D IA LO G - Vliegen Verlag

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D IA LO G - Vliegen Verlag
p heft N 12 musik
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p heft N 12 musik
ür Thomas Mann war die Musik eine der »weichsten Künste«, unfassbar und gefährlich, weil sie sich dem Rigor des sprachlichen
Denkens wendig entzieht. Universale Sprache ohne Bedeutung?
Diese Ausgabe fächert die Musiken Mittelosteuropas zu überraschend bunter Vielfalt auf und zeigt anschaulich, wie konkret diese Universalsprache jeweils mit der Entstehungsgesellschaft verflochten ist. Bei den Nationalhymnen liegt das auf der Hand. Nicht nur
die Texte, auch die Melodien unterliegen ganz handfesten Einflüssen
ihrer Epoche.[S.4]
Bedeutsam wurde die Verschränkung von Musik und Gesellschaft in
der jüngsten Geschichte. Die Tradition der Sängerfeste in den baltischen Staaten manifestierte sich 1989 in der Singenden Revolution.
Man kann erahnen, wie sehr diese Tradition die sanfte Revolution gestützt hat. Bis heute wird die Musik im Baltikum geachtet und geehrt,
ist berühmt für ihre hohe Qualität.[S.94]
In anderen Ländern flieht die Musik die politische Realität. In Belarus
zaubert sie — aus schierer Ohnmacht — mit Stolz, Zirkus, Extravaganz
und Verkleidungsspielen eine eigene Wirklichkeit, die politisches oder
soziales Engagement verblassen lässt.[S.86] Tschechien zeigt einen Trend
zum Abschalten und zum Amüsement, der jeden Tiefgang in der Musik
übertönt. Manchmal muss eben auch Zeit fürs Unernste sein.[S.72] Rumäniens Klänge scheinen auf den ersten Lauscher vor allem laut zu sein.
Hört man genauer hin, wird man jenseits der Dauerbeschallung durch
Eurovision-Superstars belohnt mit Juwelen wie der originellen, kühnen
und politischen Ada Milea oder dem Musiker Alex Bălănescu, der passioniert fremde Einflüsse adaptiert.[S.78]
Und in Polen — dem Land, dem wir das »P« in unserem Namen verdanken? Was bedeutet die Musik im Chopin-Jahr? [S.54] Reich ist dieses
Land an großer und kleiner Popmusik, an musikalischen und textlichen
Schätzen, die sich über Jahre hinweg behauptet haben. Einen spannenden Überblick über das »Who ist who« auf den polnischen Hitlisten gibt
es auf S.104.
Doch wir graben tiefer. Die Geschichte der Orgeln in Polen ist zugleich
eine Aufarbeitung der kommunistischen Zeit, die nicht spurlos an wertvollen Kulturgütern vorbei ging und nach 1945 zu deutsch-polnischer Geschichte wurde.[S.28]
Zwei Texte dieser Ausgabe sind elementar für die polnische zeitgenössische Musik und gehen weiter zurück: der erste in die Zeit der Besatzung Polens und die systematische Vernichtung der polnischen Künstlereliten durch die Nazis. Eine unbedingt sehenswerte Ausstellung zeigt
erschütternde Musikerschicksale. Auch 65 Jahre nach Kriegsende sind
längst nicht alle Opfer genannt, nicht alle Geschichten erzählt. Diese
Ausstellung trägt dazu bei, die Leerstellen zu füllen.[S.62]
Ein zweiter Grundsatztext behandelt die polnische Musikgeschichte im
Exil. Hier werden europäische Zusammenhänge deutlich. Musiker wie
Szymon Laks, Zygmunt Stojowski, Zygmunt Noskowski oder Władysław
Zieleński sind auch in Polen wenigen bekannt; ihr Werk birgt unentdeckte Schätze.[S.46]
Gibt es trotz dieser unterschiedlichen Trends so etwas wie eine gemeinsame Musikidentität Mittelosteuropas? Möglicherweise lässt sich als
gemeinsames Merkmal dieser Region festhalten, dass man sie auch
nach zwanzig Jahren nicht losgelöst vom Kontext der politischen Wende betrachten kann. Die Folkmusik Polens und der Ukraine versucht die
Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln und eigene Identität.[S.82] Noch
weiter geht diese Bewegung in der Region Schlesien; hier hinterfragen
Melodien die Geschichtsschreibung, sind Forscher schockiert über ihre Funde: bruchstückhafte Kleinode der osteuropäischen Volksmusik,
die sich zwar über Jahrhunderte erhalten, aber unter der europäischen
Geschichte so stark gelitten haben, dass sie nicht gegen das Vergessen
gefeit sind.[S.18]
Anders die moderne Folkmusik, die sich per definitionem als Melange
versteht: Man nehme Folklore und schüttele sie kräftig. Musiziert man
mit Musikern aus anderen Kulturen, ist der Zauber perfekt. Das tun die
goralische Traditionsband Trebunie Tutki und die jamaikanische Reggaeband Twinkle Brothers, Kroke und Nigel Kennedy.[S.42] Das stete
Wechselspiel zwischen der Adaption fremder Einflüsse und der Besinnung auf die eigenen Wurzeln kennzeichnet diese mitteleuropäische
Musik.
Der Rock, der Jazz, ganz gewiss aber der Punk, waren früher vor allem
auch politische Haltungen. Filme wie Beats of Freedom und Fala.Jarocin 85 arbeiten diese engagierte Zeit auf. Damals war die Rebellion authentisch. Heute wirkt der Punk etabliert. Begehrt er noch auf, und wogegen? Wie gelebter Punk wirkt der Warschauer Musikverlag LADO
ABC, nicht in erster Linie der Musik wegen, die er verlegt, sondern w i e
er sie verlegt: Jenseits von eingefahrenen Vertriebswegen und Plattenverträgen. Die Jungs haben ein eigenes kleines und äußerst feines Musikuniversum für die alternativen Bands von Warschau aufgebaut. Alles
ist hier selbstgemacht im besten Sinne dieses Wortes: Produktion,
Mastering, Artwork und Design liegen in eigener Hand.[S.12] Markenzeichen der alternativen Musik Warschaus ist, dass sie sich nicht eindeutig ihrem Herkunftsland zuordnen lässt. Für echte Independent-Music
ist das Nationale nebensächlich, hier musizieren Musiker um der Musik
willen, finden eine »Universalsprache«, die auch der Komponist Krzysztof Penderecki benennt.[S.58]
Oft muss sich das Ohr erst gewöhnen an die »fremden« Klänge der
Nachbarn, muss der Kopf die Tradition verstehen, der Bauch sich öffnen,
Saiten in sich anklingen lassen. Manchmal wird er unerwartet mitgerissen von einer fremden Melodie, als schlummere tief in ihm altes Wissen,
dass dieses ferne Lied doch zu ihm ge h ö r t .
Für den Kontrapunkt in diesem Text-Kaleidoskop über die Musik sorgt
die Bildstrecke. Splitter der Erinnerung aus Familienalben — abgebildet
in Originalgröße — ergänzen diese Ausgabe um das, was man den sozialen Aspekt der Musik nennen könnte.
Antje Ritter-Jasińska [Chefredakteurin]
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inhaltsverzeichnis
Nationendämmerung
seite
Olaf Kühl
4
New School Strikes Back. Polens Hip-Hop
seite
Łukasz Tomaszewski
8
Buchstabensuppe vom Sternekoch. Der Kosmos des Warschauer Plattenlabels Lado ABC
seite
Bernd Adamek-Schyma
12
Melodien als Demaskierung von Geschichte
seite
Natalia Gańko-Laska
18
Die wollen nur spielen. Polnischer Metal zwischen Provokation und Pop
seite
Rainer Mende
24
Von Königinnen und Aschenputtel. Eine polnische Orgelreise
seite
Michael F. Runowski
28
From Punk to Punk. Eine Kurzreise durch mehr als 30 Jahre Punk in Polen
seite
Alexander Pehlemann
34
Struktur der Landschaft. Polnischer Jazz
seite
Jan Hanisch
38
Folk Made In Poland
Margret Kutschke seite
42
Polen im Herzen. Komponieren in der Fremde. Die klassische Musik Polens als Geschichte einer Kunst im Exil
seite
Frank Harders-Wuthenow
46
Chopin 2010. Eine Leerstelle
seite
Janina Klassen
54
Ich fühle mich hier wie zuhause. Krzysztof Penderecki über Inspiration und sein Leben als Gärtner
seite
Almut Ochsmann
58
Musik unter Besatzung. Impressionen einer Ausstellung
seite
Elisabeth Richter
62
Prager Musicals. Die Nacktmulle der tschechischen Musik
seite
Ulrike Hoinkis
72
Klänge Rumäniens. Essayistische Schlaglichter
seite
Andra Joeckle
78
Frischwasser für die ukrainische World Music
seite
Pavlo Nechytaylo
82
Virale Vibes. Die alternative Musik in Belarus sucht nach ihrer Zukunft
seite
Maksim Žbankoŭ
86
Todar. Bunt in Weißrussland
seite
Thomas Weiler
92
Mit dem Lied in die Welt. Musikleben in Lettland
seite
Birgit Johannsmeier
94
Sorbisch by Nature
seite
Jörg Ciszewski
100
Polskie Hity oder Ein kleines ABC der Nullerjahre
seite
Paul-Richard Gromnitza
104
Sprachkurs Sto lat
114
Rezept Barszcz Ukraiński
116
Kolumne Tarik Gül »Blechmusik«
119
Film elan »Herrn Kukas Empfehlungen«119
Eventkalender
121
Literatur Sylvia Chutnik »Die Krabbe«
122
Register
125
Impressum
128
nationen
dammeolaf
rung kuhl
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er Mitte der siebziger Jahre an den Bungalows des Studentenheims Eichkamp in Berlin-Charlottenburg vorbeiging, konnte
zwei männliche Personen an ihren Zimmerfenstern stehen sehen. Ein Deutscher und ein Grieche salutierten zur sowjetischen
Hymne, die aus Rundfunkgeräten in ihren Zimmern dröhnte.
Ob Witzbolde oder Anhänger der damaligen Sozialistischen
Einheitspartei Westberlins — jedenfalls ist die Szene eher bizarr. Normalerweise denkt man bei der Nationalhymne an Fußballspiele oder die
Siegertreppchen der Olympischen Spiele, auf denen Sportler ihr Gesicht himmelwärts halten, um die Tränen zu bannen. Weder dem Deutschen, noch dem Griechen war die Sowjetunion eine Heimat. Allenfalls
als Vaterland des Sozialismus hätten sie sich ihr verbunden fühlen können. Beim Klang der eigenen Hymnen hätten sich beide nur geschüttelt.
Schon den 68ern galten solche Staatssymbole als reaktionäre, spießbürgerliche Relikte.
Auf,
Kinder
des
Vaterlands!
Dabei ist die älteste Hymne ein Kampflied der Revolution: am 5. Juli 1795
— einen Tag nach dem Nationalfeiertag der Erstürmung der Pariser Bastille 1789 — wurde die Marseillaise zur Nationalhymne erklärt. Seinen
Namen bekam dieses Lied von dem Freiwilligenbataillon aus Marseille,
das am 30. Juli 1792 mit seiner Melodie auf den Lippen in Paris einzog.
Die Französische Revolution hatte die absolutistische Monarchie hinweggefegt, die bedrohten Herrscher Preußens und Österreichs strebten eine Restauration an. Pionierhauptmann Rouget de Lisle hatte den
Schlachtgesang 1792 für die französischen Freiwilligen komponiert. Der
Text atmet Hass gegen die Tyrannen, Vertrauen in den Sieg, Liebe zur
Freiheit. Die rhythmische und mitreißend schwungvolle Melodie verrät
Anleihen an Jean Baptiste Grisons (1746 –1815) Oper Esther, eine Messe
von Ignaz Holzbauer (1711–1783) und Mozarts Klavierkonzert Nr. 25 in
C-Dur von 1786. Mitkomponist war vermutlich Ignaz Pleyel (1757–1831);
1791 hatten de Lisle und Pleyel gemeinsam die Hymne à la liberté geschrieben. Die Popularität der Marseillaise reicht bis in die Zeit der Popmusik: 1967 stellten die Beatles das Präludium dieser Hymne ihrem Hit
All you need is love voran.
Hymnen besingen die Nation, ihre Entstehungs- und Wirkungsgeschichte aber verrät oft Spuren eines Zeitalters, als Adelsverbindungen ein
über Ländergrenzen hinweg reichendes Netzwerk schufen. So war be-
nationalhymnen
sagter Pleyel ein Schüler Joseph Haydns gewesen, letzterer bekam im
konservativen Österreich den Auftrag, eine Kampfhymne gegen die
Marseillaise zu schreiben. Heute könnte man bei dem naiven Text an
Franz Beckenbauer denken: »Gott! Erhalte Franz den Kaiser / Unsern
guten Kaiser Franz / Lang lebe Franz der Kaiser / In des Glückes hellstem Glanz!« Die leicht intonierbaren Intervalle, der beschränkte, choralartige Tonumfang und die Variation auf den Atemrhythmus zugeschnittener Motive trugen dazu bei, dass das Lied seit 1797 ein großer Erfolg
wurde. Inspiriert ist die Kaiserhymne von God save the King, aber auch
von dem kroatischen Volkslied Vjutro rano [Morgenfrühe], das Haydn in
seiner Kindheit im österreich-ungarischen Grenzraum gehört haben
mochte. Für den Text war Jesuitenpater Lorenz Leopold Haschka (1749
–1872) mit seinen antifranzösischen und kaisertreuen Versen prädestiniert. So kam es, dass bei den Schlachten von Austerlitz und Leipzig,
bei denen sich französische und österreichische Truppen — Revolution und Restauration — gegenüber standen, auf der einen Seite Joseph
Haydns Kaiserhymne und auf der anderen die Marseillaise seines ehemaligen Schülers erklangen.
Noch
ist
Polen
nicht
verloren
Eine andere Nation — soeben zum Nicht-Staat geworden — setzte damals große Hoffnungen in Napoleon. Polen erhoffte sich von ihm die
Befreiung. Nach den Teilungen (1772–1795) kämpfte die 1795 in der Lombardischen Republik in Italien aufgestellte Polnische Legion unter General Jan Henryk Dąbrowski auf französischer Seite. Mitte Juli 1797 dichtete dort der Journalist Józef Wybicki in einer lauen Sommernacht das
Lied der Polnischen Legionen, das mit den berühmten Worten »Noch ist
Polen nicht verloren« beginnt. Es hatte ursprünglich einen Refrain und
sechs Strophen, heute noch drei.
Das Lied verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Als die Polnische Legion
1806 im Zuge der napoleonischen Feldzüge in Posen einmarschierte,
schmetterten Tausende Soldatenkehlen die Wybicki-Hymne, die damit
endgültig zum Symbol der polnischen Wiedergeburt geworden war. Sie
wurde von der preußischen Besatzung verboten. Die Hoffnungen der Polen erfüllten sich nicht. Nach Napoleons Niederlage in Russland (1812)
wurde Restpolen — das Großherzogtum Warschau — zum vierten Male geteilt. In der Zweiten Republik (Staatsgründung 1918) wurden ande-
-re
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ande-
*
nationalhymnen
Naszego króla zachowaj nam Panie!
Naszą ojczyznę racz nam wrócić, Panie!
Ojczyznę wolną pobłogosław Panie!
Ojczyznę wolną racz nam wrócić Panie!
re Nationallieder ins Spiel gebracht. Marschall Józef Piłsudski, von 1918
–1922 erstes Staatsoberhaupt der Republik, seit 1926 durch Staatsstreich für neun Jahre mächtigster Mann Polens, traf schließlich die Entscheidung für das Wybicki-Lied. Die Melodie (Komponist ist vermutlich
ebenfalls Wybicki) ist im Nationalstil polnischer Volksweisen gehalten
und schließt eng an den Tanzrhythmus der Mazurka an, kann jedoch
ebenso mitreißend als Marsch intoniert werden. Erstaunlich ist, dass
die polnische Nationalhymne auch unter der kommunistischen Herrschaft nie geändert wurde. Auf die Bitte von Präsident Bolesław Bierut,
einen neuen Text zu schreiben, händigte ihm der Dichter Władysław
Broniewski nur einen Zettel mit dem Satz »Noch ist Polen nicht verloren«
aus.
Die polnische Hymne stieß auf Resonanz bei anderen slawischen Nationen unter fremder Herrschaft. Das melodiegleiche panslawische Lied
Hej, Sloveni! wurde nach 1945 zur Nationalhymne Jugoslawiens. Die
Ähnlichkeit stiftete gelegentlich Verwirrung, wenn Polen und Jugoslawien bei Fußballspielen gegeneinander antraten.
Es gibt eine zweite, »inoffizielle« Hymne, ursprünglich 1816 für den russischen Zaren und König von Kongresspolen geschrieben, deren Refrain lautete: »Erhalte unseren König, Herr!«. Schon ein Jahr später wurde statt dessen inoffiziell gesungen »Gib uns unser Vaterland zurück,
Herr!«. Nach der Unabhängigkeit hieß die Zeile »Segne das freie Vaterland, Herr!«, um unter deutscher Besatzung und im Kommunismus zu
lauten: »Gib uns das freie Vaterland zurück, Herr!«
Noch
sind
der
Ukraine
Ruhm
und
Freiheit
nicht
gestorben
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Vom Text der polnischen Hymne ließ sich 1862 Pawlo Chubynskyi inspirieren, als er jene Verse schrieb, die zur ukrainischen Hymne werden
sollten: Noch ist die Ukraine nicht gestorben. Er war wegen »ukrainophiler Aktivitäten« nach Archangelsk verbannt. Die Nationalbewegung in
der seit der ersten polnischen Teilung (1772) habsburgischen Westukraine wurde unterdrückt; es war verboten, ukrainische Bücher zu drucken.
Der Galizier Mychajlo Werbyckyi (1815–1870) vertonte Chubynskyis Worte 1863. Das maestoso beginnende, im Mittelteil folklorehaft-besinnlich
angelegte und temporeich ausklingende Werk wurde erstmals in dem
polnischen Dorf Młyny gesungen, wo Werbyckyi als Gemeindepfarrer
der ukrainisch-(ruthenisch)-katholischen Kirche wirkte.
1949 wurde der Ukraine eine »Nationalhymne« sowjetischen Zuschnitts
verpasst: »Lang lebe die Ukraine, wunderschön und machtvoll, die in
der Sowjetunion ihr Glück fand.« Die Melodie ist eine Kollektivschöpfung mehrerer Komponisten. Bei einer verspäteten Entstalinisierung
wurde 1978 in der zweiten Strophe der Name Stalins durch Lenin ersetzt. Auf der ersten Parlamentssitzung nach dem Unabhängigkeitsvotum (1. Dezember 1991) stimmten die Abgeordneten die alte Hymne an.
Die Melodie wurde in der Verfassung verankert. Erst am 6. März 2003
verabschiedete die Verchovna Rada das Gesetz »Über die Staatshymne der Ukraine«. Aus der ersten Zeile wurde »Noch sind der Ukraine
Ruhm und Ehre nicht gestorben«, und die »ukrainischen Brüder« in der
zweiten wurden zu »jungen Brüdern«. Offenbar galt die freie Tradition
der Kosaken mehr als ethnische Reinheit, ein sympathischer Zug. Nach
der Wahl von Präsident Janukowitsch 2010 nimmt die Entwicklung eine
weniger erfreuliche Richtung: Stalindenkmäler werden gebaut — und
die Kommunisten von Luhansk fordern die Änderung der Hymne.
Wir
Belarussen,
ein
friedfertiges
Volk
Oft lässt sich der Grad der Souveränität eines Landes an der Nationalhymne ablesen. Belarus — sein Präsident Lukaschenko — entschied
sich nach der Unabhängigkeit für die Beibehaltung der bisherigen Melodie und des Texttenors aus der Sowjetzeit, der 1955 zur offiziellen
Hymne erklärt worden war (Text: Mikhas Klimkovich, 1899 –1954, Musik:
Nester Sakalouski, 1902–1950). Nach der Unabhängigkeit entfielen die
Verweise auf den Bruderbund mit Russland, Lenin und die führende
Rolle der Kommunistischen Partei. Die neue zweite Zeile des Refrains:
»Ehre der brüderlichen Union unserer Völker« kann als Anspielung auf
die geplante russisch-belarussische Union verstanden werden. Sie ist
in letzter Zeit durch Lukaschenkos aufmüpfiges Verhalten gefährdet,
der von dem sich wieder als »großer Bruder« verstehenden Russland
scharf kritisiert wird, wohl aber nicht wegen seiner Menschenrechtsverletzungen.
Land
der
Berge,
Land
am
Strome
Die Hymne als Staatssymbol spiegelt das Selbstverständnis des jeweiligen Staates, bisweilen mit zeitlicher Verzögerung, manchmal auch in
stakkatoartiger Folge. Österreich hatte allein in den ersten fünf Jahrzehnten nach 1900 nicht weniger als sechs Hymnen: Von Gott erhalte
unseren Kaiser (bis 1918) und Deutsch-Österreich, du herrliches Land
(1920 –1929), über Sei gesegnet ohne Ende (1929–1938) und das Deutschlandlied mit seinem NS-Zusatz des Horst-Wessel-Liedes (1938 –1945)
bis zur aktuellen Hymne. Ihre drei Strophen sind von Heimatliebe geprägt, ohne in kämpferische Diktion zu verfallen. Auch Hymnentexte
sind vor Genderpolitik nicht gefeiht. 2005 diskutierte man tatsächlich
darüber, ob die Zeile »Heimat bist du großer Söhne« nicht durch »und
Töchter« ergänzt werden sollte. Die Melodie, ein gehobenes Chorlied,
stammt wahrscheinlich nicht, wie lange angenommen, von Wolfgang
Amadeus Mozart, sondern von Johann Holzer.
Russland,
unser
geheiligtes
Land
Russlands Geschichte hat in der Oktoberrevolution eine ähnlich gewaltsame Zäsur wie die Frankreichs, seine Hymne aber eine viel bewegtere Geschichte. Der ersten amtlichen Nationalhymne, dem »Gebet
der Russen« [Molitva Russkich] des Dichters Vassilij Žukovskij (1783 –
1852) wurde auf Wunsch von Zar Alexander I. (1801–1825) die Melodie der
britischen Königshymne unterlegt. Sein Nachfolger Nikolaus I. (1825 –
1855) forderte eine rein russische Staatsweise: Bože, carja chrani [Gott
schütze den Zaren], der Text ist ebenfalls von Žukovskij. Sie blieb Nationalhymne bis zum Februaraufstand 1917. Von Februar bis Oktober 1917
galt die so genannte Arbeitermarseillaise als Hymne. Nach der Oktoberrevolution 1917 etablierte sich auf Lenins Vorschlag die Internationale der Arbeiterbewegung, auch Parteihymne der russischen Sozialdemokratie, als Gegenpol zur »bourgeoisen Marseillaise«. Sie sollte von
Januar 1918 an bis Ende 1943 Nationalhymne bleiben, erst Sowjetrusslands, ab 1922 der neu gegründeten Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken. 14 ihrer 15 Republiken erhielten eigene »Nationalhymnen«,
die größte Republik, die russische, übernahm die Unionshymne. Ende
1943, nach den Siegen bei Stalingrad und Kursk, verlangte Stalin nationalere Akzente. Die Internationale spiegele nicht den Sieg des sowjetischen Systems und die sozialistische Natur des Sowjetstaates. Die
neue Hymne entstand durch Verschmelzung einer vorhandenen Melodie — der 1939 von Alexander Wassiljewitsch Alexandrow komponierten Gimn partii bolševikov [Hymne der Bolschewiken-Partei] mit einem
neuen, von Sergej Michalkov und Gabo El’-Registan verfassten Text.
Die Textgattung des »staatsbürgerlichen Gebets« und die öffentliche
Inszenierung im Bolschoi-Theater zeigten auffällige Parallelen zur zaristischen Hymne. Der Wortlaut war jedoch eine Eloge auf »Lenins Ruhm«,
»Stalins Wille« und den Führungsanspruch der KP. Nach Chruschtschows Geheimrede auf dem XX. Parteitag der KPdSU 1956 war das
Stalinlob in der dritten Strophe untragbar. Zwölf Jahre lang intonierte
man die Hymne nur noch instrumental oder wich auf die Internationale
aus. Erst 1977 wurde ein vom Originalautor Michalkov redigierter Hymnentext in der Izvestija veröffentlicht und offiziell eingeführt. Von 1990
bis 2000 war Michail Glinkas Patriotisches Lied russische Nationalhymne.
Back
in
the
USSR
Am 8. Dezember 2000 erklärte der seit 1999 amtierende russische Präsident Wladimir Putin überraschend, dass er die Melodie der früheren
sowjetischen Hymne zur neuen Hymne der Russischen Föderation bestimmt habe — vorerst ohne Text. Diese Entscheidung war ein Signal
dafür, wohin die Reise gehen würde. Den Textwettbewerb gewann der
87-jährige Sergej Michalkov, der bereits die beiden älteren Textversionen der Sowjethymne verfasst hatte. Die Hymne bringt in allgemeinen
Worten patriotische Gefühle wie Stolz und Liebe zu Russland, »unser
geliebtes Land«, »unser geheiligtes mächtiges Land«, zum Ausdruck.
Auferstanden
aus
Ruinen
Welche Hymne hätte man dem Deutschen empfehlen können, der 1977
im Fenster des Studentendorfs Eichkamp zur sowjetischen salutierte?
Vielleicht die Hymne der DDR, die, obwohl keine Nation, doch eine Nationalhymne besaß, beeindruckend in Text (Johannes R. Becher) und
Musik (Hanns Eisler). Verräterisch ist dort von »Deutschland, einig Vaterland« die Rede. Diese Hymnenzeile hielt Willy Brandt 1972 Willy Stoph
vor, als der ihm wieder einmal die Zwei-Staaten-Theorie schmackhaft
machen wollte. Es ist vielleicht kein Zufall, dass diese Strophe gerade
damals aus dem öffentlichen Leben verschwand. Nach dem Beitritt der
DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes (1990) sangen Jugendliche aus Protest gegen die Übernahme »DDR, mein Vaterland« — statt
»Deutschland«. In ganz Deutschland galt nun das Lied der Deutschen,
das Reichspräsident Friedrich Ebert am 11. August 1922 als Nationalhymne proklamiert hatte. Lothar de Maizière, bis heute mit seltsamen
Ideen begabt und erfolgreich in seiner Anverwandlung an das Putinsche Demokratieverständnis, schlug nach der Wende vor, die deutsche
Hymne um den Bechertext zu ergänzen. Weil beide deutsche Hymnen
zum Versmaß der österreichischen Kaiserhymne passen, konnte man
1990 am Vorabend der Währungsunion oft Menschen hören, die im
Überschwang des Vereinigungsglücks die Hymnentexte mit vertauschten Melodien sangen.
Einigkeit
und
Recht
und
Freiheit
Die deutsche Nationalhymne besteht heute nur noch aus der dritten
Strophe des Gedichts, das Heinrich Hoffmann von Fallersleben 1841 auf
Helgoland schuf. Deutschland wird nicht mehr »über alles« gestellt. Zudem reicht das Land nicht mehr »von der Maas bis an die Memel, von
der Etsch bis an den Belt«. Die zweite Strophe mit deutlichen Anklängen
an die damals beliebten Tafellieder (»Deutsche Frauen, deutsche Treue
/ Deutscher Wein und deutscher Sang / Sollen in der Welt behalten / Ihren alten schönen Klang«) ist von fragwürdiger lyrischer Qualität. Bundespräsident von Weizsäcker erklärte 1991 in einem Schriftwechsel mit
Kanzler Kohl allein die dritte Strophe zur »Nationalhymne für das deutsche Volk«, denn sie bringe »die Werte verbindlich zum Ausdruck, denen wir uns als Deutsche, Europäer und als Teil der Völkergemeinschaft
verpflichtet fühlen.«
Von Fallersleben, Germanistikprofessor an der Universität Breslau, hatte die Zeilen 1841 verfasst, als der Deutsche Bund in eine Vielzahl von
Einzelstaaten zersplittert war. Bei einem Besuch des Verlegers Campe
auf Helgoland kam man überein, dem Deutschlandlied die Haydn-Melodie der österreichischen Kaiserhymne Gott erhalte Franz, den Kaiser!
zu unterlegen. Bei der Gründung des ersten deutschen Nationalstaats,
dem zweiten Deutschen Kaiserreich (1871–1918), spielte man noch die
Kriegsmelodie Wacht am Rhein. Auch später übernahm die Kaiserhymne Heil, Dir im Siegerkranz! mit der Melodie der englischen Monarchenweise God save the King die Funktion der offiziellen Hymne. Sogar nach
der Proklamation durch Ebert stimmte die Menge auf dem Gendarmenmarkt in Berlin die Internationale an. Die Nazis schafften Schwarz-RotGold ab, ersetzten das Staatswappen durch den NS-Parteiadler und
ließen von der Hymne nur die erste Strophe übrig, die in einem weihevollmarschartigen Stil intoniert wurde und das Horst-Wessel-Lied als gänzlich deplatzierten NS-Appendix bekam.
Der alte griechische Hymnos besang die Götter. Der Gegenstand der
Nationalhymnen, wiewohl profaner, wird dennoch bierernst genommen.
Humor, Hinterfragung des Nationenbegriffs darf man von den Hymnen
nicht erwarten. Einen Lichtblick lieferte das kleine Kosovo, als es am 17.
Februar 2008 seine Unabhängigkeit ausrief und mangels eigener Hymne die Europahymne spielte — Beethovens Ode an die Freude. Auch
die später verabschiedete eigene Hymne heißt »Europa«. Spätestens,
wenn außerirdische Zivilisationen die Erde angreifen, wird es vielleicht
auch eine Hymne der Menschheit geben.
new
school
strikes
back
polens
hiphop
lukasz tomaszewski
p heft N 12 musik
Jeszcze Polska … [dt. Noch ist Polen …]; 1991; der Titel deutet auf eine Fortsetzung des
Songs Polska (1987) von Kult (Kazik ist auch hier Frontmann): trotz der politischen Wende
waren die Probleme, die der Song von 1987 beschreibt, nicht gelöst; Polska ist einer der
größten Hits von Kult; 1995 greift der Autor die Thematik mit Nie lubię już Polski [dt. Ich mag
Polen nicht mehr] wieder auf und belächelt die Popularität seines Songs Polska.
Jacek Kaczmarski 1957– 2004, Sänger, Dichter und Schriftsteller; wurde wegen seines Bekenntnisses zum Kampf gegen die kommunistische Unterdrückung als »Barde der Solidarność« bezeichnet; als im März 2002 bei ihm Speiseröhrenkrebs diagnostiziert wurde,
organisierten seine Fans eine nationale Spendenaktion für seine Behandlung.
Mury [dt. Mauern], Lied von Jacek Kaczmarski, wurde in den 80er Jahren im polnischen antikommunistischen Untergrund populär; geschrieben 1978 zur Melodie von L'Estaca [dt.
Der Pfahl] des katalanischen Liedermachers Lluís Llach; Llachs Lied steht für den Kampf
gegen politische Unterdrückung, wurde auf Konzerten und Demonstrationen als Protest
gegen die Franco-Diktatur gesungen.
Der polnische Hip-Hop blickt auf eine zwanzigjährige Geschichte zurück. Anfang der 1990er Jahre setzte Kazik
Staszewski mit seinem Album Spalam się Maßstäbe für eine sozialkritische und politische Variante des Genres.
Während der Rest der Dekade eher West-Coast imitierende Pseudo-Gangsta wie Peja aus Plattenbausiedlungen hervorbrachte, erfindet sich die städtische Subkultur des Sprechgesangs in den letzten Jahren neu. Der
Trend geht in Richtung Konzeptkünstler mit Hochschulabschluss.
Von
New
School
zum
Original
Gangsta
»Back in my era, we had James Brown and civil rights and Black power;
you did not have people calling themselves hip-hop activists. But these
people today are talking about their era.« DJ Kool Herc, Erfinder des Hip-Hop
ie Wiege des Hip-Hop ist die Straße der New Yorker Bronx der
siebziger Jahre: schwarz, arm und politisch. Die Magie dieses Musikstils liegt in der Schlichtheit: Man braucht lediglich einen Beat
[Rhythmus], ein Mic [Mikrofon] und eine Message [Botschaft]. Diese Idee, mit einfachen Mitteln von der eigenen Realität zu erzählen, machte aus den Rhythmus- und Text-Experimenten von New
Yorker Kids eine Kultur, die sich in ein global aktives Virus verwandelte,
gegen das bis heute kein Kraut gewachsen ist.
Das Bedürfnis, von der eigenen Lebenswelt zu erzählen, steigt in jedem
MC, sobald seine Lebenswelt von schwierigen gesellschaftlichen Umständen dominiert wird. So war es in der Geburtsstunde des Hip-Hop in
den USA, als zuerst Last Poets, Grandmaster Flash und Africa Bambaata von der Black-Power-Bewegung und der Misere der Gettos erzählten. Und so war es dann auch Anfang der neunziger Jahre in Polen, als
die Väter des hiesigen Raps Kazik und Liroy zum Mikrofon griffen.
Der Avantgarde-Musiker Kazik würde sich heute sicher nicht mehr als
Hip-Hopper bezeichnen. 1991 jedoch erschienen auf seinem Album Spalam się [dt. Ich vergehe] gleich mehrere Hip-Hop-Stücke. Dabei legte
Kazik, wie zehn Jahre zuvor der US-Veteran Grandmaster Flash, nicht
so sehr Wert auf komplex arrangierte Beats, Samples und Scratches,
sondern vielmehr auf die »Lyrics«. Verwies Grandmaster auf bestürzende Art und Weise in The Message auf die erschreckende Armut in den
heruntergekommenen amerikanischen Monster-Wohnblocks, sprach
Kazik von der hoffnungslosen ökonomischen Lage Polens direkt nach
der politischen Wende. Er zeichnet im Song Jeszcze Polska … ein düsteres Bild der schönen neuen kapitalistischen Gesellschaftsordnung:
»Schau dich um, wie viel Dreck auf den Straßen,
wie kaputt die Menschen, wie müde sie sind.
Nachts stehen vor den Häusern schmutzige Prostituierte.
Ich habe Angst, nachts rumzulaufen, so viel Gewalt.
Die Frauen, die Tag und Nacht in Fabriken arbeiten,
die Männer, die ihre Verzweiflung in billigem Wein ertränken —
sie sehen nichts Schönes, denn für sie gibt es nichts Schönes.
Schau, schau dich um und versuch nicht, es abzustreiten ...«
Der Song ging unter die Haut und zeigte nach dem gewonnenen Kampf
um die politische Freiheit die Sichtweise einer neuen Subkultur. Hatten
die kulturellen Aktivisten der Solidarność-Bewegung wie Jacek Kaczmarski mit seiner Hymne Mury [dt. Mauern] ihren Teil dazu beigetragen,
mit codierten Botschaften das taumelnde sozialistische System zu Fall
zu bringen, so mussten jetzt ihre Kinder eigene Worte für das Durcheinander der Neunziger finden.
Bei Innovationen in Sachen Beats, Flows und Rhymes blieb der Blick
immer auf die USA gerichtet. Dort gab es gerade einen Tapetenwechsel
im Genre. Die Veteranen aus der Bronx wurden von Gruppen wie den
Beastie Boys, Run DMC, House of Pain oder A Tribe Called Quest abgelöst. Aus Old School wurde New School: Die Beats wurden professioneller und hatten einen rockigen Refrain, die Samples waren bunter und
die Raps hatten oft eine klare politische Aussage. Erstmals kam HipHop in die Charts. Zur gleichen Zeit trat in Polen Liroy auf die Bühne. Der
D
aus der Provinzstadt Kielce stammende Mittzwanziger ahmte mit seiner Band Wzgórze Ya-Pa 3 die Ohrwürmer aus Übersee nach und veröffentlichte 1995 auf seinem Debüt Alboom mit Scyzoryk [dt. Klappmesser] und Scoobiedoo Ya zwei legendäre Hits. Mit über 500.000 verkauften Exemplaren machte Alboom Liroy über Nacht zum Pop-Star und
seinen Stil zur Jugendkultur. Dabei waren beide Tracks weder textlich
noch musikalisch innovativ. Scyzoryk erinnert mit seiner Bassline aus
Kontrabass, live eingespieltem Schlagzeug und fast durchgehenden
Samples an Jump around von House of Pain. Der Text ist eine wirre Darstellung seiner Person und seiner Heimatstadt. Scoobiedoo Ya lässt an
den Klassiker I left my wallet in el segundo von A Tribe Called Quest denken. Das Wort »Scoobiedoo« wird als Synonym für Sex benutzt und Liroy erzählt ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen wie und wo er »Scoobiedoo« machen möchte. Die musikalische Innovation der New School
wurde also vorerst ohne ihre klaren politischen Aussagen adaptiert.
Denn nicht so sehr Liroys Botschaft, sondern vielmehr der hier begangene Tabubruch, nämlich eine ganze Palette aus unter die Gürtellinie
gehenden Beschimpfungen, brach im katholischen Polen alle Dämme
und öffnete die Pforten für die polnische Hip-Hop-Generation.
Der Grundstein war gelegt. Jugendliche konnten lokale Slangs in Reime
verpacken und von den Banalitäten des Alltags singen. Von nun an durfte das als »Kunst« bezeichnet werden. Die Rap-Formationen schossen
in jeder Stadt wie Pilze nach einem Regen aus dem Boden. Schnell zogen Künstler wie Peja nach und versuchten, sich mit Hilfe des »Diss«,
also der Beleidigung des Gegners, Gehör zu verschaffen. Der polnische
Gangsta-Rap war geboren. Fahrtwind gewann Peja dadurch, dass er
1995 mit dem US-Gangsta-Rapper ICE-T auf dem Festival in Sopot performen durfte: Als der schlacksige, kahl geschorene Teenie Peja unbeholfen neben der schwarzen Rap-Legende auf der Bühne steht und von
ihm als »O.G.« — also »original gangsta« — vorgestellt wird, weiß er gar
nicht, wie ihm geschieht. Sein Gesicht läuft rot an, seine Stimme überschlägt sich, seine Posen wirken gekünstelt. Jedoch werden mit dem
Konzert die Weichen für das gestellt, wovon er und unzählige konkurrierende »Crews« wie Firma oder Hemp Gru in den nächsten Jahren
singen werden: Von Armut und Gewalt in ihren Gettos (der Plattenbausiedlung), Frauen, Autos und den Problemen mit der Polizei wegen Drogenbesitzes. Pejas erste Band heißt dementsprechend Slums Attack.
Aus Brooklyn und South Central werden Praga und Nowa Huta.
Die Gestalt des Rappers wurde auch in Polen zu einem über dem Gesetz stehenden und der eigenen »wahren Sache« nachgehenden urbanen Robin Hood: Stets der »keeping it real«-Devise treu. Peja galt dabei
als besonders authentisch. Er wurde mit 16 Waise, kam früh mit dem
Gesetz in Konflikt und war professioneller Kampfsportler. Trotzdem setzte er oft noch eins drauf, wie bei seinem bekanntesten Song Głucha Noc
[dt. Dumpfe Nacht] um ja das Image zu wahren. In dem 2001 veröffentlichten Hit singt er von Polizeiwillkür nach einer Party und während 48
Stunden U-Haft. Die Konkurrenz Hemp Gru im Song To jest to [dt. Das
ist es] von 2004 geht noch weiter: »Ich bin hier, um dir die Wahrheit zu
bringen: Der Polizei-Kadaver ist der schlimmste Feind. Ein harter Schädel und geballte Fäuste, ich befreie meinen Instinkt, wenn dicke Luft ist.«
Im Videoclip fuchteln die Rapper mit den Fäusten; eine kahl geschorene
Posse springt mit Baseballschlägern bewaffnet durch das Set und hält
11
O.S.T.R.
Fisz
L.U.C.
p heft N 12 musik
hiphop in polen
Wojciech Waglewski *1953, Gitarrist, Komponist,
Arrangeur und Musikproduzent, siehe auch S.19
stolz Marihuana in die Kamera. Neben diesem Gangsta-Gepose gibt es Neben seinen anspruchsvollen Texten über Korruption (Kochana Polsjedoch durchaus eine ernst zu nehmende Bewegung im polnischen Hip- ko, dt. Liebes Polen) und gegen leere Phrasen verirrter Gansta-Rapper
Hop. Gemeint sind Fisz, O.S.T.R. und L.U.C.
(Odzyskamy Hip-Hop, dt. Wir holen uns den Hip-Hop zurück), widmete sich O.S.T.R. der hohen Kunst des Konzeptalbums. Und das gleich
Hip-Hop
zwei Mal. 2009 komponierte er den Soundtrack für das beste Filmdebüt
mit
des Landes Galerianki [dt. Shopping Girls] von Katarzyna Rosłaniec,
Hochschulabschluss
»Keeping it real has become just another fad word. It sounds cute. But it das anschließend als CD erschien. Im April 2010 kam dann Tylko dla dohas been pimped and perverted. It ain’t about keeping it real. It’s got to rosłych [dt. Nur für Erwachsene]: In einem hörspielartigen Hip-Hop-Kribe about keeping it right.« DJ Kool Herc, Erfinder des Hip-Hop
mi »rappt« O.S.T.R. meisterhaft den Hauptprotagonisten Nikodem R.,
iese sich dem Mainstream entgegenstellende Gruppe junger und einen wegen Mordes gesuchten Gangster. Den Hörspielcharakter untalentierter MCs hatte sich Keeping it right auf die Fahnen ge- terstreichen Kommentare aus dem Off, eingesprochen von Michał Fajschrieben. Was überrascht: Alle sind unter 30 und fast alle haben busiewicz, dem Fernsehmoderator der polnischen Version von Aktenstudiert. Begonnen hat es mit den Söhnen des bekannten Musi- zeichen XY ... ungelöst.
kers Wojciech Waglewski. 2001 veröffentlichten sie unter den Pseu- Łukasz Rostkowski alias L.U.C., Jahrgang 1981, muss mit O.S.T.R. in eidonymen Fisz und DJ M.A.D (später Emade) Polepione dzwięki [dt. nem Atemzug genannt werden. Denn auch er ist neben seiner Tätigkeit
Aneinandergeklebte Töne]. Ein außergewöhnlich unrhythmischer aber als Rapper, Komponist, Produzent, Videokünstler und Regisseur außerdafür sehr einfallsreicher Gesang, begleitet von am Home-PC gebastel- dem auch Jurist und damit ebenfalls ein Multitalent. Rostkowskis Hipten Beats. Die Scheibe wurde von den Kritikern mit einem Seufzer der Hop-Platten sind avantgardistisch, die dazugehörigen Videoclips in hoErleichterung begrüßt, weil sie nicht aggressiv und gestelzt war. Fisz hem Grad künstlerisch-experimentell und damit einem breiten Publisprach sich darauf gegen den Gettoslang von 15jährigen aus, die auf ih- kum eher unzugänglich. Wie Ostrowski widmete sich L.U.C. 2009 dem
ren Tapes die harten »Homies« spielen, um anschließend bei Mutti um Format des Konzeptalbums. Mit seiner zum 70. Jahrestag des InkraftTaschengeld zu betteln. Im Song Bla Bla Bla erzählt er, was er von der tretens des Hitler-Stalin-Paktes veröffentlichten Soundcollage mit dem
Titel Zrozumieć Polskę [dt. Polen verstehen] hat er ein Meisterwerk geSprache dieser Kollegen hält:
»Ich höre oft, was die neuen Mikrofonfresser zu sagen haben.
schaffen. 68 Minuten lang schickt Rostkowski den Hörer auf eine KlangIch bin davon schnell enttäuscht und bedaure,
reise durch die polnische Geschichte von 1939 bis 1989. Dafür war er
dass es so viele gibt, die am Mikro labern,
ins Archiv des Polnischen Rundfunks abgetaucht und hat historisches
Radiomaterial politischer Ereignisse recherchiert. Den Sequenzen aus
dass das leere Versprechungen sind,
dem Kampf um Warschau 1939, den Studentenunruhen 1968 oder der
die abheben, irgendwo überm Dach
Ausrufung des Kriegsrechts 1981 werden psychedelische und schweleicht davongetragen, weil sie so leer sind,
sie verschmutzen gute Beats, die echt fett sein können,
re industrielle Beats unterlegt. Jedes Jahrzehnt hat seinen eigenen Chaich mache die Kassette an und höre in etwa so was:
rakter. Ein Meisterwerk der Klangcollage!
›Ich habe mich abgeschossen‹, danach fällt noch ein paar mal ›Hure‹, Der amerikanische Autor Jeff Chang spricht in seinem Buch Can´t Stop
Won´t Stop von der Konsolidierung einer weltweiten Hip-Hop-Generadann was über Joints und wieder ›Hure‹ ...«
In den vergangenen Jahren bekam Fisz von einer ganzen Reihe alterna- tion. Das Genre ist mittlerweile ein fester Bestandteil der Musikwelt, ja,
tiver MCs Verstärkung. Besondere Erwähnung verdienen zwei Grübler eine eigene Kultur. Interessanterweise hat Hip-Hop nie aufgehört, sich
weiterzuentwickeln. Es brechen immer wieder völlig unerwartet neue
und Tüftler: O.S.T.R. und L.U.C.
Adam Ostrowski alias O.S.T.R., Jahrgang 1980, hat 2010 sein elftes Stu- Strömungen aus, wie momentan in Polen. Während hier Mitte der Neundioalbum aufgenommen. Er ist studierter Geiger, Produzent auf dem ziger der Rhythmus und die Raps als Gesangsstil im Mittelpunkt staninternationalen Musikmarkt, schreibt Filmmusik und ist außerdem Vater den und inhaltlich eher die Klischees aus Übersee kopiert wurden, dreeines zweijährigen Kindes. Sein 2009 erschienenes Album O.C.B. be- hen die Rapper der neuesten Stunde diese Logik um. Beats, Scratches
kam bereits nach einer Woche die Auszeichnung Goldene Schallplatte. und Samples sind ein natürlicher Rahmen, in dem sich das Leben abOstrowski zeigt sich darauf unverstellt und mit einer guten Portion ge- spielt und in den überraschende Inhalte wie Hörspiele und Soundcollasunder Ironie dem Genre gegenüber. Sein Selbstbewusstsein als Musi- gen verpackt werden. Der intellektuelle Anspruch der New School an
ker ist so groß, dass er gleich mehrere Videos als Familienvater drehte, die Botschaft des Hip-Hop schlägt gut 15 Jahre nach der Etablierung
was im Mainstream ein »No Go« ist. Auf der Hitsingle Po drodze do nieba ihrer Beats zurück.
[dt. Auf dem Weg zum Himmel] heißt es in einer Strophe: »Bruder ich
stehe jede Nacht viermal auf, um Windeln zu wechseln, Rap macht dich
nicht zum Menschen, wenn das Leben es dich nicht lehrt ...« Wann hat
man das aus dem Mund eines Rappers gehört? Aber damit nicht genug.
D
buchstabensuppe
vom sternekoch
der kosmos
des warschauer
plattenlabels
bernd
lado a b cadamek-schyma
13
E
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rnst, ja entschlossen schaut er vom Titelblatt des Wochenmagazins Przekrój. Seitlich geht sein Blick vorbei an der Theaterlegende Jerzy Jarocki, der Schauspielerin Danuta Stenka und Roman Gutek, dem Macher des erfolgreichen Filmfestivals Era Nowe Horizonty. Gemeinsam mit diesen Lichtgestalten des polnischen Kulturlebens wurde Macio Moretti Ende Juni 2010 von Lesern und Redaktion des viel gelesenen Wochenmagazins zum »Phänomen« des Jahres
gekürt. Doch dürfte wohl nur die Minderheit der Przekrój-Leser diesen
bei aller Entschlossenheit schelmisch aus den Augenwinkeln blinzelnden Mann mit der Castro-Schirmmütze, dem Backenbart und dem seltsam italienisch klingenden Namen wirklich kennen.
Macio Moretti, der mit bürgerlichem Namen Maciej Moruś heißt, ist zuallererst Musiker und sein Hauptinstrument ist das Schlagzeug. Mit seinen Freunden und Musikerkollegen spielt er in wechselnder Besetzung
derzeit in rund zehn verschiedenen Bands, auf allen bedeutenden Festivals des Landes und die Clublandschaft rauf und runter. Doch er ist
nicht nur Drummer, sondern auch begnadeter Improvisator und gewitzter Entertainer. Nicht zuletzt aber gehört er zu den Gründungsvätern
und Machern des künstlerisch erfolg- und einflussreichen Plattenlabels
und kulturellen Mikrokosmos Lado ABC — und ist damit laut Przekrój
die »graue Eminenz« der unabhängigen Musikszene Polens.
Eine »graue Eminenz« kommt jedoch selten allein — Moruś ist Teil eines
unübersichtlichen und genreübergreifenden Band-, Musiker- und Künstlerkollektivs, das sich um die Jahrtausendwende aus der Warschauer
Impro- und Punkrockszene um die Bands Mały Szu und Starzy Singers,
lado abc
später dann um die Bands Baaba, Tupika, Meritum und noch später
Mitch&Mitch formierte. Neben Moruś sind es die Musiker Bartek »Magneto« Tyciński, Paweł Szamburski, Bartosz Weber, Tomasz Duda, der
Promoter und Produzent Maciej Giemza und einige andere Kollegen,
die 2004 das Label Lado ABC als Veröffentlichungsplattform für die Musik ihrer Bandprojekte aus der Taufe hoben. Heute umfasst der LadoKatalog nahezu 30 Alben, CDs und DVDs und ist damit eindrucksvolle wie undefinierbare Schnittstelle zwischen improvisierter und experimenteller Musik, Jazz, Elektronika, Punk-, Post- und anderem Rock.
»Wir sind mit diesem ganzen Indie-Punkrock-DIY-Ethos groß geworden.
Das hat auch auf Lado abgefärbt, denn auch wenn wir uns musikalisch
weiterentwickelt und viel improvisiert haben, war klar, dass die Plattform zur Veröffentlichung unserer Musik ganz im Sinne von Do-It-Yourself angelegt werden musste. Deshalb produzieren wir nicht nur unsere
Musik selbst — auch Aufnahme und Mastering, Artwork und Design
und einfach alles andere machen wir selbst.« Das Label war zunächst
Hafen für die vielen Bandprojekte der Musiker, die aus den unterschiedlichen musikalischen Welten Anfang der 2000er Jahre in Warschauer
Clubs wie dem legendären Jazzgot oder der Galeria Off zusammenkamen.
Heute führen viele der Lado-Acts die großen polnischen Musiktraditionen des Jazz und des Punk, aber auch der experimentellen Musik
fort. Sie tun dies mit frischen, zeitgenössischen Mitteln, lässig-virtuoser
Spielfreude, neuen Sounds, vor allem aber mit Energie und Humor und
häufig unter subtiler Bezugname auf südamerikanische Musiktraditio-
-nen
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lado abc
Musiktraditio-
nen. Wie sehr die Lado-Musiker von Südamerika fasziniert sind, erschließt sich beim Durchhören und -schauen des auch visuell großartig gestalteten Labelkatalogs — die Aufnahme des Trios Paristetris in
Argentinien ist nur eines von vielen Beispielen.
So ist es nicht verwunderlich, dass auch der Labelname diese Faszination spiegelt: »Lado« ist portugiesisch und bedeutet »Seite« — und
mit dem »ABC« versuchen die Musiker, ihre vielen (Seiten und) musikalischen Hintergründe durchzubuchstabieren: A steht im Labelkatalog für
elektronische Musik oder Noise, B für ein weit gefasstes Verständnis
von Rock, und C beherbergt improvisierte Musik, Jazz, Experimentelles und andere zeitgenössische Musik. Dass sich — wie kürzlich geschehen — ein D wie DVD hinzugesellen würde, hatten die Lado-Macher zu Beginn wohl nicht einkalkuliert. Die chaotisch-anarchische Vielfalt der Musik von Lado ABC wirbelte diese etwas kleinkariert wirkende Genre-Buchstabierung allerdings von Anfang an gehörig durcheinander. Eine gepfefferte wie feine Buchstabensuppe begann zu köcheln
— und schwappte schnell über den Tellerrand aller musikalischer Kategorien.
Die Band Baaba beispielsweise kommt zwar mit dem virtuosen elektronischen Spiel Bartosz Webers, mit Sampling und Loops, Drum Machines und Programmierung daher, sobald aber das Saxofon oder die Flöte von Tomasz Duda, Wojtek Mazolewskis Kontrabass oder Patryk Zakrockis Violine einsetzen und Moretti sein Trommelfeuerwerk abbrennt,
bekommt der Hörer am eigenen Leib zu spüren, wie irreführend und
kontraproduktiv die Einordnung in musikalische Genreschubladen à la
ABC doch sein kann. Denn so unterschiedlich die experimentellen Pianofluchten von Marcin Masecki oder auch die von den eindringlichen
Stimmen der Vokalistinnen Candelaria Saenz Valiente und Olga Mysłowska geleiteten Projekte Paristetris und Polpo Motel auch sind, es gibt
sie dennoch: Die Klammer, die diese vielen unterschiedlichen Musikformen zusammenhält, ob das der zuweilen hysterisch-treibende Punkjazz von Horny Trees ist, die Band Cukunft, die unter der Leitung Raphael Rogińskis jüdische Musiktradition in ein ultrafrisches Tuch kleidet,
oder aber der knisternde Elektronoise aus dem No-Input Mixing Board
und Laptop von Mem & Wolfram. Diese Klammer besteht für Moruś aus
drei großen Ls: Leute, Liebe und Lado ABC.
»Wir denken Lado immer als Ganzes, als eine Gesamtheit. Wir wollen
den Leuten nicht nur eine einzige Band zeigen, sondern den ganzen
Kosmos dahinter. Uns ist wichtig, dass wir nicht als einzige Vertreter der
Warschauer Szene verstanden werden — wir sind nur ein Ausschnitt aus
einer sehr vielfältigen Musiklandschaft. Vor einer Botschaft wie ›Schaut
her, hier sind sie, unsere wahren Repräsentanten der Warschauer Szene‹ hätte ich Angst! Angst um die Vielfalt dieser wilden Landschaft! Ich
will mit Lado erreichen, dass die Menschen verstehen und motiviert
werden: Ihr könnt das auch so machen wie wir — zusammen in der
Gruppe kann man eigentlich alles genauso machen, wie man selbst es
will, ohne sich von irgendjemand reinreden zu lassen«, sagt Moruś.
Diese klare Botschaft zeigt, wie das Attribut »unabhängig« von den Lado-Machern verstanden wird: nicht als Pose, Etikett oder gar musikalische Genrebezeichnung, sondern als ernsthaftes Programm: »Zum
Beispiel mögen wir diese Politik des Medienpatronats überhaupt nicht.
Wir wollen auf Lado-Produkten keine Logos von irgendwelchen Printoder Internetmagazinen, Zeitungen oder Radio- bzw. Fernsehsendern
sehen! In den letzten Jahren hat es sich bei der Promotionarbeit herauskristallisiert, dass man in Polen die große mediale Aufmerksamkeit für
kulturelle Produkte nur durch diese Art der ›Medienpartnerschaften‹ erreicht! Das lehnen wir kategorisch ab.« Wer die Logoflut auf polnischen
Produktionen, Programmheften oder Plakaten für Kulturveranstaltungen kennt, weiß, was dies bedeutet. »Wir bauen auf den Wert guter Musik. Wenn die Musik gut ist, braucht man nicht mit so einer Art der Werbung zu locken. Uns geht es um Aufrichtigkeit, denn die Musik ist nicht
nur gut, sie ist auch ehrlich, das ist der Wert, den wir erhalten möchten.
Wir brauchen das nicht künstlich zu pushen. Und wir haben die Erfahrung gemacht, dass diese Politik funktioniert, denn die Medien können
es sich auf Dauer nicht leisten, das zu ignorieren.«
Am Verkaufserfolg in Polen haben neben den unzähligen Auftritten der
Bands auf allen möglichen Festivals auch die professionellen Vertriebsstrukturen im Land ihren Anteil. Lado wurde zunächst von Rockers
Publishing aus Wrocław und seit 2008 vom Vertriebszweig der eigentlich auf Metal spezialisierten Mystic Production aus Skała in der kleinpolnischen Provinz erfolgreich vertrieben. Letztere machten sich über
das alternative Sommerpophitwunder des Sängers Czesław Śpiewa
seit 2008 auch jenseits von Metal einen Namen und bringen nun auch
ambitionierte, nicht massentaugliche Musik in die Regale des einschlägigen Medieneinzelhandels. Obwohl es die Downloads der Lado-Alben
im iTunes store gibt und physische Tonträger international über den Indie-Onlinevertrieb CD Baby aus Portland vertrieben werden, ist das Label auf dem internationalen Markt für unabhängig produzierte Tonträger nahezu nicht existent.
In Deutschland sind die Lado-Acts völlig unbekannt. Bis auf wenige
Auftritte einiger der bekanntesten Lado-Bands wie Mitch&Mitch, Baaba oder zuletzt Cukunft bei deutsch-polnischen Festivals, in autonomen
Kulturzentren oder aber als Theatermusiker, hinterließen die Bands des
Labels hier bislang kaum Spuren. In Ungarn oder gar Brasilien sieht dies
schon anders aus. Aber auch der internationale Erfolg ist für die LadoMusiker kein Muss: »Das ist schwierig. Obwohl ich mir natürlich wünsche, uns als kleinen Teil der Warschauer oder gar polnischen Szene
auch außerhalb des Internetvertriebs international vertreten zu sehen,
betrachte ich Lado nicht als Marketing-Werkzeug. Wir sind nicht die Art
Leute, die hundert internationale Vertriebe anschreiben, nur um irgendwo zu landen, wo sich sowieso niemand darum kümmert. Von unserer
Seite ist das mehr so eine Art ›We-don’t-give-a-fuck-attitude‹«, so Moruś, der mit Mitch&Mitch gerade eine erneute Einladung zu einem Festivalauftritt in Brasilien bekommen hat.
Die Schwierigkeit für polnische Acts, im Ausland wahrgenommen zu
werden, vor allem aber ihre Identität als Künstler aus Polen, thematisieren die Musiker auch künstlerisch. Eine Antwort darauf ist die FakeIdentität von Mitch&Mitch. Die »Mitchez« geben sich aus als seltsame
Combo mit nicht näher definierter englischsprachiger Herkunft, die lediglich in Polen Erfolg hat — und das Land in einer aberwitzigen Melange aus Klischees und Fehlzuschreibungen mit dem spezifischen MitchHumor wahrnimmt: »Polen ist mehr als die legendäre Gastfreundschaft
und das Vermächtnis Václav Havels. So undankbar es auch klingt, wir
haben die Schlagloch-Schüttelstraßen, das fettige Essen und die hinreißenden Frauen satt. Genug ist genug! Erinnern Sie sich noch an die
Band, die 1983 einen Nummer-Eins-Hit in Venezuela hatte? Das sind
wir! Wahrer Rockefailure Style«, so die Dankeshymne der Mitchez an
Polen auf ihrer DVD Blackmail/Extortion.
Der Erfolg des Labels definiert sich nicht über Verkaufszahlen oder
zahlreiche Erwähnungen in der internationalen Fachpresse. Ganz im
Gegenteil: »Es wäre schön, wenn wir mit unserer Arbeit die Leute für einen bewussteren Konsum sensibilisieren könnten. Vielleicht kann das
über den ersten Schritt des Konsumierens von Musik funktionieren«, so
Moruś.
Überhaupt liegt es den Machern am Herzen, das kulturelle und künstlerische Klima des Landes auch über die Musik hinaus zu stimulieren.
Deshalb spielt das Label in der Befruchtung der Clublandschaft eine
Rolle, wie zuletzt geschehen bei der Lado Week im Juli 2010, die mit
Konzerten der Lado-Acts in vielen verschiedenen Warschauer Venues
gefeiert wurde. Der Ruhm des Labels benetzt auch kleine und kleinste
Off-Locations wie den Club Chłodna 25, der sich zum Wohnzimmer der
Musiker um Lado ABC entwickelt hat.
Lado ABC leistet Kulturarbeit weit über die engen Grenzen der Musik
hinaus. Das jüngst ins Leben gerufene Etikett »Supported by Lado«, eine Art freundschaftliches Qualitätssiegel für Produktionen, die zwar
nicht im offiziellen Katalog des Labels Lado ABC auftauchen aber dennoch die Unterstützung der Lado-Macher finden, könnte zu einem neuen Zertifikat werden. Bei der zukünftigen Entwicklung einer sich zu Recht
»unabhängig« nennenden Kulturlandschaft Polens könnte Lado ABC
auch und gerade in Zukunft ein gehöriges Wörtchen mitreden.
Paristetris
Mitch&Mitch
16
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CD -Cover des Warschauer Musikverlages LADO ABC
17
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schnipseldi schnubbeldi
melodien
als
demas
kierung
von
natalia
geschichte ganko-laska
antje ritter-jasińska
[Ubersetzung
aus dem
polnischen]
19
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A
m Anfang war die Lüge, dann kam Stille. Ein halbes Jahrhundert
später begannen die Niederschlesier zu singen. Neunziger Jahre,
Wales, Llangollen Music Festival. Die Bühne so groß, dass man
Aida aufführen könnte. Vierzehn alte Weiblein aus dem Dorf Zbylutów. Unter ihnen Helena, 76 Jahre alt, wunderschön. Sie streift
die Latschen ab, steht barfuß da, gibt einen Laut von sich, der an
das Pfeifen eines altmodischen Teekessels erinnert. Sie rückt das Tuch
mit Blumenmuster auf dem Kopf zurecht, holt noch einmal tief Atem. Er
ist rein und trägt die Melodie, die an eine Wiese im Morgengrauen denken lässt. Helena singt ein Lied, das ihr einst weißrussische Bäuerinnen
beibrachten. Sie hüteten zusammen Kühe, von fünf Uhr früh an, hockten eine neben der anderen, wärmten die Füße in frischen Kuhfladen.
Der Conférencier des Festivals erklärt dem Publikum auf Englisch, die
Gruppe sei aus Polen angereist, genauer aus Niederschlesien, das vor
dem Krieg zu Deutschland gehört habe. Dort habe nach dem Krieg »an
interesting social experiment« stattgefunden: Deutsche wurden ausgesiedelt und in ihre Häuser steckte man Polen, die wiederum aus den
Ostgebieten ausgesiedelt wurden, der heutigen Ukraine, Litauen, Belarus und aus Gebieten des ehemaligen Jugoslawien, wo zu Zeiten der
Österreichisch-Ungarischen Monarchie Polen angesiedelt wurden.
Als man die einen ausgesiedelt und die anderen angesiedelt hatte,
überlegte sich irgendein Hirni, ein Politiker, dass bei der Eingewöhnung
an dem neuen Ort eine »kulturelle Amnesie« helfen würde. Seitdem
sprachen die Polen nicht mehr davon, wie sie nach Niederschlesien gekommen waren, und die Deutschen aus Niederschlesien, die man über
ganz Deutschland verteilte, nicht mehr von der »alten Heimat«. Wer davon sprach, war ein Flegel, ein Rückwärtsgewandter, ein Revisionist.
Zurück nach Wales, zu den vierzehn Mütterchen aus Zbylutów, sie singen à capella. Arm in Arm sehen sie aus wie ein Hain weißer Birken, wiegen sich im Takt der Musik, ein wenig wie vom Wind angeschubst.
Die Festivaljury, die sich aus Musikethnologen aus Oxford und Cambridge zusammensetzt, klatscht stehend Beifall. Das Urteil: Zweiter Platz,
gleich nach den Basken. Zbylutów hat unter anderem eine Gruppe aus
Mexiko besiegt, ihre heißen Rhythmen, ihre Rüschen ...
melodien aus niederschlesien
Livland historische Landschaft im Baltikum.
Sioła jelinia … Titel eines Fastenliedes, Mundart.
Slawonien historische Region im ehemaligen Jugoslawien.
Obwarzanek ringförmige Backspezialität; steht
seit Juni 2006 als Krakauer Traditionsprodukt auf
der polnischen Liste traditioneller Produkte und
soll EU-weit geschützt werden.
Die
Reise
eines
Liedes
2009, Niederschlesien, Feldforschungen der Universität Wrocław. Die
Musikethnologen sind geschockt: In dem Dorf Dobków bei Świeżawa
erinnert sich die Bevölkerung an ein Lied aus Livland, aus Zeiten weit vor
der ersten Teilung Polens 1772. Die gesungenen Texte sind wie Gene
durch die Generationen polnischer Kolonisten aus Galizien gewandert,
die zu Zeiten der Österreichisch-Ungarischen Monarchie in Bosnien
Bäume rodeten. Dort, vom Element Berg isoliert, waren sie wie ein Gefrierprodukt, das in unberührtem Zustand nach dem Zweiten Weltkrieg
mit einem Transport von Reemigranten nach Niederschlesien gelangte.
Ein noch älteres Kleinod für die Forscher ist das Lied Sioła jelinia…,
mehrstimmig gesungen in den Dörfern um Bolesławiec (die Bewohner
kommen aus den Gebieten des heutigen Bosnien), einmal im Jahr, in einem archaischen Reigen, der von der Kirche aus am Abend vor Aschermittwoch loszieht, um den Frühling auf eine Weise hervorzulocken, die
älter ist als die polnische Staatlichkeit. Die nächste Entdeckung: Michalina Mrozik aus dem Umland von Bolesławiec, geboren 1932 in Slawonien, summt beim Kartoffelschälen eine der in der polnischen Kultur ältesten Versionen des Liedes vom umherirrenden Soldaten aus Zeiten
des Königs Jan Sobieski (17. Jahrhundert). Sie hat es von ihrer Mutter
gelernt, die es dank ihrer Großmutter kannte, die Großmutter hatte es
wiederum von ihrer Mutter. Dadurch kennt Michalina auch die Balladen
der Rekruten vom Januaraufstand, die lang sind wie Litaneien, und die
Volksmärchen über Kindsmord, die die polnischen Bäuerinnen in den
griechischen Archetyp der Medea einschreiben.
Die Musikethnologen haben auch alte Frauen gefunden, die aus dem
ukrainischen Dorf Wowtschuchy stammen. Sie können noch ganze »Lemberger Hochzeiten« auswendig, ganze Inszenierungen mit Liedern, wo
die singende Sprache der Ostgebiete, die aus dem heutigen Polnisch
verschwunden ist, wie eine Reise in diese nicht mehr existenten polnischen Gebiete ist, vergleichbar mit einem Obwarzanek, der Brezel, die
am Rande am süßesten ist.
Das Süße kam von der multikulturellen Gesellschaft. Im Lemberger
Land (heutige Ukraine) waren die katholischen Polen ihren Nachbarn,
den griechisch-orthodoxen Ukrainern, sehr nahe. Ihre Sprachen vermi-
-schten
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melodien aus niederschlesien
Immigranten aus Griechenland 1949 bekommen die
griechischen sozialistischen Partisanen nach ihrer Niederlage im Bürgerkrieg politisches Asyl in Volkspolen.
Polesie Wojwodschaft in der Zweiten Republik Polen,
heute Belarus.
vermi-
schten sich. Manchmal unterschieden sich lediglich die Rockmuster:
das ukrainische kariert, das polnische mit Feldblumen und Schürzchen. Und wenn es im Winter ordentlich schneite, ging man nicht in die
Stadt zur Kirche, sondern in die orthodoxe Kirche im Dorf. Es gibt nur
einen Gott, sagten sie.
Obwohl der ukrainische irgendwie singwütiger war. Den Orthodoxen
hatte er verboten, die Orgel zu benutzen, über die Jahrhunderte hinweg
trainierten sie ihre Fähigkeit, ohne Begleitung und Dirigent zu singen.
Selbst der Pope, der Meister der Zeremonie, stand immer mit dem Rücken zu ihnen. Es waren die Ukrainer, die die »weiße Stimme« erfanden,
den Gesang an der Grenze zum Schrei. Mit solchem Gesang baten sie
um Regen, und wenn es sein musste, vertrieben sie damit Blitze. Die
Musik gab dem Menschen Macht über die Naturgewalten.
Die
Musik
der
Autochthonen
Teresa Nozdrzyn und Alicja Zabawa singen weißrussische Lieder.
Der Ethnograf Henryk Dumin aus Jelenia Góra [Hirschberg] bedauert,
dass die Siedler, die nach dem Krieg nach Niederschlesien kamen, vereinheitlicht wurden. Das Paradoxe bestehe darin, dass die Volksrepublik Polen dem Volk gehören sollte, aber die Folklore zerstört hat.
»Ein halbes Jahrhundert lang wurde den Menschen eine künstliche
Folklore aufgedrückt in sogenannter niederschlesischer Tracht, die ironischerweise an eine billige Version der deutschen Vertriebenen erinnerte.« Und so wurde es gemacht: In den 70er Jahren entstehen im gesamten kommunistischen Polen Folkloreverbände. Der Krakauer Fotograf Tadeusz Seweryn gibt einen Atlas der Volkstrachten heraus und
zaubert auf die Schnelle etwas für den frisch gebackenen polnischen
Niederschlesier. Das war die künstlerische Version zum Thema Gewandung der hiesigen Deutschen vor dem Krieg. Die Tracht war im 19. Jahrhundert nach dem Vorbild der höfischen Mode entstanden. Die Frau
schwimmt in Spitze, der Mann sieht aus wie Lord Byron, trägt einen Zylinder und gelbe, Fruchtbarkeit symbolisierende Hirschlederhosen, dazu lange weiße Strümpfe. Von der Taille abwärts sah der preußische
Bauer aus wie Ludwig XV. Aus den Hirschlederhosen machte die Volksrepublik gelbe Tuchhosen.
Nun war der Niederschlesier eingekleidet, musste nur noch mit einem
Gesangsbuch ausgerüstet werden. Dieses entsteht aus Aufnahmen aus
der Vorkriegszeit von Józef Majchrzak, einem Folkloristen, Musikwissenschaftler, Mitarbeiter des Polnischen Radios Wrocław. Er hatte die
Folkloremusik der Ureinwohner Niederschlesiens aufgezeichnet, einer
polnischen Minderheit, die damals im Staat Preußen lebte. Heute sind
das die Landkreise Sycowski und Namysłowski. Die dortigen Katholiken sprachen eine polnische Mundart, die die Deutschen »bohemischpolnisch« oder »Wasserpolnisch« nannten. Nach dem Krieg gibt es von
diesen ethnischen Polen etwa 20.000. Ein Teil wird von den kommunistischen Machthabern positiv verifiziert und bleibt in Polen.
Das
Volk
singt
Das kommunistische Polen verdammt die Mythologie der ehemaligen
Ostgebiete. In Niederschlesien werden unter viel Wirbel das Café Lwowianka und das Restaurant Wilnianka geschlossen, weil die Namen wie
ein Ruf nach Lemberg und Vilnius klingen, wie eine Vorhaltung an die
Sowjetunion, aus dem polnischen Hause das Familiensilber gestohlen
zu haben. Schließlich hatte sie das halbe Land weggenommen.
Man verdammt die religiösen Inhalte in den folkloristischen Liedern, sie
seien antikommunistisch. Patriotische Lieder sind ebenfalls verboten.
Der Patriotismus wird durch die Internationale ersetzt. Es bleiben Ufftata und rot geschminkte Bäckchen. Auf den Galaabenden beim Erntedankfest werden aus den Dorfbewohnern sowjetische Würdenträger à
la Kossygin und Breschnew. Auf der Brust der LPG-Vorsitzenden prangen Abzeichen. Die Menschen verdummen.
Zum niederschlesischen Ethos trugen auch die »politisch korrekten«
Immigranten aus Griechenland bei. Sie siedeln sich hauptsächlich in
Zgorzelec an; die Band Mythos spielt auf der Bouzouki Lieder über das
sozialistische Volk.
Unter den Repatrianten genießen die so genannten »polnischen Franzosen« eine privilegierte Stellung. Sie kommen aus Belgien und aus Pasde-Calais im Norden Frankreichs (sie waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts emigriert, hauptsächlich als Bergbauarbeiter). Sie sind leicht bourgeois, tragen Barette, bunte Schals und sprechen kein Polnisch mehr,
aber stellen den Wodka über den Wein. Eingeladen vom sozialistischen
Vaterland in die reichen Westgebiete, besiedeln sie Wałbrzych und singen die Marseillaise: »Allons enfants de la Patrie …« und andere Volkslieder: »Frankreich, Frankreich, du unglücksseliges Land ...«. Für sie war
Frankreich das Land, das den in die Armee einberufenen Söhnen der
Bauernfamilien das Leben nahm.
Der
Grundermythos
Die neuen Niederschlesier verbindet eines: Alle bekommen den Gründermythos über die Piasten. Die slawische Dynastie, die im Mittelalter
das niederschlesische Land bewohnte, wird als der Grundstein des Polentums gehandelt. Die Idee ist höchst simpel: Die, die aus den Gebieten kommen, die gerade der UdSSR angeschlossen wurden, sind die
offiziellen Repatrianten, sie kehren heim in das Piastenland, obwohl sie
gar nicht aus dem Ausland kommen, sondern aus Polen, aus dem Polen
in den alten Grenzen.
Die staatliche Repatriierungsbehörde in Niederschlesien hat die Bevölkerung strategisch im ganzen Land verstreut. Versprenkelt wird sie dümmer sein, offener für Propaganda.
»Aber trotz aller Maßnahmen zur Homogenisierung der Bevölkerung, die
anstelle der ausgesiedelten Deutschen nach Niederschlesien gebracht
wurde, haben wir noch immer einen Schatz: einen Querschnitt durch
ganz Polen in den Grenzen aus der Zeit vor den Teilungen und die in den
Köpfen erhaltenen authentischen Traditionen«, sagt der Ethnograf Henryk Dumin.
Die
Propaganda
so,
die
Menschen so
Teresa Nozdryn-Płotnicka, 76 Jahre alt, geboren in Polesie (heute Belarus), gründete heimlich das Ensemble Jarzębina [Eberesche], geprobt
wurde bei ihr zu Hause in der Küche: »Zu Zeiten der Volksrepublik sollten wir nur Soldatenlieder singen, im Bauernklub. Die schönen weißrussischen Lieder waren verboten. Wir hatten Heimweh und es gab keinen
Abend, da mein Mann und ich uns nicht auf das Sofa setzten und unsere Lieder sangen. Bei uns hieß das: Sie haben das weißrussische Lied
›geschlachtet‹. Und zwar ohne Nasale, nach Bauernart. Ein Jammer,
was hier an Volk gestorben ist, sie haben es nicht mehr geschafft, ihren
Nachkommen die traditionellen Lieder beizubringen ...« Was verloren
gegangen ist? Wiegenlieder, Kinderabzählreime, Grablieder und Litaneien. Langsam wie die Flüsse im Wilnaer Land, in breiten Tälern, so wie
die Memel, deren Name wie der Name einer Geliebten klingt. Es sind
viele Bergarbeiter-, Hirten- und Erntelieder verloren gegangen, die die
plötzlich abgebrochen werden durch ein Unglück oder das Nahen einer
Horde Wölfe. Es ist das natürliche gemischte Metrum verloren gegangen, die Musik, die spontan wie Hefeteig geschnitten ist, ungleichmäßig
in kleine Takt-Stücken. Es sind auch die Takte aus Polesie verschwunden, aus der Region die als zurückgebliebenste galt, aus dem Land der
glücklichen Analphabeten, die sich nicht den Kopf über Bücher zerbrachen, und die auf die Frage, woher sie seien, antworteten: Wir sind Hiesige. Sie musizierten, indem sie in ein Gräserblatt, das sie zwischen
beiden Daumen hielten, hineinpusteten, in aufgeschnittene hölzerne Kalmusstengel oder in eine Tröte aus eingerollter Weidenrinde.
Alicja Zabawa, 55 Jahre alt, Dorfschulzin in Rakowice Małe, Tochter eines Immigranten aus Belarus. Sie spricht zwar die Mundart nicht mehr,
ist bereits in Niederschlesien geboren, aber ihre ganze Kindheit hindurch hat sie etwas hinausgezogen, aufs Feld, wo der alte Nachbar jahrelang jeden Abend heraustrat und von seiner Sehnsucht nach Zuhause sang. Dieses Zuhause war weit weg, hinter dem Bug.
Alicja hat sich das Lied gemerkt und es hat sie so in diese Gegend gezogen, dass sie endlich nach Belarus fuhr. Dort hat sie die Wirtshäuser
am Wegesrand gesehen, wo die Menschen zusammenkamen an einer
qualmenden Feuerstelle, warmen Wodka aus blechernen Tassen tranken und Synkopen sangen wie Engel. Am Morgen gingen sie verkatert
zum See und holten mit Gardinen und zwei Knüppeln kiloweise Forellen aus dem Wasser. Alicja stand an diesem Tag bei Sonnenaufgang am
Fluss und öffnete den Mund, ihrer Kehle entrang sich ein Klang, klar wie
das Wasser im See. Sie sang sich selbst ein Wiegenlied, auf belarussisch, immer wieder die gleiche Zeile. An mehr konnte sie sich nicht erinnern.
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melodien aus niederschlesien
Teresa Nodzdrzyn zeigt ihre Weidenlatschen aus Polesie.
wir wollen nur
spielen.polnischer
metal zwischen
provokation und N
pop
rainer
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metal in polen
TSA sesshaft in Opole, der Name bezieht sich auf eine fiktive und
nicht ganz ernst gemeinte Vereinigung Anonymer Abstinenzler.
KAT seit 1979 in Katowice aktiv, Vorreiter der polnischen Heavyund Thrash-Szene, spielte acht Alben ein, darunter ein BalladenAlbum (!), bekannt für okkulte Texte, verfügt seit 2005 mit Henry
Beck über einen deutschen Sänger polnischer Abstammung.
Warschau, Frühsommer 2000. Im großen Medien- und Presseladen EMPiK in der ul. Marszałkowska durchblättern die Kunden die ausliegenden Zeitschriften. Über ihnen plätschern unaufdringlich die Videos der aktuellen
Verkaufscharts über eine große Leinwand — die Krakeelkinder von Arka Noego, die alten Herren von Budka
Suflera, die arg gealtert wirkenden Ex-Punks von T.Love, kurz: gefällige Klangware. Doch auf einmal verfinstert
sich der Bildschirm, aus einem dunklen Hintergrund schält sich kaum sichtbar eine düstere geflügelte Gestalt.
Dazu grummeln aus den Lautsprechern extrem tief gestimmte Gitarren, ein Schlagzeuger drischt um sein Leben
und derber Grunzgesang lässt die Regale zittern.
mende
ein, dies ist weder der Untergang des Abendlandes noch die Landung von Außerirdischen, sondern nur eine anschauliche (und
nicht erfundene) Illustration der Ankunft der dunklen Metal-Ausläufer in der Mitte der polnischen Gesellschaft. Denn wie im Rest
der Welt gibt es auch in Polen eine Parallelwelt jenseits von Hochglanzmagazinen und Dudelradios, wo Wert auf Handarbeit, Authentizität, Emotionen und ein gerüttelt Maß an Provokation gelegt wird.
Und hin und wieder — wie hier im Fall des Erfolgsalbums Litany des
Death-Metal-Urgesteins Vader aus Olsztyn — wird der Underground
im In- und Ausland so erfolgreich, dass er in die Massenkultur überschwappt. Dieses Phänomen ist beileibe keine Eintagsfliege. Die Erfolggeschichte ist umfang- und kapitelreich.
Wenn alle Jubeljahre wieder Feuilletonisten beklagen, dass im Gegensatz zu Klassik, Jazz und Folk die polnische Populärmusik im Ausland
keinen Fuß in die Tür bekommt, dann übersehen sie — ob aus Unwissenheit oder aus Ignoranz, sei dahingestellt — geflissentlich, dass in
Teilbereichen des Pop polnische Exportware heiß gehandelt wird. Das
trifft unter anderem auf jene Subkultur zu, die von nahezu jeder anderen
(mit Ausnahme der Gothics vielleicht) belächelt wird — den Metal. In dieser Szene ist die Landkarte recht klar definiert — Norweger liefern beispielsweise vorwiegend Black Metal, Finnland produziert Melancholiker, Kanada die progressiven Spielarten, Brasilien vertrackten Thrash,
Deutschland brilliert mit Power Metal. Und Polen? Hat sich ebenfalls im
Laufe der Jahre einen Namen als Lieferant hochwertiger, technisch sauber gespielter und vorwiegend finsterer Soundwände gemacht.
Diese internationale Anerkennung kommt nicht aus dem Nichts. Abgesehen davon, dass das Metal-Publikum ohnehin sehr international ausgerichtet ist und weniger Wert auf Herkunft denn auf Qualität legt (immerhin sind beispielsweise momentan auch die Ungarn Ektomorf und
die Rumänen Negura Bunget recht erfolgreich), ist die Anerkennung
über Jahre hinweg hart erarbeitet. Denn wie jede westliche Musikkultur
quoll natürlich auch der Metal recht bald nach seinen Anfangstagen in
den Siebzigern durch die Schlupflöcher des Eisernen Vorhangs. Die Verzerrer wurden aufgedreht, das Tempo angezogen, der Tonfall rauer und
der etablierte Hardrock gebar auch an der Weichsel einen bissigen, fiesen Sohn, der sich seitdem in stetigen Metamorphosen windet und dabei nie richtig alt wird.
An der Wiege standen Bands, deren Namen man noch heute mit Hochachtung im Munde führt und die mit Unterbrechungen und zahllosen
Besetzungswechseln — im Metal-Business der Regelfall, ebenso wie
Stil-Experimente im Verlauf der Bandgeschichte — bis heute existieren. Referenzobjekte sind beispielsweise TSA. Die Truppe rockt seit
1979 etwas härter und brachte es immerhin fertig, Tonträger in Hunderttausender-Auflage beim staatlichen Audioverlag Tonpress zu veröffentlichen. Nur ein Jahr jünger sind Turbo, die ihren Hardrock schnell in Richtung Heavy Metal britischer Prägung umbauten und, nach einem Zwischenstopp in seichteren Gefilden, schon vor 1989 ihr neues Thrash-Gewand in Metallica-Nachfolge dem westlichen Publikum auf LP in englischer Sprache präsentieren durften.
Metal war fester Bestandteil der Alternativ- und Jugendkultur. Dies kann
man hervorragend im Dokumentarfilm Fala. Jarocin 85 beobachten, wo
zwischen Punks, Hippies, Rastafaris und experimentell angehauchten
Avantgardisten wie selbstverständlich auch die Klassiker von KAT —
ebenfalls Metalmania-Aktivisten der ersten Stunde — auf der Bühne
des Kult-Festivals stehen und ihren düsteren Thrash auf die Meute loslassen. Hauptsache, man provoziert und weicht von der kommunistischen Staatsnorm ab. Die Begeisterung im Fahnen schwingenden Publikum darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die polnischen
Krawallbrüder ähnlich wie ihre Kollegen in der DDR oder Ungarn im wesentlichen Ersatzdrogen in einem Land waren, wo die Originale wie Iron
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Behemoth
Vader
Turbo
Acid Drinkers
Riverside
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Maiden oder Slayer nie auftreten würden. Dies zeigte sich deutlich nach
dem politischen Umbruch, als etliche Flaggschiffe der Achtzigerjahre
ins Schlingern gerieten und in vielen Fällen sogar kenterten.
Nun brachen die dunklen Klänge der westlichen Welt, wo gerade der böse, bockige Death Metal durchstartete, massiv über den Osten herein.
Die Straßenmärkte servierten den Backkatalog aller relevanten Krachkapellen als Raubkopien auf Kassette und immer mehr westliche Rabauken stampften auf polnische Bühnen. Die Saat fiel auf fruchtbaren
Boden, der zudem auch schon gut gepflügt war — das dienstälteste
und größte Metalfestival Polens Metalmania wurde nämlich schon 1986
aus der Taufe gehoben, auch Vader waren damals schon dabei. Bereits
in volkspolnischen Zeiten durften westdeutsche Acts wie Kreator, Rage
und Helloween dort die oberschlesische Luft vibrieren lassen. Die politischen Umschwünge haben dem Event, bis auf einige Ortswechsel rund
um Katowice, nicht viel anhaben können. Wie beim ersten Mal gab es
bis über den Jahrtausendwechsel hinaus verlässlich jedes Jahr im Frühjahr Deftiges auf die Ohren. Dafür hauptverantwortlich war als Träger
das Plattenlabel Metal Mind Productions, eine polnische Eigenzüchtung. Seit 1987 im Geschäft, kooperiert der omnipräsente Platzhirsch inzwischen mit Branchengrößen auf der ganzen Welt und gibt die polnische Ausgabe des Metal Hammer heraus.
Liest man sich das Line-up der Metalmanias vergangener Jahre durch,
stößt man nicht nur auf Namen von Weltrang wie Sepultura, Apocalyptica und Paradise Lost. Auch etliche einheimische Gewächse konnten
sich — neben altbekannten Haudegen wie Turbo und TSA — seit Einführung von zwei Bühnen so viele Sympathien bei Publikum und Kritikern erspielen, dass sie Licht und PA auf der Hauptbühne mit den ausländischen Stars teilen durften. Sie tragen Namen, die jenseits der Westgrenze nur Spezialisten oder den entsprechenden Szeneangehörigen
geläufig sein dürften, wie z.B. Delight, Dies Irae, Darzamat, Acid Drinkers,
Decapitated oder Vesania.
Auf den ersten Blick mag diese Aufzählung für Außenstehende nichts als
die Aneinanderreihung unverständlich bis albern klingender Wörter sein.
Eine genauere Betrachtung offenbart jedoch schon anhand dieser wenigen Bandnamen die Vielfalt, räumliche Streuung und Beweglichkeit der
polnischen Szene. Sie frönen nämlich äußerst unterschiedlichen Variationen des formvollendeten Lärms. Während Delight sich anfangs einer
spritzigen Variante des Gothic Metal mit weiblichem Gesang hingibt, erspielten sie sich beim Leipziger Wave-Gotik-Treffen 2005 mit elektronischem Rock einen Vertrag beim renommierten amerikanischen Label
Roadrunner und damit zugleich CDs und Touren u.a. in Deutschland.
Dies Irae wiederum lärmten einige Jahre lang heftigen Death Metal im
Vader-Verschnitt, von denen sie auch immer wieder neue Mitglieder
bezogen. Die deutsche Fachpostille Rock Hard witterte daraufhin im polnischen Death Metal schon »Musiker-Inzest«, weil immer wieder dieselben Namen in anderen Zusammenstellungen auftauchen.
Darzamat wiederum hauen in eine völlig andere Kerbe und servieren
sinfonischen Black/Dark Metal der Breitwandsorte. Sie konnten ihren
Zweitling gleich einem italienischen Label unterjubeln und u.a. die Portugiesen Moonspell auf Tour begleiten, 2009 landeten sie bei der deutschen Firma Massacre Records. Vesania gingen noch einen Zahn flotter
zu Werke und konnten bereits mit dem keybordverzierten Black Metal
ihres Debüts einen US-Deal ergattern. Die Thrash-Backen Acid Drinkers
sind hingegen schon alte Hasen, die seit 1986 akustische Granaten abschießen und einen häufig von diversen bunten T-Shirts anlachen, aber
jenseits der Grenze trotz durchgehend englischer Texte weitgehend unbekannt sind. Ganz im Gegensatz zu den Death-Brüdern von Decapitated, deren technisches Gehacke die Leser des englischen Terrorizer so
metal in polen
jedes Jahr erst 2009 wurde wegen Bauarbeiten an der Spodek-Halle in Katowice eine Pause eingelegt, allerdings deutet auch 2010 nichts auf eine Neuauflage hin.
Decapitated gegründet 1996 in Krosno, veröffentlichten die
Alben Wind of creation, The first damned, Nihility und Organic hallucynosis; zugunsten der Familie des toten Schlagzeugers wurden weltweit Benefiz-Konzerte organisiert.
NSBM Abkürzung für National Socialist Black Metal, eine
Untergattung mit explizit antisemitischem, rassistischem
und nationalpatriotischem ideologischen Unterbau.
2Tm2,3 allgemein Tymoteusz genannt, mixt seit 1996 verschiedene Musikstile, darunter auch Metal, aus Kindern der
Musiker setzte sich die eingangs zitierte Kinderband Arka
Noego zusammen.
betörte, dass sie ihr Debüt als das beste des Jahres kürten. Fünf Jahre
später gondelten sie schon als Tour-Headliner durch Europa. Ein tragischer Unfall, der ihren hoch angesehenen Schlagzeuger Witold Kiełtyka das Leben kostete, konnte sie nur kurzzeitig stoppen, bald darauf
hatten sie einen Vertrag des sauerländischen Branchenkrösus Nuclear
Blast ergattert. Die Liste ließe sich noch endlos fortsetzen.
Ist Polen also ein Metal-Paradies? Nun ja. Natürlich gibt es in einem katholisch geprägten Land immer wieder Skeptiker, die sich vor allem an
okkulten und satanischen Text- und Bildwelten stoßen. Für Schlagzeilen sorgte vor allem ein Gerichtsprozess, an dessen Ende der Chef von
Metal Mind 2007 kräftig zu Kasse gebeten wurde, weil die norwegische
Band Gorgoroth in einer blutlastigen Bühnenshow Kreuze und Bibeln
verunglimpft hatte. Wer jetzt die »Typisch Polen!«-Keule herausholen
will, möge sie bitte gleich wieder einstecken — als Beweisstück diente
eine Aufnahme des Polnischen Fernsehens, das den Auftritt für eine TVAusstrahlung mitfilmte. Gefahr droht aber auch von anderer Seite: Wie
in Deutschland versucht die politische Rechte schon seit geraumer Zeit,
vor allem im Black Metal Nachwuchs zu rekrutieren, gelegentlich mit Erfolg. Einige der bekanntesten Combos des so genannten NSBM kommen leider ebenfalls aus Polen. Dafür gibt es aber als Gegengewicht eine
nicht ganz unerhebliche christliche Rock- und Metal-Szene mit Speerspitzen wie 2Tm2,3. Auch die Acid Drinkers stehen dort mit einem Bein
drin.
Das aufsehenerregendste Phänomen der letzten Jahre sind jedoch definitiv Behemoth. Noch in den späten Neunzigern deibelten sie in einer
rohen, primitiv gespielten und dürr abgemischten Black Metal-Spielart
auf Polnisch die Wälder Pommerns an, unterstützt von tendenziell atonalem Damengezirpe. Man wäre heute Millionär, hätte man damals in einem obskuren Wettbüro ein paar Złoty darauf gesetzt, dass ausgerechnet den Grünschnäbeln um Frontröhre Nergal (bürgerlich: Adam Darski),
die sich anfangs noch allzu offensichtlich an ihren norwegischen Vorbildern von Darkthrone & Co. orientierten, der große Durchbruch gelingt
— und das mit einem vollkommen runderneuerten Stil, der sich noch dazu keinen Millimeter in Richtung Mainstream bewegt hat (vielleicht abgesehen davon, dass man inzwischen mehr Geld in die Studioaufnahmen, Videoproduktionen und Bühnenshows investiert). Mit ihren exquisiten Alben und intensiven Shows mussten sie erst den US-Markt knacken, bis die Propheten auch im eigenen Lande erhört wurden. Man
rieb sich die Augen, als plötzlich die konservative Rzeczpospolita in Jubelarien ausbrach und die Rasselbande sogar für den begehrten Paszport-Künstlerpreis der Zeitschrift Polityka nominiert wurde — damit war
der provozierende Keller-Act zum etablierten Pop-Adel aufgestiegen.
F a z i t : Wer in Polen ein Instrument gelernt hat, gern technisch
versierten Krach macht und auf Englisch textet, ist vor einer Weltkarriere im Metal nicht sicher. Wer weiß, ob sich nicht gerade die großen Stars
von morgen in die Spur machen? Derzeit starten wieder einige polnische Metallurgen in den westlichen Musikumlauf, beispielsweise die jungen Post-Black-Metaller von Morowe oder das erfahrene, aus Ex-Behemoth- und Vader-Mitgliedern zusammengewürfelte Düsterprojekt HellBorn über das kleine Szene-Label Withing Hour aus Białystok. Prog-Fanatiker murmeln neuerdings ehrfürchtig den Namen der Artock-MetalTruppe Riverside. Niemand kann voraussagen, wo sie alle enden werden — im Namenwald der unzähligen polnischen Krawallcombos oder
auf der Videoleinwand im Warschauer EMPiK.
von koniginnen
und aschenputtel
eine polnische
orgelreise
michael f.
runowski
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F
p heft N 12 musik
ragt man einen Polen nach Orgeln, erhält man zumeist zwei Namen
als Antwort: Oliwa und Święta Lipka. Diese wohl bekanntesten Orgelorte Polens werden täglich von hunderten Besuchern besichtigt. Dabei sind es in erster Linie die prachtvollen Gehäusefassaden,
Prospekte genannt, und die sich an ihnen befindlichen beweglichen
Engel, die die Blicke der Zuhörenden auf sich ziehen und sie womöglich in größeres Entzücken als die Musik selbst versetzen. Doch die
Zuhörer erliegen einer Illusion: Von den beiden prachtvollen barocken Orgeln sind nur noch die Gehäuse original, dahinter verbergen sich mehrfach umgebaute Instrumente, die kaum noch originale Pfeifensubstanz
aufweisen. Zum anderen zeigen beide Instrumente, dass die Orgelbaugeschichte Polens mit der des Nachbarlandes Deutschland verknüpft
ist, wofür es zahlreiche weitere Beispiele gibt.
Die Orgel der ehemaligen Zisterzienserklosterkirche Oliwa war zu ihrer
Erbauungszeit die größte der Welt. Ihr Erbauer Jan Wulf hat gemeinsam
mit anderen Mitbrüdern 25 Jahre an dem Instrument gearbeitet. Fertig
geworden ist er nicht; die Orgel wurde 1793 von Johann Friedrich Dalitz,
einem Schüler des großen Gottfried Silbermann, vollendet und später
mehrfach umgebaut. Die Orgel von Święta Lipka [Heiligelinde] wurde ursprünglich 1719 – 21 vom Königsberger Orgelbauer Johann Josua Mosengel erbaut. 1905 wurde die Barockorgel vollständig durch einen Neubau der Firma Bruno Goebel, ebenfalls aus Königsberg, ersetzt. In der
Nachkriegszeit wurde sie geringfügig umgebaut; erst jetzt wurden die
Prospektengel beweglich gemacht. Inzwischen genießt das hundertjährige romantische Instrument hinter der barocken Fassade auch Denkmalwert; es ist zu hoffen, dass es für die Zukunft erhalten bleibt.
eine polnische orgelreise
Kathedrale von Oliva Katedra Oliwska, ul. Cystersów
10, 80 – 330 Gdańsk
Heiligelinde Parafia p.w. Nawiedzenia NMP, Święta
Lipka 29, 11– 440 Reszel
Propsteikirche von Kazimierz Dolny Parafia Kazimierz Dolny, ul. Zamkowa 6, 24 –120 Kazimierz Dolny
Vielfach ist es demnach nur die äußere Fassade, das Gehäuse, das über
die Jahrhunderte mehr oder minder im Originalzustand erhalten geblieben ist, nicht einmal die sichtbaren Prospektpfeifen hat die Geschichte verschont, sie mussten vielerorts während der beiden Weltkriege für
Rüstungszwecke abgegeben werden. Man muss sich fernab der bekannten, beliebten Orte begeben, insbesondere in den Süden und Osten, um einmalige und wertvolle Instrumente zu entdecken, die teilweise
in bedauerlichem Zustand ein Aschenputteldasein führen. International
ist die polnische Orgellandschaft nach wie vor eine terra incognita, kann
sie doch nicht auf jahrzehntelange Präsenz in Fachkreisen zurückblicken, wie etwa die Orgellandschaften Deutschlands oder Frankreichs.
Das ehemalige Ostpreußen wiederum bildete eine einmalige Orgellandschaft, »die ein Opfer des Krieges wurde, bevor sie in ihrer ganzen Bedeutung innerhalb des europäischen Orgelschaffens erfasst worden
war«, wie der Organist, Komponist und Orgelforscher Jan Janca, der
sich um die Historiografie dieses Gebiets verdient gemacht hat, resümiert.
Die wohl älteste spielbare und fast vollständig original erhaltene Orgel
Polens befindet sich in der Propsteikirche von Kazimierz Dolny, in der
Nähe von Krakau. Sie wurde Anfang des 17. Jahrhunderts von einem
unbekannten polnischen Orgelbauer (zugeschrieben wird sie Szymon
Lilius) erbaut, das Gehäuse ist auf 1620 datiert. Es handelt sich um ein
großes, zweimanualiges Instrument (zwei Klaviaturen für die Hände).
Ab dem 18. Jahrhundert setzte ein zunehmender Verfall ein, bis es 1883
umgebaut und wieder spielbar gemacht wurde. Danach erfolgten weitere fünf Umbauten, wobei allerdings — ein Glücksfall in Polen — nie-
-mals
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Bernhardinerbasilika in Leżajsk Klasztor OO. Bernardynów, Plac Mariacki 8, 37– 300 Leżajsk
Zisterzienserkirche in Jędrzejów Archiopactwo OO. Cystersów, ul.
Klasztorna 20, 28 – 300 Jędrzejów.
Warschauer Seminarkirche (Prokathedrale) [Kościół Seminaryjny
(Prokatedra)], Krakowskie Przedmieście 52/54, 00 – 322 Warszawa.
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eine polnische orgelreise
nie-
mals allzu stark in die Originalsubstanz eingegriffen wurde. So präsentiert sich die Orgel von Kazimierz nach wie vor mit ihren originalen Klaviaturen und den für den polnischen Orgelbau des Barock typischen
schmiedeeisernen Registerzügen. Wahrscheinlich war es die zunehmende Bedeutungslosigkeit des Ortes und damit verbundener Geldmangel,
die zur Erhaltung dieses barocken Kleinods beigetragen haben.
Ebenfalls in Südpolen befinden sich zwei weitere beachtenswerte Instrumente der Barockzeit: Die Orgel der Bernhardinerbasilika [siehe Abb.
nächste Seite]
in Leżajsk, die zwischen 1680 und 1693 von Stanisław Studziński und Jan Głowiński erbaut wurde, sucht allein ob ihrer äußeren
Pracht in Europa seinesgleichen — und dennoch ist das Instrument
selbst in europäischen Fachkreisen nur wenigen Eingeweihten bekannt.
Es wurde im 19. Jahrhundert umgebaut, und ist vor wenigen Jahren in
Zusammenarbeit mit einer polnischen und einer französischen Werkstatt, glücklicherweise unter Bewahrung des »gewachsenen Bestandes«, restauriert worden. Weitestgehend original ist die Orgel der Zisterzienserkirche in Jędrzejów. Sie wurde zwischen 1745 und 1754 von
Józef Sitarski erbaut. Sogar die originale Spielanlage ist hier erhalten.
Eine Besonderheit ist hier eine herausziehbare vierte Klaviatur, die die
Register des Rückpositivs einen Ton tiefer erklingen lässt, um das Zusammenspiel mit Orchesterinstrumenten zu ermöglichen. Eine weitere
ist ein spezifisches, nur in Polen vorkommendes Register: die polnische
Zimbel. Auf einem gemeinsamen Pfeifenfuß sitzen mehrere kleine, nicht
stimmbare Pfeifen, deren schriller Ton dem Gesamtklang eine faszinierende Färbung verleiht. Nur noch wenige dieser Register sind erhalten
geblieben. Am prachtvollen Gehäuse, dessen hufeisenförmige Anordnung wahrscheinlich auch für die Orgel in Oliwa Pate gestanden hat,
fällt dem Betrachter das in die Emporenbrüstung eingelassene Rückpositiv auf, ein Teilwerk, das die Pfeifen des ersten Manuals enthält. Es
besitzt noch seine originalen, schön verzierten Prospektpfeifen, die, einer Theaterbühne gleich, von einem kunstvoll geschnitzten goldenen
Vorhang umrahmt sind.
Im Zuge der Teilungen Polens (1772, 1793 und 1795) und des Verlusts der
Unabhängigkeit setzte ein Verfall der Orgeln und der Orgelmusik ein. Es
entstanden überwiegend kleine und vielfach minderwertige Instrumente; alte Orgeln verfielen oder wurden zerstört. Zahlreiche schlecht aus-
gebildete Orgelbauer trieben im Land ihr Unwesen und die Orgelmusik
wurde mangels guter Organisten, die sich die Gemeinden nicht leisten
konnten, vernachlässigt. Erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts setzte
ein Aufschwung ein. August Freyer (1803 –1883), der aus Sachsen stammende Organist der lutherischen Kirche in Warschau und Professor am
Konservatorium, dem auch das Wiederaufleben der polnischen Organistentradition zu verdanken ist, setzte sich für Neubauten ein, die überwiegend von deutschen Orgelbauern ausgeführt wurden: Gottfried Riemer aus Brieg und Moritz Robert Müller aus Breslau. Freyer zog sich
damit wegen seiner Parteinahme für seine deutschen Landsleute auch
den Unmut einheimischer Orgelbauer zu. Allerdings hatte das auch sein
Gutes: die polnischen Orgelbauer mussten auf mehr Qualität setzen,
um konkurrenzfähig zu bleiben und bildeten sich im Ausland fort. So
entstanden auch auf polnischem Boden gute Orgeln. Nach der Jahrhundertwende war die Warschauer Firma von Wacław Biernacki in Polen marktführend. Ein interessantes größeres Instrument Biernackis
von 1928 ist in der Warschauer Seminarkirche [Prokathedrale] weitestgehend original erhalten.
Kritisch sieht es vielerorts jedoch mit dem Umgang mit historischen Instrumenten, aber auch mit der Wertschätzung der Orgel in der Kirche
aus. In ganz Polen sind in der Nachkriegszeit wertvolle, über die Jahrhunderte erhaltene Instrumente »Modernisierungsmaßnahmen« zum
Opfer gefallen. Ähnliches war übrigens in ganz Europa üblich. Erst seit
etwa 30 Jahren haben sich aufgrund jahrelanger Bemühungen und intensiver Forschungsarbeit Standards herauskristallisiert, wie man verantwortungsbewusst historischen Instrumenten ihre originale oder »gewachsene« Gestalt zurückgeben kann. Durch Mangel an Erfahrungen
im Umgang mit historischen Instrumenten und den Wunsch vieler Organisten nach einer »modernen«, leichtgängigen Orgel, kam es auch in
Deutschland zu verheerenden Umbauten wertvoller Orgeln, auch wenn
man hier etwas weniger rigoros vorgegangen ist, als es in Polen der Fall
war. Hier scheute man nicht davor zurück, erhaltene Barockinstrumente aus den »wiedergewonnenen Gebieten« rücksichtslos als »Ersatzteillager« für Umbauten und Behebung von Kriegsschäden, namentlich im
Kernland, auszuschlachten, oder ganze Instrumente, etwa aus Schlesien, ins Landesinnere umzusetzen. Erschwerend kam der notorische
Mangel an hochwertigen Materialien und Werkzeugen, aber auch die
Isolierung des polnischen Orgelbaus von den Entwicklungen des Westens hinzu. Improvisation, vielfach auch Unkenntnis, waren an der Tagesordnung. Letztendlich verblieb so der Orgelbau in Polen in technischer und klanglicher Hinsicht — von wenigen Ausnahmen abgesehen — auf dem Niveau der Vorkriegszeit, was mitunter bis heute nachwirkt.
Erst nach der Wende setzte ein Austausch ein; polnische Orgelbauer
absolvierten Praktika oder auch ihre ganze Ausbildung im Westen,
wichtige Restaurierungsprojekte an historischen Orgeln in Polen finden
in Zusammenarbeit ausländischer und polnischer Orgelbauer statt, in
jüngster Zeit etwa die Restaurierung der beiden Barockorgeln in Grüssau [Krzeszów]. Leider stehen viele polnische Orgelbauer, aber auch
Orgelexperten dem Erfahrungshorizont ihrer westlichen Kollegen skeptisch gegenüber. »Das können wir allein genauso gut«, heißt es oft, mit
dem Ergebnis, dass der gute Rat der Nachbarn ausgeschlagen wird —
zum Leidwesen der Instrumente. Wenige, fähige junge Orgelbauer, die
ihre Ausbildung im Westen erhalten haben, haben es schwer, sich gegen die übermächtige »etablierte« Konkurrenz durchzusetzen, so etwa
Szymon Januszkiewicz aus Niedalino bei Koszalin, der neben seiner in
Deutschland und den USA absolvierten Ausbildung auf internationale
Erfahrungen bei namhaften Restaurierungs- und Neubauprojekten zurückblicken kann. Schuld an dieser Situation ist nicht zuletzt auch der
Mangel an fähigen und unparteiischen Orgelsachverständigen. Letztere werden namentlich von Pfarrern vielfach gar nicht erst hinzugezogen.
So verwundert es nicht, dass eine Unsitte in den letzten Jahren um sich
greift: der Import minderwertiger gebrauchter Instrumente aus dem Westen, vor allem aus Deutschland, wo Kirchen geschlossen oder neue, bessere Instrumente gebaut werden und die alten möglichst gewinnbringend entsorgt werden sollen.
Zudem wiederholen sich die Fehler, die in der Nachkriegszeit im Westen
gemacht worden sind, nun in Polen: Wertvolle, unbedingt erhaltenswerte Instrumente des 19. und der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts, an denen
Polen — noch — besonders reich ist, müssen gelegentlich Neubauten
weichen oder werden umgesetzt. Die Nebenorgel der Domkirche in Oliwa, ein original erhaltenes Instrument der Königsberger Firma Goebel
aus der Jahrhundertwende, wurde nach Südostpolen versetzt, um im
historischen Barockgehäuse einem minderwertigen Gebrauchtinstrument aus Deutschland Platz zu machen. In der neu errichteten Danziger
Philharmonie erklingt die alte Orgel der Kathedrale von Lausanne.
Nicht weniger zimperlich geht man mit Gebäuden um, in denen Orgelbaugeschichte geschrieben wurde: In Szczecin-Zdroje [Stettin-Finkenwalde] sind die Villa und Teile der Werkstatt der Orgelbaufirma Barnim
Grüneberg erhalten. Grüneberg war eine Autorität, er baute unter anderem 1885 die damals größte mechanische Orgel der Welt in der Dreifaltigkeitskirche in Libau [Liepaja, Lettland]. In Pommern haben einige seiner Instrumente die wechselvollen Zeiten überdauert. Die alten Firmengebäude sind jedoch bedroht: Nach dem Willen der Stadtverwaltung
sollen sie dem Bau einer Schnellstraßenbahn weichen; die örtlichen
Denkmalbehörden haben den Abriss genehmigt, ohne sich vor Ort vom
Denkmalswert der Gebäude zu überzeugen. Eine Privatinitiative kämpft
gegen die Abrisspläne, der Fall beschäftigt inzwischen das Kulturministerium in Warschau und die zuständigen EU-Behörden. Angeregt wurde die Gründung eines internationalen Orgelzentrums, eine einmalige
Chance, alte Orgelbauerräumlichkeiten zu neuem Leben zu erwecken,
zudem könnte hier ein Kulturmagnet in der kulturell strukturschwachen
Region entstehen.
Polens Orgellandschaft lohnt eine, oder besser gesagt viele Reisen und
harrt der Wiederentdeckung, gerade durch die westlichen Nachbarn.
Die Orgeln und ihre Musik bieten zudem gerade zu Deutschland Schnittstellen wie kaum ein anderes musikalisches Feld. Jahrhunderte gemeinsamer Entwicklungsstränge, die durch die politischen Unwetter jäh unterbrochen wurden, warten auf eine weitere Neubelebung, die teilweise
schon Früchte gezeigt hat und von der sicherlich beide Seiten profitieren können.
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Bernhardinerbasilika in Leżajsk; Blick auf die Hauptorgel von Stanisław Studziński und Jan Głowiński (1693 erbaut).
eine polnische orgelreise
from punk to punk
oder: jak punk to
punkeine kurzreise
durch mehr als
30 jahre alexander
punk
P
in polen pehlemann
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olski Punk’s not dead. Aber dass auch er mittlerweile schwer an
der Zeit trägt und seine Protagonisten der ersten Stunden ins gehobene Alter kommen, ist unübersehbar. Beispielsweise beim Jubiläumskonzert der legendären Hardcore-Punkband Armia, die
im Frühsommer mit Weggenossen und Vorläufern stolze 25 Jahre
stürmischer Existenz feierte. Bei striktem Alkoholverbot und 40
Grad sprangen sich vor der Bühne begeisterte Jungpunks und bierbäuchige Althelden in die Seiten, während ein Blick vom oberen Rand des
Amphitheaters im Warschauer Sowiński-Park so manche Halbglatze
bei nostalgisch-energischem Kopfnicken offenbarte. Was dem Abend
keinen Abbruch tat — warum auch? Punk wird historisch, ist längst ausdifferenziert und steht als Stilangebot und Grundgefühl zur freien Verfügung. Entsprechend war die Bandbreite, in der sich diverse Entwicklungen von mehr als 30 Jahren Polen-Punk widerspiegelten. Von der Reggae’n’Wave-Revival-Version der 1978 gegründeten Kryzys, die gerade
ihr Debütalbum Kryzys Komunizmu vorlegten, dem druckvoll aufgewer-
punk in polen
Jak Punk To Punk dt. Wenn Punk, dann Punk
KSU 1978 gegründet; der Name stammt vom damaligen Autokennzeichen für Ustrzyki Dolne, der Stadt,
in der die Band gegründet wurde; spielt bis heute.
teten Oldschool-Punk von Deuter oder dem noch immer brachialen Hochgeschwindigkeits-Hardcore von Moskwa über mit punky Energie groovenden Reggae von Izrael bis zum schwergewichtigen Alternative Rock
der katholischen Propaganda-Supergroup 2TM2,3, dazwischen diverse Line ups von Armia, die den Sound vom mythisch-hymnischen Punk
der Mitt-80er bis zu den Metal-Sounds und Psychedelic Art Rock-Anleihen des Jetzt führten. All das in einem wechselseitigen Besetzungsgeflecht, dessen Erläuterung mit allen Hintergründen Bücher füllen könnte
und sollte.
Ursprunge
&
Urgrunde
Wem die Ehre gebührt, tatsächlich der erste wahre polski Punk gewesen zu sein, ob der Walek Dzedzej Pank Bend als dylanesker Proto-Punkvariante oder KSU im weit entfernten Ustrzyki Dolne, die in südöstlicher
Abgeschiedenheit kurze Zeit dachten, sie wären die einzigen Punks im
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Land — das sei dahin gestellt. Der aus UK medial eingeschleppte Virus
brachte jedenfalls 1977/78 erste zarte Punkpflänzchen zum Sprießen —
Disteln im rissigen Beton der krisenhaften Spät-70er, einem guten No
Future-Nährboden für widerspenstige Youngster und notorische Hipster-Bohemiens. Letztere insbesondere in den Warschauer Kunstkreisen
um die Galerie Remont, wo unter der Ägide von Piotr Rypson und Henryk Gajewski bereits im April 1978 die britische Frauen-Punk-Band The
Raincoats auftrat. Die nicht nur authentische Anti-Virtuosität zelebrierte,
sondern auch pinke Haarfarbe hinterließ, die sich im Haar von Tomek
Lipiński wiederfand, einem der Erste-Stunde-Punks der Stadt und bald
Begründer der Band Tilt. Jener erinnert sich in dem aktuellen Dokumentarfilm Beats Of Freedom an den Einbruch von Punk als besonders existenziell, war doch »plötzlich das ganze Leben Kunst!«. Denn wenn auch
Punk zunächst nur importierte Mode war, deren Nachahmung eine Improvisationsmaschinerie an gewitztem Do-it-yourself in Gang setzte,
stellte sich doch bald heraus, dass hier besondere Hingabe gefordert
war, Mut zum radikalen Risiko, zum Dasein als totale Provokation. Womit man sich mehrfach zur Zielscheibe machte. Denn Punk stand sowohl absolut konträr zum proklamierten Bild eines sozialistischen Jugendlichen als auch zum teils nicht wesentlich weniger konservativen
Wertesystem der eventuell oppositionellen Eltern, deren sich bald in der
Solidarność formierender Widerstand ja oft genug national-katholische
Grundierung hatte. Und so verhielt sich die legendäre Sicherheitsnadel,
von der Gdańsker Band Deadlock als Erkennungssymbol des Frühpunk
besungen, zum Kruzifix ähnlich wie zur staatssozialistischen Emblematik sowjetischer Provenienz (der erst mit Gorbatschow späte Subversionskraft zukam).
Von
I’m
A
zu
Victim Fallen,
Of Fallen
Safety Is
PinBabylon
Erstes Jarocin-Festival, 1980
Treffen der Hippies in Kazimierz nad Wisłą, 1969
Deadlock, Tilt und Kryzys bildeten eine inzestuöse Trias, die entscheidende Impulse für die weitere stilistische wie inhaltliche Entwicklung
gab und unumgehbare historische Meilensteine hinterließ. Nicht zuletzt
auf Vinyl. Wenn auch zuerst nur im Westen. Marc Boulet, ein französischer Punk, machte während eines Polen-Trips Demo-Aufnahmen von
Deadlock und Kryzys und veröffentlichte beide 1981 in Frankreich, pikanterweise auf einem Label namens Blitzkrieg. Und selbst die aus ihnen hervorgehende Allstar-Gruppe Brygada Kryzys fand sich, wenn
auch unabsichtlich, zuerst in UK auf einem heute extrem raren Bootleg
ihres ersten Konzerts wieder. Allerdings in schlechtem Sound — war
doch der Techniker nach zu viel Marihuana am Mixer eingeschlafen.
Denn Reggae war wie in Great Britain der rebellische Bruder des polski
Punk — wie sonst nirgendwo in Europa.
Wilde Sounds, wilde Tage: Solidarność auf der kurzen Höhe der Macht,
das Land von Streiks erschüttert, das System im Wanken. Die in Jugoslawien entstandene und heute verschollene erste Aufnahme von Brygada Kryzys erweist sich da als Prophetie: »Wojna!«/»Krieg!«. Kurz darauf verhängt Jaruzelski das Kriegsrecht: Ausgangsperren, Polizeiterror,
massive Verfolgungen. Bizarrerweise kann die Band trotzdem für das
staatliche Tonpress-Label ihr Debüt aufnehmen, als Testband des labeleigenen Studios. Das situative Gefüge ist diesem 82er Black Album anzuhören: klaustrophobische Psychosounds mit schneidenden Gitarren
in dunkel vibrierenden Grooves. Exemplarisch ist vor allem der letzte
Track Fallen Fallen Is Babylon. Eine infernalisch gipfelnde Orgie, die in
scheppernde Geräuschhaufen fällt als der Turm von Babylon endlich
stürzt ... hier der von den Sowjets Anfang der 50er in das zerstörte Warschau geklotzte Kulturpalast, Wahrzeichen der Macht.
Alttestamentarisches Vokabular war dabei durchaus geläufig, wie Lipiński erläutert: »Diese biblischen Begriffe waren schon Teil des gesellschaftlichen Bewusstseins. Aber Rasta sieht den Vatikan ja auf der Seite des Bösen. Wir sahen das durchaus ähnlich und konnten die Opposition zur Kirche mit deren Sprache ausdrücken. Und die Reggae-Lyrics
wurden automatisch decodiert. Die Unterdrückung der späten 70er, die
der 80er, das Kriegsrecht ... — das war Babylon!«
punk in polen
Nikt Nic Nie Wie dt. Keiner weiß was
Widerstand
als
Kolaboracja
Die Repressionswelle des Kriegszustands brachte das öffentliche Leben zwar zum Erliegen, aber das hielt Punk kaum auf, ganz im Gegenteil.
Gründe für Wut und Verzweiflung gab es schließlich genug. Zudem war
dem Staat beim Kampf mit der politischen Opposition anscheinend die
Kultur entglitten, bei aller Zensur und partiellen Verfolgung. Selbst das
1980 ins Leben gerufene Rock-Festival in Jarocin, jährliches Mekka für
tausende Punks und andere Freaks, ging unbehelligt weiter und bekam
kleine Geschwister wie Poza Kontrola oder Robrege. Tonpress ließ Brygada Kryzys grandiose Platten wie die Art Wave-Band Republika oder
das Debüt von Izrael folgen und veröffentlichte sogar eine Single der
Anarcho-Punks Dezerter — allerdings erst, nachdem jene ihren ersten
Namen SS 20 ablegte, hießen doch die sowjetischen Atomraketen so.
Dass den Zensoren mit Spytaj Milicjanta ein mit Überaffirmation spielendes Spottlied auf die Miliz durchrutschte, dürfte sehr zum großen
Erfolg der Platte beigetragen haben. Der dann so sehr Sorge machte,
dass man eine Nachauflage verwarf und die Restexemplare vernichtete.
Erst 1987, als in den USA illegal die Dezerter-Compilation Underground
Out Of Poland erschien, kam das Debüt, und auch jenes nur limitiert
beim Plattenklub Razem, selbstironisch betitelt mit Kolaboracja.
Alles Dinge, die in anderen Staaten hinter dem Eisernen Vorhang undenkbar waren. Kein Wunder, dass den Mitgliedern der mit Armia tourenden DDR-Punkband Feeling B in den Sinn kam, nach Polen umzusiedeln. Das kurz durch Beats of Freedom huschende Glücks-Grinsen des
heutigen Rammstein-Gitarristen Paul Landers sagt da viel ...
Past,
Present
&
(No No)
Future
Punk und seine Nachläufer wie Nachbarn hatten Ende der 80er ihren
Höhepunkt. Davon künden Filme wie Fala und der gleichnamige Sampler oder die Compilation Jak Punk To Punk sowie zahlreiche andere
Platten. Die sich potenzierenden Möglichkeiten nach Systemwechsel
gaben diesem Schwung noch einmal ganz neue Verwirklichungsebenen, am besten wohl der Armia-LP Legenda anzuhören oder der ersten
LP von Post Regiment, beide produziert vom Armia-Gitarristen Robert
Brylewski in seinem Goldrock-Studio, dessen Vita ja auch Kryzys, Brygada Kryzys und Izrael führt. Aber die Orientierung im neuen System
fällt schwer, real lebens-ökonomisch wie inhaltlich. Strukturen kommen
und zerbrechen, zudem wechseln die Positionen. Zum Beispiel bei Armia hin zu orthodoxem Katholizismus, was sowohl Anfang der Christ
Core-Bewegung ist als wohl auch Brylewskis Weggang veranlasst. Die
Szene zersplittert, jedes Subgenre findet seine Nische und neben den
vielen Bands, die Punk oder Hardcore heute verschiedenartig verkörpern, sei es Oi!-Streetpunk bei den Analogs oder politisch aktivistischer
(Post) Hardcore wie bei El Banda, Eye For An Eye oder Włochaty, finden
sich auch tapfer ums Überleben kämpfende Label und/oder Fanzines
wie Pasażer, Jimmy Jazz/Garaz oder Nikt Nic Nie Wie.
Ein Nachvibrieren jenes widerständigen Geistes, für den Punk stand
und partiell noch immer steht, findet sich zudem auch in anderen Feldern, im freien Jazz, in der Noise-Szene oder Teilen der heutigen Reggae-Generation.
In Polski
diesem Punk´ s
Sinne: not
dead.
struktur
der
landschaft
polnischer
jazzjan
hanisch
39
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s ist ein verregneter Oktobertag 2006, ein Taxi hält vor dem Leipziger Bahnhof, Lars Danielsson und Leszek Możdżer steigen aus, um
sich gegenüber im Hotel noch etwas frisch zu machen; am Abend
werden sie vor einem vollen Opernhaus ein fesselndes Konzert geben. Możdżer wirkt lässig, grinst und ist überhaupt sehr jung dafür,
dass er gerade mit seinen beiden, nur in Polen veröffentlichten Platten, doppelt Platin bekommen hat. Auf Between Us And The Light und
The Time ist er zusammen mit Lars Danielsson und dem israelischen
Perkussionisten Zohar Fresco zu hören.
In Polen, genießt er seither einen Status, den sonst nur Pop-Stars erreichen; er gehört zu den Großen des polnischen zeitgenössischen Jazz.
Możdżers Karriere ist beeindruckend: mit fünf Jahren bekommt er Klavierunterricht, später studiert er Musik in Danzig, 1991 beginnen die ersten Proben mit der Gruppe Miłość, die nur ein Jahr später in einen ersten
Preis beim Junior Jazz Festival in Krakau gipfeln. Viele andere Preise folgen; zwischen 1993 und 1999 wird Możdżer vom polnischen Fachmagazin Jazz Forum durchgehend zum besten Pianisten gekührt, er komponiert für Theater sowie Film und bekommt von vielen Jazzkollegen
Angebote zur Zusammenarbeit.
2003 spielt er ein Konzert in Warschau, trifft zum ersten Mal auf Lars
Danielsson und ist beeindruckt von dessen Fähigkeiten. Nach dem Konzert tauschen die beiden Musiker ihre Telefonnummern aus. In einem
Interview mit Jazzthetik liest sich das so: »Danielsson schreibt Możdżer
jazz in polen
Miłość dt. Liebe; Jazzband; 1988 in Dreistadt gegr.;
Mitglieder: Tymon Tymański, Mikołaj Trzaska, Leszek
Możdżer, Jacek Olter, Maciej Sikała; löste sich 2002
nach dem Selbstmord von Jacek Olter endgültig auf;
eine Art Fortführung des Projektes ist das Tymański
Yass Ensemble.
seine Telefonnummer auf einen Zettel. Der Zettel verschwindet in der
Hosentasche und die Hose in der Waschmaschine ... .« Jazzer verabreden sich öfter nach Konzerten, ohne dass daraus gleich etwas entsteht.
Możdżer glaubt, dass er nie wieder etwas von Danielsson hören würde,
ein paar Monate später ruft dieser jedoch an. Aus diesem Treffen entsteht eine langjährige musikalische Freundschaft, die sich auf produktive Weise auf vielen CDs und Konzerten manifestiert hat.
Danielsson kommt aus der Klassik, studiert zunächst Cello und Kontrabass in Göteborg, hört Rockmusik, verehrt Jimi Hendrix und Santana.
Auch Możdżer ist begeistert von Genres außerhalb des Jazz. Besonders eine Komposition vereint diese Vorliebe beider Musiker: die Reinterpretation des alten Nirvana Kult-Hits Smells Like Teen Spirit, zu hören auf The Time. Hier kann der Hörer buchstäblich fühlen, wie Możdżer
die Genregrenzen öffnet und mit ihnen spielt; zugleich wird der Blick
geschärft für dieses außergewöhnliche Duo.
In den vergangenen zwei Dekaden ist im polnischen Jazz viel passiert
und ein Rückgang an Energie ist nicht zu erkennen. Es gibt eine ganze
Reihe solider und erfahrener Jazzmusiker, wie Tomasz Stańko, Michał
Urbaniak, Adam Makowicz oder eben Leszek Możdżer. Daneben gibt
es aber auch Neuzugänge, wie Pink Freud, Robotobibok oder das Contemporary Noise Sextett, die auch außerhalb Polens bekannt sind. Der
Musikmarkt ist erfrischend vielschichtig, was daran liegen mag, dass
es unzählige Jazzkeller und Clubs, wie das Akwarium in Warschau oder
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das Alchemia in Krakau gibt. Darüber hinaus bietet Polen mehr als 60
Jazzfestivals, die Räume für Innovation eröffnen und auch jungen Bands
die Möglichkeit geben, sich auszuprobieren.
Der polnische Jazz speist seinen Ursprung jedoch nicht ausschließlich
aus der verbreiteten Club- und Festivaltradition. Entscheidend ist seine
Entstehungsgeschichte.
Zu Zeiten des Ostblocks bildete der Jazz in Polen eine eigene Subkultur
und Szene aus. Jazz wurde gleichgesetzt mit einer dissidenten Haltung
gegen staatliche Repression und einer Form des Widerstands. Jazz
selbst ist eine politische Musikform, die immer schon mit Freiheit und
Befreiung assoziiert wurde. Orte des Jazz waren vor allem Keller und
während der Stalinzeit auch Privatwohnungen. Diese so genannte Katakombenzeit prägt den polnischen Jazz bis heute und bildete den Beginn eines eigenen polnischen Sounds. Die bekannteste Band der Zeit
war Melomani, sie spielten eine Art Jazz, die wohl in den westlichen
Clubs keine Anhänger gefunden hätte. Abgeschnitten von den Aufnahmen aus dem Westen, gab es eine verbreitete Tapekultur: Radiosendungen jenseits des Eisernen Vorhangs wurden mitgeschnitten, Magnettonbänder geschmuggelt.
Die polnischen Jazzmusiker ahmten diese Musik nach und nannten sie
Jazz. Der Fangemeinde tat das aber keinen Abbruch, denn Jazz war verrucht, illegal, und so stand das Werk mitunter nicht im Mittelpunkt, sondern der Ort.
Schon mit Beginn des Kalten Krieges war seitens der Amerikaner der
Jazz als »Waffe« entdeckt worden. Die tägliche Radiosendung Voice of
America lief ab 1955 und wurde von Willis Conover moderiert. Es gibt
Stimmen, die behaupten, Conover hätte maßgeblich zum Fall des Kommunismus beigetragen. Fakt ist, dass Conovers Sendung von vier Millionen Hörern im Ostblock konsumiert wurde. Diese hohe Zahl erklärt
sich wohl auch damit, dass Conover sich mit antikommunistischen und
proamerikanischen Statements zurückhielt. Ein Jahr später folgte dann
eine eigene polnische Radiosendung — to jest jazz [dt. Das ist Jazz].
In die Mitte der fünfziger Jahre fällt die Wiederauferstehung des polnischen Jazz mit dem ersten Krakauer Allerseelen-Jazz-Festival [Zaduszki jazzowe], dicht gefolgt vom legendären Jazzfestival 1956 in Sopot, zu dem rund 25.000 Menschen kamen. Historisch ist diese Zeit bestimmt durch die Tauwetter-Periode nach Stalins Tod. Jazz tritt aus den
Katakomben heraus an die Öffentlichkeit.
Heute ist der polnische Jazz fester Bestandteil der internationalen Musiklandschaft — dieses Jahr hat als erste polnische Jazzsängerin die
1976 in Warschau geborene Aga Zaryan einen Deal beim Blue Note Label abgeschlossen. Im März ist ihr nunmehr fünftes Album Looking Walking Beeing erschienen. Zaryans Stimme ist warm und sanft, mit leichtem Rauch, sie erinnert an die Stimmen von Jazz-Vokalistinnen wie
Shirley Horn oder auch Dianne Reeves. Mit ihrem Platin gekürten Album
Picking Up The Pieces von 2006 erarbeitet sich Zaryan nicht nur ihren
Status als erfolgreiche polnische Jazzsängerin, sondern betritt nunmehr internationales Parkett und wurde drei Jahre in Folge zur besten
weiblichen Jazzsängerin gekürt.
Einen großen Scoop hat Aga Zaryan auch mit der Doppel CD/DVD Live
At The Palladium gelandet; ein Konzertmitschnitt aus Warschau. Das
Besondere an der Aufnahme ist die Besetzung der Band, denn Zaryan geht dabei den ungewöhnlichen Weg, nur Gitarre, Kontrabass und
Schlagzeug einzusetzen. Die eindrücklichsten Stücke sind die, bei denen ihre Stimme ausschließlich durch den Bass begleitet wird. Das Duo
Stimme und Bass ist ein Muss für jeden, der Vokaljazz liebt. Internatio-
jazz in polen
nale Stars aus Polen sind mittlerweile bei Blue Note, ACT oder, wie im
Falle des jungen Marcin Wasilewski Trios, beim Münchener Edellabel
ECM angekommen. In Polen wurde inzwischen eine enorme Anzahl von
Labels gegründet, wie NotTwo, Monotype Records oder GOWI Records,
das seinerzeit die erste Scheibe von Miłość herausgebracht hat.
Je länger man sich mit der Jazzszene in Polen beschäftigt, desto mehr
gibt es zu entdecken; fast explosionsartig sind in den vergangenen Jahren neue Musikgruppen entstanden. Bemerkenswert ist die Experimentierfreude an Mischungen aus Jazz und anderen Musikgenres. Psychedelische und experimentelle Musik ist das Label, unter dem viele Combos ihre Musik versammeln — zum Jazz ist es dann nicht mehr weit,
und die Anlehnungen sind unüberhörbar.
Die Struktur der Landschaft zwischen traditionellem oder klassischem
Jazz à la Zaryan oder Stańko und dem experimentellen von Gruppen
wie beispielsweise dem Contemporary Noise Sextett profitiert auch davon, dass es in unmittelbarer Umgebung zu Polen Pendants gibt. Wirft
man einen Blick über die Grenze nach Tschechien, findet man hier ebenfalls eine rege Jazzkultur, zum Beispiel mit der Band NUO, die unprätentiös leicht und mit Sinn für Humor daherkommt und sich als Big Beat
und Jam Band versteht. Titel wie Tatort oder Dixie sind unverkennbare
Anspielungen, man darf nur nicht erwarten, dass sie ernst gemeint sind.
Dixie ist ein Stück, das auf Wah-Wah Effekte setzt und die Bläser im
Hintergrund mit Ska-Rythmen ausstattet, Tatort besticht durch seine
Bläserarrangements im Hintergrund und einen treibenden Basslauf, der
unterbrochen wird durch Sprechgesang — sehr frisch und, im besten
Sinne des Wortes, frech.
Wer es melodisch und weniger hip mag, kommt um das Trio des Bassisten Robert Balzar nicht herum, das 2008 mit dem New Yorker Gitarristen
John Abercrombie ein neues Album eingespielt hat. Über die Jahre hat
Balzar mit zahlreichen internationalen Jazzgrößen zusammengearbeitet, wie unlängst mit Abercrombie oder Wynton Marsallis. Greift man
sich irgendeines der mehr als 20 Alben heraus, bekommt man »wonderful solos by all players« zu hören, schreibt der tschechische Journalist
Petr Hanzl und gibt sogleich den entscheidenden Hinweis, dieses Trio
unbedingt live sehen zu müssen. Ganz neu ist die Gruppe Face of Bass
mit dem Bassisten Jaromír Honzák. Die Band ist sogar so frisch zusammengestellt, dass es noch kein CD-Material gibt. Honzák hingegen hat
noch zwei weitere Formationen und ist schon ein alter Hase, der mit allen größeren Jazzern der tschechischen Szene zusammengespielt hat
und in der Nachbarschaft auf den Leverkusener Jazztagen und dem
Jazz Jamboree in Warschau zu hören war.
Die Jazz-Landschaft füllt sich — die Nachbarn laden sich gegenseitig
ein und im Mikrokosmos zwischen den Ländern trifft man sich, verabredet sich und mischt die Stile. Ein fließender Übergang zwischen dem gesetzten Musikmarkt rund um CDs, große Labeldeals und den nebenher
laufenden Independent-Strukturen, ist etabliert. Der Jazz nimmt Fahrt
auf und schafft sich eine eigene Landkarte. Eine, die ständig in Bewegung ist.
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Die Bahn macht mobil.
In Kooperation mit:
folk
made
in
poland
margret
kutschke
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s wird wieder gefiedelt in Polen, gesungen, getrommelt, gezupft und
getanzt. Vor allem im Sommer ist Folksaison auf vielen kleinen und
größeren Festivals und Konzerten, besonders in der Provinz. Selbst
beim Woodstock-Festival — gratis und unter freiem Himmel, in Kostrzyn an der deutsch-polnischen Grenze — spielten in diesem
Jahr erstmals ganze drei Tage lang Folkbands auf einer eigenen
Bühne. Der noch recht junge Folk made in Poland ist in den letzten Jahren eine feste Größe in der Musiklandschaft geworden und erfreut sich
zunehmender Beliebtheit.
Ende der 80er Jahre tauchte der Begriff »Folkmusik« überhaupt zum
ersten Mal in Polen auf. Eine Gruppe musikbegeisterter Studenten aus
Lublin fuhr damals regelmäßig zum Wandern in die südostpolnischen
Berge — in die Bieszczady, in die Niederen Beskiden. »Dort haben wir
die lemkische Kultur kennengelernt — das hat uns fasziniert«, sagt Agnieszka Matecka, damals mit dabei und fast von Anfang an Managerin
der Band Orkiestra Świętego Mikołaja [St. Nikolaus Orchester], die aus
jener Studentengruppe hervorgegangen ist. Auf ihren Fahrten in die entlegenen Berggebiete entdeckten die Studenten alte Lieder aus der Region. »In Polen fanden damals Festivals des ›touristischen Liedes‹ statt,
folk in polen
Lemken russinischer Volksstamm in der historischen
Region von Galizien bewohnt und vorwiegend Viehzucht und Handel betreibt.
Huzulen halbnomadisch lebendes russinisches Bergvolk in den Karpaten.
die sehr beliebt waren. Dort führten Musiker ihre selbstgeschriebenen
Lieder auf. So etwas hatten wir nicht, aber wir beschlossen, statt dessen dort mit Volksmusik, mit lemkischer Musik aufzutreten«, so Agnieszka Matecka. Zu den lemkischen kamen nach und nach auch polnische
und huzulische Stücke.
Die abgelegenen Bergregionen, die Gebiete Zentral- und Ostpolens, die
»Kresy«, ehemals polnische Gebiete, die heute jenseits der östlichen
Grenzen Polens liegen, sind die Orte musikalischer Inspiration für polnische Folkbands. Das Orkiestra Świętego Mikołaja findet sein Material
in ethnographischen Archiven der entsprechenden Regionen. »Die Ethnographen des 19. Jahrhunderts haben dermaßen gute Arbeit geleistet
und so viele Lieder gesammelt, dass es wohl bis zu unserem Lebensende reicht«, sagt Agnieszka Matecka. »Wir nennen das, was wir machen,
auch ›Traditionslaboratorium‹ — wir holen altes Archivmaterial wieder
ans Licht und bearbeiten es neu.« Das Orkiestra Świętego Mikołaja gilt
bis heute als Wegbereiter des Folks in Polen. Es bedient sich einer volkstümlichen Gesangstechnik — dem sogenannten »weißen Gesang«, ein
Schreigesang, der in der Folkloremusik mancher osteuropäischer Länder verwendet wird. »Wir haben uns zunächst am Gesang aus der Ukra-
-ine
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p heft N 12 musik
folk in polen
noch gibt siehe Artikel S.18
Marek Grechuta 1945 – 2006; Sänger, Dichter, Komponist, Maler; seine Musik zeigt Einflüsse der progressiven Rockmusik und der Jazzmusik; verarbeitete Texte von Poeten der polnischen Literatur, weshalb seine Musik auch zur Gesungenen Poesie gerechnet wird.
Gadki z Chatki dt. etwa: Gerüchte aus dem Bauernhaus; erscheint seit 1996.
Ukra-
Trebunie Tutki und Twinkle Brothers
Orkiestra Świętego Mikołaja
Kroke
Warsaw Village Band Sierra Manta
ine orientiert, und erst danach entdeckt, dass es das auch in Polen gab
und zum Teil noch gibt. Manchmal findet man alte Menschen, die diese
Technik noch beherrschen.« Die Band kombiniert den weißen Gesang
mit typischen Folk- und Folkloreinstrumenten unterschiedlicher Regionen. Zum Beispiel mit der Dotar, einer langhalsigen, zweiseitigen Laute aus Zentralasien, und dem Zymbal, einem Hackbrett ähnlich der Zither, das vor allem in Osteuropa und im Alpenraum verbreitet war. »Wir
sind keine Puristen«, sagt Agnieszka Matecka, und meint damit, dass
im St. Nikolaus Orchester nicht die originalgetreue Wiedergabe von Folklorestücken, sondern die eigene Interpretation, die Weiterentwicklung
alter Stücke, im Vordergrund steht — das unterscheidet modernen Folk
von Folklore.
Musiker, die Folkmusik gespielt haben, gab es vor dem Orkiestra nur
wenige. Es begann in den 70ern. Nummer eins war die Gruppe Osjan,
ein Vorreiter der polnischen Weltmusik — auch wenn die Musiker sich
selbst nie so bezeichnen würden. Sie treten bis heute gelegentlich auf.
Gründungsmitglied Jacek Ostaszewski kommt selbst aus der polnischen Jazzszene der sechziger Jahre und wirkte sogar bei zwei Plattenaufnahmen des polnischen Kultsängers Marek Grechuta als Kontrabassist mit. Immer wieder gefragt, was für Musik Osjan eigentlich mache, nannten die Musiker das Ganze selbstironisch »Musik der fliegenden Fische«. Dagegen bezeichnete die Folkband Kwartet Jorgi — vier
Schulfreunde aus Poznań — ihren Stil als »grüne Musik«. Sie kombinierten slawische Folklore mit Weltmusik, vor allem keltischer Folklore. Da
keimte etwas, was nicht Mainstream war. Einheimische Folklore war für
die Masse eher uninteressant — zu altmodisch und rückständig, oder
von staatlicher Seite vereinnahmt. Es waren vor allem junge Intellektuelle aus der alternativen Szene, die sich dem Folk zuwandten.
»Wir waren die ersten, die die Bezeichnung ›Folk‹ benutzt und populär
gemacht haben«, sagt Agnieszka Matecka vom Orkiestra Świętego Mikołaja, »und das nicht nur durch unsere Musik, sondern auch durch das
Festival Mikołajki Folkowe oder das Folkmagazin Gadki z Chatki.« Damit waren Grundsteine für eine rasante Entwicklung gelegt, die Ende
der achtziger Jahre begann — und nicht zufällig mit der politischen
Wende und den daran anschließenden Jahren der Veränderung zusammenfiel. Die neuen Bedingungen, die Suche nach der eigenen Identität
und die Orientierungslosigkeit veranlasste manche, sich stärker mit der
eigenen Tradition auseinanderzusetzen, etwas Eigenes zu finden bzw.
für sich zu schaffen.
Für das Orkiestra Świętego Mikołaja ist es die Musik längst vergessener
Kulturräume und Landstriche, die sie aufarbeiten und neu aufbereiten.
Besonders in den 1990er Jahren waren sie mit ihrer rein akustischen
Musik Vorreiter für viele andere Bands. Der Musikjournalist und Autor
des polnischen Folk-Lexikons Wojciech Ossowski spricht sogar von einer »Orkiestra-Strömung« in der polnischen Folklore.
Die Band Kroke ist ein ganz anderes Beispiel für die erwachende polnische Folkszene. Die drei ehemaligen Krakauer Musikstudenten erschlossen sich Anfang der 90er Jahre als erste Band die jüdische Tradition Polens, indem sie jiddische Lieder und vor allem Klezmer vertonten, interpretierten und um andere Elemente bereicherten. In einem Lokal im Krakauer Stadtteil Kazimierz wurden sie von Regisseur Steven Spielberg
entdeckt, der gerade in Krakau den Film Schindlers Liste drehte. Er lud
sie ein, in Jerusalem bei der Survivors Reunion zu spielen, einem Treffen
der Menschen, die durch Schindlers Liste gerettet wurden. Dieser erste
Kontakt und ihre musikalische Entwicklung zwischen traditionellem Klezmer und Avantgarde-Musik bescherte ihnen eine internationale Karriere, Kooperationen mit Peter Gabriel und Nigel Kennedy sowie prestigeträchtige Preise.
Ende der 90er Jahre schließlich gründet sich die Kapela ze Wsi Warszawa, die über die Grenzen Polens hinaus auch als Warsaw Village Band
bekannt geworden ist. Ein Experiment, Tradition und Avantgarde zu mixen, das die Musiker gern auch als »Hardcore-Folk« bezeichnen. Eine
Gruppe Warschauer Freunde, zum Teil aus der Punkszene, begann,
sich für die Musik aus ihrer zentralpolnischen Heimatregion Mazowsze
[Masowien] zu interessieren und diese zu spielen. Die Musik kannten sie
teils aus eigener Erfahrung, von einigen wenigen alten Musikern ihrer
Herkunftsregion, die traditionellerweise vor allem zu Hochzeiten spielten und von denen es heute nur noch sehr wenige gibt. Bis zu diesem
Zeitpunkt existierte kaum eine Band, die sich der musikalischen Kultur
dieser Region angenommen hätte. Unter anderem aus diesem Grund
wurden schon ihre ersten Auftritte, zum Beispiel auf dem ersten Folkmusikfestival Nowa Tradycja [Neue Tradition], oder ihr erstes Album Hopsasa zum Erfolg. Besonders am Anfang arbeiteten sie mit altertümlichen polnischen Folklore-Instrumenten, zum Beispiel der Suka, einer
polnischen Zupfgeige. Der internationale Erfolg setzte schließlich mit
der Veröffentlichung ihrer Platte Peoples Spring beim deutschen Plattenlabel JARO medien ein. Ab diesem Zeitpunkt trat Kapela ze Wsi Warszawa unter dem englischen Namen Warsaw Village Band auf. 2004 erzielten sie ihren bisher größten Erfolg — sie gewannen den BBC Radio 3
Award für Weltmusik. Wojciech Krzak, Geiger bei der Warsaw Village
Band, erklärt den Erfolg der Band im Ausland: »Wir machen originelle
Musik, die es im Ausland nicht gibt. Wir sind exotisch. Endlich gibt es im
Westen Exotik aus Osteuropa — aber mit Popkultur gemischt.« Zunehmend öffnet sich die Band auch anderen Stilrichtungen und wird experimenteller.
Crossover-Experimente in der polnischen Folkszene haben Tradition:
bereits Anfang der neunziger Jahre initiierte der Musikjournalist und
Folkmusik-Produzent Włodzimierz Kleszcz eine Koproduktion der traditionellen goralischen Musikerfamilie Trebunie Tutki mit der jamaikanischen Reggaeband Twinkle Brothers — damals eine Premiere auf dem
polnischen Musikmarkt! Die Warsaw Village Band, deren erstes Album
ebenfalls von Kleszcz produziert wurde, arbeitet auch mit Künstlern anderer Musikstile zusammen: für das Album Infinity zum Beispiel mit der
polnischen R&B-Sängerin Natalia Przybysz, oder für die Platte Upmixing mit namenhaften DJs und Produzenten, unter anderem dem Warschauer Soundstudio As one. Dadurch findet ihre Musik sogar einen
Weg in Klubs und Diskotheken. Wojciech Krzak beschreibt 2009 in einem Interview für das World-Music Magazin fRoots: »Die polnische Tradition inspiriert uns, aber wir sind nicht sehr bemüht, sie lebendig zu
halten. Ich weiß, dass wir für viele Polen, besonders im Ausland, eine
Band sind, die ihnen ein Heimatgefühl gibt — sie schließen ihre Augen
und können ihr Land sehen. Das ist großartig, fantastisch. Aber unsere
Musik ist heute zukunftsorientierter als früher. Ich denke, deswegen ist
die Warsaw Village Band in Polen selbst inzwischen beliebter als noch
vor einigen Jahren.«
Die Begeisterung für Folkmusik — akustische und elektronische —
nimmt zu, was man auch an den Zahlen der Newcomer auf Festivals
sieht. Auf dem ersten Festival Mikołajki Folkowe 1990 gab es gar keinen
Bewerber für den Amateurband-Wettbewerb, inzwischen liegt die Zahl
bei jährlich 20 bis 30 Gruppen. Der polnische Folk holt Folklore aus der
Vergessenheit, aus verstaubten Archiven zurück in die Gegenwart und
schafft etwas Neues, Eigenes. Er konserviert nicht, sondern belebt. Das
ist seine große Stärke und sein Wert.
polen im herzen komponieren in der
fremde. die klas
sische musik
polens als
geschichte einer N
kunst
im
exil
frank harders-wuthenow
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»In einem Lande, dessen Nationalhymne, dessen Nationalepos, dessen
Nationaldrama in der Emigration geschrieben wurden, kann das Wort
›Emigrant‹ nicht herabsetzend klingen.« Tadeusz Nowakowski
icht allen Ländern Europas war es im 19. Jahrhundert gegeben,
sich als unabhängige Nationalstaaten zu entwickeln. Kolonialismus war nicht nur ein Geschäft in Übersee: Nach der sogenannten dritten polnischen Teilung 1795 seiner staatlichen Souveränität beraubt, wurde Polen für mehr als 120 Jahre zum Spielball der
(Un)heiligen Allianz Russlands, Preußens und Österreichs, die das
polnische Territorium unter sich aufteilten und jegliche Unabhängigkeitsbewegung bis zur Wiedererrichtung des polnischen Staates 1918 mit Waffengewalt niederdrückten. Nach einer kurzen Phase nationaler Selbstständigkeit zwischen 1918 und 1939 machte Hitler Polen zum Schauplatz eines brutalen Vernichtungskrieges, dem fast zwanzig Prozent der
polnischen Zivilbevölkerung zum Opfer fielen. Auf polnischem Territorium wurde mit der Vernichtung der europäischen Juden der größte Zivilisationsbruch der Menschheitsgeschichte begangen. Nach 1945 geriet
Polen für fast ein halbes Jahrhundert unter das Joch der kommunistischen Diktatur. Des polnischen Literaturnobelpreisträgers Henryk Sienkiewicz‘ (Quo Vadis) Formulierung, dass die Geschichte Polens seit dem
19. Jahrhundert identisch sei mit der Geschichte der an ihm verübten
Verbrechen, behielt für fast zweihundert Jahre ihre Gültigkeit.
komponieren in der fremde
Was hatte das alles für eine Auswirkung auf das polnische Musikleben?
Ein professionelles Musikleben kann sich nur entfalten, wenn die nötige
Infrastruktur vorhanden ist: Musikschulen, Konservatorien, Hochschulen für die Ausbildung; Orchester, Opern und Konzerthäuser für die Praxis; Musikverlage, Musikwissenschaft und Musikpublizistik für Verbreitung der Werke heimischer Komponisten und kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Musikkultur. Wo dies alles nicht existiert, bzw.
behindert und zerstört wird, liegen Talente brach oder entwickeln sich
notgedrungen im Ausland. »Gott, gibt es Dich? Wieso rächst Du Dich
nicht! Reichen all die Moskauer Verbrechen noch nicht? Oder — oder
bist Du selber Russe!« schrie(b) Frédéric Chopin in der Nacht vom 9. auf
den 10. September 1831 in sein Tagebuch, als er in Stuttgart von dem
blutig niedergeschlagenen Aufstand in Warschau erfuhr. Er wusste
noch nicht, dass seine Reise, die ihn nach Paris führte, eine Reise ins
Exil werden würde. Er sah seine Heimat nicht wieder. Und wie ihm ging
es schließlich Legionen von polnischen Künstlern. »Die größten Schöpfer der polnischen Kultur im 19. Jahrhundert waren Emigranten«, und
»auch im nächsten Jahrhundert entstanden die besten Werke extra muros Poloniae«, resümierte der polnische Schriftsteller und Widerstandskämpfer Tadeusz Nowakowski.
Ironischerweise wurde ab circa 1850 neben Paris vor allem Berlin zur
wichtigsten Anlaufstätte für die musikalische Elite Polens, wofür die ho-
-he
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komponieren in der fremde
ho-
Ignacy Jan Paderewski
he Qualität der Ausbildung an den verschiedenen öffentlichen und privaten Institutionen sowie die ungleich besseren Aufführungsmöglichkeiten für zeitgenössische Komponisten ausschlaggebend waren. Über
mehrere Generationen hinweg vollzog sich ein regelrechtes »Hin-undzurück« zwischen Warschau und Berlin. Aus einstigen Studenten wurden bedeutende Lehrer, sodass sich auf dieser Achse des Kulturtransfers eine ununterbrochene Linie von Moniuszko bis heute ziehen lässt.
Moniuszko, Schöpfer der polnischen Nationaloper Halka, studierte an
der Berliner Singakademie, seine ersten Werke wurden in Berlin verlegt.
Nach Polen zurückgekehrt, wurde er Lehrer unter anderem von Zygmunt Noskowski, der seine Studien wiederum bei Friedrich Kiel in Berlin
vervollkommnete. Bei Noskowski, dem Spiritus rector des polnischen
Musiklebens am Ausgang des 19. Jahrhunderts, Schöpfer der ersten
polnischen symphonischen Dichtung Die Steppe, ging die musikalische
Elite der folgenden Generation in die Lehre: Eugeniusz Morawski, Karol
Szymanowski, Ludomir Różycki, Apolinary Szeluto und Grzegorz Fitelberg. Morawski, militanter Untergrundkämpfer, wurde 1908 wegen antirussischer Agitation verbannt und durfte nur dank eines hohen Lösegeldes ins Exil nach Paris, statt in die Verbannung nach Sibirien. Szymanowski und sein Freundeskreis begründeten ab circa 1905 in Berlin eine
Sezessionsbewegung nach dem Vorbild des literarischen »Jungen Polen« und öffneten die polnische Musik den zeitgenössischen westlichen
Avantgarden. Der dieser Gruppe nahestehende ältere Mieczysław Karłowicz, bedeutendster polnischer Symphoniker seiner Generation, hatte wiederum an Theodor Kullaks Berliner Akademie studiert und wichtige Uraufführungen durch die Berliner Philharmoniker erfahren. Bei Kullak ging auch Ignacy Jan Paderewski in die Lehre, der berühmteste Pianist und Klavierpädagoge seiner Zeit. Paderewski, der den größten Teil
seines Lebens im Exil verbrachte, spielte eine herausragende Rolle bei
der Wiedererlangung der staatlichen Souveränität Polens. Seinen Kontakten in die Spitzen der amerikanischen Politik ist es zu verdanken,
dass sein »Memorandum über die polnische Frage« in Woodrow Wilsons
14-Punkte-Erklärung Eingang fand, welche die Grundlage des Versailler
Vertrages bildete. Der 13. Punkt forderte die Wiedererrichtung des polnischen Staates, dessen erster Ministerpräsident — Paderewski wurde.
Beinahe wäre es diesem gelungen, einen anderen damals weltberühmten polnischen Pianisten und Komponisten in sein Kabinett zu holen,
den in New York ansässigen Zygmunt Stojowski, der es allerdings vorzog, im Exil und bei seiner Profession zu bleiben. Stojowski, 1870 in Strzelce geboren, studierte bei Władysław Żeleński (dem Vater des berühmten
Schriftstellers Tadeusz Boy-Żeleński, der 1941 in Lemberg von den Nazis
ermordet wurde). 1887 siedelte Stojowski nach Paris über, wo er Léo Delibes’ Lieblingsschüler wurde, der ihn sogar adoptieren wollte, um ihm
die Teilnahme an dem ausschließlich französischen Staatsbürgern vorbehaltenen »Prix de Rome« zu ermöglichen. Ein Lieblingsschüler Franz
Liszts wiederum war der begnadete Pianist und Komponist Juliusz Zarębski, Jahrgang 1854. Er hatte in Wien, St. Petersburg, Rom und Weimar studiert und wurde mit 26 Jahren als Professor für Klavier an das
Brüsseler Konservatorium berufen. Er verstarb 31-jährig an Tuberkulose und hinterließ ein kleines aber feines und vielversprechendes Oeuvre, darunter ein hinreißendes Klavierquintett und hochinteressante Klaviermusik, stilistisch zwischen spätem Liszt und frühem Skrjabin angesiedelt.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts verbesserten sich die Arbeitsbedingungen für Musiker in Polen, und dennoch riss der Strom der Exilanten nicht
ab. Waren nach der Staatsgründung 1918 die Lehr- und Wanderjahre
nicht mehr erzwungen, so folgte man nun dem Beispiel Szymanowskis,
der wieder einmal gezeigt hatte, dass der Weg zu einer eigenständigen
nationalen Kultur auf Weltniveau möglicherweise nur auf dem Umweg
über das Leben in der Fremde, in der Auseinandersetzung mit dem »Anderen« möglich war. Noch einmal wurde Berlin in den zwanziger Jahren
zum Stützpunkt für eine Gruppe polnischer Musiker, was der charismatischen Erscheinung des Österreichers Franz Schreker zu verdanken
ist. Der damals meistgespielte Opernkomponist deutscher Sprache neben Richard Strauss — Freund und Vorbild auch für Szymanowski übrigens — übernahm 1920 die Direktion der Berliner Musikhochschule
und scharrte eine ganze Reihe hochbegabter polnischer Komponisten,
Pianisten und Dirigenten als Schüler um sich: Karol Rathaus, Jerzy Fitelberg (Sohn des oben genannten Komponisten und später weltberühmten Dirigenten Grzegorz Fitelberg), Ignace Strasfogel, Artur Rodziński
und Joseph Rosenstock, die im Musikleben der Weimarer Republik eine herausragende Rolle spielten und — alle fünf waren jüdischer Abstammung — nach 1933 in die USA emigrieren konnten.
Doch eigentlich war es Szymanowskis Behauptung, dass »eine große
Musik auch auf einer anderen Grundlage als im Kreis der deutschen
›Sensibilität‹ entstehen« könne, die für die nächste polnische Komponistengeneration zur Maxime wurde. Folgerichtig zog es sie nach dem
1. Weltkrieg in das Paris der Ballets Russes, der Groupe des Six und des
Néoclassicisme. Alexandre Tansman, 1897 in Łódź geboren, machte den
Anfang, als er 1919 in die Seine-Metropole übersiedelte, nachdem er —
kurioser Fall der Musikgeschichte — beim ersten Nationalen Polnischen Kompositionswettbewerb mit mehreren eingereichten Kompositionen alle Preise abgeräumt hatte, den zweiten und dritten unter Pseudonym. Tansman avancierte in den 20er Jahren zu dem vermutlich weltweit meistaufgeführten Komponisten seiner Generation. Von 1926 an
unterstützte er die von Piotr Perkowski ins Leben gerufene »Association
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komponieren in der fremde
Władysław Szpilman
Karol Szymanowski, Paweł Kochański, Grzegorz Fitelberg
Szymon Laks
Grażyna Bacewicz
53
Grzegorz Fitelberg
Joachim Mendelson
Roman Padlewski
Zygmunt Stojowski
p heft N 12 musik
des Jeunes Musiciens Polonais«, in der sich eine große Gruppe junger
polnischer Musiker und Komponisten zusammentat, die am Conservatoire oder bei der legendären Pädagogin Nadia Boulanger studierten.
Manche blieben für immer, manche kehrten früher oder später nach Polen zurück, um am Aufbau des heimischen Musiklebens mitzuwirken.
Zu letzteren gehörte etwa Grażyna Bacewicz, 1909 in Łódź geboren, die
bedeutendste polnische Komponistin des 20. Jahrhunderts.
Der 2. Weltkrieg bedeutete für ausnahmslos alle polnischen Musiker einen gravierenden Einschnitt in ihrer Biografie; für diejenigen jüdischer
Abstammung führten die Fluchtlinien des Exils zumeist nach Amerika,
wohin Hitlers langer Arm nicht reichen konnte. War es für die Dirigenten
und Solisten meist leichter, auf fremder Erde Fuß zu fassen, hatten die
Komponisten oft das Nachsehen, auch wenn sich die Sprachbarriere in
der Musik naturgemäß weniger gravierend auswirkte als in der Literatur.
Opfer des Holocaust wurde Joachim Mendelson, der in den zwanziger
Jahren über Berlin nach Paris übergesiedelt und 1935 einem Ruf als
Lehrer an das Warschauer Konservatorium gefolgt war. Er wurde 1943
im Warschauer Getto ermordet. Dem Holocaust entgehen konnte Andrzej Krauthammer, der, noch Kind, aus dem Warschauer Getto herausgeschmuggelt, im »arischen« Teil Warschaus versteckt gehalten wurde,
unter dem Pseudonym Andrzej Czajkowski den Krieg überlebte und in
den 50er Jahren als André Tschaikowsky eine Weltkarriere als Pianist
machen sollte. Tschaikowsky studierte ebenfalls Komposition bei Nadia Boulanger in Paris, machte dann England zu seiner Wahlheimat und
hinterließ ein kleines aber faszinierendes kompositorisches Oeuvre,
das es wiederzuentdecken gilt, darunter eine bis heute nicht uraufgeführte Oper nach Shakespeares Kaufmann von Venedig. Mieczysław
Weinberg, dem bei den diesjährigen Bregenzer Festspielen eine erfolgreiche Retrospektive gewidmet war, rettete sich über Weißrussland
nach Moskau, Czesław Marek in die Schweiz, Roman Haubenstock-Ramati gelangte von Lemberg auf abenteuerlichen Wegen nach Palästina
und spielte dann eine herausragende Rolle in der Neuen Musikszene
Österreichs nach dem 2. Weltkrieg. Szymon Laks, in den zwanziger Jahren aktives Mitglied der »Association des Jeunes Musiciens Polonais«
in Paris, wurde 1942 nach Auschwitz deportiert und überlebte den Holocaust als Mitglied und später Leiter einer der Männerkapellen des Vernichtungslagers Birkenau.
Obwohl sich die polnische Musik nach dem 2. Weltkrieg zu einer unüberhörbaren Größe im Konzert der europäischen Avantgarden entwickelte,
dies vor allem dank des legendären Festivals für zeitgenössische Musik
Warschauer Herbst, blieb das Exil auch in der zweiten Jahrhunderthälfte eine Konstante der polnischen Musikkultur. Der spektakulärste
Fall: Andrzej Panufnik, neben Witold Lutosławski der vielleicht bedeu-
komponieren in der fremde
tendste polnische Komponist der Generation der um 1910 Geborenen,
ließ höchste Ämter und Würden zurück, als er 1954 ins Exil nach London
ging, um dort, von der Queen für seine Verdienste geadelt, seine Karriere allerdings nicht weniger erfolgreich fortzusetzen. Witold Szalonek
folgte 1973 einem Ruf an die Westberliner Musikhochschule und lebte
bis zu seinem Tod 2001 in Berlin. Krzysztof Meyer lebt in der Nähe von
Köln, wo er lange als Professor für Komposition an der Musikhochschule wirkte. Piotr Moss, Joanna Bruzdowicz und Elżbieta Sikora ließen
sich in Frankreich nieder. Hanna Kulenty lebt seit 1992 abwechselnd in
Holland und Polen und Bettina Skrzypczak seit 1988 in der Schweiz.
Polen ist überall, wo Polen sind, sagt die polnische Nationalhymne. Die
Bedeutung dieses Satzes mag man ermessen, wenn man ihn sich im
Kontext der deutschen Nationalhymne vorzustellen versucht. Nach wie
vor projizieren wir unsere Vorstellung von Kulturgeschichte auf die Landkarten der entsprechenden Nationen. Doch die Landkarte des kulturellen Polens ist eine virtuelle. Wer seine Schätze heben will, muss sich auf
eine oftmals mühsame Suche machen, wird dafür aber reich belohnt
werden.
chopinjanina
2010 klassen
eine
leer
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U
m Chopins Musik ist es merkwürdig still. Angekommen am Berliner Hauptbahnhof blickt einem Chopins Konterfei entgegen, mit
höflich distanziertem Blick und durch Kopfhörer gegen den Zuglärm geschützt. Das überdimensionierte Porträt (nach dem Original von Ary Sheffer) schwebt unter der gläsernen Decke und
schaukelt sacht im Wind. Das Plakat in Berlin schickt die Reisenden gleich weiter. Nach Warschau. Dort brummt die Musik. Im Warschauer Jazz Club Tygmont sollen Drummer und Keyboarder über Chopin improvisieren, verspricht das Magazin der Bundesbahn. Wer will,
kann sich mit Leszek Możdżers CD-Rom Chopin Jazz Impresje die Ohren füllen. Jubiläumsprogramme, Freiluftkonzerte, Jamsessions mit Publikum, Wettbewerb, ein internationaler Kongress und natürlich klassische Klavierkonzerte unterschiedlicher Formate finden im Nachbarland
statt. Hörplätze sind über Warschau verstreut und senden Musik in die
Ohren. In die Herzen soll er hinein, der Komponist und seine Musik.
Chopins Herz wurde nach seinem Tod von Paris nach Warschau überführt. Seine Schwester Ludwika Jędrzejewicz transportierte es im Gepäck, als sie 1850 zurückkehrte. Das neu konzipierte Chopinmuseum
im Ostrogski-Palais funktioniert interaktiv. »Experiencing Chopin«. Mit
einer Chipkarte startet im »Time Tunnel« die Zeitreise in die virtuellen
Vergangenheitsräume von Chopins Lebensstationen. Ein »Europa-Spezial« bringt uns hin, alles Weitere regelt das Polnische Fremdenverkehrsamt.
Und in Deutschland? Chopins 200. Geburtstag (zwischen dem 22. Februar und dem 1. März, je nach Kalender) feierten vor allem die Rundfunkanstalten und die überregionalen Feuilletons. Jan Schmidt-Garres am
20. Februar auf 3Sat ausgestrahlter Film Chopin in der Oper verfolgt
Chopins Belcantoideal mit anschaulichen Beispielen aus dem Warschauer Opernrepertoire. Ein Lichtblick sind Max Nyffelers verschiedene Beiträge aufgrund ihrer differenzierten Sichtweise auf den Komponisten. Der Thementag mit Neuentdeckungen zu Chopin des Mitteldeutschen Rundfunks checkt den Chopin-CD-Markt, bietet aber keine
wirklich neuen Erkenntnisse. Umfangreiche Biografien liegen von Eva
Gesine Baur (Chopin oder Die Sehnsucht), Tadeusz A. Zieliński (Chopin.
Sein Leben, sein Werk, seine Zeit) und Adam Zamoyski (Chopin. Der Poet am Piano) vor. Mieczysław Tomaszewski hat das Spektrum um umfangreiches Bildmaterial erweitert (Chopin. Ein Leben in Bildern, Schott,
Mainz 2008). Für Kinder und Jugendliche gibt es mehrere Hörbücher.
chopin 2010
Ostrogski-Palais Zamek Ostrogskich, Warschau, ul. Tamka
41/ ul. Okólnik 1; beherbergt die Chopin-Gesellschaft, das
Chopin-Institut und das Chopin-Museum.
Max Nyffelers verschiedene Beiträge Leuchtende Klangzeichen am dunklen Horizont, Ein Tribut an die Schönheit
mit rebellischem Unterton. Zum 200. Geburtstag von Frédéric Chopin bzw. Fryderyk Szopen
Tony Palmers Film The Mystery of Chopin widmet sich der (vermuteten)
Liebesgeschichte von Chopin und der schönen Gräfin Delfina Potocka.
Als Filmmusiker spielt Chopin jedoch keine Rolle, mit Ausnahme einer
ebenso skurrilen wie anrührenden Szene in Ulrich Seidls Hundstage, in
der eine Rentnerin ihrem Mann zu Klängen aus Chopins e-moll Prélude
op. 28 Nr. 4 einen Striptease tanzt. Soweit die Rundschau über das aktuelle Angebot. Selbstverständlich hämmern Virtuosinnen und Virtuosen landauf landab an Klavierabenden in Konzertsälen und Musikhochschulen unverdrossen Impromptus, Scherzi, Préludes, Sonaten, Etüden,
Balladen, Nocturnes, Walzer und Polonaisen. Aber das tun sie seit gut
150 Jahren, auch ohne Geburtstagsjubiläum.
In Deutschland hat der gleichaltrige Schumann 2010 offensichtlich Chopin überflügelt. Da dürften vordergründig pragmatische Gründe mitspielen. Schumanns Oeuvre bietet mit Sinfonien, Konzerten, Oper, Oratorium, Kammermusik, Chor- und Sololiteratur über Klaviermusik hinaus
ein Repertoire, das von vielen musikalischen Institutionen wie Opernund Konzerthäusern, in Abonnementreihen aufgeführt und abgefeiert
werden kann. Zudem erschweren Sprachbarrieren die Erschließung
des Umfelds zumindest der ersten zwanzig Jahre von Chopins Leben.
Darüber hinaus bezeichnet die Zurückhaltung im öffentlichen Diskurs
gegenüber Chopins Musik eine gewisse Leerstelle. Die Zeiten, als man
sich in Fachkreisen abschätzig über den Salonkomponisten Chopin
ausließ, sind verflossen. Das Bild vom sentimentalen, heimwehkranken
Hypochonder und Schwarm reicher Pariser Aristokratinnen und englischer Ladies, der somnambul die Tasten streichelt, bestimmt nur noch
das Unterhaltungsgenre. Der polnische Nationalheld erwärmt im Ausland kaum. So inspiriert auch der Hype der multimedialen Warschauer
Chopininszenierungen die Szene diesseits der Grenze wenig. Die alten
verbrauchten Bilder will keiner mehr. Doch fehlt bislang ein neues Chopinkonzept.
Vor 169 Jahren wurde Chopin in Deutschland entdeckt. Robert Schumann und Friedrich Wieck, die »Davidsbündler«, machten 1831 durch
ihre mehrfach nachgedruckten Rezensionen der Variationen über »Là
ci darem la mano« aus Mozarts »Don Juan« op. 2 in der Allgemeinen
Musikalischen Zeitung auf den Komponisten aufmerksam. Julius Knorr
spielte im November 1831 die deutsche Erstaufführung im Leipziger
Gewandhaus, und Clara Wieck, damals noch ein aufsteigender Jungstar, verhalf dem Stück, dessen technische Schwierigkeiten als unüber-
-windbar
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ChOpiN 2010
schrieb in: Tadeusz A. Zieliński, Chopin. sein Leben, sein Werk, seine Zeit, s. 420.
Ausbildung siehe: Chopins Ausbildung. historische und musiktheoretische Aspekte, Bern 2010.
unüber-
windbar galten, zu einer gewissen popularität, indem sie es — wie alles
weitere, was sie von Chopin in die finger bekam — in ihr Repertoire
aufnahm. selbst der greise Goethe staunte, als ihm im eigenen haus
bei Wiecks Aufwartung die chopinesken mozartanklänge um die Ohren
flogen. In der kleinen musikalischen Intellektuellenszene des Vormärz
schlug Chopins musik ein wie eine erscheinung. hier wagte jemand im
abgenudelten Genre von Variationen atemberaubend Neues zu bringen. und die weiteren jetzt bekannt werdenden Werke, die mazurken
und Nocturnes, die klavierkonzerte, etüden und besonders die Balladen, verdoppelten die sensation.
Chopin kreierte einen enthusiastischen Überschwall fantastischer klangfiguren, ausdrucksvoll, unvorhersehbar spannend und ideenreich. Seine musik war nicht leicht zu haben. es erforderte eine professionelle
klaviertechnik, um der weit gespannten Akkorde, mehrstimmigen Linien und außergewöhnlichen tastenkombinationen herr zu werden, und
eine neue pianistische Anschlags- und Vortragskultur für ihren spezifischen Ausdruck. Metrisch und rhythmisch schien die Musik frei zu
schweben wie die prosarhythmische poesie jungdeutscher Dichter. Der
narrative Gestus der Balladen, ihr »Erzählton«, traf genau den zeitgenössischen Nerv. und Chopins eigener Vortrag, sein wohl kalkuliertes
flexibles »Tempo rubato«, erhöhte den Eindruck des Fremdartigen und
faszinierte die Zuhörenden dadurch umso mehr. manche Weisen verbreiteten dabei eine düstere melancholie, die als Zug romantischer
sehnsucht empfunden werden konnte. harmonisch gewürzt durch Nebentöne und unaufgelöste Reibungen enthielt diese musik ein komplex
gemischtes Gefühlspotenzial, dessen undurchsichtigkeit, flüchtigkeit,
farbmischungen und Überlagerungen die fortschrittsbegeisterte junge
Generation, deren Anliegen schumann in seiner 1834 gegründeten Neuen Zeitschrift für musik artikulierte, zu Höhenflügen verleitete, während
sie konservative kritiker in Rage brachte. Ludwig Rellstabs Geschmack
verbrannte beim versuchten Genuss der Nocturnes op. 9 durch eine
»Handvoll Cayenne-Pfeffer«, wie er empört schrieb.
schumann hingegen katapultierte in seinen Artikeln Chopin an die spitze der ästhetischen Avantgarde. Diese musik entsprach schumanns
Idealen einer neuen »poetischen« Zeit. Deren politische Sprengkraft lag
darin, dass in einer epoche autoritärer Regime die Verhältnisse durch
kunst verändert werden sollten zu einer humanen Gesellschaft. kunst
war verknüpft mit der utopie einer neuen selbstbestimmten menschlichkeit. Gerade weil sie ästhetisch für sich selbst stand und den herrschenden nicht diente, so das paradox, konnte sie politisch wirken
(Jacques Rancière: Das unbehagen in der Ästhetik). Die bürgerliche
schicht machte kunst zu ihrem Anliegen und besetzte den öffentlichen
Raum durch kulturelle Aktivitäten, städtebaulich mit musentempeln,
theatern und Galerien, institutionell durch die einrichtung von allgemein
zugänglichen Operninszenierungen, konzert- sowie schauspielreihen
und künstlerischen Ausbildungsstätten. im fall von Chopin kam hinzu,
dass sich deutsche wie französische kreise mit den freiheitskämpfen
im besetzten polen solidarisierten. Chopins musik symbolisierte beides:
die ästhetische wie die politische utopie.
Als im deutschen kaiserreich die Romantik sich im sentimentalen Rückblick zur duftig verträumten märchenzeit zu verklären begann, verblasste die politische Virulenz Chopins. Ästhetisch beherrschten die nationalen streitereien um Beethovens erbe das feld. Chopin erhielt seinen
Platz im gründerzeitlichen Salon, wo sich die »gute« Gesellschaft vergnügte und politik wie soziale fragen hinter sich ließ. im klavierrepertoire waren seine Werke schon zu Lebzeiten fest verankert. polnischen
exilanten galt Chopins musik allerdings weiterhin als Chiffre für ein freies polen. Die Besatzungsmächte (zaristische, sowjetische, nazideutsche) haben Schumanns Bonmot, Chopins Werke seien »unter Blumen
eingesenkte Kanonen«, stets ernst genommen. Vor diesem Hintergrund
klingt es wie ein makabrer scherz, dass der trauermarsch aus der bmoll-sonate op. 35, den henri Reber zu Chopins Beisetzung in der pariser madeleine instrumentiert hat, im 20. Jahrhundert für sowjetische
staatsbegräbnisse aufgeblasen wurde.
Die ende des 19. Jahrhunderts entstehende akademische deutsche musikwissenschaft, die sich an systematischen methoden orientiert, hat
sich früh mit Chopin befasst und es dann für lange Zeit gelassen. so konnten Friedrich Niecks dokumentarreiche Biografie Chopin als mensch
und musiker (Leipzig 1890) und hugo Leichtentritts zweibändige detaillierte Analyse der Chopin’schen klavierwerke (Berlin 1921) zu jahrzehntelang gültigen standardwerken werden. Nach langer pause hat in den
letzten Jahren eine neue ernsthafte Auseinandersetzung begonnen,
jetzt auf breiter materialbasis, die verschiedene forschungseinrichtungen gesammelt haben, und in internationaler Vernetzung. Veröffentlichungen des Warschauer Chopin-instituts wie die von Artur szklener
herausgegebenen Analytical perspectives on the music of Chopin (2003)
erscheinen heute in der Regel auf englisch oder zumindest mit englischer Zusammenfassung. inzwischen hat sich herumgesprochen, dass
Chopin über eine fundierte »klassische« Ausbildung verfügte und seine
wie improvisiert wirkenden fakturen auf sicherem tonsatzfundament
ruhen, wenn auch nicht in deutscher tradition. Damit sind die besten
Voraussetzungen geschaffen, um die Werke jenseits eines personalstils zu betrachten. Zwar wurde der kunstdiskurs im Zuge der Nationalstaatenbildung im 19. Jahrhundert deutlich patriotisiert. Dennoch wird
es Zeit, die nationalen Kategorien (»polnisch« oder »französisch«?) zu
begraben und eine interkulturelle perspektive einzunehmen. schließlich verarbeiteten die kunstschaffenden Anregungen aus allen Genres
und historischen stile, Bach wie Bellini, Volksmusik der Renaissance
wie experimentelles streichquartett, um ihre originellen Werke zu entwerfen. Das avantgardistische potenzial, das schumann an Chopin entdeckte, möchte man auch gern in den interpretationen hören. in der
Polonaise fis-Moll op. 44 wird der Rahmen des einst höfischen Gesellschaftstanzes von innen gesprengt, indem kleine zweitaktige phrasen
hinzugefügt, verdoppelt und sequenziert werden, bis sie sich verselbstständigen und die periodenstruktur verändern, ganz nonchalant, und
doch mit aggressiver energie. Das stück enthält überdies den dissonantesten terzentriller der Romantik.
Chopin und die Frauen ist ein Relikt der Biografik alten Stils, das nach
fünfzig Jahren Genderforschung eine qualitätvollere Betrachtung verdient hat. Welches konzept von männlichkeit und Weiblichkeit lag dem
Verhältnis von Georges sand und Chopin zugrunde? Welche perspektiven konnten sie entwickeln? Das selbstbewusstsein und die unabhängigkeit der schönen, eloquenten, geistreichen frauen, ihre große Anziehungskraft und das scheitern ihrer herzensintrigen hat honoré de
Balzac in seinen Romanen genüsslich ausgebreitet. Die künstler an ihrer seite gehörten nicht nur einer anderen Welt, sondern meist auch
einem niedrigeren stand an. Nur in den der kultur gewidmeten salons
fand ein Austausch auf Augenhöhe statt. Das reichte aber nicht als kitt
für eine Verbindung. Oder doch? Darüber wüsste man gern mehr.
Schon gehört?
Mieczysław Weinberg: Eine Chronik in Tönen
www.osteuropa.dgo-online.org
Unbekannte Meisterwerke des polnischen Repertoires
im Kontext von Exil und Shoah in Ersteinspielungen
»Eine Veröffentlichung, die zeigt, welche Schätze
nach wie vor zu heben sind, wenn man den Spürsinn,
den Willen und nicht zuletzt den Mut dazu besitzt.«
(Oswald Beaujean, BR Klassik)
Vol. 1: EDA 26 Werke für Streichorchester
Tansmann – Laks – Fitelberg – Karlowicz
Kammersymphonie Berlin / Jürgen Bruns
Vol. 2: EDA 27 Sinfonische Dichtungen
Fitelberg – Morawski – Laks – Tansman
Klaudyna Schulze-Broniewska / Brandenburgisches
Staatsorchester Frankfurt / Jürgen Bruns
Vol 3: EDA 34 Streichquartette
Mendelson – Padlewski – Laks
Silesian String Quartet
in Vorbereitung (2010/11):
Vol. 4: Laks: »L’Hirondelle inattendue«
Rathaus: »Le Lion amoureux«
Vol. 5: Kofler – Regamey – Laks: Kammermusik
EDA – Ein Label von Klassikcenter Kassel
www.klassikcenter-kassel.de [email protected]
ich fuhle mich hier wie zuhause
krzysztof
penderecki uber
inspiration und
sein leben almut
als
K
gartner ochsmann
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rzysztof Penderecki ist der berühmteste polnische Komponist und
Dirigent der Gegenwart. Seine Musik ist kraftvoll und ausdrucksstark und lässt kaum einen Hörer unberührt. Mit Werken, die auf
politische Ereignisse Bezug nahmen, wurde er ab den 60er Jahren
in der ganzen Welt bekannt und galt als einer der führenden Komponisten der europäischen Avantgarde. Nachdem er jedoch Mitte
der 60er Jahre auf traditionelle Musikformen und herkömmliche DurMoll-Tonalität zurückgegriffen hatte, wurde ihm in Kreisen der Neuen
Musik Verrat an der Avantgarde vorgeworfen. Die Reaktionen des Publikums aber sprachen für ihn. Pendereckis Werke werden bis heute weltweit regelmäßig aufgeführt, oft unter seiner Leitung.
Am 23. November 1933 geboren, wuchs Penderecki in seiner Geburtsstadt Dębica im Karpatenvorland auf. Er studierte Komposition an der
Krakauer Musikhochschule, deren Direktor er von 1972 bis 1987 war. In
seinem Œuvre sind alle musikalischen Gattungen vertreten: Vokalmusik für Chöre und Solisten, sowohl mit Instrumentalbegleitung als auch
krzysztof penderecki
a cappella, zahlreiche Orchesterwerke, darunter acht Sinfonien, Instrumentalwerke für die unterschiedlichsten Besetzungen, Konzerte und diverse Bühnen- und Filmmusiken, darunter vier Opern. Penderecki ist
einer der meistgeehrten zeitgenössischen Komponisten, und das nicht
nur im Bereich der Musik: 1975 erwarb er ein historisches Landschloss
in Lusławice mit der Auflage, sich um die Instandsetzung von Haus und
Garten zu kümmern. Dies ist ihm so gut gelungen, dass er dafür 1991 in
Warschau die Goldmedaille des Denkmalschutzes erhielt.
A.O.: Ihr Polnisches Requiem wird zum dreißigjährigen Jubiläum der Gründung der Solidarność-Gewerkschaft in Hamburg aufgeführt. Sie proben es gerade mit der NDR-Radiophilharmonie und dem Warschauer
Philharmonischen Chor. K.P.: Ja, und mit Solisten aus Polen, nur der Tenor ist Italiener.
A.O.: Und wie funktioniert das mit einem deutschen Orchester, einem polnischen Chor und polnischen und italienischen Solisten? K.P.: Musiker
61
D
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POLEN 2 E S
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8 . F E S T I VEN FILMS
POLNISCH
p heft N 12 musik
krzysztof penderecki
Stefan Kardinal Wyszyński 1901– 81; war zunächst Bischof von Lublin, später Erzbischof von Gnesen und
Warschau und Primas von Polen; gilt als Symbolgestalt des geistigen Widerstands gegen das kommunistisch-atheistische Regime Polens.
www.filmlandpolen.de
· Das älteste polnische
Filmfestival
in Deutschland
· Von März bis Dezember
die besten polnischen
Spielfilme
· Einmalige Atmosphäre
· Treffen mit polnischen
Filmemachern
In den Kommunalen Kinos:
Bremen,
Hamburg,
Hannover,
Lübeck
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K I EG O
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REVERS / REWERS, Borys Lankosz, SCHNEEWEISS UND RUSSENROT / WOJNA POLSKO-RUSKA,
Xawery Żuławski, ALLES, WAS ICH LIEBE / WSZYSTKO CO KOCHAM, Jacek Borcuch, NULL /
ZERO, Paweł Borowski, DAS HAUS DES BÖSEN / DOM ZŁY, Wojtek Smarzowski, SHOPPING
GIRLS / GALERIANKI, Katarzyna Rosłaniec, DER KALMUS / TATARAK, Andrzej Wajda, GENERAL NIL / GENERAŁ NIL, Ryszard Bugajski
DUKUMENTARFILMDEBÜT AUS ANDRZEJ WAJDAS MEISTERSCHULE DER FILMREGIE UND DEM STUDIO „JUGEND UND FILM” DER GESELLSCHAFT
DER POLNISCHEN FILMSCHAFFENDEN · FILMLAND POLEN FÜR KINDER – KLEINE FILMAKADEMIE · DOKUMENTARFILM-ABEND ZUR DEUTSCHPOLNISCHEN GESCHICHTE · WEEKEND MIT CHOPIN: CHOPINS JUGEND / MŁODOŚĆ CHOPINA, Aleksander Ford , CHOPIN - SEHNSUCHT NACH
LIEBE / CHOPIN - PRAGNIENIE MIŁOŚCI, Jerzy Antczak, BLUE NOTE / BŁĘKITNA NUTA, Andrzej Żuławski, VERLIEBT IN CHOPIN / IMPROWIZACJA,
James Lapine
sprechen eine internationale Sprache, sie können sich sehr schnell verständigen. Da gibt es überhaupt keine Barrieren. Es ist nicht so, dass
man mit einem deutschen Chor anders arbeiten sollte als mit einem polnischen. Die Musiker sind alle hoch professionell, die des Orchesters
und die des Chores. Insbesondere der Chor der Warschauer Philharmonie ist einer der besten Chöre, die ich überhaupt kenne.
A.O.: Spielt denn Ihre Nationalität bei den Proben eine Rolle? K.P.: Nein,
überhaupt nicht. Ich habe vor genau fünfzig Jahren in Deutschland meine Karriere angefangen, habe zwei Jahre in Essen an der FolkwangHochschule Komposition unterrichtet, war einige Zeit in Berlin und insgesamt sehr oft in Deutschland. Ich fühle mich hier wie zuhause.
A.O.: Der Austausch zwischen Deutschland und Polen könnte sicherlich
noch intensiver werden. Fühlen Sie sich manchmal als Botschafter Ihres Landes? K.P.: Ja, durchaus. Aber in der Musik ist die Zusammenarbeit
zwischen verschiedenen Nationalitäten ganz normal. Nicht nur in Europa, sondern in der ganzen Welt. Ich habe das Polnische Requiem auch
schon mit einem deutschen Chor und Orchester geprobt. Genauso würde es mit chinesischen oder südamerikanischen Musikern gehen. Wir
Musiker sprechen eine allgemeine Sprache, die alle verstehen.
A.O.: Aber dass Deutsche nach Polen in den Urlaub fahren, ist doch immer noch eher ungewöhnlich, oder? K.P.: Das glaube ich nicht. Es gibt
mittlerweile einen Austausch, es gibt keine Grenze. Ich treffe viele Deutsche, die Urlaub in Polen machen. Es gibt auch nicht mehr so viele Vorurteile. Natürlich werden manchmal Fehler gemacht. Aber ich spüre keinen Unterschied zwischen einem französischen, einem englischen und
einem deutschen Touristen. Nach dem Krieg war es natürlich sehr schwierig — das ist verständlich. Aber dadurch, dass wir seit 2004 zusammen
in der Europäischen Union sind, ist Vieles einfacher geworden. Ich würde sagen, wir Polen kennen Deutschland, die Deutschen und ihre Literatur und Musik viel besser als umgekehrt. Das liegt an der Ausbildung:
In deutschen Schulen lernt man nichts über polnische Dichter wie Adam
Mickiewicz und Juliusz Słowacki. Wir lernen etwas über Schiller und
Goethe.
A.O.: Sie sagen, Ihre Musik sei nicht politisch, komponieren aber zu politischen Anlässen. Zum Beispiel Threnos, das den Opfern des Bombenabwurfs über Hiroshima gewidmet ist, Ihr Klavierkonzert Resurrection,
das im Gedenken an die Anschläge vom 11. September 2001 entstand,
oder das Polnische Requiem, in das eine ganze Reihe politischer Ereignisse eingeflossen sind. Wie passt das zusammen? K.P.: Das Polnische
Requiem ist da ein ganz besonderer Fall. Es entstand in einer sehr schwierigen Zeit des Umbruchs in Polen, Anfang der 1980er Jahre, in den Jahren der »Solidarität«. Man kann nicht direkt sagen, es sei ein politisches
Werk, aber ohne die politischen Zustände hätte ich es ganz bestimmt
nicht geschrieben. Aber das ist auch nur ein kleiner Teil meines Œuvres.
Ich habe schon über hundert Werke in meinem Leben geschrieben und
fünf davon sind vielleicht mit politischen Situationen verbunden.
A.O.: Aus vielen Ihrer Werke wird auch deutlich, wie wichtig Ihnen die Religion ist. K.P.: Sie war wichtig, würde ich sagen. Ich habe in einer Zeit angefangen, mich für geistliche Musik zu interessieren, als das verboten war.
Das war in den 1950er Jahren in Polen. Damals konnte man geistliche
Musik nur in der Kirche aufführen, sonst überhaupt nicht. Und deswegen habe ich mich für geistliche Musik interessiert. Es war verboten und
ich war ein junger Komponist, der gerade das machen wollte, was verboten war. Ich glaube allerdings, dass ich mittlerweile zu allen Themen,
die mich interessieren, etwas gemacht habe. Ab und zu schreibe ich
noch ein geistliches a cappella Werk, aber an Passionen und Oratorien
habe ich kein Interesse mehr.
A.O.: Klingt geistliche Musik anders als weltliche? K.P.: Es sind vor allem die
Texte, die anders sind. Und dann schreibt man solche Werke für eine
ganz andere Akustik, wie zum Beispiel meine Lukas-Passion, die 1966
zum 700jährigen Bestehen des Doms in Münster entstanden ist. Ich führe sie lieber im Kirchenraum auf als in der Philharmonie. Und die Inspiration für geistliche Musik ist anders, aber sonst ist es die gleiche Musik.
A.O.: Sie sagen, Sie seien ständig auf der Suche. Wie äußert sich das, und
woher kommt schließlich die Inspiration? K.P.: Das weiß niemand. Der ei-
ne kann komponieren und der andere nicht. Inspiration ist das Leben.
Manchmal bekomme ich auf Reisen Ideen für ein Werk. Für die geistlichen Werke hat mich oft nicht nur der Text, sondern eine Situation inspiriert. Das Lacrimosa aus dem Polnischen Requiem habe ich zum Beispiel zur Enthüllung eines Denkmals komponiert, das Agnus Dei aus
dem gleichen Werk zum Tod Kardinal Wyszyńskis. Aber letztendlich
kann niemand sagen, woher die Inspiration kommt.
A.O.: Angenommen, jemand hat noch nie Musik von Ihnen gehört, welche
drei Ihrer Werke würden Sie ihm empfehlen, um sie kennen zu lernen?
K.P.: Ich würde sagen, auf jeden Fall das Polnische Requiem. Threnos für
die Opfer von Hiroshima, ein sehr bekanntes Werk aus dem Jahr 1960.
Und vielleicht ein a cappella Werk von mir, von denen ich viele geschrieben habe — das Stabat Mater zum Beispiel.
A.O.: Ihre Musik ist reich an emotionalen Extremen. Sie kann mit ihren
überraschenden, manchmal geräuschhaften Klangballungen durchaus
schockieren, ja sogar Angst machen. Sind Sie auch als Mensch so extrem? K.P.: Nein, ich bin ein sehr ruhiger Mensch. Wenn man komponiert,
kommen die Emotionen sowieso. Man kann nicht völlig kalt bleiben und
dabei Musik schreiben, die etwas zu sagen hat. Aber das heißt nicht,
dass ich so einen Charakter hätte. Ein Künstler hat vielleicht zwei Charaktere: der eine zeigt sich zuhause und mit Freunden, der andere, wenn
man versucht, aus sich das Beste herauszuholen und manchmal gegen
die Strömung oder gegen die Mode gehen will. Das ist auch das, was
aus einem Komponisten einen wirklichen Künstler macht: Dass man
das Gegenteil von dem macht, was von einem erwartet wird. Ich habe in
meinem Leben einen Zickzack-Weg zurückgelegt. Immer, wenn man
sich an meine Musik gewöhnt hatte, wie ich sie drei, vier Jahre lang geschrieben hatte, dann habe ich mich verändert.
A.O.: Was würden Sie machen, wenn Sie nicht komponieren und konzertieren würden? K.P.: Ich wäre Gärtner! Ich habe einen etwa dreißig Hektar
großen Park in Lusławice, den ich bepflanzt habe. Etwa 1.700 Arten an
Bäumen und Sträuchern wachsen dort, hauptsächlich Bäume. Das ist
mein zweiter Beruf. Im Frühjahr gehe ich in meinem Park spazieren und
genieße die wunderbaren Farben und das erwachende Leben und dann
denke ich, ich könnte vielleicht sogar ohne Musik leben, nur mit meinen
Bäumen. Ich wäre auch glücklich.
A.O.: Ist der Park öffentlich zugänglich? K.P.: Nein, er ist privat. Ja, ich weiß,
ich teile das alles nicht gern. Natürlich zeige ich es hin und wieder, es
kommen Reisegruppen und Dendrologen aus ganz Europa und Amerika. Aber der Park ist noch zu jung, er ist erst vierzig Jahre alt — das ist
nichts, früher hat man so etwas über Generationen hinweg gepflegt.
Das ist noch nicht fertig, es ist eine unvollendete Sinfonie! Ich brauche
noch ein paar Jahre und dann wird der Park fertig sein, und natürlich
kann ich ihn dann nicht mehr nur für mich behalten. Ich werde die Tore
öffnen!
A.O.: Haben Sie musikalische Wünsche, die Sie sich noch erfüllen möchten, Pläne, an denen Sie schmieden? K.P.: Ja, ich möchte noch einige
Werke schreiben. Ich möchte meinen Sinfonien-Zyklus beenden und
ich möchte noch eine Oper schreiben. Aber vor allem möchte ich Kammermusik komponieren. Die ist mir in diesem Lebensabschnitt viel näher als große Sinfonien und Oratorien. Ich schreibe sie in meinem Garten und manchmal werden die Stücke in meinem Haus uraufgeführt.
Das ist für mich sehr intim: Musica domestica. Ja, ich glaube, ich werde
in Zukunft vor allem Kammermusik schreiben.
musik
unter
besatzung
impressionen
einer
elisabeth
ausstellung richter
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musik unter besatzung
p heft N 12 musik
Elisabeth war noch so klein
und trotzdem starb sie ganz allein.
In Majdanek war ihr Papa,
und in Auschwitz ihre Mama ...
Była sobie raz Elżunia
umierała sama,
bo jej ojciec na Majdanku,
w Oświęcimiu mama ...
E
ine zarte Kinderstimme kann man hören, etwas gebrochen — an
vielen der vierzig Tafeln der Ausstellung gibt es Audiostationen —,
nur neunzehn Sekunden dauert die leise Melodie ohne Begleitung,
doch allein beim Lesen des Textes kommen einem die Tränen. »Ich
habe es zur Melodie von ›Na Wojtusia z popielnika iskiereczka mruga‹ gesungen«. Das ist ein Wiegenlied für Kinder, und diese Zeilen
notierte ein neunjähriges Mädchen im Lager Majdanek. Man fand das
Zettelchen in seinen Kleidern.
Es ist schwer durch die Ausstellung Musik im okkupierten Polen zu gehen, denn nicht nur das junge Leben der neunjährigen Elżunia ging so
grausam, so sinnlos zu Ende. Ein unendliches Leid vermittelt sich. Wie
viel menschliches, künstlerisches Potenzial wurde vernichtet, zerstört,
mit welchem Recht? Vieles wurde schon aufgearbeitet aus dem dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte, oft aus der sicheren Distanz des
wissenschaftlichen Standpunktes. Auch diese Ausstellung ist eine wissenschaftliche Arbeit. Hier gelingt jedoch die Einbindung persönlicher
Schicksale in den historischen Kontext. Man kann, man muss sich auf
das Geschehen tief einlassen. Die Kuratorin, die Musikwissenschaftlerin Katarzyna Naliwajek-Mazurek von der Universität Warschau, recherchierte die vielen Details in zahlreichen Archiven, Briefen, Sammlungen,
in Warschau, Krakau, Auschwitz und anderen Orten. Sie entwarf Konzept und Szenario. Freilich stehen auch hier die Biografien exemplarisch
für weit mehr Menschen, die während der deutschen Besatzung in Polen von 1939 bis 1945 lebten, litten, starben. Nur wenige überlebten.
Der Überfall Deutschlands auf Polen mit dem Einmarsch der nationalsozialistischen Truppen am 1. September 1939 veränderte in Polen auch
schlagartig das kulturelle Leben. Während in anderen Ländern, etwa in
Tschechien, die Verwüstungen der kulturellen Landschaft, die Zerstörung und Vernichtung des enormen künstlerischen Potenzials während
des Zweiten Weltkrieges durch die Deutschen Besatzer zumindest ansatzweise erforscht und aufgearbeitet wurden, während etwa Komponisten wie Viktor Ullmann, Hans Krása, Gideon Klein oder Pavel Haas in
den letzten Jahren wieder ins Bewusstsein gerückt sind, sind die Namen der polnischen Komponisten und Musiker dieser Zeit in Deutschland weitgehend unbekannt. Die deutsche Musikwissenschaft, die deutsche Musik-Fachpresse, die großen deutschen Tageszeitungen mit ihren renommierten Feuilletons interessieren sich vergleichsweise wenig
für das polnische Musikleben von heute, und noch weniger für die Zeit
zwischen 1939 und 1945. Hier besteht dringend Handlungsbedarf.
Das Schleswig-Holstein Musik Festival hatte sich in diesem Jahr für Polen als Länderschwerpunkt entschieden. Hintergrund war der 200. Geburtstag von Frédéric Chopin. Doch 2010 ist auch der 70. Jahrestag der
Errichtung des Warschauer Gettos. Die Universität Warschau mit der
Musikwissenschaftlerin Katarzyna Naliwajek-Mazurek und der Verein
Room 28/Berlin mit dem Musikwissenschaftler und Verleger Frank Harders-Wuthenow haben in Kooperation mit verschiedenen Veranstaltern
ein Projekt ins Leben gerufen, in dessen Zentrum die Ausstellung Musik
im okkupierten Polen 1939 –1945 steht. Sie wurde am 13. Juli in der Hamburger Kampnagel Fabrik mit einem Konzert eröffnet und war dann bis
zum Ende des Schleswig-Holstein Musik Festivals im Kieler Schloss zu
sehen. Zuvor wurde eine kürzere französische Version beim Festival
Musiques Interdites in Marseille gezeigt, im September 2010 war die
Ausstellung beim Festival Warschauer Herbst in Warschau zu sehen, im
November dann in Berlin.
Beim diesjährigen Schleswig-Holstein Musik Festival konnte man die
Ausstellung zu den spannendsten und mutigsten Veranstaltungen rund
um den Länderschwerpunkt Polen zählen, weil hier ein schwieriges
Kapitel des deutsch-polnischen Verhältnisses thematisiert wurde, und
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p heft N 12 musik
auch, weil in den begleitenden Konzerten Musik erklang, die in Deutschland so gut wie unbekannt ist, die es jedoch unbedingt lohnt zu kennen,
denn es sind exzellent komponierte Werke. Wer hat schon von der anspruchsvollen Musik von Szymon Laks, Roman Padlewski, Józef Koffler
oder Constantin Regamey und anderen gehört? Auch über diese Komponisten und ihre Schicksale erfährt man in der Ausstellung.
Unmittelbar nach der deutschen Besatzung im September 1939 kam
das blühende Musikleben in Polen fast vollständig zum Erliegen. Es waren — so die offizielle Beschreibung — nur noch einige »primitive Formen der kulturellen Zerstreuung« erlaubt. Was künstlerisches Niveau
hatte, wurde verboten. Das professionelle Musikleben außerhalb der
Gettos verlagerte sich in die Cafés, in Privatwohnungen, in den Untergrund. Man erfährt, wer sich wie und wo musikalisch engagierte. Auch
innerhalb der Gettos sowie in den Konzentrationslagern gab es musikalische Aktivitäten. Regamey und Padlewski etwa arbeiteten in Warschau
außerhalb des Gettos im Geheimen Musikrat. Padlewski (1915 –1944) beteiligte sich auch mit Waffengewalt am Warschauer Aufstand und wurde mit nicht einmal 30 Jahren erschossen. Regamey (1907–1982) besaß
einen Schweizer Pass, er machte geheime Kurierdienste. Sein Quintett
für Klarinette, Fagott, Violine, Cello und Klavier wurde 1944 heimlich in
einer Privatwohnung uraufgeführt. Regameys berühmter KomponistenKollege Witold Lutosławski schrieb nach dem Krieg in seinen Erinnerungen von einer »sensationellen« Uraufführung, von »einem ganz ausgereiften, höchst raffinierten und doch von all dem, was damals den Stil
und die Schreibweisen der polnischen Musikkultur der dreißiger und
vierziger Jahre ausmachte, völlig unabhängigen Werk«. Regamey arbeitet zum Beispiel frei mit Zwölftontechniken, aber auch mit tonalen Inseln.
Dies mag als nur ein Beispiel von vielen exzellenten Werken und ihren
Komponisten gelten, die vergessen wurden, von denen man erst jetzt
erfährt. Szymon Laks (1901–1983) etwa war drei Jahre Leiter der Lagerkapelle in Auschwitz, er überlebte. In seiner Musik, die nach dem Krieg
entstand, geht er nicht den Weg der musikalischen Avantgarde der
1950er und 1960er Jahre, ein zusätzlicher Grund, warum Laks’ Werk heute erst langsam ins Bewusstsein rückt.
Mit den vierzig Tafeln der Ausstellung präsentiert die Kuratorin Katarzyna Naliwajek-Mazurek verschiedene Leitlinien. Da ist der historisch-chronologische »rote Faden«. Es beginnt mit einer Tafel zum vielfältig blühenden Musikleben in Polen vor dem September 1939. Da gab es die Stars
der Unterhaltungsmusik, die Konzerte in der Warschauer Philharmonie
mit dem Dirigenten Grzegorz Fitelberg etwa, dem Pianisten Artur Rubinstein, dem Komponisten Karol Szymanowski, die Musik der Kaschuben,
der Roma. All das wurde grausam zerstört. Viele Gebäude, Konzertorte
existierten ab September 1939 nicht mehr.
Wie umging man das Verbot der musikalischen Betätigung außerhalb
und innerhalb der Gettos? Der Darstellung des Musiklebens in verschiedenen Städten, in Warschau, in Krakau, in Łódź, in Lemberg sind eigene Tafeln gewidmet. Einzelne Musiker werden ausführlicher vorgestellt,
etwa »Der Pianist« und Komponist Władysław Szpilman, der dem Warschauer Getto entkommen konnte und der durch den Film von Roman
Polański weltweit bekannt wurde.
Man erfährt von den Schicksalen zahlreicher Musiker, von der täglichen
Bedrohung, wie sie überlebten und auch wie sie umkamen, wie die Roma-Musiker ihre wertvollen Instrumente, besonders die Harfe, immer
wieder retten konnten, wie die Nationalsozialisten ein Musikleben für
sich organisierten, wie Kollaborateure von Nicht-Kollaborateuren bestraft wurden. Wie mutige Menschen Verfolgten unter Lebensgefahr
Obdach gewährten.
musik unter besatzung
Erschütternd sind die Bilder der zerstörten Städte. Bei der Bombardierung Warschaus gingen auch zahlreiche Dokumente, Autographe, Gemälde und Briefe von und an Chopin verloren. Sein Herz, das nach seinem Willen nach seinem Tod in die Heilig-Kreuz-Kirche in Warschau
gebracht worden war, wurde jedoch dank eines deutschen Priesters
gerettet. Vom Musikleben im Konzentrationslager Auschwitz erfährt
man in Auszügen aus dem Buch Musik in Auschwitz von Szymon Laks,
aus Treblinka berichtet der Bildhauer Samuel Willenberg, der überlebte.
Die kluge grafische Gestaltung haben Karol Laskowski und Karol Perepłyś vom Studio 27 in Warschau entworfen. Schwarz und rot als stark
expressive Hintergrund-Farben implizieren sofort die tragische Thematik. Viele Bilder — vor allem aus dem Digitalen Nationalarchiv Warschau
— wie Fotos von Künstlern, Gebäuden, aus den Gettos, wie Konzertprogramme, Konzertkarten, dazu zwei Dokumentarfilme geben einen
lebendigen Überblick von den verschiedenen Aspekten der Musik im
okkupierten Polen 1939 –1945. Zahlreiche Musikbeispiele an Audiostationen vermitteln einen Eindruck von der Intensität der Musik, die den
Menschen Kraft gab, die wir heute wiederentdecken können, die auch
helfen, die vielen Menschen, die nicht überlebten, wie etwa die kleine
Elżunia aus Majdanek, nicht zu vergessen.
Papusza, Roma-Lyrikerin, 1949
Links Dionizy Wajs, rechts Edward Dębicki am Akkordeon, 1949
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Warschauer Aufständische in der Malczewskiego-Strasse. Wacław Żdżarski am Akkordeon und die Krankenschwester Janina Załęska, der eines der populärsten
Lieder der Aufständischen gewidmet war: Sanitariuszka Małgorzatka; Warschau, September 1944
musik unter besatzung
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p heft N 12 musik
Karol Szymanowski (hinten, 2. v. r.), Zbigniew Drzewiecki (hinten, 1. v. r.), Artur Rubinstein (vorn, 2. v. l.), Bronisław Huberman (hinten, 3. v. r.), Grzegorz Fitelberg (vorn, 1. v. r.), Halina Szmolc
musik unter besatzung
(hinten), Irena Dubińska (vorn, 1. v. l.), Zwanzigerjahre
MeiréundMeiré
Anteil der Produkte, die von der Stiftung Warentest von 1999 bis 2008
mit „gut“ beurteilt wurden, in Prozent: 47,5
Anteil der Produkte, die von der Stiftung Warentest von 1999 bis 2008
mit „mangelhaft“ bewertet wurden, in Prozent: 5,6
Anteil der Produkte, die von der Stiftung Warentest von 1999 bis 2008
mit der Note „sehr gut“ beurteilt wurden, in Prozent: 1,9
Anteil der Deutschen, die beim Kauf Produkte mit Testsiegel vorziehen, in Prozent: 61
Anteil der Deutschen, die beim Einkauf vor allem auf den Preis achten, in Prozent: 58
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prager
musicals
die nackt
mulle der
tschechi
schen musik
ulrike hoinkis
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p heft N 12 musik
Limonadový Joe dt. Limonaden-Joe; Regie: Oldrich Lipský, 1964. Noc na Karlštejne dt. Nacht auf Karlstein;
Regie: Zdenek Podskalský, 1973. Starci na chmelu dt. Hopfenpflücker; Regie: Ladislav Rychman, 1964.
Wenn die tschechische Musikszene ein Zoo wäre, wäre das Prager Musical ein Nacktmull: Trotz der vielen schönen Tiere in seiner Nachbarschaft ist auch ein Nacktmull interessant und erregt Aufmerksamkeit, aber man
würde ihn vermutlich nicht mit nach Hause nehmen wollen. Ähnlich ist es mit den Musicals, die in Prag am laufenden Band produziert werden. Die Musical-Szene boomt hier seit den 90er Jahren, Theater wie Kalich, Hybernia, Ta Fantastika, Broadway oder das Hudební divadlo Karlín bestreiten — in unterschiedlichster Qualität — fast
ihr gesamtes Programm mit derartigen Aufführungen.
D
ie tschechische Musikszene ist so farbenfroh wie der Urwald nach
dem Regen. Alternative Musik blüht und gedeiht, Folk und Liedermacher, angeführt von Jaromír Nohavica und Čechomor — mit ihrem Erfolg und Bekanntheitsgrad wohl ein Spezifikum der böhmischen Länder — erfreuen sich höchster Beliebtheit, ebenso wie
die abstrusen Spaßmusiker Ivan Mládek, Sto zvířat und Mig21.
Selbst Kinder werden mit hochwertigen Kompositionen zum Beispiel
des Autorenduos Zdeněk Svěrák/Jaroslav Uhlíř verwöhnt. Freunde der
härteren Umgangstöne können sich mit Kabát ruhigstellen, Pop-Anhänger haben ebenfalls nicht nur die Wahl unter Zombies wie Karel Gott,
Helena Vondráč ková und Lucie Bílá. Umso verwunderlicher ist es daher,
dass sich gerade Musicals der unteren Qualitätsstufen extremer Beliebtheit in Tschechien erfreuen.
Was in den 90er Jahren unschuldig, aufwendig und qualitativ hochwertig mit tschechischen Varianten internationaler Produktionen begann,
entwickelte sich bald zu einer gewinnbringenden Branche, die mit Musicals tschechischer Autoren beim Publikum immer größere kommerzielle Erfolge feierte.
Schon ein erster Boom von Musikfilmen hatte der Welt in den 60er Jahren Klassiker wie die Western-Parodie Limonadový Joe, die historische
Komödie Noc na Karlštejně und das Filmmusical Starci na chmelu über
junge Rebellen beim sozialistischen Arbeitseinsatz beschert. Diese
konnten bereits auf eine reichhaltige Tradition des Musiktheaters aufbauen, angefangen beim Befreiten Theater von Voskovec & Werich bis
hin zu den Musikrevuen von Suchý & Šlitr und ihrem Theater Semafor.
Nicht nur deren Gut bezahlter Spaziergang [Dobře placená procházka]
aus dem Jahre 1965 wird — wie viele andere Stücke und Filme der damaligen Zeit — auch heute noch inszeniert, zuletzt 2009 von Miloš Forman im Prager Nationaltheater.
In den 70er und 80er Jahren ging die Produktion von Musikfilmen jedoch stark zurück — es fehlte an guten Autoren, Interpreten und Geld.
Musicals in den Theatern schöpften aus dem überlieferten Fonds. Erst
Mitte der 90er Jahre weckten aufwendige Produktionen wie Bídníci [Les
misérables] und Jesus Christ Superstar wieder das Interesse des Publikums, das anschließend auch durch einheimische Musicals gestillt werden konnte.
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p heft N 12 musik
musicals in tschechien
Drakula deutschsprachige Erstaufführung 2004; deutscher
Text von Michael Kunze. zájezdy dt. Sonderfahrten, Fahrten.
Tě š ínské Niebo / Cieszyńskie Nebe
Kleopatra
Golem, Premiere 2006
Das erste tschechische Musical dieser Zeit, aus dem Jahre 1995, war
der durchaus anspruchsvolle Dracula aus der Feder von Karel Svoboda.
Svoboda — in Deutschland wohl eher durch die Titelmusik von Biene
Maja und Drei Haselnüsse für Aschenbrödel sowie seine über 80 Lieder,
die er für Karel Gott schrieb, bekannt — hatte bereits bei Noc na Karlštejně und Dutzenden anderen Filmen für die musikalische Untermalung gesorgt und versorgte Václav Neckář, Helena Vondráč ková und
viele andere mit sicheren Hitparaden-Titeln. Es geschah also, was abzusehen war: Das Stück, das sehr lose auf Bram Stokers Romanvorlage
basiert, wurde ein Riesenerfolg und lief über drei Jahre ununterbrochen
im Prager Kongresszentrum. Es wurde schließlich erst aufgrund von Sanierungsarbeiten am Aufführungsort abgesetzt. Nach einer — im Schuldensumpf versunkenen — Neuaufführung 2003 wurde es 2009 neu inszeniert und ist mit Aufführungen in Deutschland, Südkorea und anderen Ländern bis heute das erfolgreichste tschechische Musical.
Auf den fahrenden Zug sprangen auch andere auf, allen voran Michal
David, der in den 80er Jahren mit seichtem Pop und der musikalischen
Begleitung der Spartakiade bekannt geworden war und nach der Samtenen Revolution der Vergessenheit anheim fiel. Zusammen mit Lou
Fanánek Hagen verfasste er in rascher Folge das Historien-Drama Kleopatra, die Drei Musketiere [Tři musketýři], den Telenovela-Ersatz Angelika und Mona Lisa, die die tschechischen Zuschauer begeisterten.
Er leitete damit eine Entwicklung ein, die inzwischen enorme Ausmaße
angenommen hat: Der Großteil des tschechischen Publikums sucht
Entspannung, will nicht durch schwierige oder alternative Themen, Motive und Melodien herausgefordert werden und wird entsprechend mit
leicht verdaulicher Pop-Kost »verwöhnt«. Auf der anderen Seite wird
das etwas anspruchsvollere Publikum durch die Kennzeichnung »Musical« verschreckt, so dass sich die Qualität in einer stetigen Abwärtsspirale befindet.
Zum ungebrochenen kommerziellen Erfolg tragen wohl vorwiegend die
zájezdy bei: Dorf-Mutti überredet Dorf-Vati, dass es mal wieder an der
Zeit wäre, die Großstadt zu besuchen, und natürlich gehört da auch etwas Kultur dazu. Bei der Auswahl orientiert man sich an der Besetzung,
je mehr Stars, desto besser — ob diese »Stars« singen oder schauspielern können, ist weniger entscheidend. Tatsächlich werden zum Teil
Schauspieler engagiert, die Gesangstalent vermissen lassen, weil die
Zuschauer es vermutlich sowieso nicht bemerken.
Manche bezeichnen inzwischen Prager Musicals gar hämisch als »Endlager für abgehalfterte Sternchen«, die ein gesichertes Einkommen suchen. Eine rare Ausnahme bildet hier Daniel Hů lka, der durch Dracula
bekannt wurde und sich anschließend durch Soloalben auch außerhalb
der Musical-Welt profilierte. Aber selbst Karel Svoboda, der nach Dracula weitere Erfolge mit Golem und Monte Christo feierte, gab offen zu,
dass er sich nur deswegen Musicals widmet, weil sie kommerziell wesentlich einträglicher sind als beispielsweise das Verfassen einzelner
Lieder.
Ebenfalls in die Kategorie seichter Unterhaltung könnte man Daniel Landa einordnen, allerdings findet man bei ihm auch den ein oder anderen
alternativ-originellen Takt. Landa feierte mit seinem »dirty Musical« Rattenfänger [Krysař], einem Rock-Musical mit ansatzweise sozialkritischem
Inhalt gigantische Zuschauerzahlen und gehört inzwischen zu den erfolgreichsten Musical-Autoren Tschechiens. Sein in Prag aufgeführtes
Stück Sehnsucht [Touha], in dem statt Handlung Humor im Vordergrund
steht, verkauft sich auch nach zwei Jahren noch gut. Umstritten, aber
erfolgreich läuft auch sein neuestes Stück Das Geheimnis des goldenen
Drachen am Brünner Nationaltheater, eine Krimi-Revue mit bekannten
Liedern Landas.
Es ist nicht ganz unwahrscheinlich, dass zu Landas Erfolg auch seine
»Eskapaden« beitragen: Ende der 80er Jahre war er mit seiner Skinhead-
76
p heft N 12 musik
Band Orlík bekannt geworden (von dieser distanziert er sich heute, wird
aber das Prädikat »rechts« nicht los). Nach dem Erfolg einiger politisch
neutraler Rock-Soloalben, einer aufgrund von Landas Vergangenheit
höchst umstrittenen Hommage an den wichtigsten regimekritischen
tschechischen Liedermacher der kommunistischen Ära, Karel Kryl, und
diversen Musicals begründete er unter anderem den Orden Ordo Lumen Templi, später auch die unergründbare Gemeinschaft Goldener Drache, und nebenbei widmet er sich seinem Hobby als Rennfahrer.
Leicht verdaulicher Pop oder Soft-Rock werden im tschechischen Musical groß geschrieben. Alternative Stücke wie zum Beispiel das etwas härtere Excalibur aus der Feder von Michal Pavlíč ek können sich nur dank
eingefleischter Fans regelmäßiger Reprisen erfreuen. Selbst internationale Hits wie Evita oder Cats garantieren in Tschechien keinen ausverkauften Saal mehr — nach den Anfangserfolgen wurden die meisten
derartigen späteren Produktionen wegen rapide sinkender Zuschauerzahlen nach kurzer Laufzeit wieder abgesetzt.
Gleichzeitig kommt es auch zu der bereits erwähnten Wiederauflage
alter, bewährter Stücke bzw. zur Musikalisierung von Filmen und Musikfilmen. Mehr als drei Jahre lief im Hudební divadlo Karlín erfolgreich Limonádový Joe mit dem Original-Hauptdarsteller des Films aus dem Jahre 1964 in einer Nebenrolle. Auch die Horror-Komödie Adéla ještě neveč eřela, nach Motiven des Little Shop of Horrors, läuft erfolgreich in
und außerhalb von Prag.
Lichtblicke am Horizont, die den gewünschten Erfolg auch heute noch
mit ansprechender Qualität verbinden, gibt es nur wenige, zum Beispiel
Jaromír Nohavicas Těšínské Niebo / Cieszyńskie Nebe, das in der schlesischen Provinz Premiere hatte. Nohavica, der erfolgreichste tschechische Liedermacher der vergangenen 20 Jahre, dessen Lieder jedes tschechische Kind auswendig kennt, malte damit ein facettenreiches Bild
seiner Heimat, das erst in Těšín aufgeführt wurde, später auch das Publi-
musicals in tschechien
Adéla ješte nevečerela dt. Adele hat
noch nicht zu Abend gegessen; 1977;
Regie: Oldrich Lipský.
kum im Rest der Republik zu Standing Ovations verleitete und gar ins
Polnische übersetzt wurde.
Anderswo gehen gezielte Versuche schief, die künstlerische Qualität
der Musicals wieder anzuheben, zum Teil spektakulär, wie etwa das Lyrical des an sich für Qualitätsarbeit bekannten Autorenteams Hapka&
Horáč ek mit dem Titel Kudykam, das sich durch tiefgründige Texte auszeichnen wollte. Dieses Experiment scheiterte jedoch grandios durch
völligen Sinnverlust, den nicht einmal die Kritiker, die normalerweise mit
allen Mitteln gegen Michal Davids Untiefe wettern, zu schätzen wussten, vom Publikum ganz zu schweigen. In anderen Theatern, deren Repertoire nicht ausschließlich aus Musicals besteht, setzt man jedoch
inzwischen wieder mehr auf Qualität und Kreativität — und auf den Einsatz eines Orchesters, auf das in den großen Prager Produktionen (mit
Ausnahme des Divadlo Kalich und des Hudební divadlo Karlín) meist
verzichtet wird.
Qualitativer Anspruch hin oder her — einen positiven Effekt haben Musicals in Prag auf jeden Fall: Aufgrund ihrer Popularität werden verschiedene historische Gebäude vor dem Verfall bewahrt und für MusicalAufführungen saniert und umgebaut, auch wenn bei den Bauarbeiten
manchmal — wie beim Theater Hybernia, das sich in einer ehemaligen
Kirche befindet — historisches Altmaterial in einem Maße zerstört wird,
dass der ein oder andere Prager Denkmalschützer in Ohnmacht fällt.
Und man kann sich ruhigen Gewissens dem lebendigen Rest der tschechischen Musikszene widmen, ohne Angst haben zu müssen, etwas zu
verpassen.
Touha [Sehnsucht]
klange rumaniens
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Wie
klingt
Rumanien?
essayistische andra
schlaglichter joeckle
Das alltägliche. Wie klang mein Rumänien? Nach Glocken klang’s. Besonders morgens, gern und lang. Läutete hinein in mein Leben — mein singendes Leben als Stadtschreiberin in Hermannstadt. Fünf Kirchen verschiedener Konfessionen stehen allein in der Altstadt. Und rufen bei Gott
nicht nur sonntags zum Gottesdienst. Popmusikdienste dann abends:
aus fetten Autos wummern dumpfe Danceklänge durchs offene Fenster
in meine pianosanften Gedanken. Da bewaffne ich mich mit Kopfhörern,
um übers Internet mir ohrgerechtere Musik zu hören. Aber was ist das?
Folkloristische Klänge dudeln mir in die Quere. Mein Nachbar muss das
sein! Sein Radio! Fantastisch diese Kopfhörer, mit integrierter Spionagefunktion. Bestimmt bekomme ich da eine hora zu Gehör gebracht, den
beliebten folkloristischen Kreistanz der Rumänen.
Raus aus dem Haus, rein in die Fußgängerzone. Dort rieselt über einen
Außen-Lautsprecher musikalischer Schmalz aufs gemächliche Passantenvolk. So kitschig, das ist schon wieder zum Lächeln. Fußgängerstimmen transportieren mich nach Italien. Denn die rumänische Sprache
klingt immer wieder toll italienisch. Es verwundert nicht, wenn die rumänische Eurovision-Sängerin 2008 italienisch singt. Das Rumänische besticht durch weitere Qualitäten: »Da im Rumänischen wie in den meisten lateinischen Sprachen fast alles geschmeidig ist im Klang und ein
Wort schnell im Reim aufs andere fliegt, gab es keine Situation, die nicht
ihren Reim, ihren Spruch, ihre Redewendung hatte.« Herta Müller
Die Fußgängerzone mündet auf den zentralen Platz, wo ein junger Bursche Gitarre klimpert und Gesang improvisiert, zum bunten Jongleursspiel seiner Kumpanen. Musik in Rumänien ist oft eine gesellige, einladende Angelegenheit. Nebenan im Brukenthal-Museum stimmt ein deutscher Kurator ein rumänisches Freischärlerlied an und animiert das Museumspersonal zum Einstimmen. Musik in Rumänien gehört zum Alltag
— und zur körperlichen Stärkung: Kein Restaurant ohne Musikbeilage.
Das scheint die Losung der Gastronomie.
Unterwegs mit dem Bus zu einer Weihnachtsparty. Der rumänische Busfahrer, der im Chor singt, bittet seinen als deutsch identifizierten Fahrgast aus einem deutschen Kinderliederbuch zu singen — »das ist für
meine Enkelin«. Ich tu’s: Alle Vögel sind schon da und Hoch auf dem
goldenen Wagen. Und hoppla, man hat dabei ja völlig die Entrichtung
der Fahrgebühr vergessen. Bin ich da verwickelt worden in eine charmante Spielart der in Rumänien so übel grassierenden Korruption?
Auf der Feier dann wird kraus und quer durchs globale populäre Musikbeet aufgelegt und durch alle Tanzstile lustig hindurch getanzt. Eine andere Welt dagegen der Tango in Bukarest. Augen essen nicht nur mit,
sie hören auch mit: so prächtig das Ambiente, da wird auch der Tango
prächtig.
So weit ein Ohr voll persönlicher Höreindrücke. Die rumänische Klangwelt ist ein Kosmos. Ihn auszuleuchten mit mehr als einer Auswahl an
Schlaglichtern auf Entdeckungen würde den Raum hier sprengen.
musik in rumänien
Ada
Milea
und
Alexander
Ba�la�nescu
Bereits als Siebenjähriger wird Ba�la�nescu (geb. 1954) an der Special
School for Music in Bukarest aufgenommen. Als er 15 ist, wandert seine
Familie nach Jerusalem aus, mit 16 kommt er nach London, später nach
New York. Zurück in London übernimmt er 1979 die Leitung des Michael Nyman Ensemble. Er arbeitete auch mit David Byrne zusammen. 1987
gründete er das avantgardistische Streichquartett Ba�la�nescu Quartet.
Bekannt wurde er vor allem durch Coverversionen von Kraftwerk-Songs.
Ba�la�nescu adaptiert passioniert fremde Einflüsse und praktiziert damit,
was die rumänische Musik (und die Küche) seit Jahrhunderten tut: sich
bereichern mit fremden Einflüssen, mit arabischen, ungarischen, jüdischen, türkischen sowie religiösen und volkstümlichen Traditionen. Für
sein Album Luminitza ließ sich Ba�la�nescu anregen von den Umbrüchen,
die 1989 Osteuropa revolutionierten. Grüß dich, Michael Nyman, ist man
versucht zu rufen.
Ein kleines Juwel war eine Darbietung eines Theaterstücks über Robinson Crusoe (des rumänischen Dichters Gellu Naum), wofür Ba�la�nescu
Ada Milea gewann, eine 1975 in Târgu Mureş geborene Schauspielerin,
Sängerin und Songwriterin. Ihr Album Apolodor erzählt die Geschichte
eines Kinderbuchpinguins, der glücklich in einem Zirkus singt, bis es ihn
aus Sehnsucht nach seiner Familie auf Weltreise zwingt. Man ist perplex: so voll, so kräftig und von so beeindruckender Bandbreite, Gewalt
und Komik ist Ada Mileas Stimme. Originell, kühn und politisch sind ihre Texte, wenn sie etwa singt, Ceauçescu ist in dir, ist in mir, ist unsere
Schule, unsere Krankheit. Ba�la�nescu geigt und singt sanft wie lässiges
Meeresplätschern den Robinson, Ada gibt seine Mutter. Wärme (der
Stimmen und der Gitarrenklänge) und Humor bissigeren Kalibers kontrastieren bestrickend. Die Dialoge in Cry sind köstlich:
Ada Milea: Are you sleeping, Robinson?
Alex Ba�la�nescu: No mother, I am making you some socks.
The night is chilly on the rocks.
Ada: Do you think, those were cannibals?
Alex: I’m sure. I’m sure. I think I’m sure.
Ada: Are they going to eat us?
Alex: I’m sure. I’m sure. I think I’m sure.
I’m sure they’ll eat you.
Ada: But how about you?
Alex: I’ll live alone.
Ada: Don’t you want to cry a bit with me?
Alex: That will be my pleasure.
Ada: It was really a pleasure to cry with you, thank you.
Alex: No, thank you
Ada: No, thank you.
Alex: It was really a pleasure to cry with you, thank you.
Ada: Thank you.
Alex: No, I thank you.
80
p heft N 12 musik
Mit seinem Album Maria T. lässt Ba�la�nescu die rumänische Sängerin Maria Ta�nase wiederaufleben (1913 –1963). Ba�la�nescus musikalische Wurzeln
reichen bis zu ihr zurück. Die Ta�nase machte sich einen Namen als Interpretin rumänischer Trink-, Zigeuner- und Wiegenlieder und wird noch heute in Rumänien verehrt. Ba�la�nescu gibt seiner Hommage an ihr Lied Lume, Lume [Welt, Welt] den Titel Life and Death. Die Modernisierung rumänischer Musik vollzieht sich auch durch eine »Anglisierung«. Sinnigerweise ist Life and Death unter »Bio« auf Ba�la�nescus Website zu hören,
und zwar erst nach 5 Minuten — als benötige die Annäherung an die eigenen Wurzeln eine gewisse Zeit. Dann verwöhnt einen noch zwei Minuten die raue, volle Stimme der Maria T. Wer bei folkloristischer Musik
oder Volksliedern normalerweise die Ohren zuklappt, mag überrascht
die Ohren aufklappen, wenn sie Ba�la�nescu aufbereitet. Der Geiger und
Komponist zeigt sich gern mit schwarzem Hut. Zigeunerhut? Obwohl:
Die Zigeunerhüte, die einem in Rumänien begegnen, haben eine weit
ausladendere Krempe! Dennoch: Violonist ist er auch noch und die Geige ist bekannt als Zigeunerinstrument. »Der Zigeuner lebt … vom Pilzeklauben und Himbeerenverkaufen, vom Löffelschnitzen und Kesselflicken. Einige auch von der Musik, vom Violinespielen in den Wirtshäusern«, schreibt Paul Schuster in seinem Roman Fünf Liter Zuika. Die
berühmteste Volksmusik in Rumänien ist die der Roma, die etwa 10 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Geiger war übrigens auch George
Enescu, Rumäniens bekanntester klassischer Komponist.
Exportphanomen
Inna
Die rumänische Dancesängerin Inna — geboren als Elena Alexandra
Apostoleanu — kam 1986 am Schwarzen Meer als Tochter griechischer
Eltern zur Welt. Schon als Jugendliche nahm sie Gesangsunterricht.
2008 begann mit ihrem Song Hot ihre steile Karriere. Hot rangierte in
vielen Charts Osteuropas ganz oben und erreichte über 18 Millionen
Aufrufe bei youtube. Insgesamt wurde Inna über 25 Millionen Mal angeklickt. Das ist einmalig für einen Star aus Osteuropa. Sie zählt damit zu
den erfolgreichsten Interpreten aus Osteuropa. Als ihre Website online
geschaltet wurde, crashte sie vor dem Ansturm der Internetsurfer. Bei
den MTV Europe Music Awards 2009 wurde Inna als No 1 in Rumänien
ausgezeichnet. Mit Amazing landete sie 2009 in Rumänien einen nächsten großen Hit, mit dem sie einen ganzen Monat lang Platz 1 der Romanian Top 100 behauptete. Höre ich die ersten Sekunden von Amazing,
versetzt es mich schnurstracks nach Rumänien in ein Einkaufszentrum,
wo ich fast depp geworden wäre, so permanent wurde der Hit gespielt,
und vor allem: laut — Rumänen müssen mit einer größeren Dezibeltoleranz geboren werden.
Weitere Millionenhits — über 2 Millionen Aufrufe — von Inna sind Love,
Déjà Vu, Fever, Ladies und On And On. Die Titel lassen es ahnen: ein potenzieller Bildungsgenuss ist nicht zu erwarten (zu Musik mit Bildungsplus gleich mehr). Inna singt: »You belong to me, I belong to you, fire from
my heart, burning just for you« und wenn sie nicht ganz verbrannt sind,
brennen sie noch heute und lieben und fliegen, getragen von einer männlichen Stimme, die lalalalat und nananat, und ein Anfeurer schießt sein
»Go!« hinzu. Inna präsentiert sich sexy, aber auch als Mutter mit Kind
und liebem Mann. Als Frau ohne Mann und Kind hat man in Rumänien
einen empörend ungemütlichen Stand.
Extrem beliebt ist Inna in den hippen Clubs Istanbuls. In den letzten sechs
Jahren vermarkteten die rumänischen Musikproduzenten geschickt einen Schlager nach dem anderen im Ausland. Allerdings nicht nach
Deutschland, hier ist Inna eigenartigerweise eine ziemlich unbekannte
Größe.
musik in rumänien
EurovisionSangerduo
Recherchiert man, wie rumänische Musik unter google präsent ist, stößt
man schnell auf den diesjährigen Eurovision-Beitrag Rumäniens Playing With Fire von Paula Seling & Ovi und wird nicht umgehauen: diese internationalisierte, harmlose Massen-Dancemusik überrascht nicht. Dargeboten von Weiblein und Männlein, beide getrimmt auf Wow!-Gestalten, sie in schwarzem Catsuit. Im Jahr zuvor repräsentierten drei sexy Ladys Rumänien. Geht man ins Jahr 2008 zurück, macht man einen Quantensprung: verträumt-romantisch (weißes Piano am Meeresstrand), soft,
süß, säuselnd, keine Dance-, sondern Träummusik, wieder Weiblein und
Männlein.
Plimba�ri
Nocturne
mit
Cioran
Zum Schluss noch ein Sprung in eine ganz andere Klangwelt mit rumänischen Ingredienzen. Als Geschenk für die Kulturhauptstadt 2007 Hermannstadt/Sibiu komponierte Franz Koglmann ein achtsätziges Werk
für Kammerorchester und Trompete/Flügelhorn. Der Clou: die Tonbandstimme des Rumänen Emil Cioran wird zugespielt. Cioran war ein genial
zweifelnder philosophischer Kopf. Koglmann taufte sein Werk Nocturnal Walks, weil Cioran die Hermannstädter Stadtpfarrkirche umkreiste,
wenn ihn die Schlaflosigkeit quälte. Der Nachtwanderer nahm eben jenen zehnminütigen Weg dorthin, den ich so oft langspazierte, in zweifellosem Sonnenlicht, unter ausgeschlafenem Himmel.
Koglmann griff zurück auf Haydns 27. Sinfonie, die Hermannstädter Symphonie (leider nur nach ihrem Fundort in der Nähe von Hermannstadt so
benannt). Das Orchester zieht sich zurück, wenn Ciorans Stimme aus
einem Interview zugespielt wird, und hinterfängt sie mit einem elitären,
sphärischen Klanggewebe. Cioran erzählt lebhaft mit sympatischer
Stimme, etwa, dass man ihn als Möchtegernskeptiker einschätze, oder
er plaudert von seinem täglichen Umgang: »Ein Skelett gehörte zu
meinem täglichen Leben … Der Tod war das tägliche Leben und kein
Argument gegen das Leben. Und die Schule interessierte mich nicht.«
»Die Schriftsteller, die ich am liebsten habe, sind diejenigen, die in dem,
was sie schreiben, ein wenig unverschämt sind.« Koglmann setzt JazzAkzente und harte Schnitte im Gedanken an die Ambivalenz, die Cioran
prägte. Nach der halben Stunde Musik ist man ein wenig gebildeter,
freut sich Dirigent Peter Burwik.
Die Uraufführung fand in der evangelischen Stadtpfarrkirche im Mai
2007 statt. Hermannstadt schmückt sich auch mit einer Philharmonie
(Schauplatz für das Oskar-Pastior-Festival 2009) — und des Rumänen
Pastiors Lyrik trägt eine innere Musik, aber spannend ist vor allem die
evangelische Stadtpfarrkirche: Sie bot Kreissägen im Zwiegesang mit
der Orgel oder die beglückende Reihe Musik aus der Stille (Winter 2010),
unter anderem mit dem Perkussionisten Andrei Marcovici. Auf musikalischem Terrain hat Rumänien eine Menge zu bieten, nicht nur singende Pinguine.
Alexander B l nescu
Ada Milea
Inna
frischwasser fur
die ukrainische
pavlo
world music nechytaylo
83
p heft N 12 musik
folk in der ukraine
olaf kuhl
[Ubersetzung
aus dem
ukrainischen]
N
achdem sie wie durch ein Wunder unabhängig geworden war,
ging die Ukraine auf die Suche nach ihrer Identität. Mit unbändiger kindlicher Begeisterung tauchten die Bürger der Ex-USSR in
die vor kurzem noch verbotenen Schichten der eigenen Geschichte, Literatur, Ethnografie und Musik ein. Anfang der 1990er Jahre
eigneten sich die Ukrainer ihre Nationalhelden und vergessenen
Schriftsteller wieder an und entdeckten nie gesehene Dinge, Bücher
und Dokumente. Ein mächtiger humanistischer Tsunami ging über das
gigantische Territorium zwischen Karpaten und Don hinweg, dessen
Bewohner niemals zuvor eine solch allumfassende Freiheit erlebt hatten. Das spannendste Feld für Entdeckungen und Experimente war damals die Volksmusik.
Dieses auf den ersten Blick harmlose musikalische Genre war jahrzehntelang in den Schraubstock des Internationalismus gespannt gewesen.
Die Nation im Format einer »Union der Republiken« hatte allenfalls auf dekorative Kennzeichen Anspruch, die einer strengen Filtrierung im Kreml
unterlagen. Unter diesen Bedingungen war sogar ein so lebendiger Organismus wie die Folklore einer drakonischen Kontrolle und Selektion
unterworfen. Dadurch entstand ein spezielles Subgenre, der »folkus sovieticus«. Dieses Labor-Surrogat zeichnete sich durch wirklichkeitsfremde Interpretationen von Liedern, Melodien und Instrumenten aus und
erinnerte insgesamt eher an eine Operette oder an Hollywoodkomödien der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts über exotische Länder. Gewiss gab es erfreuliche Ausnahmen im Werk von Wladimir Iwasjuk oder
Nina Matwijenko, doch insgesamt wurden die Folklore und ihre Ableger
strengstens kontrolliert.
Kein Wunder, dass in den ersten Jahren der Unabhängigkeit Tausende
von Enthusiasten in die Dörfer, zu den Trägern der Folklore aufbrachen
und zu fixieren versuchten, was übrig geblieben war. In der Folge wurden
die Materialien der ethnografischen Expeditionen publiziert, bildeten
sich Ensembles und Gruppen für traditionelle Musik. Auch Mischformen
aus Folklore und modernen Stilen ließen nicht lange auf sich warten. Als
Lobby für die World Music (noch bevor sich dieser Terminus im Musikjournalismus durchsetzte) fungierte ukraineweit das Wettbewerbs-Festival Tscherwona Ruta. Unglaublich, aber wahr ist, dass in dieser Zeit
das Festival für die meisten jungen Musiker die einzige Möglichkeit war,
zu spielen und populär zu werden. Die Bedeutung von Tscherwona Ruta für die musikalische Entwicklung in der Ukraine ist kaum zu überschätzen. Ihre Urheber verfolgten ehrgeizige Pläne: Sie wollten ein konkurrenzfähiges Produkt von Weltniveau auf der Grundlage von traditioneller Musik und zeitgenössischer Stile schaffen. Diese Aufgabe haben
sie großartig gelöst. Innerhalb von zehn Jahren haben die Teilnehmer
— sprich, die junge ukrainische Musik — den Weg vom Arrangement
von Volksliedern für die akustische Gitarre über den Folk-Rock zum Ethno-Jazz und der Ethno-Elektronik zurückgelegt. Einige der Sieger von
damals haben durchaus Weltniveau und könnten beim Weltboom der
Ethnomusik sicher mitmischen. Ihr Erfolg in der Ukraine ging einher mit
dem wachsenden Masseninteresse an der World Music in Europa und
Amerika. Es gab jedoch mehrere Gründe, die sowohl den Prozess der
Integration in das planetare Showbusiness als auch das banale Überleben als Interpretengruppe in der Heimat erschwerten. Hier existierte
weder damals noch heute eine Infrastruktur für einen konkurrenzfähigen Markt. Ethnoorientierte Medien, Lables, Promoter oder Klubs sucht
man bis heute vergebens. Die Hauptströmung des ukrainischen Showbusiness ist damals wie heute die Popmusik. Über die Popmusik in der
Ukraine wäre viel zu sagen, jedenfalls ist sie bestimmt nicht das, was
sich der durchschnittliche Europäer darunter vorstellt. In der Popmusik
sind einerseits die Dinosaurier der sowjetischen Szene, andererseits
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p heft N 12 musik
miserable Kopien des R’n’B und Sex-Dienste vertreten, die den musikalischen Schirm nutzen, um reiche Kunden anzulocken. Andere Musikströmungen stehen im Abseits von Geld und Ruhm.
Doch auch wenn es bis heute an einer Infrastruktur des Showbusiness
für die World Music in der Ukraine mangelt, ist doch festzustellen, dass
sich die Situation im Vergleich zu den 90er Jahren durchaus verbessert
hat. Dies ist drei Faktoren zu verdanken: den Festivals, den Klubs und
dem Internet. Seit dem Sommer 2004 gibt es in der Ukraine große OpenAir-Festivals nach dem Vorbild von Woodstock, jedoch mit ausschließlicher Ausrichtung auf Folkmusik. Die ersten und bis heute einflussreichsten sind Kraina Mriy [dt. Land der Träume] und Sheshory. Das war ein
Strom von Frischwasser, der sich in das abgestandene Meer der Folkmusik ergoss. Die Festivals machten nicht nur einheimische Projekte bekannt, auf ihnen waren auch Weltstars wie Natacha Atlas, Hedningarna,
Fanfare Cioca�rlia oder Transglobal Underground zu Gast. Die Festivalbewegung brachte das Blut der alten Genre-Vertreter in Wallung und
begünstigte das Auftauchen neuer Interpreten. Dank dem Internet ist es
möglich geworden, einen Stil außerhalb von Radio, Fernsehen und Presse populär zu machen. Obwohl es sich die großen Medien natürlich nicht
leisten können, bei Events, zu denen Zehntausende von Besuchern strömen, abseits zu stehen.
Diese Geburt der Event-Bewegung vollzog sich vor dem Hintergrund
der sich bessernden wirtschaftlichen Situation in der Ukraine. Die Menschen konnten jetzt auch an andere Dinge denken als nur ihr täglich
Brot, sie konnten Musik hören und gaben dafür Geld aus. Und auch wenn
die Beschäftigung mit World Music keine großen Profite versprach,
schien dieser Stil doch Perspektiven zu bieten. Zumal die Ukraine bei
Ausbruch der Ethno-Festival-Bewegung schon Stars dieses Genres
hatte, die im Ausland recht populär waren: Roman Grynkiw, Virtuose
der Bandura und innovativer Musiker, hatte ein Album mit Al Di Meola
aufgenommen; die Gruppe Gajdamaki kehrte nur in die Ukraine zurück,
um sich von ihren endlosen Auslandstourneen zu erholen; das fantastische Quartett DachaBracha hatte eine eigene, unnachahmliche Fusion entwickelt, in die traditionelle Vielstimmigkeit und vielfältige EthnoInstrumente eingingen; Zavoloka ist das Projekt einer jungen Frau, die
innovative elektronische Klänge produziert und sie unmerklich mit dem
Gesang alter Frauen unterlegt. Diese ukrainischen Interpreten haben
ihre Auslandserfolge ausschließlich sich selbst zu verdanken, denn im
Allgemeinen ist der ukrainische Sektor der ethnischen Musik international recht schwach vertreten. Daran sind die Ukrainer allerdings selbst
schuld. Die Virtuosen des Gutturalgesangs aus Tuwa zum Beispiel haben ohne jede externe Unterstützung den Planet erobert, man kennt sie
überall. Unter den hunderttausenden Einwohnern von Tuwa ist jeder
Zweite ein erfolgreicher Musiker. Die Ukrainer sind nicht weniger talentiert, nur weniger leidenschaftlich. Angesichts der äußerst reichhaltigen
Musiktradition ist die Anzahl der Musiker umgerechnet auf die Bevölkerung eher gering, und erfolgreich sind davon noch weniger. Den Interpreten mittleren Niveaus gelingt es einfach nicht, eine höhere Stufe zu
erreichen und im Inland ein konkurrenzfähiges Feld zu schaffen. Dabei
stürmen sie schon heute die großen Festivals im Ausland und die Bühnen der Klubs. Mutige und zielstrebige Musiker gibt es in der Ukraine zwar,
doch erreichen sie nicht die kritische Masse.
folk in der ukraine
Dennoch gibt es Vorbilder, die nachzuahmen ein aussichtsloses Unterfangen ist. Die Ukraine hat ihre eigene Yma Sumac — die einzigartige
Sängerin Katya Chilly. Sie verfügt über die Stimme einer Sirene und
deckt spielend vier Oktaven ab. Sie hat mit elektronischen Arrangements begonnen, hat Volkslieder durch die Schmiede des Jazz getragen und arbeitet gegenwärtig an einem halb-akustischen Programm.
Ihre Art der Darbietung des folkloristischen Materials ist mehr als einfach nur Musik.
Leider aber versuchen erfolgreiche Interpreten nur selten, eine eigene
Schule zu bilden und Anhänger zu gewinnen. Das ist ganz bezeichnend
für die ukrainische World Music. Während die Kubaner, Brasilianer, Tuwen und Malaysier versuchen, die Erfahrung ihrer Musiker nachzuahmen, sie mit neuem Sinn zu füllen und zu vervollkommnen, denkt jeder
Ukrainer nur daran, wie er einen eigenen Stil begründen kann. Wenn
das Spiel des egoistischen Nihilismus zu Ende ist, werden den erfolgreichen Playern auf dem musikalischen Feld andere, jüngere nachrücken,
und letztlich wird die Balance auf der Grenze zwischen eigener Tradition und ausländischer Klassik zum Entstehen einer ukrainischen Nische
der zeitgenössischen Ethnomusik führen.
DachaBracha
Zavoloka
virale vibes die
alternative musik
maksim
in belarus zbankou
sucht
nach ihrer
zukunft
87
p heft N 12 musik
alternative musik in belarus
thomas weiler
[Ubersetzung
aus dem
ukrainischen]
Wer weiß was über belarussischen Pop? Vielleicht ist schon mal jemand in ein Club-Konzert des EthnoTrios Troitsa geraten. Oder hat den Rock ’n’ Roll-Klängen der ehemals verbotenen und inzwischen rehabilitierten Band N.R.M. gelauscht. Die neue belarussische Musik ist jedoch zunehmend unpolitisch, sie ergeht sich lieber in erlesener Dekadenz oder konzeptuellen Experimenten.
Ein
Dandy
auf
geistigen
Hohenflugen
E
in kurzgewachsener Mann tritt ans Mikrofon: Die E-Gitarre vor dem
Bauch, schwarzer Anzug, weißes Hemd. Er sieht aus wie einer der
frühen Beatles, dem seine Kollegen irgendwo abhanden gekommen sind. Mit wippenden Stirnfransen singt er schräge Lieder über
Orientierungslosigkeit, blinde Spiegel, Leni Riefenstahl oder die
Wölfe auf den Hügeln und moduliert dabei gekonnt zwischen Flüsterton und Geschrei. Auch seine Gitarre beherrscht die gesamte Palette von sanftem Geklimper bis Schlagbohrmaschine. Sergej Pukst ist der
erste (und einzige) Punk-Jazzer in der belarussischen Hauptstadt. Zu erleben ist er sporadisch in Clubs und in Kunstgalerien. Dort spielt er vor
drei bis zwanzig interessierten Zuhörern.
Pukst ist Musiker in der dritten Generation. Sein Großvater war ein berühmter Komponist der Sowjetära, seine Eltern gaben Klavierunterricht.
Aber der experimentelle Künstler mit dem abgebrochenen Musikstudi-
um macht alles andere als die Musik, die ihm an der Wiege gesungen
wurde. Der kräftige Avantgarde-Rock mit Anklängen an John Zorn, Marc
Ribot und die sowjetische Popmusik der 1930er gekreuzt mit Queen
und James Brown konnte nur im Kopf eines Intellektuellen aus der düsteren Epoche entstehen, in der man dem Sowjetimperium beim Sterben
zusah. Puksts verschlungene und paradoxe Gedankengänge sind mit
Zitaten versetzt und provozieren gemeinhin. Seit seinem ersten Solokonzert mit 14 Jahren ist er unverändert der Auffassung, man dürfe das
Publikum nicht schonen oder gar bedauern: »Gegenkultur ist für mich
eine ästhetische Kategorie. Ich bin die Gegenkultur, wenn man so will.
Denn ich gehe in kreativer Hinsicht den kleinstmöglichen Kompromiss
gegenüber dem Zuhörer ein. Meine Aufgabe ist, meine Gedanken so klar
wie möglich vorzutragen und sie nicht durch potenzielle Publikumserwartungen verfälschen zu lassen.«
89
Max Siry (RockerJocker)
Mikhei Nosorogow (RockerJocker)
p heft N 12 musik
alternative musik in belarus
Die klassische Pose des europäischen, vom ästhetischen Wert all seiner Gesten zutiefst überzeugten Avantgardekünstlers, ist hier nicht zu
übersehen. Nur klingt so ein Statement seltsam in einem Land, das
schon für einen anderen autoritären Charismatiker fernab der Musikwelt bekannt ist. Mit dem aktuellen belarussischen Regime, das sich auf
allen Gebieten, von der Politik bis zum Musikfestival, stilistisch an der
Kolchose orientiert, ist eine experimentierfreudige Avantgarde schlechterdings nicht vereinbar. Und die komplexen pukstischen Kompositionen gehen nicht nur an der gegenwärtigen Kulturpolitik vorbei, sondern
auch am Geschmack des Massenpublikums. Das orthodoxe System
der musikalischen Bildung, die unterentwickelte Clubszene, das rückständige Kulturmanagement und die Abschottung gegen westliche Gegenwartskünstler verhindern die Herausbildung eines wahrhaft kreativen, weltoffenen Milieus. Dabei könnte dieses neue Künstler generieren — und neue Hörer. Und sie auch noch zusammenbringen.
Pukst ist kategorisch in seinen Urteilen: »Hier gibt es keinerlei Vernetzung. Künstler machen hier ihren Weg außerhalb einer wie auch immer
strukturierten alternativen Szene, und sie sind dabei eigenständiger als
in Berlin oder Moskau. Aber ihr Weg führt ins Nichts. Da erscheint zum
Beispiel ein neues Album von mir. Der Sumpf macht einmal Blubb und
ist dann wieder so still wie zuvor. Nach dem Konzert applaudiert das
Publikum, das wars, das kannst du erreichen. Das musst du festhalten,
dir ein Mädchen schnappen und es mit nach Hause nehmen. Als greifbaren Beweis für deinen Erfolg.«
Nichtverständigung mit dem Publikum ist für den »orthodoxen Avantgardisten« Pukst kein Problem, sondern im Gegenteil Grundlage seines
tragischen Stolzes: „Das Segment der intellektuellen Musik existiert bei
uns praktisch nicht. Der Frosch in der bekannten Geschichte hat gestrampelt, bis die Milch zu Butter geworden ist und er den Absprung
geschafft hat. Ich strample in Wasser, da wird nie Butter draus. Und ein
Absprung ist nicht in Sicht. Es geht einfach darum, nicht unterzugehen
…«
Der begabte, an der »hohen« Kultur geschulte Künstler kann und will das
Publikum nicht sehen. Dem hiesigen Publikum wiederum, dem die Tradition der westlichen Avantgarde kaum vertraut ist, erscheint die seltsame Musik unverständlich und damit uninteressant. Dieser Fall ist typisch für die belarussische Gesellschaft, die auch nach über zehn Jahren noch nicht über die Anfänge der sozialen Transformationen hinausgekommen ist.
schuhe, Köfferchen für Pistolen und das gute Wässerchen vom Lande,
Schellackplatten, französisches Kauderwelsch und aufreizende rote
Schlüpfer mit weißen Punkten … Ein Koffertheater, eine Show der Verschleppten, Patchworkfolklore, die mit buntem europäischem Retro die
farblose Stadtlandschaft aufmischt.
Anfangs bezeichnete Swadba ihren Stil noch schamhaft als »VorortChanson«, dann verpasste man sich das Label Freak Cabaret Band.
»Ich bin ein Cabaret-Mensch, auch abseits der Bühne«, erklärt Benka.
»Das Cabaret, besonders das französische, hat eine wunderbare Qualität — es ist leichte Muse. Und es nimmt auch das Leben leicht, ist positiv und lebensbejahend. Was wir auch tun, es fällt immer irgendwie exzentrisch aus.«
Deshalb passte das Freakige, das auf der Bühne geschah und erklang,
nicht ins typische belarussische Pop-Schema, sondern hob sich wohltuend davon ab. Der Freak-Aspekt ist in jüngster Zeit von den Konzertplakaten verschwunden. Dafür haben die Musiker eine simple Erklärung.
Freakig sein heißt auf Effekte zu setzen und am Rande des Zulässigen
etwas zu riskieren. Der aktuelle Swadba-Kurs geht aber eher in Richtung zart und kuschelig oder verspielt dekadent.
Doch selbst in dieser entschärften Version ist die »Gruppe der wunden
Seelen und zerrütteten Nerven«, wie Benka die Band dem Publikum
gern vorstellt, eine Anomalie im belarussischen Showbiz. Welche geleckte Popdiva würde es wagen mit todernster Miene zu singen: »Ich
werfe mich für dich in Schale, du siehst nur dein Pokalfinale«? Dieses
demonstrative Daneben und die erschütternde Ehrlichkeit sind das eigentliche Geheimnis des Swadba-Erfolges. Die Retro-Träumer würden
ohne lange nachzudenken dem Nächstbesten ihr Westentaschen-Paris überlassen. Damit auch er sein kleines Frankreich hat.
Die aufmüpfigen und anrührenden Swadba-Lieder klingen wie Briefe
aus einem anderen Leben. Und die Helden dieser Lieder — Immanuel
Kant die Pelzratte, der struppige Hund Baskerville, die kühnen Piloten
oder die verträumten Mädchen in ihren wattierten Mänteln — kennen
den Weg dorthin. Das alles ist reichlich infantil und simpel. Dafür kommt
es ehrlich rüber und ist für alle zugänglich. Und, nicht zu vergessen, hier
kann man nirgends Anstoß nehmen. Wer wollte denn mit Kuscheltieren
streiten?
Swadba inszeniert gekonnt die professionelle Flucht in eine Fantasiewelt. Ihr Programm ist ein Hybrid aus Solotheater, Straßenzirkus und
exzentrischem Poetryslam. Aus diesen so unterschiedlichen wie bunten Zutaten wird vor den Augen des Publikums die Flickendecke fürs
Paris
Kinderzimmer geschneidert. Unter ihr ist es gerade auch für diejenigen
fur
schön warm, die genug haben von der großen Politik und die längst
die
nicht mehr an das schnelle Glück des loyalen Wählers glauben. Unser
Westentasche
Teile der Bohème, denen die Rolle des unverständlichen Künstlers nicht Cabaret lebt in blumigen Träumen und denkt gar nicht daran aufzuwagefallen will, entscheiden sich für den Zirkus. Zum belarussischen Ex- chen.
portschlager aus dieser Ecke entwickelte sich in den vergangenen Jah- Marktgerechte
ren die musikalisch-lyrische Clownerietruppe Serebrjanaja swadba.
Buletten
Sieben Akustikinstrumente (Banjo, Bajan, Geige, Kontrabass, Schlag- In der Minsker alternativen Szene tummeln sich aber auch Gestalten,
zeug und Bläser), dazu die unvergleichliche Frontfrau Swetlana »Benka« die sich weniger leicht einordnen lassen.
Ben, professionelle Regisseurin und Mädchen mit der Ziehharmonika in »Schon komisch, hier gelten wir als abstoßend und vulgär, in Moskau
Personalunion. Federboas, neckische Hütchen, Schleier, Spitzenhand- und Petersburg sind wir Ästheten.« Der schwergewichtige Michej No-
-sogorow
90
p heft N 12 musik
alternative musik in belarus
No-
sorogow (Gesang, Ukulele, Texte und Musik für das Duo RockerJocker)
scheint ehrlich überrascht. Nach einem gewaltigen Sprung im vergangenen Jahr vom derben Akustik-Chanson zum raffinierten Clubsound
im Stile des späten Tom Waits, hat Nosorogow seine Erfolgsformel gefunden und seine marginalen (quasi)musikalischen Erfahrungen in ein
kommerzielles Produkt umgewandelt. Er gesteht freimütig ein, dass
sein Partner Max Siry (Akkordeon, Backvocal, musikalische Leitung) für
ihn der Ausweg aus der Sackgasse Solokarriere war: »Ich habe kapiert:
Das Hackfleisch hast du. Gut ist es auch, schön blutig. Nichts wie ran
ans Bulettenbraten. Aber allein hab ich das nicht hinbekommen.« Entscheidend waren also die Unzufriedenheit mit sich selbst und der Drang,
sich qualitativ zu verbessern. Beides Beweggründe, die in der Minsker
Szene sonst kaum zu finden sind.
Der Nosorogow aus der Zeit vor RockerJocker war ein Diplom-Designer, der mit den Beatles, Wyssozki und den Sex Pistols groß geworden
ist. Eine so dreiste wie hoffnungslose Bewerbung um den Status des
Kultigen: kaputte Stimme, verstimmte Akustikgitarre, nervige Texte in
der Tradition der poètes maudits von Rimbaud bis Majakowski, hohe
Vulgarismendichte und Sehnsucht nach dem blauen Himmel. Ein Undergroundkünstler, wie ihn sich die Absolventen der hiesigen Kunsthochschulen vorstellen. Mit immer neuen holprigen Blues-Stücken und
unrunden Balladen, zum Besten gegeben vor zweieinhalb Fans, für die
er der Größte war, so hätte es noch lange feucht und fröhlich weitergehen können. Fernab des »normalen« Publikums und ignoriert von der
angewiderten lokalen Musikkritik, die sich an derlei »Müll« nicht die Finger schmutzig zu machen gedenkt.
Nosorogow und Siry haben einen anderen Weg eingeschlagen. Dafür
musste das jüngste Projekt zunächst einmal legal sein. Also wurden die
Texte von zensurgefährdetem Vokabular gereinigt. Dann ließ man den
rauen Underground-Sound leicht frisieren, bis er satter und prägnanter
daherkam. Und schließlich hieß es Abschied nehmen von der für Undergroundkünstler so charakteristischen Eigenliebe und der Begeisterung
für das Undergroundige. Schluss mit billigen Tricks und großen Posen.
Neues Arbeitsmotto: »Gejammert wird nicht!« Und dann noch die Suche nach dem unverwechselbaren Stil: minimalistisches akustisches
Chanson, formell volksnah, dabei mit Sinn fürs Ästhetische. Zuletzt
muss einem dann nur noch sein Publikum ans Herz wachsen, man bediene sich dabei aus den vielen Schubladen der globalen alternativen
Musik, die in diesen Breiten noch weitgehend unbekannt sind. »Wir
wollten ein Projekt machen und es dann verkaufen. Aber wir verkaufen
tatsächlich etwas, das uns selbst ganz gut gefällt!«
Wie jedes ernst zu nehmende Pop-Erzeugnis funktioniert auch RockerJocker auf mehreren Ebenen gleichzeitig. Die Fans des radikalen Cabarets lächeln beglückt über Anklänge an Tom Waits und die Tiger Lillies.
Freunde des Konzeptprogramms wissen die raffinierten Texte und die
provokant vernachlässigte Imagepflege des Duos zu schätzen: »Wir gehen so auf die Bühne, wie wir auf der Straße unterwegs sind. Trotzdem
kriegen wir noch zu hören, dass wir doch ganz schön extravagant sind.«
Und die neue Mittelschicht, die auf allen In-Partys zu Hause ist, erkennt
den Rhythmus der Straße wieder und lässt sich mit rotzigen Strophen
über Cunnilingus und Fellatio ködern.
Sicher, diese Musik wird auch immer wieder angefeindet, von pedantischen Ästheten genauso wie von Rockern alter Schule (den deftigen
Straßenslang aus seiner Solozeit hat man Nosorogow noch immer nicht
verziehen). Und, ja, diese Musik passt überhaupt nicht ins gewohnte
Bild der Lieder aus Lukaschenka-Land. Aber genau das macht ihren
Charme aus. RockerJocker ist ein Club-Projekt, das bei In-Veranstaltungen genauso erfolgreich laufen kann wie in Kunstgalerien oder nächtlichen Vorortzügen. RockerJocker reißt die Grenze zwischen hoher und
nicht ganz so hoher Kultur ein. Das Duo verwandelt kulturellen Müll und
die Schlacke von der Straße in ein künstlerisches Faktum. Es riskiert
etwas. Und das ist aller Ehren und Sympathien wert.
Sandkasten
statt
Barrikade
Hochmütige Gleichgültigkeit gegenüber dem Publikum (Pukst), RetroRummel mit Auslandsspielereien (Serebrjanaja swadba) und die Erfindung einer neuen, publikumswirksamen Sprache (RockerJocker) sind
die Hauptstrategien des belarussischen Undergrounds. Und bei allen
Unterschieden der Musiker gibt es doch drei verbindende Elemente:
künstlerische Vorbildung, Sympathie für musikalische Nachlässe und
unpolitische Grundgesinnung.
Gerade der letzte Punkt verdient besondere Beachtung. Die Musik jenseits der gängigen Formate erwächst in Belarus aus einem neuen Verständnis der Realität nach der Präsidentenwahl von 2006. Damals hatte
Lukaschenka sich selbst eine weitere Amtszeit zum Geschenk gemacht
und die Hoffnung auf eine farbige Revolution in Belarus zerschlagen. Zu
dieser Zeit hatte sich auch der Protest-Rock als politisch-agitatorische
Ressource auf Oppositionskundgebungen erschöpft. Mit dem Ende
der globalen politischen Konfrontation verschob sich folgerichtig auch
das Interesse der alternativen Kultureliten hin zu privaten Initiativen. Nosorogow sagt unverblümt: »Ich will keine Revolution. Ich will keine Ideologie und auch keinen neuen starken Mann. Keiner will weiter auf ein
Wunder warten. Deshalb schauen wir nicht mehr zum Himmel, sondern
in die Runde. Und da sehen wir den großen Sandkasten, der nur auf
Samenkörner wartet. Was du säst, das wächst dann auch. Ich will hübsche Mädels sehen und normale Jungs, die hinter ihnen her sind. Diese
Atmosphäre will ich schaffen und erhalten. Da fühle ich mich wohl. Und
der Sandkasten hat mit Revolution rein gar nichts zu tun. Gut, er hat seine Grenzen. Aber was ist so schlimm daran?« Die alternative Musik in
Belarus ist heute eine Musik der sozialen Stagnation. Sie produziert virale Vibes in einer geschlossenen Gesellschaft, die sie unmerklich von innen heraus verändern.
Serebrjanaja Swadba
todar bunt in
weissrussland
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Wechselhaft
thomas
weiler
Das Chamäleon verfügt über die seltene Fähigkeit, seine Farbe zu wechseln. Todar trägt das glatte, braune Haar schulterlang, gern hinter die
Ohren geklemmt, dazu einen Vollbart, der diesen Namen auch verdient.
Markantestes Element seiner Garderobe sind die leuchtend roten Turnschuhe. Das war jedenfalls der Stand bei Redaktionsschluss. Und Aussagen über Todars äußeres Erscheinungsbild haben traditionell eine
überschaubare Halbwertszeit. Auch als Musiker lässt sich Todar kaum
in einer Schublade unterbringen. Studiert hat er Klarinette und Gesang,
in seinen diversen Bandprojekten ist er aber auch als Saxophonist, Gitarrist, Pianist oder Percussionist in Erscheinung getreten. Auf den frühen Alben der damaligen belarussischen Kultband KRIWI beschränkte
man sich bei der Rolle Todars (aus Platzgründen?) auf die schlichte Auskunft: Multiinstrumentalist. Zumindest stilistisch schien er in seinen Anfängen bei Pałac und KRIWI einigermaßen festgelegt zu sein auf traditionelle weißrussische Gesänge in Kombination mit modernen Elementen
aus Pop und Dance — Kehlgesang und Drehleier treffen auf Loops und
Synthesizer. Aber auch auf die Ethnopop- oder Neofolk-Ecke wollte sich
Todar nicht festnageln lassen. Mit seinem WZ-Orkiestra beglückt er die
Fans seit 2002 mit mindestens einem neuen Album pro Jahr. Und kommt
dabei reichlich herum in der Welt der Stile — neben folkloristischen Klängen finden sich auch Chansons, Countrymusik, Rock ’n’ Roll, Balladen
und Wiegenlieder. Kennt dieser Mann eigentlich auch unveränderliche
Kennzeichen? Todar singt Lyrik.
Todar [Тодар] Źmicier Vajciuškievič [Зьміцер Вайцюшкевіч]; *1971; prominenter belarussischer Liedermacher und Weltmusiker. www.todar.net
KRIWI [Крыві] 1996 in Minsk gegründete Newfolk-Band, 1997-2001 mit Todar.
Pałac [Палац] 1992 in Minsk gegründet, 1992– 98 mit Todar.
WZ-Orkiestra [Усход-Захад Аркестар] 2001 von Todar begründetes Weltmusik-Ensemble, Ost-West-Orchester.
Miesiac i Sonca dt. Mond und Sonne.
Nioman [Нёман] Fluss in Belarus, Litauen [Nemunas] und Russland/Kaliningrad [Неман], dt. Memel.
Rafał Wojaczek 1945 –1971; polnischer Poète maudit.
schreiben«, sagt er lachend. Deshalb ist er im Ausland eigentlich immer
nur unter seinem Pseudonym unterwegs, einer belarussischen Variante
des Namens Theodor. In Japan wird man sich auch glücklich geschätzt
haben, den weit gereisten Gast als Todar-san begrüßen zu dürfen.
Weitsichtig
Das Chamäleon verfügt aufgrund seiner Augenstellung über ein extrem
weites Gesichtsfeld. Masako Tatsumi, japanische Slawistin, Gründerin
und Leiterin des Japan-Zentrums in Minsk, hat Todars Blick für ihr Heimatland und seine Musik geöffnet. Aus Masakos russischen Interlinearversionen zehn bekannter japanischer Volkslieder hat der Lyriker und
Liedermacher Aleś Kamocki belarussische Gedichte geschaffen, die
Todar mit seinem WZ-Orkiestra dann musikalisch interpretieren konnte.
Der Name des Orchesters ist Programm — WZ steht für Ost-West. Und
Todar hat sich beim östlichen wie beim westlichen Nachbarn von Belarus je einen Lyriker ausgesucht, der zu seinen Lebzeiten polarisiert und
provoziert hat und von dem er sich musikalisch herausgefordert sah.
Das Album mit Vertonungen von zwölf Gedichten des Russen Wladimir
Majakowski ist 2005 erschienen und prompt als beste Majakowski-Vertonung ausgezeichnet worden. Die Lieder nach Versen des Polen Rafał
Wojaczek waren bislang nur bei Konzerten zu hören, eine Einspielung
ist aber in Planung. Um die belarussische zeitgenössische Lyrik hat Todar sich mit seinen Alben über Leanid Drańko-Majsiuk, Aleś Kamocki,
Ryhor Baradulin, Uładzimier Niaklajeu�, Hienadź Burau�kin oder Michał
Aniempadystau� ohnehin verdient gemacht. Nun wartet er noch auf eiZungenfertig
Das Chamäleon kann seine Zunge mit erstaunlicher Geschwindigkeit nen aufgeschlossenen Musikerkollegen aus Polen, Russland, Litauen,
herausschleudern. Todar singt Belarussisch. Und Russisch. Und Pol- Lettland oder der Ukraine, der den Blick über die Grenze wagt und seinisch. Und bei der Japan-Tournee zum Album Miesiac i Sonca (2005) nerseits belarussische Lyrik in Töne fasst.
sogar ein bisschen Japanisch. Ukrainisch, Englisch und Französisch Schutzenswert
könnte sich Todar auch noch gut vorstellen. Aber das Belarussische ist Das Chamäleon ist in seinem natürlichen Lebensraum gefährdet und
seine Sprache, die er auch im Alltag pflegt. Er stammt ja aus der bela- steht unter Artenschutz. In Todars Karriere gab es eine Phase, in der er
russischen Provinz, aus dem Städtchen Biarozaŭka, das im Westen des auf der »schwarzen Liste« stand, wie er selber sagt. Im Fernsehen war er
Landes am Nioman gelegen ist. Und bei aller Weltläufigkeit und allen plötzlich nicht mehr zu sehen, Veranstalter für Konzerte wandten sich
Tourneen ist ihm diese Region immer wichtig geblieben. Hier hat er sich ohne Angabe von Gründen ab. Wer sich in Belarus als öffentliche Perauch ein altes Gehöft gekauft, das sein liebster Rückzugsort ist, er nennt son der belarussischen Sprache bedient, steht schnell unter besondees Vajciuški. Todar heißt nämlich mit bürgerlichem Namen Źmicier Vaj- rer Beobachtung. Und wer darüber hinaus zu sensiblen Themen wie
ciuškievič. Aber welche nichtslawische Zunge brächte diesen Namen Abschaffung der Todesstrafe, Gewalt in Familien oder Erhalt des Biaschon flüssig heraus? »Die Deutschen brauchen für Wajzjuschkewitsch łowieża-Urwaldes Stellung bezieht, muss ein Überzeugungstäter sein.
17 Buchstaben, das kannst du ja kaum aussprechen, geschweige denn Das Chamäleon stammt ursprünglich aus Ostafrika. Vergleiche hinken.
mit
dem
lied
um die welt
musikleben birgit
in lettlandjohannsmeier
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ter August 1989. Es ist Mittwoch, warm, sonnig — und doch
kein Spätsommertag, wie jeder andere. Punkt 19 Uhr dröhnt
aus hunderttausenden Transistorradios die Ballade von den
drei Schwestern, die am Meeresufer erwachen, um ihre Ehre
zu verteidigen. Gesungen wird dreisprachig: »Estland, Lettland und Litauen.« Für mehr als 2 Millionen Menschen im Baltikum ist dieser Refrain das Signal, einander an die Hand zu nehmen.
Sie sind zu Fuß, mit dem Auto oder im Bus an die Via Baltika gekommen.
Viele rollen ihre verbotenen Nationalflaggen aus. Ints Teterovskis ist an
diesem Tag mit dem Fahrrad unterwegs. Hand in Hand will der 16-jährige in der 650 Kilometer langen Menschenkette stehen, die von Estland
über Lettland nach Litauen reicht. Alle kennen nur ein Ziel: Am 50. Jahrestag gegen den Molotow-Ribbentrop Pakt zu protestieren. »Das waren geballte Emotionen«, meint Ints Teterovskis, der mit seinen Freunden am Stadtrand von Riga lettische Freiheitslieder sang. »Ich hätte in
der nächsten Sekunde sterben können und hätte es mit Stolz getan.«
Mit ihrer singenden Revolution haben sich alle drei Baltischen Länder
nicht nur ihre Freiheit friedlich erkämpft, sondern auch die Herzen der
musikleben in lettland
europäischen Nachbarn erobert. Von den siegreichen Letten, die ihre
Gegner mit einem gemeinsamen Lied in die Flucht schlagen, erzählen
auch schon die Legenden. Denn das Singen, ob in der Familie, unter
Freunden oder im Chor, gehört in Lettland einfach seit Jahrhunderten
dazu, erklärt Ints Teterovskis. Der 16-jährige Freiheitssänger von einst
ist mittlerweile als Dirigent zahlreicher Chöre weit über die lettischen
Grenzen hinaus bekannt und tritt weltweit mit seinem Chor Balsis auf.
Bereits Ende des 19. Jahrhunderts, in der Zeit des Nationalen Erwachens,
als die Letten noch von den deutschen Baronen beherrscht wurden und
zum Russischen Zarenreich gehörten, drückte sich ihre Kreativität vor allem in ihren Liedern aus. Berühmt sind die so genannten »Dainas«, die lettischen Vierzeiler, gedichtet während der Arbeit oder nach Feierabend
von den Menschen auf dem Land. Mit Texten und Melodien haben sie
damals alle Facetten ihres Alltags besungen. Und diese Tradition wollten sie auch beibehalten, als Lettland nach dem Ersten Weltkrieg seine
Unabhängigkeit erhielt. Sofort wurde die Baltenrepublik mit einem Netz
von mehr als hundert Jugendmusikschulen überzogen, die sogar in den
Jahren sowjetischer Besatzung das Singen und Musizieren an den Nach-
-mittagen
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Der lettische Staatspräsident Valdis Zatlers, bei der Eröffnung des Abschlusskonzerts des lettischen Sängerfestes im Juli 2008.
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Nach-
mittagen förderten. Früher begannen die Kinder als Sechsjährige mit
dem Notenlesen, Singen und Dirigieren, heute werden schon die Kleinsten spielerisch an die Musik herangeführt. Solvita Bumbire singt täglich
mit Jungen und Mädchen, wobei sie die Kinder nicht nur für das gemeinsame Singen begeistern will sondern ihnen zum Beispiel auch beibringt, wo die rechte Seite liegt: Solvita Bumbiere singt über den Löffel,
den sie in die rechte Hand der Kinder legt, im nächsten Lied kochen alle Kinder Suppe für Krokodil und Giraffe und füttern anschließend die
Tiere. »Da greift alles ineinander«, sagt Solvita. »Musik, Emotionen und
Gedächtnis und das Kind lernt etwas.« Stolz ist nicht nur Solvita Bumbiere, wenn den Kindern mal der richtige Rhythmus gelingt, auch Mütter, Väter oder Omas freuen sich über die musikalischen Erfolge. Aija
Puriete kommt zweimal in der Woche mit ihrer Enkelin Marta. Sie selbst
stammt aus Skriveri, einem Dorf 80 Kilometer von Riga entfernt. Marta ist zwei Jahre alt und soll wie einst Oma und Mutter nicht nur in der
Musikschule lernen, sondern auch einmal als Chormädchen zum Lettischen Sängerfest gehen. »In unserem Dorf gibt es drei Chöre, die zum
Sängerfest nach Riga wollen. Wir wetteifern mit den anderen Chören
aus der Umgebung darum, wer fahren darf. Egal ob jung oder alt, bei
uns singen und tanzen alle und wollen an diesem Fest teilhaben.«
Das lettische Sängerfest ist ein Gesangsereignis der Superlative und
findet alle fünf Jahre in Riga statt. Eine baltische Tradition, die 1869 im
estnischen Dorpat, dem heutigen Tartu, gegründet worden ist und abwechselnd in Estland, Lettland und Litauen gefeiert wurde. Dieses Symbol nationaler Identität hatten die Kommunisten verboten, aber seit der
Unabhängigkeit hat es wieder einen hohen Stellenwert im Staat.
Auch im Balsis-Chor von Ints Teterovskis stehen alle unter Strom, wenn
ihr Dirigent ihnen das Letzte abverlangt, um sich im Wettstreit mit mehr
als 300 Amateurchören für das große Finale zu qualifizieren. »Es werden
ungeheure Energien freigesetzt, wenn hunderttausend Menschen zusammen singen«, sagt er. »Sie tragen uns.« Natürlich gebe es auch große Gefühle bei Popkonzerten. »Aber dann singen nur 10 Leute und hunderttausend hören zu, bei dem lettischen Sängerfest singen alle zusammen, das ist etwas ganz anderes.« Woche für Woche sind mehr als
vierzig Augenpaare auf den blonden Hünen gerichtet, wenn er mit geschultertem Mountainbike in der Altstadt von Riga zur Chorprobe erscheint. Sogar an kühlen Regentagen lässt sich Ints nur im T-Shirt und
Bermudashorts blicken, weil es im historischen Kellergewölbe der Kleinen Gilde rasch warm und stickig wird. Anders als ihr Dirigent kommen
die meisten Sänger gerade von der Arbeit: Junge Frauen und Männer,
chic gekleidet, in Kostümen oder Anzügen. Janis Alekins ist Verkaufsleiter in einer Holzfirma und kann sich ein Leben ohne den Balsis-Chor
nicht vorstellen. Den ganzen Tag über denke er nur über materielle Dinge nach und über Geld, sagt er. Hier aber könne er sich ausruhen und in
eine andere Welt abtauchen. »Sie können sich nicht vorstellen, wie das
ist, wenn wir ein Lied singen und das Publikum völlig begeistert mitgeht.
Die Leute reagieren so emotional, das verleiht mir Flügel.« Es gebe aber
auch noch einen ganz pragmatischen Grund, weshalb er das Chorsingen liebe, verrät der Manager. Die Reisen ins Ausland. An sich gebe es
in seinem Betrieb eine Urlaubssperre, mehr als 14 Tage am Stück seien für die Mitarbeiter nicht drin. Großzügiger aber gebe sich sein Chef,
wenn es um eine dreiwöchige Chortournee gehe: »Das Chorsingen hat
einen hohen gesellschaftlichen Stellenwert, deshalb lässt mich mein Firmendirektor ziehen.« Chorproben, Konzerte, Auslandsreisen: Viel Zeit
für ein eigenes Privatleben bleibt den Sängern kaum. Deshalb gäbe es
mittlerweile schon fünf Ehepaare, sagt Ints Teterovskis schmunzelnd,
die sich in seinem Chor kennen und lieben gelernt haben. Sobald allerdings Nachwuchs käme, würden gerade Tourneen im Ausland für eine
Weile an den Nagel gehängt. Ints selbst ist unentwegt unterwegs: Mal
dirigiert er das Bach Orchester in Bremen, gibt Seminare in New York
und Toronto oder lädt zur internationalen Meisterklasse in die Lettische
Kleinstadt Ogre ein.
Denn Qualität und Vielschichtigkeit der lettischen Musiklandschaft haben sich längst herumgesprochen. Immer häufiger suchen junge Musiker aus aller Welt den Weg nach Lettland, um sich dort ausbilden zu
lassen. Zum Beispiel bei dem lettischen Altmeister für Neue Musik, bei
Peteris Vasks. Kaum einer versteht es wie er, seine Faszination vom
Rauschen der lettischen Wälder, dem ersten Schrei der Nachtigall oder
dem flirrenden Licht über der ruhenden Ostsee in Töne zu fassen, um
bewegende Klangbilder zu schaffen. Klangbilder, die sein langjähriger
Freund Gidon Kremer mit seinem virtuosen Violinenspiel und mit der
Kremerata Baltica für uns hörbar macht. Maija Kovolevska, Viesturs
Jansons oder Elina Garanca haben den lettischen Operngesang in die
Welt und an die Metropolitan Oper in New York gebracht. Grund genug
für die ukrainische Sopranistin Lilija Namisnyk als private Meisterschülerin an die Ostsee zu kommen. Denn während ihres Studiums in Wien
habe sie erfahren, dass diese lettischen Opernstars von ein und derselben Vokalpädagogin unterrichtet worden seien: Von Anita Garanca, der
Mutter von Elina Garanca. »Ich wollte sie für mich gewinnen. Aber dann,
beim Vorsingen in Wien, habe ich völlig versagt. Trotzdem gab sie mir
eine zweite Chance.« Der Ruf der lettischen Opernsänger kommt sogar
der Nationaloper in Riga zugute. Mit gewagten Inszenierungen wie dem
Ring des Nibelungen, einem jährlichen Sommerfestival und dem 32-jährigen Andris Nelson hat sie es mittlerweile zum bestbesuchten Musiktempel im Baltikum gebracht. Der Dirigent Andris Nelson lockte gerade
mit seiner Wagner Interpretation nach Riga und zählt heute zu den gefragtesten jungen Dirigenten in der internationalen Musikszene.
Waren es früher Städte wie Paris, London oder Berlin so steht mittlerweile gerade Riga bei den westeuropäischen Musikstudenten hoch im
Kurs. Die vierundzwanzigjährige Gwendolyn Vankersbilck hat für zwei
Semester ihre Hochschule in Belgien gegen die lettische Musikakademie eingetauscht. Neben vielen Einzelstunden übt sich die angehende
Pianistin zweimal am Tag mit lettischen Streichern in Kammermusik. Jeder wisse, dass das musikalische Niveau in Nordeuropa sehr hoch sei,
sagt sie. Und sie habe unbedingt besser werden wollen. »Da hat mich
eine Professorin auf den guten Ruf der Streicher in Riga aufmerksam
gemacht. Na, wenn die Streicher so gut sind, dachte ich mir, dann sollten die Pianisten wohl kaum schlechter sein.« Die lettische Musikakademie residiert im Zentrum von Riga und ist von langen Fluren durchzogen,
wo sich hinter zahllosen Türen kleine und große Übungsräume befinden.
In einem der kleinen Studios setzt soeben der 23-jährige Domenico Spera seinen Bogen an. Domenico hat schon im letzten Frühjahr Rom verlassen, um zuerst in Estland und jetzt an der lettischen Ostseeküste
sein Geigenspiel zu vertiefen. Er habe gern die russische Musikrichtung
studieren wollen, sagt er, deshalb habe er eine Akademie in der Nähe
Russlands gesucht. »Ich bin der erste Italiener, der zum Austausch ins
Baltikum gekommen ist. Und weil ich in Estland rasch Fortschritte gemacht habe, bleibe ich jetzt an der lettischen Musikakademie noch ein
weiteres Jahr.« Betreut werden Domenico und Gwendolyn von Maja Sipole. Die Professorin ist stolz, dass sich die Qualität der Lettischen Musikakademie so schnell herumgesprochen hat. Im letzten Jahr hätten
sich 13 junge Leute aus ganz Europa für Riga entschieden und für das
Herbstsemester liegen ebenfalls bereits Bewerbungen und Hörproben
vor. »Über das Erasmus Austauschprogramm haben wir mit 62 Musikhochschulen in der EU Verträge. Der Gastaufenthalt wird voll finanziert.
Aber wer nicht gut genug ist, wird abgelehnt.« Einen Haken hätte der
Austausch allerdings doch, meint sie. »Die angehenden Musiker können bei uns zwar auf Deutsch oder Englisch praktizieren, aber weder
einen Bachelor noch Master erhalten. Denn unser Sprachgesetz verlangt, dass alle Prüfungen auf Lettisch abgenommen werden, sogar
Musiktheorie wird auf Lettisch gelehrt.« Auch wenn er keinen Abschluss
erhalten kann, ist sich Domenico sicher, dass ihm seine Studienzeit an
der Ostsee bei seiner Suche nach einem Orchesterplatz in Italien weiterhelfen werde. In Rom kenne zwar kaum einer die Baltischen Länder,
sagt er, aber wenn er von der »Russischen Schule« spreche, dann hören alle aufmerksam zu. »Und dass ich sogar ein Studienjahr in Estland
und eines in Lettland nachweisen kann, das öffnet mir sicher die Türen
bei den besten Ensembles.«
Einundzwanzig Jahre nach der singenden Revolution haben sich Musik
und Themen in Lettland verändert, sagt der Dirigent Ints Teterovskis,
aber die Lust am Gesang sei ungebrochen. Die Zeit der reinen Volksund Freiheitslieder sei vorbei, stattdessen würden sie mit neuen Gospel, Jazz oder Poprhythmen vermischt.
Der Staat leidet unter der weltweiten Finanzkrise und kann die Jugendmusikschulen kaum noch unterhalten. Viele Leute mussten Gehaltskürzungen hinnehmen oder sind ohne Arbeit, aber trotzdem melden sich
auch in diesem Jahr wieder mehr Kinder an, als es Plätze gibt.
sorbisch
by
nature
jorg
ciszewski
101
i
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n der Lausitz, östlich von Berlin und zwischen Cottbus im Norden
und Bautzen im Süden, wird auf Sorbisch gesungen, gerappt, gebrüllt und geschmachtet. Die Jungen spielen in wechselnden Formationen Hardcore, Folk oder Schlager, die Alten singen in Chören.
Der musikalische Output der sorbischen Minderheit ist enorm. »Neben der Sprache besteht der einzige kulturelle Unterschied zwischen Sorben und Deutschen darin, dass die Sorben eine große Offenheit für Musikrichtungen aller Stile aufweisen. Das zieht sich quer durch
die Generationen«, sagt Fabian Kaulfürst, der als Sprachwissenschaftler am Sorbischen Institut in Cottbus tätig ist.
Offiziellen Angaben zufolge leben etwa 60.000 Sorben in Brandenburg
und Sachsen. Tendenz fallend. Während in der Niederlausitz in der Region um Cottbus noch etwa 7.000 Sprecher des Niedersorbischen wohnen, werden in der sächsischen Oberlausitz noch 15.000 Sprachträger
des Obersorbischen geschätzt. Zwischen Bautzen, Hoyerswerda und
Kamenz gibt es katholisch geprägte Dörfer, in denen das Obersorbische noch als Alltagssprache auch von jungen Leuten gesprochen wird.
»Und gesungen«, so Fabian Kaulfürst. Der 30-Jährige singt mit seinen
Mitstreitern in der Band Wúlbernosće sorbische A-cappella-Songs in
einer vierstimmigen Variante. Auf Sorbisch hat er auch schon gerappt
und Folkmusik gemacht. »In der Oberlausitz sind zum Beispiel auch die
Deyzi Doxs zu Hause. Sie kommen aus verschiedenen Dörfern der Region und spielen etwas zwischen Heavy Metal und Hardcore«, so Kaulfürst. Einige der Bandmitglieder musizieren samstags in einer Tanzkapelle auf Hochzeiten, andere sitzen auch schon mal sonntags hinter der
Kirchenorgel, erzählt Kaulfürst. Die musikalischen Sphären sind sehr
durchlässig. Die Deyzi Doxs komponieren alle ihre Songs selbst und
waren bereits in Polen und Tschechien auf Tournee. Ihre ersten Tonträger haben sie im vergangenen Jahr eingespielt. »Die Mitglieder der meisten sorbischen Bands in der Region haben sich am Sorbischen Gymnasium in Bautzen kennen gelernt«, sagt Kaulfürst. Mittlerweile hat das
Studium die Absolventen in alle Himmelsrichtungen verstreut. »Doch
am Wochenende kommen viele von ihnen zurück in die Heimat.« Die
kulturelle Bindung sei nach wie vor stark, so Kaulfürst, der in Cottbus
arbeitet, in Bautzen wohnt und mit seiner jungen Familie den Umzug
zurück ins Dorf plant. Viele Bands aus der Oberlausitz wie etwa Stoned
Hajtzer oder Awful Noise haben in ihrem Repertoire aber auch englischsprachige Songs. Die junge Band Die Folksamen aus Cottbus singt neben Sorbisch und Englisch auch Deutsch. Die Gruppe hat sich in Vorbereitung auf einen Auftritt beim Absolvententreffen des Niedersorbischen
Gymnasiums, der traditionellen Schadowanka, im Oktober 2008 gegründet. Die Band um den Sänger und Gitarristen Manuel Semisch genießt
in der Niederlausitz mit ihrem sorbischen Folk-Jazz eine Art Exotenstatus, denn im Gegensatz zum Süden gibt es hier keine musikalische Sorben-Szene. »Im vergangenen Jahr waren wir mit einer offiziellen Delegation der Stadt Cottbus zum 65. Jahrestag der Befreiung von den Nazis in der französischen Partnerstadt Montreuil eingeladen. Sozusagen
als Vertreter des jungen Sorbentums in der Niederlausitz«, erzählt Semisch. Die fünf knapp 20jährigen Jungs wollen mit ihrer Musik auch auf
die Probleme der Sorben in der Region aufmerksam machen. In der
Niederlausitz war der Assimilierungsdruck durch die Industrialisierung
für die Niedersorben in den vergangenen Jahrzehnten größer als weiter
im Süden, wo sich ein nicht zuletzt durch den Katholizismus stark geprägtes sorbisches Sozialmilieu erhalten konnte. Sprachwissenschaftler prophezeien der niedersorbischen Sprache nur noch eine kurze Zukunft, denn sie wird von der Elterngeneration kaum noch den jungen
Leuten vermittelt. »Und viele Jugendliche denken sich, was soll ich mit
der Sprache anfangen, für den Job kann ich sie nicht gebrauchen«, sagt
Semisch. Diese Problematik greifen Die Folksamen in ihrem Lied Grajso Lutki auf, dort singen sie von einem sympathischen Zwergenvolk,
das in den Bergen wohnt und um sein Überleben kämpfen muss. »Es
wäre schön, wenn unsere Musik bei Jüngeren ein stärkeres Interesse
für die sorbische Sprache auslösen würde«, sagt er. Semisch ist der Sänger und Songschreiber und hat wie fast alle Bandmitglieder sorbische
Vorfahren. Er ist eng mit der sorbischen Kultur verbunden. »Ich bin in einem Dorf bei Cottbus geboren. In meiner Kindheit habe ich all die my-
sorbisch
Wúlbernosće dt. Albernheiten
Schadowanka (in der Niederlausitz) [Schadźowanka (in der Oberlausitz)]; traditionelles Treffen sorbischer Gymnasiasten, Studenten und Absolventen aller Altersgruppen; findet alljährlich in der zweiten Novemberhälfte statt.
Zapust die niedersorbische Fastnacht; das wohl am ausgiebigsten und ausgelassensten gefeierte Fest in der Niederlausitz.
Jan Arnost Smoler 1816 – 48; sorbischer Philologe, Schriftsteller und Verleger
aus der Oberlausitz; einer der bedeutendsten Repräsentanten der nationalen Wiedergeburt der Sorben im 19. Jhd.
Korla Awgust Kocor 1822–1904; sorbischer Komponist, Dirigent, Musikschriftsteller und Organisator des sorbischen Musiklebens; begründete die Tradition der Sorbischen Sängerfeste (ab 1845).
thischen Legenden und Sagen der Spreewaldregion kennen gelernt,
ich bin mit den Trachten, den Bräuchen, dem Hahnrupfen zur Erntezeit,
dem Zapust zur Karnevalszeit und dem Osterreiten groß geworden.«
Wenn er Musik macht, dann ist es für ihn natürlich, auch auf Sorbisch zu
singen. Die Sprache wurde in der Familie gesprochen und an seiner
Schule unterrichtet. Die Folksamen haben sich mit Akkordeon, Dudelsack, Banjo und Blockflöte bereits etwa 50 Konzerte erspielt. Im Herbst
2010 steht die Aufnahme des ersten Tonträgers an. Wie es danach weitergeht, steht in den Sternen. »Für die meisten von uns beginnt im Herbst
das Studium in Leipzig, Dresden oder Berlin.«
Viele der jungen sorbischen Pop-Bands seien Projekte auf Zeit, sagt
Ulrich Pogoda, Komponist und Musikredakteur für das niedersorbische
Programm des RBB. Der 56-Jährige weiß, wovon er spricht. Pogoda ist
seit 1985 beim Rundfunk, seit 1992 ist er als Redakteur für das sorbische
Programm zuständig. »Die jungen Leute lernen sich kennen, musizieren
zusammen, singen sorbisch. Das ist ein Hobby.« Pogoda legt bei seinem Programm Wert auf Professionalität. Volkslieder, Schlager, populäre Interpretationen traditionellen Liedguts und Chormusik spielen bei
ihm die Hauptrolle. Viele Musikbeiträge sind eigens für den Sender produzierte Kompositionen, Auftragsarbeiten. Ähnlich sieht es beim Programm des sorbischen Rundfunks des MDR in Bautzen aus. Die beiden
Rundfunkanstalten senden täglich ihr sorbisches Programm. »Wir versuchen, mit unseren Produktionen die sorbische Identität in den popmusikalischen Bereich zu retten«, sagt Pogoda. Gerade bei den älteren sorbischen Liedern sieht er Parallelen zur tschechischen und polnischen Volksmusik. »Die Musik bekommt oft einen melancholischen
Charakter, es gibt eine gewisse Unregelmäßigkeit in den Rhythmen.«
Die moderne Popmusik junger sorbischer Bands orientiere sich an Klischees westeuropäischer Chartmusik. Beim Sender verfolge man einen anderen musikalischen Schwerpunkt. »Wir legen bei unseren Produktionen vorrangig Wert auf den besonderen sorbischen Charakter
der Beiträge.« Dabei bedienen sich die Produzenten des RBB nach wie
vor unter anderem bei einer Sammlung sorbischer Volksmusik aus der
Mitte des 19. Jahrhunderts von Jan Arnost Smoler. Der Oberlausitzer
Verleger, Philologe und Anhänger eines kulturellen Panslawismus reiste
zwischen 1841 und 1843 durch die sorbischen Dörfer, sammelte Noten
und Texte und überlieferte etwa 500 sorbische Volkslieder. »Die Sammlung von Smoler, aber auch die Oratorien von Korla Awgust Kocor, die
sich mit dem Lebensalltag der Sorben beschäftigen und auch aus jener
Zeit stammen, sind für uns noch immer eine wichtige Arbeitsgrundlage.« Für Neuvertonungen oder moderne Interpretationen, die für das
sorbische Radio produziert werden, engagiert der Sender Komponisten und Musiker. Doch die Zeiten sind härter geworden. Während in der
DDR die sorbische Musikszene von offizieller Seite etwa durch Konzertreisen ins Ausland und großzügiger Unterstützung von Ensembles und
Orchester gefördert worden ist, hat heute der kommerzielle Aspekt enorm zugenommen, so Pogoda. Auch sorbische Schlagermusik, etwa
mit der populären Sängerin Anna Maria Bretschneider, wird eigens für
die sorbischen Radioprogramme produziert. Die Lieder erscheinen jedoch nur selten auf einem Tonträger, die Rechte für die Beiträge liegen
beim Sender.
Auch für die sorbische Diaspora außerhalb der Lausitz haben die alten
Volkslieder noch eine große Bedeutung. Paul Nagel von dem Berliner
Folk-Punk-Duo Berlinska dróha etwa probt noch immer gern mithilfe
der Smoler-Sammlung. »Ich mag die Lieder mit ihrem eigenen Charakter«, sagt Nagel, der in Bautzen mit sorbischen Volksliedern groß geworden ist. In Berlin hat er vor drei Jahren mit der Sorbin Uta Schwede
die Band gegründet, kürzlich spielten sie drei Konzerte in Polen. »Wir
treten aber meistens vor einem deutschen Publikum auf, waren auch
viel in Westdeutschland unterwegs. Da erklären wir nicht großartig,
dass wir sorbisch singen. Wir machen das einfach.« In einem Stück von
Nagel geht es um die sorbische Identität. »Sorbe oder Deutscher —
scheißegal«, heißt es schließlich in dem Song. Auch wenn er viele angenehme Kindheitserinnerungen mit der sorbischen Kultur verbindet, sagt
der Exil-Oberlausitzer: »Wir betrachten uns nicht als Sachverwalter des
sorbischen Nationalstolzes. Das Sorbische gehört einfach zu uns.«
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132 Seiten. Format 10,5×15,8 cm. ISBN 978-3-9813392-0-8.
Vliegen Verlag GmbH. Preis: 10 EUR / 39 PLN . Mehr Infos auf
www.pplus-magazine.eu
CityCult_Polska ist der ultimative alternative Stadtführer der anderen Art. Er fängt die Begeisterung für die Großstädte Polens, für Zeitgeist und Kultur in Polen ein. Auf einer Rundreise
durch die Städte Szczecin, Gdańsk, Gdynia, Sopot, Warschau, Łódź, Krakau, Wrocław und
Poznań zeigen sieben Insider Nischen und Nobles, Erahntes und Erhofftes, ihre Lieblingsecken und Geheimtipps, laden ein, machen Appetit und stillen ihn sogleich. Kunst, Kultur und
Szene am Puls der Zeit, im Herzen Europas. Von Clubs, über Theater, Galerien, Designläden,
Kinos, Festivals, Restaurants, Museen, Spaziergänge, Cafés und Kneipen bis hin zu Insiderwissen, Essen, Trinken, Schlafen, Feiern, Tanzen und Erholen ist alles dabei.
CityCult_Polska_Festivals Kulturstädteführer im Taschenbuchformat. Mit 88 farbigen Abbildungen und Register. 140
Seiten. Format 10,5×15,8 cm. ISBN 978-3-9813392-1-5.
Vliegen Verlag GmbH. Preis: 10 EUR / 39 PLN . Mehr Infos auf
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CityCult_Polska_Festivals ist der zweite Coup der CityCult-Serie, ein alternativer Kulturführer
für eine (Rund)Reise durch die Eventlandschaft Polens: auf 140 Seiten mit 88 Abbildungen
werden über 70 Festivals in 32 Städten vorgestellt: 9 Szene-Insider stellen liebevoll in den
Sparten Kunst, Theater, Tanz, Musik, Design, Film und Weltkultur ein perfektes Kunst- und
Kulturfestivalprogramm zusammen.
Sie finden den CityCult_Polska: im Bahnhofsbuchhandel, im KulturKaufHaus Dussmann in Berlin, im Buchhandel und in Polen bei Empik,
Relay und in ausgewählten Galerien, Museen und Shops. Bestellen Sie
auch mit der ISBN -Nummer in Ihrer Buchhandlung oder direkt bei uns
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polskie
hity
oder
ein kleines
a b c der
nullerjahre
paul-richard gromnitza
105
p heft N 12 musik
abc der polnischen hits
Generacja Nic dt. Generation Nichts; beschreibt die Generation,
die in die erkämpfte Freiheit hineingeboren wurde, aber nicht
mit ihr umgehen kann, weil sie an keinerlei gesellschaftlichen
oder politischen Diskurs interessiert ist; steht für intellektuelle
Leere junger Menschen.
Ende der 90er Jahre sah es düster aus in der polnischen Musikbranche. Die polnische Musik und Musikszene habe keine Zukunft, so damals die einhellige Meinung namhafter Musikkritiker und Produzenten. Andere behaupteten: Es gibt keinen Platz für uns Polen in der europäischen Musikszene; keiner interessiert sich für polnische Musik. Schaut man sich heute die Szene an, so reibt man sich verwundert die
Augen. Nicht nur, dass es erstaunlich viel Neues und immer noch Altes zu entdecken gibt, sondern etwas
ist in Bewegung geraten. Künstler wie Anna Maria Jopek, Behemoth, Kroke oder die Warsaw Village Band
sind mittlerweile in ihrem Genre »Global player«. Oder sie sind wie Aga Zaryan, deren Album Looking,
Walking, Being im März 2010 bei Blue Note herauskam, im Begriff es zu werden. Werfen wir einen Blick
auf das »Who is who« der heutigen polnischen Musikszene.
A
B
Andrzej
Smolik
Der 40-jährige Musiker und Produzent begann seine musikalische Karriere Anfang der 90er als Keyboarder in der Band Wilki. Schnell wechselte er die Seite und wurde Musikproduzent, produzierte unter anderem Kasia Nosowska, Novika oder Krzysztof Krawczyk. Er selbst legte
drei Alben mit bester innovativer und melodischer Clubmusic vor, die
ihm den Titel »der polnische Fatboy Slim« einbrachten. 2009 begann er
mit der Jazzlegende Tomasz Stańko das gemeinsame Projekt Peyotl.
letztes Album:
3 (2006)
Marcin
Bors
Der 32-jährige ist der vielleicht zurzeit angesagteste Musikproduzent
Polens. Er produziert unter anderem BiFF, Gaba Kulka und Hey.
C
Lao
Che
Eine der interessantesten Crossover Bands Polens. Der Durchbruch kam
2005 mit einem Album, das sich thematisch mit dem Warschauer Aufstand von 1944 beschäftigt und alte Partisanenlieder in neuem Sound
präsentiert. letztes Album: Prąd stały / Prąd zmienny (2010)
Cool
Kids
of
Death
Um keine Band gab es so viel Hype in Polen wie um die vier Jungs aus
Łódź. Dabei hatte kaum einer an einen Erfolg geglaubt, als ihre Debütplatte im Sommer 2002 erschien. Doch schon wenige Wochen später
war die Postpunkband ein Dauerthema im polnischen Feuilleton. Musikalisch war das Phänomen nicht zu erklären. Die C.K.O.D. waren ein
eher soziologisches Phänomen. Über Perspektivlosigkeit sangen nicht
vorbestrafte Jugendliche, sondern junge Akademiker. So verwunderte
es nicht, dass sie den Begriff der Generacja Nic prägten. letztes Album: Afterparty (2008)
d
107
p heft N 12 musik
den Preis erhalten. Was so nicht stimmt, denn 2010 bekam Kasia Nosowska mit ihrer Band Hey verdientermaßen sechsmal den Fryderyk und
die Newcomer BiFF immerhin zweimal.
Doda
bzw.
Doda
Elektroda
Die 26-jährige Dorota »Doda« Rabczewska ist zurzeit der angesagteste
Pop-Act Polens. Doda ist der Liebling der polnischen Yellowpress, unter anderem wegen ihrer Beziehung mit Adam Michał Darski von Behemoth. Ziemlich bewusst tritt Doda dabei in jedes Fettnäpfchen, das für eine Schlagzeile gut ist. So zum Beispiel 2009 als sie meinte, dass die Bibel
von »einem besoffenen Weintrinker und Kiffer« geschrieben worden sein
müsse. Zurzeit steht sie im Zenit ihrer Karriere. Im Februar 2010 erhielt
sie einen VIVA Comet als die Künstlerin des Jahrzehnts. Zuvor hatte sie
2009 den MTV Music Award als bester polnischer Act bekommen. 2010
soll das Album The Seven Temptations erscheinen, das vielleicht die Popsensation des Jahres werden könnte. Ein bekennender Fan von Doda
ist übrigens der Filmregisseur Krzysztof Zanussi, in dessen letztem Film
Serce na dłoni Doda sich in einer kleinen Rolle selbst spielen durfte.letztes
Album:
Diamond Bitch (2007)
Adam
Michalł
Darski
Liroy Anna Maria Jopek
Kasia Nosowska
Doda
Frontmann der Heavy Metal-Formation Behemoth, die international gegenwärtig der angesagteste polnische Exportschlager ist. Das Trio formierte sich 1991 in Danzig. Im Untergrund machten sich Behemoth
recht schnell einen Namen. Im Laufe der Jahre wechselte der Stil von
Black Metal hin zum progressiven Death Metal. Seit 2000 feiert die Band
auch in Nordamerika große Erfolge. letztes Album: Evangelion (2009)
e
Edyta
Bartosiewicz
Neben Kasia Nosowska war sie eine der Vertreterinnen des Rock in Polen. In den 90er Jahren feierte sie mit Alben wie Sen, Szok ‘n Show und
Dziecko künstlerisch und kommerziell Riesenerfolge. Über eine Million
verkaufte Tonträger machten Bartosiewicz zu einem der ersten Superstars Polens. Ende der 90er nahm sie mit dem Produzenten Raf McKenna (Blur, Pulp, Radiohead) ihr Album Wodospady auf, das mächtig floppte. Auf ein neues Album warten Fans bislang vergebens. Seit 2002 wird
die Veröffentlichung verschoben, damit ist das Album »X« das wohl am
meisten erwartete des Jahrzehnts. Im Juli 2010 gab Edyta bekannt, dass
sie an einem neuen Studioalbum arbeitet. letztes Album: Best of (1999)
f
abc der polnischen hits
Fryderyk
Das polnische Pendant zu den amerikanischen Grammy Awards heißt
Fryderyk und wurde nach Frédéric Chopin benannt. Der wichtigste Musikpreis wird seit 1995 verliehen und hat seither für Skandale gesorgt.
Das größte Aufsehen erregte 1999 die Rocksängerin Agnieszka Chylińska (O.N.A.), die sich während ihrer Dankesrede bei ihren Lehrern mit
»Fuck you!« bedankte und Tymon Tymański, der die versammelte Musikbranche während der Gala als »Mafia« beschimpfte. Seit jeher beklagen
Musiker wie Kritiker, dass jedes Jahr die falschen Bands und Künstler
g
Gaba
Kulka
Die 31-jährige Kulka gilt als eine der interessantesten Künstlerinnen der
letzten Jahre. Die Sängerin, Pianistin und Liedermacherin verbindet in
ihrer Musik Elemente aus Jazz, Rock und Pop, mit Einsprengseln aus
Kabarett und Theater. Das Jahr 2009 war für Kulka besonders erfolgreich und ausgesprochen produktiv. Im Frühjahr legte sie ihr zweites
Studioalbum Hat, Rabbit vor, um im Herbst mit Slipwalk, das sie gemeinsam mit Konrad Kucz aufnahm, erneut zu überraschen. Beide Alben sind intelligenter Pop mit feinen Arrangements, ohrwurmverdächtigen Melodien und guten englischsprachigen Texten, die ihren Vorbildern Kate Bush und Tori Amos in (fast) nichts nachstehen. letztes Album:
Slipwalk (2009)
Goldene
Dekade
Das beste Jahrzehnt für polnische Pop- und Rockmusik waren die 80er
des vergangenen Jahrhunderts. Kurz vor dem Beginn des Kriegsrechts
in Polen gründeten sich Kultbands wie Perfect, Maanam, Kult, Lady
Pank und Republika (siehe auch Z wie Złota Kolekcja).
h
Hey
Die Stettiner Band um Kasia Nosowska ist wohl eine der wichtigsten,
wenn nicht gar die wichtigste Band Polens nach 1989. Ihr englischsprachiges Debüt Fire schlug wie eine Bombe mit »grunge made in Poland«
ein. In knapp 20 Jahren hat Hey zehn Alben vorgelegt und bislang ist der
Band künstlerisch kein Ausrutscher passiert. Im Gegenteil — mit ihrem
letzten Studioalbum Miłość! Uwaga! Ratunku! Pomocy! erfinden sie sich
musikalisch neu und zeichnen sich in vielen Songs durch Experimentierfreude aus. Es ist das Album des Jahres 2009, das zurecht bei der diesjährigen Vergabe des polnischen Musikpreises einen Preisregen erhielt.
Frontfrau Nosowska ist seit Mitte der 90er auch solo erfolgreich. Experimentierte sie auf den ersten Alben noch mit elektronischen Klängen
und arbeitete auf Milena (1998) und Sushi (2000) kongenial mit Andrzej
Smolik zusammen, überraschte sie Fans und Kritiker im Jahr 2008 mit
der Neuinterpretation von polnischen Klassikern aus der Feder von Agnieszka Osiecka. letztes Album: RE-MURPED! Remix-Doppel-CD (2010)
i
j
k
l
109
p heft N 12 musik
Ich
troje
Kommerziell gesehen gilt die Popgruppe um Michał Wiśniewski als eine
der erfolgreichsten des letzten Jahrzehnts. Künstlerisch ist der kitschige Pop kaum vertretbar. In die Schlagzeilen geriet Michał Wiśniewski,
der ausgezeichnet Deutsch spricht, als er 2003 mit dem Song Keine Grenzen — Żadnych Granic für Polen beim Eurovision Song Contest antrat.
Die Band löst sich immer mal wieder auf und formiert sich dann wieder
neu. letztes Album: Ósmy obcy pasażer (2009)
Anna
Maria
Jopek [siehe 107]
Spätestens seit ihrer zweiten englischsprachigen Platte Secret (2005)
kennt man die 39-jährige Jazzsängerin auch in Deutschland. Seit Jahren arbeitet sie an ihrem eigenen Stil und folgt beharrlich einem Traum.
»Das Wunderbarste für mich wäre, meinen ganz eigenen Stil mit eigener
Benennung zu entwickeln, eine Kategorie, die ›Anna Maria Jopek‹ heißt.«
Kenner wissen, das AMJ schon jetzt unverwechselbar ist. Das Album
Upojenie [dt. Rausch], das sie gemeinsam mit Pat Metheny im Jahr 2002
herausgebracht hat, berauscht bis heute. letztes Album: Dwa Serduszka Cztery Oczy (2008)
Kayah
und
Kayax
m
abc der polnischen hits
Off-Festival immer im August in Katowice; wird gelobt für seine Alternativität.
Myslovitz
Die Band um Mastermind Artur Rojek sorgte in den letzten Jahren in Polen für Schlagzeilen. Im Frühjahr 2002 war sie als Vorband von den Simple Minds in Europa unterwegs. Zudem kam eine englische Version ihres vierten Albums Korona Milky Bar international heraus. Die Band wird
oft als polnische Antwort auf Radiohead bezeichnet. Die Musik ist ein
Mix aus Brit Pop und New Country mit depressiven Texten. Der Grund
für die Popularität besteht darin, dass Myslovitz eine resignativ-rezessive gesellschaftliche Grundstimmung in der polnischen Gesellschaft
getroffen habe, so der Gitarrist Przemysław Myszor. Das wichtigste Nebenprojekt des Bandchefs Rojek ist das Off-Festival, eines der bedeutendsten Festivals für Alternative Musik in Europa. letztes Album: Happiness
Is Easy (2006)
n
Czeslaw
Niemen
(1939–2004)
Schon zu Lebzeiten d i e Musiklegende in Polen. Er gilt als d e r polnische Musiker des 20. Jahrhunderts (Wochenmagazin Polityka 1999).
Niemen (eigentlich Czesław Juliusz Wydrzycki) fiel in den Siebzigern mit
seinem Jazzrock und Soul sogar in Übersee auf. Später nahm Niemen
in Deutschland und den USA einige Platten auf, unter anderem Strange
is this world, Ode to Venus und Mourner’s Rhapsody. Niemen verfügte
über einen einzigartigen »slavic touch«. Selbst James Brown sagte einmal über ihn: »He is good, he is good because unusual.« Ein Gerücht ist
übrigens, dass Niemen seinen Jahrhunderthit Dziwny jest ten świat von
Browns Soulklassiker This is a Man’s World abgekupfert haben soll.letztes
Album:
spodchmurykapelusza (2001)
o
Die Eigenbrödlerin Kayah hat in Polen den Status eines Superstars.
Nach dem Riesenerfolg von Kayah i Bregovic Ende der 90er wurde man
international auf sie aufmerksam. Aus Kanada kam das Angebot, ihr Album Jakajakayah noch einmal auf Englisch herauszubringen. 2002 erschien es auch in Deutschland. In den letzten Jahren hat sich Kayah eiAgnieszka
nen Namen als Talentscout und Trendsetterin gemacht. In ihrem eigeOsiecka
nen Label Kayax hat sie Künstler wie Fox, Andrzej Smolik, Maria Peszek
(1936–1997)
und Novika unter Vertrag genommen. letztes Album: Kayah & Royal Quartet Die Dichterin Agnieszka Osiecka gilt als bedeutendste polnische Song(2010)
texterin des 20. Jahrhunderts. Im Laufe ihrer 40-jährigen Karriere verfasste sie 2.000 Liedtexte, von denen heute das Gros zum Standardrepertoire der polnischen Popmusik und des Chansons gehören. Ihre
erfolgreichsten Liedtexte schrieb sie für Maryla Rodowicz. Das Lied
Małgosia wurde nach Niemens Dziwny jest ten świat zum populärsten
Lied des 20. Jahrhunderts gewählt. Kalina Jędrusik, Seweryn Krajewski,
Magda Umer und Krystyna Janda feierten mit Osieckas Texten große
Erfolge. Noch heute ist der Zauber ihrer Texte ungebrochen. 2008 nahm
Kasia Nosowska das Album N/0 mit Songs aus der Feder von Osiecka
auf.
Czesław Niemen, 1986
Liroy [siehe 107]
Der 39-jährige Piotr Marzec alias Liroy gilt als Godfather des polnischen
Rap. Sein Debüt Alboom ist in Polen mit einer halben Million verkaufte
Exemplare das erfolgreichste Hip-Hop Album aller Zeiten. letztes Album:
Grandpaparapa [Powrót króla] (2007)
p
q
r
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Papaya
Song
Das angejazzte Discostück mit Urszula Dudziaks markantem Scatgesang ist der einzige Welthit aus Polen. Mitte der Siebziger Jahre aufgenommen, feierte der Papaya Song im Jahr 2007 dank einer philippinischen Spielshow in Asien und auf Youtube ein Revival.
Agnieszka Osiecka
Urszula Dudziak
Czy te oczy mogą kłamać dt. Können diese Augen lügen
39/89 ausgeschrieben: trzydzieści dziewięć/osiemdziesiąt dziewięć
Paszporty Paszport Polityki ist ein Kulturpreis, der seit
1993 vom Wochenmagazin Polityka in den Kategorien
Literatur, Film, Theater, Klassische Musik, Popmusik, Visuelle Künste sowie Kulturschöpfer verliehen wird.
Dorota Masłowska 1983; shooting star der jungen polnischen Literatur.
Kazik
Staszewski
Seit fast 30 Jahren ist Kazik Staszewski aus der polnischen Rockmusik
nicht wegzudenken. Der Provokateur hat zahlreiche Band- und Soloprojekte. Doch Kultstatus erlangte Kazik mit der Band, die einfach Kult heißt
und dank ihrer Texte und »urbanem Folk« in Polen Kult ist. Immer wieder
überrascht Kazik Kritiker und Fans, so zum Beispiel als er im Jahr 2000
eine Kurt-Weill-Platte aufnahm und Mackie Messer auf Deutsch sang.
Er bewies damit wieder, dass er zu den wenigen wirklich originären Musikern in Polen zählt.letztes Soloalbum: Silny Kazik pod Wezwaniem (2008)
letztes Album mit Kult:
Karinga. hurra! suplement (2010)
Skalpel
Qualitat
Für Qualität stehen in Polen unter anderem der Liedermacher Grzegorz
Turnau, die Chansonetten Renata Przemyk und Edyta Geppert und der
Liedermacher Stanisław Sojka.
Kazik Staszewski mit seiner Band KULT
s
abc der polnischen hits
p heft N 12 musik
Raz,
dwa,
trzy
Die DJ´s Marcin Cichy und Igor Pudło haben mit ihrem Projekt bislang
als einzige Polen einen Vertrag beim britischen Kultlabel Ninja Tune unterschrieben. 2004 erschien ihr Debüt Skalpel. Das Markenzeichen des
Duos aus Wrocław ist, dass sie polnischen Jazz und Soul der 60er und
70er Jahre neu mixen und meisterlich mit Beats unterlegen.letztes Album:
Konfusion (2005)
t
u
Die Band um Adam Nowak mixt auf eigene Art und Weise Rock, Folk
und Jazz mit der klassischen polnischen Chanson-Tradition. Große Popularität erlangte die Gruppe aus Zielona Góra im Jahr 2002 mit dem
Album Czy te oczy mogą kłamać mit Liedtexten von Agnieszka Osiecka.
letztes Album:
SkąDokąd (2010)
39/89
(L.U.C.)
Der Produzent, Komponist und Hip Hopper Łukasz L.U.C. Rostkowski
bewies mit seinem Album 39/89, dass der runde Jahrestag des Ausbruchs des Zweiten Weltkrieges und der Sieg über den Kommunismus
Themen echter musikalischer Suche sein können. Für dieses Projekt
durchstöberte L.U.C. monatelang polnische Rundfunkarchivaufnahmen
der letzten 70 Jahre und untermalte sie musikalisch. Ohne Zweifel ein
Geniestreich, für den der 29-jährige Soundtüftler bei der diesjährigen
Verleihung der Paszporty als Musiker des Jahres ausgezeichnet wurde.
letztes Album:
39/89 — Zrozumieć Polskę (2009)
Unterhaltung
Dass Musik auch Spaß machen und gleichzeitig anspruchsvoll sein
kann, beweisen die Newcomer BiFF mit witzigen Texten (unter anderem
von Dorota Masłowska) und der Popchaot Czesław Śpiewa, dem es gelingt, modernen Chanson mit einer Prise Dadaismus schmackhaft zu würzen.
v
w
113
p heft N 12 musik
Voo
Voo
x
y
z
abc der polnischen hits
eXtrem
Die Kultband um Wojciech Waglewski steht seit rund 30 Jahren für eine Extrem gewöhnungsbedürftig ist die Bombast-Pseudoklassik von Piotr
einzigartige Mischung aus Folk, Jazz und Rock mit leichten Reggae- Rubik. Seit 2004 verkauft der Warschauer Komponist seine Alben in Milschwenkern. Die Musik hat Waglewski auch seinen Söhnen Emade und lionenauflage, unter anderem das Oratorium Tu Es Petrus (2005). letztes
Fisz in die Wiege gelegt, beide sind angesehene Hiphop- und Elektro- Album: Santo Subito (2009)
musiker. Mit Soloprojekten ist Waglewski ebenfalls erfolgreich, unter
anderem nahm er mit Maciej Maleńczuk 2008 das Album Koledzy auf.
letztes Soloalbum:
Voo Voo i Haydamaky (2009)
Warsaw
Village
Band
RazDwaTrzy
Voo Voo
Pati
Yang
Als 18-jährige veröffentlichte Patrycja Grzymałkiewicz als Pati Yang 1998
ihr viel beachtetes Trip Hop-Debüt Jaszczurka [dt. Eidechse]. Ende der
neunziger Jahre zog sie nach London und meldete sich erst 2005 mit
Die auf Polnisch singende Folkband (in Polen unter dem Namen Kapela dem etwas sperrigen Album Silent Treatment zurück. Im Frühjahr 2009
ze Wsi Warszawa bekannt) gilt als eine der erfolgreichsten Ensembles legte sie ihr drittes Album vor, das sie mit ihrem Ehemann Stephen HilOsteuropas abseits des Mainstreams und ist heute mehr oder weniger ton aufgenommen hat. Das Album Faith, Hope + Fury glänzt mit großarein stiller Weltstar. Die Band selbst bezeichnet ihre Musik als »Hardcore- tigen Anleihen bei Portishead und Tricky, überzeugt aber mit einem tolFolk« in dem traditionelle polnische Folklore mit modernen Elementen len eigenen Sound und kleinen (englischsprachigen) Textperlen.
kombiniert wird. Ihr zweites Album People’s Spring und die darauf fol- letztes Album: Faith, Hope + Fury (2009)
gende erste Welttournee brachte international viel Lob. Im Jahr 2004 erhielt die Band von BBC Radio 3 den Award for World Music als beste Newcomer. letztes Album: Infinity (2008) (D: Jaro Medien; 2009 in Polen bei Kayax)
Zlota
Kolekcja
Die Reihe des Lables Pomaton EMI versammelt alle Musikgrößen der
letzten 40 Jahre und das unschlagbar günstig. Man kann fast wahllos
jede CD aus den rund 100 Titeln kaufen, darunter Perlen wie Breakout,
Marek Grechuta, Magda Umer, Wolna Grupa Bukowina oder den polnischen Sinatra Andrzej Zaucha.
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p heft N 12 musik
sTo
laT
polnisch
Aussprache
deutsch
Dem Gebrauch nach entspricht er etwa den Wunschformeln »Alles Gute!« oder »Gott schütze Dich!«. Ferner findet Sto lat! noch
Verwendung als »Gesundheit!« (nach dem Niesen einer anderen
Person), aber weit seltener als »Na zdrowie!« — das wörtliche
»Gesundheit!«. Der Ausdruck Sto lat! wird auch als Toast verwendet, allerdings auch hier deutlich seltener als »Na zdrowie!«.
Sto
lat,
S’to
lat,
Hundert Jahre,
sto
lat,
s’to
lat,
hundert Jahre,
niech
ży
je,
njech
schy je,
möge er (sie) leben,
ży
je
schy je
leben.
nam.
nam.
Sto
lat,
S’to
lat,
Hundert Jahre,
sto
lat,
s’to
lat,
hundert Jahre,
niech
ży
je,
njech
schy je,
möge er (sie) leben,
ży
je
schy je
leben.
nam.
nam.
sch
w
en
ch
=
=
=
=
j wie in Jalousie
wie das englische W
nasal, wie in »peng«
weich wie in »weich«
żyje = das Lied kann sowohl für Frauen als auch für
Männer gesungen werden. Durch Ersetzen von żyje
durch żyja˛ [schyjo] erhält man die Pluralform, mit der
Personengruppen geehrt werden können.
Jesz cze raz,
Jesch tsche ras,
Noch einmal,
jesz cze raz,
jesch tsche ras,
noch einmal,
niech
ży
je,
njech
schy je,
möge er leben,
ży
je
nam.
schy je
nam.
möge er leben.
niech = Partikel, wird u.a. zur Bildung des Imperativs
für die 3. Prs.Sg/Pl benutzt: niech Pan/i usia˛dzie
[setzen Sie sich]; hier: es soll [dir], sei [dir]
z nami = mit uns; die Präposition z verlangt in der
Bedeutung mit immer den Instrumental! Steht sie in
der Bedeutung aus, von, verlangt sie den Genitiv; steht
sie mit Akkusativ, bedeutet sie ungefähr.
nam = uns [Dativ]; hier sinngemäß: er soll uns/für uns
lange leben
niechaj = alte Form von niech; sehr poetisch; wird in
neuen Wörterbüchern gar nicht mehr aufgeführt; oft
in Dichtung, Lieder, alten Märchen zu finden.
Sto lat ist eines der bekanntesten polnischen Lieder, das der besungenen Person gute Wünsche ausdrücken soll.
Der Bekanntheitsgrad des Liedes ist im polnischen Sprachraum ähnlich hoch wie happy Birthday to You im englischen Sprachraum. Ursprung und Autor des Liedes sind unbekannt. Gesungen wird es hauptsächlich bei Namens- und Geburtstagen, aber auch bei Ehrungen aus anderen Anlässen wie zum Beispiel Hochzeiten, Arbeitsjubiläen oder dem Titelgewinn der favorisierten Mannschaft. So wurde Sto lat beim Polenbesuch von Papst Johannes
Paul II. und beim Amtsantritt des polnischen Staatspräsidenten Lech Kaczyński angestimmt.
Der ausgedrückte Wunsch »eines langen Lebens« tritt je nach Anlass mehr oder weniger stark in den Hintergrund.
Bei inoffiziellen bzw. privaten Anlässen werden an den Text meist weitere Verse angehängt. Einige bringen zusätzliche Wünsche zum Ausdruck. Andere stellen diejenigen Anwesenden, die nicht (mehr) auf das Wohl der besungenen Person trinken wollen, an den Pranger. Solche Zusatzverse existieren in diversen Formen, sind aber wegen
ihres Inhalts und/oder Sprachstils zum Teil nicht für den universellen Gebrauch geeignet.
WissensWertes
Uber
sto
lat
spRAChkuRs
p heft N 12 musik
Weitere
mogliche
strophen,
die
mit
jeWeils
komplett
anderen
melodien
gesUngen
Werden:
Niech ci gwiazda pomyś lnoś ci
Njech tchi gwiasda pomyschlnoschtschi
Auf dass der Stern des Wohlergehens
nigdy nie zagaś nie, nigdy nie zagaś nie,
niegdy nje zagaschnje, Niegdy nje zagaschnje,
dir niemals erlösche, dir niemals erlösche,
w zdrowiu szczęś ciu, pomyś lnoś ci
w sdrowju, schtschenschtchju, pomyschlnoschtchi
in Gesundheit, Glück und Wohlergehen
świeci coraz jaśniej.
schwjetchi zoras jaschnjej.
scheint er immer heller.
A kto z nami nie wypije,
A kto s nami nje wypije,
Und wer nicht mit uns trinkt,
niech pod stołem zaśnie.
Njech pod stowem zaschnje.
Möge unter dem Tisch einschlafen.
Niech
Njech
Möge er leben!
ży
schy
je
je
Sto lat, sto lat, sto lat, sto lat, niechaj żyje nam,
S’to lat, s’to lat, s’to lat, s’to lat, njechaj schyje nam,
Hundert Jahre, hundert Jahre, möge er (uns) leben,
Sto lat, sto lat, sto lat, sto lat, niechaj żyje nam,
S’to lat, st’o lat, s’to lat, st’o lat, njechaj schyje nam,
Hundert Jahre, hundert Jahre, möge er (uns) leben,
Niech żyje nam, niech żyje nam,
Njech schyje nam, njech schyje nam,
Möge er leben, möge er leben,
w zdrowiu, szczęściu, pomyślności,
w sdrowju, schtschenschtchju, pomyschlnoschtchi,
in Gesundheit, Glück und Wohlergehen,
niechaj żyje nam.
Njechaj schyje nam
möge er leben.
na
na
m!
m!
I jeszcze dłużej i jeszcze raz,
i jeschtsche dwuschej i jeschtsche ras,
Und noch länger und noch einmal,
sto lat, sto lat niech żyje nam.
s’to lat, s’to lat njech schyje nam.
hundert Jahre soll er leben.
Sto lat, sto lat,
S’to lat, s’to lat
Hundert Jahre, hundert Jahre,
sto lat niech żyje nam!!!
s’to lat njech schyje nam!!! [letztes Wort ganz lang singen: naaaaaam]
hundert Jahre soll er leben!!!
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Barszcz uKraInsKI
REZEPT
uKraInIscher BorschTsch
Borschtsch ist eine Suppe, die traditionell in Ost- und Ostmitteleuropa zubereitet wird. Grundzutat aller BorschtschSorten ist Rote Bete. Der sogenannte »Borschtsch-Gürtel« zieht sich von Polen über Galizien, die Ukraine, Belarus
bis in das Wolga/Don-Gebiet. Charakteristisch für die Zubereitung ist (wie bei vielen osteuropäischen Suppengerichten) die lange Garzeit bei geringer Hitze. Der so genannte »ukrainische Borschtsch« kommt ursprünglich aus
der Ukraine, das Rezept wurde aber in Polen sehr stark abgewandelt.
Für 4 Personen (circa 1,5h)
Zutaten:
2
300 g
4
4
¼
¼
2
¼
150 ml
150 g
100 ml
1
3
1
1. Die über Nacht eingelegten weißen Bohnen kochen, abseihen und bereitstellen.
2. Die Kartoffeln schälen, abspülen, in Würfel schneiden. Die Tomaten in
wenig Wasser kochen und dann passieren. Den Kohl kleinschneiden,
mit heißem Wasser übergießen und 5 Minuten kochen, dann abseihen.
3. 2 Rote Beten, eine Mohrrübe, eine Zwiebel, den Sellerie, die Hälfte der
Petersilie in 1,5 Liter Wasser aufkochen und 20 Minuten köcheln lassen.
mittelgroße Zwiebeln
Dann (Achtung!) abseihen aber die Gemüsebrühe aufheben (nicht in
Tomaten
den Ausguss kippen!).
Rote Beten
4. Die zweite Mohrrübe, die übrigen 2 Roten Beeten schälen, abspülen, in
mittelgroße Kartoffeln
Streichholzschmale Streifen schneiden (oder einfach auf einer Reibe in
mittelgroßer Wirsingkohl
grobe Streifen reiben), in einem großen Topf in Butter oder Öl ein paar
mittelgroßer Weißkohl
Minuten andünsten, dann mit der noch heißen Gemüsebrühe übergieMohrrüben
ßen, die Kartoffeln hinzugeben, den Kohl, die Lorbeerblätter und das
eines mittelgroßen Sellerie
Salz. Etwa 20 Minuten kochen.
frischer Zitronensaft [traditionell wird Rote-Bete-Sauer genommen, siehe P+ Nr. 8, S. 119] 5. Zum Schluss die Bohnen und die passierten Tomaten hinzufügen, die
weiße Bohnen
zerquetschten Knoblauchzehen, Zucker und Zitronensaft ebenfalls beiSaure Sahne oder Joghurt
fügen.
Bund Petersilie
6. Beim Servieren erst auf den Tellern die Sahne und die restliche kleingegroße Knoblauchzehen
hackte Petersilie hinzugeben.
Esslöffel Butter oder Öl
Ergänzung: Wer möchte, kann die Suppe schon bei Schritt vier mit einem Schuss
Lorbeer
Rotwein verfeinern.Die Gemüsebrühe kann auch durch RindfleischbrüPiment
he ersetzt werden. Möglich sind vielerlei Variationen, so werden manchZucker
mal Waldpilze hinzugegeben, die Bohnen gegen Erbsen ersetzt, auch
Salz
eine Mehlschwitze ist denkbar, selbst ein Apfel, kleingeschnitten und
pfeffer
ohne Schale. S m a c z n e g o !
118
p heft N 12 musik
Kolumne
BLEchmusik
V
ielleicht hat man vom 17. Stock eines Bürotowers in Istanbul einfach den besseren Überblick. Von meinem Schreibtisch aus sehe
ich nachts die Wellen des Bosporus im Kunstlicht der Metropole
glitzern. Natürlich, Warschau und Berlin bleiben auch aus dieser
Perspektive mächtig, aber sie sind nicht mehr der Nabel der Welt.
Daran musste ich denken, als mir das beinahe fertige Heft zugeschickt wurde mit der Bitte, auch diesmal meinen Senf dazuzugeben.
Es ist interessant zu beobachten, in welche Richtung sich das Magazin
entwickelt, seit es seinen Fokus von Polen auf benachbarte Staaten
ausgeweitet hat, aber welcher Begriff von Europa steckt dahinter? Für
diesmal jedenfalls verläppern sich seine Ränder irgendwo in den Nebeln des Balkans.
Dass die Türkei — noch — nicht dazugehört, muss ich schlucken. Sie
bedeckt mit dem Großteil ihrer Landmasse den asiatischen Kontinent.
Doch wie steht es mit den kulturellen Einflüssen dieses großen Volkes?
Die fast 500 Jahre osmanischer Herrschaft in Südosteuropa haben
ihre Spuren hinterlassen, auch in der Musik. Das war weniger eine Folge »türkischer Überfremdung« als vielmehr der Abschottung des osmanischen Herrschaftsbereichs von der weiteren Entwicklung in Zentralund Westeuropa. Wer einmal den Eurovision Song Contest gehört hat,
kann den musikalischen Unterschied zwischen Balkan und Türkei einerseits und den west- und mitteleuropäischen Ländern andererseits sofort heraushören. Die Verbindungen und Einflüsse wirken bis heute,
und zwar nicht nur in eine Richtung. Die populäre und die Volksmusik
des Balkans wandert zum Beispiel auch in Richtung Naher Osten. Dass
eine rumänische Dance-Sängerin heute so beliebt in den Klubs von
Istanbul ist, hat damit zu tun.
Besonders deutlich sind die Einflüsse in der sogenannten »BalkanVolksmusik«. Sie wurde schon zwischen dem 15. und 18. Jahrhundert
von der türkischen Herrschaft beeinflusst. In ihren Harmonien folgt sie
der indischen Musiktradition der Sinti und Roma. Bedeutsam sind auch
die für den osmanischen Bereich typischen Mikrointervallschritte, vor
allem im Gesang; im westlichen Notensystem sind sie nicht notierbar.
Erkennbar sind auch jüdische Tonleitern, das Zigeuner-Dur, ZigeunerMoll und Harmonisches Moll. Die übermäßige Sekunde galt in der Klassik als unsingbar, ist aber aus der Balkanmusik nicht wegzudenken. Ihre
Rhythmik ist ausgesprochen vielfältig. Oft wechselt die Taktart in ein
und demselben Stück. Was etwa die bulgarische Musik so schwer spielbar macht, ist die Verwendung von ungeraden Takten, zum Beispiel 5/8,
7/8 und 9/8. Gleichwohl haben moderne Musiker aller Genres gern auf
Fragmente bulgarischer beziehungsweise südosteuropäischer Musik
zurückgegriffen. Die beliebte Blasmusik ist im 19. Jahrhundert überwiegend aus österreichischer und türkischer Militärmusik, aber auch der
Roma-Volksmusik entstanden. Dieser »Balkan Brass« ist besonders in
Mazedonien und Teilen Rumäniens und Bulgariens verbreitet. In Serbien
wird er weithin als Bleh Musika bezeichnet.
Und schließlich zu meiner Lieblingsmusik: Der türkische Hip-Hop nahm
seine Anfänge nirgendwo anders als mitten in der deutschen Hauptstadt. Islamic Force hieß die Band, die als eine der ersten türkischsprachigen Hip-Hop-Gruppen 1992 in Berlin-Kreuzberg ihre Maxisingle My
Melody produzierte. Später brachte die türkdeutsche Gemeinschaft die
Gruppe Cartel hervor, deren Texte kontrovers diskutiert wurden. Beide
Bands bezeichneten ihren Stil als »orientalischen Hip Hop« und nahmen
bewusst Einflüsse des Nahen Ostens auf. Heute blüht diese Szene und
ist vielfältig wie nie (Rapper Sagopa Kajmer, Ceza und Fuat), was auch
immer ein Sarrazin von ihr halten mag.
Soviel für diesmal von Out of Europe, und: Respect!
Tarik Gül
Kolumne / Film
das magazin P im
ABONNEMENT
Herrn Kukas Empfehlungen Dariusz Gajewski. P L / A U T 2008, 93 min, dt. & poln.
Fassung. Vertrieb in D: Atlas International
FILM
Herrn Kukas
Empfehlungen
I
m Jahre 2003 rieben sich Publikum und Kritiker beim Filmfestival in
Gdynia verwundert die Augen, als ein bis dahin weitgehend unbekannter Regisseur namens Dariusz Gajewski mal eben die Goldenen Löwen einsackte — und das mit einem stilistisch eher »unpolnischen« Film. Der fulminante Einstand namens Warszawa beeindruckte durch ein galantes Changieren zwischen Tragödie und Komödie, Realismus und Fantasie. Das Finale des Viel-Personen-Stadtporträts war pure Magie: Eine Giraffe trabte zu einem Mieczysław-FoggChanson durch die vernebelte Warschauer Altstadt.
Im Nachfolger Herrn Kukas Empfehlungen schleicht nun diese Giraffe
— metaphorisch gesprochen — durch den ganzen Film. Zog Gajewski
im Vorgänger noch vorsichtig am Fantasie-Hebel, so legt er ihn jetzt auf
Anschlag. Nahezu jede Szene bekommt ihre Drehung ins Ironische, Uneigentliche, Unwahre und Magische und somit der Film als Ganzes einen doppelten bis dreifachen Boden.
Dabei ist die Fabel an sich hochgradig prosaisch. Der junge Pole Waldemar beschließt, ein paar Wochen lang im goldenen Westen etwas Geld
zu verdienen. Also setzt sich der reichlich naive Knabe aus der Provinz,
nur notdürftig mit ein paar halbgaren Ratschlägen des undurchsichtigen Herrn Kuka ausgestattet, in einen Bus nach Wien und wird ohne
großes eigenes Zutun in einen Strudel von verwegenen Geschichten
gezerrt, die ihn reifen und in der gar nicht so goldigen Fremde eine Menge über sich selbst erfahren lassen.
Das könnte schnell banal werden, würde die literarische Vorlage nicht
vom im komischen Fach durchaus bewanderten Radek Knapp stammen und Gajewski dessen Augenzwinkern gekonnt in Bilder übersetzen. Wien birgt bei ihm zwar Licht und Schatten, aber nicht scharf
voneinander getrennt, sondern in diversen Mischtönen. Dies gilt auch
für das skurrile Figurenkabinett, das sich weder in Gut und Böse noch
in Ernst und Heiter zerlegen lässt. Allein der schon aus Warszawa bekan­
nte Łukasz Garlicki wandelt wie eine entrückte Lichtgestalt mit großen,
unschuldigen Augen durch diese Alb-/Traumwelt und verleiht ihr als
Dreh- und Angelpunkt der Handlung zunehmend dezent gesetzte Farbtupfer.
Diese zweifelsohne sehr intelligente Komödie sollte man allerdings
unbedingt in der polnischen Synchronfassung genießen. Dort gibt es
nicht nur ein wunderbares polnisch-österreichisch-deutsches Sprachgemisch als Teil der Handlung, sondern man hat auch die seltene Gelegenheit, August Diehl Polnisch sprechen zu hören.
eLan
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17. Usedomer Musikfestival Insel Usedom [d]
www.usedomer-musikfestival.de
Warschauer Cross-Culturefestival* Warschau [pl]
www.estrada.com.pl
14. Jazz Camping Kalatówki* Hotel Kalatówki, Zakopane [pl]
www.kalatowki.pl
1
6. Internationaler Chopin-Wettbewerb* Warschau [pl]
www.konkurs.chopin.pl
Polish Cities à la Carte: Warsaw Days Polnisches Institut Wien, ost klub [at]
www.polnisches-institut.at
Jazz Goes to Town Hradec Králové [pl]
www.jazzgoestotown.com
XX. Leipziger Chopin-Tage 200 Jahre Chopin Leipzig [d]
www.leipzig.polnischekultur.de
Unsound Festival* Krakau [pl]
www.unsound.pl
Jazzkonzert der Poetic Jazz Quartett Altes Südhaus, Schloss Seefeld [d]
www.kultur-schloss-seefeld.de
30. Rawa Blues Festival* Katowice [pl]
www.rawablues.com
54 Krakowskie Zaduszki Jazzowe Krakau-Wieliczka-Zabierzów-Niepołomice-Trzebnica [pl]
www.deprofundis.dt.pl
2010 Impressionen zu Chopin und eigene Kompositionen von Leszek Możdżer Berlin [d]
www.quasimodo.de www.polnischekultur.de
Festival Jazzowa Jesień* Bielsko-Biała [pl]
www.jazzowajesien.pl
Seven Gates of Jerusalem von Krzysztof Penderecki, Konzert Würzburg, Kiliansdom [d]
www.hfm-wuerzburg.de
Anzahl
Telefon * Mehr dazu und weitere Musik-Events in Polen finden Sie in CityCult _Polska_Festivals (siehe S.105).
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3LWWP]dZYLbLWWÐ0LYNPZY_SPMPLNSÐ
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bbbÐROYbLaP^ÐNZX
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Nr. 5 [2008] 3,50 €
Curricula Polonica
EventKALENDER
2010
11
25.9.–16.10.
121
Die Krabbe
als
SYLWIA
heilige CHUTNIK
antje ritter-jasińska
[Ubersetzung
aus dem
polnischen]
D
a heben sie die Krabbe auf den Altar, schon nähen die Frauen ihr
schöne Kleider. Solche Gewänder hatte sie im Leben nie, im Leben hatte sie gar keine Gewänder, nur Trainingsanzüge mit abgetrennten Hosenbeinen und Blusen. Nichts da mit goldbestickten
Kleidern, mit perlenbesetzter Weste. Und diese Krone! Die künstlichen Brillanten von Jablonex harmonieren perfekt mit dem Saphirblau ihrer Augen und dem Kaleidoskopblick. Das wunderbare Antlitz der Gesegneten Strafe funkelte schon in der Ferne, schon winkte
sie uns heran, näher an den Altar. Näher an das einzige Wunder von
Gołąbki, das uns der Herr geschickt hatte im Rahmen der Vergeltung für
die dörfliche Lage und die vergessene Metropole.
Der Krabbe gefiel das sogar. Ständig neue Gestalten knieten neben ihr
nieder und drapierten ihre Kleider oder rückten die schiefe Krone zurecht (ist ja klar, wenn man, mit Verlaub, keine vier Buchstaben hat,
wankt die Gestalt und alles fällt von ihr ab). Die Krabbe wurde gepudert,
mit speziellen Duftcremes gegen Hässlichkeit eingeschmiert und für
die große Premiere vorbereitet. Bei der nächsten Messe — das ist schon
morgen, wir freuen uns wirklich sehr, dass in so kurzer Zeit in unserem
Städtchen eine Heilige gefunden wurde! — sollte sie wie ein wunderbares Gemälde enthüllt werden. Die Krabbe war für das Eine bestimmt:
die Gläubigen zu rühren und dazu zu bringen, mehr in die Kollekte zu legen sowie den Zweiflern zu zeigen, dass auch wir unsere Märtyrerin für
Bewunderung und Anbetung haben. So bescheiden ist diese Heilige,
so schweigsam, und sie passt genau zu unseren ebenfalls bescheidenen Möglichkeiten. Auch ein blindes Huhn und so weiter, jedenfalls
freuten sich alle in der Gemeinde sehr, dass das Mädchen so clever auf
dem Podest links vom Altar gelegt worden war und dass es so schön
von der Leuchtstoffröhre, die man zuvor extra für den Anlass der Erleuchtung erworben hatte, angeleuchtet wurde.
Und weiter: Bei der sonntäglichen Zeremonie sollten hinter dem Kindchen Dias gezeigt werden, zum Gedenken an den Jahrestag des Weltkrieges, den wir gewonnen hatten. Explosionen, Ruinen, Leichen und
Blut. Das passte prima zur Beschwörung von Gebet und Erlösung,
Amen.
Denn wir wissen ja alle, dass der Zweite Weltkrieg hier begonnen hat,
in Gołąbki, als hier am 31. August ein polnischer Briefträger überfallen
wurde und sich später herausstellte, dass der Täter Deutscher war und
außerdem auch noch betrunken. Er nahm ihm die Tasche weg und kippte die Korrespondenz auf den Fahrdamm. Dieser perfide Angriff wurde
während weiterer Verteidigungsmaßnahmen der Polen gerächt, die das
Ziel hatten, dieser erniedrigenden Zwangslage zu entkommen sowie
in den Genuss von Ehrensalven zu den wiederkehrenden Jahrestagen
des heldenhaften Aufruhrs zu gelangen. Die Bewohner rächten den
Briefträger, und das übergebührlich.
Auch das Porträt des mutigen Mannes, des vom westlichen Nachbarn
mit polnischer Staatsbürgerschaft bestialisch Zugerichteten, hängt derzeit geschmückt mit Schärpen im Gotteshaus. Die Krabbe wird sich perfekt einpassen in die ganze Gestaltung. Und dann kann man sie noch für
die Weihnachtskrippe als Jesuskind nehmen, das liegt sowieso immer
in der Futterkrippe verbuddelt, nur sein Gesicht ist zu sehen, der Rest ist
überflüssig.
Unsere heilige Herrin, jungfräuliche Verkrüppelte, wenn wir dich anschauen, sind wir tief bewegt, dass solche Kinder geboren werden, dass
sie immer sorglos und glücklich sind. So frisch-fröhlich und unerschütterlich. Deshalb geben wir auch sehr gern eine Spende für den Kampf
gegen Behinderung und gegen das gänzliche Verbot, behindert geboren zu werden. Du bist für uns ein Beispiel dafür, wie ein Mensch nicht
aussehen sollte und deshalb hängst du auch an unserer Kirchendecke
an Spezialseilen, und vor der Messe wirst du immer vor die verdatterten
Gesichter herunterfahren mit einem Lied auf den Lippen, grunz, grunz.
Bei uns gibt es keine Babyklappe, keine späte Abtreibung, keine Wiege,
aber dafür verzierte Altäre. Und dich, Krabbe, lieben wir sehr.
Aber solange noch keiner da ist, und bis zur Premiere unserer neuen
Heiligen noch ein bisschen Zeit ist, sollte der Schatz angemessen unter
einem Kartoffelsack aus Leinen versteckt werden, damit er nicht einstaubt und sich nicht allzu sehr besabbert.
Das Mädelchen hing also erbärmlich an Seilen unter der gotischen Decke, Tränen rannen über sein Gesicht und verwandelten sich nicht in
Wein. Karolinka war in Gedanken zuhause, bei ihrer Mama, die fröhlich
in der Küche wirbelte und Kohlen schleppte, die Essensreste vom Doppelkinn ihrer Tochter wischte und sorglos mit ihr plauderte. Wie eine
Mutter mit ihrer heranwachsenden Tochter.
123
p heft N 12 musik
Was gibt’s Neues bei dir, Liebling, hast du einen Verehrer? Hast du vielleicht eine beste Freundin in der Klasse? Dass du nicht in die Schule
gehst, ach ja, ich weiß, ich habe doch nur mal gefragt. Ganz unverbindlich wollte ich unsere Beziehung aufrecht erhalten, die in der Zukunft
in Vertrauen und Unterstützung selbst bei den schwersten Lebensentscheidungen münden sollte. Manchmal mache ich mir Sorgen um dich,
Töchterchen, weil du so scheu bist. Schweigsam irgendwie und verschlossen. Ich möchte dich bitten, dass du manchmal zu mir in die Küche kommst und so ganz normal, ganz von selbst, deinen Kopf auf meine Schulter legst und »Mutter« flüsterst.
So wie diese Karolinka aus Warschau, die während des Krieges in unserer Scheune immer den Kopf auf die Schulter ihrer Mutter gelegt hat
und sie entsetzt gefragt hat »was wird mit uns werden«. Meine Großmutter hat immer gesagt, dass familiäre Beziehungen so aussehen sollten. Vertrauen und Gespräche. Ein Gespräch ist immer gut, besonders
zuhause, denn hier ist es am schwersten, es mit dem ganzen Leuten
auszuhalten, die in Unterhosen zwischen Küche und Bad tänzeln, zwischen Bad und Küche und immer die Zahnpastatube offen und immer
ein schmutziges Messer in der Spüle liegen lassen.
Wenn du also irgendwelche Sorgen in der Pubertät haben solltest, kannst
du immer gern auf mich zukommen und dein Herz ausschütten. Töchterchen.
Jetzt heulte die Krabbe fürchterlich. Die Dunkelheit brach herein und ihr
flossen nicht nur Tränen sondern auch Rotz in Strömen und sie selbst
bekam das nicht in den Griff, schließlich hatte sie keinen Ärmel zum Abwischen, denn wozu brauchte sie auch einen Ärmel. Es wurde nostalgisch in der leeren Kirche, die jetzt intensiv nach verschiedensten Blumen roch, was Schwindelgefühle verursachte.
Es duftete nach weißen Lilien, Feldblumen, wilden Kräutern und Malven.
Herr, mir fehlt meine Mama. Mir fehlt mein Spielzeug und mein vollgepinkeltes Bettchen mit der dreckigen Bettwäsche. Einen Teufel werde
ich tun und schamlos vor den Gläubigen herumhängen, bin ich etwa im
Zirkus? Die entdecken noch meine Talente und werden mich angaffen
wie eine Frau mit Vollbart, siamesische Zwillinge oder einen Athleten mit
übermenschlicher Kraft. In einem Flitterblouson werde ich mein Kaleidoskop-Auge nach allen Seiten schütteln müssen, um die Bilder der
Vergangenheit zur Freude und Rührung der Masse transmittieren zu
können.
Ich werde nicht die Fee für den Mob spielen. Ich will mich nicht mit deren
toten Großvätern und geliebten Großmüttern vereinigen. Die werden
auf meinen herausstehenden Bauch starren wie in eine Glaskugel und
gerührt sein über Die Schrecklichen Schicksale. Lager, Todesmärsche,
Deportationen, Verhaftungsaktionen und Bombardierungen.
Mit diesen Geschichten ist jetzt Schluss, sie spenden keinen Trost mehr.
Immer dieses Gejammer: Ach, die polnische Fußballmannschaft mag
jetzt verlieren, aber früher, früher, da haben wir gekämpft. Das Wort
»Ehre« war uns in Fleisch und Blut übergegangen. So war es, und jetzt
spulen wir an den Anfang zurück und schauen es uns auf der Dickbauchleinwand noch einmal an. Zum Trost.
Damit war die Krabbe nicht einverstanden, weil sie genug hatte vom
Mediumspielen. Die unverständlichen Befehle von vor über 70 Jahren
und die Angriffsgeräusche nervten sie. Und das wilde, beinahe tierische
Geschrei, wenn hundert Kerle mit dem Bajonett auf die anderen losgehen. Sie waren nicht aufzuhalten, waren wie ein Organismus. Sie trampeln über meinen Körper und mein Herz und sagen nicht einmal »Entschuldigung«.
Plötzlich begannen die Stimmen, die zu all den von ihr verspeisten Menschen gehörten, zu all den Knochen, die ihr Haus geheizt hatten, ihr etwas ins Ohr, in den Bauch zu flüstern.
Was willst du denn hier umsonst rumhängen wie ein Hampelmann im
Hort? Kalt ist es und feucht, die Blumen stinken, dass einem schwindlig
wird und dann noch dieser seltsame Typ in diesem Kleid, der so ungesund aufgeregt ist wegen deines plötzlichen Auftauchens.
Es lohnt sich nicht, heilig zu sein, merk dir das. Zu dir beten werden sie
nicht, weil du sie an allzu viel Böses erinnerst. Ach, eine Träne werden
sie fließen lassen, denken kurz »gut, dass ich das nicht bin« und vergessen dich. Lauf lieber schnell weg, denn morgen nageln sie dich hier für
immer fest und du wirst täglich um Erlösung grunzen müssen. Eine undankbare Arbeit, machen wir uns vom Acker.
Die Dunkelheit brach herein, und ganz Gołąbki wurde von Nebel zugedeckt. Die Sterne kündigten gutes Wetter an und es wurde Zeit aufzu­
brechen.
Die Krabbe knirschte mit den Zähnen, so dass sie Funken schlugen, die
nach einer Weile die Strippen in Brand setzten, an denen sie befestigt
war. Krachend landete sie auf dem Kirchenfußboden aus schwarzen
Literatur
und weißen Mosaiken. Im Fallen riss sie mit ihrem langen Gewand brennende Kerzen mit, die sofort den Stoff entzündeten.
Die Krabbe brannte wie eine Fackel. Sie kroch auf dem Boden im Feuerschein wie ein wirbelnder Feuerwehrmann, dem die Übungen zu langweilig geworden waren. Stöhnend robbte sie zum Taufbecken, zog sich
an den Zähnen hoch und kullerte hinein.
Pssss. Die Fackel erlosch, die Krabbe war wieder eine Einheit. Die Haut
war rot geworden und begann, sich lappenweise vom Körper abzulösen.
Das war nicht besonders sexy, das sah nicht nach einem New Look aus.
Es hatte auch überhaupt keinen Bezug zu Modewelt. Das lief allerdings
unter Stigmata, unter geheimnisvollen Zeichen, die nur Auserwählte besaßen.
Die Krabbe zog die sich windenden verbrannten Hautteile hinter sich
her wie einen Brautschleier. Jetzt lag sie gerade vor der offenen Kirchentür und plante ihre spektakuläre Flucht. Gut, dass am Himmel Sterne
schienen und dass Schwester Arleta wieder vergessen hatte, die Tür
abzuschließen. Das wäre vielleicht was gewesen, wenn sie hier nicht
rausgekommen wäre.
Das Mädchen hatte sein Gesicht nach oben gewandt und überlegte,
wie sie unbemerkt nach Hause kommen konnte. Sie würde wahrscheinlich durch die Straßen rollen wie ein verrückter Puck oder ein Laib Brot.
Selbst wenn — das Wichtigste war, nach Hause zu kommen, zu Mama.
Die erste halbe Drehung war ein bisschen schief und um ein Haar wäre die Krabbe wieder vor dem Altar gelandet. Doch dann brachte sie jede weitere Bewegung an den Treppenrand. Warte, vorsichtig, ja, noch
ein bisschen und … Der Rumpf holte Schwung und fiel dann mit Wucht
runter. Das Pech wollte, dass gleich neben dem Bürgersteig, der zur Kirche führte, eine Straße war, auf der gerade die Nachbarin entlang fuhr.
Sie bremste im letzten Moment ihren Wagen wie in einer filmischen
Schlitterpartie und sprang geschockt heraus zur Krabbe.
Was machst du denn hier, Kindchen, wer hat dich denn hierher gebracht, warum sollen wir dich hier ansehen? Wie kann das sein, die
Bewoh­ner haben sich mit solchen Widerlichkeiten nicht einverstanden
erklärt und eine entsprechende Petition wurde gar nicht eingereicht.
Auf das Gerührtsein müssen wir uns erst einstellen, nichts da ohne Vorwarnung, da fällt mir das Monster auf der Straße unter die Räder und
brüllt. Niemand hat einen solch plötzlichen ästhetischen Schock verdient.
Ach, ich verstehe, deine Mutter hat dich sicher hier vor der Kirche abgelegt und wollte damit ihre Probleme lösen. Was ist das bloß für eine Frau,
na ich weiß nicht, die hat sich ihre Moral sicher im Ausverkauf geholt und
dazu aus China bestimmt. Warum hasst die ihr Kind so? Warum ist sie
kein Krug, der ohne Henkel nach Wasser geht, warum findet sie sich
nicht mit dem ab, Was Sein Muss? Woher so viel Widerstand in ihr, und
wozu. Schließlich weiß doch jeder, warum gerade sie so ein debiles Kind
bekommen hat. Schuld und Sühne. Und wer es nicht gelesen hat, sollte
die Zusammenfassung überfliegen.
Über der Krabbe, die breitlings mitten auf der Straße lag, bildete sich
eine immer größere Menschentraube. Die Gaffer berührten mit leichter
Faszination den Körper des Mädchens und sahen sich ungläubig an.
Und weil es dunkel war, fand das Getatsche lediglich im Licht der Straßenlaterne statt. Wie ein geheimnisvolles Ritual, die Begegnung mit etwas Namenlosen. Das lebt also, das hat Hautreste, die sich wie unsere
Haut anfassen. Was wohl innen sein wird? Ob in seinen Adern das gleiche Blut fließt wie in unseren? Vielleicht hat es eine andere Farbe, vielleicht ist es kochend heiß oder eiskalt? Faszinierend, wie in einen so kleinen Oberkörper sowohl Herz als auch Lunge reinpassen. Na ja, irgendwo muss das schließlich hin.
Warum hast du so einen großen Kopf?
Damit alles rein passt, was rein gehört.
Und warum hast du solche Glubschaugen?
Weil man mir in die Augäpfel ein Kaleidoskop eingebaut hat, damit ich
schöne Bilder projizieren kann.
Und warum hast du so ein entsetzlich großes Maul?
Damit ich euch besser fressen und dann rülpsen kann.
Und Arme und Beine hast du seit deiner Geburt keine oder hat sie dir
jemand gestohlen? Und du sprichst so komisch, sind deine Stimmbänder gerissen? Moment mal, du bist die Heilige und sollst für die Sünden
deiner Familie bis zum Ende deiner Tage bezahlen?
Hat ihre Mutter sie nicht in die Kirche gebracht?, fragte die Nachbarin.
Ach wo, haben Sie das nicht gehört, dass ihr die Krabbe weggenommen und mit Gewalt hierher gebracht wurde? Sie soll unser bestes Exportprodukt werden, gefördert von den Rücklagen der EU. Zum Vatikan
auf Pilgerfahrt soll sie gleich los und um Massenvergebung bitten für
unsere städtischen Sünden und zwar in erster Linie.
124
p heft N 12 musik
Das Mädchen soll die zukünftige Botschafterin von Gołąbki werden, unser Gesicht. Sie hat ein charakteristisches Aussehen, so dass wir wiedererkennbar sein werden.
Die Leute überboten sich mit Neuigkeiten und immer unwahrscheinlicheren Plänen für die Krüppelin ohne alle Viere. Angeblich jault ihre
Mutter seit mehreren Stunden im Garten und lässt die Leute nicht schlafen. Zweimal haben sie die Hunde auf sie gehetzt, aber trotz schlimmer
Bisse — Marek ist sogar mit seinem Bullterrier gekommen — hat sie
sich nicht beruhigt und heult weiter. Was ist das für ein Weib, also wirklich. Kein bisschen Stolz, keine Benimmse. Ist ja auch kein Wunder, wenn
die Familie Volksdeutsche und Juden waren.
Das Gör muss in die Kirche gesteckt und die Tür verriegelt werden, damit es keine Mücke macht. Wir können nicht zulassen, dass sich das in
alle Richtungen ausbreitet und eine Schleimspur wie eine Schnecke
hinter sich zieht.
Mach, dass du zurückkommst, du Krabbe. Einer muss für Großmutter
und Mutter Buße tun. Wir wollen, dass du über dem Altar hängst, wir
wollen etwas zu sehen haben. Ab zurück in die Kirche! Wir verlangen
Ergriffenheit und Schock von der Verkrüppelung!
Doch das Mädchen wollte fliehen und überflüssige Begutachtung zur
Bestätigung seiner Heiligkeit umgehen. Ein Teil der Leute war bereits
vor ihm niedergekniet und hatte Lieder über die Erlösung durch Leiden
angestimmt. Durch physisches Leiden natürlich, das ist besonders
wertvoll. Man denke allein an die heilige Juliane. Oder Katerina de Pazzi,
die levitieren konnte und mystische Visionen hatte, vergleichbar mit
dem Zustand der Hyperthermie. Sie hob ab und redete dann mit Jesus.
Das alles wurde mit einer erotischen Soße übergossen, zweideutig, wie
das oft bei Frauen der Fall ist, die von Glaube durchdrungen sind und
darüber den Verstand verlieren. Der heilige Bräutigam beschenkte Katerina mit mystischen Gewändern und Juwelen, und die spazierte darin
nackt durchs Kloster. Man kann sich denken, dass das bei der Oberschwester nicht auf Begeisterung gestoßen ist. Alle wandten sich von
den durchgeknallten Mädels ab, und die wurden nur noch verbissener,
machten noch mehr den Arc de cercle, den Gläubigen zum Trotze. Die
Krabbe ist genauso in sich versunken, so unversöhnlich, kurz vor der
Extase. Wie wir sie beneiden.
Manche der Versammelten versuchten gar, sich die Beine oder zumindest die Finger abzureißen, nach dem Bilde derer, die zur Heiligen von
Gołąbki werden sollte.
Leute, Erbaaaarmen, grunzte der Rumpf und versuchte, der immer aufgewühlteren Menschenmasse zu entkommen. Keiner verstand, was die
Krabbe herauszuschreien versuchte, sie beobachteten, wie sie sich ungeschickt über die Straße zum Bürgersteig wälzte.
Augenblick mal, Desertion lassen wir hier nicht zu. Wir haben ja nicht die
verräterische Familie toleriert, um nun nichts davon zu haben. Wir wollen wenigstens zur Sonntagsmesse etwas sehen und den Touristen, die
nicht kommen, etwas zu zeigen haben. Die Verachtung unserer lokalen
Gemeinschaft gegenüber muss auch Konsequenzen haben.
Jemand nahm einen Stock vom Rasen und näherte sich der Krabbe. Sie
war innerlich störrisch, es war zu sehen, dass sie ihre letzten Kräfte zusammennahm, ihre Augen glänzten und die verbrannte Haut schlotterte
in der frischen Brise. Sie wehrte sich nicht, sie gab nicht einmal einen
Laut von sich, war leichenblass. In ihren weit aufgerissenen Augen loderte die düstere Flamme von Grauen und Tod. Schluss mit den abendlichen Kriegsfilmen, mit den Träumen von einem besseren Leben mit
Gliedmaßen. Hilfe, Mama!
Sie levitierte wie alle ausgestoßenen Mystikerinnen. Die Krabbe hatte
eine Vision, in der sich die Vergangenheit mit dem verflocht, was noch
gar nicht gewesen war und nie kommen würde. Sie ertrug weitere Schläge mit immer mehr Inbrunst, denn sie wusste, dass sie nichts mehr retten würde und dass es keinen Sinn hatte, diese Szene zu verlängern.
Fesselt sie, sonst reißt sie sich los und flieht, riet die Nachbarin. Auf der
Straße stand ihr Auto bereit, nur der Motor musste angelassen werden.
Sie warfen die wie einen Hammel geknebelte Krabbe auf den Hintersitz
und fuhren los in höllischem Durcheinander; höhnische Spottnamen,
Gelächter und Beschimpfungen fielen auf sie herab wie tödlicher Hagel.
Was das für Spottnamen waren? Ach, ganz menschliche, normale eben.
Behinderte Nutte, jüdischer Rumpf und Parasitenschlampe, gemästet
von der Sozialhilfe außerdem. Die Großmutter hatte Polen, die Familie
Gołąbki verraten. Diebin, hast fremdes Gut gestohlen, Warschauer, nicht
unsers.
Sonderling.
Nach einer Weile wurde der Umzug langsamer. Die Nachbarin hörte auf,
wie besessen auf die Hupe zu drücken, und die Leute wurden leiser. Der
mutigste unter ihnen, der Inhaber des Spätverkaufs, sagte »vielleicht
125
LITERATUR
sollten wir sie zurückbringen, sie nackt ausziehen und in der Vorhalle
mit Ruten durchprügeln«. Den Weibern kam das wie gerufen, erregt riefen sie »wir wollen Blut sehen, packt sie«. Zwei Kerle, die gerade vorbeiliefen, sagten zueinander »gut, dass wir nicht in die Disco nach Ursus
gefahren sind, sonst hätten wir dieses Spektakel verpasst«. Skalpieren.
Verbrennen. Umbringen.
Die Spirale des Wahnsinns drehte sich von Minute zu Minute schneller,
niemand wusste mehr genau, was er von dem armen Kinde wollte, das
sich nicht wehren konnte und seinen Kopf, sein einziges vollständiges
Körperteil, mit seinen Schultern zu schützen suchte.
Plötzlich trat der Priester vor das Pfarrhaus und verstellte mit seinem
Körper die Kirchentür. Oh nein, das lasse ich nicht zu. Ihr tragt mir hier
noch den ganzen Modder rein und verspritzt Blut im Gotteshaus. Wer
soll das morgen sauber machen?
Ich vielleicht? Eher nicht.
Und dann steht nachher im Lokalteil, ich hätte an einer Lynch-Aktion
teilgenommen, hat mir gerade noch gefehlt. Hinfort.
Die Leute trieben sich gegenseitig an. Der Himmel wurde immer düsterer, der Wind schlug in die Pappeln, deren Äste sich weit herabbogen.
Staub- und Sandwolken wirbelten vom Wegesrand immer höher über
den Köpfen auf und hüllten sie ein wie der Dampf aus einem heißen Kessel. Von Zeit zu Zeit machte sich jemand Luft, spuckte auf die Scheibe
und schrie: Du Schwein, du Schwachsinnige, Russenkind, Pestbeule.
Auf die Gleise mit ihr, auf die Gleise. Diese Familie hat Schande über
unser Städtchen gebracht, deshalb hat euch Gott mit dem Krüppel bestraft, und jetzt tragt euer Kreuz! Du wurdest geboren, also friss die
Scham, schmeck den Gram.
Die Leute brüllten wie eine Armee, die sich mit lautem Schreien Mut
machen wollte.
Die Krabbe dagegen, ins Auto eingesperrt, blutig geschlagen, in der
zerrissenen Gewandung, in Ewigkeit geschändet, und zu schnell von
einer Heiligen zum letzten Dreck befördert, lag da als hörte und fühlte
sie nichts mehr, was um sie herum geschah, nur echte Tränen rannen in
einem endlosen Rinnsal über ihr blau geschlagenes Gesicht. Sie wollte
schreien, konnte es aber nicht. Sie wollte die Türen des Fiat Uno öffnen,
aber sie hatte keine Hände. Zur Flucht fehlten ihr die Beine und bequeme Schuhe hatte sie auch gerade nicht griffbereit.
Endlich kam die groteske Demonstration der gesellschaftlichen Gerechtigkeit neben den Bahnsteigen zum Stehen. Sie zogen das Mädchen
aus dem Wagen und warfen es wie einen aufgequollenen Kadaver auf
die Gleise, die unter ihr beinahe aufstöhnten. Sie fiel auf den Rücken und
bewegte sich nicht mehr. Sie spürte den Geruch nach Schmiere, stellte
sich aber lieber tot, um die Menge nicht noch mehr in Rage zu bringen.
Sie tat so, als sei sie nicht hier. Die Nachbarin sprang herbei, trat sie und
keifte: Wenn du in die Stadt zurückkehrst, hetzen wir die Hunde auf dich!
Sie hob einen Stein vom Gleisbett auf und warf als erste. Für das Leid
der Kinder, für den Krieg und den Warschauer Aufstand, für die Schande der Familie, da hast du, da hast du.
Für die Schande über Gołąbki warf die Nächste einen Stein.
Mögest du in Ewigkeit in der Hölle schmoren, möge dich die heilige Erde
wieder ausspucken, mögest du verhungern und verdursten.
Die Worte schmerzten mehr als die harten Steine. Die Krabbe zog sich
in sich zusammen und schloss die Augen, sah nur ihre eigenen inneren
Bilder.
Der Himmel bedeckte sich, es begann, in dichten, dicken Tropfen zu
regnen.
Was sollen wir hier herumstehen und die Aussätzige anstarren. Gehen
wir nach Hause. Die Menge ging nach und nach auseinander, ruhig, in
Gedanken versunken. Vielleicht mit einer gewissen Befriedigung und
dem Gefühl, seine Pflicht getan zu haben.
Der Abschaum lag auf den Gleisen, voller Schmiere. Diesen Weg waren
vierundvierzig die Leute nach Pruszków gezogen, und Leichen lagen
auf den gleichen Steinen, auf den gleichen Gleisen und warteten auf
weiß der Teufel was.
Steh auf, Mädchen, so lange das Leben schön ist. Roll dich von diesen
Schienen, denn das ist nicht der rechte Ort, zu verschnaufen und in
die romantischen Sterne zu starren. »Raus« wie man so schön sagt, verschwinde.
Die verkrampfte, in Sackfetzen gewickelte Gestalt wurde langsam vom
Lichtstrahl des herannahenden Zuges beleuchtet.
Auszug aus Sylwia Chutniks [*1979] zweitem Roman Die
Krabbe [pl. Dzidzia]; erschienen 2009 bei Świat Książki.
John 40
Alekins, Janis 99
a Abercrombie,
Alexander i. 6
b
c
d
e
f
g
NAMENSREGISTER
p heft N 12 musik
Alexandrow, Alexander Wassiljewitsch 7
Amos, Tori 107
Aniempadysta , Michał 93
Apostoleanu, Elena Alexandra (Inna) 80
Atlas, Natacha 84
Bacewicz, Grażyna 53
B l nescu, Alexander 79 f.
Balzac, Honoré de 56
Balzar, Robert 40
Baradulin, Ryhor 93
Bartosiewicz, Edyta 107
Baur, Eva Gesine 55
Becher, Johannes R. 7
Ben, Swetlana »Benka« 89
Biernacki, Wacław 30
Bierut, Bolesław 6
Bílá, Lucie 73
Bonaparte, Napoleon 5
Bors, Marcin 105
Boulanger, Nadia 53
Boulet, Marc 37
Boy-Żeleński, Tadeusz 49
Brandt, Willy 7
Bretschneider, Anna Maria 101
Broniewski, Władysław 6
Brown, James 9, 87, 109
Bruzdowicz, Joanna 53
Brylewski, Robert 37
Bumbire, Solvita 99
Bura kin, Hienadź 93
Burwik, Peter 80
Bush, Kate 107
Byrne, David 79
Ceau escu, Nicolae 79
Chang, Jeff 11
Chilly, Katya 84
Chopin, Frédéric 47, 55f., 63f., 107
Chruschtschow, Nikita Sergejewitsch 7
Chubynskyi, Pawlo 6
Chylińska, Agnieszka 107
Cioran, Emil 80
Conover, Willis 40
Czajkowski, Andrzej [André
Tschaikowsky]
Dąbrowski, Jan Henryk 5
Dalitz, Friedrich Johann 29
Danielsson, Lars 39
Darski, Michał Adam 27, 107
David, Michal 75
Delibes, Léo 49
Di Meola, Al 84
Diehl, August 118
DJ Kool Herc 9,11
Doda Elektroda [Dorota Rabczewka] 107
Drańko-Majsiuk, Leanid 93
Duda, Tomasz 13
Dudziak, Urszula 111
Dumin, Henryk 21
Ebert, Friedrich 7
Eisler, Hanns 7
El’-Registan, Gabo 7
emade 11, 113
Fajbusiewicz, Michał 11
Fallersleben, Heinrich Hoffmann von 7
fisz 11, 113
Fitelberg, Grzegorz 49, 64
Fitelberg, Jerzy 49
Fogg, Mieczysław 118
Forman, Miloš 73
Fresco, Zohar 39
Freyer, August 30
Gabriel, Peter 45
Gajewski, Dariusz 118
Gajewski, Henryk 37
Garanca, Anita 99
Garanca, Elina 99
Garlicki, Łukasz 118
Geppert, Edyta 111
Giemza, Maciej 13
Glinka, Michail 7
Głowiński, Jan 30
Goebel, Bruno 29
Gorbatschow, Michail 37
Gott, Karel 73
Grechuta, Marek 45, 113
Grisons, Jean Baptiste 5
Grynkiw, Roman 84
h
i
j
k
l
m
Grzymałkiewicz, Patrycja 113
Gutek, Roman 13
Haas, Pavel 63
Hagen, Lou Fanánek 75
Hanzl, Petr 40
Harders-Wuthenow, Frank 63
Haschka, Lorenz Leopold 5
Haubenstock-Ramati, Roman 53
Havel, Václav 14
Haydn, Joseph 5, 7, 80
Hendrix, Jimi 39
Hilton, Stephen 113
Holzbauer, Ignaz 5
Holzer, Johann 6
Honzák, Jaromír 40
Horn, Shirley 40
h lka, Daniel 75
Inna [Elena Alexandra Apostoleanu] 80
Iwasjuk, Wladimir 83
Janca, Jan 29
Janda, Krystyna 109
Jansons, Viesturs 99
Janukowitsch, Wiktor 6
Januszkiewicz, Szymon 31
Jarocki, Jerzy 13
Jaruzelski, Wojciech 37
Jędrusik, Kalina 109
Jędrzejewicz, Ludwika 55
Jopek, Anna Maria 105, 109
Kaczmarski, Jacek 9
Kamocki, Aleś 93
Kant, Immanuel 89
Karłowicz, Mieczysław 49
Kaulfürst, Fabian 101
kayah 109
Kennedy, Nigel 45
Kiel, Friedrich 49
Kiełtyka, Witold 27
Klein, Gideon 63
Kleszcz, Włodzimierz 45
Klimkovich, Mikhas 6
Knorr, Julius 55
Kocor, Korla Awgust 101
Koffler, Józef 64
Koglmann, Franz 80
Kohl, Helmut 7
Kovolevska, Maija 99
Krajewski, Seweryn 109
Krása, Hans 63
Krauthammer, Andrzej 53
Krawczyk, Krzysztof 105
Kremer, Gidon 99
Kryl, Karel 76
Krzak, Wojciech 45
Kucz, Konrad 107
Kulenty, Hanna 53
Kullaks, Theodor 49
Kunze, Michael 75
L.U.C. 11, 111
Laks, Szymon 53, 64
Landa, Daniel 75f.
Laskowski, Karol 64
Leichtentritt, Hugo 56
Lilius, Szymon 29
Lipiński, Tomek 37
Lipský, Old ich 73, 76
Liroy (Piotr Marzec) 9, 109
Lisle, Rouget de 5
Liszt, Franz 49
Llach, Lluís 9
Lukaschenka, Alexander 90
Lutosławski, Witold 53, 64
Maizière, Lothar de 7
Majakowski, Wladimir 90, 93
Majchrzak, Józef 21
Makowicz, Adam 39
Maleńczuk, Maciej 113
Marcovici, Andrei 80
Marek, Czesław 53
Marsallis, Wynton 40
Marzec, Piotr (Liroy) 9, 109
Masecki, Marcin 14
Masłowska, Dorota 111
Matecka, Agnieszka 43, 45
Matwijenko, Nina 83
Mazolewski, Wojtek 14
Mendelson, Joachim 53
Metheny, Pat 109
Meyer, Krzysztof 53
Michalkov, Sergej 7
WeIBeraTlas sYlWIa
Fur chuTnIK
Warschau
n
o
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r
s
Mickiewicz, Adam 61
Milea, Ada 79
Mládek, Ivan 73
Moniuszko, Stanisław 49
Morawski, Eugeniusz 49
Moretti, Macio (Maciej Moruś) 13ff.
Mosengel, Johann Josua 29
Moss, Piotr 53
Mozart, Wolfgang Amadeus 5f., 55
Możdżer, Leszek 39, 55
Mrozik, Michalina 19
Müller, Herta 79
Müller, Moritz Robert 30
Mysłowska, Olga 14
Myszor, Przemysław 109
Nagel, Paul 101
Naliwajek-Mazurek, Katarzyna 63f.
Namisnyk, Lilija 99
Naum, Gellu 79
Necká , Václav 75
Nelson, Andris 99
Nergal 27
Niaklaje , Uładzimier 93
Nieck, Friedrich 56
Niemen, Czesław 109
Nikolaus I. 6
Nohavica, Jaromír 73
Noskowski, Zygmunt 49
Nosorogow, Michej 90
Nosowska, Kasia 105, 107, 109
Novika 105, 109
Nowak, Adam 111
Nowakowski, Tadeusz 47
Nozdryn-Płotnicka, Teresa 21
Nyffeler, Max 55
Nyman, Michael 79
O.s.t.R. 11
Olter, Jacek 39
Osiecka, Agnieszka 107, 109, 111
Ossowski, Wojciech 45
Ostaszewski, Jacek 45
Ostrowski, Adam 11
Paderewski, Ignacy Jan 49
Padlewski, Roman 64
Palmer, Tony 55
Panufnik, Andrzej 53
Pavlí ek, Michal 76
peja 9
Penderecki, Krzysztof 58ff.
Perepłyś, Karol 64
Perkowski, Piotr 49
Piłsudski, Józef 6
Pleyel, Ignaz 5
Podskalský, Zden k 73
Pogoda, Ulrich 101
Polański, Roman 64
Potocka, Gräfin Delfina 55
Przemyk, Renata 111
Przybysz, Natalia 45
Pukst, Sergej 87
Puriete, Aija 99
Putin, Wladimir 7
Rabczewska, Dorota »Doda« 107
Rancière, Jacques 56
Rathaus, Karol 49
Reber, Henri 56
Reeves, Dianne 40
Regamey, Constantin 64
Rellstab, Ludwig 56
Ribot, Marc 87
Riefenstahl, Leni 87
Riemer, Gottfried 30
Rodowicz, Maryla 109
Rodziński, Artur 49
Rogiński, Raphael 14
Rojek, Artur 109
Rosenstock, Joseph 49
Rosłaniec, Katarzyna
Rostkowski, Łukasz (L.u.C) 11
Różycki, Ludomir 49
Rubinstein, Artur 64
Rychman, Ladislav 73
Rypson, Piotr 37
Saenz Valiente, Candelaria 14
Sakalouski, Nester 6
Sand, Georges 56
Santana, Carlos Augusto Alves 39
Sarrazin, Jürgen 118
Schmidt-Garres, Jan 55
Schreker, Franz 49
U
V
W
Y
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Schumann, Robert 55f.
Schuster, Paul 80
Schwede, Uta 101
Seidl, Ulrich 55
Semisch, Manuel 101
Seweryn, Tadeusz 21
Sienkiewicz, Henryk 47
Sikała, Maciej 39
Sikora, Elżbieta 53
Silbermann, Gottfried 29
Sipole, Maja 99
Siry, Max 90
Sitarski, Józef 30
Skrzypczak, Bettina 53
Słowacki, Juliusz 61
Smoler, Jan Arno t
Smolik, Andrzej 101
Sobieski, Jan 19
Sojka, Stanisław 111
Spera, Domenico 99
Spielberg, Steven 45
Stalin, Josef 6f., 11, 40
Stańko, Tomasz 39 f., 105
Staszewski, Kazik 9, 111
Stenka, Danuta 13
Stojowski, Zygmunt 49
Stoph, Willy 7
Strasfogel, Ignace 49
Strauss, Richard 49
Studziński, Stanisław 30
Sumac, Yma 84
Sv rák, Zden k 73
Svoboda, Karel 75
Szalonek, Witold 53
Szamburski, Paweł 13
Szeluto, Apolinary 49
Szpilman, Władysław 64
Szymanowski, Karol 64, 49
t nase, Maria 80
Tansman, Alexandre 49
Tatsumi, Masako 93
Teterovskis, Ints 95
Todar (Vajciuškievi , Źmicier) 92f.
Tomaszewski, Mieczysław 55
Trzaska, Mikołaj 39
Tschaikowsky, André (Andrzej
Czajkowski) 53
Turnau, Grzegorz 111
Tyciński, Bartek »Magneto« 13ff.
Tymański, Tymon 39
Uhlí , Jaroslav 73
Ullmann, Viktor 63
Umer, Magda 109, 113
Urbaniak, Michał 39
Vajciuškievi , Źmicier (Todar) 93
Vankersbilck, Gwendolyn 99
Vasks, Peteris 99
Vondrá ková, Helena 73
Waglewski, Wojciech 11, 113
Waits, Tom 90
Weber, Bartosz 13ff.
Weill, Kurt 111
Weinberg, Mieczysław 53
Weizsäcker, Richard von 7
Werbyckyi, Mychajlo 6
Wieck, Clara 55
Wieck, Friedrich 55
Willenberg, Samuel 64
Wilsons, Woodrow 49
Wiśniewski, Michał 109
Wojaczek, Rafał 93
Wulf, Jan 29
Wybicki, Józef 5f.
Wyssozki, Wladimir 90
Wyszyński, Stefan Kardinal 61
Yang, Pati 113
Zabawa, Alicja 21
Zakrocki, Patryk 14
Zamoyski, Adam 55
Zanussi, Krzysztof 107
Zarębski, Juliusz 49
Zaryan, Aga 40, 105
Zaucha, Andrzej 113
Zavoloka 84
Żeleński, Władysław 49
Zieliński, Tadeusz A . 55
Zorn, John 87
Žukovskij, Vassilij 6
Das Leben im Mietshaus in der Opaczewska-Straße in Warschau scheint seinen gewohnten Gang zu gehen. Nichts deutet auf eine Katastrophe hin. Die Protagonistinnen
sind in ihre Rollen als »gastronomische Mütter«, »Einkleideeltern«, »rosarote Töchter«,
Zuckerbäcker und Basarhändlerinnen gefangen. Die Schwarze Mańka, pani Maria,
das Gör Marysia und die Transe Marian geben Einblick in ihre Leben. Der Weiberatlas
für Warschau ist eine bitterironische zeitgenössische Großstadtlegende mit kriminalistischem Handlungsstrang. Sylwia Chutnik erschließt die Stadt im Gestus einer feministischen Revolte, rekonstruiert detailliert Orte kollektiver Kriegstraumata und zeigt
mit enormer Symbolkraft, wie sich Stadtgeschichte in die Schicksale der Bewohner
einbrennt. Sylwia Chutniks erster Roman Weiberatlas für Warschau [kieszonkowy atlas kobiet] erscheint auf Deutsch im Dezember 2010 im Vliegen Verlag.
126
p heft N 12 musik
127
Sachregister
A Tribe Called Quest 9
Acid Drinkers 27
A ACT
40
DIALOG
Reklama Dialog D_Layout 1 14.09.10 15:12 Seite 1
Deutsch-Polnisches Magazin
• Kulturelle Identitä�t Europas • Die Zukunft des sozialen Europas • Polen und Deutschland zwischen Amerika und Europa • Das Weimarer Dreieck in der neuen
Union • Porträ�t einer Generation - Deutsche und polnische Jugendliche • Ö
� kologische Zusammenarbeit •
Krieg und Erinnerung • Vertreibungen - Die Gegenwart der Vergangenheit • Geschichte, die trennt und
verbindet - Polen und Juden • Deutsche Polonistik •
Deutsches und polnisches Kino • Fußball – deutschpolnische 90 Minuten • Stettin auf der Suche nach
einer neuen Identitä�t • DDR - Polen • 40 Jahre Briefwechsel der Bischö
�fe • Polen – Ukraine: Schwieriger
Weg zur Partnerschaft u. a.
B
Jahresabo des DIALOG: 15,30 € in Deutschland
(vier Nummern) • Einzelhefte: 5 € (+Versand)
Redaktion DIALOG
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Tel.: (030) - 26 551 - 630 • Fax: (030) - 26 551 631
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Katowice 27, 109
Kaufmann von Venedig 53
Kayah & Royal Quartet 109
Kayah i Bregovic 1109
Kayax 109
Kazimierz 30
Kazimierz Dolny 29
Keine Grenzen [Żadnych Granic] 109
Kieler Schloss 63
Kleopatra 75
Kochana Polsko [Liebes Polen] 11
Kolaboracja 37
Koledzy 113
Konfusion 111
Königsberg 29
Können diese Augen lügen 111
Korona Milky Bar 109
Kostrzyn 43
Koszalin 31
F
I
Jazz Forum 39
Jazz Jamboree 40
Jazzgot 13
Jazzthetik 39
Jędrzejów 30
Jelenia Góra [Hirschberg] 21
Jesus Christ Superstar 73
Jeszcze Polska … 9
Jimmy Jazz/Garaz 37
Jugoslawien 6, 19, 25, 35
Jump around 9
Junges Polen 49
Junior Jazz Festival 39
Kabát 73
Kaiserhymne 5, 7
Kalich 73, 76
Kalter Krieg 40
Kamenz 101
Kapela ze Wsi Warszawa [Warsaw
Village Band] 45, 113
Karpaten 43, 59, 83
Karpatenvorland 59
KAT 25
KPdSU 7
Kraina Mriy [Land der Träume] 84
Krakau 29, 39f., 45, 63f.
Kreator 27
Kremerata Baltica 99
Kresy 43
Kriwi 93
Kroke 45, 105
Krosno 27
Kryzys 35, 37
Kryzys Komunizmu 35
Krzeszów [Grüssau] 31
N
KSU 35
L
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Jaszczurka 113
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Davidsbündler 55
Deadlock 37
Dębica 60
Adéla ješt neve e ela 76
Decapitated 27
Adele hat noch nicht zu Abend gegessen 76 Delight 27
Africa Bambaata 9
Deuter 35
Aktenzeichen XY ... 11
Deyzi Doxs 101
Akwarium 39
Dezerter 37
Alboom 9, 109
Diamond Bitch 107
Alchemia 40
Dies Irae 27
All you need is love 6
Dixie 40
Allerseelen-Jazz-Festival [Zaduszki
DJ M.A .D 11
jazzowe] 40
Dobków 19
Allgemeine Musikalische Zeitung 55
Dorpat 99
Amazing 80
Dracula 75
Analogs 37
Drei Haselnüsse für Aschenbrödel 75
Analyse der Chopin’schen Klavierwerke 57 Drei Musketiere [T i musketý i] 75
Angelika 75
Dwa Serduszka Cztery Oczy 109
Apocalyptica 27
Dziwny jest ten świat 109
Apolodor 79
Ektomorf 25
Archangelsk 6
El Banda 37
Argentinien 14
EMPiK 25, 27
Arka Noego 25, 27
Era Nowy Horizonty 13
Armia 35, 37
Esther 5
As one 45
Estland 95, 99
Association des Jeunes Musiciens
Eurovision Song Contest 109, 118
Polonais 53
Evangelion 107
Atlas der Volkstrachten 21
Evita 76
Auschwitz 53, 63f.
Excalibur 76
Austerlitz 5
Eye For An Eye 37
Award for World Music 113
Face of Bass 40
Awful Noise 101
Faith, Hope + Fury 113
Baaba 13f.
Fala. Jarocin 85 25
B l nescu Quartet 79
Fallen Fallen Is Babylon 37
Balkan 118
Fanfare Cioc rlia 84
Ballets Russes 49
Feeling B 37
Balsis 95, 99
Fire 80, 107
Baltikum 19, 99, 118
Firma 9
Barnim Grüneberg 31
Folksamen, die 101
Bautzen 101
Frankreich 6, 2, 29, 37, 53, 89
BBC Radio 3 45, 113
Französische Revolution 5
Beastie Boys 9
fRoots 45
Beatles 5, 87, 90
Fryderyk 107
Beats Of Freedom 37
Fuat 118
Behemoth 27, 105, 107
Fünf Liter Zuika 80
Belarus 6, 19, 21, 53, 86, 90, 93
Gaba Kulka 105, 107
Belgien 21, 99
Gadki z Chatki 45
Berlin 5, 47, 49, 53, 55f., 61, 63, 89, 99, 101
Galeria Off 13
Berlinska dróha 101
Galerianki [Shopping Girls] 11
Bernhardinerbasilika 30
Galizien 19, 43
Between Us And The Light 39
Gdynia 118
Białowieża-Urwald 93
Gebet der Russen [Molitva Russkich] 6
Białystok 27
Geheimnis des goldenen Drachen, das 75
Biaroza ka 39
Głucha Noc [Dumpfe Nacht] 9
Bídníci [Les misérables] 73
Gnesen 61
Biene Maja 75
God save the King 5, 7
Bieszczady 43
Goebel 29, 31
Goldene Schallplatte 11
BiFF 105, 107, 111
Birkenau 53
Goldener Drache 76
Bla Bla Bla 11
Golem 75
Black Album 37
Göteborg 39
Blackmail/Extortion 14
GOWI Records 40
Bleh Musika 118
Grajso Lutki 101
Blitzkrieg 37
Grandmaster Flash 9
Blue Note 105
Grandpaparapa 109
Blue Note Label 40
Groupe des Six 49
Blur 107
Grüssau [Krzeszów] 31
Bolesławiec 19
Gut bezahlter Spaziergang [Dob e
Bolschoi-Theater 7
placená procházka] 73
Bosnien 19
Halka 49
Bosporus 118
Hapka&Horá ek 76
Breakout 113
Happiness Is Easy 109
Brieg 30
Hat 107
Broadway 73
Hedningarna 84
Brüsseler Konservatorium 49
Heiligelinde [Święta Lipka] 29
Brygada Kryzys 37
Heilig-Kreuz-Kirche 64
Budka Suflera 25
Hej, Sloveni! 6
Bukarest 79
Helgoland 7
Bulgarien 118
Hell-Born 27
Can´t Stop Won´t Stop 11
Helloween 27
Cartel 118
Hemp Gru 9
Cats 76
Hermannstadt 79f.
CD Baby 14
Hermannstädter Symphonie 80
echomor 73
Herrn Kukas Empfehlungen 118
Ceza 118
Hey 105, 107
Chłodna 25 14
Hirschberg [Jelenia Góra] 21
Chopin als Mensch und Musiker 56
Holland 53
Chopin Jazz Impresje 55
Hopsasa 45
Chopin oder Die Sehnsucht 55
Horny Trees 14
Chopin. Der Poet am Piano 56
Hot 80
Chopin. Ein Leben in Bildern 55
House of Pain 9
Chopin. Sein Leben, sein Werk,
Hoyerswerda 101
seine Zeit 56
Hudební divadlo Karlín 73, 76
Contemporary Noise Sextett 39f.
Hundstage 55
Cool Kids of Death 105
Huzulen 43
Cottbus 101
Hybernia 73
Cry 79
Hymne à la liberté 5
Cukunft 14
I left my wallet in el segundo 9
Czesław Śpiewa 14, 111
Ich troje 109
Czy te oczy mogą kłamać 11
Infinity 45, 113
DachaBracha 84
Internationale 7
Daina 95
Iron Maiden 26/27
Danzig 107
Islamic Force 118
Danziger Philharmonie 31
Istanbul 80, 118
Darkthrone & Co. 27
Italien 5, 79, 99
Darzamat 27
Izrael 35, 37
Das Unbehagen in der Ästhetik 56
Izvestija 7
Sachregister
p heft N 12 musik
M
Kudykam 76
Kult 9, 107, 111
Kursk 7
Kwartet Jorgi 45
Lado ABC 12ff.
Lado Week 14
Lady Pank 107
Last Poets 9
Lausanne 31
Legenda 37
Leipzig 56, 101
Leipziger Gewandhaus 55
Leipziger Wave-Gotik-Treffen 27
Lemberg 21, 49, 53, 64
Lemberger Land 19
Lemken 43
L'Estaca [Der Pfahl] 9
Lettland 31, 93ff., 99
Leverkusener Jazztage 40
Leżajsk 30
Lied der Polnischen Legionen 5
Lied vom umherirrenden Soldaten 19
Life and Death 80
Limonadový Joe 73
Litany 25
Litauen 19, 93, 95, 99
Little Shop of Horrors 76
Live At The Palladium 40
Livland 19
Łódź 64, 105
Lombardische Republik 5
London 53, 79, 99, 113
Looking, Walking, Being 105
Lublin 43, 61
Luhansk 6
Lukas-Passion 61
Lume, Lume 80
Luminitza 79
Lusławice 59, 61
Lwowianka 21
Lyrical 76
Maanam 107
Majdanek 63f.
Małgosia 109
Mały Szu 13
Marcin Wasilewski Trio 40
Maria T. 80
Marseillaise 5, 7, 21
Marseille 5, 63
Marszałkowska 25
Massacre Records 27
Mazedonien 118
Mazowsze 45
Mazurka 6
Melomani 40
Mem & Wolfram 14
Memel 7, 21, 93
Meritum 13
Metal Hammer 27
Metal Mind 27
Metal Mind Productions 27
Metalmania 27
Metropolitan Oper 99
Mexiko 19
Michael Nyman Ensemble 79
Miesiac i Sonca 93
Mig 21 73
Mikołajki Folkowe 45
Miłość 39f.
Miłość! Uwaga! Ratunku! Pomocy! 107
Minsk 93
Mitch&Mitch 13ff.
Młyny 6
Mona Lisa 75
Monotype Records 40
Monte Christo 75
Montreuil 101
Moonspell 27
Morowe 27
Moskau 53, 89
Moskwa 35
Mourner’s Rhapsody 109
MTV Music Award 107
Münster 61
Mury [Mauern] 9
Musik aus der Stille 80
Musik im okkupierten Polen 63f.
Musik in Auschwitz 64
Musiques Interdites 63
My Melody 118
Myslovitz 109
Mystic Production 14
Mythos 21
N.R.M. 87
N/0 109
Namysłowski 21
NDR -Radiophilharmonie 59
Negura Bunget 25
Néoclassicisme 49
Neue Zeitschrift für Musik 56
New York 9, 49, 79, 99
Nie lubię już Polski [Ich mag
Polen nicht mehr] 9
Niedalino 31
Niedere Beskiden 43
Niederschlesien 19, 21
Nihility 27
Nikt Nic Nie Wie 37
Noc na Karlštejn 73, 75
Noch ist die Ukraine nicht gestorben 6
Nocturnal Walks 80
Nocturnes 55f.
NotTwo 40
Novika 105, 109
Nowa Tradycja 45
R
S
NSBM 27
O
P
Nuclear Blast 27
NUO 40
O.C.B. 11
O.N.A . 107
Oberlausitz 101
Obwarzanek 19
Ode to Venus 109
Odzyskamy Hip-Hop [Wir holen uns den
Hip-Hop zurück] 11
Off-Festival 109
Ogre 99
Oktoberrevolution 6f.
Oliwa 29ff.
Olsztyn 25
Ordo Lumen Templi 76
Organic hallucynosis 27
Orkiestra Swiętego Mikołaja 43, 45
Orlík 76
Osjan 45
Oskar-Pastior-Festival 80
Ósmy obcy pasażer 109
Österreich 5ff., 47, 53
Ostrogski-Palais 55
Pałac 93
Palästina 53
Papaya Song 111
Paradise Lost 27
Paris 5, 47, 49, 53, 55f., 99
Paristetris 14
Pasażer 37
Paszport-Künstlerpreis 27
Paula Seling & Ovi 80
People's Spring 113
Perfect 107
Peyotl 105
Picking Up The Pieces 40
Pink Freud 39
Playing With Fire 80
Po drodze do nieba [Auf dem Weg
zum Himmel] 11
Polepione dźwięki [Aneinandergeklebte Töne] 11
Polesie 21
Polityka 27, 109, 111
Polnisches Requiem 59, 61
Polonaise fis-Moll op. 44 56
Polpo Motel 14
Polska 9
Pomaton EMI 113
Portishead 113
Portland 14
Post Regiment 37
Poza Kontrola 37
Poznań 45
Prager Nationaltheater 73
Preußen 5, 21, 27
Prix de Rome 49
Propsteikirche 29
Przekrój 13
Pulp 107
Punk 34ff.
Queen 53, 87
Quo Vadis 47
Rabbit 107
Radiohead 107, 109
Rage 27
Rakowice Małe 21
Rattenfänger [Krysa ] 75
Raz, dwa, trzy 111
Razem 37
Remont 37
Republika 37, 107
Resurrection 61
Riga 95, 99
Ring des Nibelungen 99
Riverside 27
Roadrunner 27
Robotobibok 39
Robrege 37
Rock Hard 27
RockerJocker 90
Rockers Publishing 14
Rom 49, 99
Roma 64, 80, 118
Room 28/Berlin 63
Rumänien 79f., 118
Run DMC 9
Russland 5ff., 47, 93, 99
Rzeczpospolita 27
Sagopa Kajmer 118
Santo Subito 113
Schadowanka 101
Schindlers Liste 45
Schlesien 30
Schleswig-Holstein Musik Festival 63
Schweiz 53
Scoobiedoo Ya 9
Scyzoryk [Klappmesser] 9
Secret 109
Sehnsucht [Touha] 75
Semafor 73
Sepultura 27
Serbien 118
Serce na dłoni 107
Serebrjanaja swadba 89f.
Sex Pistols 90
Sheshory 84
Silent Treatment 113
Simple Minds 109
Sinti 118
SkąDokąd 111
Skała 14
Slawonien 19
Slayer 27
Slipwalk 107
Slums Attack 9
Smells Like Teen Spirit 39
Solidarność 9, 37, 59
Sopot 9, 40
Sorben 101
Sorbisch 101
Sowiński-Park 35
Sowjetunion 5f., 21
Spalam się 9
spodchmurykapelusza 109
Spytaj Milicjanta 37
SS 20 37
T
St. Nikolaus Orchester 43, 45
St. Petersburg 49
Stabat Mater 61
Stalingrad 7
Starci na chmelu 73
Starzy Singers 13
Steppe, die 49
Sto zví at 73
Stoned Hajtzer 101
Strange is this world 109
Strzelce 49
Südkorea 75
Survivors Reunion 45
Swadba 89
Święta Lipka [Heiligelinde] 29
Świeżawa 19
Sycowski 21
Szczecin-Zdroje [Stettin-Finkenwalde] 31
T.Love 25
Ta Fantastika 73
Târgu Mure 79
Tartu 99
Tatort 40
Tauwetter-Periode 40
Terrorizer 27
T šín 76
T šínské Niebo/Cieszyńskie Nebe 76
The first damned 27
The Mystery of Chopin 55
The Raincoats 37
The Seven Temptations 107
The Time 39
This is a Man's World 109
Threnos 61
Tiger Lillies 90
Tilt 37
to jest jazz [Das ist Jazz] 40
To jest to [Das ist es] 9
Tonpress 25, 37
Transglobal Underground 84
Trebunie Tutki 45
Tricky 113
Troitsa 87
TSA 25, 27
Tscherwona Ruta 83
Tu Es Petrus 113
Tupika 13
Turbo 25, 27
Türkei 118
Tuwa 84
Twinkle Brothers 45
Tygmont 55
Tylko dla dorosłych [Nur für Erwachsene] 11
Tymański Yass Ensemble 39
Tymoteusz 27
UdSSR 21
6, 19, 83f., 93
U Ukraine
Underground Out Of Poland 37
V
W
Z
Universität Breslau 7
Universität Warschau 63
Upmixing 45
Upojenie 109
USSR 7, 83
Ustrzyki Dolne 35
Vader 25
Vajciuški 93
Variationen über »Là ci darem la mano«
aus Mozarts »Don Juan« 55
Verchovna Rada 6
Versailler Vertrag 49
Vesania 27
Vilnius 21
VIVA Comet 107
Vjutro rano 5
Voice of America 40
Voo Voo 113
Voskovec & Werich 73
Wałbrzych 21
Warsaw Village Band 45
Warschau 5, 11, 25, 30f., 37, 39f., 45, 49, 55,
59, 61, 63f.
Warschauer Getto 53, 63f.
Warschauer Herbst 53, 63
Warschauer Philharmonischer Chor 59
Warschauer Seminarkirche 30
Warszawa 118
Wasserpolnisch 21
Weimar 49
Weimarer Republik 49
Weißrussland [Belarus] 6, 19, 21, 53, 86, 90, 93
Wien 49, 99
Wilki 105
Wilnianka 21
Wind of creation 27
Withing Hour 27
Włochaty 37
Wodospady 107
Wolna Grupa Bukowina 113
Woodstock 84
Woodstock-Festival 43
Wrocław 14, 19, 111
Wúlbernosće 101
Wzgórze Ya-Pa 3 9
WZ-Orkiestra 93
Zaduszki jazzowe [AllerseelenJazz-Festival] 40
Zapust 101
Zbylutów 19
Zgorzelec 21
Zielona Góra 111
Zisterzienserkirche 30
Złota Kolekcja 107
Zrozumieć Polskę [Polen verstehen] 11, 111
2Tm2,3 27, 35
39/89 – Zrozumieć Polskę 111
p heft N 12 musik
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Der Sampler
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S. 2-3 und U2 © cyan
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S. 10 unten links © Monika Lisiecka
Autoren
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Sylwia Chutnik
S. 15-17 © LADO ABC
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S. 20-23 © Natalia Gańko-Laska
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Natalia Gańko-Laska
S. 26 oben rechts © Turbo
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Jan Hanisch
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S. 51 unten © Archiv André Laks
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Łukasz Tomaszewski
S. 65 beide © Jerzy Ficowski, Archiv des Regional­Thomas Weiler
museums in Tarnów
Maksim Žbanko
S. 66/67 © Wacław Żdżarski, Nationales
Digitalarchiv Warschau
Übersetzer
Olaf Kühl S. 82
S. 68/69 © Nationales Digitalarchiv Warschau
Antje Ritter-Jasińska S. 18, 122
S. 74 oben © Kate ina Czerná
Thomas Weiler S. 86
S. 74 unten links © Martin J. Polak
S. 74 unten rechts © Theatre Hybernia
Gestaltung +
S. 77 © Tomáš Martinek
Bildredaktion cyan www.cyan.de
S. 81 oben © Victor Ionescu S. 81 unten links © Alexander B l nescu
Druck möllerdruck und verlag gmbH Berlin
S. 81 unten rechts © Vulcanii Noroiosi
Der Sampler ist eine Co-Produktion von LADO ABC und P+.
S. 85 oben © DachaBracha
CD -Beilage nur in Teilauflage.
S. 85 unten © Zavoloka
Nachbestellung unter w w w. p p l u s - m a g a z i n e . e u
S. 88 beide © Masha Mitrofanova
S. 91 © Alexandr Zhdanovich (Tarantino)
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S. 96/97 © Birgit Johannsmeier
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von Warschauer Bands. Dabei steht A für elektronische
S. 106 unten links © Tomasz Milewski
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S. 106 unten rechts © ANNA MARIA JOPEK MUSIC
Rock, und C beherbergt improvisierte Musik, Jazz, ExperiS. 108 © Jan Malec/FORUM
mentelles und andere zeitgenössische Musik.
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