbünde, die er aufforderte,
verstärkte Hilfe bei der Entwicklung des Sportbildungswesens im
östlichen Teil Deutschlands zu
leisten. Dazu gehöre vor allem der
Erhalt und die sport- und bildungspolitische Reformierung der 25
Kinder- und Jugendsportschulen,
für deren Erhalt sich Tillmann
nachdrücklich aussprach. „Der
Bund kann nicht alles machen“,
kritisierte
der
SportausschußVorsitzende, der von den Ländern
Frankfurter Allgemeine Zeitung 25. September 1990
der Bundesrepublik ein größeres
Engagement im Breitensport erwartet, um die „positiven Ansätze bei
der Breitensportentwicklung in der
gegenwärtigen DDR“ zu unterstützen. Nach dem Stand der Haushaltsberatungen wird der Bund 10
Millionen Mark als „Anschubfinanzierung für den Breitensport“ in
den neuen Bundesländern bereitstellen.
Nach dem Sportgespräch bei
Bundeskanzler Kohl kann die Stiftung Deutsche Sporthilfe in den
nächsten beiden Jahren mit insgesamt 40 Millionen Mark rechnen.
Für die Einrichtung der fünf bis
sechs Olympiastützpunkte in den
östlichen Bundesländern werden
aus Bonn mindestens sechs Millionen Mark benötigt. Mit bis zu 50
Millionen Mark muß zudem für die
Bildung eines „Trainerfonds“ sowie für die Sportmedizin und den
Erhalt von sportwissenschaftlichen
Instituten und Hochschulen gerechnet werden. Um mehr Flexibilität im Trainerwesen zu erreichen,
sprach sich Tillmann für die völlige
Abschaffung der „Vergütungsordnung für Trainer“ aus.
Chronik September 1990
15.09.1990
Leipzig: Das Forschungsinstitut für Körperkultur und Sport wird in den Dienst des
gesamtdeutschen Sports gestellt. Im Zuge
der Umstrukturierungsmaßnahmen wird
die Zahl der Mitarbeiter von 625 auf 200
reduziert.
Berlin (Ost): Auf einem Treffen von Vertretern der beiden deutschen Tischtennisverbände werden die Weichen für die Vereinigung gestellt.
Schwarzheide: Gesamtdeutsches Luftsportfest.
Leipzig: Deutsch-deutsche Tennisbegegnung.
16.09.1990
Dortmund: Das Präsidium des Deutschen
Handball-Bundes (DHB) entscheidet, dass
auch nach der Vereinigung Horst Bredemeier
Cheftrainer
der
MännerNationalmannschaft bleibt. Begründung:
Der bestehende Vertrag solle nicht aufgelöst werden.
Leuthen: Letzte DDR-Meisterschaften im
Billard.
18.09.1990
Erste Sitzung der Arbeitsgruppe Finanzen
in München.
21.09.1990
Berlin: Fußball-Benefizspiel Volkskammer
gegen Bundestag im Sportforum.
22.09.1990
Der DTSB-Bundesvorstand beschließt die
Auflösung der eigenen Organisation zum
5.12.1990.
27.09.1990
Potsdam: Gründung des Olympischen
Sportclubs Potsdam Luftschiffhafen. Präsident: Dr. Wulf Preising.
73
Sitzung der Arbeitsgruppe Leistungssport.
28.09.1990
Cottbus: Nachdem das Sportzentrum zwischenzeitlich als Einkaufzentrum vermietet
worden war, steht es nun wieder dem Sport
zur Verfügung.
29.09.1990
Leipzig: Gemeinsamer Kongress der beiden deutschen Schachverbände. Die neu
gegründeten Landesverbände werden in
den Deutschen Schachbund eintreten.
Zäsur: Sitzung des Lenkungsausschusses
in Leipzig. Dort wurden sämtliche Ergebnisse des Lenkungsausschusses und der
Arbeitsgruppen textlich überprüft, zusammengefasst und als Grundlage für die Vereinigung bestätigt.
30.09.1990
Berlin: Erster gesamtdeutscher BerlinMarathon nach dem Mauerfall.
München: Erstmalig fährt eine gesamtdeutsche Männer-Turn-Riege zum Länderkampf, mit neutralen Trainingsanzügen,
auf dem Rücken der Aufdruck: „Gesamtdeutsche Mannschaft 1990 – DTB-DTV.“
74
September 1990 – Eine Collage
Chronik Oktober 1990
Oktober 1990
02.10.1990
Frankfurt am Main: Auf einer Tagung des
Bundesausschusses Leistungssport wird
über die Vergabe der Olympiastützpunkte
entschieden. Im Land Brandenburg erhält
zunächst Frankfurt (Oder) den Zuschlag.
Später Korrektur: Cottbus erhält den Zuschlag.
03.10.1990
Vollendung der staatlichen Einheit auf der
Grundlage des Art. 23 Satz 2 GG. Der Beitritt der DDR vollzieht sich formal durch
die Aufnahme der am 22. Juli neugegründeten Länder Brandenburg, MecklenburgVorpommern, Sachsen, Thüringen und
Sachsen-Anhalt in den Geltungsbereich
des Grundgesetzes.
06.10.1990
Darmstadt: Die Vorsitzenden der fünf neu
gegründeten
Leichtathletik-Landesverbände
Thüringen,
MecklenburgVorpommern, Brandenburg, Sachsen und
Sachsen-Anhalt geben in der Geschäftsstelle ihren Antrag auf Aufnahme in den
DLV ab. Die Mitgliederzahl des DLV wird
sich bei der Vereinigung am 24.11. um
75.000 auf 900.005 erhöhen.
07.10.1990
Interview mit Willi Daume in „Die Welt“:
Der Finanzbedarf der Deutschen Sporthilfe
wird durch die Vereinigung nun doppelt so
groß – also 50 Millionen Mark.
08.10.1990
Die Deutsche Olympische Gesellschaft
und die Gesellschaft zur Förderung des
Olympischen Gedankens in der DDR beschließen, sich zum 1. Januar 1991 zu vereinigen. Die Geschäftsstelle im Ostteil
Berlins soll neben der Frankfurter Zentrale
erhalten beiben und künftig den Aufbau
von rund 20 DOG-Stadtgruppen in den
fünf neuen Bundesländern koordinieren.
75
10.10.1990
Die Eintrittskarten für das „Fest des deutschen Fußballs“ gehen in den Vorverkauf.
12.10.1990
Cottbus: Gründung des ersten Sport- und
Gesundheitszentrums e. V. in den neuen
Bundesländern.
19.10.1990
Beitritt der Ostdeutschen Schwimmverbände der Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, SachsenAnhalt, und Thüringen in den DSV. Zahl
der Landesverbände steigt von 13 auf 18
und die Mitgliederzahl von 517.000 auf
rund 540.000.
20./21.10.1990
Heilbronn: Deutsche Judomeisterschaften.
Absage an ostdeutsche Athleten. „Wir sind
ja noch zwei Verbände.“ (Romenrath,
Sportdirektor des DJB); Vereinigung DJB
und DJV am 2. Februar 1991.
Die neu gegründeten Regionalvereine der
Sportjournalisten der fünf ostdeutschen
Länder treten dem VDS bei.
23.10.1990
Frankfurt am Main: Die Landesverbände
Tischtennis der fünf ostdeutschen Bundesländer treten dem Deutschen TischtennisBund bei.
26.10.1990
Antrag auf Beitritt der LSB zum DSB.
26.-28.10.1990
München: Gesamtdeutsche Meisterschaften der Wasserspringer.
28.10.1990
Nürnberg: Die Triathleten aus den fünf
ostdeutschen Bundesländern treten der
Deutschen Triathlon-Union bei.
Erste Rate der Anschubfinanzierung ist
eingetroffen. Brandenburgs Landessportbund erhält 2,3 Millionen D-Mark.
76 „Ostdeutsch oder westdeutsch Rudern?“ – Bei der Vereinigung der Fachverbände erkannten ost- und westdeutsche
Athleten schnell, dass sie künftig in einem Boot sitzen
Jutta Braun
„Ostdeutsch
Rudern?“
oder
westdeutsch
Bei der Vereinigung der Fachverbände
erkannten ost- und westdeutsche Athleten schnell, dass sie künftig in einem
Boot sitzen
von Jutta Braun
Oktober 1990. Der Systemkampf der beiden deutschen Staaten fand seine Entsprechung jahrzehntelang in der sportlichen
Arena. Die beiden Staaten konkurrierten
um das bessere Sportsystem, um Medaillen, um internationale staatliche Anerkennung. Die DDR trainierte ihre Athleten
nicht allein auf Punktsieg, sondern auch
auf Abgrenzung gegen den „Klassenfeind“.
In umfangreichen Schulungen vor deutschdeutschen Vergleichskämpfen wurden die
Sportler auf eine feste Linie gegenüber den
Westdeutschen eingeschworen: nur die
notwendigsten Kontakte, keine persönlichen Gespräche. Es ist lange spekuliert
worden, welche tatsächliche Wirkung diese
Rotlichtbestrahlungen auf die Athleten
hatten. Ließen sie sich indoktrinieren, oder
prallte die offensichtliche Propaganda an
ihnen ab?
Im Zuge der deutschen Wiedervereinigung
ergab sich für die ehemaligen politischen
und sportlichen Gegner eine überraschende
Situation: Sie mussten nun plötzlich nicht
nur ausführlich miteinander sprechen, sondern auch den schwierigen Prozess der
Vereinigung gemeinsam bewältigen. Henrik Lotz vom westdeutschen Rudersportverband konzediert rückblickend, es sei
anfangs immer eine „Distanz drin“ gewesen, denn „wir waren ja der Klassenfeind
und die waren für uns die Anderen“. Mit
einem Briefwechsel im November 1989
begann dann jedoch eine vertrauensvolle
Kooperation, die den Weg in die Einheit
ebnete – ohne Dokumente, alles per Handschlag. Dass dies alles reibungsarm vonstatten ging, ermöglichte der Sport, der das
entsprechende Verständnis füreinander
herstellte. Lotz erläutert: „Wer einmal einen Männerspind im Bootshaus gerochen
hat, wer einmal nasses Holz und Lack und
all das riecht, der kommt von dem Rudern
nicht mehr los und das ist eine Eigenschaft,
die sich nicht nach Ost und West aufteilt,
sondern das ist vorhanden und deshalb
ging auch vieles so glatt.“
Doch gab es auch viele Holprigkeiten, auf
der Ebene grundlegender Fragen ebenso
wie bei Spezialaspekten einzelner Sportarten. So wollten einige Fachverbände den
an der Deutschen Hochschule für Körperkultur und Sport ausgebildeten Trainern
zunächst nur die B-Lizenz zuerkennen –
ein Vorhaben, das insbesondere die Trainer
von Olympiasiegern und Weltmeistern
düpierte. In den Spielsportarten stellte die
Schaffung eines einheitlichen Spielsystems
und die Integration der Ost-Klubs in die
Bundesligen das größte Problem der Einheit dar. Insbesondere im Fußball wurden
zahlreiche ostdeutsche Hoffnungen enttäuscht, die sich auf eine höhere Anzahl
der Ost-Vereine in der Ersten und Zweiten
Liga gerichtet hatten. Mit technischen Angleichungsproblemen hatte der Rudersport
zu
kämpfen,
woran
sich
DDROlympiasiegerin Kathrin Boron noch heute
gut erinnert: Es gab „halt zwei verschiedene Techniken. Die Ostdeutschen, die ruderten so, rechts vor links; und die Westdeutschen ruderten links vor rechts. Wenn man
dann zusammen im Boot saß, musste man
sich ja irgendwie angleichen. Na ja, und
dann wurde halt festgelegt, die Ostdeutschen rudern dann so wie die Westdeutschen irgendwann. Das fand ich damals
nicht so gut.“ Trotz der anfänglichen Verärgerung über dieses westdeutsche sportliche Diktat herrschte doch bald ein gutes
zwischenmenschliches Verhältnis unter
den Athleten. „Weil wir einfach miteinander rudern mussten. Wenn wir zusammen
im Boot saßen, dann ist man nur schnell,
wenn man auch miteinander auskommt.“
Frankfurter Allgemeine Zeitung 06.10.1990
77
Nun auch noch Geldsorgen / Gesetz soll Ausverkauf verhindern
Sporthallen klein, kalt und ohne Duschen:
Freizeitsportler haben im Osten kaum Platz
Berlin (dpa). „Tennisplätze selbstgemacht“. Mit dieser Broschüre
versuchten die Sportstättenplaner
in der ehemaligen DDR Ende der
achtziger Jahre, dem sich abzeichnenden Tennisboom zu begegnen.
Die Maßnahme, die mangels Material scheiterte, offenbarte die Hilflosigkeit eines Systems, das jährlich 100 Millionen Mark für Sportstätten in den olympischen Sportarten bereitstellte, gegenüber den
Bedürfnissen des Breitensports.
Trotz des Bekundens der DDRVolkskammer nach der Wende,
den Breitensport verstärkt zu fördern, werden aufgrund der Sportstätten-Situation in Ostdeutschland
die Freizeitsportler auch weiterhin
die Stiefkinder des Sports bleiben.
Die statistische Erhebung des ehemaligen Ministeriums für Jugend
und Sport stellt die Sportlandschaft
zunächst gar nicht schlecht dar: 37
243 Sportstätten existieren auf dem
Gebiet der früheren DDR. Das ist
eine Zahl, die sich etwa mit Nordrhein-Westfalen vergleichen läßt,
das eine ähnlich hohe Bevölkerungszahl aufweist. In der Summe
enthalten sind 15460 Sportplätze,
8428 Sporthallen, 373 Hallenbäder
und 1294 Tennisfelder. Aber wenn
sich für die Freizeitsportler die
bisher verschlossenen Türen vieler
Leistungssportanlagen
öffnen,
finden sie oft Sportanlagen vor, die
selbst Mindestanforderungen nicht
entsprechen. „Die Sportstätten
waren fast ausschließlich für den
Leistungssport konzipiert, ihre
Ausstattung ist in vielen Fällen
spartanisch“, sagt Ulrich Schmied,
von 1987 bis 1989 Abteilungsleiter
für Sportbauten im Amt für Jugend
und Sport.
So zeichnet denn auch die Studie
des Ministeriums ein eher düsteres
Bild: 13 Prozent aller Schulsporthallen haben keine Heizung, 17
Prozent sind ohne Sanitäreinrichtungen, 92 Prozent aller Hallen sind
zu klein für Ballsportarten. „Besonders im Winter ist der Bedarf an
Hallen bei weitem nicht gedeckt“,
sagt Bernd Hermann, bis vor zwei
Tagen Referatsleiter für Sportfinanzierung und Rechtsangelegenheit im Ministerium für Jugend und
Sport. Auf die maroden Sportanlagen im Osten Deutschlands kommt
nach der Vereinigung noch das
Finanzierungsproblem zu. Viele
sind im Besitz von Betrieben, die
sie den Betriebsportgruppen bisher
kostenlos zur Verfügung gestellt
hatten. Aufgrund der angespannten
Lage wird sich dies ändern. Ein
Sicherungsgesetz hat den Verkauf
von Sportstätten an private Nutzer
bisher unterbunden, doch es wurde
Frankfurter Allgemeine Zeitung 6. Oktober 1990
im Einigungsvertrag nicht übernommen. „Wir hoffen, daß das
Gesetz weiter gilt und freiwerdende
Sportanlagen zunächst den Kommunen angeboten werden“, sagt
Hermann.
Gesichert ist zunächst der Erhalt
der Anlagen, die bisher dem Ministerium für Inneres unterstanden. Sie
gehen in den Besitz des Bundes
über. Ein Teil der DDRSportschulen wie in Leipzig, Lindow oder Zinnowitz soll für den
gesamtdeutschen
Leistungssport
erhalten bleiben. Für andere Sportstätten, die teilweise in besten
Stadtlagen angesiedelt sind, interessieren sich in zunehmendem
Maß private Investoren. So soll ein
Teil der Sportschule Kienbaum bei
Berlin in ein Rehabilitationszentrum umgewandelt werden. Derweil
versuchen die Betreiber von Sportanlagen, die durch den Wegfall von
staatlicher Unterstützung gerissenen Finanzierungslöcher mit ungewöhnlichen Einfällen zu stopfen. In
Chemnitz wurde die Eishalle im
Sommer an einen bundesdeutschen
Handelsriesen als Lagerraum vermietet. In der Laufhalle der Leichtathleten des SC Cottbus kann zur
Zeit eingekauft werden: hier hat ein
Supermarkt für unbestimmte Zeit
Quartier bezogen.
78
Oktober 1990 – Eine Collage
Chronik November 1990
79
November 1990
03.11.1990
Leipzig: Der Berliner Hooligan Mike Polley stirbt nach Ausschreitungen durch eine
Polizeikugel.
20.11.1990
Leipzig: Außerordentlicher Verbandstag
des DFV der DDR: Selbstauflösung des
DFV der DDR und Neukonstituierung als
Regionalverband Nord/Ost.
Hürth: „Tag der Hockey-Einheit“. Auf
dem außerordentlichen Bundestag des
Deutschen Hockey-Bundes (DHB) vollziehen die fünf ostdeutschen Landesverbände
den Beitritt.
21.11.1990
Leipzig: „Tag der Fußball-Einheit“. Außerordentlicher Bundestag des DFB. In der
Leipziger Oper tritt der Regionalverband
Nord/Ost (NOFV) dem DFB bei.
08.11.1990
Potsdam: Potsdam wird Bundesstützpunkt
Rudern.
22.11.1990
DDR-Fußballer sind für den DFB spielberechtigt.
08.11.-11.11.1990
München: 102. Deutsche Schwimmmeisterschaften als erste gesamtdeutsche Meisterschaften seit 1948.
24.11.1990
Hagen: „Tag der Basketball-Einheit“. Auf
dem Außerordentlichen DBB-Bundestag
vollziehen die fünf ostdeutschen Landesverbände den Beitritt zum DBB.
13.11.1990
Leipzig: Nach einem Treffen von DFV und
DFB, dem sächsischen Innenminister Dr.
Rudolf Krause, sowie den Polizeibehörden,
wird das für den 21. November geplante
Länderspiel DFV – DFB abgesagt.
17.11.1990
Berlin: Vereinigung des NOK der DDR
und des NOK für Deutschland.
Vereinigung des Berliner Fußballs. Die
Präsidenten der Berliner Fußballverbände,
Otto Höhne (West) und Uwe Piontek (Ost),
besiegeln den Zusammenschluss im Hotel
„Interconti“. Gemeinsamer Spielbetrieb ab
der Saison 1991/92.
Salzgitter: Die Leichtathletik-Landesverbände der fünf neuen Bundesländer treten
dem DLV bei.
Vereinigung der Modernen Fünfkämpfer.
29.11.1990
„Stern“: Wie die DDR Sieger machte/Doping – der Beweis.
„Frankfurter Rundschau“: „Stern“ enthüllt
Dopingskandal in der früheren DDR. Harte
Vorwürfe gegen Stars.
„Bild“: Die Dopingsünder! Ihre Medaillen
dürfen sie behalten.
„FAZ“: Die Maske fällt.
Im Amateurboxen startet eine gemeinsame
Deutschlandliga.
30.11.1990
Bonn fordert schnelle Untersuchung. Innenministerium: Doping-Vorwürfe Sache
des Sports.
18.11.1990
Berlin (Ost): „Tag der BadmintonEinheit“. Im Kongresszentrum werden die
fünf ostdeutschen Landesverbände mit
Wirkung vom 1. Januar 1991 in den DBV
aufgenommen.
Der sportpolitische Sprecher der SPD
Bundestagsfraktion, Peter Büchner: „Nur
ein humaner, und das heißt drogenfreier
Leistungssport ist förderungswürdig.“
80
Die olympische Einheit – Ein schneller Zusammenschluss mit langfristigen Folgen
Michael Barsuhn und Jutta Braun
Die olympische Einheit
Ein schneller Zusammenschluss mit
langfristigen Folgen
von Michael Barsuhn und Jutta Braun
November 1990. Das NOK der DDR symbolisierte als „Medaillenkollektiv“ die internationalen Erfolge des ostdeutschen Sportwunderlandes. Manfred Ewald verkörperte als
Präsident des DTSB und NOK (seit 1973)
die machtpolitische Doppelspitze des DDRSports. Während er bereits im November
1988 gegen seinen Willen als DTSBPräsident verabschiedet worden war, gelang
es ihm zunächst noch eine Weile, seine Position im NOK zu verteidigen. Allerdings lag
auch hier, so erinnert sich Joachim Weiskopf, Ewalds Rücktritt in der Luft, wurde
aber „verschoben, verschoben, verschoben“.
Eine für den 3. November 1989 vorgesehene
Mitgliederversammlung des NOK sagte der
Sportchef kurzfristig ab. Mit dem Fall der
Mauer spitzte sich die öffentliche Kritik am
Staatssport jedoch immer weiter zu. Eine
völlig ungewohnte Situation für die DDRSportführung: Das ehemalige Hätschelkind
des SED-Regimes sah sich ungeschützt harscher Schelte ausgesetzt. Die Bürgerrechtler
des Neuen Forums Leipzig forderten: „Stasi,
Armee und Leistungssport müssen weg!“
Am 20. November hielt der enge Weggefährte Ewalds und NOK-Schatzmeister Franz
Rydz dem öffentlichen Druck nicht mehr
stand. Er machte sich auf den Weg in den
Kraftraum der Sportschule Kienbaum, beschwerte sich mit Gewichten und ertränkte
sich im benachbarten Liebenwerder See. Im
Zuge der nachfolgenden Ermittlungen kam
ein von ihm und Ewald unter Verschluss
gehaltener Valutafonds mit Schwarzeinnahmen ans Licht. Nun brach auch bei vielen
Genossen ein Sturm der Entrüstung los.
Ewald stand am Abgrund. Auf einer für den
6. Januar 1990 per Telegramm einberufenen
Mitgliederversammlung erklärte er, unter
strengem Ausschluss der Öffentlichkeit, seinen Rücktritt. Sein Nachfolger, Dr. Günther
Heinze, sollte nur übergangsweise amtieren
bis zur freien Wahl eines neuen NOK-
Präsidenten am 16. Juni 1990 in Kienbaum.
Ebenso wie bei den ersten freien Wahlen im
DTSB drei Monate zuvor gab es hier nur
einen Kandidaten. Der parteilose Kanuverbandspräsident Professor Dr. Dr. Joachim
Weiskopf hatte sich als einziger bereit erklärt, in der schwierigen Zeit anzutreten. 44
von 47 Delegierten sprachen ihm das Vertrauen aus. Von nun an begann der Endspurt
zur olympischen Einheit im deutschen Sport.
Willi Daume erklärte am 1. März im NOKReport. „Respekt vor der GemeinsamkeitsBereitschaft im Sport der DDR! Lange haben
wir darauf gewartet. Wir wollen sie nach wie
vor. Uns braucht man nicht zu überzeugen.“
Am 4. Juli trafen sich Daume und Weiskopf
zu einem Vier-Augen-Gespräch im Berliner
Palace-Hotel. Die vertraglichen und technischen Einzelheiten wurden einem Lenkungsausschuss mit drei Arbeitsgruppen übertragen. NOK-Generalsekretär Walther Tröger
betont das gute Einvernehmen beider Parteien in den Verhandlungen „Die liefen sehr
freundschaftlich ab, weil wir eben von einer
echten Verschmelzung, nicht von einer
feindlichen Übernahme gesprochen haben.“
Der 17. November 1990, der als Tag der
Vereinigung der beiden deutschen olympischen Brüder begangen wird, sah nicht eine,
sondern zwei Zeremonien. Im Wappensaal
des Roten Rathauses in Berlin fasste die
Mitgliederversammlung des NOK der DDR
den historischen Beschluss, sich mit Wirkung vom 1. Januar 1991 mit dem NOK für
Deutschland zum Nationalen Olympischen
Komitee für Deutschland zu vereinigen. Im
Reichstag fand anschließend ein gemeinsamer Festakt mit dem westdeutschen NOK
statt.
Ein Satz im Vereinigungs-Beschluss sollte
noch langfristige Bedeutung erlangen: „Eine
Rechtsnachfolge zum NOK der DDR findet
nicht statt.“ Inwieweit dies gilt, wird noch
heute von Juristen im Zuge der Dopingopferprozesse diskutiert. Unstrittig hingegen
ist, dass das Nationale Olympische Komitee
in der historischen Verantwortung der olympischen Tradition beider deutscher Staaten
steht.
Frankfurter Allgemeine Zeitung 22.11.1990
81
Bundeskanzler betont die Autonomie des Sports
Helmut Kohl sagt dem Sport Geld und Rat zu
“Staat darf vor Gewalt nicht zurückweichen“
BONN (sid). Bundeskanzler Helmut Kohl sagt dem deutschen Sport
umfassende finanzielle und beratende Unterstützung zu, falls seine
Regierung bei der Bundestagswahl
am 2. Dezember bestätigt wird. In
einem Gespräch mit dem SportInformations-Dienst schloß Kohl
dabei den gesamten Spitzensport
ein, den strukturellen Aufbau der
Verbände in den fünf neuen Bundesländern, den Erhalt und die
Sanierung der dortigen Leistungszentren, die Integration qualifizierter Trainer aus der ehemaligen
DDR und den deutschen Olympiabewerber für die Sommerspiele im
Jahr 2000.
Zur Gewaltszene im Umfeld des
Fußballs stellte der Bundeskanzler
fest: „Der Staat darf vor der Gewalt
in und um Sportstätten ebensowenig zurückweichen wie vor politisch motivierten gewalttätigen
Ausschreitungen.“ Kohl betonte,
daß „die Ursachen für diese Gewaltausbrüche“, die unter anderem
zur Absage der für den Buß- und
Bettag geplanten Fußballgala geführt hatten, „nicht im Fußballsport
liegen. Wir begegnen diesen Kriminellen ebenso in der Hausbesetzerszene wie bei manchen politischen Großdemonstrationen.“ Die
Polizei sei in der Lage, diese Szene
„bei Sportveranstaltungen im großen und ganzen unter Kontrolle zu
halten“. Er sehe „die Erwartung
begründet, daß der Ausbruch von
Gewalttätigkeiten bei Sportveranstaltungen in den neuen Bundesländern ein vorübergehendes Phänomen bleiben wird“.
Im internationalen Vergleich
sieht der Kanzler die deutschen
Sportler „wie bisher in der Weltspitze“. Gleichzeitig warnt er vor
übertriebenen Erwartungen: „Man
sollte jetzt nicht einfach die Medaillen der Bundesrepublik und der
früheren DDR addieren, da ja auch
zahlreiche Startplätze wegfallen.“
Ein Unbehagen des Auslands gegenüber einer neuen „Sportgroßmacht“ Deutschland hat Helmut
Kohl bisher nicht gespürt.
Kohl verweist auf die Autonomie
des Sports und seiner Organisationen beim Aufbau neuer Strukturen
in den fünf neuen Bundesländern:
„Sport ist Sache des Sports.“ Er
bietet aber die Hilfe der Bundesregierung bei der Bewältigung dieser
Aufgabe an. Gleichzeitig sagte er
„erhebliche Mittel für die Sicherung der erhaltenswerten Spitzensporteinrichtungen“ zu. „Dazu
gehören Mittel für die Trainer und
Frankfurter Allgemeine Zeitung 22. November 1990
die Leistungssportzentren, unter
anderem auch für den Behindertensport.“
Nach den Kenntnissen des Bundeskanzlers werde eine Vielzahl
guter Trainer aus der ehemaligen
DDR von den Fachverbänden übernommen. „Hierfür stellt die
Bundesregierung übrigens 13 Millionen Mark zur Verfügung.“
Eine denkbare Alternative sei die
Beschäftigung qualifizierter ehemaliger Trainer an Schulen und Berufsschulen. „Ich hielte das für eine
gute Sache“, meinte der Bundeskanzler, „aber dies ist eine Sache,
die die Länder betrifft.“
Daß der Sport den Partner Wirtschaft braucht steht für Kohl außer
Frage. Aber: „Der Akzent muß auf
Partnerschaft liegen. Der Geldgeber
darf den Sport nicht beherrschen
und umwandeln wollen. Es darf
auch nicht sein, daß wegen der
Kommerzialisierung die Ethik im
Sport zur Disposition gestellt wird.
Dann muß der Sport auf die finanzielle Unterstützung verzichten.“
Auf Mißstände könne die Bundesregierung nur in Bereichen reagieren, wo sie den Sport unmittelbar
selbst fördert und grobe Verstöße
gegen Ethik und Moral feststellt.
Das betreffe zum Beispiel das gesamte Thema Doping.
82
November 1990 – Eine Collage
Chronik Dezember 1990
Dezember 1990
02.12.1990
Berlin (Ost): Außerordentlicher Verbandstag des DTTV in Berlin-Grünau beschließt die Verbandsauflösung zum
31.12.1990 und die Bildung einer einheitlichen Tischtennis-Organisation.
03.12.1990
Die „FAZ“ schreibt: Einen Tag nach der
Auflösung des Turn- und Sportbundes Berlin (TSB) vollzieht der Landessportbund
Berlin durch die Zuwahl weiterer Vorstandsmitglieder die formale Vereinigung.
Die Mitgliederversammlung des LSB findet in einer aufgeheizten Atmosphäre statt,
die sich an der Frage der bezirklichen
Sportgemeinschaften entzündet.
05.12.1990
Auflösung des DTSB.
Flensburger Tageblatt: Sport – Zukunft
ohne Schatten? Doping und kein Ende.
DSB-Präsident Hans Hansen fordert eine
unabhängige Kommission von Experten.
08.12.1990
Dortmund: Auf dem 3. Außerordentlichen
Bundestag des Deutschen HandballBundes treten die fünf ostdeutschen Landesverbände dem DHB bei.
08.-09.12.1990
Leipzig: Tag der Einheit im Radsport –
Auf der außerordentlichen Bundeshauptversammlung werden die fünf ostdeutschen Landesverbände in den Bund Deutscher Radfahrer (BDR) aufgenommen.
Nach dem Beitritt 20 Landesverbände mit
132.000 Mitgliedern.
09.12.1990
Bonn: Aufnahme der Landesverbände der
Fechter der fünf neuen Bundesländer in
den Deutschen Fechterbund.
83
10.12.1990
Potsdam: Die neue Ministerin für Bildung,
Jugend und Sport im Land Brandenburg
Marianne Birthler und der Landessportbund-Präsident Professor Dr. Gerhard
Junghähnel verständigen sich über die
künftige Zusammenarbeit.
13.12.1990
Die „FAZ“ meldet: In der neuesten Ausgabe des „Stern“ werden 324 aktuelle und
ehemalige DDR-Leistungssportler des Dopings bezichtigt, die namentlich aufgelistet
werden.
13.-16.12.1990
Berlin: Gemeinsame deutsche Meisterschaften im Eiskunstlaufen. Der Beitritt
der Landesverbände des Deutschen Eislaufverbandes (DELV) in die Deutsche
Eislauf-Union (DEU) erfolgt am 1. Januar
1991.
15.12.1990
Hannover: Hauptausschusssitzung des
Deutschen Sportbundes: Aufnahme der
fünf neuen Landessportbünde in den
DSB. Der mit 502 Ja- bei 33 NeinStimmen wiedergewählte DSB-Präsident
Hans Hansen spricht vor den Delegierten, dass noch viel Arbeit warte: „Beim
Aufbau demokratischer Strukturen, bei
der Sanierung und Erneuerung von
Sportanlagen und bei der Bewältigung
von Umweltfragen in der ehemaligen
DDR.“ Martin Kilian wird zum DSBVizepräsidenten gewählt.
19.12.1990
Mit Matthias Sammer und Andreas Thom
debütieren beim 4:0 gegen die Schweiz die
ersten ehemaligen DDR-Spieler im DFBTeam. Den Fifa-Regeln ist damit Rechnung getragen: Erst muss sich das Land,
für das man spielte, auflösen, ehe die neue
Identität gilt.
84
Rückblick – Die deutsche Sporteinheit – eine Zwischenbilanz nach 15 Jahren
Michael Barsuhn und Jutta Braun
Rückblick
Die deutsche Sporteinheit – eine Zwischenbilanz nach 15 Jahren
von Michael Barsuhn und Jutta Braun
Dezember 1990. Konkurrenz belebt das
Geschäft – auch im Sport. Im Wendejahr
1989/1990 waren die ungewohnten Gesetze der freien Marktwirtschaft jedoch zunächst der Genickbruch für zahlreiche ostdeutsche Sportvereine. Bis zur Vereinigung
des
deutschen
Sports
im
Herbst/Winter 1990 reduzierte sich allein
die Zahl der Berliner Fußballklubs von 818
auf 650. Die radikale Umstellung auf den
freien Wettbewerb forderte ihren Tribut.
Dem Untergang ostdeutscher Unternehmen
folgte oftmals die Bankrotterklärung der
anhängenden Betriebssportgemeinschaften.
Bislang staatlich alimentierte Leistungssportklubs, wie der ASK Vorwärts Potsdam, mussten ihre Budgets westlichen
Standards angleichen. Bundesdeutsche
Spitzenklubs bedienten sich ungehemmt
am Reservoir ostdeutscher Talente. Allein
Handball-Bundesligist VfL Hameln verstärkte sich im Wendejahr mit sechs DDRNationalspielern. Den Sportlern selber war
es nicht zu verübeln, dass sie nach 28 Jahren Mauer-Regime nun von ihrer Reisefreiheit Gebrauch machten.
Zu den positiven Schlagzeilen der sportlichen Vereinigung zählte die gute Zusammenarbeit der Verbände. So unterstützte
der DFB den DFV der DDR 1989/90 mit
knapp einer Million D-Mark. Patenschaftsverträge auf Ebene der Landessportbünde
ermöglichten den strukturellen Umbau
vom zentralistisch organisierten DDRSport zum föderal aufgebauten Sportsystem der alten Bundesrepublik. Zudem
schlug durch die Entmachtung des DTSB
die Stunde zahlreicher unterdrückter
Sportarten, wie Golf, Tennis oder Windsurfen. Mit ihrer Fixierung auf olympische
Medaillen hatte die DDR diese Disziplinen
jahrelang finanziell und organisatorisch
massiv behindert.
15 Jahre nach der Wiedervereinigung
bleibt jedoch noch viel Arbeit. Während in
den westlichen Bundesländern nahezu jeder Dritte im Sportverein aktiv ist, liegt die
Zahl im Osten bei ungefähr zwölf Prozent.
Hingegen stammen 80 Prozent der deutschen Sieger bei „Jugend trainiert für Olympia“ aus den neuen Bundesländern. Die
Nachwuchsarbeit ostdeutscher Vereine ist
vorbildhaft. Das wissen auch die Manager
der Fußball-Bundesligaklubs. „Mit 15 Jahren spielen in den Auswahlmannschaften
des DFB Talente aus Halle oder Leipzig,
mit 18 oder 19 steht hinter den selben Namen Leverkusen oder München“; umreißt
Hans-Georg Moldenhauer, als DFBVizepräsident zuständig für die Zukunftsentwicklung des deutschen Fußballs, die
gegenwärtigen Probleme. „Die Hauptsponsoren sitzen nach wie vor im Westen.“
Ihren Sitz im Westen haben ebenso die
Fachverbände und Dachorganisationen des
deutschen Sports – nach 15 Jahren Einheit
ist diese geografische Verteilung immer
noch streng asymmetrisch.
Natürlich ist auch zu fragen, inwieweit
1989/90 Chancen zu einer Modernisierung
des bundesdeutschen Sportsystems verspielt wurden. So gab der Präsident des
Nationalen Olympischen Komitees Willi
Daume im Juni 1990 zu bedenken: „Niemals wird eine so günstige Gelegenheit
wiederkommen, das ganze Gefüge der
Spitzenorganisationen
des
deutschen
Sports mal gründlich zu durchdenken und
zu überprüfen. Unsere Organisationen bestehen mehr oder weniger seit Jahrzehnten.
Da sammelt sich Rost und Schwamm an.
Da kommt es zu Betriebsblindheit. Braucht
man überhaupt so viele Organisationen?“
Wie die bevorstehende Fusion von NOK
und DSB zeigt, wurden in den Wende- und
Vereinigungsmonaten im Sport Grundsatzfragen gestellt, die bis heute ihre Aktualität
und Brisanz behalten haben.
Frankfurter Allgemeine Zeitung 17.12.1990
85
Überzeugendes Votum für Hans Hansen als Präsidenten
Vereinigung des deutschen Sports ohne Pathos und Hurra
HANNOVER. „Wir krempeln die
Ärmel hoch und packen an“, rief der
Präsident. „Die Ärmel bleiben weiter
hochgekrempelt“, rief auch der ehemalige Präsident. Bei der Vereinigung des
deutschen Sports in Hannover, dem
Beitritt der neuen Landessportbünde
zum Deutschen Sportbund (DSB) in
einer vorgezogenen Hauptausschußsitzung am frühen Morgen, wehte der
Geist der Gründerzeit durch den Kuppelsaal. Hans Hansen, mit dem überzeugenden Votum von 502 Ja- bei 33
Nein-Stimmen wiedergewählter DSBPräsident, vermied jeden Anflug von
Pathos und Hurra-Stimmung. Er kündigte den Delegierten seines nun 24
Millionen Mitglieder starken Verbandes statt dessen an, daß noch viel Arbeit warte; beim Aufbau demokratischer Strukturen, bei der Sanierung und
Erneuerung von Sportanlagen und bei
der Bewältigung von Umweltfragen in
der ehemaligen DDR.
Auch Martin Kilian, der letzte Präsident des Deutschen Turn- und Sportbundes (DTSB) der DDR, angetreten
im März als Demokratisierer und Liquidator, mochte nicht viel Aufhebens
machen um den Sport in Deutschland
von einst und jetzt, von hüben und
drüben und um die einstimmige Aufnahme der Landessportbünde von
Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Sachsen und
Thüringen. Erst nachdem er auch zum
Vizepräsidenten gewählt war, ergriff er
das Wort und sagte, daß er, 27 Jahre
lang Bürgermeister von Wernigerode
im Harz, sich von der SED gelöst habe
und im Ort immer noch freundlich
gegrüßt werde – keine Gefahr also, das
Präsidium mit politischer Altlast zu
befrachten. Schnell ging der Blick
wieder nach vorn. Kilian versprach vor
allem fleißige Arbeit.
Den Blick hatte man beim DSB
schon am Donnerstagabend zurück
gewandt. Klaus Kotter, Präsident des
Bob- und Schlittensportverbandes, gab
in der Ständigen Konferenz der Spitzenverbände eine Ehrenerklärung für
Kilian ab, der einst dem entsprechenden
Verband in der DDR vorgestanden
hatte. Günter Meinen, Präsident des
Tanzsportverbandes, berichtete, daß
seiner Verwandtschaft in Wernigerode
nichts Nachteiliges über Kilian bekanntgeworden sei. Manfred von
Richthofen, als Präsident des Landessportbundes Berlin mitten in den Turbulenzen der Vereinigung, lobte Kilian
in Hannover des weiteren als einen
seiner besten Verhandlungspartner. Die
beiden werden weiterhin miteinander
zu tun haben. Auch von Richthofen
wurde als Vizepräsident ins erweiterte
DSB-Präsidium gewählt.
Die deutlichsten Worte wurden beim
Bundestag des Sportbundes außerhalb
der Vollversammlung gesprochen. Als
der Baron aus Berlin mit scharfen
Worten bemerkte, es sei erstaunlich,
mit welcher Ignoranz dem Sport begegnet werde in den neuen Ländern,
besonders von Neu-Politikern und ihren
Stützen aus dem Westen, da waren im
Arbeitskreis „Sportpolitik“ nur einige
Handvoll Gesprächspartner und Zuhörer anwesend. So entging den meisten
auch, wie dem Konservativen die SPDSportdezernentin der Stadt Frankfurt
am Main, Sylvia Schenk, beisprang:
„Diese Ignoranz ist nicht überraschend,
sondern typisch.“ Nicht nur die beiden
streitbaren Sportpolitiker waren sich
einig, nun mit Macht auf Gehör und
Geltung und die Beteiligung an Lottound Toto-Geldern zu pochen. „Je
schwächer der Sport in den neuen
Ländern wird“, sagte Sylvia Schenk,
„desto schwächer wird er in Deutschland.“
Frankfurter Allgemeine Zeitung 17. Dezember 1990
Der Physiker Professor Gerhard
Junghähnel, Präsident des Landessportbundes Brandenburg, beklagte,
daß er noch keinen Termin bei Ministerpräsident Stolpe bekommen habe –
„obwohl wir ihn bereits dreimal öffentlich kritisiert und die Zeitungen das
sogar gebracht haben“. Hansen verriet,
daß er sich bereits mit allen neuen
Regierungschefs verabredet habe und
gedenke, Sportführer aus den alten und
neuen Ländern mitzunehmen zu den
Besuchen. Er wolle die Chance nutzen,
die die Regierungsbildung in Bonn und
der Neubeginn in den fünf Ländern
dem Sport böten.
Trotzdem fand die ehemalige Mittelstreckenläuferin Sylvia Schenk Zustimmung, als sie konstatierte, dem
DSB fehle es an Streitkultur. Bestätigt
wurde sie vom DSB-Bundestag, als
dieser den Antrag ablehnte, im neuen
Statut endlich Formulierungen auch in
der weiblichen Form zu verwenden,
nicht nur von Sportlern und Präsidenten
zu schreiben, sondern auch von Sportlerinnen und Präsidentinnen. Nicht
inhaltlich wurde der seit Jahren immer
wiederkehrende Antrag diskutiert,
sondern man stritt über das Verfahren.
Weil schließlich eine Zweidrittelmehrheit notwendig war und die Delegierten
diese mit acht Stimmen verweigerten,
wird der Frauenantrag auch beim
nächsten Bundestag wieder behandelt
werden.
Viele Worte mag Hans Hansen auch
nicht um seinen jüngste Entscheidung
machen. Im neuen Jahr wird er sein
Büro von Frankfurt am Main nach
Berlin in das alte Gebäude des DTSB
verlegen. „Das soll auch ein Zeichen
für die neuen Verbände sein“, sagt
Hansen, „daß sich mit ihrem Beitritt
etwas verändert hat.“ Da gilt es tatsächlich, die Ärmel hochzukrempeln.
MICHAEL REINSCH
86
Dezember 1990 – Eine Collage
Dezember 1990 – Eine Collage
87
88
Abkürzungsverzeichnis
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
ADAC
ADMV
ADN
ARD
ASK
ASV
Allgemeiner Deutscher Automobilclub
Allgemeiner Deutscher Motorsport-Verband der DDR
Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst der DDR
Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen
Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland
Armeesportklub
Armeesportvereinigung
BDS
BFA
BFC
BFV
BRD
BSG
BTZ
Bund deutscher Segler der DDR
Bezirksfachausschuss
Berliner Fußballclub
Berliner Fußballverband (West)
Bundesrepublik Deutschland
Betriebssportgemeinschaft
Bezirkstrainingszentrum
CSSR
Tschechoslowakische Sozialistische Republik
DAV
DBB
DBSV
DBV
DDR
DELV
DFV
DFB
DGV
DHB
DHfK
DHSV
DJV
DKBV
DKSV
DKV
DLV
dpa
DPV
DRSV
DRV
Deutscher Anglerverband der DDR
Deutscher Basketball Bund
Deutscher Bogenschützen-Verband der DDR
Deutscher Box-Verband der DDR
Deutsche Demokratische Republik
Deutscher Eislauf-Verband der DDR
Deutscher Fußball-Verband der DDR
Deutscher Fußball Bund
Deutscher Gewichtheber-Verband der DDR
Deutscher Handball-Bund
Deutsche Hochschule für Körperkultur und Sport
Deutscher Hockey-Sportverband der DDR
Deutscher Judo-Verband der DDR
Deutscher Kraftsport- und Bodybuilding-Verband
Deutscher Kanu-Sport-Verband der DDR
Deutscher Kegler-Verband der DDR
Deutscher Leichtathletik-Verband
Deutsche Presseagentur
Deutscher Pferdesport-Verband der DDR
Deutscher Rugby-Sportverband der DDR
Deutscher Rollsport-Verband der DDR
Abkürzungsverzeichnis
DS
DSA
DSB
DSBV
DSLV
DSSV
DSVB
DTSB
DTTV
DTU
DTV
DVB
DVfL
DVfV
DVV
DWBO
DWBV
Deutscher Sportausschuss
Deutscher Sportausschuss
Deutscher Sportbund
Deutscher Schlitten- und Bobsportverband der DDR
Deutscher Skiläufer-Verband der DDR
Deutscher Segelsport-Verband
Deutscher Sportverband Volleyball der DDR
Deutscher Turn- und Sportbund der DDR
Deutscher Tischtennis-Verband der DDR
Deutsche Triathlon-Union
Deutscher Turn-Verband der DDR
Deutscher Boxverband
Deutscher Verband für Leichtathletik
Deutscher Verband für Versehrtensport der DDR
Deutscher Volleyball-Verband
Deutscher Verband für Wandern, Bergsteigen und Orientierungslauf
der DDR
Deutscher Wanderer- und Bergsteigerverband
e. V.
EM
eingetragener Verein
Europameisterschaft
FAZ
FC
FDJ (fdj)
FES
FIFA
FKS
FR
FVB
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Fußballclub
Freie Deutsche Jugend
Freizeit- und Erholungssport
Fédération Internationale de Football Association.
Internationaler Fußballverband.
Forschungsinstitut für Körperkultur und Sport
Frankfurter Rundschau
Fußballverband Berlin (Ost)
geb.
GST
geboren(e)
Gesellschaft für Sport und Technik
KFA
KJS
Kreisfachausschuss
Kinder und Jugendsportschule
LSB
Landessportbund
MfS
Ministerium für Staatssicherheit
89
90
Abkürzungsverzeichnis
ND
NF
NOFV
NOK
Neues Deutschland
Neues Forum
Nordostdeutscher Fußballverband
Nationales Olympisches Komitee
PSV
Polizeisportverein
SC
SED
SED/PDS
sid
SMD
Stasi
SV
SZ
Sportclub
Sozialistische Einheitspartei Deutschlands
Sozialistische Einheitspartei Deutschlands/ Partei des Demokratischen Sozialismus
Sportinformationsdienst
Sportmedizinischer Dienst
Staatssicherheit
Sportverein
Süddeutsche Zeitung
TSC
TZ
Turn- und Sportclub
Trainingszentrum
UdSSR
UEFA
USA
Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken
Europäische Fußball-Union oder Union der Europäischen Fußball-Verbände
United States of America (Vereinigte Staaten von Amerika)
VEB
Volkseigener Betrieb
WM
WZ
Weltmeisterschaft
Wissenschaftliches Zentrum
ZK
Zentralkomitee

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