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Dezember 2006 | 4. Jahrgang
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Einen Bond
zu Weihnachten!
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Seite 24
Die Welt hat einen neuen Helden!
Rückblicke und andere
Sentimentalitäten
Seite 4 / 7
Interviews mit jenen, die gehen
Skandal im Museum
Seite 30
Wenn das Geld regiert
Kulturlose Medien
Wir reden nicht darüber!
Seite 32
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VORVERKAUF: www.allblues.ch • Tel. 0900 800 800 (CHF 1.19/min.),
alle Ticketcorner, Manor, SBB, Die Post • BERN: Olmo Ticket, Chop Records, Der Bund,
Thalia, Globus • FRIBOURG: Office du Tourisme
VERANSTALTER: Groovesound GmbH und All Blues Konzert GmbH in Zusammenarbeit mit BeJazz
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Spitalgasse 4 / 3. UG / CH-3011 Bern
Vorverkauf 031 311 61 00
Mo.- Fr. 16.00 -19.30 Sa . 14.30 - 16.30 Uhr
www.theater-am-kaefigturm.ch
«OXYMORON»
Es gibt keine bösen Jungs, nur gestörte!
«Zum Totlachen», das ist die einzige Beschreibung, die auf
«oXYmoron» passt. Lachen ohne Ende.
2.,7. bis 9. Dez. jeweils 20.00 Uhr
Ui! S‘is scho
bald Weihnacht!
ensuite - kulturmagazin kann man auch verschenken!
Telefon 031 318 6050 oder [email protected]
«MONSIEUR IBRAHIM»
und die Blumen des Koran
«Monsieur Ibrahim» ist die Geschichte einer Freundschaft
zwischen den Generationen. Das Stück ist so schön wie
das Buch: parabelhaft kurz, jeder Satz bedeutsam.
Alle Religionen sind gleich, und Religion macht nur Sinn,
wenn sie aufs Leben übertragen wird.
12.,14. bis 16. Dez. jeweils 20.00 Uhr
«GSPÄSSIGI LÜT»
Dieses Jahr feiern wir zweimal Silvester!
Die Millionärin Frau Edith Wildmann wird von ihren
Stiefkindern in eine Nervenheilanstalt gesteckt, da diese
sich um ihr Erbe sorgen und überzeugt sind, die etwas
sonderbare Dame würde ihr Vermögen an verrückte Ideen
verschwenden. Mit Schmeichelei, falschen Versprechungen
oder mit rüpelhaften Bedrohungen versuchen der
Ständerat Titus, der Oberrichter Samuel und die Lebedame
Lilybell an das riesige Vermögen zu kommen.
Die Erfolgskomödie wird in Mundart von der
Liebhaberbühne Biel mit viel Liebe zum Detail gespielt.
30. und 31. Dez. jeweils 20.00 Uhr
andrea heinrich coiffure & maquillage schulweg 11 3013 bern
* bus nr. 20, haltestelle gewerbeschule. der
schulweg ist an der lorrainestrasse, die erste rechts.
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INHALT
Bild Titelseite und rechts:
Daniel Craig alias James Bond
(Casino Royale) ist unser neue Held (Seite 24)
Fotos: © Buena Vista International (Switzerland)
KULTUR & GESELLSCHAFT
«wenn man geht, dann geht man richtig» 4 | museum franz gertsch 30 | nur ein toter indianer ist
31 | kultur in den berner medien 32
LITERATUR
joan didion, hitomi kanehara, ralf rothmann 29
BÜHNE
«also, mit etwas wehmut blicke ich schon auf die
zeit da zurück» 7 | «so-bytie» 9 | zweimal theater
für kinder 12 | ein mann, tausend schöne worte 13 |
ausblick bühne 13
impressum
Eigentlich, eigentlich...
ensuite – kulturmagazin erscheint monatlich als Gratis- und Abonnementzeitung. Auflage: 10‘000 / davon 1‘200 Aboversand Herausgeber: Verein WE ARE, Bern Redaktion: Lukas Vogelsang
(vl); Stephan Fuchs (sf); Anna Vershinova (av) // Andrea Baumann (ab), Peter J. Betts (pjb), Jean-Luc Froidevaux (jlf), Till
Hillbrecht (th), Michael Imoberdorf (mi), Sonja Koller (sk), Andy
Limacher (al), Belinda Meier (bm), Monique Meyer (mm), Eva
Mollet (ev), Magdalena Nadolska (man), Marta Nawrocka (mn),
Eva Pfirter (ep), Nicolas Richard (nr), Caroline Ritz (cr), Benedikt
Sartorius (bs), Monika Schäfer (ms), Anne-Sophie Scholl (ass),
Karl Schüpbach (ks), Sarah Stähli (ss), Tabea Steiner (ts), Sara
Trauffer (st), Kathrina von Wartburg (kvw), Simone Wahli (sw),
Sonja Wenger (sjw) Cartoon: Bruno Fauser, Bern; Telefon 031 312
64 76 Kulturagenda: kulturagenda.ch; ensuite - kulturmagazin,
Bewegungsmelder AG, allevents, Biel; Abteilung für Kulturelles
Biel, Abteilung für Kulturelles Thun, interwerk gmbh. Korrektorat: Monique Meyer (mm)
■ Dieses Editorial könnte ein Abspann für das
Jahr 2006 sein, eine Hymnen- und Klagemauer für
Erfolge und Verbrechen: der Jahresrückblick. Machen wir’s kurz, es gab viele Veränderungen und
Bewegungen in der letzten Zeit. Zum Beispiel wird
das «NZZ Ticket» in Kürze eingestellt, das museum franz gertsch entlässt den Direktor und keiner
weiss warum (oder doch? siehe Seite 38), Andreas
Marti verlässt das Zentrum Paul Klee, Stefan Suske und Uwe Schönbeck bald das Stadttheater, Dani
Landolf vom «Bund» verlässt die Zeitung, weil er
nicht Chefredaktor geworden ist, auch Bernhard Giger und Konrad Tobler sind von der «BZ» weg und
die «Berner Kulturagenda» bekundet eine Sinnkrise
(oder habe ich da was vorweggenommen?). Das ist
viel kultureller Verlust für Bern.
Andererseits gibt es Gutes zu vermelden: Zum
Beispiel hat sich die Dampfzentrale als Tanzstätte wieder rehabilitiert und wird in der Tanzszene
Schweiz mit Eigenproduktionen von sich reden
machen. BeJazz und das Stadttheater haben die
genialste Berner Kulturidee seit Jahren in die Welt
gesetzt - gemeinsam den Jazz und das Theater in
den Vidmar-Hallen im Liebefeld zu vereinen - und
könnten damit zum neuen, kulturinstitutionellen
und sozialen Höhepunkt für Bern werden (auch Köniz als grösste Agglomeration würde davon profitieren). Hoffen auf die Zukunft? Kommt doch alles
gut? Oder dreht es sich wieder um Geld?
Ein «NZZ»-Leser und Kunstkenner argumentierte wunderbar an einer öffentlichen Veranstaltung,
als zum Thema Kulturberichterstattung (Seite 30)
die Forderung nach mehr Geld gestellt wurde: «Es
geht nicht um mehr Geld, es geht um mehr Sinn!»
Ist dieser Satz nicht umwerfend?
Und sagen Sie jetzt nicht, dass Sie dies alles nicht
wissen wollen, oder dass es Sie nicht interessiert Sie stempeln sich «hui» zum Kulturbanausen.
Wissen Sie, liebe LeserInnen, auch ich habe den
neuen James Bond genüsslich gesehen und schäme mich überhaupt nicht, dass ich diese Zeit nicht
meditierend vor einem Kunstwerk verbracht habe.
Ähm, schöne Weihnachten…
KINO / FILM
Abonnemente: 58 Franken für ein Jahr / 11 Ausgaben. Abodienst: 031 318 60 50 Web: interwerk gmbh Anzeigenverkauf:
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artensuite erscheint als Beilage im ensuite - kulturmagazin. Herausgeber: edition ■ ensuite, Bern Redaktion: Dominik Imhof (di);
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Die Redaktion ensuite - kulturmagazin ist politisch, wirtschaftlich
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www.ensuite.ch
erotische new yorker eskapaden 23 | «does it
look like i give a damn?» 24 | je vous trouve très
beau 25 | das andere kino 26
MUSIK
srboljub dinic 14 | «curiose menschen» und ihre
musik 16 | und sie spielen immer wieder... 17 | red
bull music academy 18 | universum jarrett 19 | orchestrierte intimität 20 | cd-tipps 20 | antifolk revisited 21 | ECM listening post 21 | vito 22
LIFESTYLE
insomnia 19 | stadt und land: vom wert der arbeit
35 | reiseziel hotel: winterzauber im binntal 36 |
gastronomie: kneipen-kur für aufsässige eidgenossen 37
DIVERSES
tratschundlaber 25 | stadtläufer 30 | von menschen und medien / fauser cartoon 33 | berner
kulturmenschen: haare und bewegung 34 | leserbriefe 38
KULTUR-PUBLIREPORTAGE
kara sylla ka - senegal 58 | ultimative festvorbereitung für nostalgiker und weihnachtsmuffel 59
| die dampfzentrale immer klarer auf kurs 63 |
doch was heisst zeitgenössisch? 71
STADT THUN
adventskalender 84 | fünf-königinnen-tag 84
KULTURAGENDA
kulturagenda bern 51 | biel 80 | thun 85
Kunstbeilage:
artensuite
welches möbel hätten sie denn gern? 40 | fiktionen der wirklichkeit 41 | schwarz auf weiss, aber...
42 | trou 43 | kunst im buch 45 | berner galerien
46 | berner museen: bern / biel / thun 49
Lukas Vogelsang
ensuite - kulturmagazin Nr. 48 | Dezember 06
3
fokus
«wenn man geht, dann geht man richtig»
Von Till Hillbrecht - Was Kunst im Zentrum Paul Klee und eine Modelleisenbahnanlage im Hobbyraum gemeinsam haben: ein Gespräch mit dem abtretenden Direktor Andreas Marti. (Bild: Till Hillbrecht)
■ Ein Jahr Museumsbetrieb hat der Gründungsdirektor des Zentrums Paul Klee, Andreas Marti,
hinter sich. Zehn Jahre Projekt- und Bauphase
unter seiner Leitung sind der Museumseröffnung
vorausgegangen. Eine intensive Zeit, begleitet von
Lob und Kritik gleichermassen. Auf Ende Jahr nun
reicht Marti das Amt des Direktors weiter. Entgegennehmen wird es der 37-jährige Juri Steiner. Ein
Generationenwechsel, ein neuer Impuls, ein neuer
Wellenschlag für das Monument im Fruchtland:
Steiner hat in Zürich Kunstgeschichte, Germanistik
und Philosophie studiert. Ab Mitte Neunzigerjahre
wirkte er als freier Kurator am Kunsthaus Zürich
und 2005 als Co-Kurator am Schweizer Pavillon an
der Weltaustellung in Japan.
Die kurze Amtsperiode Martis ist eine Erfolgreiche: Fünfzehn Monate nach Eröffnung zählen die
Verantwortlichen bereits 400‘000 Besucherinnen
und Besucher. Andreas Marti misst den Erfolg eines Museums aber nicht nur an den Besucherzahlen, sondern ob es im Stande ist, den Menschen
Kunst zu vermitteln. Der 67-jährige Philologe ist
versucht, Museumsgänger mit jenem Feuer anzustecken, welches seit jeher in ihm selbst für Klees
Werke lodert. Denn er glaubt an die gute Kraft der
Kunst, die seiner Meinung nach viele Probleme
dieser Welt lösen könne.
Obwohl Martis Abdanken keine Überraschung
ist, weiss der scheidende Direktor schon jetzt, dass
er seiner Zeit im Zentrum Paul Klee, das ja schon
ein wenig «sis Chind» sei, nachtrauern wird. Die
wieder gewonnene Freiheit, die Ruhe und die Rückkehr zu seinen Wurzeln mögen aber vieles aufwiegen. Und den Klee wieder kennenlernen, will er.
Ein Gespräch mit Andreas Marti über kreatives
Graffiti, seine Antipathie gegenüber Museumsshops und unbrauchbare Museen. Und weshalb
Kunst ihre Aufgabe erfüllt, wenn sie kaputt geht.
Auf was freut sich Andreas Marti, wenn er
das erste Mal als Besucher und nicht mehr als
Direktor durch das Zentrum Paul Klee spaziert?
Ich weiss nicht genau, wie das sein wird. Ich
kann mir nicht vorstellen, welche Gefühle dies bei
mir auslösen wird. Bis jetzt bin ich immer mit einer ganz bestimmten Haltung hierhergekommen.
Bis jetzt war dies mein Haus. Und das wird in Zukunft nicht mehr so sein. Ganz sicher werde ich
die Veränderungen bewusst wahrnehmen, sie wie
ein Seismograph registrieren. Wie ich dann damit
umgehe, weiss ich noch nicht. Nebst all der Freude habe ich auch ein wenig Angst. Was ich sagen
kann: Ich freue mich sehr auf Klee! Klee wieder
einmal aus der Entspannung heraus zu sehen, ihn
wieder im Zentrum zu haben. Und auf die Chan4
cen, die der Generationenwechsel meinem Nachfolger bietet. Dass Juri Steiner die Möglichkeiten
hat, Neugestaltungen vorzunehmen und zu formen, wie mit «Lätt» zu kneten.
Wie gross ist die Wehmut?
Die ist sehr gross. Aber das habe ich von Anfang an gewusst, weil ich auch seit Projektbeginn
dabei bin. Als ich antrat, ging dies so: Ich führe
die Planung, den Bau, ich nehme das Museum in
Betrieb und betreibe es in der ersten Phase. Dies
aus folgenden Erfahrungen, die ich auf den Reisen durch fast alle modernen Museen Europas
gemacht habe: Jemand plant das Museum, macht
die Projektarbeit und ein halbes Jahr vor der Eröffnung kommt ein Direktor, der nicht mehr in die
Detailplanung eingreifen kann. So in Stockholm
oder Wien: Ein Drittel der Ausstellungsflächen sind
nicht in Betrieb, weil der Direktor sie für nicht benutzbar hält. Wenn ich also während dieser ganzen
Periode in der Entstehung involviert bin, liegt die
Verantwortung auch bei mir, wenn später etwas
nicht passt.
Aber deshalb habe ich auch Freude an dem Bau
von Renzo Piano. Ich glaube, wir haben bewiesen,
dass man mit dem Museumsgebäude etwas anfangen kann und es nicht nur eine Spielwiese für die
Architekten gewesen ist.
In einem Interview in der Bund-Zeitung stand
folgendes Zitat von Ihnen: «Das Zentrum ist
jetzt flügge.» Wäre nach der Baustelle, nach der
Eröffnung und einem erfolgreichen ersten Jahr
die Verlockung nicht gross, die ersten Früchte
des Monumentes im Fruchtland (Adresse des
Zentrum Paul Klee) als Direktor zu geniessen?
Ich glaube, es ist gerade der richtige Moment.
Erstens bin ich im Pensionsalter, zweitens finde
ich es gut, dass jemand anderes kommt. Es ist ein
Generationenwechsel, Juri Steiner ist massiv jünger als ich. Er kommt aus der kulturschaffenden
Generation von heute, ich komme aus der kulturschaffenden Generation der sechziger Jahre – die
haben mich geformt. Dieser Unterschied ist auch
eine Chance für dieses Haus. Jetzt ist der Anfangsboom durch und nun braucht es neue Akzente. Gut,
ob es sie wirklich braucht, weiss man erst später.
Wir haben ja Erfolg. Aber ein Haus wie unseres lebt
vom Wechsel. Und wenn wir nicht ständig neue Akzente setzen, ist das Museum innert kürzester Zeit
leer. Wir müssen dem Publikum immer etwas Neues bieten. Dass jetzt ein neues Denken bevorsteht,
finde ich toll.
Das wäre dann, was Besucher Marti geniessen würde...
Das werde ich geniessen! Steiner wird in einer
seiner erstens Saisons die Umgebung mit einbeziehen. Die Umgebung, den Museumsumschwung
haben wir erstellt und fürs erste einmal präsentiert, die Konzentration galt aber dem Haus. Jetzt
ist der Zeitpunkt gekommen, um den Schritt nach
aussen zu wagen und die Gegend zu involvieren,
mit dem Bau zusammen: Die Architektur schliesslich lädt ein zum Spielen. Auf das freue ich mich
riesig.
Eine weitere Handschrift von Ihnen, die das
Zentrum Paul Klee noch weiter tragen wird, ist
die enge Zusammenarbeit mit dem Kunstmuseum Bern. Sie und Matthias Frehner vom Kunstmuseum hätten sie gerne noch weiter vertieft.
Das ist für mich ganz, ganz wichtig. Schon von
Anfang an. Als ich Mitte 1995 den Auftrag für das
Projekt Zentrum Paul Klee gefasst hatte, war die
absolut erste Handlung, bevor ich irgendetwas anderes gemacht habe, den damaligen Direktor des
Kunstmuseums, Toni Stooss, und den Konservator
der Paul-Klee-Stiftung, Joseph Helferstein, anzurufen. Ich habe ihnen gesagt: Entweder findet
das Projekt mit Euch statt oder es findet gar nicht
statt. Es würde keinen Sinn machen, sich im Raum
Bern zu konkurrenzieren. Wir wollen nicht Klee
gegen Klee ausspielen. Mittelfristig braucht es
Aber ich glaube, dass die
Beschäftigung mit Kunst ein
ganz entscheidender Punkt im
menschlichen Leben ist und
ihm einen anderen
Gehalt geben kann.
mindestens eine ganz enge Zusammenarbeit. Und
langfristig vermutlich eine Fusion. Wobei auch bei
einer Fusion die verschiedenen Häuser unter allen
Umständen ihr eigenes Gesicht behalten müssen:
Das eigene Gesicht, das eigene Profil, den eigenen
Gehalt. Es geht nicht ums Geld sparen, sondern
darum, Geld sinnvoll für Kunst einzusetzen. Eine
optimale Nutzung gemeinsamer Infrastrukturen
lässt uns mehr Spielraum für Kunst und wir stossen nicht auf derart viele Überlastungen.
...um wiederum auch breitere Bevölkerungsschichten anzusprechen...
Acht Prozent der Bevölkerung der Welt gehen in
ein Museum. Wenn wir es fertig brächten, dass ein
Viertel oder sogar die Hälfte der Bevölkerung ein
Museum besucht und von der Kunst angezündet
wird, dann hätten wir weniger Probleme mit Gewalt. Insbesondere mit Jugendgewalt. Und deshalb
muss in den Schulen mehr getan werden. Und wir
bieten dies den Schulen an. Ich bin nicht so naiv zu
meinen, ich könnte die Welt verbessern. Aber ich
glaube, dass die Beschäftigung mit Kunst ein ganz
ensuite - kulturmagazin Nr. 48 | Dezember 06
ensuite - kulturmagazin Nr. 48 | Dezember 06
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fokus
entscheidender Punkt im menschlichen Leben ist
und ihm einen anderen Gehalt geben kann. Wer
von Kunst angezündet ist, zerstört keine Telefonkabinen. Wer sprayen will – und das finde ich eine
sehr kreative Tätigkeit – geht dort sprayen, wo er
nichts kaputt macht. Man könnte mit Kunst viel gegen Vandalismus und Fundamentalismus machen,
davon bin ich überzeugt.
Nicht nur Kinder werden durch das CreavivaMuseum auf eine besondere, museumsunübliche
Art angesprochen. Eine Spezialität des Zentrum
Paul Klee ist die Transdisziplinarität, welche jungen
Erwachsenen einen Besuch erleichtert.
Ich bin hundertprozentig dieser Meinung. Das
ist auch der Sinn der Achse «Museumsstrasse».
Die unterschiedlichen Angebote wie zum Beispiel Computer bieten differenzierte Zugänge zur
Kunst. Ich bin auch der Meinung, wir müssten KleeComputerspiele bringen. Die Transdisziplinarität
mit Musik, Theater und Lyrik und dies in modernster Ausführung sind Träger des Grundsatzes: Die
Schwelle muss so tief wie nur möglich liegen. Und
die Schwelle ist dann tief, wenn man unterschiedlichste Formen der Hinführung zur Kunst anbietet.
Kinder, wie jene, die gerade an uns vorbei gingen,
gehen ins Kindermuseum und besuchen später
dann die Bildersammlung. Sie sind zwar aktiv am
Malen, haben aber den Zugang zur Kunst. Manchmal habe ich das Gefühl, Museen verstehen sich
als Einrichtungen, um etwas aufzubewahren. Aber
das ist nicht die Idee. Wenn im schlimmsten Falle etwas kaputt geht, weil es angeschaut und gebraucht wurde, dann hat die Kunst ihre Aufgabe
erfüllt. Unser Auftrag ist es, den Menschen Kunst
zu vermitteln. Wenn wir diesen Auftrag nicht erfüllen, soll man uns auch kein Geld geben.
...ich nehme Sie beim Wort!
Das dürfen Sie. Man darf und soll uns daran
messen. Wenn wir nicht alle Anstrengungen auf
uns nehmen, den Menschen zu helfen, um zur
Kunst zu finden, dann erfüllen wir unseren Auftrag
nicht. Ich glaube, viele Museen auf der Welt vermitteln Kunst nicht richtig. Nur das Prinzip des Museumshops, der Vermarktung hat jeder begriffen.
Auf welche Realisation im Museum sind Sie
besonders stolz und in welchem Bereich hätten Sie während Ihrer Amtszeit gerne mehr erreicht?
Es ist schwierig, einen Punkt zu nennen. Während den zehn Jahren der Vorbereitung war meine
Angst immer: Bringen wir das fertig? Kommt dann
da überhaupt jemand «hingerem Ofe füre» und
besucht das Museum oder wird es ein Flop? Eine
Hütte mehr, die von niemand besucht wird? Stolz
bin ich, dass es überhaupt nicht so herausgekommen ist. Wir haben mehr Besucher, als wir je erwartet hätten. Und ich glaube, es ist uns gelungen, die
Botschaft zu übermitteln, dass es lohnenswert ist,
sich mit Paul Klee auseinanderzusetzen.
Nicht ganz fertig gebracht habe ich die zuvor
genannte Zusammenarbeit mit dem Kunstmuse6
um. Da sind Matthias Frehner und ich lange auf
sehr viel Widerstand gestossen. Aber das ist ein
längerfristiger Prozess, der noch nicht fertig ist.
Etwas soll ja auch noch für meinen Nachfolger zu
tun sein (lacht)!
Ich hasse nichts so sehr wie fertige Dinge.
Wenn etwas fertig ist, interessiert es nicht mehr.
Das ist wie bei den Modelleisenbähnlern: Die machen keine Modelleisenbahnanlage, um mit ihr
zu spielen. Sondern weil sie bauen wollen! In der
Kunstvermittlung ist es doch ähnlich: Immer daran
arbeiten, sonst steht man still.
Was, glauben Sie, wird die schwierigste erste
Aufgabe für Ihren Nachfolger Juri Steiner? Wo
wird er als erstes an der Modelleisenbahnanlage
Hand anlegen müssen?
Am schwierigsten werden die Finanzen sein. Wir
haben 2001 gesagt, wir brauchen Subventionen in
der Höhe von 6 Millionen Franken. Die hat man uns
nicht gegeben und die wird auch Juri Steiner nicht
sofort erhalten. Es wird besser sein, aber gemessen an der Teuerung wird auch die künftige Subvention zu wenig hoch sein. Dies wird eine mühsame Einstiegshürde werden. Sie kennen dies ja
Wir sind in der Berichterstattung von Kanada bis
Neuseeland, rund um den Globus präsent. Und in Bern habe
ich manchmal das Gefühl,
dass man uns gar nicht
richtig anerkennt.
von Ihrem Magazin. Ihr Magazin lebt vor, wie man
mit wenig Geld viel erreichen kann. Hier ist es dasselbe. Aber es ist einfach sehr, sehr mühsam. Und
das wird eine Herausforderung für Steiner: Jeden
Franken optimal einzusetzen. Inhaltlich wird er keine Probleme haben, davon bin überzeugt.
Zweitens wird er dafür kämpfen müssen, dass
das Zentrum Paul Klee im Bewusstsein der Bevölkerung und der Touristen bleibt. Auch da habe ich
vom Anfangsboom profitiert. Und von der Einzigartigkeit des Gebäudes.
Schwierig ist oft auch die Zusammenarbeit mit
den Behörden. Wir sind in der Berichterstattung
von Kanada bis Neuseeland, rund um den Globus
präsent. Und in Bern habe ich manchmal das Gefühl, dass man uns gar nicht richtig anerkennt.
Was wird Ex-Direktor Marti am meisten geniessen, wenn er im Museum die Türen schliesst,
seinen Job an den Nagel hängt und nach Hause
geht?
Geniessen werde ich die Erleichterung. Als Direktor ist man nie ganz frei. Wenn ich am Wochenende frei habe, dann rufe ich einmal morgens und
einmal nachmittags im Museum an, um zu fragen,
ob alles in Ordnung sei. Das habe ich ein Jahr lang
konsequent gemacht. Nicht weil ich kontrollieren
wollte – ich weiss, die machen ihren Job gut hier
– , sondern weil es zu meinem Engagement gehört.
Weil ich helfen will, falls ein Problem vorhanden ist.
Lustig ist, dass einige Leute schon fast darauf warten...
Es ist befreiend, wieder zurückzukehren zu
meinen Wurzeln. Ich bin klassischer Philologe und
habe seit 25 Jahren so gut wie keine griechische
Literatur mehr gelesen. Vor allem freue ich mich
auf meine drei Enkel, und sie freuen sich auch auf
mich. Meine ältere Tochter und ihr Mann wohnen
mit ihren Kindern im selben Haus wie meine Frau
und ich. Heute hat mich der dreieinhalbjährige Enkel gefragt, weshalb ich noch nicht auf der Arbeit
sei. Ich antwortete ihm, dass ich heute später zur
Arbeit müsse. Daraufhin entgegnete er mir: «Aber
du gehst doch jetzt viel arbeiten, damit du mir den
Pneukran zu Weihnachten schenken kannst.»
Diese Fragen, diese Dialoge mit Kindern sind
sensationell. Kinder besitzen eine so grosse Offenheit. Und mitzuhelfen, dass sie diese Eigenschaft
behalten, darauf freue ich mich sehr.
Einfach zusammengefasst lässt sich sagen: Ich
freue mich auf meine Freiheit.
Andernfalls haben Sie die Telefonnummer
des Museum fürs Wochenende bestimmt noch
gespeichert...
Das werde ich nicht machen. Das ist entscheidender Punkt: Wenn man geht, dann geht man richtig. Wenn man aufhört, geht der Vorhang runter.
Etwas vom schlimmsten ist, wenn der Vorgänger
das Gefühl hat, er müsse seinem Nachfolger dreinreden. Das habe ich an eigenem Leib erfahren. Natürlich werde ich aber helfen, falls man mich nach
Unterstützung fragt. Aber ich werde mich nie von
mir aus ins Museum begeben und sagen: «Dies und
dies finde ich nicht so gut.»
Was würde Andreas Marti auswählen, wenn
er ein Werk aus dem Zentrum Paul Klee nach
Hause nehmen dürfte?
Eines der letzten grossen Werke Paul Klees:
«Insula dulcamara». Das hat mehrere Gründe: Es
ist ein absolut faszinierendes Werk, welches Klee
spät geschaffen hat – als er noch nicht ganz so
alt war wie ich jetzt – als er auch an der Schwelle
war, an der man langsam erfährt, dass das Leben
endlich ist und es mal vorbei geht. Und es ist unglaublich tiefgründig. Ich bin noch nie vor diesem
Bild gestanden, ohne wieder etwas Neues zu entdecken. Dann auch der lateinische Titel, wobei
mich die Sprache in Verbindung mit der Bildsprache Klees im Allgemeinen fasziniert. Die meisten
Werke haben sehr differenziert gewählte Bildunterschriften. Die Verbindung der sprachlichen und
der bildnerischen Aussage hört irgendwie nie auf,
da könnte ich jedes Mal aufs Neue ansetzen. Klee
war ein Meister der Sprache. Ich war in Köln an der
Art Cologne und habe wieder einmal einige Bilder
von Klee zum ersten Mal im Original gesehen und
ich muss einfach sagen: Seine Kunst ist ein sagenhafter Reichtum.
ensuite - kulturmagazin Nr. 48 | Dezember 06
fokus
BÜHNE
«also, mit etwas wehmut blicke
ich schon auf die zeit da zurück»
Ein Interview von Michael Imoberdorf (Bild: zVg.)
■ Seit 1991 gehört Stefan Suske dem Schauspielensemble des Stadttheater Bern an. In der
Spielzeit 2003/2004 übernahm Suske die Schauspieldirektion am Stadttheater Bern. Im ensuite
- kulturmagazin umriss er damals seine Ziele als
Schauspieldirektor wie folgt: «Wir (das Stadttheater Bern) sind nun mal in einer toten Ecke gelandet
in Bezug auf Zürich, Basel und Luzern und müssen
neue Wege gehen. Unsere Produktionen müssen
wieder zum Stadtgespräch werden.»
Im kommenden Herbst wird Eike Gramss von
Marc Adam als Intendant abgelöst. Adam präsentierte im vergangenen September sein neues
Leitungsteam, dass mit Ausnahme von Srboljub
Dinic (Chefdirigent, neu auch Musikdirektor) auf
allen Positionen neu besetzt wurde. Im Interview
mit ensuite - kulturmagazin spricht Stefan Suske
seine Bedenken bezüglich der neuen Spielstätte
des Stadttheaters aus, redet über seine neue Produktion («Endspiel»), seinen Bühnenpartner Uwe
Schönbeck, zieht eine kritische Zwischenbilanz
seiner Arbeit als Schauspieldirektor und kommt
zum Schluss: «Ich bin nicht unzufrieden mit meiner Arbeit!»
Als designierter Schauspieldirektor versprachen Sie vor mehr als zwei Jahren im Interview
mit ensuite - kulturmagazin, dass Image des
Stadttheaters zu ändern. Sind Sie mit Ihrer Arbeit zufrieden?
ensuite - kulturmagazin Nr. 48 | Dezember 06
Ich arbeite noch immer an der Umsetzung des
Versprechens. Es wäre verfrüht, jetzt schon Rückschau auf meine Tätigkeit als Schauspieldirektor
zu halten. Man kann aber sagen, dass sich im Bereich Schauspiel, für den ich verantwortlich bin,
einiges verändert hat. Ich konnte zusammen mit
meinem Team viele gute Ideen umsetzen. Zudem
sind die Zuschauerzahlen stabil geblieben. Das ist
bei einem Wechsel in der künstlerischen Leitung
nicht selbstverständlich. Ich glaube auch, und es
spricht auch einiges dafür, dass wir ein neues, jüngeres Publikum dazugewinnen konnten.
Zu Beginn Ihres Engagements als Schauspieldirektor definierten Sie in einem Interview
mit Patric Ricklin Ihre künstlerischen Ziele wie
folgt: «Theater soll bewegen! Ich möchte mehr
Aufmerksamkeit für das Schauspiel gewinnen.
Ich möchte spannendes, berührendes Theater.»
Werden Sie diesem Anspruch gerecht?
Sicherlich nicht durchgehend, aber in vielen
Bereichen haben wir unser Ziel erreicht. Was die
Aufmerksamkeit betrifft, so haben wir unser Ziel
auf jeden Fall erreicht, nur hat sich das noch nicht
bis Bern herumgesprochen! Das Stadttheater Bern
hat wieder einen guten Ruf, und das nicht nur auf
regionaler und nationaler Ebene. Auch in Deutschland nimmt man unsere guten Leistungen zur
Kenntnis. Für diesen Erfolg sind viele verschiedene Faktoren mitverantwortlich. Ein entscheidender
Multiplikator für unseren stetig wachsenden Bekanntheitsgrad sind sicher wichtige Leute aus der
Theaterszene, die unsere Vorstellungen besuchen
und mit grossem Respekt von unserer Arbeit sprechen.
Sie sagten, der gute Ruf des Stadttheaters
hätte sich noch nicht bis Bern herumgesprochen. Haben Sie es verpasst, in der Stadt Bern
ein Gesprächsthema zu werden?
Es braucht eine filigrane Vernetzung verschiedenster Faktoren, um ins Stadtgespräch zu kommen. In erster Linie muss sicher die Qualität der
Aufführungen stimmen, aber das alleine genügt
oft nicht. Die Mund-zu-Mund-Propaganda muss
einsetzen und die Multiplikatoren muss man erreichen, die dafür sorgen, dass sich das Image des
Stadttheaters, das wir ja ändern wollten, auch tatsächlich ändert. Ich finde schon, dass uns dies zu
einem guten Teil gelungen ist. Und das in sehr kurzer Zeit; es ist ja wirklich nicht viel Zeit gewesen!
Ihre erste Spielzeit als Schauspieldirektor
eröffneten Sie mit Trommeln und Trompeten:
Christoph Frick inszenierte «Der Sturm» von
Shakespeare.
Wir wählten damals bewusst Christoph Frick als
Regisseur, um der Theaterwelt zu zeigen, dass in
Bern ein neuer Wind weht. Aber wir wollten keinen
Skandal lostreten. Die Zuschauer fielen über uns
her und beschimpften uns. Die Reaktionen waren
7
fokus
übertrieben. Der Publikumserfolg blieb aus. Immerhin war danach allen klar, dass am Stadttheater Bern mit der neuen Leitung einiges in Bewegung gekommen ist. Manchmal wünschte ich mir,
dass die Zuschauer nicht nur so heftig reagieren,
wenn ihnen etwas missfällt, sondern auch, wenn
sie unsere Produktionen mögen.
Wenn man heute das Programm anschaut,
so fehlt «der echte Klassiker»? Wieso?
Wir haben aus bestimmten Erfahrungen den
Schluss gezogen, heuer auf Klassiker zu verzichten. Zum einen sind Klassiker nicht mehr Schulstoff
und zum andern hat sich das Zuschauerverhalten
grundlegend verändert: «Man geht nicht mehr automatisch in den Klassiker.» Nehmen Sie als Beispiel «Kabale und Liebe»: Wir präsentierten dem
Publikum eine gelungene Umsetzung eines klassischen Stoffs, aber ein grosser Zuschauererfolg
Erweist sich das Projekt
mit den Vidmar-Hallen als ein
Fehler, so muss das Schauspiel
diese Fehlentscheidung
alleine ausbaden!
war diese Produktion nicht. Ich habe das Gefühl,
wenn ich beispielsweise die Romanumsetzung von
«Buddenbrooks» ansehe, die mit grossem Erfolg
aufgeführt wird, dass es vielleicht eine Zeitfrage
ist. Im Moment stossen Stoffe wie eben «Buddenbrooks» hier in Bern auf mehr Interesse als Klassiker. Deshalb haben wir uns entschieden, in der
aktuellen Spielzeit auf einen veritablen Klassiker
zu verzichten. Es geht, glaube ich, auch ohne.
Dafür sind gleich zwei Romanbearbeitungen
im aktuellen Spielplan. Entspricht das dem neuen Zeitgeist von Theater?
Nein, dass hat nichts mit Zeitgeist zu tun. Es ist
eine Abwägung von Stücken, «die reinkommen».
Wir wählen Dramen nach dem Gesichtspunkt aus,
ob sie interessant genug sind, auch vom Stoff her.
Bei deutschsprachigen Autoren fehlt es oft am Gehalt der Stoffe. Die Dramen sind hervorragend geschrieben und dramaturgisch ausgefuchst, aber es
fehlt irgendwie «der grosse Stoff». Das ist mit ein
Grund, wieso wir uns in zwei Fällen für Romanbearbeitungen entschieden haben. Zudem ist es vom
künstlerischen Standpunkt her interessant, eine
bestimmte theatralische Umsetzung zu wählen
und diese dann zu inszenieren.
Wären Sie gerne weiterhin als Schauspieldirektor am Stadttheater tätig?
Ich hätte gerne noch einige Jahre mit dem
jetzigen Team weitergearbeitet. Das umschliesst
aber nicht nur meinem Bereich, sondern auch die
Zusammenarbeit mit dem Operndirektor Aviel
Cahn, mit dem Tanzdirektor Stjin Celis, mit dem
Chefdramaturgen Armin Kerber und mit Eike
Gramss. Die Zusammenarbeit war stets sehr kollegial. Wir hatten viele Auseinandersetzungen auf
8
hohem Niveau und es gab auch einige Konflikte zu
verschiedenen Sachfragen. Wir haben uns aber
immer auf gute Konsenslösungen einigen können;
dass hat uns alle weitergebracht und zusammengeschweisst. Jetzt wäre die Zeit gekommen, wo
wir zusammen überprüfen könnten, was «funktioniert» hat und was man ändern müsste usw. Dazu
kommen wir jetzt leider nicht mehr. Also mit etwas
Wehmut blicke ich schon auf die Zeit da zurück.
Frau Niederhauser äusserte in ihrem Kommentar im «Bund» Bedenken, dass der Aufbruch, der im Stadttheater im Gang ist, unter
dem neuen Intendanten Adam stagnieren könnte. Teilen Sie diese Befürchtungen?
Da ich die künstlerischen Pläne der neuen Leitung überhaupt nicht kenne, kann ich das nur sehr
schwer beurteilen. Den Wechsel in der künstlerischen Leitung des Stadttheaters zeitgleich mit der
Eröffnung einer neuen, zweiten Spielstätte durchzuführen, finde ich allerdings sehr gewagt; ich
muss ehrlich gestehen, ich weiss nicht, ob das gut
gehen kann. Zudem glaube ich, dass man übereilt
entschieden hat, die zweite Spielstätte nach Köniz
(Vidmar-Hallen) zu verlegen. Ich denke, was das
Publikumsverhalten betrifft, so ist es schon so,
dass man mit Stadttheater das Zentrum assoziiert
und ich bin skeptisch, ob die zweite Spielstätte am
Rande der Stadt wirklich «funktionieren» wird. Ich
hätte Bauchweh gehabt, so eine Entscheidung zu
fällen und ich würde von meiner Seite eine solche
Entscheidung nur ungern mittragen. Ich wünsche
dem neuen Leitungsteam trotzdem viel Glück bei
diesem Unterfangen.
Ehrlich gesagt mache ich mir aber ein bisschen
Sorgen, dass das Schauspiel mit der zweiten Spielstätte an Stellenwert verlieren könnte. Der Schauspielbetrieb wird den grössten Anteil an Produktionen in Köniz stellen, Oper und Tanz sind – glaube
ich - nur marginal beteiligt, mit je ein bis zwei
Produktionen pro Spielzeit. Sollten die Zuschauerzahlen in den Vidmar-Hallen nicht den Erwartungen entsprechen, so bekommt dies vor allem
Und der Titel «Endspiel» passt
ja auch irgendwie zu unserer
Situation (lacht).
das Schauspiel zu spüren. Erweist sich das Projekt
mit den Vidmar-Hallen als ein Fehler, so muss das
Schauspiel diese Fehlentscheidung alleine ausbaden!
Sie spielten auch bei verschiedenen Filmprojekten mit. Nach den Dreharbeiten bleibt beim
Film das Kunstwerk, d. h. der Film, erhalten. Im
Theater bleibt nichts - höchstens die Erinnerung. Was finden Sie schöner: die Flüchtigkeit
des Theaters oder die Beständigkeit des Films?
Beides hat seinen Reiz. Das Flüchtige gehört
zum Theaterberuf dazu. Theater ist der geglückte
oder weniger geglückte Moment, den man erlebt.
Alles, was bleibt, ist die Erinnerung und – so Gott
will – die Erinnerung des Publikums. Im Theater
zählt nur der Moment. Im Film hat man immerhin
noch eine DVD. Aber man entwickelt sich weiter
- oder auch nicht (lacht); in jedem Fall muss man in
unserem Beruf ständig neu beginnen, um erneut
scheitern zu können. Der Schauspielerberuf ist
ein ständiges Neu-Starten, ein neuer Versuch; es
bleibt uns nichts anderes übrig. Davon lebt ja auch
unsere Kunst. Das macht den Reiz meines Berufs
aus und deshalb ist es eigentlich egal, ob man eine
DVD in der Hand hat oder nicht.
Kommen wir zu Ihrer neuen Produktion. Wieso gerade «Endspiel»?
Ich wollte schon lange mit meinem Bühnenpartner Uwe Schönbeck «Warten auf Godot»
oder «Endspiel» auf die Bühne des Stadttheaters
bringen. Für uns beide war, als wir unsere letzte
gemeinsame Stadttheaterproduktion zu planen
begannen, klar, dass wir uns mit einem der beiden
Stücke von Beckett vom Publikum in Bern verabschieden wollen. «Warten auf Godot» wurde hier
in Bern vor nicht allzu langer Zeit als Gastspiel in
einer wunderbaren Inszenierung von Luc Bondy
gezeigt , zudem war es vor kurzem auf dem Spielplan des Theaters an der Effingerstasse. Deshalb
entschieden wir uns für «Endspiel». Und der Titel
«Endspiel» passt ja auch irgendwie zu unserer Situation (lacht).
Was dürfen die Zuschauer erwarten?
Wir spielen die von George Tabori bearbeitete
Fassung, die 1998 im Akademietheater des Wiener Burgtheaters aufgeführt wurde. Der 1914 in
Budapest geborene Literat und Regisseur Tabori
entwickelte ein etwa dreissigminütiges Vorspiel zu
Becketts Stück. In diesem treffen sich zwei Schauspieler auf einer leeren Bühne zu einer «EndspielProbe». Das heisst, Uwe und ich «proben» vor
dem Publikum. Dabei nimmt Uwe, der später die
Rolle von Hamm spielt, die dominierende Rolle ein.
Obwohl die beiden Figuren Clov und Hamm noch
nicht auf der Bühne sind, ist die Relation zwischen
Herr und Knecht (oder Vater und Sohn) bereits vor
dem eigentlichen Stück präsent.
Endspiel beginnt mit dem Satz «Ende, es ist
zu Ende...» Das Stück beginnt da, wo normale
Stücke aufhören. Was am Ende von Stücken
zusätzlich kommt, ist Zugabe. Verstehen Sie
«Endspiel» auch als eine Art Zugabe?
Ja, schon irgendwie. Gegen Ende des Stücks
fragt Hamm Clov: «Was machst du?», Clov: «Eine
kleine Ehrenrunde.» Das ist es für uns: eine kleine
Ehrenrunde. «Endspiel» wird als letzte Aufführung
am 30.6.2007 die Ära Gramss endgültig beenden.
Herr Suske, besten Dank, dass Sie sich die
Zeit genommen haben.
Informationen zum aktuellen Spielplan
des Stadttheater Berns finden sie unter
www.stadttheaterbern.ch.
ensuite - kulturmagazin Nr. 48 | Dezember 06
veranstaltungen
BÜHNE
«so-bytie»
Von Belinda Meier - Eine russische Theatergruppe auf Tour in der Schweiz (Bild: zVg.)
■ Die phantastische Erzählung «Krotkaja» («Die
Sanfte») von Fjodor Michailowitsch Dostojewski wurde vom 27.10. – 5.11.06 durch die aus St. Petersburg
stammende Theatergruppe «So-Bytie» («Ereignis»)
sieben Mal zur Aufführung gebracht. Von den genannten Vorstellungen waren fünf ausverkauft und
das «La Capella» in Bern zählte am Abend des 5.
Novembers rund 150 ZuschauerInnen. Die Tournee
durch die Schweiz entpuppte sich somit sowohl für
die KünstlerInnen, die MitarbeiterInnen der einzelnen Theater als auch für die Organisatorinnen als
deutlicher Erfolg.
Die freie Theatergruppe «So-Bytie», bestehend
aus Andrei Sobennikow, Tatjana Aisitulowa und
Emil Kapeljusch, ist ein kleines Ensemble. Umso
mehr erstaunt es, dass die 26-jährige Tatjana Aisitulowa im Stück «Krotkaja» gleich zwei Aufgaben
übernahm, die der Schauspielerin und die der Regisseurin. Während Andrei Sobennikow an der
Staatlichen Theaterakademie in St. Petersburg ein
5-jähriges Schauspielstudium absolvierte, studierte
Aisitulowa zunächst Regie und Schauspiel an der
Universität der Kultur und Künste in St. Petersburg,
bevor sie an derselben Theaterakademie wie Sobennikow ein Nachdiplomstudium erfolgreich abschloss. «So-Bytie» erhielt 2004 mit «Krotkaja» am
«Internationalen Festival der Monospektakel von
Dostojewski» den Preis für die beste körperplastische Umsetzung. Die Festivalleitung überreichte
ihr zudem das Diplom «Beitrag zur Bewahrung und
Belebung des literarischen Erbes von Dostojewski».
Die von Dostojewski um 1876 verfasste Erzählung
hat Aisitulowa werkgetreu für die Bühne umgesetzt.
Bühnenbild und Kostüme (Emil Kapeljusch) lassen
an das vorletzte Jahrhundert erinnern und unterstreichen so die Nähe zur Vorlage. Die eher bescheiden eingerichtete Bühne widerspiegelt – zusammen
ensuite - kulturmagazin Nr. 48 | Dezember 06
mit der besonderen Wirkung des Lichts und den
regelmässig einsetzenden Klängen, die ihrerseits
Wassertropfen imitieren – die Einsamkeit des von
Andrei Sobennikow gespielten Mannes. «Krotkaja»
erzählt die Geschichte einer unglücklichen Ehe zwischen einem jungen Mädchen (gespielt von T. Aisitulawa) und einem Mann mittleren Alters (gespielt
von A. Sobennikow), den seine Vergangenheit und
seine auf immer verlorene Ehre quälen. Wortlos,
rätselhaft und stolz – so hofft er, von seiner Frau
die lang ersehnte Anerkennung und Zuneigung zu
bekommen. Die Sanfte zerbricht jedoch an ihm, an
seinem Verhalten ihr gegenüber und begeht Selbstmord.
Das in russischer Originalsprache und deutschen Übertiteln inszenierte Stück liess die
Theatersäle füllen. Annette Flury und Barbara Grüter, die Organisatorinnen, haben dieses Theaterereignis mit viel Engagement, Eigeninitiative, Leidenschaft und wenig finanziellen Mitteln zustande
gebracht. Im nachfolgenden Gespräch erzählen sie
über ihre Erfahrungen mit «So-Bytie», über ihre Arbeit sowie über die Entstehung dieses Projekts.
Wie verlief die Tournee, bei der Ihr mit der russischen Theatergruppe «So-Bytie» unterwegs
gewesen seid?
Annette: Ich bin sehr glücklich und dankbar,
dass alles derart gut vonstatten ging. Es hat auf
allen Ebenen – sei dies die künstlerische, organisatorische wie auch zwischenmenschliche – bestens
funktioniert.
Barbara: Ich kann mich dem nur anschliessen.
Für mich war die Tournee eine sehr spannende Zeit.
Ich betrachte sie als krönender Abschluss für die
lange Vorbereitungsphase. Das Resultat war sehr
gut, und meine gesammelten Erfahrungen sind
demnach rundum positiv zu werten.
War es das erste Mal, dass Ihr diese russische
Theatergruppe in die Schweiz geholt habt?
Annette: In dieser Zusammenstellung ja. Andrei
Sobennikow war bereits mit Puschkins «Zar Dadon»
auf Schweizer Tournee, die ich organisiert habe.
Tatjana Aisitulowa hatte nun ihr erstes Engagement
in der Schweiz.
Welches waren die Beweggründe, eine russische Theatergruppe in die Schweiz zu holen?
Annette: Ich wurde von der Theatergruppe «SoBytie» angefragt, als sie 2004 die Premiere zu
«Krotkaja» im Dostojewski-Museum in St. Petersburg feierte. Weshalb ausgerechnet ich kontaktiert
wurde, hat damit zu tun, dass ich seit sechs Jahren verschiedene Gastspiele von Absolventen der
Theaterakademie St. Petersburg organisiere.
Im Hinblick auf das Vorhaben war ich zunächst
skeptisch, da es für ein Gastspiel in der Schweiz
ein schwieriges Stück ist. Es ist psychologisch
sehr dicht, und der Text steht im Mittelpunkt, was
aufgrund der Sprachbarriere eine riesige Herausforderung darstellt. Auch war mir klar, dass ein
solches Vorhaben eine Vorbereitungszeit von ca.
ein bis eineinhab Jahren umfasst. Somit wäre mir
eine Aufführungszeit frühestens im Herbst 2006
möglich gewesen. Glücklicherweise stiess ich im
Herbst 2005 auf Barbara, als sie ein Gastspiel für
eine Theatergruppe aus St. Petersburg organisierte: «Lebendiges Eisen» im «Tojo»-Theater Bern.
Ich lernte sie kennen und schnell war klar, dass wir
zusammenarbeiten wollen. Und so war das Projekt
im vergangenen Monat das erste Resultat unserer
gemeinsamen Arbeit.
Welches ist der Reiz, ein russisches Theater
hier in der Schweiz aufzuführen?
Barbara: Bei mir hat es mit den Erfahrungen
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Kursaal.
veranstaltungen
zu tun, die ich im Zusammenhang mit Russland
machen durfte. Nach dem Studium ging ich für
ein halbes Jahr nach St. Petersburg, um dort mein
Russisch zu vertiefen und um erste Erfahrungen
im Kulturmanagement zu sammeln. Ich habe eine
Theatergruppe kennengelernt, die ich – wie Annette
erwähnte – letztes Jahr in die Schweiz geholt habe.
All jene Bestandteile, die erfüllt werden müssen, um
ein solches Projekt zu realisieren, waren eine grosse
Herausforderung für mich, und ich wollte mich dieser Herausforderung stellen.
Das ist der eine Grund. Der andere hat mit meinem Beruf als Übersetzerin zu tun. Der Kontakt
zwischen zwei Kulturen bedeutet unumgänglich
auch das Aufeinanderprallen unterschiedlicher
Sprachen. Den Austausch zwischen Kulturen finde
ich sehr wichtig. Die Übersetzungsarbeit, die ich bei
diesem Projekt durchgeführt habe, war für mich
deshalb sehr spannend. Letztlich war es mein Interesse an Russland, an der russischen Kultur und
Sprache, woraus der Wunsch entstanden ist, einen
Beitrag an die Berner Kultur- bzw. Theaterszene zu
leisten.
Annette: Bei mir war die Begegnung mit Jurij
Vasilijev, Professor an der Theaterakademie St. Petersburg, ausschlaggebend. Dieser gibt in Tschechien jeden Sommer Theaterkurse, die ihrerseits als
Auftakt für ein darauf folgendes Festival gelten, an
dem Theaterleute, Musiker, Tänzer, Sänger, Puppenspieler usw. teilnehmen. Dort lernte ich russisches
Theater kennen. Die Art, wie Jurij Vasilijev arbeitet,
ist sehr beeindruckend. Der Tag des Festivals war
schliesslich ein unvergessliches Erlebnis. Gespielt
wurde auf einem Bauernhof bzw. auf der Heubühne. Viele Leute kamen, den ganzen Tag lang wurde
gespielt und es herrschte stets ein reges Treiben
in einer sehr direkten und unkomplizierten Art. So
hatte ich Kultur noch nie erfahren. Es wurde weder
auf eine reiche Ausstattung noch auf das Budget
geachtet. Man erschuf etwas aus dem, was zur
Verfügung stand. Abschliessend kann ich sagen,
dass auch bei mir das Interesse am kulturellen Austausch der Anreiz zur Durchführung solcher Projekte darstellt. Hierzu gehört auch der Aspekt der Kulturförderung. Denn all jene Künstler, mit denen ich
bis anhin gearbeitet habe, sind noch jung. So haben
die Künstler, die «Die Sanfte» aufgeführt haben,
aus eigenem Antrieb heraus und mit eigenen Ideen,
diese Inszenierung kreiert und erarbeitet. Solches
Engagement möchte ich unterstützen.
Was meint Ihr, weshalb haben sämtliche Vorstellungen ein derart grosses Publikum angelockt?
Barbara: Ich erkläre es mir durch die gezielte
Werbung, die wir machen konnten. «Die Sanfte»
von Dostojewski ist ein Stück, bei dem ein Teil des
Publikums ziemlich genau definiert ist. So gehören dazu etwa Studentinnen und Studenten der
russischen Sprache und Literatur sowie die in der
Schweiz lebenden russischen Staatsbürger. Daneben hat Annette einen grossen Bekanntenkreis, der
sich für Theater in Verbindung mit Russland interessiert. Auch wäre möglich, dass die Theateraufführung selbst – mit ihrer Sprache und deren Umsetzung - anziehend gewirkt hat. Dass russisches
Theater in Originalsprache und deutschen Übertiteln inszeniert wird, ist schliesslich etwas, das man
nicht alle Tage zu sehen kriegt. Der direkte Kontakt
mit einer anderen Kultur, mit einer fremden Sprache, dann aber auch der bekannte Autor des Stücks
sind meiner Ansicht nach alles Elemente, die den
Theatergänger ins Theater gelockt haben.
Möchtet Ihr auch zukünftig gemeinsame Projekte durchführen?
Barbara: Mir gefällt die Projektarbeit sehr und
schön war auch, dass die Zusammenarbeit mit
Annette auf Anhieb glückte. Wenn es deshalb in
Zukunft irgendwie möglich sein wird, will ich unbedingt an weiteren Projekten dieser Art arbeiten.
Annette: Ich kann die Aussage von Barbara nur
bestätigen. Wir arbeiteten als eingespieltes Team
derart gut, dass ich mir keine bessere Partnerin /
keinen besseren Partner vorstellen kann.
Gibt es denn schon konkrete Pläne?
Barbara: Da wir uns mit einer konkreten Antwort
nicht festlegen möchten, weise ich einfach darauf
hin, dass viele Ideen vorhanden sind. Eine Idee wäre
etwa, weitere in St. Petersburg inszenierte Stücke in
der Schweiz zur Aufführung zu bringen.
Annette: Oder denjenigen, die dieses Vergnügen
schon mal hatten, ein weiteres Engagement zu ermöglichen. Denn all jene, die schon einmal mit mir,
mit Barbara oder mit uns beiden zusammenarbeiten durften, würden gerne wieder kommen.
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ensuite - kulturmagazin Nr. 48 | Dezember 06
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veranstaltungen
KINDERTHEATER
zweimal theater für kinder
Von Kathrina von Wartburg (Bild: zVg.)
Der Wind, der Wind, das himmlische Kind
■ Als Kind kreischt man bei Britney oder Tokyo Hotel, zu klassischer Musik hingegen finden die meisten erst im erwachsenen Alter. Schade eigentlich,
denn dass Kinder an klassischer Musik durchaus
Freude haben können, zeigt Barbara Balba Weber.
Die Flötistin und Musikpädagogin entführt in ihrem
Musikmärchen «Windkinder 2» junge Menschen ab
fünf Jahren in eine traumhaft schöne musikalische
Welt, genauer auf die Windkinderwolke. Als Gundula Wolkenwind treibt sie mit ihrer Flöte allerlei
musikalischen Schabernack, so dass den jungen
Zuschauerinnen und Zuschauern vor lauter Staunen durchaus mal die Spucke wegbleiben kann. In
diesem Stück können die kleinen Erdenbewohner
aber auch für einmal von aller irdischen Last befreit
nach Herzenslust pfeifen, dirigieren, blasen – oder
einfach nur still staunen. Für zusätzlichen Spass
sorgt das interaktive Bühnenbild des Illustrators
Tom Frey.
Barbara Balba Weber blickt selbst auf eine langjährige Erfahrung zurück. Sie machte Aufnahmen
und Konzertmitschnitte für Radio DRS 2, produzierte eine CD mit ihrem Soloprogramm «Windkinder»,
schrieb für das Schweizer RadioMagazin und für
die Berner Zeitung und leitete bis vor kurzem die
Konzertreihen «Unerhört» und «Rathauskonzerte
Thun». Zudem wirkt sie in Konzerten für Kinder
auch als Texterin, Moderatorin und Performerin.
Auch privat hat sie Erfahrung mit Kindern: Sie ist
Mutter von zwei Kindern, schreibt laufend Kinder(und andere)-Geschichten, unterrichtet seit 1990
an der Musikschule Belp und führt(e) Projekte mit
neuer Musik an Schulen und Musikworkshops im
Kindermuseum des Zentrums Paul Klee durch.
Dass sie klassische Musik kindergerecht vermitteln kann, bewies Barbara Balba Weber bereits
mit ihrem Soloprogramm «Windkinder 1». Sie setzt
dabei grossen Wert auf die Interaktion der Kinder;
wie gesagt: selber pfeifen, dirigieren, blasen. Das
brachte ihr auch in der Presse Lob ein. «Barbara
Weber verzauberte ihr junges Publikum mit einfach guten Geschichten, untermalte diese mit der
Querflöte, also der ‹Sprache der Luft›, und liess
die Kinder immer wieder teilhaben. Sie dankten
es ihr mit Spontaneität und viel Freude», schrieb
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damals die «Berner Zeitung». Neu bringt Barbara
Balba Weber mehr eigene Kompositionen und Improvisationen ins Spiel, welches mit einem eigens
in Auftrag gegebenen, interaktiven Bühnenbild von
Tom Frey zusätzlich an Reiz gewinnt. Gleichzeitig ist
«Windkinder 2» Auftakt zu einer neuen Kinderreihe
im Berner Kulturkeller ONO. Künftig sollen Kinder
dort ihren festen Platz bekommen – immer dann
wenn‘s wieder heisst «Kids ono» (berndeutsch:
«auch noch»).
Das verspielt-luftige Musikmärchen «Windkinder
II» jedenfalls passt wunderbar in die Weihnachtszeit
und vermittelt Kindern traditionelle und zeitgenössische Klassik ohne den erhobenen Zeigefinger.
Empfehlenswert!
Windkinder 2
10., 17., 24. und 30.12. jeweils um 14:00 h im Kulturkeller ONO, Kramgasse 6, 3011 Bern.
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Eine berühmte lange Nase
■ Wer kennt sie nicht, die Geschichte von der hölzernen Puppe Pinocchio, die sich am Ende in einen
Knaben aus Fleisch und Blut verwandelt? «Pinocchio» war ursprünglich eine Auftragsarbeit für die
Kinderzeitschrift «Il giornale per i Bambini». 1881
erschien das erste Kapitel. Als der Autor, Carlo Collodi, die Holzpuppe nach ein paar Episoden sterben
lassen wollte, protestierte das Publikum. Zu lieb
hatte man den Holzjungen schon gewonnen. Collodi
fabulierte weiter und weiter – insgesamt erzählte er
innerhalb von zwei Jahren 36 Geschichten. 1883 erschienen sie dann erstmals vollständig als Roman.
Seither wurde Pinocchio ungezählte Male übersetzt,
nachgedichtet und verfilmt. Kaum ein Kind, dass die
Geschichte noch nicht kennt vom frechen Lausbub,
der sich nur schlecht den pädagogischen Wünschen
und Vorstellungen seiner Umwelt unterordnet; und
der seine eigene Ideen davon hat, wie er die Welt
erobern will.
Nun kommt «Collodis Pinocchio» als Musiktheater nach Burgdorf. Ursprünglich hatte der Komponist Tommy Fortmann 1990 «Collodis Pinocchio»
fürs Opernhaus Zürich musikalisch umgesetzt. Ein
enormer Erfolg: Von den 30 Aufführungen waren
28 ausverkauft. Nach dieser aufwendigen und gigantischen Zürcher Version schrieben der Berliner
Regisseur Horst-J. Lonius und Tommy Fortmann
den Text und die Partitur für ein kleineres Ensemble
und eine einfachere Ausstattung um. Nur noch
sechs Schauspieler und fünf Musiker; umgesetzt
vom Talman-Ensemble, musikalisch begleitet vom
«Accademia Amiata Ensemble».
Auch diese «kleinere» Version ist sehenswert:
Der «neue Pinocchio» ist fantasievoll und mitreissend. Das Stück steht in der europäischen Tradition
des Musiktheaters – und nicht des amerikanischen
Musicals. Die einzelnen Titel sind bewusst kurz
gehalten und integrierender Bestandteil der Geschichte. Sie erzählen die Geschichte weiter, anstatt
sie «nur» zu illustrieren. Die Musik wirkt originell
und ungeschliffen wie eine toskanische Banda und
klingt trotz moderner Struktur und Musiksprache
stets wie ein Gassenhauer.
Der neue Pinocchio bietet auch inhaltlich einige Überraschungen: Auf der Bühne wird nicht
einfach «Pinocchio» nacherzählt – vielmehr ist die
Entstehungsgeschichte Teil der Handlung. An einem
hässlichen Karnevalsmorgen fällt Carlo Collodi ein,
dass er an diesem Tag noch eine tüchtige Schuld
zu begleichen hat. Er begibt sich in sein Florentiner
Stammcafé, setzt sich an einen Tisch und beginnt
mit einem Schreiben an seinen Verleger.....Nach und
nach verwandelt sich in seiner Fantasie das Lokal
mit seinen Gästen in die verschiedenen Szenarien,
die wir heute als die Geschichte «Pinocchio» kennen: Die Kellnerin wird zur Fee, aus dem Mafioso
und seiner Geliebten werden Fuchs und Katze, die
Bar ist einmal Kutsche, einmal Walfisch. Collodi indes wird allmählich selbst zu der von ihm erdachten
Holzpuppe und steht plötzlich mitten in seiner eigenen Erzählung. So überraschend der Beginn des
Stücks, so überraschend ist natürlich auch das Ende
– es sei jedoch an dieser Stelle nicht verraten.
Collodis Pinocchio
16.12., 20:00 h und 17.12., 15:00 h
Casinotheater Burgdorf
ensuite - kulturmagazin Nr. 48 | Dezember 06
veranstaltungen
AUSBLICK BÜHNE
Schlachthaus Theater
Elsi, die seltsame Magd
Nach der gleichnamigen Novelle von Jeremias
Gotthelf. Text/Bearbeitung: Stefanie Grob
■ Im neusten Stück des Club 111 wird Gotthelfs
Elsi mitten in die Absurdität unserer globalen
Welt hineinverpflanzt. Elsi ist eine junge Frau,
die alle Tugenden, die einen guten Schweizer/
eine gute Schweizerin auszeichnen (Arbeitswut,
Anstand, Zurückhaltung und Lustfeindlichkeit),
hat. Aber ihre ausländische Herkunft führt in
Heimiswyl zu grossen Wirren und am Schluss ist
nichts mehr, wie es vorher war. (mi)
BÜHNE
ein mann,
tausend schöne worte
Regie: Meret Matter
Konzept: S. Grob, Hubacher und M. Matter
Mit: Catriona Guggenbühl, Pilu Lydlow, Lilian
Naef, Sonja Riesen u. a.
Von Magdalena Nadolska – «Monsieur Ibrahim und die Blumen des
Koran» als Solostück im Theater am Käfigturm (Bild: zVg.)
■ Wenn Krishan Krone sein Auto mit den Requisiten geladen hat, ergibt sich ein heiteres Bild.
«Es sieht so aus, als ob ich auf den Markt fahren
würde», meint der Schauspieler lächelnd. Die Requisiten zu seinem neuen Solostück sind nämlich
Holzkisten mit Früchten und Gemüse, der Schauplatz ist der Lebensmittelladen von Monsieur
Ibrahim.
Bekannt ist «Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran» als herzergreifender Roman von
Eric-Emmanuel Schmitt oder als Film von François Dupeyron mit dem Hauptdarsteller Omar
Sharif. Gleich wie das Buch, beginnt auch Krishan
Krone: «Als ich elf war, habe ich mein Schwein
geschlachtet und bin zu den Dirnen gegangen.»
So fängt Moses’ tragikomische Geschichte an
und handelt von der Freundschaft zwischen ihm,
einem jüdischen Jungen und Monsieur Ibrahim,
«dem Araber an der Ecke». Sie entwickelt sich zu
einer Reise zwischen Generationen und Religionen, zwischen warmer Geborgenheit und kühler
Einsamkeit und endet beim Goldenen Halbmond.
Eric-Emmanuel Schmitt erzählt in seinem Roman
von der Freundschaft zweier grundverschiedenen Menschen mit unterschiedlichen Lebensumständen. Poetisch berichtet er von einem Moslem und einem Juden, die sich mögen und grenzt
dabei den Nahostkonflikt völlig aus. Dieses NichtThematisieren tut gut, denn wir alle haben diesen Konflikt satt.
Der Schauspieler Krishan Krone erzählt die
Geschichte aus der Sicht des erwachsenen Moses und lässt sämtliche Figuren des Stücks lebendig werden. Als Solodarsteller spielt er «Auge in
Auge» mit den Zuschauern. «Die Form des Erzählens ist magisch. Im Publikum kommen Kindheitserinnerungen hoch, wie beispielsweise Guensuite - kulturmagazin Nr. 48 | Dezember 06
tenachtgeschichten der Oma. Plötzlich entstehen
Bilder oder Gerüche», schwärmt Krone.
«Wenn man als Darsteller seine eigenen Bilder
hat, sie sieht und auf der Bühne erlebt, können
sich die Zuschauer auch ihre eigenen Bilder machen.» So lebt das Stück von der Intimität, vom
persönlichen Kontakt zum Publikum. Dabei bringt
Krishan Krone die Zuschauer zum Lachen, zum
Weinen, zum Nachdenken und nicht zuletzt zum
Geniessen, in einer charmanten und feinen Weise.
«Mittlerweile ist Monsieur Ibrahim zu einer Geschichte geworden, die ich mir einverleibt habe. Sie
ist viel persönlicher geworden», so Krone, wenn
er seine Tournee im deutschsprachigen Raum
beschreibt. Am wichtigsten sei es für ihn die Geschichte, welche er erzählt, gern zu haben. Er mag
Momo alias Moses, welcher sein tristes Leben mit
sehr viel Heiterkeit meistert: «Traurigen Momenten
dieses Stücks folgt der Humor. Manche Dinge sind
traurig, aber das Leben geht weiter. Momo und seine Mutter zeigen eine Haltung, die ich als sehr weise empfinde. Man kann schmerzliche Erfahrungen
verdrängen, vergessen, in ihnen rumstochern oder
aber wie hier – einfach stehen lassen. Der Schmerz
wirkt zwar nach, aber man schliesst Frieden mit
der schmerzhaften Situation.»
Das Tolle an einem Solostück im Gegensatz zu
der Arbeit in einem Ensemble sei die Flexibilität
und das Spielen ohne grossen Aufwand. So belädt
Krishan Krone sein Auto, fährt los und bringt den
Menschen Freude und Traurigkeit.
Aufführungen im Theater am Käfigturm:
12./14./15./16. Dezember, jeweils 20:00 h
Reservationen und Infos:
031 311 61 00 oder www.theater-am-kaefigturm.ch
Aufführungsdaten:
28., 29., 30. und 31.12. sowie 4., 5. und 6.1.2007
Stadttheater Bern
Endspiel
Ein Theaterstück von Samuel Beckett
■ Stefan Suske (Interview mit Suske in
dieser ensuite-Ausgabe) und Uwe Schönbeck
verabschieden sich im kommenden Juni nach
sechszehnjähriger, erfolgreicher Tätigkeit vom
Stadttheater Bern. Sie haben sich entschieden,
in ihrer letzten gemeinsamen Produktion für
das Stadttheater Becketts «Endspiel» auf die
Bühne zu bringen. Schönbeck und Suske gaben
beide während ihres Engagement am Berner
Stadttheater ihr Regiedebüt. In ihrer letzten
gemeinsamen Produktion am Stadttheater
führen die beiden Freunde gemeinsam Regie
und spielen zudem selbst die Rollen von Clov
und Hamm. Suske & Schönbeck so, wie wir sie
kennen: Extraklasse! (mi)
Inszenierung und Schauspiel:
Uwe Schönbeck und Stefan Suske.
Aufführungsdaten im Dezember:
6., 16. und 23.12.
Sie wissen
nicht wohin?
[email protected]
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musik
srboljub dinic
Ein Interview von Karl Schüpbach - Operndirigent – Konzertdirigent, zwei völlig verschiedene Herausforderungen. (Bild: zVg.)
■ Karl Schüpbach: Herr Dinic, wenn Sie ein
Konzert oder eine Oper dirigieren, haben beide
Kunstformen sicher Gemeinsamkeiten. Als Dirigent sehen Sie sich aber doch mit verschiedenartigen Herausforderungen konfrontiert. Können
Sie näher auf diese Problematik eingehen?
Srboljub Dinic: In der Oper oder im Konzert werden an den Dirigenten tatsächlich grundverschiedene Anforderungen gestellt. Ich möchte von den Verschiedenheiten sprechen, ohne im Geringsten eine
Wertung vorzunehmen. Es gibt auf den ersten Blick
zwei grundlegende Unterschiede: In der Oper, im
modernen Regietheater, ist es eine der wichtigsten
Aufgaben des Dirigenten, die nahtlose Koordination
zwischen Bühne und Orchester sicherzustellen, dies
ist im Konzertsaal nicht so, ausser bei Aufführungen von Oratorien. Ein ganz wesentliches Problem
liegt weiter auch darin, dass es für den Dirigenten
im Theater ein absolutes Muss darstellt, die Sprache des Librettos zu verstehen. Ein weiterer Faktor,
der viel Flexibilität abverlangt, ist die Tatsache, dass
es in der Oper auf der Bühne wie auch im Orchester immer wieder zu Besetzungswechseln kommt,
etwas das im Konzertsaal undenkbar ist. Lassen
Sie mich noch etwas anführen: Wegen der oft beträchtlichen Distanzen zwischen Dirigentenpult
und der Bühne ist eine klare und unmissverständliche Gestik eine absolute Voraussetzung. Nochmals:
Ich möchte unter keinen Umständen den Eindruck
erwecken, dass ein Dirigent im Konzertsaal nicht
auch mit grossen Problemen konfrontiert ist. So gilt
es zum Beispiel in Bern, innerhalb einer Woche ein
vielleicht schwierigstes Programm zur Konzertreife
zu bringen. Dies bedeutet beinharte Arbeit für das
Orchester und natürlich auch für den Dirigenten.
Die Vorbereitungszeit für eine Oper dagegen erstreckt sich in unserem Drei-Sparten-Haus doch auf
einen längeren Zeitraum.
Wie würden Sie die Oper des Stadttheaters
Bern in der gesamtschweizerischen Opernwelt
positionieren? Es geht hier keinesfalls um eine
Rangliste, die Frage möchte Stärken und Chancen, aber auch Schwächen ausleuchten?
Kürzlich wurde in der Presse eine Statistik veröffentlicht: Mit über 80 Prozent Auslastung in der
Oper steht Bern gesamtschweizerisch sehr gut da.
Natürlich muss ich in diesem Zusammenhang auf
die unterschiedlichen Organisationsformen in der
Schweiz aufmerksam machen. Zürich, Genf und
Basel haben weitaus günstigere Voraussetzungen,
was die Oper anbelangt: wegen der völlig anderen
Strukturen mit den jeweiligen Orchestern, wegen
der Grösse der Orchestergraben und – wegen des
Geldes. Aber es gibt wirklich Grund zur Genugtuung: Wir konnten erfolgreiche Koproduktionen mit
anderen Häusern eingehen, und – vor allem – wir
haben in der Presse internationale Anerkennung
gefunden, die Produktionen von «Mazeppa» von
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Peter Iljitsch Tschaikowsky und «Kullervo» von Aulir
Sallinen fanden ein äusserst positives Echo.
Noch einmal ein Wort zum Repertoire: Wir können, wie erwähnt, Werke der Spätromantik, wie
Wagner oder Strauss, aus Platzgründen nur unter
erschwerten Umständen zur Aufführung bringen.
Hier bilden die erfolgreichen Aufführungen von
«Mazeppa», «Madame Butterfly» oder «Tannhäuser» doch eher die Ausnahme. Ich bin aber der
festen Überzeugung, dass die Oper von Bern im
Hinblick auf die Grösse der Stadt und des Kantons
auch eine erzieherische Aufgabe wahrzunehmen
hat; das beinhaltet ab und zu auch die Aufführung
der grossen Oper der Spätromantik, auch wenn dabei gewisse klangliche Abstriche in Kauf genommen
werden müssen. Die Berner Oper wird aber sicher
ihr Hauptgewicht auf die Produktion von Werken
legen, die den räumlichen Verhältnissen Rechnung
tragen.
Die Tatsache, dass das Berner SymphonieOrchester gleichzeitig als Konzert- und Opernorchester arbeitet, zieht sicher für beide Seiten
Probleme nach sich. Können Sie aber dieser
Struktur auch Positives abgewinnen, zu Gunsten
des Theaters wie auch der Sinfoniekonzerte?
Die Probleme liegen auf der Hand, ich habe
schon oft darüber gesprochen: Im Konzert spielt
das Berner Symphonie-Orchester in einem wunderschönen Saal, in Originalbesetzung, auf dem
Podium, vor den Augen des Publikums. Im Theater
dagegen müssen die Musikerinnen und Musiker mit
dem Graben (welch ein Wort!) vorliebnehmen, wobei die Besetzung, gewollt oder ungewollt, oft mit
Rücksicht auf die Bühne reduziert werden muss,
was nach sich zieht, dass sich das Orchester in einer
reinen Begleitfunktion wiederfindet.
Probleme gibt es aber auch in den Dispositionen
der beiden Institutionen Stadttheater und Stiftung
Berner Symphonieorchester, wobei sich aber hier
auch Chancen für beide Seiten ergeben, über die ich
gerne spreche: Es kommt immer wieder vor, dass
wir das Orchester nach einer strengen Konzertwoche am Wochenende, vielleicht auch während der
Woche, für das Theater beanspruchen müssen. Das
Orchester ist zwar müde, aber in Hochform, was
sich für die Oper höchst positiv auswirkt.
Auf der anderen Seite ist es doch so, dass das
Repertoire in der Oper, genau wie die Konzertliteratur, unsterbliche Meisterwerke bietet. Dies bedeutet,
dass ein Orchestermitglied in Bern die unermesslich
breite Facette seines Berufes erleben kann.
An welche Werke, die Sie in Bern bereits dirigiert haben, denken Sie besonders gerne zurück?
Ich durfte in Bern mit allen meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sehr schöne Vorstellungen
erleben. Wenn ich eine Produktion hervorheben
darf, ist das sicher die Aufführung der bereits er-
wähnten Oper von Tschaikowsky, «Mazeppa». Ich
glaube zwar, dass diese Oper nicht zu den ganz
grossen Opern des russischen Meisters gehört. Für
mich war es aber doch eine Entdeckung, und ich war
und bin zutieft beeindruckt über die vielfältigen, berührenden Rückmeldungen des ganzen Hauses, aus
dem Orchester, den Reihen der Sänger, des Chores
und der Bühne. Zudem ist mir bekannt, dass viele
Opernfreunde aus dem Publikum die Aufführung
mehrmals besucht haben.
Abschliessend noch ein Blick in die Zukunft:
Können Sie ein paar Gedanken äussern über die
Werke, die Sie in der laufenden Spielzeit noch dirigieren werden?
Ich habe in dieser Spielzeit bereits die Wiederaufnahme der «Entführung aus dem Serail»
von Mozart dirigiert, sowie den Orchester-BallettAbend. Vor mir liegen noch zwei Produktionen, auf
die ich mich besonders freue: Einmal die «Traviata»
von Verdi, sie bringt eine Wiederbegegnung mit
dem Regieteam von «Il Viaggio a Reims». Auch auf
die Produktion der Rossini-Oper der laufenden Saison kann Bern mit besonderem Stolz zurückblicken.
Weiter – jetzt darf ich ein wenig sentimental werden
– fühle ich mich geehrt, dass ich die letzte Produktion des scheidenden Theaterdirektors Eike Gramss,
«Falstaff» von Verdi, musikalisch betreuen werde.
Herr Dinic, ich bedanke mich herzlich für die
Beantwortung der Fragen. Für Ihre weitere Arbeit wünsche ich Ihnen alles Gute, und natürlich
ein spezielles toi, toi, toi für die bevorstehende
Premiere der «Lustigen Witwe» von Franz Lehar
am 29. Dezember 2006.
Srboljub Dinic wurde 1969 in Nis, Serbien, geboren. Er entstammt einer Musikerfamilie. Mit fünf
Jahren erhält er den ersten Klavierunterricht. An
der Musikhochschule Belgrad absolviert er sein
Berufsstudium mit Abschlüssen in den Fächern
Dirigieren, Klavier (Ausbildung zum Konzertpianisten) und Kammermusik. Bereits an der Musikhochschule Belgrad arbeitete er als Assistent für
Kammermusik und Korrepetition.
1995–1997 Korrepetitor am Stadttheater Basel
1997–1999 Kapellmeister in Bonn
1999–2001 persönlicher Assistent der Chefdirigentin Julia Jones am Stadttheater Basel
2001–2004 Erster Kapellmeister und Stellvertreter des Chefdirigenten Miguel Gomez-Martinez
am Stadttheater Bern
2004 Ernennung zum Chefdirigenten des Stadttheaters Bern
ab 2007 zusätzlich Musikdirektor am Stadttheater Bern
Vor kurzer Zeit sehr erfolgreiches Gastspiel an
der Staatsoper Stuttgart mit «Madame Butterfly».
ensuite - kulturmagazin Nr. 48 | Dezember 06
ensuite - kulturmagazin Nr. 48 | Dezember 06
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musik
KLASSIK
«curiose menschen» und ihre musik
Ausgewählt von Sonja Koller - Ein Blick in die Reisekorrespondenz von vier Komponisten (Bild: zVg.)
■ Wolfgang Amadeus Mozart 1777 aus Augsburg an seinen Vater:
«graf wolfeck lief immer im saal herum und sagte.
so hab ich mein lebetag nichts gehört. er sagte zu
mir. ich muss ihnen sagen, dass ich sie niemahlen
so spiellen gehört, wie heüte. ich werde es auch
ihren Vatter sagen, so bald ich auf salzbourg komme. (…) dan spiellte ich allein (…) und auf einmahl
eine Prächtige sonata ex C major so aus dem kopf
mit einen Rondeau auf die lezt. es war ein rechtes
Getös und lerm. H: stein machte nichts als gesichter und grimassen für verwunderung. H: Demler
muste beständig lachen. das ist ein so Curioser
Mensch, das wen ihm etwas recht sehr gefällt, so
mus er ganz entsetzlich lachen. bey mir fieng er
gar zu fluchen an.»
zu einer Schweizer Landschaft.
Zweitens der vielbelobte Gesang der Schweizer
Mädchen, der besonders im Berner Oberland verbreitet ist: Von dem kann ich leider nicht viel Gutes
sagen. Es ist allerdings nicht zu verkennen, dass
sie gewöhnlich vierstimmig singen, doch alles wird
verdorben durch eine Mädchenstimme, die sie wie
‹flauto piccolo› betrachten; denn diese singt nie
eine Melodie, sondern einzelne hohe Töne, und
nur nach Belieben, glaube ich, wodurch zuweilen
grässliche Quinten entstehen. Übrigens könnten sie gute Sängerinnen sein, denn den Spruch
‹Cantores amant humores!› erfüllen sie ganz. Vier
von ihnen haben einst 24 Flaschen Wein hinter die
Köpfe getrunken.»
*****
*****
■ Felix Mendelssohn 1822 aus der Schweiz an
den Liedkomponisten Karl Friedrich Zelter:
«Zuerst das Jodeln: Zuerst nenne ich es, weil es
in der ganzen Schweiz verbreitet, und alle Schweizer Landleute können jodeln. Es besteht aus Tönen, die durch die Gurgel hervorgebracht werden,
und gewöhnlich sind es aufspringende Sexten. Es
ist nicht zu leugnen, dass diese Art von Gesang in
der Nähe oder im Zimmer rauh und unangenehm
klingt. Doch wenn Echos darauf antworten oder
sich damit vermischen; wenn man im Tale steht
und auf dem Berge oder im Walde das Jodeln und
Jauchzen hört, das der Enthusiasmus der Schweizer für ihre Gegend hervorbringt; (…) dann klingt
dieser Gesang schön, ja, er (…) gehört gleichsam
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■ Frédéric Chopin 1848 aus Schottland an Graf
Adalber Grzymala:
«Höre nun: Einmal, nachdem ich gespielt und sie
(eine der vornehmsten Damen Londons) selbst alle
möglichen Lieder gesungen hatte, wird eine Art
Ziehharmonika hereingebracht, und sie setzt sich
hin und spielt auf diesem Instrument ganz ernsthaft die fürchterlichsten Melodien. – Was soll man
da tun? Es scheint mir, dass alle diese Geschöpfe
nicht ganz richtig im Kopf sind. – Eine (…) Lady (…)
begleitete sich der Originalität wegen stehend am
Klavier und sang eine französische Romanze mit
englischer Aussprache: ‹Schej ajmej, schej ajmaj …
(j’ai aimé)›!!! – (…) Diejenigen, die meine Kompositionen kennen, verlangen von mir: ‹Jouez-moi votre
second Soupir! …J’aime beaucoup vos cloches!› …
Und alle ihre Lobsprüche enden mit ‹leik water›,
das heisst, es fliesst wie Wasser. Ich habe noch nie
einer Engländerin vorgespielt, ohne dass sie mir
gesagt hätte ‹leik water›. Alle achten nur auf ihre
Hände und spielen mit Gefühl falsche Noten. Es
sind Originale. Gott beschütze sie!»
*****
■ Peter Tschaikowsky 1878 aus Florenz an Nadeshda von Meck:
«Wissen Sie noch, wie ich Ihnen während meines
vorigen Aufenthaltes in Florenz von einem Jungen
berichtete, den ich abends auf der Strasse singen
hörte und dessen herrliche Stimme mich so gerührt hat? Ich fand ihn vorgestern zu meiner unbeschreiblichen Freude wieder. Er sang mir ebenso
wie damals ‹Perché tradirmi, perché lasciarmi› vor,
und ich verging geradezu vor Begeisterung. Ich
kann mich nicht entsinnen, dass mich ein schlichtes
Volkslied je so gerührt hätte. (…) Man muss einige
Zeit in Italien gelebt haben, um der Gesangskunst
der Italiener die gebührende Anerkennung zu zollen. Jeden Augenblick hört man auf der Strasse
prachtvolle Stimmen, auch in diesem Augenblick
höre ich in der Ferne einen wunderschönen Tenor,
der aus vollem Halse irgendein Lied in die weite
Welt hinausschmettert. Aber selbst wenn die Stimme nicht besonders schön ist, kann sich jeder Italiener rühmen, von Natur aus Sänger zu sein. Sie
haben alle eine richtige émission de voix und verstehen, aus der Brust heraus zu singen, nicht aus
der Kehle und nicht durch die Nase wie bei uns.»
ensuite - kulturmagazin Nr. 48 | Dezember 06
musik
VOLKSMUSIK
und sie spielen immer wieder...
Von Karl Johannes Rechsteiner, Stubemusig Rechsteiner (Bild: Karl Johannes Rechsteiner)
■ Musik der Stubemusig Rechsteiner läuft zur Zeit
als Soundtrack zum Schweizer Erfolgsfilm «Die
Herbstzeitlosen». Und auch in der Berner Rockszene sind die Brüder Rechsteiner keine unbeschriebenen Blätter. Doch jetzt ging’s wieder mal mit
Vater ins Tonstudio. Mit einer neuen CD feiern sie
30 Jahre Stubemusig. Die archaischen Klänge rund
ums Hackbrett sind zu einer feinen Weltmusik geworden. «Gut auch als Herzmassage für gestresste Topmanager», meinte einst Jiri Schmidhauser
von Züri West und den Shoppers dazu. Exklusiv für
ensuite - kulturmagazin hält der Älteste der jungen
Rechsteiners einen persönlichen Rückblick.
Mein Herz klopfte bis zum Hals. Eben hatte mir
meine Lehrerin das Zeugnis überreicht. Die Zensuren in Chemie und Französisch waren ungenügend.
Was würden meine Eltern sagen, die das Notenbüchlein unterschreiben mussten? Ein kleiner Kobold in meinem Innern grinste hämisch: «Das hast
du jetzt von deinem Nichtstun!» Doch ich beruhigte
mich schnell, denn ich brachte das Zeugnis meinem
Vater. Kaum hatte er einen Blick auf die Noten geworfen, begann er freudig zu strahlen. Er hatte bei
Singen und Musik die Bestnote entdeckt. Egal wie
lausig wir Kinder in den Hauptfächern abschnitten,
wenn wir in der Musik brillierten, war die Welt in
Ordnung!
Eines Tages schaute Vater Karl auf seine Söhne:
Christoph an der Geige, Niklaus am Cello, Karl junior
an den Blockflöten. Und Vater Karl sah, dass es gut
war. Sein Nachwuchs hatte eine solide musikalische
Ausbildung genossen. Daraus liesse sich sogar eine
Appenzeller Streichmusik machen. Wenn nur ein
Hackbrett dabei wäre! Der Heimweh-Appenzeller
beschenkte sich zum 50. Geburtstag: Er reiste zum
legendären Hackbrettbauer Chliine Fuchsli an den
Sammelplatz in Appenzell und kaufte sich eines der
urtümlichen Instrumente mit den 138 Kupfersaiten.
Ein neues Leben begann.
Am Anfang spielten wir daheim in der Stube
– nachdem uns Mutter in der Küche mit Süppli und
Salätli, Gulasch und Götterspeise gestärkt hatte.
Für Familienanlässe übten wir ein Wälserli, versuchten ein Zäuerli, arrangierten einen Schottisch. Mit
ensuite - kulturmagazin Nr. 48 | Dezember 06
jedem Fest kam ein Stückli mehr dazu. Es folgte der
internationale Durchbruch: Der erste öffentliche
Auftritt bei Vaters Lokführer-Gewerkschaft! Wir
verliessen die gute Stube und wagten uns hinaus
als Stubemusig. So begann 1976 die Geschichte der
Stubemusig als Volksmusikkapelle mit vier Brüdern,
deren ältester ihr Vater ist.
Niklaus war gut zehnjährig, Christoph ein Teenie
und ich ein langhaariger Jugendlicher. Es war die
Zeit der Folkfestivals. Die Frauen trugen Lilalatzhosen, die Männer ertrugen deren Feminismus, liessen zum Schutz ihre Bärte wachsen und zündeten
Räucherstäbchen an, die nach Patchouli rochen.
Und wir Stubenmusiker freuten uns an archaischen
Volksmusikklängen – eine Faszination, die bis heute
anhält.
Eine Party gegen Häuserabrisse? Es spielte die
Stubemusig Rechsteiner. Ein Solidaritätsfest für die
Freiräume des Autonomen Jugendzentrums Reithalle? Es spielte die Stubemusig Rechsteiner. Eine
Gala zugunsten der Alpen-Initiative, die die Lastwagen auf die Bahn zwingen wollte? Es spielte die Stubemusig Rechsteiner. Wann immer es in Bern eine
Volksmusik brauchte, die nicht zur «Ländler-Mafia»
gehörte – es spielte die Stubemusig Rechsteiner.
Zwischen zwei Wälserli blickte einst auch Bundespräsident Kurt Furgler entzückt auf die heile Welt
dieser Familienkapelle – bald aber wurde sein Kopf
hochrot und er verlor die Fassung, als wir jungen
Stubenmusiker mit ihm über die 80er-Jugendbewegung stritten. Was für ein Gegensatz zur Freude von
Südafrikas First Lady Zanele Mbeki, die ein paar
Jahre später im Café Hugo in Oberdiessbach unsere Tänze und das schmelzende Raclette genoss. So
unvergesslich wie einst der Auftritt an einem Fest
von Menschen mit Behinderung, die begeistert in
ihren rasenden Rollstühlen zu unseren Rhythmen
durch den Saal tanzten.
Volksmusik trachtet weder nach Edelweisskitteln
noch nach gleichfarbigen Hemden. Stubemusig soll
nicht tönen, als wären wir alle gleich angezogen.
Kleine güldene Rahmkellen im Ohr und die gelben
Hosen der Appenzeller Sennen sind schön. Aber
wir Stadtmenschen würden uns damit nur verkleiden. Auch wenn wir manchmal grinsend von einem
Megahit der «Original-Rechsteiner-Buob’n» träumen, sind es doch nicht Retortenschlager aus der
Humm-ta-ta-Industrie, die uns inspirieren. Alle vier
Rechsteiners spielen nicht nur Volksmusik, sondern
haben auch ganz andere Erfahrungen gemacht: In
Kirchenchor oder bei fasnächtlicher Blasmusik, zwischen Rock und Swing oder bei lautem Punk oder
freiem Jazz. Immer wieder jedoch kehren wir zurück zu den eigenwilligen Klängen rund ums Hackbrett. Uns gefällt die Volksmusik als bunter Teppich,
gewoben aus Fäden verschiedenster Welten und
Zeiten. Einst waren die Mazurkas aus Osteuropa zu
Gast und sind als Masollke im Appenzell geblieben.
Und die traurigen Klänge des Berner Guggisbergerliedes verbinden sich bei uns mit dem Moll der Klezmer-Musik.
Was bleibt? Jetzt eine zweite CD der Stubemusig Rechsteiner. Viele farbige Familienfotos. Tiefe
Erinnerungen an unzählige Hoch-Zeiten. Die Freude
über gelungene Eigenkompositionen. Die Lust am
Zusammenspiel. Tanzende Menschen vor dem inneren Auge. Melodien und Rhythmen, die auch nach
30 Jahren immer wieder neu tönen. Und – dass ich
bei meinen Kindern in den Zeugnissen immer zuerst auf die Musiknoten schaue.
2. Dezember 2006:
Stubemusig Rechsteiners CD-Taufe im Restaurant
Veranda, Bern - Zehn Jahre nach der erfolgreichen CD «vo Bärn» erscheint die zweite Silberscheibe der Rechsteiners beim Narrenschiff-Label
(www.narrenschiff.ch). Znacht ab 18:30 h, Konzert
um 20:00 h.
Reservationen:
Restaurant Veranda-Bern, Telefon 031 305 21 80
Weitere Konzerte:
29.12., Kreuz in Sumiswald, ab 19:30 h, Altjahrestanzete zusammen mit Le vent du moulin und
Luna d’Oro
6.1.2007, Café Hugo in Oberdiessbach, Znacht ab
18:30 h, Musik ab 20:00 h, Dreikönigs-Stubete. Reservationen: Telefon 031 771 03 22
Weitere Infos: www.stubemusig.ch
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musik
ELEKTRO
red bull music academy
(Bild: zVg.)
Von Sarah Elena Schwerzmann - Mit dem Erfinder des Techno auf der Couch
■ Auf nach Melbourne in Australien, hiess es
dieses Jahr für die Red Bull Music Academy und
deren insgesamt dreissig Teilnehmer aus aller
Welt. Mit dabei war auch die Stadtbernerin Judith
Biffiger aka Sassy J.
Derrick May sitzt auf dem kuschelig-beigen
Sofa. Es sieht genau gleich aus, wie jedes Jahr.
Hinter ihm prangt das Logo der Red Bull Music
Academy. Er weiss, warum er hier ist: Die jungen
Menschen, die ihm gegenüber sitzen, wollen
seine Geschichte hören. Die Geschichte eines
ganzen Musikstils. Derrick May ist der Künstler,
der den Techno zu einer Bewegung gemacht hat
– zusammen mit seinen Kollegen Juan Atkins und
Kevin Saunderson. Bestimmt erzählt er von einer
Zeit in Detroit, in der auf dem Arbeitsmarkt wie
auch musikalisch vieles im Umbruch war und alles
in Frage gestellt wurde.
Aufmerksames Publikum Er weiss, dass er
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nicht die Tokio-Hotel-Generation vor sich sitzen
hat. Sondern junge, innovative Künstler, die die
Geschichte der Musik nicht nur kennen, sondern
vor allem verstehen wollen. Rund dreissig
wachsame Augenpaare verfolgen das Geschehen
auf dem Sofa. Sechzig Ohren lauschen gespannt,
wenn Derrick May aus seinem Repertoire Musik
abspielt. Hier ist Techno kein Schimpfwort, das
mit Drogen und minderbemittelten Teenies in
Verbindung gebracht wird. Es ist eine Kultur, eine
Bewegung, die es als Grundbaustein für viele
andere Musikstile, die wir heute kennen, wert ist,
verstanden zu werden. Das macht Derrick May
klar.
Vielseitig engagiert Ihre Augen sprühen vor
Begeisterung, wenn sie von Derrick May spricht.
Die 25 Jahre alte Judith Biffiger aus Bern ist DJ
und organisiert ihre eigenen Events, darunter die
monatlich im Wasserwerk stattfindende Clubserie
Patchwork. Sie ist eine der drei Schweizer
Teilnehmer, die es dieses Jahr an die Red Bull
Music Academy geschafft haben. Bereits vor
einem Jahr hatte sie sich zum Spass beworben,
und hatte kein Glück. Erst beim zweiten Anlauf hat
es geklappt: «Ich war damals einfach noch nicht
bereit dafür. Jetzt war aber genau der richtige
Zeitpunkt», erzählt sie überzeugt und auch ein
wenig erschöpft. Die zwei Wochen in Melbourne
waren anstrengend.
Herausforderung Zusammen mit knapp
dreissig Teilnehmern aus aller Welt hat sie in
einem Appartment-Haus gewohnt, ist jeden Tag
an die Academy gefahren und hat dort nicht nur
Vorlesungen besucht, sondern sich mit anderen
Teilnehmern und Teilnehmerinnen zusammengetan
und musiziert. «Es war unglaublich befreiend und
bereichernd», erzählt die 25-jährige Lehrerin, die
Mitglied des Berner DJ- und Produzentenkollektivs
«A Few Among Others» ist. Die dreissig Teilnehmer
aus insgesamt zwanzig Ländern haben sich auf
Anhieb gut verstanden und bereits am ersten
Tag haben sich Künstler zusammengefunden, um
gemeinsame Projekte zu starten.
Der Austausch zwischen Künstlern aus
verschiedenen Bereichen steht dabei in erster
Linie im Vordergrund. Jeder Teilnehmer hat seine
Spezialität, die er Interessierten beibringt. So
entsteht eine Art Lernwerkstatt: DJs lernen von
Sängern, Produzenten von MCs und umgekehrt.
Auch Judith aka Sassy J. hat sich beteiligt: «Ich
habe sehr viel von anderen gelernt und habe ihnen
im Gegenzug auch mein Wissen weitergegeben.»
Dynamik Genau diese Mischung aus Künstlern,
die schon über viele Fertigkeiten verfügen
und solchen, die noch ganz am Anfang stehen,
scheint es auszumachen: Denn seit 1998, als
die Red Bull Music Academy in Berlin das erste
Mal über die Bühne ging, ist klar, dass man
Künstler mit verschiedenem Kulturhintergrund,
musikalischem Wissen und unterschiedlichen
Musikstilen zusammenbringen will. Zu diesem
Zweck werden Workshops und Kurse zum Thema
Musikproduktion, Musikbusiness, Studioarbeit
und Performance durchgeführt und Gastdozenten
werden eingeladen, um von ihrer Arbeit und ihrer
Geschichte zu erzählen.
Mit den Jahren hat die Red Bull Music Academy
immer mehr an Renommee gewonnen und sich
langsam von Berlin als Austragungsort abgelöst.
Seitdem hat die Academy in Dublin, New York,
London, São Paulo, Kapstadt, Rom und letztes
Jahr in Seattle stattgefunden.
Weitere Informationen
www.redbullmusicacademy.com
www.afewamongothers.com
ensuite - kulturmagazin Nr. 48 | Dezember 06
musik
JAZZ
universum jarrett
Von Nicolas Richard - Und zu Weihnachten Keith Jarrett
■ Das wäre nun der perfekte Augenblick, um mit
ein paar Fakten und einigen Superlativen den USamerikanischen Jazzpianisten Keith Jarrett zu beschreiben. In einer neonlichter-glänzenden Scheinwelt – voller technischem Schnickschnack und sich
überbietenden Schreiereien nach mehr Geltung,
Fakten und Firlefanz sollte man wohl seiner ersten
Intension als Schreiber folgen und es dem Leser
möglichst bequem machen. Oder man setzt sich hin
und erzählt aus der gebrochenen Ecke seiner eigenen, kleinen Seele.
Keith Jarrett gehört zu den erfolgreichsten und
prägendsten Musikern der vergangenen vier Jahrzehnte und hat vor allem durch seine Solokonzerte
die Vorstellung von zeitgenössischer Improvisation
beeinflusst.
Nun – die Magie liegt im Moment. Der Moment
ist flüchtig und nicht fassbar. Gott hat eine Träne
vergossen und durch diese bricht sich die Musik
Jarretts ihren Weg. Plötzliches Mitsummen, Stampfen oder gar Grölen sind seine Marotten. Kritiker,
die Jarrett nicht als «Ganzes» begreifen, urteilen
an dieser Stelle möglicherweise zu schnell, wenn sie
musikalisches Bewusstsein nicht als vielfach aufgefaltetes Dasein verstehen.
Mit geschlossenen Augen dazu sitzen und einen
musikalischen Farbenrausch auszuhalten, ist viel.
Seelentore zu öffnen – sich der Musik nahezu bedingungslos hinzugeben – eine Stimme zu finden
und der auch Ausdruck zu verleihen - das ist es, was
Jarett sucht und was er spielt.
Sein Trio mit Gary Peacock am Kontrabass und
Jack DeJohnette am Schlagzeug ist wiederum eine
ganz eigene, andere Welt für sich. Hier nun eine
ausgewählte Diskographie mit Keith Jarrett am Piano (solo) (http://www.ecmrecords.com):
★ Keith Jarrett «The Carnegie Hall Concert»;
ECM 2006, 2CD-Set jetzt im Handel
Die soeben erschienene CD «The Carnegie Hall
Concert» wird von einigen Kritikern als Klassiker
empfunden (Wie etwa «The Köln Concert», ECM
1975). Es ist eine gelungene Anthologie seines
Schaffens. Klagend, weinend, schreien, stampfend,
gebrochen warm-geborgen dann wieder kalt-loslassend.
★ Keith Jarrett «The Melody At Night, With
You»; ECM 1999
Die für mich bisher ergreifendste und tiefste CD;
11 Standards. Jarrett litt seit Mitte der neunziger
Jahre an Chronischem Erschöpfungssyndrom, einer Infektionskrankheit, die völlige Apathie auslöst.
Erst 1998 konnte er wieder mit dem Klavierspiel beginnen. Diese CD hat das Potential, eine Brücke zu
schlagen zwischen einer abstrakten, teils – für das
ungeübte Ohr – unverständlichen Welt und einer
ensuite - kulturmagazin Nr. 48 | Dezember 06
emotional-intuitiv sofort zugänglichen Ebene. Es ist
für mich die wertvollste CD die ich je gehört habe!
Sie hat mir die Welt zu den Standards geöffnet. Die
perfekte Musik für den Dezember; das perfekte Geschenk für die Welt! Die Stimmung dieser CD wird
einem Gedicht von Mascha Kaléko (Die paar leuchtenden Jahre) – wie ich finde – wundervoll gerecht:
Lied im Schnee:
«Nachts fiel ein Schnee auf die alternde Welt
Und machte sie schimmernd und neu.
Oh, wie freu ich mich an dem Schnee, der fällt
Auf die nagelneue, die glitzernde Welt,
Und der Park blüht so weiss wie im Mai.
Jetzt sollte man eigentlich sieben sein
Mit den tanzenden Flocken im Haar
Und den Kinderaugen wie Schnee so rein
Und so frisch wie das kommende Jahr.
Verschollen das Lied und der Ringelreihn,
Zerstoben die Kinderschaar.
Zerronnen ist der Wintertraum,
Versunken ist der Märchenbaum.
Den Zauberspruch hab ich vergessen.
Rotkäppchen ward vom Wolf gefressen.
Nur ich allein am Fenster steh
Und starre auf den Winterschnee.»
★ Keith Jarrett «Dark Intervals»;
ECM 1988
Dunkel, Mystisch, Hymnisch
★ Keith Jarrett «G.I. Gurdjieff, Sacred Hymns»;
ECM 1980
Die Musik von Keith Jarrett ist, wie er in einem
Fernsehinterview 2005 berichtete, auch geprägt
durch die Philosophie und Lehre Georg Iwanowitsch
Gurdjieffs. Ruhige, kurze, hymnisch-religiöse Stücke.
★ Keith Jarrett, «Sun Bear Concerts»;
ECM, 6CD-Set
Genial, grossangelegte, weit schweifende Improvisationen. Jeweils Stücke zu ca. 25 Minuten. Wunderbare musikalische Reisen. Alles ist enthalten
– alles ist möglich.
★ Keith Jarrett «Spheres»;
ECM 1976
Entstanden an der Riepp-Kirchenorgel in Ottobeuern, Deutschland. Improvisation, in der man
sich, ohne viel hinzutun, verlieren kann.
Konzerte im kommenden Jahr:
http://www.keithjarrett.org / (An unofficial Web site
about jazz pianist Keith Jarrett)
INSOMNIA
IN PARTIBUS INFIDELIUM
Von Eva Pfirter
■ Es gibt da diese Vorlesungen im Geschichtsstudium, die man besucht, weil man obligatorisch
etwas aus diesem Studiengebiet (in diesem Fall:
Mittelalter) besuchen muss. Und weil diese leise,
elternhafte Stimme in einem sagt: Kind, darüber
weisst Du noch viel zu wenig! Diese Mischung ist
es dann, die mich jeden Dienstag dazu bringt,
etwas über das Europa des 12. Jahrhunderts
zu lernen, über die Kreuzzüge, die heidnischen
Westslawen und Bernard von Clairvaux, den mittelalterlichen Abt. Ich muss zugeben: Unser Dozent bringt dieses unchristliche Kapitel Geschichte sehr gut rüber. Nur wenn er dann mehr als
zwei Zeilen Lateinisches zitiert, muss ich aufpassen, nicht wegzuträumen oder mir unter den gebetsartig klingenden Worten irgendetwas
Lustiges vorzustellen. So geschehen letzte Woche. Ursina, meine Banknachbarin, war schon
fast eingenickt, weil wir bei den lateinischen Zitaten angekommen waren (viele werdende Historikerinnen an der Uni Bern sind der toten Sprache nicht mehr mächtig, da man in Bern auch
als Latein-Unkundige zum Geschichtsstudium
zugelassen wird). Ich selbst war auch in Gedanken, als Ursina mich mitten im Zitat am Ärmel
zupfte und mit grossen Augen fragte: «PARTYBUS?». Da wiederholte der Dozent: «In partibus
infidelium». Dazu zeigte er auf eine Landkarte,
die das Gebiet des heutigen Deutschland zeigte. Lauter fremd klingende Namen hüpften uns
entgegen: Kessiner, Redarier (fast wie Rotarier)
und Zirzipanen. Und wir als Unkundige des Mittelalters und Spezialistinnen des neusten Teils
der Neuesten Geschichte stellten uns vor, wie
vor über 800 Jahren die Ukranen und die Kessiner in einem Partybus zum Tollensee fuhren
(der hiess wirklich so!) und wie unterwegs die
Wagrier zustiegen, und die Ukranen östlich von
der Havel (aber noch westlich der westlichsten
Westslawen) kuhlen Sound mitbrachten. Ja, natürlich: Es gab damals noch keine Busse. Aber es
wäre doch trotzdem gut vorstellbar, oder? Und
wisst Ihr was? Ich bin froh, überhaupt irgendein
Bild vom Mittelalter mitnehmen zu können. Diese
Zeit scheint mir manchmal ferner als die Antike.
Dafür scheint mir eine andere Zeit wieder näher.
Jene, als ich zur Primarschule ging und mein damaliger Lehrer im Schulbericht vermerkte: «Hat
zu viel Phantasie.»
www.ensuite.ch
19
musik
haben einige Songs Bestand, einige sind schon fast
provokativ elegant – einfach zu neutral und clean.
Und dies wird der Charlotte Gainsbourg, mit ihrer
wunderbar säuselnden Stimme, nicht ganz gerecht.
Aber was nicht ist, kann ja noch werden. (vl)
ORCHESTRIERTE
INTIMITÄT
Von Sara Trauffer
■ Schwanengesang nennt man zuweilen das
letzte vollendete Werk eines Komponisten. Denn
Schwäne würden vor dem Sterben singen, sagt ein
antiker Mythos. Dmitri Schostakowitschs Schwanengesang war die Sonate für Viola und Klavier.
Er schrieb sie vier Wochen vor seinem Tod durch
Lungenkrebs am 9. August 1975 für den Bratschisten Fjodor Druzhinin. Ein dreisätziges Werk, das
eine persönliche, unspektakuläre, aber intensive
Seite des Komponisten offenbart. Nun ist in seinem zu Ende gehenden 100. Geburtsjahr bei der
«Deutschen Grammophon» eine Aufnahme erschienen, die diesen intimeren Schostakowitsch
mit dem markanten Sinfoniker kombiniert, als der
er in der Regel primär wahrgenommen wird. Die
Kremerata Baltica hat zusammen mit Yuri Bashmet und Gidon Kremer die Viola- und Violinsonate
in Bearbeitungen für Soloinstrument und Streichorchester eingespielt und das Arrangement der
Violinsonate zudem mit Perkussion ergänzt.
Ein kühnes Unterfangen vielleicht. Doch die
Sache stimmt in sich. Schostakowitsch Sonaten
entpuppen sich als eigentlich konzertante Werke und gewinnen in den Orchesterbearbeitungen nicht nur ein neues Klangfarbenspektrum,
sondern entfalten auch eine ungeheure Wirkung
durch die verstärkten Dimensionen von Einsamkeit und Kraft. Wie sich das Soloinstrument zerbrechlich über den flächigen Orchesterklang legt,
sich dann herausschält und gleichsam nackt seinen Weg weitersucht, um kurz darauf mit wuchtiger Stärke wieder zum Ensemble zurückzufinden,
wie alles zum Stillstand zu kommen droht und
dann wiederum in einem scheinbar martialischen
Rhythmusräderwerk schier zum Irrsinn getrieben
wird, das zieht einen beim Zuhören unwiderruflich in Bann. Dass es sich hier ausserdem um eine
Live-Aufnahme handelt, verleiht dem Ganzen zusätzliche knisternde Intensität. Musik, dunkel und
schwer zuweilen, furchterregend auch und dann
doch wieder versöhnlich, immer tief berührend.
Wintermusik.
Dmitri Schostakowitsch: Violin- und Bratschensonate, arrangiert für Soloinstrument und Streichorchester. Gidon Kremer, Yuri Bashmet, Kremerata
Baltica. Deutsche Grammophon 00289 477 6196
(2006)
20
Markus Traber «Schwarzi Löcher»
■ Berndeutsches Musikerurgestein, mit sechzig
Jahren noch immer aktiv und recht frisch, Mitglied
der ewigen Berner Troubadouren, die seit 1965 unterwegs sind. Wahnsinn. Jetzt erscheint sein drittes
Soloprojekt aus einem Sammelsurium von Liedern,
die er in den letzten Jahren geschrieben hat. Alles
ist einfach: Die Aufnahme und das Cover… handgestrickt, aber passend. Beim Anhören erinnere ich
mich selber, wie ich als Kind mit dieser Musik in Kontakt kam und versinke im Novembernebel. Traber
ist nicht lustig, er ist ein Liedermacher und diese
haben auch die dunkle Eigenschaft, über Dinge zu
singen, die man nicht hören will. So saugen uns die
Texte in die nächste Beiz und irgendwie denkt man
dabei an ans Berner Matte-Quartier. Eine wunderbare CD für den Winter, für die dunklen Stunden im
Schnee. (vl)
www.traber-traber.ch
Charlotte Gainsbourg «5:55»
(Warner Music Switzerland)
■ Was kommt zustande, wenn die grösste Sexskandalerbin Gainsbourgs mit Nicolas Godin und JeanBenôit Dunckel (Air), Jarvis Neil Hannon (The Divine Comedy), Cocker (Pulp), Tony Allen (Fela Kuti)
und Nigel Godrich (Radiohead, Beck und anderen)
zusammen ein Album produzieren? Nur 5:55. Es ist
5 Minuten zu früh - das Album kann den Erwartungen nicht standhalten. Oder zumindest nicht ganz.
Denn als Backgroundmusik an einem verregneten
Sonntag mit Lektüre und warmen Socken macht es
durchaus Stimmung. Schliesslich waren da Profis
am Werk, die was vom Handwerk verstehen und das
meine ich durchaus positiv. Aber dem Ganzen fehlt
es am Sexappeal, welcher Charlotte Gainsbourg in
die Wiege gelegt wurde. Es fehlt am Knistern und
an der Erotik – es fehlt an Reife und dass sie zum
Teil Englisch singt, macht es überhaupt nicht besser. Irgendwie schläft man vor dem Höhepunkt ein.
Zwar mit einem Lächeln, aber nur, weil man von
etwas Schönerem zu träumen beginnt. Trotzdem
Scissor Sisters «Ta – Dah»
(Universal Music)
■ Oh, das ist Musik, die auch der älteren Generation in die Beine fahren kann – oder wenigstens
Nach-Hippie-Wehen auslöst. Die ABBA kommt vom
Plattenteller und unsere Nachbaren werden wir
mit neuen nächtlichen Tanzeskapaden beglücken!
Sie müssen ja nicht grad schwul werden – obwohl
die Musik danach klingt. Aber dies ist ja eben das
Lustige oder zumindest eine stilistische Orientierung… Irgendwie scheint wegen dieser Band die
halbe Musikwelt Kopf zu stehen – so jedenfalls wird
es in den Medienberichten suggeriert. Nun, sicher
ist, dass wir spätestens nach dem zweiten Song
überlegen, wo wir das silberne Hemd versteckt haben und ob es uns wohl noch stehen könnte. Nach
Track 5 wird der Büronachbar sich langsam verbarrikadieren oder fluchtartig einen wichtigen Termin
haben. Auch sicher ist, dass die schöne Sekretärin
nach Track 8 fragen wird, ob Sie am Abend schon
was los haben. Aber da tanzen Sie bereits auf dem
Bürotisch und der Chef winkt mit der Gehaltserhöhung. Hier gibt’s kein Kerzenlicht, sondern ein richtiges «Ta-Dah» auf der Tanzfläche! Seien Sie mit guten Tanzkünsten ausgestattet oder hören Sie die CD
erst an einem geschützten Ort. Das ist freaky! (vl)
Jüre Walter «Ka’ena»
■ Auch diese Berner Kleinstproduktion hat durch
Zufall den Weg in diese Tipps geschafft. Jüre Walter, bekannt als Zigeunermusiker mit Akkordeon,
hat hier alles selbst produziert, mit vielen akustischen Instrumenten, Schlagzeugmaschinen und
Computer in Heimwerker-Ambiente. Wer aber jetzt
ein paranoides Gebastel erwartet, wird schnell
überrascht feststellen, dass hier mehr Musikalität
freigesetzt wird als auf anderen Produktionen.
Jüre Walter lässt sich unaufhaltsam von seiner
musikalischen Ader (und davon scheint er doppelt
beseelt zu sein!) und den Einfällen treiben – verblüffende Geschichten entstehen daraus. Ein zuweilen an Weltmusik orientierte, aber offene Musikdose. Reinhören! (vl)
mail: [email protected]
ensuite - kulturmagazin Nr. 48 | Dezember 06
musik
ECM listening post
Von Lukas Vogelsang
POPMUSIK
antifolk revisited
Von Benedikt Sartorius
(Bild: zVg.)
■ Der programmierte Rhythmus pirscht vorwärts,
Triangel erklingen im weiten Raum, helle akustische Gitarrenzupfer setzen ein. Der musikalische
Boden für den gelangweilten, leicht japsenden
Sprechgesang von Jeffrey Lewis ist geebnet.
Lewis zählt in «Anxiety Attack» nüchtern seine
Sorgen auf, die sich zu existentialistischen Angstattacken auftürmen und ihn des Nachts heimsuchen: «Was geschieht, wenn ich durchdrehe? Was,
wenn ich pleite gehe? Was, wenn ich mein bisheriges Leben verschwendet habe? Und ja, ich hänge
nicht zuviel herum, schaue nicht zuviel fern, doch
warum fühlt es sich so an, als träfe ich immer die
falschen Entscheidungen?» Antifolk als schrummelndes Dilettanten-Genre, das aus Sicht der Musiker nie existierte, wird beim Hören dieses wunderbaren Liedes definitiv hinfällig. Antifolk meint
hier, um mit den Worten von Jeffreys Bruder Jack
zu sprechen, «doing what you can.»
Musikalische Tagebücher Jeffrey Lewis ist
vielleicht der kreativste Künstler, den die New
Yorker Antifolk-Szene hervorgebracht hat. Der
geschichtsbewusste Sänger und Comiczeichner
schöpft aus den Quellen der New Yorker 60erJahre-Bohème und knüpft an anarchische Folkbands wie «The Fugs» an. In Konzerten erinnert
Jeffrey Lewis mit grossformatigen Comics an die
«Subterranean Homesick Blues»-Zettel-Pose des
jungen Bob Dylan, spult lakonisch leiernd die komplette Geschichte des Kommunismus ab und spürt
als nachgeborener Chronist in seiner subjektiven
«History Of Punk On The Lower East Side» vergessene und unbekannte New Yorker Perlen auf.
Konsequent in Ich-Person und ohne doppelte
Pathos-Böden erzählt der 31-jährige Lewis in seinen Liedern tagebuchartig aus seinem uncoolen,
monotonen, tagträumerischen Leben in New York
City, lustig und traurig, überraschend und berühensuite - kulturmagazin Nr. 48 | Dezember 06
rend. Verrauschte Heimaufnahmen machten den
Anfang, die offenherzig von sozialen und ökonomischen Zwangslagen erzählen. Lewis singt Lieder
über sein Misstrauen gegenüber der Plattenfirma,
LSD-Horrortrips, über Pech in der Liebe, Entfremdung von der Gesellschaft, singende Bäume, das
Dasein als 128-jähriger Greis, kurz: Persönliche
Lieder über das Leben, das Universum und den
ganzen Rest.
Nach zwei rohen, unmittelbaren Alben erschien
letztes Jahr «City & Eastern Songs» (Rough Trade/
Phonag). Zusammen mit Bruder Jack suchte Jeffrey erstmals ein Studio auf und spielte zwölf neue
Lieder ein, die neue Wege der Instrumentierung
ausloten. Das Album verlässt die naiv anmutenden
Do-It-Yourself-Pfade der Vorgänger, was zuweilen
die Eigenarten von Lewis’ Musik abschleifen lässt,
die Nische des Antistars aber nie auflöst. «City &
Eastern Songs» ist einmal mehr ein Album, das
zwischen Hippie und Punk, Science-Fiction und
drögem Alltag, Nihilismus und Zuversicht hin und
her schwingt.
Weitere Infos: www.thejeffreylewissite.com
Als Lektüre zum Thema «Antifolk» sei das gleichnamige Buch von Martin Büsser empfohlen, welches im Ventil Verlag erschienen ist. (Siehe auch
ensuite - kulturmagazin vom November 2005.)
Jeffrey Lewis und seine Band treten am 10. Dezember im Rahmen des FR Katz Festivals im Bad Bonn
Düdingen als Support der überaus empfehlenswerten Grossformation Danielson auf. Das Clubfestival
lotet heuer vom 7. - 10. Dezember die popmusikalischen Grenzen aus. Es treten unter anderem die
Japaner Mono, der holländische Elektropopper
About sowie das brachiale Trio Zu mit Gast auf.
Das komplette Programm: www.badbonn.ch
■ Elegie der Entwurzelung, so der Titel dieses
Doppelalbums von Eleni Karaindrou. Sie ist wohl
die bedeutendste zeitgenössische Komponistin
Griechenlands und wer ihre Kompositionen je gehört hat, ist angetan von dieser direkten Schönheit und der wahren Melancholie. Im März 2005
wurden diese Aufnahmen im Athener «Megaron»
live aufgenommen und zusammengestellt. Rund
6000 ZuhörerInnen waren an diesen Konzertabenden anwesend und tief beeindruckt. Rund 110
MusikerInnen, einschliesslich Chor und Orchester,
waren an den drei Abenden mit der Umsetzung
dieser Werke beschäftigt. Sie widerspiegeln Eleni
Karaindrous grandiose kompositorische Arbeit
seit 1971, die eine starke Verbindung zum Schaffen von Theo Angelopoulos, Lefteris Xanthopoulos, Christoforos Christofis, Tonia Marketaki und
Jules Dassin trägt. Elenie Karaindrou spielt sogar
selber die Klavierparts.
Trotz dieser gigantischen Zusammensetzung
haben die Aufnahmen eine Brillanz, die fast unbeschreiblich wirkt. Eine Oboe klingt fast realer
als im Original. Die Aufnahmequalität kommt der
Musik und der Komponistin mit tiefem Respekt
und erhabenem Können entgegen. Es erscheint,
als wären wir mit dabei. Wundervoll wurde die
Dynamik geführt und da stört auch das Lüftungsgebläse nicht, welches in ganz sanften Passagen
gut zu hören ist.
Vielleicht liegt es an der geografischen Lage
von Griechenland, dem Übergang vom Okzident
zum Orient, der diesen Klang so tief beeinflusst
hat oder es ist schlicht die Wahrnehmung, Sensibilität und Kraft von Eleni Karaindrou, die so
Bewegendes kreieren kann. Griechenland war
immer zwischen starken Kulturen eingeklemmt
und wurde wieder und wieder gezwungen, sich
anzupassen und zu vermitteln. Das «Tragische»
gehört zu der Tradition und Identität dieses Volkes. Eleni Karaindrou hat dieser Geschichte eine
würdige und wahrhaftig schöne Gestalt gegeben.
Eleni Karaindrou - Elegy of the Uprooting
ECM New Series1952/53
www.ecmrecords.com
21
cinéma / musik
MUSIK UND BUCH
vito
Von Lukas Vogelsang
■ Der Berner Adi Amstutz, ein ehemaliges Lunik-Mitglied und Grafikdozent in Bern und Zürich,
lässt von sich hören und sehen: Vito– eine «Weltpremiere», denn es ist ein Konzept-Comic-MusikAlbum. So was haben wir noch nie gesehen.
Wer ist Vito? Das werden wir hier nicht erzählen, denn darum geht’s ja im Comic und den Songs.
Nur soviel: Es ist ziemlich passend zu den Entwicklungen und jüngsten Geschehnisse der Jugendreportagen und hat sehr viel mit Charakteren zu tun,
Kindheit, Pubertät und dem Leben überhaupt. Der
Comic ist eine Art Illustration zur Musik oder umgekehrt. Das Tolle an diesem «Ding» ist, dass weder das Buch noch die Musik zuviel Platz einnehmen. Beide Teile können selbständig betrachtet
oder gehört werden. Aber nur zusammen geben
sie den richtigen Sinn. Obwohl die Musik – und das
muss man hoch herausstreichen – einfach umwerfend ist. Wer zu faul zum Blättern ist, der steckt die
CD einfach in den nächsten Compi und hat musikclipartiges Fernsehvergnügen.
Musikalisch Bern hat schon lange nichts Besseres und Weltlicheres gehört. Einerseits kann ein
Vergleich zu den «The Residents» – einer multimedialen Künstlergruppe aus San Francisco gemacht
werden, die für ihre skurrilen Werke bekannt sind
oder aber zu «Belle & Sebastian», ein schottisches
«Duo». Andererseits – und das erstaunte mich selber – kam mir «The Wall» von «Pink Floyd» in den
Sinn – obwohl sich die Musik Welten davon entfernt
bewegt. Aber die Stimmung und Assoziationen
dieses Berner Alternativ-Pops haben dieses Bild
hervorgebracht. Adi Amstutz hat das Konzept, die
Story, Zeichnungen, die Kompositionen und Texte
und vor allem das Drehbuch geliefert. Zusammen
mit Hubert Neidhart und Jared Muralt entstand
der Comic. Die Band setzt sich zusammen aus:
22
Christian Dietz (Vocals, Guitars), Simone Niederer
(Vocals), Daniel Aebi (Drums), Nicole Roten (Bass),
Bernhard Häberlin (Guitars), Steve Schneider
(Keyboards). Das sind nicht unbekannte Namen,
allen voran überzeugen vor allem Christian Dietz
und Simone Niederer. Beide haben wunderbare
Charakterstimmen. Unbedingt reinhören oder am
7. Dezember im PROGR an die «Hörbuch-Vernissage» gehen!
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Vernissage in der Turnhalle, PROGR Bern
Donnerstag, 7. Dezember / 19:00 h
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ensuite - kulturmagazin Nr. 48 | Dezember 06
cinéma
KINO
erotische new yorker eskapaden
Von Sarah Stähli - «Shortbus» von John Cameron Mitchell (Bild: zVg.)
■ In den ersten Einstellungen gleitet die Kamera
verführerisch über das Gesicht einer Freiheitsstatue aus Pappmaché und schwebt agil über die
Kartonstadt New York. Dann schaut sie neugierig
in einzelne erleuchtete Fenster hinein und was sie
zu sehen bekommt, ist sehr intim. Die Figuren des
Filmes werden noch bevor sie eingeführt werden
beim Sex gezeigt. Ob schlecht gelaunte Domina,
obsessiver Voyeur oder einsam verrenkt in oraler
Selbstbefriedigungspose: Diese ersten Sequenzen
definieren die Charaktere der Figuren stärker als
manche konventionelle Figuren-Etablierung. Wie
tief die Leidenschaft tatsächlich ist und wie gross
die Einsamkeit, wird erst im Verlauf des Filmes klar.
Denn dass ein Orgasmus auch vorgetäuscht werden
kann, weiss Sofia nur zu gut. Sie ist Sexualtherapeutin – sie selber benutzt lieber den Begriff Paartherapeutin – und hat noch nie einen Orgasmus erlebt,
ist, in ihrem Fachjargon konstant «prä-orgasmisch».
Eine Odyssee durch den New Yorker Underground
auf der Suche nach dem ultimativen Glücksgefühl
beginnt. Dem homosexuellen Paar Jamie und James ist die Liebe abhanden gekommen, sie sind
Klienten von Sofia und öffnen ihr die Türen zum Underground Klub «Shortbus» und mit ihr bekommen
auch wir einen kurzen Einblick in eine paradiesische
Welt. Ein Shortbus ist das kürzere Pendant zum in
Amerika traditionellen langen gelben Schulbus, in
dem die «normalen» Schüler gefahren werden, der
Shortbus ist reserviert für behinderte oder psychisch angeschlagene Kinder. Ähnliche Aussenseiter-Figuren finden sich auch im Klub «Shortbus»
ein. Justin Bond, eine flamboyante Dragqueen und
Gastgeber des schillernden, weltentrückten Salons,
in dem fast alles erlaubt ist, beschreibt seine Gäsensuite - kulturmagazin Nr. 48 | Dezember 06
te liebevoll als «talentierte und beschränkte Menschen». Eine maskuline Hostess verteilt gleich am
Eingang «Pot-corn», Kondome und Gleitmittel, es
gibt einen «Sex-Not-Bombs-Room» und ein Transvestit erzählt allen, die es nicht wissen wollen, von
seiner Performance mit dem sprechenden Namen
«Ode an die weibliche Sekretion». Bond beschreibt
die Stimmung in seinem freizügigen Klub, in dem
eine einzige lange Dauerorgie stattfindet «wie die
sechziger Jahre, nur mit weniger Hoffnung.» Er
sieht den Grund dafür, dass so viele junge Leute
nach New York ziehen darin, dass «9/11 das einzig
reale sei, das ihnen je widerfahren ist.»
Die Sequenzen zwischen der Domina Severin
und Sofia in einem zum Entspannen gedachten
«Schwebe-Tank» gehören zu den schönsten Momenten des Filmes. Im grünen Licht des Wassers
tauschen sie angeregt ihre Ängste und Hoffnungen
aus. Während Severin eine Bezugsperson sucht, die
Freundin, die sie nie hatte - «Dies ist das beste Gespräch, das ich dieses Jahr geführt habe!», sagt sie
einmal –, sammelt Sofia krampfhaft Ratschläge, wie
sie am besten zum Orgasmus kommen kann.
John Cameron Mitchell – sein Erstling «Hedwig
and the Angry Inch» war ein wildes «Glam-Rock-Musical» über die Selbstfindung eines Transsexuellen
– hat seinen zweiten feinfühlig inszenierten Langspielfilm in Zusammenarbeit mit den grösstenteils
unbekannten Schauspielern entwickelt und in der
glaubhaften Figurenzeichnung liegt auch eine der
Stärken des Filmes. Trotz den sehr expliziten Sexszenen stellt der Regisseur seine Figuren nie bloss
oder gibt dem Zuschauer das Gefühl von Voyeurismus. «Sex ist wie eine DNA, er verbindet alle Aspekte des Lebens», meint Mitchell. Er ist vielmehr an
den Ängsten und seelischen Abgründen seiner Figuren interessiert, die sich in ihrer sexuellen Identität und Identitätssuche manifestieren. Diese Suche
ist verbunden mit Missverständnissen und Trauer,
mit Gefühlen, die gerade von den Menschen, die
den Figuren am nächsten stehen, nicht verstanden
werden.
In Internetforen wird seit der Lancierung des
gewagten Filmes eifrig darüber diskutiert, ob Mitchells Film nur Pornografie oder bereits Kunst sei;
immerhin ist jede Ejakulation, die wir zu sehen bekommen, echt. Da «Shortbus» im Grunde als Komödie inszeniert ist, entzieht sich der Film gekonnt
beiden Kategorien, er ist weder narzisstischer pseudo-künstlerischer Erguss, noch zeigt er Sex nur um
zu erregen oder provozieren. Humor taucht immer
wieder unerwartet auf – in eigenartiger Situationskomik und abwegigen Dialogen – und durchbricht
den Ernst der nicht immer einfachen Themen.
Der Soundtrack wurde von der Ur-Indie Band
«Yo la Tengo» komponiert, ergänzt durch die Musik
von Bands wie «The Hidden Cameras» und «Animal
Collective», entwickelt der episodenhafte Film einen einnehmenden Sog.
Das versöhnliche überschäumende, schlicht kitschige Finale samt aufgetakelter, singender Dragqueen und jubilierender Blaskappelle, ist ein einziger Aufruf zur Toleranz und ein Fest auf die Liebe
und Verschiedenheit von uns Menschen: Im New
Yorker Klub und in Mitchells herzlich-utopischem
Film finden sie alle ihren Platz, ungeachtet ihrer
sexueller Vorlieben. «Shortbus» ist eine befreiende
und intensive Tour de Force mit Tiefgang.
«Shortbus» läuft im Cinema Star.
23
cinéma
KINO
«does it look like i give a damn?»
Von Sonja Wenger - Casino Royale (Bild: zVg.)
■ Von all den Geschichten voller Skeptizismus,
die im Vorfeld des neuesten Bond-Filmes geschrieben wurden, ist wohl mit Abstand jene die beste,
dass sich Daniel Craigs Mutter - am Tag vor der offiziellen Bekanntgabe des Nachfolgers von Pierce
Brosnan – gegenüber der Presse verplappert hatte.
Mit ihrer Vorfreude hatte sie die grosse Pressekonferenz torpediert, bei der Craig im Polizeiboot und
mit Sicherheitsweste auf der Themse der Welt als
neuer 007 präsentiert wurde. Die Neuigkeit war
durch, und kaum jemand sparte in den folgenden
Monaten mit Häme über die blonden Haare und
Spekulationen über ein mögliches Scheitern des
Schauspielers.
Doch Mama Craig hatte dem monatelangen
Hype um den weltbesten Spion auch ein neues,
menschliches Gesicht verliehen. Und damit vorweggenommen, was die Qualität von «Casino
Royale» ausmacht. Alles ist nämlich anders. Die
Macher hatten tatsächlich den Mut, mit einer 44jährigen Tradition von immer mehr und grösser zu
brechen. Zurück zu den Wurzeln war statt dessen
die Devise, zu den Geschichten von Ian Fleming, die
kaum jemand gelesen hatte und die bisher noch
selten wirklich die Grundlage der Filme gewesen
waren.
Nix ist mehr mit technischen Spielereien, unsichtbaren Autos und den immer gleichen Abläufen
mit Satelliten und trudelnden Flugzeugen. Nix mit
dem grossen Kawumm im Vorspann, Auftrag fassen, grössenwahnsinnige Megalomanen beseitigen, Welt retten und die nette der beiden schönen
Frauen flachlegen. Nix ist mehr mit Q und Weltraum
und abstrusen MI6-Quartieren, vorbei die Zeiten
der klaren Trennlinien zwischen «wir die Guten
und dort die Bösen». Craigs neuer Bond ist ein
roher Killer, ein Gegen-Terrorist und bestimmt nie24
mand, dem man unbedingt begegnen möchte. Sein
Sinn für Mode beschränkt sich auf das Notwendige
und seine Antwort auf die Frage eines Barkeepers
«geschüttelt oder gerührt?» wird neue Filmgeschichte schreiben.
In «Casino Royale» gibt es weniger exotische
Orte als gewohnt, dafür die schmutzigen Niederungen von Korruption und Kriegsgewinnlern.
Natürlich kommt der Film nicht gänzlich ohne superschnelle Computer und das ganz grosse Geld
aus – immerhin spielt ein nicht unwesentlicher Teil
des Films am Pokertisch. Natürlich geht es auch
diesmal um das Wohl der westlich zivilisierten
Welt, die nur dank einiger packenden Stunts nicht
im Sumpf des Terrorismus versinkt. Natürlich gibt
es mit Mads Mikkelsen als Le Chiffre einen grandios durchtriebenen Gegenspieler. Und natürlich
gibt es einige sprühende, witzige und intelligente
Dialoge zwischen Bond und seiner Herzdame
Vesper Lynd (Eva Green). Doch bei all dem geht
es ihm selber auch ganz gehörig ans Leder. Eine
Folterszene zeigt Bond nackt an einen Stuhl gefesselt und eröffnet ein gänzlich neues Spektrum von
Sadomasochismus, das bisher, wenn überhaupt,
nur stilisiert und mit Rettung in letzter Sekunde
gezeigt wurde.
Doch bei «Casino Royale» geht es das erste Mal
auch um den echten, wahren Bond. Einen Bond,
der ganz gut ohne das James auskommt und den
man so gar nicht sympathisch finden mag, denn
er traut keinem ausser sich selbst und seinem Instinkt. Es ist ein Bond der nicht zum Hauptquartier
rennt und sich ausrüsten lässt, sondern lieber bei
M einbricht und ihren Vornamen kennt! Bei solchen Wendungen ist es dann auch nebensächlich,
dass sich die Geschichte keinen Deut um logische
Anschlüsse und frühere Begebenheiten kümmert.
Zwar haben die Macher wie bei Pierce Brosnans Debüt in «Goldeneye» wiederum den Regisseur Martin Campbell verpflichtet, doch von der
gewohnten Besetzung der letzten Jahre ist nur
die einzigartige Judi Dench als Bonds Chefin M
übriggeblieben. Dafür tummeln sich in den Nebenrollen solch illustre Namen wie Giancarlo Giannini
und Jeffrey Wright, der zuletzt in «Syriana» allen
die Show gestohlen hatte. Doch den Machern gebührt vor allem das Verdienst, einen mutigen und
differenzierten Schauspieler gewählt zu haben.
Und dass Craig spielen kann, weiss man nicht erst
seit seiner Darstellung des drogenabhängigen
Liebhabers von Francis Bacon im Film «Love is the
Devil» von 1998. Sein uneitles, ungeschliffenes
Äussere machte ihn jahrelang zur idealen Besetzung des fiesen Nebenrollen-Bösewichts in Filmen
wie «Road to Perdition», «Tomb Raider» und «Elisabeth», zumindest bis Regisseur Matthew Vaughn
– Produzent der Filme von Guy Ritchie - Craig endlich die Hauptrolle in «Layer Cake», dem Geheimtipp von 2004, anbot.
Die britische Tageszeitung «The Guardian»
nannte Craig eine «inspirierte Besetzung», der
eine «leichtfüssige Leinwandpräsenz ausstrahlt
und diese mit der Ausstrahlung von tödlicher Gefahr» zu verbinden vermag. Daniel Craigs Bond ist
dann auch ein Mensch und kein Superheld, er hat
Gefühle, er macht Fehler, er hat ein Gesicht und
nicht eine Fassade. Und niemand könnte weiter
von jenen blasierten britischen Weltrettern entfernt sein, die viel zu teure Autos fahren, tadellos
sitzende Anzüge tragen und sich Agenten nennen.
Dieser Bond quatscht nicht, er handelt. Die Welt
hat einen neuen Helden.
Der Film ist seit dem 23.11. in den Kinos und dauert 150 Minuten.
ensuite - kulturmagazin Nr. 48 | Dezember 06
cinéma
TRATSCHUNDLABER
Von Sonja Wenger
KINO
je vous trouve très beau
Von Sonja Wenger (Bild: zVg.)
■ Der französische Bauer Aymé (Michel Blanc)
ist ein grantiger Eigenbrötler und ein richtiges Arbeitstier, denn auf einem Bauernhof gibt es ja immer viel zu tun. Er und seine Frau haben sich nicht
viel zu sagen, ausser vielleicht sich gegenseitig
vorzuwerfen, was alles noch nicht erledigt worden
ist. Die Küche ist lieblos und schmutzig, das Essen
kalt, fünf Rappen Differenz aus dem Hofverkauf
eine Katastrophe und das Leben sowieso ohne
Herz und Romantik. Das zumindest muss man annehmen, denn Aymés Frau stirbt gleich in den ersten fünf Minuten des Films wegen einer defekten
Stromleitung. Und es zeugt von der Qualität und
dem bodenständigen, manchmal fast schwarzen
Humor der Geschichte, dass man dabei über sich
selbst erschreckt, weil man auflachen muss statt
in andächtiger Trauer zu verharren.
Wie soll man aber auch anders, wenn einem der
Tod von Aymés Frau erst bewusst wird, als er von
der Dame, die ihm das Testament eröffnet auch
gleich die Adresse eines Ehevermittlungsinstituts
überreicht bekommt. Denn Aymé fehlt nicht seine
Frau, sondern eine Arbeiterin auf dem Hof. In seinem kleinen Dorf jemanden zu finden, ist gar nicht
so leicht, schliesslich kennen sich hier alle schon
viel zu gut. Nach zehn Tagen, was für ihn eine
angemessene Trauerzeit darstellt, meldet er sich
deshalb beim Institut, kann aber zuerst nicht viel
mit den Vorschlägen der Chefin anfangen. Als diese ihn trotzdem überreden kann, eine Reise nach
Rumänien zu unternehmen, und die heiratswilligen
Frauen persönlich zu begutachten, fangen Aymés
Probleme erst an. Er entwickelt eine überraschende Kreativität in seinen Ausreden, wohin und weshalb er denn so dringend ins Ausland muss, und
man merkt das erste Mal, dass man diesen Mann
nicht in die Schublade des dumpfen Bauern stecken sollte.
ensuite - kulturmagazin Nr. 48 | Dezember 06
Aber auch in Rumänien sitzt Aymé ernüchtert
auf dem Hotelsofa. Eine langbeinige, stark geschminkte junge Dame nach der anderen erzählt
von ihren Tanz- und Filmträumen in Frankreich
und sagt ihm unverfroren den einzigen französischen Satz, denn sie gelernt hat, eben «je vous
trouve très beau». Zumindest bis ihm Elena gegenübersitzt, die sich in weiser Voraussicht einen
Pulli übergezogen hat und von Wiesen und Kaninchen schwärmt. Sichtlich erleichtert, beschliesst
Aymé, sie kennenzulernen und nimmt sie mit nach
Frankreich. Seine Ausrede für den Neuzugang auf
seinem Hof ist ähnlich kreativ wie der Rest der
Lügen. Elena sei eine entfernte Verwandte und
wolle ein Praktikum machen. Mit hochgezogenen
Augenbrauen schluckt das Dorf diese Geschichte
und bald zeigt sich, das Elenas Präsenz Aymés Leben gehörig umkrempeln wird. Denn auch Elena
ist nicht so simpel gestrickt, wie es die gängigen
Klischees erwarten lassen würden. In den folgenden Monaten entwickelt sich zwischen den beiden
eine unerwartete Freundschaft, Zuneigung und
vor allem ein gegenseitiger Respekt, obwohl Aymé
lange Mühe hat, sich einzugestehen, dass er noch
so etwas wie ein Herz besitzt. Die Eskalation ist
unausweichlich, und die Auflösung ein wahrer Aufsteller.
Mit einem unwahrscheinlich zärtlichen Blick
für die kleinen Teufel, die in den Details des Alltags stecken, hat Regisseurin und Autorin Isabelle
Mergault «Je vous trouve très beau» geschaffen.
Der Film ist von der ersten bis zur letzten Minute
ein Liebeslied an das Leben und es ist eine Freude
zu sehen, mit welch einfachen Mitteln, Geschichten
und Bildern es intelligent und voller Wärme erzählt
werden kann.
Der Film dauert 97 Minuten und kommt am 21.
Dezember in die Kinos.
■ In der guten ollen USA gibt es ein Gesetz
namens Double Jeopardy, das es ausnahmslos verbietet, einen Menschen zweimal wegen
demselben Verbrechen vor Gericht zu stellen.
Ist man erst einmal freigesprochen, kann man
also vor aller Welt zugeben, es getan zu haben.
Das zumindest muss O. J. Simpson im Hinterkopf
gehabt haben, als er vor kurzem ein Buch veröffentlichen wollte mit dem Titel «Wenn ich es
getan hätte». In einem Fernsehinterview habe er
zudem vor laufender Kamera spekuliert, wie er
seine Ex-Frau und ihren Freund umgebracht hätte, wenn er es denn gewesen wäre. Etwas gar viel
Konjunktiv, wie es scheint, aber erst nach massiven Protesten von anderen Medien wurde das
Interview und Buch zurückgezogen.
Eigentlich schade, sollte man meinen, denn
was ist befriedigender, als wenn sich die echten
und die Möchtegernpromis durch ihr Tun und
Handeln selbst entlarven? Doch es wird immer
offensichtlicher, dass wir in einer Welt leben,
die sich so sehr am Alltag frustriert, dass wir
unbesehen sämtliche Geschmacklosigkeiten
hinnehmen und nur noch mit glänzenden Augen
einer Plastikwelt frönen. Nur so lässt sich auch
begreifen, weshalb sich die internationalen und
nationalen Medien bald ausschliesslich mit dem
Tamtam und dem Bäumchen-wechsel-dich-Spielchen der immer gleichen Visagen beschäftigen.
Wie um alles in der Welt kann man sich täglich
mit Paris, Britney, Robbie, Heidi, Angelina, Brat
und Madonna rumschlagen, ohne irgendwann
eine Hirnlähmung zu erleiden?
Und gerade als man denkt, dass es vielleicht
doch keine so schlechte Zeitung ist, schiesst
die «Schweizer Illustrierte» – mal wieder – den
monatlichen Vogel der Schweizer Medienlandschaft ab. Die «Hochzeit des Jahres» von Tomcat – früher auch die Bezeichnung des Kampfflugzeuges F-14 – heute vor allem Synonym für
die bittermandelsüsse Verbindung zwischen Tom
Cruise und Katie Holmes, allerdings mit ähnlich
zerstörerischem Potential. Das ginge ja noch.
Bunte Bildli von reichen Menschen in schönen
Kleidchen sind ja nichts Gefährliches. Aber mit
der Untertitelung «Die Scientology-Saga» muss
die Lähmung definitiv eingesetzt haben. Klar, ist
doch cool: Die Welt wird besser, weil Promis bei
einer Sekte sind - und was ich schon immer nicht
lesen wollte, nämlich die Hochzeitsabläufe von
Scientology mit Einzel-und-Doppel-Ring-Zeremonie, als Faksimile abgedruckt. «Ein Ring sie zu
knechten, sie alle zu finden. Ins Dunkel zu treiben
und ewig zu binden.»
25
das andere kino
www.cinematte.ch / Telefon 031 312 4546
John Huston - Im August 2006 wäre John
Huston hundertjährig geworden. Grund genug für
uns, einige Perlen seiner fast 50 Filme zu zeigen.
Hustons erster Nachkriegserfolg war 1948 The
treasure of the Sierra Madre mit seinem Vater,
Walter Huston und Humphrey Bogart in den Hauptrollen. In den 50er und 60er Jahren drehte Huston
rund 20 Filme, unter denen Moulin Rouge (1952)
und vor allem Misfits (1961) als letzter Film der
Stars Clark Gable und Marilyn Monroe Geschichte
machten.
Filme, die das Herz erwärmen - falls es denn
doch noch kalt werden sollte, bietet unser kleiner
Weihnachtszyklus den passenden Kontrast. In Drei
Nüsse für Aschenbrödel zaubert sich eben dieses in das Herz eines tschechischen Prinzen, Peter
Greenaways The cook, the thief, his wife and her
lover ist ein Fest der Sinnlichkeit und die Romanverfilmung der «schönsten Liebesgeschichte der
Welt», Dshamilja lässt uns ins Kirgisien der 40er
Jahre eintauchen. An Babettes Fest werden in einem kleinen dänischen Fischerdorf die Sünden der
französischen Küche genossen und A nightmare
before Christmas nimmt uns mit ins köstliche Halloweenland.
Robert De Niro - De Niro ist Schauspieler, Regisseur und Produzent. Seine Filmografie umfasst
unzählige Titel, deren viele einer Zusammenarbeit
mit Regisseuren wie Francis Ford Coppola, Bernardo Bertolucci, Sergio Leone und Terry Gilliam entstammen. Wir zeigen die Mafia - Trilogie The Godfather, die Thriller Angel Heart und Taxi Driver
sowie Quentin Tarantinos kultigen Jackie Brown.
Natural High - Michael Bühlers Dokumentarfilm
Natural High erzählt spannende Geschichten, die
weit in die Vergangenheit des Freeridens zurückreichen. Von verrückten Engländern, die auf zwei
Holzlatten vom Schilthorn herunterfuhren, von
Sherpa Tenzing, der in Meiringen das Skifahren
lernte, von James Bond, der im Berner Oberland
neue Massstäbe für Skistunts setzte. Bergführer,
die seit 40 Jahren mit Tourenskis Berge besteigen
und von solchen, die sich jeden Winter unzählige
Male per Helikopter auf einen Gipfel fliegen lassen.
www.kellerkino.ch / Telefon 031 311 38 05
WOMAN IN THE DUNES (Von Hiroshi Teshigahara, Japan 1964, 147’, Japanisch/d, Spielfilm) «Eines
Tages im August verschwand ein Mann. Er war mit
der Bahn zu einem Ausflug an die Küste aufgebrochen, und seitdem fehlt jede Spur von ihm.»
Die Textpassage stammt aus dem Roman «Die
Frau in den Dünen» des Japaners Kobo Abe. Das
Buch wurde 1964 von Hiroshi Teshigahara kongenial verfilmt, ein in jeder Beziehung radikaler Film,
der nichts von seiner Kraft eingebüsst hat. Der Filmemacher führt uns vor, welches Erzählpotenzial
in der Filmkunst steckt. Die Schwarzweissfotografie von Hiroshi Segawa gehört zum Grossartigsten,
was wir im Kino je zu sehen bekamen. Details bis
in den makroskopischen Bereich hinein erzählen
von einer Passion. Die fiebrigen Umarmungen, die
Hingabe, der fliessende Sand, die Trance: Unmöglich, dass man beim Betrachten dieses Films nicht
Sandkörner zwischen den Lippen spürt und Durst
bekommt nach mehr Filmen, die uns übers Auge
so in ihren Bann ziehen und nicht mehr loslassen.
(ab 14.12.)
POM POKO (Von Isao Takahata, Japan 1994,
119’, Originalversion, Animationsfilm). Ein Erwachsenen-Animationsfeuerwerk der Sonderklasse ist
POM POKO von Isao Takahata. Aus den knuffigen Tanukis werden hier kleine Kämpfer, die sich
mit verblüffenden Verwandlungstricks gegen die
Menschen zur Wehr setzen. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts teilten die Tanukis ihren Lebensraum
problemlos mit den Bauern. Doch bald fängt die
Zerstörung der Bauernhöfe und Wälder an. Der
Lebensraum wird zu eng, und die vormals friedlichen Tanukis bekriegen sich gegenseitig, um sich
ihr Revier zu sichern. Ein aussichtsloses Unterfangen, da die Waldflächen weiter abnehmen. Es wird
ein Fünfjahresplan erstellt. Die Zeit, die sie brauchen, um die Menschen zu beobachten und ihre
Verwandlungskünste wieder zu erwecken und zu
perfektionieren. Sie können sich gar als Menschen
ausgeben. Ihre Künste nutzen die Tanukis in erster Linie zum Erschrecken ihrer Widersacher. Aber
reicht das oder müssen sie lernen, die moderne
Welt zu akzeptieren? (ab 28.12.)
www.kinokunstmuseum.ch / Telefon 031 328 09 99
Der Berner Filmer Peter von Gunten ist auch im
Dezember zu Gast im Kino Kunstmuseum. Am
Sonntag, 3. Dezember, wird er Im Leben und über
das Leben hinaus (2005) und They Teach Us
How to Be Happy (1996) präsentieren (13:30 und
17:00 h).
Der Filmzyklus Six Feet Under geht weiter mit
Corpse Bride (Grossbritannien/USA 2005) von
Tim Burton (Sa 2.12., Mo 4.12. und Di 5.12., jeweils
21:00 h) und Ultima Thule - Eine Reise an den
Rand der Welt (Schweiz 2005) von Hans-Ulrich
Schlumpf (Sa 9.12., Mo 11.12. und Di 12.12., jeweils
18:30 h).
Fernando Solanas - Zorniger Fabulierkünstler aus Argentinien Seit über vierzig Jahren setzt
sich Fernando E. Solanas - eine Schlüsselfigur des
lateinamerikanischen Kinos - mit der politischen
Geschichte und Gegenwart seines Landes auseinander. Einmal sanft, dann wieder vehement,
einmal traumverloren, dann wieder laut, wendet
sich der Idealist seinem Thema zu: Dem Überlebenskampf eines Volkes, das durch Kolonisation,
Militärdiktaturen und jüngst die neoliberale Politik
gebeutelt wird - und dagegen aufbegehrt. Tangos
- l‘exil de Gardel (1985): Sa 9.12., Mo 11.12., Di 12.12.,
jeweils 20:30 h La dignidad de los nadies (2005):
So 10.12., 17:00 h Memoria del saqueo (2004): Sa
16.12., Mo 18.12., Di 19.12., jeweils 18:00 h La nube
(1998): Sa 16.12., Mo 18.12., Di 19.12., jeweils 20:30 h
La hora de los hornos I-III (1968): So 17.12., 14:00
h Sur (1988): Sa 23.12., Di 26.12., jeweils 18:00 h, Sa
30.12., Mo 1.1., Di 2.1., jeweils 20:30 h El viaje (1992):
Sa 23.12., Di 26.12., jeweils 20:30 h, Sa 30.12., Mo 1.1.,
Di 2.1., jeweils 17:00 h.
Unser diesjähriger Festtagsfilm ist Mary Poppins (USA 1964), übrigens auch für Kinder und Jugendliche sehr geeignet: So 24.12., Di 2.1., jeweils
14:00 h.
31. Dezember: Mit Musicalfilmen durch die
Silvesternacht Zur Jahreswende zeigen wir The
Band Wagon (USA 1953) um 19:00 h, Les Parapluies de Cherbourg (Frankreich 1963) um 22:00
h und den besten Musicalfilm aller Zeiten, Singin’
in the Rain (USA 1952) um 00:15 h.
Mehr Infos: www.cinematte.ch
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ensuite - kulturmagazin Nr. 48 | Dezember 06
Für das Tagesprogramm die Tageszeitung oder das Internet www.bernerkino.ch
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FLAMENCO – DIE KUNST ANDALUSIENS
Flamenco ist eine Grundeinstellung in verschiedenen Lebenslagen, Freude, Trauer und Lied, Sensibilität und Liebe zum Extremen. Flamencomusik
beinhaltet den Gesang, den Tanz und die Gitarre
und ist eine Mischung aus andalusischer Folklore
und dem ursprünglichen Flamenco der Fahrenden,
die in Andalusien sesshaft wurden.
Das Kino in der Reitschule zeigt Filme über den
Flamenco, die das Publikum die winterliche Kälte
für kurze Zeit vergessen lassen.
Der Dokumentarfilm von W. Marti und R. Mertens Flamenco Vivo (7.12., 20:30 h und 8./9.12.,
21:00 h) zeigt, dass der Flamenco zum Alltag der
Menschen gehört und erschliesst, begleitet von
Gesang, Tanz und Rhythmus, Wurzeln und Wesen
des Flamencos in Andalusien. Im Film Flamenco
(15./16.12., 20:30 h) lässt Regisseur C. Saura Flamencostars in einem stillgelegten Bahnhof auftreten und eröffnet dem Publikum die Welt des traditionellen und modernen Flamencos. T. Gatlifs Vengo
(21.12., 20:30 h und 22./23.12., 21:00 h) ist ein zutiefst authentischer und intensiver Film über das
Leben, die Liebe und den Tod. Geballte Lebenslust,
aber auch Schmerz und Leid vereinen sich im Flamenco und spiegeln damit das Herz andalusischer
Kultur wieder. M. Meert porträtiert in Der Flamenco Clan (29./30.12., 21:00 h) vier Generationen der
Musikerfamilie einer Flamenco-Dynastie.
SCHWERPUNKT LIBANON - Le cerf volant,
R. C. Sabbag (1./2.12., 21:00 h) handelt von einer
jungen Libanesin, die an ihrem Hochzeitstag mit
dem Cousin, der jenseits der Grenze im durch Israel annektierten Dorfteil lebt, zum ersten Mal den
Stacheldraht überquert. Auf diesem Weg begegnet
sie einem jungen Grenzsoldaten und die beiden
verlieben sich.
UNCUT - warme Filme am Donnerstag zeigt:
When Night Is Falling (14.12., 20:30 h) von P. Rozema. Eine leidenschaftliche Liebesgeschichte in
märchenhaften romantischen Bildern. In Tokyo
Godfathers (28.12., 20:30 h) von S. Kon finden an
Heiligabend drei Obdachlose in einer Müllhalde
in Tokyo ein Findelkind. Sie erleben dabei wirre
Abenteuer...
LICHTSPIEL
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Mocny Czlowiek (Der Starke Mann) von Henryk Szaro (1929) ist eines der besten Werke der
polnischen Stummfilmzeit. Henryk Bielecki unternimmt alles, um berühmt zu werden – er ermordet
sogar seinen Freund, einen Schriftsteller, und veröffentlicht dessen Roman unter seinem eigenen
Namen. Doch Ruhm und Reichtum machen ihn
nicht glücklich. (Mo 4.12., 20:00 h. Ab 19:00 h lädt
die Botschaft der Republik Polen zum Apéro an
der Lichtspiel-Bar ein).
Mit dem Drama Fräulein Huser (1940) kritisierte Leonard Steckel die engstirnige Haltung
der Gesellschaft, mit der sich eine junge Frau
konfrontiert sieht, als sie ein Verhältnis mit einem verheirateten Mann eingeht. Der Film läuft
im Rahmen des Sortie-du-labo-Programms: In
Zusammenarbeit mit Memoriav bietet das Lichtspiel Gelegenheit, Filme aus der Schatztruhe der
Cinémathèque suisse zu entdecken, die erst dank
ihrer Restaurierung wieder öffentlich vorgeführt
werden können (Mo 11.12., 20:00 h).
Düstere Utopien präsentiert der StudentInnenfilmclub: Fritz Langs Metropolis, das gewaltige Klassenkampf-Epos aus dem Jahr 1927, ist
ein einzigartiges Kunstwerk, das Filmarchitektur,
Tricks, Dramaturgie und Licht vereint (Di 5.12.,
20:00 h). In La cité des enfants perdus von
Jeunet und Carot (1995) entführt ein verrückter
Wissenschaftler zwei Kinder, um ihre Träume und
Jugend anzuzapfen (Di 12.12., 20:00 h). Mit der
apokalyptischen Fabel Songs from the Second
Floor (2000) zeichnet Roy Anderson mit bissiger
Gesellschaftskritik und schwarzem Humor ein
düsteres Bild unserer Zeit (Di 19.12., 20:00 h).
The Philadelphia Story Brilliante Komödie von
George Cukor (1940), die sich durch witzige Dialoge, romantische Komplikationen und nicht zuletzt
durch das hochkarätige Startrio Hepburn, Grant
und Stewart auszeichnet (Sa 9.12., 20:00 h).
Christmas Special Gemeinsam mit dem
Jazzfilmspezialisten und -sammler Theo Zwicky
präsentiert das Lichtspiel einen ganzen Weihnachtsreigen voller bunter (und schwarzweisser)
Spirituals, Jazzfilme, Trickfilme, Soundies und anderer weihnachtlicher Überraschungen (So 17.12.,
20:00 h).
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Filmar en America Latina Im Rahmen der südamerikanischen Werkschau sind bis zum 9.12. Marcelo Mangones neuster Film La Demolición und
zwei Reprisen von Fernando Solanas zu sehen: Sur
und Tangos – El Exilo de Gardel.
Raymond Depardon: 10./11.12. In seinen beiden Filmen Profils paysans: L‘approche und Le
quotidien besucht der grosse französische Dokumentarist Bergbauern aus der Lozère. Depardon
kommt mit seiner sachlichen Darstellungsweise
und seinem aufmerksam beobachtenden Stil den
Menschen in diesen abgelegenen Gebieten sehr
nahe. Er sagt, dass es ihm in diesem Porträt um
das Finden und das Entdecken einer Bevölkerung
gehe, die heute fast vergessen ist: «Ich möchte
diese Leute filmen, weil ich sie für sehr intelligent
halte, sie haben eine grosse Fähigkeit, ihre Situation zu analysieren. Sie verkörpern das Essenzielle der französischen oder auch der europäischen
Kultur».
Writers: 15.12. - 15.1.07
Zum Ausklang des Jubiläumsjahres 20 Jahre Filmpodium stellt die langjährige Co-Leiterin Claude
Rossi eine Carte Blanche vor, die den Lebensgeschichten berühmter SchriftstellerInnen gewidmet
ist. The Hours von Stephen Daldry macht den Auftakt. Die berühmte Schriftstellerin Virginia Woolf
kämpft im Film gegen ihre kranke Psyche und ist
daran, die Anfangssequenz ihres bedeutenden Romans und dessen Hauptfigur «Mrs. Dalloway» zu
schreiben.
Das Leben der Iris Murdoch zeichnet Richard
Eyre in Iris behutsam nach. Murdoch war in ihren
jungen Jahren eine unbeschwerte, unabhängige Literatin. Im Alter erkrankte sie an Alzheimer
und wurde vollständig von andern abhängig. Out
of Africa ist die abenteuerliche und romantische
Lebensgeschichte der Karen Blixen und der Film
über Capote ist rund um ein Schlüsselereignis in
Capotes Leben angelegt, nämlich um die sechsjährige Entstehungsgeschichte von «In Cold Blood».
Der Zyklus über diese schreibenden Berühmtheiten gibt auch Gelegenheit, Stars wie Nicole Kidman, Meryl Streep und Philip Seymour Hoffman
einmal mehr zu geniessen. Der Zyklus wird im Januar weitergeführt.
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ensuite - kulturmagazin Nr. 48 | Dezember 06
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literatur
Der Versuch, das Unbegreifliche zu begreifen
Joan Didion: Das Jahr magischen Denkens.
Japan mal anders
Hitomi Kanehara: Tokyo Love. Roman.
Von der Mystik des Alltags
Ralf Rothmann: Rehe am Meer. Erzählungen.
■ Die Dunkelheit, verborgen hinter der Fassade des
Alltäglichen, ist es, die uns unfassbar ist. Der plötzliche Tod eines nahen Freundes, Verwandten oder gar
des eigenen Mannes scheint uns unbegreiflich. Wie
konnte die betreffende Person so urplötzlich aus unserem Leben verschwinden, wo sie doch eben noch
lachend mitten unter uns sass? Und hätte unser Verhalten zum Zeitpunkt des Todes oder davor, diesen
beeinflusst, hinausgezögert oder gar verhindert?
Diesen Fragen stellt sich die in Europa weitgehend
unbekannte amerikanische Intellektuelle Joan Didion, welche unter anderem regelmässig für «New
York Review of Books» sowie für «The New Yorker»
schrieb, nach dem plötzlichen Herztod ihres Mannes,
dem Schriftsteller John Gregory Dunne. Ihre Tochter
befindet sich währenddessen mit einer akuten Lungenentzündung auf der Intensivstation eines New
Yorker Krankenhauses.
Didion schreibt über die vierzig Jahre mit ihrem
Mann und die Zeit ohne ihn. Sie erzählt von ihren
Reisen nach Honolulu, wo sie gemeinsam an einem
Drehbuch gearbeitet haben. Ihrer Sehnsucht nacheinander, wenn sie aufgrund ihrer jeweiligen journalistischen Tätigkeit voneinander getrennt waren und
die sie soweit trieb, ein Flugzeug zu besteigen, um
wenigstens gemeinsam essen zu können. Sie erzählt
von ihren irrationalen Gedanken nach seinem Tod,
dem Sog, sobald sie sich die Frage «wenn» stellte.
Immer wieder zitiert sie Literatur - Freud, Melanie
Klein, Thomas Mann oder Philip Aries - ohne jedoch,
dass ihr Bericht an seiner Eindringlichkeit verliert.
Viel mehr wirken diese Zitate unterstützend, helfen
dem Leser, in ihre ureigene Gedankenwelt einzudringen. Obwohl «Das Jahr magischen Denkens»,
das 2005 mit dem National Book Award (Nonfiction)
ausgezeichnet wurde, ein Erfahrungsbericht ist, ist
es dank Didions Eloquenz und ihrem sorgsamen Umgang mit der Sprache auch ein grosses Stück Literatur, welches einem den Tod, einst so alltäglich wie
das Leben, auf wundersame Weise näher bringt.
Dass ihre Tochter den Folgeerkrankungen ihrer
Lungenentzündung kurz nach Erscheinen des Buches ebenfalls erlegen ist, bricht einem beinahe das
Herz und macht «Das Jahr magischen Denkens»
nicht nur zu einem Buch über die Liebe und den Tod,
sondern auch über das Überleben. (sw)
■ Den Rahmen für das in Japan 2004 erschienene
Romandebüt Kaneharas bildet das Tokyo derjenigen
jungen Japaner, die sich den Gesellschaftsnormen
weitgehend entziehen. Die Liebesgeschichte zwischen Lui und Ama wird zunächst vor allem durch
Luis Faszination von Amas gespaltener Schlangenzunge motiviert. Entschlossen, sich ebenfalls dem
ebenso schmerzhaften wie langwierigen Verfahren
zu unterziehen, ihre eigene Zunge zu spalten, besuchen sie Shibu-san, einen Freund Amas, welcher der
Besitzer eines Tattoo- und Piercing-Studios ist.
Während dieses Besuchs entscheidet sich Lui,
sich ein mystisches Motiv auf den Rücken stechen
zu lassen. Ohne Amas Wissen sucht sie wenige Tage
später das Tattoo-Studio erneut auf, Shibu-san verlangt als Gegenleistung für seine Kunst eine erotische Beziehung, deren Brutalität teilweise an die
Grenze des Erträglichen führt.
Die akribische Beschreibung der Schmerzen,
welche Lui bei der Dehnung ihrer Zunge mit einer
beinahe masochistischen Lust erträgt, bilden eine
Grenzerfahrung, vergleichbar mit ihrem unsteten
Lebenswandel an der Seite Amas.
Dieser wird eines Abends auf den Strassen Tokyos
zum brutalen Agressor, wobei er möglicherweise den
Tod seines Gegners in einer Schlägerei verursacht.
Zu seinem Schutz vor einer Fahndung verändert Lui
sein Aussehen soweit als möglich. Als Ama kurze Zeit
darauf spurlos verschwindet, wird Lui bewusst, wie
tief ihre Gefühle für ihn sind.
Die 23-jährige Hitomi Kanehara, welche für «Tokyo Love» mit dem wichtigsten Literaturpreis Japans ausgezeichnet wurde, bricht mit ihrem knapp
hundertzwanzig Seiten umfassenden Roman ein
Tabu der japanischen Gesellschaft. Dass ihr Werk insbesondere in Japan kontrovers diskutiert worden ist,
war den Verkaufszahlen jedoch keineswegs abträglich.
Ihr Erzählstil hat weitgehend etwas comichaftes,
was stellenweise faszinierend ist, die Charaktere aber
schemenhaft erscheinen, ihre Handlungsintentionen
nicht nachvollziehen lässt, als wären sie keine Menschen aus Fleisch und Blut. Insgesamt jedoch ein beeindruckendes Debüt, das Hunger auf mehr macht.
(sw)
■ Es sind nicht die Gewinner dieser Welt, welche
im Mittelpunkt der zwölf Erzählungen Rothmanns
stehen, sondern die Alten, die Alleinerziehenden, die
Arbeiter, die Trauernden, die Verlorenen: kurz, jene
auf der scheinbaren Schattenseite des Lebens.
Und doch findet sich in jeder noch so traurigen
Episode ein Stück Poesie. Wie in der titelgebenden
Erzählung «Rehe am Meer», wo die alleinerziehende
Mutter ihre Tochter Alina wegen eines unerwarteten
Vorstellungsgesprächs in die Obhut einer älteren
Frau gibt. Auf dem Weg zu ihrem Termin nimmt sie,
obwohl unter Zeitdruck, das Angebot wahr, einen
leerstehenden Neubau zu besichtigen. Dort, auf der
schneebedeckten Dachterasse bietet sich ihr ein
unverbauter Blick bishin zum Meer und vor diesem
Meer bewegen sich Tiere, Rehe, die man im Wald
oder auf einem Feld vermuten würde, nicht aber am
Meeresufer. Die Irrationalität dieses Augenblicks, bedingt durch das Moment der Überraschung, ist allen
Erzählungen Rothmanns immanent und macht sie so
unvergesslich, weil nachvollziehbar.
Ähnlich wie seine Charaktere führt auch Rothmann selbst ein bewegtes Leben, in welchem er nach
einer Maurerlehre und mehreren Jahren auf dem
Bau unter anderm auch als Taxifahrer, Drucker, Koch
und Krankenpfleger gerabeitet hat. Seit 1986 veröffentlicht der heute 53-jährige Wahlberliner in kurzen
Abständen Romane, Erzählungen und Gedichte bei
seinem Hausverlag Suhrkamp. Dieser Erfahrungsreichtum wie seine herausragende Beobachtungsgabe und sein Talent, mit wenigen Worten eine Atmosphäre zu erschaffen, die authentisch wirkt, machen
ihn zu einem der ganz Grossen der deutschsprachigen Literaturszene.
Für sein Werk durfte er nebst dem WilhelmRaabe-Preis sowie dem Heinrich-Böll-Preis am ersten
Oktober 2006 den Max-Frisch-Preis der Stadt Zürich
entgegennehmen. (sw)
Didion, Joan: Das Jahr magischen Denkens. Aus dem
Amerikanischen von Antje Ravic Strubel. Claasen
Verlag. Berlin 2006. ISBN-13: 978-3-546-00405-3.
ensuite - kulturmagazin Nr. 48 | Dezember 06
Rothmann, Ralf: Rehe am Meer. Erzählungen. Suhrkamp Verlag. Frankfurt am Main 2006. ISBN: 978-3518-41825-3.
Kanehara, Hitomi: Tokyo Love. Roman. Aus dem Japanischen von Sabine Mangold. List Verlag. Berlin
2006. ISBN-13: 978-3-471-79538-5.
29
magazin
STADTLÄUFER
Von Andy Limacher
nr. 26 // bremer. Es war an einem Mittwochabend, weit nach dem offiziellen Redaktionsschluss, als ich mir zu Hause den Kopf über diese
Ausgabe des Stadtläufers zerbrach. Redaktion
gleich Inspiration, dachte ich, und griff zum Telefon. «Schreib doch Mal was über den Bremer, und
über den kleinen Teich,» kam die Antwort.
Den Bremgartenwald habe ich bisher links
liegenlassen. Da ich im Weissenbühl wohne, liegt
das Steinhölzli viel näher. Einziges Manko: Das
Wäldchen hat auf dem Stadtplan die Grösse einer Briefmarke, und nach zehn Minuten bin ich
jeweils wieder zu Hause.
Die nächste Wahl ist für mich jeweils der
Könizbergwald – ein wunderbarer Ort für kurze
Herbstausflüge, allerdings ebenfalls mit einem
Manko: Er ist mit einem Fahrradverbot belegt,
und seit neustem gibt es eine Wildschutzzone
in der Nähe des Sterns, über die sich die Hündeler jeweils lautstark aufregen, weil sie Hasso für
zehn Minuten an die Leine nehmen müssen.
Doch zurück zum Bremer. Heute habe ich
mich aufs Rad gesetzt und den «Erholungswald
südlich der Autobahn» – so wird er vom Forstbetrieb der Burgergemeide Bern klassifiziert –
über Weyermannshaus angesteuert. Nach einer
kurzen Pause auf der Autobahnbrücke begann
ich die Suche nach besagtem Teich. Ich fand ihn
nicht, bevor ich die Karte konsultiert hatte.
Der Ententeich liegt nördlich der Haldenstrasse, dort, wo sie über die Autobahn führt. Er ist
ziemlich klein, stellenweise von Grünzeug bedeckt, rundherum führt ein Pfad über Holzstege,
Bänke laden zum Verweilen ein. Ein paar Minuten sitze ich da und betrachte die Insel mit ihren verknorpelten Bäumen: Ein durch und durch
verwunschener Platz – die Redaktion hat nicht zu
viel versprochen.
Trotzdem gehe ich auch in Zukunft lieber in
den Könizbergwald. Denn auch der Bremer mit
seinem verwunschenen Teich hat ein Manko:
Jegliche Romantik wird vom Lärm der Autobahn
zunichte gemacht.
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Ein Abo macht Sinn.
30
KULTUR & GESELLSCHAFT
museum franz gertsch
Von Dominik Imhof
■ Ende Oktober wurde dem künstlerischen Direktor des museum franz gertsch, Reinhard Spieler,
gekündigt. Erst einmal ohne einen Grund zu nennen. Theoretisch ist Spieler noch bis zum Ende
dieses Jahres künstlerischer Direktor, gleich mit
der Kündigung wurde er aber auch freigestellt, so
dass er innerhalb kürzester Frist sein Büro räumen
musste. Diese Vorgehensweise überrascht doch einigermassen. Was gibt es für einen Grund, Spieler
auf diese Art, mit dieser Hast und ohne Gründe zu
nennen, freizustellen?
Vier Jahre lang hat Spieler das Gertsch-Museum zu dem gemacht, was es heute ist. Hat aus
dem Museum nicht einfach einen Ort für FranzGertsch-Fans gemacht, sondern hat Ausstellungen
mit internationaler Gegenwartskunst konzipiert.
Sicher konnte er keine Massen nach Burgdorf locken, aber er konnte ansehnliche Besucherzahlen
erreichen, Burgdorf ist schliesslich nicht Bern oder
Zürich. Budgetüberschreitungen hat es nach den
Aussagen von Spieler keine gegeben. Wieso also
die Hast bei der Entlassung?
In der offiziellen Pressemitteilung des Stiftungsrates, die nun Wochen nach der Entlassung
verschickt wurde, spricht man von der «erfolgreichen Tätigkeit» Spielers und vom «Engagement
des Stifters Willy Michel». Da der Zeitpunkt gekommen sei, «Konzept, Struktur und Ausrichtung
neu zu überdenken», trenne man sich von Spieler,
wie es weiter heisst. Neu soll die bisherige Kunstpark Management AG in eine Stiftung Willy Michel
übergehen. Michel will zudem 20 Millionen Franken über die nächsten vier Jahre dem Museum
schenken. Die künstlerische Leitung wird künftig
dem geschäftsführenden Direktor Arno Stein unterstellt sein. Finanzcontrolling regiert über das
Künstlerische! Mit einem Budget von ca. einer
Million Franken pro Jahr soll das Museum in Zukunft haushalten. Kein einfaches Unterfangen. Die
Leitung des Museums, wohlgemerkt auch künstlerisch, ist im Moment in den Händen eines Juristen
und einer Volontärin. Bestehende Projekte sind
teils abgesagt oder auf Eis gelegt. Sicher keine
gute Situation für den Ruf und die Glaubwürdigkeit
des Museums.
Auch die zweite Pressemitteilung des museum franz gertsch vom 24.11. (siehe unten) gibt
keine Antworten. Also noch immer rechtfertigt
nichts diese übereilte Entlassung. Sie wirft nur ein
schlechtes Licht auf alle Beteiligten, leider auch
auf Spieler, der mit privatwirtschaftlichen Methoden «entfernt» wurde.
Die Kulturszene Bern scheint hinter Spieler zu
stehen und zeigt sich schockiert über derartige
Methoden im Kulturbetrieb. Kulturminister Gartentor fordert mehr Respekt von Mäzenen und
auch das Ausland reagiert, wie der Leserbrief von
Joachim Jäger zeigt (siehe S. 38).
Wir drucken hier die letzte offizielle Stellungsnahme aus dem museum franz gertsch vom
24.11.2006. Sie wurde per E-Mail ohne Signatur versendet.
PRESSEMITTEILUNG
■ Das grosse Interesse der Medien an den jüngsten
Geschehnissen rund um das museum franz gertsch
veranlasst uns, dieses Communiqué zu veröffentlichen.
Wir schätzen den Künstler Franz Gertsch und seine Gattin Maria als Menschen sehr und bewundern
das grossartige Werk des Künstlers in hohem Masse.
Seit dem Beginn unserer Zusammenarbeit haben
wir mit dem Museum nichts anderes gewollt, als das
Schaffen von Franz Gertsch national und international bekannt zu machen.
Mit einer neuen künstlerischen Leiterin oder einem Leiter werden wir unter der Verantwortung des
geschäftsführenden Direktors Arno Stein weiterhin
alles daran setzen, das museum franz gertsch in diese Richtung weiterzuentwickeln. Dabei sollen neben
internationalen auch nationale Künstler in den Ausstellungen präsent sein.
In den vergangenen Tagen wurden über die Person Willy Michel viele Behauptungen, Halbwahrheiten und rufschädigende Unterstellungen in die Welt
gesetzt. Von diesen distanziert sich Willy Michel mit
Nachdruck. Er hat sich entschieden, nicht weiter
darauf einzugehen.
Da ihm das museum franz gertsch am Herzen
liegt, bestätigt und bekräftigt er jedoch ausdrücklich
seine auch gegenüber dem Stiftungsrat in der letzten Sitzung erneut geäusserte Absicht, das Museum
weiterhin zu fördern. Aus diesem Grund schenkt
er der stiftung willy michel über die nächsten vier
Jahre zwanzig Millionen Schweizer Franken. Nach
Ablauf dieser Zeit wird der Museumsbetrieb vollumfänglich in der stiftung willy michel integriert sein.
Die Stiftungsräte Prof. Dr. Jean- Christophe Ammann, Drs. Guido de Werd, Rainer Michael Mason,
Peter Everts und der Künstler Franz Gertsch stehen
auch in Zukunft voll und ganz hinter dem museum
franz gertsch. Sie helfen mit, die Zukunft des Museums im Interesse des Künstlers, dessen Namen es
trägt, zu sichern.
Dies ist eine abschliessende Stellungnahme von
Willy Michel, Arno Stein und des Stiftungsrates der
stiftung willy michel. Weitere persönliche Kommentare dazu werden nicht abgegeben.
ensuite - kulturmagazin Nr. 48 | Dezember 06
magazin
KULTUR & GESELLSCHAFT
nur ein toter indianer ist
Von Peter J. Betts
■ «Nur ein toter Indianer ist ein guter Indianer»,
soll es in den Vereinigten Staaten während einer
ihrer früheren Phasen der Expansion geheissen
haben, als noch, wenn auch nicht weniger konsequent, so doch weniger globalisierend und weniger
- differenziert auf die verschiedensten Produktions- und Tätigkeitsebenen ausgerichtet gedacht
und – gehandelt wurde. Im «Controlling-Bericht
2005» schreibt das Stadttheater u. a. unter dem
Titel «Zusammenarbeit», respektive «störende
oder zu begrüssende Doppelspurigkeiten»: «Es
gibt im Bereich des Schauspiels nachgezählt ca.
800 Veranstaltungen jährlich von anderen Institutionen in und um Bern. Man kann das als Reichtum
des Angebotes interpretieren, man kann es aber
auch als kulturpolitischen Wildwuchs sehen. Im
Bereich des Musiktheaters gibt es keine nennenswerten Doppelspurigkeiten. Die Existenz einer eigenen Berner Tanzszene begrüssen wir.»
Wildwuchs? Unkraut? Unkraut: jedes Kraut, das
der Mensch nicht frisst, ist ein Unkraut, d. h. «DasZu-Entfernende» (jäten, abbrennen, vergiften).
Mauvaise herbe. «Je suis d’la mauvaise herbe,
braves gens, braves gens... ...je pousse en liberté
dans les jardins mal fréquentés...», singt Georges
Brassens. Und etwas später: «...et je m’ demande,
pourquoi mon Dieu! ça vous dérange, que j’ vive un
peu?». Schön, wenn man zur Freien Berner Tanzszene gehört, stört es die im Plüschpalast nicht,
falls man ein bisschen am Leben bleibt, jedenfalls nicht mehr, nachdem das Theater das eigene
Tanzensemble (bevor es wirklich zur bedrohlichen
Konkurrenz für die beiden übrigen Sparten geworden war) auf das Mass des tauglichen Werkzeuges zurückgestutzt hatte. Und die paar Musicals,
die irgendwo in Stadt und Stadtnähe auftauchen
mögen, kann man - übersehen... Wenn man aber
Sprechstücke auf eine Bühne, ins Freie bringt, ist
das nicht gut! Wildwuchs! Kulturpolitische Hege
ist gefordert! Wo bleiben Hacke, Abfallcontainer,
Trimmschere? Natürlich, man kann/darf nicht
so sein, man ist ja tolerant, hat Verständnis: Gut
sind zum Beispiel die «Rampe», das «Kleintheater
Kramgasse 6». Tote Indianer? Und sonst könnten
immer noch als Zeichen von Toleranz an voraussichtlich kaum gefragten Orten ein paar wenige
Vorzeige-Reservate für noch Existierende eingerichtet und gegebenenfalls touristisch genutzt
werden.
ensuite - kulturmagazin Nr. 48 | Dezember 06
Die Controlling-Berichte könnten aber auch
dazu dienen, dass alle damit erfassten Institutionen sowie die diversen Subventionsbehörden
und die Bevölkerung von Region und ihrer Zentrumsstadt ein gegenseitiges Bewusstsein für ihre
Schicksalsgemeinschaft entwickelten. Es ginge um
ein konstruktives Sensibilisieren für geschaffene
und zu schaffende Werte, für Anliegen, Möglichkeiten, Ziele, Bedürfnisse, Probleme aller Beteiligter, für Kultur, Gesellschaft, Kultur- und Gesellschaftspolitik. Verständnis. Auch zwischen Gross
und Klein. Wenn das Verständnis (nicht Gleichgültigkeit, sondern Achtung, Kollegialität, Lern- sowie
Lehrbereitschaft, Interesse) seitens des Stadttheaters gegenüber der Freien Szene trotz Controlling-Berichten über alle Sparten und Grössen hinweg schon nicht geweckt worden ist, so sieht es
das Publikum offenbar anders. Ich entnehme die
folgenden Angaben der Diplomarbeit einer Kulturmanagement-Studentin. Gestützt auf eine Umfrage während der Künstlerbörse in Thun (2003)
stellt der ktv fest, dass in den 450 dem ktv angeschlossenen Lokalen rund 1,3 Millionen Menschen
(Tendenz: steigend) etwa 11‘000 Vorstellungen
besucht haben; in den zehn grossen Häusern der
Schweiz waren gemeinsam immerhin etwa 1,1 Millionen Besuche zu verzeichnen (Tendenz: sinkend).
95‘966 Menschen haben 2005 das Stadttheater,
das 22‘398‘000 Franken Subventionen ausweist,
besucht; Eigenwirtschaftlichkeit 23,3 Prozent. Bei
einem durchschnittlichen Eintrittspreis von 59
Franken wird jede besuchende Person also mit 233
Franken öffentlicher Gelder für ihre Liebhaberei
belohnt. Wenn ich zehn Mal ins Stadttheater gehe,
schenkt mir der Staat 2330 Franken. Steuerfrei.
Vergleich aus dem Bereich der Freien Szene: «La
Marotte», Affoltern a. A., erhielt 10‘800 Franken
Subventionen; verzeichnete 1560 Besuche; jeder
Besuch wurde mit 6 Franken 90 subventioniert;
bei einem durchschnittlichen Eintrittspreis von 22
Franken; Eigenwirtschaftlichkeit 89 Prozent. Kulturpolitischer Wildwuchs? Das Publikum ohne Sinn
für Qualität?
Mit den etwas über 22 Millionen Franken ist
das Stadttheater die höchst subventionierte «Kulturinstitution» in Stadt und Region Bern. Dies ermöglicht einer finanziell meist nicht allzu schlecht
gestellten Bevölkerungsschicht eine erschwingliche Liebhaberei (gemäss steuerrechtlicher Pra-
xis gesprochen). Aber: Was für ein Kulturgut wird
denn im Stadttheater geschaffen? Was für ein
Wert wird erschaffen? (Denn, wiederum steuerrechtlich gesprochen: Es geht bei der Tätigkeit des
Theaters nicht um die Absicht, finanziellen Gewinn
zu erzielen. Das Theater müsste, würde es gleich
behandelt wie etwa ein einzelner freischaffender
Künstler, als reine Liebhaberei bezeichnet werden:
eine hochsubventionierte Liebhaberbühne, also.)
Werden kulturelle Spuren heute für morgen gelegt und damit die Grundsteine für Bestand und
gesellschaftlichen Fortschritt gesetzt? Das wäre
ja auch ein Gut (nicht steuerrechtlich gesprochen).
Das Stadttheater: das Zentrum aller Kulturschaffender der Region für kreativen Austausch untereinander? Plüschtempel aktiv: die Drehscheibe
schöpferischer, existenzieller Auseinandersetzung
für alle Bewohnerinnen und Bewohner von Stadt
und Region mit all ihren Kulturschaffenden? Werden hier zusammen mit heutigen KomponistInnen,
heutigen SchriftstellerInnen kontinuierlich Stücke
aus und zu unserer Zeit entwickelt? Wird die Kreativität der paar hundert Angestellten mit ihrem
Netzwerk von Bekannten aktiv genutzt, wird so
gemeinsam nachgedacht? Lernt das Theater von
zeitgenössischen Kulturschaffenden, die anderswo
auch tätig sind? Wird der Dialog mit den einzelnen
Kulturschaffenden und dem Publikum gepflegt?
Findet Austausch und Auseinandersetzung mit der
Freien Szene statt? Usw. Wenn bei allen Fragen
mit «Ja!» geantwortet werden kann, sind Subventionen und Staatsgeschenk an die Besuchenden
mehr als nur gerechtfertigt. Weitere Blicke in den
Controlling-Bericht lassen allerdings Zweifel aufkommen: Entwicklungspotential bei dieser Selbsteinschätzung? «Das Theater muss sexy werden»,
titelt «Der Bund» am 16. September 2006 – das
könnte etwas mit Reproduktion, Erneuerung, Zukunft zu tun haben. Halten wir die Daumen! Bis
Ende 2007 muss ein Konzept entwickelt werden,
das u. a. Strategien zur Zusammenarbeit beinhaltet, erklärt «Der Bund» am 20. Oktober 2006.
Licht am Ende des Tunnels? Ob die hauseigenen
114 Schauspielveranstaltungen und die eingangs
erwähnten 800 anderen Institutionen in und um
Bern dereinst als Teile derselben Gartenkultur
betrachtet werden? Indianer gleichwertige UND
gleichberechtigte Menschen?
31
magazin
KULTUR & GESELLSCHAFT
kultur in den berner medien
Von Lukas Vogelsang - Ein Nachtrag zur Podiumsveranstaltung «Tacheles» von visarte Bern vom 21. November 2006
■ Eine interessant einseitige Kombination war
auf der Podiumsbühne vorzufinden: Roger Blum,
Professor für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Bern (Moderation), Matthias
Frehner, Direktor Kunstmuseum Bern und ehemaliger «NZZ»-Redaktor, Michael Hug, Chefredaktor
der «Berner Zeitung», Reinhard Spieler, ehemals
Direktor museum franz gertsch Burgdorf und Daniel Landolf, Noch-Chefredaktor ad interim «Der
Bund». Eingeladen und organisiert hatte dieser
Abend der Verein Visarte, der Berufsverband visuelle Kunst, Sektion Bern. Der «Kleine Bühne»-Raum
im PROGR war voll und eine Videoübertragung in
das Treppenhaus liess wenigstens die frierenden
weiteren BesucherInnen auf dem Laufenden. Mit
einem solchen Besucheransturm hatte man nicht
gerechnet. Das Thema scheint zu bewegen.
Was ist los? Das Diskussionsthema war und ist
nicht neu, trotzdem tut es gut, die Situation zu rekapitulieren. Seit vor fünf Jahren die Espace Medien AG den von beiden Tagenszeitungen vertriebenen «Ansager» produzierten und nach nur einem
Jahr wieder einstellten, wird das Thema diskutiert.
Die erste Reaktion kam damals von unserer Seite, als wir die Kulturinstitutionen anschrieben
und unsere Pläne, ein Kulturmagazin zu bauen,
kundtaten. Das war noch während der Zeit des
«Ansagers». Die Reaktionen auf unsere Einladungen wurden nicht ernst genommen. Wir starteten
ensuite - kulturmagazin ohne die Unterstützung
der Veranstalter. Knapp vier Monate später wurde
bekannt, dass der «Ansager» eingestellt wird. Damit wurde ensuite - kulturmagazin zu der einzigen
kulturellen Publikation in Bern - wider Willen, denn
wir hatten weder Geld, noch die Infrastruktur, noch
das Know-how, dieses Loch zu stopfen.
Zwei Jahre später erschien die «Berner Kulturagenda», ein Projekt, welches der Kultursekretär Christoph Reichenau mit den Kulturinstitutionen zusammen initiierte. Am Verteilhebel der
städtischen Kultursubventionen hatte der Kultursekretär ganz andere Möglichkeiten, die Institutionen zum Mitmachen zu bewegen. Eine Zusammenarbeit mit ensuite - kulturmagazin kam für ihn so
nicht in Frage - die von uns eingegeben Offerten
wurden abgelehnt.
Die «Berner Zeitung» und «Der Bund» wurden
unter ein Dach zusammengeführt. Es gab keine
Kulturbeilage mehr, wohl aber hatten die Redaktionen in den kulturellen Ressorts keine weiteren
Sparmassnahmen getätigt. Trotzdem: Die Espace
Medien AG war sich durchaus bewusst, dass in
der Kultur die finanziellen Ausgaben in keinem
Verhältnis zur Dienstleistung stehen. Allgemeine
32
Leserstatistiken beweisen, dass Kulturseiten in der
Tageszeitung nur von 2 Prozent der Leserschaft
gelesen werden. Bei Beilagen wird von einem Wahrnehmungswert von 5 Prozent gesprochen. Das ist
erschreckend wenig. Im Kontrast dazu die Kosten:
Eine wöchentliche Beilage in den Zeitungen kostet
1,5 Millionen Franken pro Jahr. Ein Heft alle 14 Tage
zu produzieren braucht 900‘000 Franken und monatlich kommt man mit knapp 500‘000 Franken
zurecht. Auf der Einnahmenseite klafft in Bern ein
riesiges Loch. Es fehlt an Werbegeldern und einem
Werbemarkt. Mag sein, dass sich hier die Espace
Medien AG selber ins Bein geschnitten hat: Lange
Zeit waren die kulturellen Dienstleistungen gratis
und haben das Berner Publikum verwöhnt. Jetzt
will dieses auch weiterhin nichts bezahlen. Ein Verständnis für die Zahlen fehlt.
Kultur hat Wert Es ist nicht so, dass die Tageszeitungen die Kultur unterschätzen würden. Sie
suchen nach neuen Wegen, das Ressort zu integrieren. «Der Bund» läuft vorerst konservativ weiter, hat eine etwas strukturlose Berichterstattung
auf einer Kulturseite und einen Agenda-Teil «Das
Wochenende», der Tipps und Events publiziert. Die
«Berner Zeitung» hat einen neuen Weg eingeschlagen - nicht einfach, aber es ist ein Versuch für eine
neue Zeitungsform. Dabei werden alle Artikel nicht
mehr nach Themen, sondern nach dem Ort publiziert. Das ist neu und verwirrlich, aber nicht dumm.
Das Regionale wird nicht mehr mit der Grossstadt
gleichgesetzt und der Ort wird als Sozialzentrum
hervorgehoben. Quantitativ hat dies keine Änderung gegeben - nur findet man Kulturelles nicht
mehr auf einer Seite. Bei den konservativen und
kulturinteressierten ZeitungsleserInnen stösst diese Form auf Widerstand - lustigerweise hat aber
niemand beigefügt, dass qualitativ die Kulturberichte in der «Berner Zeitung» oft objektiver und
informativer geworden sind als im «Bund».
Spannende Diskussion Die Künstler und
Kunstinteressierten fordern mehr öffentlicher Dialog über Kulturelles und Kunst in den Tagesmedien
- die Medien fragen sich zu recht, warum. Als die
Espace Medien AG die Stadt Bern vor Jahren anfragte, ob sie sich an ihren Beilagen beteiligen könne, sagte diese Nein. Ein Stadttheater oder Kunstmuseum sind hoch subventioniert, geben diese
Gelder aber nicht in die Marktwirtschaft zurück.
Dazu kommt, dass die Pressearbeit von vielen Institutionen und Veranstaltern extrem schlecht und
fehlerhaft ist. Dass die Medien diese Fehler korrigieren und sehr viel Gratis-Recherche leisten, ohne
von den Institutionen mehr respektiert zu werden,
das gibt zu denken. Als gutes Beispiel: visarte Bern
hatte für diese Veranstaltung einen grossen EMail-Versand veranstaltet, doch fehlte der Veranstaltungsort in der Mail. Nicht mal auf der eigenen
Webseite konnte er eruiert werden, die Seite war
nicht aktuell. Der Fehler wurde von der Espace
Medien AG korrigiert. In der Vorstellung von vielen Veranstaltern und Kulturinteressierten haben
die Medien nur die Rolle einer Gratis-PromotionAgentur, welche dafür verantwortlich ist, «Pip»
und «Bap» zu kommunizieren. Das Anrecht auf
Publikation wird gefordert, doch warum eigentlich
und wozu? Im Gegenzug wird in keiner Weise mit
den Medien ein Dialog geführt: Das Einstellen des
«Ansagers» und die Änderungen bei der «Berner
Zeitung» haben von aussen kaum Proteste oder
Reaktionen ausgelöst.
Rollenspiele Eine weitere, etwas unsichtbarere
Dienstleistung der Medien sind die Medienpartnerschaften. Espace Medien AG hat viele solche Zusammenarbeiten mit Institutionen in den letzten
Jahren durchgeführt. Klar haben diese Partnerschaften eine «LeserInnen gewinnende» Funktion.
Doch keine anderen Institutionen in Bern übernehmen diese Dienstleistung, die so manch Künstlergruppen oder Theater erst zum Erfolg gebracht
haben. Das sind zum Teil grosse, normalerweise
unbezahlbare Inserateaktionen in der Presse.
Auch das ist eine Rolle der Medien in der Kultur
- eine sehr wichtige sogar.
Etwas eigenwillig hatte es der Direktor des
Kunstmuseums, Matthias Frehner, am Podiumsgespräch gefordert: «Wir wollen für unsere Arbeit
ein Feedback.» Muss diese Rolle von den Medien
kommen? Geben wir ihnen dadurch nicht zuviel
Macht? Und wir dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch die kulturell gelobte «NZZ»
in Bern nicht die Tageszeitung Nummer eins ist.
Übrigens wurde vor der Tacheles-Diskussion bekanntgegeben, dass die Kulturbeilage der NZZ,
das «NZZ Ticket», eingestellt wird.
Ich bin der Meinung, dass Bern nicht das Recht
hat, sich über die fehlende Kulturberichterstattung zu beklagen. Wir haben mehr Zeitungen und
Kulturpublikation als jede andere Stadt in der
Schweiz! Aber vielleicht liegt es ja gar nicht daran...
Die Diskussion ging weiter:
http://kulturblog.espace.ch/p195.html
Wir drucken auch Ihre Leserbriefe:
[email protected]
ensuite - kulturmagazin Nr. 48 | Dezember 06
magazin
CARTOON
www.fauser.ch
VON MENSCHEN UND MEDIEN
good night, good luck!
Von Lukas Vogelsang
■ Da ist immer die Rede davon, dass die Medien in einer Krise stecken. Die Werbung geht, der
Inhalt wird dünn und dumm. Die PR-Leute sind
schuld und der Staat, die Werbung und überhaupt.
In Sprechchören vereint ziehen wir Medienleute,
die neuen Reiter der Botschaft, durch das Land
und verkünden, wie schlimm alles ist. Der Weltuntergang naht, politisches Handeln ist gefragt und
mehr Geld... Notabene fragen vor allem die JournalistInnen nach der Handlung und die Verlage
nach dem Geld. Nach dem «Klag-oh-weh-Konzert»
klopft man sich gegenseitig auf die Schultern und
überlegt sich den nächsten Karriereschritt, das
Design des neuen Fernsehstudios oder die Anschaffung einer neuen Druckmaschine.
Man muss jetzt verstehen, dass es die VerlagschefInnen und die JournalistInnen sind, eben
Menschen, die sich hinter dem Wort MEDIEN vereinen. Wir sind es, ich mit eingeschlossen, welche
diesen Medienmüll selber produzieren und von der
Gesellschaft ins Kritikfeuer geraten. Da ist keine
fremde Macht am Werk, nur ein verlorenes Gesicht. Der Berufsstand JournalistIn hat sich selber
gestürzt, der Verlag sich selber ausgebeutet. Das
Bild von der elementaren Wichtigkeit der Medien
hat sich durch unsere eigenen Billigproduktionen
verunglimpft, ist ersetzbar geworden und unreal.
Wir haben bereits jetzt eine Unmenge an News-Taensuite - kulturmagazin Nr. 48 | Dezember 06
geszeitungen, News-Fernsehsendungen und NewsRadios, Newslettern, Newsreports, Newsportalen,
News am Morgen und News am Abend, News per
Handy und Newsnews. News: Ich habe Kopfweh von
den ganzen News. Aber dem nicht genug: In Zürich
hat ein regelrechter Boom auf noch mehr «Gratistagesnewszeitungen» Einzug. Die Tagi-News und
die Zürisee-News kämpfen um die neusten News.
Der Zürichsee wird in ein paar Jahren eine Papiermaché-Pfütze, die Aargauer ziehen bereits nach,
der Südosten hält mit, die Welschen haben doch
erst den Markt entdeckt und just, wenn eben die
Marktzahlen kritisch sind, publizieren die Verlage
noch mehr neue Produkte als je zuvor. Es herrscht
ein regelrecht schwindliger Medienwahnsinn.
Aber auch TV-Stationen pilzen aus dem Boden
und eifern den Berufskollegen vom Print nach.
Zwar sind’s momentan oft regionale Stationen
oder ein 3+, doch auch sie schreien auf dem Marktplatz. Der Herr Walpen vom Schweizer Fernsehen –
als bestes Paradebeispiel und Verlegervorbild - hat
dazu den Bogen schon massig überspannt, indem
er erst ankündigte, dass die SRG-Gebühren erhöht
werden müssten. Als er dann merkte, dass sein
Vorschlag auf Kritik stiess, fing er an, die Erpressertrommel zu schwingen: sinkende Qualität, Streichen vom TV-Programmen und Stellen, untragbare
Zustände und weiteres bla, bla, bla... Als hätte dies
ein Zusammenhang. Und wir? Wir schalten schon
jetzt ab – leider (oder: [email protected]!).
Unter dem Motto «Journalismus gestern und
heute» trafen sich dann die Berner Journis (wir
gehören ja auch zum nationalen Medienfilz) zum
16. Medientag (18. November 2006 in der Uni
Bern), ein Schulterklopftag. Das abschreckende
Thema schlug mich in die Flucht. Aber tatsächlich:
Es kann um die Medien nicht gut stehen, wenn sie
in der Vergangenheit zu grübeln beginnen. Anstatt ein halbwegs vernünftiges Konkurrenzbild
aufzubauen und sich gegenseitig durch besseren
Journalismus zu überbieten, um damit LeserInnen zu gewinnen, jammern diese unsere Helden
nun gemeinsam an Therapie-Workshops. Über das
Fazit dieser Tagung kann man nur lästern: «Nicht
besser, aber anders...». Zu hoffen, dass man dafür
keinen akademischen Titel tragen muss.
Das ist die wirkliche Welt der Medien. Deswegen, liebe LeserInnen, wir sind nicht wirklich böse,
wenn Sie sich von uns MEDIEN abwenden, nicht
mehr lesen oder abschalten, nicht mehr abonnieren, uns nur noch als Ihre externe PromotionAbteilung missbrauchen, keine Leserbriefe mehr
schreiben oder sich gar nicht mehr interessieren,
was wir Ihnen vorzustellen versuchen.
Deswegen die schlichten (schlechten?) News:
WIR MEDIEN haben versagt.
33
magazin
BERNER KULTURMENSCHEN
haare und bewegung
Von Eva Mollet (Foto: Eva Mollet)
■ Nathalie Danja Streit ist zweiunddreissig Jahre
alt und wird im Freundeskreis Naz (in englischer
Aussprache) genannt. Häufig trägt sie eine Hose
und darüber einen Jupe. Sie hat eine Tendenz zur
Schuhsucht. Trotzdem besitzt sie nicht Unmengen
davon, weil sie stets nach dem Paar mit dem gewissen Etwas sucht. Naz hat eine grosse, knallrote
Tasche. Das erklärt, warum die Suche nach dem zirpenden Handy manchmal etwas länger dauert. Ihre
Haare sind dunkel und sehr lang, die Fransen kürzt
sie sich selbst. «Meine Mutter war früher Coiffeuse. Alle meine Puppen, auch die Barbies bekamen
von mir einen Kurzhaarschnitt verpasst.» Bis heute
schneidet sie eigenwillige Frisuren im Freundeskreis.
Naz wächst in Thun auf. In der Freizeit pinselt
sie viele Blätter voll. Sie bevorzugt die grossen Formate, malt rasch und verlangt nach dem nächsten
Papier. «Meine serielle Produktion brachte die Malpädagogen zur Verzweiflung.»
Nach der kaufmännischen Ausbildung geht Naz
als Au-pair nach London. In der Grossstadt erwacht
ihre Liebe zur Fotografie. Sie besucht viele Ausstellungen und experimentiert mit der Video- und der
Fotokamera. Naz arbeitet als Webdesignerin. In der
Freizeit fotografiert, filmt und malt sie.
Haare sind ein zentrales Motiv auf ihren Fotos.
Haare in Bewegung: wallend, sträubend oder peitschend. Das Bild «Raumangst» zeigt eine bewegte
Mähne in der bedrückenden Enge eines Raumes.
Für Naz symbolisieren die Haare hier Freiheit und
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Ausbruch aus der Enge. Diese Fotografie ist während eines vierwöchigen Kurses an der Sommerakademie für bildende Künste in Salzburg entstanden
und ist im Businesspark Köniz ab Mitte November
zu sehen. Es misst 130 x 200 cm und ist ein Silbergelatine-Abzug von Hand vergrössert. Zuerst wird
ab Digitalbild eine Folie gedruckt, welche als Negativ für die Handvergrösserung dient.
Auf vielen Bildern ist Naz ihr eigenes Modell.
«Der Vorteil liegt darin, dass Ideen sich sofort ohne
Verzögerung umsetzen lassen.» Naz ist begeistert
von der Möglichkeit, Bewegungen sichtbar zu machen. Dazu wendet sie unterschiedliche Techniken
an: Wenn sie sich filmt, schränkt die Armlänge den
Blickwinkel ein und schafft zufällige Ausschnitte.
Das Gefilmte wird auf dem TV-Bildschirm abgespielt
und an ausgewählter Stelle angehalten. Die Farbgebung kann manuell verstellt und zusätzlich verfremdet werden. Naz fotografiert diesen manipulierten
Filmausschnitt ab Bildschirm. «Mich fasziniert diese
Entfremdung des Bildes durch den distanzierten
Blick auf den Fernseher. Bei der Vergrösserung solcher Fotografien werden die RGB-Punkte und der
Bildaufbau des Fernsehbildes sichtbar gemacht. Dadurch erhalten die Fotos eine zusätzliche Struktur
durch gewellte Linien und dunkle Balken.»
Der Austausch mit anderen Kunstschaffenden
ist für Naz wichtig. Sie ist Mitgründerin einer Künstlergruppe mit dem Schwerpunkt Fotografie und
Video. Die Beteiligten treffen sich regelmässig, kritisieren sich gegenseitig, fördern und fordern sich.
Trotzdem kann Naz sich vorstellen, sich irgendwann
beruflich in Richtung Kunsttherapie mit Schwerpunkt Kreativitätsförderung zu orientieren.
Die Veränderung Zusammen mit ihrem Freund
reist Naz per Auto durch Südengland. Der Lenker
auf der Gegenfahrbahn fährt mit 80 km/h frontal
ins Auto der beiden Touristen. «Nach dem Unfall
habe ich mein Leben umgekrempelt.» Naz reduziert
ihre Arbeit als Webdesignerin. Weg vom Businesserfolgskurs und hin zum Ausleben ihrer Kreativität.
Pausen-Bilder und Play-Bilder «In unserer
Leistungsgesellschaft funktionieren wir, als ob wir
aktiviert würden durch eine Play-Taste. Aber Pausen zum Verschnaufen sind wichtig und wertvoll,
sie können Veränderungen auslösen.» Zu diesen
beiden Gegensätzen inszeniert Naz Play-Bilder und
Pausen-Bilder. Die Play-Bilder sind alle verschwommen, sie zeigen die Geschwindigkeit und die Bewegung. Menschen in Aktivität, fotografiert mit einer
verlängerten Verschlusszeit, sind auf dem Bild
kaum noch sichtbar. Die Pausenbilder sind scharf,
das Innehalten ermöglicht den genauen Blick auf
die Dinge.
Naz hat drei Fotos für die Weihnachtsausstellung im Centre Pasqu’art eingereicht. Wer sich die
Ausstellung in Biel anschaut, findet heraus, ob ihre
Bilder dabei sind.
Infos: www.na-da.ch
ensuite - kulturmagazin Nr. 48 | Dezember 06
magazin
Bild: Gretlers Panoptikum zur Sozialgeschichte, Zürich
STADT UND LAND
vom wert der arbeit
Von Anne-Sophie Scholl - Ein Meilenstein in der Geschichtsschreibung des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes
■ Rico kam ein erstes Mal als illegaler Arbeiter
in die Schweiz. Später kam er wieder, als Saisonnier. Mittlerweile ist er Gruppenführer in einem
Ostschweizer Industriebetrieb und bewohnt mit
seiner Familie ein eigenes Haus. Wenn er seine Eltern in Kalabrien besucht und mit seiner Frau und
seinen beiden Söhnen in einem grossen Auto vorfährt, wird der soziale Aufstieg deutlich. Den Gewerkschaften in der Schweiz traut er keine grosse
Macht zu. Arbeitspolitische Änderungen seitens
der Firmenleitung nimmt er hin und fühlt sich
in seinem Betrieb gut behandelt. Bei allfälligen
Schwierigkeiten, wie beispielsweise rassistischen
Sprüchen seitens der Arbeitskollegen, spricht er
mit seinem Meister.
Auch Sonja ist wenig überzeugt von der Bedeutung der Gewerkschaften: Wie alte, machtlose
Nörgeler kommen ihr diese manchmal vor. Sie hat
ein ausgeprägtes Unabhängigkeitsbedürfnis und
möchte nicht Forderungen und Strategien akzeptieren müssen, die vielleicht gar nicht ihren eigenen Vorstellungen entsprechen. Die 23-Jährige
arbeitet neben ihrem Studium bei der Post. Diese
Teilzeitstelle hat sie schnell gefunden, nachdem sie
wegen Umstrukturierungen ihren früheren Posten
bei einer Bank verloren hatte.
Maria war einmal zu einer Gewerkschaft gegangen, um sich über ihre Rechte zu informieren und
um sich Unterstützung gegen einen Arbeitgeber
geben zu lassen. Doch die Gewerkschaft tat nichts.
Vielleicht weil ihr die Angelegenheiten einer illegalen Krankenschwester aus Honduras zu riskant
waren?
Dienstleistungsgesellschaft und neoliberale
Arbeitsmodelle In den letzten Jahrzehnten hat die
Schweiz einen grossen Strukturwandel durchgemacht. Vor 50 Jahren noch war gut die Hälfte der
ensuite - kulturmagazin Nr. 48 | Dezember 06
Bevölkerung im produktiven Gewerbe tätig, heute
sind nahezu drei Viertel im Dienstleistungssektor
beschäftigt. Mit der Abnahme des Industriesektors
schwand das traditionelle Rekrutierungsfeld der
Gewerkschaften. Die Arbeitseinheiten im Dienstleistungssektor sind viel kleiner als in klassischen
Fabrikhallen und flexible Arbeitszeiten schwächen
das Zusammengehörigkeitsgefühl unter den Arbeitenden. Eine individuelle Lebensgestaltung hat
gegenüber kollektiven Werten an Bedeutung und
Attraktivität gewonnen. Wiewohl wirtschaftlich
schwierige Zeiten in den 70er und in den 90er
Jahren einen grösseren Bedarf nach Rückhalt in
organisierten Arbeitnehmerschaften hätten hervorrufen mögen, reagierten viele lieber mit Angst
und Passivität als mit Protest.
Die Aktivitäten der Gewerkschaften haben sich
von der Mobilisierung auf der Strasse zunehmend
auf politische Arbeit verlagert. Viele Anliegen,
für die die Gewerkschaften in der Vergangenheit
gekämpft haben, sind zudem heute institutionalisiert. Zum Beispiel die Arbeitslosenversicherung:
Mit dem Obligatorium Anfang der 80er Jahre sind
die Gewerkschaften zu ausführenden Instanzen einer staatlichen Institution geworden. Eine Welt, in
der sich der Blick von den Arbeitenden auf Aktionäre und aufs Management verlagert hat, tut aber
Not daran, weiterhin für Selbstwert, Würde, Gleichberechtigung, Anerkennung und Gerechtigkeit zu
kämpfen.
Geschichte und Geschichten Zum 125-jährigen
Jubiläum des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes wird die Geschichte der Arbeitenden in der
Schweiz von einer Gruppe unabhängiger Historikerinnen und Historiker nacherzählt. Sich ändernde
historische Gegebenheiten, struktureller Wandel,
neue Herausforderungen und neue Bedürfnisse
zeichnen zugleich auch mehr als hundert Jahre
Schweizer Geschichte und zeigen, wie die Ereignisse der Weltgeschichte sich auf den Alltag der arbeitenden Bevölkerung und deren Nöte ausgewirkt
haben: Der erste Weltkrieg, die Weltwirtschaftskrise und der zweite Weltkrieg, die wirtschaftliche
Hochkonjunktur im Kalten Krieg und die neusten
neoliberalen Wirtschaftsordnungen sind die grossen Stationen in dem Buch.
In den historischen Bogen eingebunden finden
sich klug ausgewählte Geschichten, die den historischen Abriss lebendig werden lassen: Der 14. Juni
1991 beispielsweise, der Tag des nationalen Frauenstreiks, der als eine der grössten politischen
Demonstration in die Schweizer Geschichte des
20. Jahrhunderts einging. Oder der Arbeitskampf
in der Zentralwäscherei Basel, bei dem es vorab
Migrantinnen waren, die sich erfolgreich gegen
Lohnkürzungen durchsetzten. Oder die Geschichte
von Margarethe Faas-Hardegger, der ersten Arbeitersekretärin des SGB, die für das Glück auf Erden
kämpfte. Lebendig werden diese Geschichten auch
in den sprechenden Gesichtern auf zahlreichen
historischen Aufnahmen, die ebenfalls von mehr
als hundert Jahren Arbeit, Armut und Elend aber
auch von Zusammenhalt, gemeinsamem Kampf
und von Freude erzählen.
Vom Wert der Arbeit. Schweizer Gewerkschaften – Geschichte und Geschichten.
Mit zahlreichen historischen Aufnahmen. HerausgeberInnenkollektiv: Valérie Boillat, Bernhard Degen, Elisabeth Joris, Stefan Keller, Albert Tanner,
Rolf Zimmermann. Bildredaktion: Roland Gretler.
Rotpunktverlag 2006.
35
magazin
REISEZIEL HOTEL
winterzauber
im binntal
Von Andrea Baumann (Bild: A. Baumann)
■ Zuhinterst im Binntal auf 1398 Metern thront
seit 1883 das Hotel Ofenhorn, umringt von Bergen
und urtümlichen Walliser Holzhäusern. Das südliche
Seitental der Rhone im Goms ist, trotz seiner vermeintlichen Abgeschiedenheit, schon zu Römerzeiten bereist worden und der Albrunpass war damals
ein wichtiger Übergang nach Italien. Insgesamt fünf
Passübergänge führen in den Naturpark Veglia-Devero im benachbarten Piemont. Nebst 150 Kilometer
unterhaltenen Spazier- und Wanderwegen hat das
Binntal noch etwas Besonderes zu bieten: Es ist weitum bekannt für seinen Reichtum an Mineralien. Die
Fundstelle Lengenbach ist eine der zehn berühmtesten Mineralfundstellen der Welt.
Im Hotelprospekt ist zu lesen: «Kommen Sie
mit uns auf eine Zeitreise, ins traditionsreiche Hotel Ofenhorn im wildromantischen Binntal. Zimmer,
Gänge und Speisesaal atmen noch immer den Geist
der Belle Epoque, der Pionierzeit der Hotellerie. Die
knarrenden Böden flüstern manch vergessenes Geheimnis».
Das tradiditonsreiche Berghotel im Stil der Belle
Epoque empfing anfänglich vor allem Engländer als
Gäste – darunter auch Winston Churchill. Es gehörte zur guten Ausbildung eines jungen Engländers
adeligen Geschlechts, gutbürgerlichen oder akademischen Familien, mit einem Lehrer den Kontinent
zu erkunden. Schnell lernten die Reisenden die
Schweizer Alpen und Bergseen kennen und lieben
und der Reisetipp machte die Runde, so dass immer
mehr Touristen im Sommer in die Schweiz reisten.
Vor allem die Berggipfel wurden zu beliebten Trophäen und ein Wettkampf um die Erstbesteigungen
entflammte.
Das Zeitalter des «Fin de Siècle» bedeutete die
Booming-Jahre der Schweizer Hotellerie. Hotelpaläste in Städten und Bergregionen schossen wie
Pilze aus dem Boden. Und als die Eisenbahn, das
Schienen- sowie Strassennetz weiterentwickelt wurden, strömten erlebnishungrige Touristen in Scharen in die Schweiz. Dank der industriell gefertigten
Stahlseile bezwangen bald Standseilbahnen und
Zahnradbahnen steile Hänge. In den abgeschiedensten Tälern, auf exponiertesten Felsvorsprüngen und
Hügeln wurden Hotelpaläste erbaut.
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Binn blieb während dieser ganzen Bau-Euphorie
bescheiden und das Hotel Ofenhorn erhielt keine
Konkurrenz. Bedingt durch die geografische Lage
war Binn lange Zeit nur ein Sommerort. Erst durch
den Tunnelbau in den Jahren 1963/64 wurde die
1936-38 erbaute Strasse wintersicher. Überhaupt hat
das Goms eine besondere Tourismusentwicklung im
Vergleich zu anderen Walliser Regionen erlebt, da es
erst seit der Erschliessung durch die Bahn und den
Lötschbergtunnel ganzjährlich zugänglich wurde.
Deshalb verfielen einige Gebiete des Goms während
mehreren Jahren in einen Dornröschenschlaf, können sich aber heute rühmen, keine Bausünden begangen zu haben. Obschon Binn seit Mitte der 60er
Jahre im Winter nicht mehr vom Rest des Tals abgeschnitten ist, konnte sich der Wintertourismus noch
nicht manifestieren. Das Hotel Ofenhorn schliesst
jeweils die Türen mit Ende der Wanderzeit so Mitte
Oktober. Auch die übrigen Übernachtungsmöglichkeiten im Dorf stellen ihre Betriebe über die Winterzeit ein.
Ein paar gewiefte Walliser Köpfe waren überzeugt, dass mit einem guten Nischenprojekt auch im
Winter Gäste den Weg ins entlegene Binn unternehmen werden. Über Weihnacht/Neujahr 05/06 haben
Rita Huwiler, Patricia Meyer und Andreas Weissen
den Versuch gewagt, das Hotel Ofenhorn an vierzehn Wintertagen zu öffnen. Der Erfolg war derart
gross, dass es rund um den Jahreswechsel 06/07 zu
einer Neuauflage kommt. Das Erfolgsrezept lautet
«geniessen Sie tagsüber den Winterzauber der verschneiten Landschaft, abends ein piemontesisches
Viergang-Menue und zum Abschluss den kulturellen
Höhepunkt». Auch dieses Jahr vom 23. Dezember
2006 bis 5. Januar 2007 verspricht der Verein
«BinnKultur» mit den «Binner Kulturabenden»
eine vielfältige Palette an kulturellen Leckerbissen.
Musikalisch wird von Klassik, Jazz, Blues, Rock bis
hin zu Folk die gesamte Bandbreite angeboten. Für
das Kammermusikkonzert steht das international
bekannte Musikdorf Ernen Pate. Es wird aber nicht
nur musiziert über die Feiertage; ergänzt wird das
Kulturprogramm durch Lesungen, Vorträge, Filme, Bilderausstellungen, Rundgänge und Weinverkostungen. Einblicke in Themen wie das Strahlen
(Kristallsuchen), die Geheimnisse der Pflanzen oder
Sagenerzählungen versprechen, Raritäten des Binntals entdecken zu können.
Aus Baceno im angrenzenden Piemont stammt
der Störkoch Achille Lavazza (nein, nicht der vom
Kaffee). Er wird während den zwei Wochen aus
heimischen Walliser Bioprodukten piemontesische
Rezepte zaubern. Ein Viergang-Menü könnte folgendermassen zusammengestellt sein: Als Antipastio
eine Frittata albese, als Primo eine Zuppa di ceci, als
Secondo Spezzatino di manzo al Bruschet und als
Dolce eine Crostata pere e cioccolato. Nach einem
aktiven Wintertag in der verschneiten Landschaft
erübrigt sich bestimmt die Frage nach dem gesunden Appetit und so kann jedes Abendessen zu einem
lukullischen Festschmaus werden. Tags darauf kann
alles wieder kalorienmässig abtrainiert werden,
wenn es denn Dionysos ermöglicht. So lassen sich
während den vierzehn Tagen im ursprünglichen Walliserdorf Binn Körper und Geist verwöhnen und in
Einklang bringen.
Anreise/Abreise:
Mit dem öffentlichen Verkehr ist Binn ab Brig in
einer Stunde erreichbar.
Ab Fiesch fährt mehrmals täglich ein Postauto.
Sportliche Aktivitäten:
Schneeschuhwanderung
Winterwandern
Ski, Langlauf, Schlitteln
Detailliertes Kulturprogramm:
www.ofenhorn.ch
www.andreas-weissen.ch
Wohlfühl-Massagen:
Verschiedene Entspannungs- und Heilmassagen
Kontakte / Infos:
Hotel Ofenhorn, 3996 Binn
E-Mail: [email protected] oder
[email protected]
Preise: Sehr moderat
ensuite - kulturmagazin Nr. 48 | Dezember 06
magazin
GASTRONOMIE
kneipen-kur für aufsässige eidgenossen
Von Jean-Luc Froidevaux (Bild: Jean-Luc Froideveaux)
■ Obschon jemand am Bedienen ist, juckt Kurt
zwischen jedem Satz auf, um nach dem rechten zu
sehen. Wird er sich von seinem Lebenswerk trennen können? Die Butter in Jäggus Einkaufstasche
ändert derweil ihren Zustand ähnlich schnell zum
weichen hin, wie er seinen vom nüchternen weg. Er
wollte nach Hause, um seine Freundin vom traumatischen Erlebnis der englischen Küche zu therapieren, was ihn aber nicht davon abhält, mit mir über
die biologische Determiniertheit des zirkadianen
Rhythmus zu rätseln und einen weiteren Pastis zu
bestellen.
Tris nebenan stochert in einem legendären Eidgenossen-Croque und schildert, wie er im Knast war,
weil er das Obligatorische nicht geschossen hat.
Interpunktion kennt er bloss, um lautstark durch
die langgezogene Kneipe nach einem «Herrgöttli!»
zu brüllen. Dies irritiert die drei reifen Szenegänger nicht im Geringsten, die sich in unmittelbarer
Flüsterdistanz gegenseitig in lukullischem Geheimwissen überbieten. Der Partyflyer nimmt das KnastMotiv wieder auf: 21 weisse Striche in Fünfergruppen angeordnet auf schwarzem Grund stehen für 21
Jahre «Drei Eidgenossen». Für 21 Jahre Kurt Bürki.
Für 21 bewegte Jahre, wie er meint. Wenn er auch
nicht den Eindruck macht, diese Jahre abgesessen
zu sein, so scheint Kurt doch froh, in den neuen Betreibern Bärni Schluep und Dano Güntert eine stimmige Nachfolge gefunden zu haben. Dano gehört
seit vierzehn Jahren zum Team und Bärni arbeitete
als Barkeeper und DJ.
Die wilden Jahre Eine Dame bittet im Vorbeigehen um eine Nackenmassage und verblüfft die
drei Herren tatsächlich eine Nanosekunden lang.
Früher wurde auf Tischen getanzt und ein ungrades
ensuite - kulturmagazin Nr. 48 | Dezember 06
Mal kam ein schwuler Frisör kaum bekleidet durchs
Lokal gelaufen. Besonders zu Zeiten der 80er Bewegung ging es öfters mal recht laut und derb zu
und die braunen Holzbänke erstickten unter dem
Schwarz der Lederjacken. Da sei er dann mit seiner offenen Haltung bei Leuten angeeckt, denen
das zuviel war, meint Kurt. Seither hat das Publikum oft gewechselt. Einige von früher sind selber
in die Jahre oder nach solchen wiedergekommen,
oder wurden abgelöst von neuen, manch einer auch
von seinen eigenen Kindern. Kurt ist geblieben. Und
auch, wenn er jetzt geht, bleibt vieles, wie es über
die Jahre gewachsen ist.
«Mens sana in Campari Soda» würde der national bekannte Herr sagen, der jetzt über die
Holzfliesen zu meinen drei Szene-Gourmets
stösst. Obwohl diese inzwischen zum Businesstalk gewechselt haben, sind die politischen Fronten in der Rathausgasse noch immer wie man sie
stadtaufwärtsblickend wahrnimmt. Die einen im
Geist frei, die anderen bloss im Sinn. Angst davor,
sich in der Weite des Bewusstseins zu verlieren,
kennt man auf dieser Seite jedenfalls kaum, auch
wenn Kurt vor drei Jahren aus eigener Intitiative
das Kiffen aus den Lauben verwiesen hat. Das neue
Team muss noch etwas weiter denken; ab nächsten
Sommer gewinnt die Eidgenossenschaft bis zu drei
Meter Land in der hohlen Gasse.
Die haben mehr als einen sitzen Die beiden
Schachspieler am Ecktisch unter der Leinwand, wo
Champions-League-Spiele und künftig sonntags
auch Musikfilme gezeigt werden, haben sich soeben doch bewegt – ich hielt sie für Raucher-Attrappen zur Steigerung des Gemütlichkeitsfaktors. Ein
Rauchverbot würde passen, wie der Sonnenschirm-
ständer ins Hallenbad. Der neue Apéro-Raum mit
Billardtisch im 1. Stock zumindest wird aber keinen
blauen Dunst von den zwei hübschen ParisienneRaucherinnen am Nebentisch haben. Ich taxiere sie
als Ethnologinnen im dritten Semester, nicht nur
des Gesprächsthemas wegen: radikaler Konstruktivismus. Es hänge stark vom Personal ab, wer sich
hier wohl fühle, meint Kurt. Er habe seinen Angestellten immer viel Freiraum gelassen und einige
davon führen heute selber Lokale, wie «Les Amis»,
«Soleure» oder «Schütti». Bei Einzelnen sei halt
dann schon bereits nachmittags um fünf die Party
voll abgegangen. «Here Comes Pissy Willy» verkünden derweil «Fila Brazillia» aus den Boxen, aus welchen künftig freitags vermehrt gerockt wird. Wie in
den Anfängen sind auch wieder kleinere Konzerte
geplant – akustische Bands, Singer-Songwriter, vielleicht einmal eine Lesung. Ansonsten wird sich wenig ändern. Bärni und Dano haben sich ja schon bis
anhin wohl gefühlt.
Max versucht wieder einmal seine Kunstwerke
zu verkaufen. Vielleicht bezahlt ihm ja die dunkle
Hornbrille, die von der Rinderzucht in Argentinien
schwärmt, einen Zweier Barolo? Jäggu wiegt die
Butter nochmals in der Hand als prüfe er, ob die
Zeit zum Aufbruch gekommen sei. Der Aufbruch in
eine neue, alte Kneipe, wo die vielfältigsten Leute
sich noch zu dir an den Tisch setzen und mit dir
sprechen. Nähe und Auseinandersetzung anstelle
durchstrukturierter Erlebnisgastronomie. Eine kleine Kneipe mit grossem Umfeld.
Restaurant Drei Eidgenossen an der Rathausgasse, es geht gleich weiter: Ab 1.1.2007 17:17 h mit neuem, altem Team.
37
magazin
LESERBRIEFE
[email protected]
Das Museum als
Abschreibungsmodell
Thema: museum franz gertsch
■ In Zeiten, in denen Hedge-Fond-Manager sich
um Kunstwerke der klassischen Moderne bei den
Auktionshäusern Christie’s und Sotheby’s absurde
Bietergefechte in dreistelligen Millionenbereich
liefern, sollte es längst deutlich geworden sein,
dass es bei Kunst oft nicht um Kunst, sondern vor
allem um Geld geht. Ein neues, allerdings erschreckendes Beispiel ist der «Fall Burgdorf». Die Demontage des Franz-Gertsch-Museums und seines
Direktors offenbart in schockierender Weise das
Ausmass eines Turbo-Kapitalismus. Waren bisher
«nur» einzelne Werke der Kunst der Willkür des
Geldes ausgesetzt, wurde jetzt ein ganzes Museum, samt Sammlung, Stiftung und Ankaufsetat
einfach vom Tisch gekippt wie ein Glas Wasser.
Das museum franz gertsch hatte der Unternehmer Willy Michel vor vier Jahren als öffentliches
Haus, mit Hauptwerken von Franz Gertsch, einer
angeschlossenen Galerie und einem international
ausgerichteten Ausstellungsprogramm eröffnet.
Die Skrupellosigkeit, mit der derselbe Unternehmer jetzt seine musealen Ambitionen wieder über
Bord geworfen hat, entspricht ganz der Logik eines Börsendenkens, das allein auf Kauf und Verkauf von Warenwerten fokussiert ist. Von einem
Tag auf den anderen wurde dem Direktor des Museums gekündigt, das Sammeln eingestellt und
das Ausstellungsprogramm abgesagt. Anlass für
die Demontage, so darf man vermuten, ist die Umwidmung des privat gelenkten Museums in eine
Stiftung, die ab Januar 2007 in Kraft treten soll.
Dies nämlich würde bedeuten, dass das Museum
dem Zugriff des Unternehmers entzogen wäre.
Der Direktor wäre nur noch dem Stiftungsrat,
nicht dem Unternehmer selbst verpflichtet. Also
hat Willy Michel seinen engagierten Direktor Reinhard Spieler, der Topkünstler wie Gerhard Richter
nach Burgdorf brachte und dem Namensgeber
des Museums, Franz Gertsch, eine viel beachtete,
europaweite Retrospektive einrichtete, zum Jahresende gekündigt. Lapidare Begründung: «Die
Chemie habe nicht gestimmt.» Die Leitung wurde
mit sofortiger Wirkung einem Verwaltungsjuristen
übertragen, das künstlerische Programm einer Volontärin anvertraut. Vereinbarte Projekte, wie etwa
eine mit der Nationalgalerie Berlin gemeinsam geplante Sugimoto-Schau, werden nicht weiterverfolgt. Kaltblütig wurde eine öffentliche Institution,
die kulturelle Werte vermittelt, wie ein Computer
heruntergefahren. Am Ende hat Willy Michel, ironisch gesehen, sich nur wie ein guter Unternehmer
verhalten: viele Steuern gespart und grosse Kapitalwerte angehäuft. Der «Fall Burgdorf» markiert
damit einen neuen Tiefpunkt in der Wirtschafts38
kultur Europas: Aus Sicht des Geldes scheint die
Institution Museum nur noch ein Finanzobjekt, ein
Abschreibungsmodell zu sein – mehr nicht.
Dr. Joachim Jäger
Museum für Gegenwart, Berlin
Mehr Respekt bitte!
Gefordert von Heinrich Gartentor
Thema: museum franz gertsch
■ Ich war der wohl grösste Fan des museums
franz gertsch. Nicht nur weil ich Direktor Reinhard
Spielers Ausstellungsprogramm sehr schätzte,
sondern weil Willy Michel ohne Staatsbeteiligung
Grossartiges hat wachsen lassen. Liebend gerne
hatte ich darauf aufmerksam gemacht, dass der
Klee-Zentrum-Stifter einfach einen grossen Bau
hingestellt hat, um dann die Betriebskosten zu
verstaatlichen - im Gegensatz zu Michel, der auch
gleich diese stets übernommen hatte. Liebend
gerne hatte ich darauf hingewiesen, dass ich vermehrt Zeitgenössisches gefördert haben möchte und Willy Michel fördert mit Gertsch einen Zeitgenossen. So stellte ich mir Mäzene vor: volles Risiko
für die zeitgenössische Kunst. Arrivierte Tote zu
huldigen ist zwar auch ehrenwert, aber eben auch
«e chli gäbig», weil man nicht viel falsch machen
kann. Ich hatte öffentlich mehr Gertsch und weniger Klee gefordert.
Ich ging soweit, dass ich in der Vernehmlassung
zum neuen Kulturfördergesetz steuerliche Erleichterungen für Mäzene forderte, welche zeitgenössisches Schaffen fördern - immer mit dem Hinweis,
dass ich nicht verstünde, wieso Willy Michel das
Geld, das er der Kultur zur Verfügung stelle, erst
versteuern müsse. Ich sagte auch immer, die steuerliche Begünstigung sollte ausschliesslich fürs
zeitgenössische Kunstschaffen gelten, da für dieses mit Abstand am wenigsten Geld zur Verfügung
stünde. Ich erklärte unermüdlich, dass davon vorallem die Off-Szene profitieren würde, ich führte
aus, wie das in Deutschland bereits ansatzweise
funktionierte. Und so weiter.
Nun kommt Willy Michel und stellt nicht nur
Spieler das Bein, indem er eine Gangart wählt, die
in der Kultur nichts zu suchen hat: Direktor entlassen, ihm sieben Stunden Zeit geben, das Büro zu
räumen und als Grund die Neuausrichtung des Museums angeben. Willy Michel stellt auch dem gesamten Mäzenatentum ein Bein. Dieses wird nicht
ungeschoren aus der Affäre herauskommen. Man
wird sich in Zukunft stets die Frage stellen, wo der
Hund begraben liege, dass jemand sich als Mäzen
betätige. Man wird in Zukunft wohl immer am Negativbeispiel Gertsch-Museum gemessen werden.
Willy Michel stellt insbesondere Franz Gertsch ein
Bein, denn Gertsch kann sich zur Affäre «GertschMuseum» nicht äussern. Gertsch ist Michel ausgeliefert. Sagt er etwas gegen Reinhard Spieler, gefährdert Gertsch seinen Ruf. Sagt er etwas gegen
das Museum, gefährdet er das Museum.
Was tut Willy Michel? Er versucht die Affäre
auszusitzen und bezieht keine Stellung. So geht
das nicht.
In Anbetracht dieser befremdlichen Umstände
ist es meine moralische Pflicht, als Kulturminister
Stellung zu beziehen und eine Petition zu lancieren, die mehr Respekt fordert. Diese Petition bitte
ich zu unterzeichnen. Man soll sich nicht alles bieten lassen.
Also: www.mehrrespekt.ch
Heinrich Gartentor ist Künstler, Autor und Kulturminister der Schweiz.
Thema: Kulturberichterstattung
Tacheles-Veranstaltung vom 21. November 2006
■ Gute Kulturberichterstattung lebt in der Tat
von Persönlichkeiten, die eine Position und eine
Linie haben, aber auch von einem Konzept. Denn
ein Kulturressort einer Zeitung mit lauter Persönlichkeiten, die alle eine andere Vorstellung von der
Funktion der Kulturberichterstattung haben, entfaltet eine chaotische Wirkung. Darum ist ein Konzept nötig: Was ist unsere Rolle? An wen richten
wir uns? Wie sichern wir unsere Unabhängigkeit?
Es sollte beispielsweise nicht die Rolle eines Literaturchefs einer Kulturredaktion sein, dass er sich
für wichtiger und bedeutender als sämtliche Dichter und Schriftsteller aller Zeiten hält. Und: Die
Kulturberichterstattung sollte sich nicht in erster
Linie an die Kulturveranstalter adressieren, also
an die Intendanten, Kuratoren, Ensembles, Künstler, sondern an das kulturräsonnierende und kulturkonsumierende Publikum; in zweiter Linie aber
auch an die Kulturveranstalter, und zwar durchaus
mit einem kritischen Ansatz. Schliesslich: Die Kulturberichterstattung sollte sich durch die Kulturinstitutionen nicht korrumpieren lassen. Nähe zu
den Kulturveranstaltern ist zwar wichtig, damit die
Medienschaffenden auch verstehen, was deren Intentionen sind, aber Nähe darf nicht in Komplizenschaft umkippen.
Roger Blum
Professor für Kommunikations- und Medienwissenschaft, Universität Bern
ensuite - kulturmagazin Nr. 48 | Dezember 06
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39
John M Armleder
Furniture Sculpture 45, 1983, gouache, peinture
acrylique sur toile et coiffeuse
Coll. Daniel Varenne. ©Mamco, Genève – Photo I. Kalkkinen, Genève
Aus der Ausstellung «John M Armleder» im
Mamco, Genf
artensuite
40
Welches Möbel hätten Sie denn gern?
John M Armleder. Amor
Vacui, Horror
Vacui
Mamco. Musée
d’art moderne et
contemporain,
Genf, 10, rue de
Vieux-Grenadiers.
Geöffnet Dienstag bis Freitag
12:00-18:00 h,
Samstag und
Sonntag 11:0018:00 h. Bis 21.
Januar 2007.
■ John M. Armleder, 1948 in Genf
geboren, hinterlässt seine performativen, flächendeckenden und raumgreifenden Spuren in der künstlerischen
Landschaft der Schweiz seit nun
schon fast vierzig Jahren. Zweifelsohne ist er einer der wichtigsten zeitgenössischen Künstler unseres Landes.
Sylvia Rüttimann
Über mangelnde Ausstellungspräsenz
konnte er sich daher bis jetzt kaum
beklagen – in den letzten drei Jahren
hat er an mindestens achtzig Gruppenausstellungen teilgenommen. Die
Einzelausstellungen hingegen halten
sich in Grenzen. Da war zwar 1986
seine Teilnahme an der Biennale in
Venedig, 1993 gab es in der Wiener
Secession eine Überblicksausstellung und fünf Jahre später folgte die
Staatliche Kunsthalle Baden-Baden.
Aber erst jetzt widmet ihm das Genfer mamco eine Retrospektive seines
Schaffens, lässt den Künstler aber
auch gleich selber kuratieren. Über
vier Stockwerke und dreissig Räume
breitet sich nun sein Werk aus. Dass
man sich ein wenig wie in einem Einrichtungsgeschäft vorkommt, kommt
nicht von ungefähr. Denn Möbel haben es dem Mann mit dem langen
Zopf seit jeher angetan.
«Furniture Sculptures», kurz «FS»,
nennt sich denn ein wichtiger Teil
seines Werks. Nicht wenig hatte man
wohl gestaunt, als Armleder 1979 einen Stuhl, dessen abgesteppte Lehne
er zur Hälfte Weiss bemalt und mit
einem feinen diagonalen Strich versehen hatte, als seine erste Möbelskulptur vorstellte. Auf jeden Fall staunte
auch die Teilnehmerin einer Führung
im Mamco, als sie mit Armleders
Kunst der Appropriation, wohl zum
ersten Mal in Berührung kam. Sie tat
dies der Kunstführerin auch gleich
mit einer kritisch-fragenden Bemerkung kund. Es sei leichter sein Werk
zu verstehen, wenn man sich in der
Kunstgeschichte auskenne, antwortete diese. In der Tat, wie bei vielen zeitgenössischen Künstlern, aber gerade
bei ihm, ist man gut bedient, wenn
man weiss, worauf sich die Werke beziehen. Denn Armleder macht klare
Bezüge zur Moderne, indem er erstens ihr Formenvokabular gebraucht,
und zweitens sich aus dem Fundus
von modernistischen Möbeln bedient
und diese als Materialien seiner Kunst
verwendet. Daher sein Stuhl mit bemalter Lehne, mit dem es ihm gelang
die Kunstgeschichte zu kommentierten und gleichzeitig weiterzuführen.
Seitdem ist er daran, sich Vorgegebenes anzueignen, zu verwandeln und
weiterzuentwickeln, und dies auf eine
so wohltuend spielerische, ironische,
subversive Art und Weise, dass man
sich oft das Schmunzeln nicht verkneifen kann.
Denn wem kommt es schon in den
Sinn, modernistische abstrakte Gemälde aus mehreren farbigen Tischen,
elektrischen Gitarren oder verspiegelten Plexiglaskugeln zusammenzustellen? Aus Skateboards und Kleidern?
Armleder hat es getan. So trifft man
beim Gang durch die vier Stockwerke des mamco auf ein von weitem als
flach erscheinendes Bild, das aus einer
roten, gelben und blauen und mehreren braunen und grünen Farbflächen
besteht. Beim Nähertreten realisiert
man, dass es ein Objekt ist, bestehend
aus jenen unsäglichen Fünfziger-Jahre-Tischen, wie sie noch in manchen
Wohnungen vorzufinden sind. Armleder scheut sich nicht, mit Objekten
zu «malen» und somit gründlich mit
den puristischen Regeln der Moderne
zu brechen. Denn diese sah ein Vermischen von «high» und «low», Malerei und Skulptur eigentlich nicht vor.
Armleder agiert hier sehr ungezwungen, ganz nach der Devise der Vermischung von Kunst und Leben. Und
doch sind seine Installationen geprägt
von einem Sinn für Komposition,
sind eigentümliche Mischungen aus
modernistischer, ja minimalistischer
Form und dem Alltag entlehnter, billiger und massentauglicher Materialien.
Dies kommt nun vor allem in den
vom Künstler speziell eingerichteten
Räumen des Mamco zur Geltung.
Durch die kann man genüsslich
wandern und sich immer wieder von
einer neuen «Einrichtung» und einer
neuen Atmosphäre überraschen lassen. Und das ohne auf eine kunsthistorische, chronologische Ordnung
seines Werks achten zu müssen, den
diese gibt es nicht. Die Räume verbreiten eine intensive Stimmung unter
anderem dadurch, dass der Künstler
seine Objekte nicht nur speziell anordnet, sondern gleich auch noch die
Wände einer Umwandlung unterzieht,
indem er sie einerseits mit Stoff, Watte
oder Folie einkleidet oder mit Motiven wie Quallen bedeckt. So befindet
sich sein Möbelobjekt bestehend aus
einem Betonquader, einem Tisch und
einer Harfe zusammen mit einer Bildinstallation in einem Raum, der ganz
mit flauschigem, an einen Flokatiteppich erinnernden Material überzogen
ist und eine Stimmung von siebziger
Jahre gepaart mit minimalistischem
Barock verbreitet – oder so ähnlich.
Ein anderer Raum weist eine dunkle
gefältelte Stofftapete mit Rüschenabschluss auf, darauf hängen drei Tupfenbilder Armleders. Zwei stecken in
alten Rahmen und erwecken so den
Eindruck, älteren Ursprungs zu sein
und von einem anderen Künstler
zu stammen. Zusammen mit der an
eine Sargeinfassung erinnernden Tapete könnte man denken, hier trage
jemand den Modernismus zu Grabe.
Aber dann ist da der ganz neu entworfene Raum mit waagerecht angeordneten Neonröhren, die den
ganzen Raum von unten nach oben
überziehen, der wiederum Assoziationen an Minimalismus weckt. Das
Licht springt von der einen Röhre zur
anderen und so den Wänden entlang
nach oben. Es ist nicht fassbar und
daher schon fast ein wenig eine Metapher für Armleders Kunst, die, wie
der Künstler einst selbst gesagt hat,
nicht an Bedeutung interessiert ist.
Oder vielmehr: Der Besucher schafft
sich seine eigene Bedeutung. Dies ist
definitiv eine Reise nach Genf wert.
artensuite | Dezember 06
Fiktionen der Wirklichkeit
■ «Wie hat das bloss passieren können?», wird sich schon manch einer
gefragt haben, der bereits einmal
Opfer eines Taschendiebstahls geworden ist. Hätte man besser Acht
geben sollen? Wäre nicht etwas zu
bemerken gewesen? Angesichts des
Videos «L’ école des pickpockets» des
belgischen Künstlers Sven AugustijSylvia Mutti
nen wird man jedoch unweigerlich
zum Schluss kommen, dass Taschendiebstahl eine höhere Kunst ist, die
ihre Ästhetik des Verschwindens bis
zur Perfektion versteht. In einem kuriosen Seminar weist ein Meisterdieb
seine Schützlinge in die Geheimnisse
des perfekten Diebstahls ein, und das
in einer Fingerfertigkeit, die jegliche
negative Konnotation gegenüber dem
frevelhaften Treiben schwinden lässt
und man fasziniert zuschaut, wie den
«Opfern» trickreich die Taschen gelehrt werden. Beeindruckend ist, wie
die Wahrnehmung der zu Bestehlenden mit kleinen Gesten immens manipuliert werden kann, so dass ihnen
im vollen Bewusstsein darüber, dass
ihnen etwas entwendet wird, keine
Chance bleibt, die Diebstähle zu verhindern. Ihr Fühlen, Hören, Sehen
und Denken scheint sich nicht gleichzeitig abzuspielen, eine Tatsache, der
sich Augustijnens Meisterdieb bedient
und damit demonstriert, wie unsere
Wahrnehmung beschaffen ist, nämlich äusserst selektiv.
Die Ausstellung «Éclipses du Réel»
im Fri-Art Centre d’ Art Contemporain
in Fribourg beschäftigt sich in vier Installationen zeitgenössischer Künstler
mit der Wahrnehmung von Realität,
deren Grenzen oder das unmögliche
Vorhaben, die Wirklichkeit überhaupt
umfassend darstellen, aufnehmen
und empfinden zu können. Die Konzentration auf vier Einzelpositionen
ist lohnend und lädt ein, sich mit der
Vorspiegelung falscher Tatsachen und
dem Vertrauen der Umwelt gegenüber vertieft auseinanderzusetzen.
Zwischen verstörender Beklemmung,
geschärften Sinnen, verspieltem Ernst
und hintergründig Vordergründigem
lassen die vier Kunsträume die eigene
Wahrnehmung an sich selbst ergrünartensuite | Dezember 06
den und sie zugleich auch wieder in
Frage stellen.
In seiner interaktiven Installation
«Theatrum mundi» lässt Peter Aerschmann zwei Welten aufeinanderprallen: Auf der einen Seite der Projektion
eröffnet sich eine simple, alltägliche
Kulisse mit banalen Protagonisten,
ein kleines Universum zusammengesetzt aus Versatzstücken und kulissenhaft ineinander geschoben.
An der gegenüberliegenden Wand
findet sich die grosse Welt in Form
von Zeitungsausschnitten, Schlagzeilen und Fotografien als Gegenstück
zur Alltagsrealität. Meldungen und
Bildinformationen werden hier zu einem Puzzle verdichtet, das im ganz
wörtlichen Sinn ein Bild der Realität
abgibt. Aerschmann gestaltet die Welt
im Fokus eines runden Lichtkegels,
während links und rechts davon alles
im schwarzen Umraum verschwindet
und in der Dunkelheit dem Vergessen
preisgegeben wird. Was der Lichtkegel nicht erfasst, was nicht in den Medien stattfindet, ist nicht präsent und
existiert dennoch, weit weg von der
Kenntnis des einzelnen, dessen Blick
nur ein Fragment, einen Ausschnitt
aus dem Ganzen erhaschen kann,
das für seine eigene kleine Welt vielleicht gar nicht so sehr wesentlich ist,
wo alles seinen gewohnten Lauf geht
und der dokumentarische Anspruch
sich auflöst. Die Massenmedien beanspruchen diesen gleichwohl, funktionieren im Grossen allerdings nicht
weniger fragmentarisch als die Welt
im Kleinen. Auf Knopfdruck lassen
sich beide Seiten ganz einfach wegzappen zu einer anderen Szenerie,
einem anderen Ausschnitt, einer anderen Fiktion von Realität.
Ebenfalls im Schwarzraum lässt
Ryan Gander unsere Sinne an ihre
Grenzen stossen. Nur langsam gewöhnen sich die Augen an die Dunkelheit und erblicken einen Fernseher,
der zweckentfremdet mit der Bildfläche gegen die Wand in einem Halo
aus Farben zu schweben scheint. Das
gesendete Testbild hat keinen Informationsgehalt und gerät an der Wand
als Projektionsfläche zu einem auratischen Schein. Eine weibliche Stimme
aus dem Off lädt das abwesende Bild
mit ganz persönlich gefärbten Erzäh-
lungen auf, aus denen offensichtlich
wird, dass ein vermitteltes Bild niemals gelebtes Leben ersetzen kann,
dass die Erinnerung sich aber auch
auf einzelne herausragende Ereignisse konzentriert. Abwesendes Bild,
Ton und der schwarze Raum sind
Fragmente unterschiedlicher Ebenen,
die in der Betrachterrealität zu einem
eigenen Kino im Kopf zusammenkommen.
In Marco Polonis All-over-Installation «The Desert Room» wird der
Betrachter gar zum Eindringling, der
sich in einem fremden Hotelzimmer
umschauen darf. Während der Ventilator leise surrt, der Computer läuft
und im Fernseher ein arabischer
Nachrichtensender plärrt, stehen die
modernen Fenster zur Welt weit offen. Doch der tatsächliche Ausblick
aus dem Fenster des kargen Hotelzimmers wird durch schwarze Vorhänge verwehrt. Obwohl Poloni für
seine Installation auf eine filmische
Vorlage zurückgreift, gewinnt sie vor
dem Hintergrund der gegenwärtigen
Geschehnisse im Nahen Osten eine
beklemmende Realität. Nicht selten
werden Artikel für Printpublikationen
im Hotelzimmer verfasst, ohne dass
der Journalist je einen Fuss in die
Umwelt gesetzt hätte. Die Informationen dazu stammen aus dem Internet
und dem TV. Eine mehrfach vermittelte Wirklichkeit wird dabei zu einer
eigenen Story, zu einer weiteren Realität, die an einem medialen Ort stattfindet und mit dem journalistischen
Anspruch der Vermittlung von realen
Geschehnissen kaum mehr etwas gemein hat. Poloni lässt den Betrachter an einer Geschichte teilhaben, in
der die Hauptfigur abwesend ist und
befördert uns an ihrer Stelle in eine
Situation, in der man zugleich passiver Zuschauer und aktiv Handelnder
wird: Wenn man sich selbst im Computerbildschirm von hinten an eben
diesem sitzen und hineinstarren sieht,
wird die Realität im gleichen Augenblick zu ihrer eigenen Fiktion, die
über Vermittlung durch ein Medium
und einen veränderten Blickwinkel
entsteht. Gleichzeitig beschleicht einen das leise Unbehagen, im leeren
Zimmer beobachtet zu werden und
sei es nur durch sich selbst.
Éclipses du Réel
Fri-Art Centre d’
Art Contemporain, Petits-Rames 22, Fribourg.
Geöffnet Dienstag bis Freitag
14.00-18.00 h,
Donnerstag
18.00-20.00 h,
Samstag und
Sonntag 14.0017.00 h. Bis 24.
Dezember.
artensuite
41
artensuite
42
Albrecht Dürer
Adam und Eva, 1504,
Kupferstich, 251 x 190 mm
Hieronymus im Gehäus,
1514, Kupferstich,
242 x 185 mm
Das Männerbad, um
1496/97, Holzschnitt,
384 x 278 mm
Kunsthaus Zürich, Grafische Sammlung
Schwarz auf weiss, aber…
Dürer. Meisterstiche.
Schenkung
Landammann
Dietrich
Schindler
Kunsthaus Zürich, Heimplatz 1.
Geöffnet Dienstag bis Donnerstag 10:00-21:00
h, Freitag bis
Sonntag 10:0017:00 h. Bis 21.
Januar 2007.
■ Ein träumender Doktor, ein geharnischter Reiter in Begleitung von Tod
und Teufel, muskulöse Männer in einem Wildbad, ein bibelübersetzender
Kirchenvater in der Studierstube, der
leidende Christus, nackte Frauen bei
mystischen Ritualen, apokalyptische
Offenbarungen, heilige Familien in
idyllischen Umgebungen, kämpfenMonique Meyer
de Meergötter… Die Aufzählung der
Bildmotive, die Albrecht Dürer (14711528) in seinem grafischen Œuvre
umsetzte, könnte um ein Vielfaches
fortgesetzt werden. Zu Bestaunen
gibt es eine Auswahl seiner grandiosen Kupferstiche und Holzschnitte
im Kunsthaus Zürich. Die 55 ausgestellten Blätter entstammen der
Sammlung des Landammann Dietrich
Schindler (1795-1882), die bereits seit
Kriegsende als Leihgabe im Kunsthaus Zürich aufbewahrt und im Jahr
2000 von seinen Nachkommen dem
Kunsthaus als Schenkung übergeben wurde. Schindlers Ziel war es,
das grafische Werk Dürers möglichst
vollständig und in bester Qualität zu
besitzen. Die Sammlung, die sich als
eine der besten Dürer-Sammlungen
der Schweiz rühmen darf, umfasst
denn auch fast das ganze Kupferstichwerk und einen Drittel der Holzschnitte (insgesamt 230 Blätter).
Die aktuelle Ausstellung präsentiert neben den drei sogenannten
Meisterstichen auch magistrale Blätter, die den neuartigen Umgang mit
dem Körper thematisieren. Die Beschäftigung mit der Darstellung der
anatomischen Figur nach Regeln
und Gesetzen verschriftlicht Dürer
ab 1500 in den «Proportionsstudien»,
wofür er Vitruvs Werke intensiv studierte, umsetzte und weiterentwickelte. In dieser «Projektphase» kann
der «Adam und Eva»-Stich (1504) als
Produkt intensiver Auseinandersetzung mit Anatomie, Geometrie, Ikonografie und Symbolik gelten. Aber
bereits früher interessierte sich Dürer
für die Darstellung des nackten Körpers. Oft wird dieses Interesse mit
seiner ersten Italienreise in Verbindung gebracht, wo er mit der Kunst
der italienischen Renaissance, u. a.
mit derjenigen Andrea Mantegnas, in
Berührung kam, was ihm für seine
künstlerische Weiterentwicklung entscheidende Impulse gab. Der Holzschnitt «Das Männerbad» (um 1496/97)
entstand kurz nach dieser Reise, das
Ambiente und die Körpertypen wirken – abgesehen von einigen Details
– aber eher unitalienisch. Dass Dürer
hier den Holzschnitt wählt, den er
sonst grösstenteils für religiöse Darstellungen benutzte, dürfte mit dem
Anliegen, dieses Medium sozial und
künstlerisch aufzuwerten, begründet
werden. Die Aufwertung des Holzschnitts gehörte denn auch unbestritten zu Dürers epochalen Leistungen;
es gelang ihm, den Holzschnitt durch
künstlerische Emanzipation und anspruchsvolle Reproduktionstechnik
dem Kupferstich ebenbürtig zu machen. In den «Apokalypse»-Blättern
(1498) wird eindrücklich sichtbar,
wie Kontur und Schraffierung Träger
von Licht und Schatten werden, der
Raum insgesamt lesbar wird. Dürer
schaffte es, die Linie derart zu verfeinern und zu beleben, dass sie wie
im Kupferstich an- und abschwellen
kann. Flächen, Formen und Materialien werden plastisch und «fühlbar»,
Tiefendimensionen realistisch, feine Hell-Dunkel-Abstufungen durch
Parallel- und Kreuzschraffuren machen eine nachträgliche Kolorierung
überflüssig.
Mit den drei Meisterstichen «Der
Reiter», «Hieronymus im Gehäus» und
«Melencolia I» aus den Jahren 151314 erreichte Dürer den Höhepunkt
seiner Kupferstecherkunst. Mit dem
viel beschriebenen «graphischen Mittelton» konnte er den vom Weiss des
Papiers getrennten Grundton ins Helle und Dunkle steigern und dem Bild
eine atmosphärische Dynamik verleihen. Die scharf und präzis gestochenen Kupferplatten bewirken eine
zart modellierende, malerische und
realistische Wirkung. Oft als Trilogie
betrachtet, bestechen die drei einzigartigen Kunstwerke auch heute noch
durch ihre anspruchsvollen, intellektuellen Bildinhalte, die moralische,
theologische und humanistische Werte und Ideen transportieren.
Die kleine, aber überaus feine und
gelungene Ausstellung schafft es,
dem Besucher das immense druckgrafische Œuvre Dürers kompakt
und übersichtlich zu vermitteln. Die
Blätter erfreuen den Laien wie auch
den Kenner, sie vermögen in ihrer
stupenden künstlerischen und technischen Brillanz immer aufs Neue zu
faszinieren.
artensuite | Dezember 06
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artensuite
Jeanne Chevalier - Rencontre en mots et en images
TROU
■ Seit 1979 erscheint das Kunstmagazin TROU in Moutier. Gerade ist
die 16. Ausgabe dieses Magazins, das
einen etwas anderen Weg beschreitet, erschienen. Das Konzept ist auch
in der aktuellen Nummer gleich geblieben, so dass inzwischen über
achtzig Kunstschaffende ein Organ
gefunden haben, um ihre Arbeit einem interessierten Publikum näher
zu bringen. Kunstschaffende aus allen erdenklichen Sparten, von Malern
über Schriftsteller, von Fotografen
über Musiker bis hin zu Architekten,
sind im Magazin aufgenommen. Sie
erhalten beinahe freie Hand in dem,
was sie präsentieren, nur die Seitenzahl ist beschränkt. Als besonderes
Schmanckerl sind die im Magazin
präsentierten Werke fast durchgehend unveröffentlicht. Der Leser betritt also Neuland und kann auf eine
kleine Entdeckungsreise gehen.
Über die Jahre und Jahrzehnte ist
eine erlauchte Namensliste zusammengekommen: Anne Cuneo, Bram
van Velde, Meret Oppenheim, Rolf
Iseli, Samuel Buri, Rémy Zaugg oder
Mario Botta, um nur ein paar zu nennen.
Die 16. Ausgabe vereinigt wieder
fünf kreative Köpfe aus unterschiedlichsten Bereichen. Ivan Theimer, geboren 1944 in Mähren, lebt als Maler,
Bildhauer, Zeichner und Designer für
Kostüme und Dekors in Paris. Er präsentiert in TROU seine Skizzen und
Ideen zu einer «Don Giovanni»-Insartensuite | Dezember 06
zenierung in Göteborg aus dem Jahr
2003. Es sind Szenenbilder, die von
Theimers ganz eigener Vision der Inszenierung zeugen. Kein historisches
Bühnenbild ist zu sehen, sondern ein
auf geometrische Elemente reduziertes mit wiederkehrenden Motiven wie
Skeletten oder maskenartigen Gesichtern.
Die aus Moutier stammende Jeanne Chevalier (1944 geboren) lebt und
arbeitet in Spanien und der Schweiz.
Sie ist bekannt für ihre Foto- und
Textreportagen, die in zahlreichen
Büchern publiziert wurden. Für TROU
wählte sie unter dem Titel «Le silence
de la vie» Fotografien und Texte aus,
die im Rahmen einer Begegnung mit
der holländischen Künstlerin Romualda in Andalusien entstanden sind. Es
ist ein stilles Porträt der Künstlerin,
das von den Werken, von der Umgebung in Andalusien und natürlich von
der Künstlerin selbst erzählt.
Der Schriftsteller François Beuchat
ist 1945 in Biel geboren. Seit 1990 arbeitet er an einem inzwischen über
8000 Manuskriptseiten umfassenden
Werk, das zwar ein einziges Werk
darstellt, aber aus kurzen unabhängigen Texten besteht.
Ebenfalls aus Moutier stammt
Bernard Philippe (1947 geboren), der
als Maler, Bildhauer und Grafiker
arbeitet. Er durchsucht die Realität,
um gewisse ihrer Aspekte aufzudecken und gleichzeitig damit andere
zu maskieren. In TROU erscheinen
Monotypien von Philippe, in denen
er sich auf bekannte Werke der Renaissance bezieht. Er schlägt damit
eine neue Richtung in seinem Schaffen ein. Indem er die Originalwerke
auf ihre zentralen Figuren reduziert,
diese zudem nur in groben Linienformen umreisst, führt er die Formen
beinahe zur Abstraktion und zeigt die
Motive und Figuren in einem neuen
Licht.
Last but not least der 1927 in Brüssel geborene Grafiker und Bildhauer
Pierre Alechinsky. Nach einem Studium der Buchillustration und Typografie war Alechinsky Mitglied der Künstlergruppe CoBra. Für TROU machte
er Tuschzeichnungen und Aquarelle,
die er auf Registerpapier eines Pharmazeuten aus dem Jahr 1903 gemalt
hat. Immer wieder hat Alechinsky auf
alten Papieren wie Quittungen oder
historischen Landkarten gearbeitet.
In expressivem Pinselstrich und reduzierter Palette malt Alechinsky Figürliches über die Zahlen und Listen des
historischen Papiers, die aber immer
sichtbar bleiben.
Wie die kurzen Einführungen zeigen, präsentiert auch das aktuelle
TROU einen vielfältigen Blick auf das
Kunstschaffen der Gegenwart und
bleibt seiner interdisziplinären Sicht
treu. (di)
Erhältlich in gut sortierten Buchhandlungen oder unter www.trou.ch.
Kunst im Buch
Geheimwissen
Nervensystem
■ Vor gut fünf Jahren sorgte die
Publikation «Geheimes Wissen» für
Aufregung in der Kunstwissenschaft.
Da kam ein Maler – David Hockney
(*1937) – und wollte die Kunstgeschichte auf den Kopf stellen. Seine
These lautete, dass ab dem frühen
15. Jahrhundert zahlreiche Maler auf
optische Hilfsmittel zurückgegriffen
haben, Hilfsmittel wie Linsen, Spiegel oder Apparaturen wie der Camera
obscura oder der Camera lucida.
Detailtreue
Porträtzeichnungen
von Ingres in der National Gallery
London weckten Hockneys Interesse: Wie konnten die schnell ausgeführten Zeichnungen so detailliert
sein? Doch nur mit Hilfsmitteln, die
ein schnelles aber präzises Skizzieren
erlaubten. Dies war der Ausgangspunkt für seine Spurensuche. Seine
ersten Hinweise versuchte Hockney
direkt an den Bildern mit Beweisen
– oder Indizien? – zu belegen. Dieser
Detektivarbeit widmet sich der erste
Teil der Publikation. Meist ist dies
äusserst spannend, teils sind es dann
doch zu viele sich wiederholende Erkenntnisse, die uns Hockney an immer neuen Werken vorsetzt. Häufig
vermisst man eine tiefergehende Beweisführung, da Hockney immer bei
der direkten Anschauung bleibt und
nie versucht mit Quellenmaterial (z.
B. Inventarlisten der Künstler) seine
Indizien zu stützen. In einem zweiten
Teil hat Hockney schriftliche Quellen
zu optischen Hilfsmitteln und deren
Geheimhaltung zusammengetragen.
Die Briefe und Notizen, die während
seinen Forschungen entstanden sind,
sind in einem dritten Teil festgehalten.
Hier kommen auch kritische Stimmen
gegen Hockneys These zu Wort.
Jetzt ist die packende, aber auch
mit Vorsicht zu geniessende Publikation in einer erweiterten und günstigen Sonderausgabe bei Knesebeck
wieder käuflich zu erwerben. Spannend. (di)
■ In einer Zeit, in der die Kunstschaffenden die Abstraktion auf Händen trugen, auf dem Höhepunkt des
abstrakten Expressionismus, da widmete sich Francis Bacon (1909-1992)
einer figurativen Malerei ohne anekdotisch-erzählerische Momente, einer
Malerei, die sich auf das Physische
des menschlichen Daseins konzentriert. Zu Beginn noch stark vom Surrealismus und von Picasso geprägt,
suchte Bacon – orientiert an seinem
«Nervensystem» und dem Unbewussten – nach einem neuen Realismus,
keinem Neuerfinden der Wirklichkeit, vielmehr nach einer neuen Darstellungsform der Wirklichkeit: «Grosse Kunst besteht immer darin, das
sogenannte Faktische, das, was wir
über unsere Existenz wissen, zu verdichten und es in einem neuen Licht
erscheinen zu lassen – eine Neu-Zusammenfassung», wie es Bacon in einem Interview von 1973 ausdrückte.
So entstehen bis zur Unkenntlichkeit verzerrte menschliche Körper, in
Agonie entstellt zu grotesken ineinander verschlungenen Formen, Darstellungen von fratzenhaften und schreienden Gesichtern. Kein Wunder, dass
viele Betrachter Bacons Werke mit
Brutalität und Gewalt in Verbindung
bringen und entsetzt wie auch schockiert sind. In Zitaten wie «the violence of the real» oder «the brutality of
fact» schafft Bacon diese Verbindung
selber.
«Die Gewalt des Faktischen» lautet
denn auch der Titel einer umfassenden Ausstellung im Düsseldorfer K20
(noch bis 7. Januar zu sehen). Die
Schau bildet einen Überblick über
das gesamte Schaffen von Bacon, nur
ganz frühe Werke fehlen aus praktischen Gründen. Und dadurch ist die
dazu erschienene Publikation weit
mehr als ein Ausstellungskatalog,
sondern beinahe eine Bacon-Monografie, in der alle zentralen Themen
des Künstlers beleuchtet werden. (di)
David Hockney, Geheimes Wissen.
Verlorene Techniken der Alten Meister wieder entdeckt, aktualisierte u.
erweiterte Sonderausgabe, Knesebeck, 2006, 328 Seiten, Fr. 61.00.
artensuite | Dezember 06
Vogelsang
■ Die beiden Schweizer Künstler
und Naturforscher Léo-Paul Robert
(1851-1923) und sein Sohn Paul-André
Robert (1901-1977) schufen während
fast eines Jahrhunderts ein gemeinsames Werk an Vogelaquarellen und
die dazu gehörigen Tierpräparate.
Der Devise folgend «man muss malen, was man sieht», entstanden äusserst präzise Studien der Schweizer
Vogelwelt. Angetrieben von akribisch
wissenschaftlichem Interesse und tiefer Naturverbundenheit stellten die
Roberts Vögel in deren Lebensumwelt dar, was den Illustrationen ihre
eigentümlich lebendige Naturtreue
verleiht. Einige der didaktischen Tafeln wurden als Schulwandbilder eingesetzt.
«Die Welt der Vögel», eine Publikation der Stiftung Sammlung Robert in
Biel, spürt der Kunst im Familienunternehmen nach. Teilweise folgen die
Texte jedoch in allzu wohlwollender
Manier den schriftlichen Zeugnissen
der Roberts und versäumen es leider
weitgehend, Sinn und Zweck der Vogelillustrationen zu besprechen oder
diese zumindest in einen grösseren
zeitgeschichtlichen Kontext zu stellen.
Es fehlen auch Vergleichsbeispiele
weiterer Zeitgenossen ausserhalb des
Familienclans, die sich mit ähnlichen
Sujets beschäftigt haben, so dass die
Thematik besser in einem umfassenderen Rahmen hätte verankert werden können. Nicht nur für Hobbyornithologen informativ sind allerdings
die Erläuterungen zur Präparierung
von Vögeln, die als Vorlage für die
Illustrationen angefertigt wurden,
sowie der Text von Lucie GirardinCestone, der sich mit druckgrafischen
Techniken auseinandersetzt und den
damit einhergehenden Schwierigkeiten, Aquarelle und Zeichnungen angemessen vervielfältigen zu können.
Herzstück des Buches bilden die lebensnahen Illustrationen, die bis heute ihn ihrer Detailtreue kaum etwas
von ihrer Faszination eingebüsst haFrancis Bacon. Die Gewalt des Fak- ben. (sm)
tischen, Katalog zur Ausstellung im
K20, Düsseldorf, 2006/2007. Hrsg. v. Die Welt der Vögel, hrsg. von der
Armin Zweite, Hirmer, 2006, 254 Sei- Stiftung Sammlung Robert, Benteli,
2006, 192 Seiten, Fr. 58.00.
ten, Fr. 59.00.
artensuite
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BERNER
GALERIEN
win!tegration
Ein Fotoprojekt zum Thema «Integration
psychisch kranker Menschen in Gesellschaft und Arbeitswelt» - in Zusammenarbeit mit der kantonalen Berufsschule für
Pflege, Schwerpunkt Psychiatrie (BPP),
Nadia Schweizer, Fotografin, sowie Patientinnen und Patienten eines Job-Coach-Projektes.
Galerieneintrag:
Auf den Seiten «Galerien in Bern» werden nur
noch Galerien publiziert, welche unsere jährliche Publikationsgebühr bezahlt haben. Wer
sich hier eintragen lassen möchte, melde sich
bei der Redaktion: Telefon 031 318 6050 oder
[email protected].
19./20. Dezember 2006, 19:00 h
Kulturkeller ONO, Kramgasse 6, Bern
Eintritt frei, keine Reservation erforderlich
Infos: [email protected]
Altes Schlachthaus
Metzgergasse 15, Burgdorf
T 034 422 97 86
Sa&So jeweils 11:00-17:00 h
ESPACE Indigo
Stauffacher Buchhandlung, 3011 Bern
T 0844 88 00 40
Ladenöffnungszeiten
Marion Schnider
Acryl-Mischtechnik mit verschiedenen Materialien auf Leinwand
bis 30.12.
annex14 - Galerie für zeitgenössische
Kunst
Junkerngasse 14, 3011 Bern
T 031 311 97 04 / www.annex14.ch
Mi-Fr 13:00-18:30 h / Sa 11:00-16:00 h
Boris Rebetez
Belédère
Bis 23.12.
Fri-Art
22 Petites Rames, 1700 Fribourg
T 026 323 23 51 / www.fri-art.ch
Di-Fr 14-18:00 h / Sa&So 14:00-17:00 h
Nocturne Do 18:00-20:00 h
EXPOSITION 4 - «DENSITÉS DU RÉEL»
Peter Aerschmann, Sven Augustijnen, Ryan
Gander & Marco Poloni
Galerie 849 MüM
Gurtenpark im Grünen, 3084 Wabern
Täglich von 9:00-18:00 h
Art-House
Mittlere Strasse 3A, 3600 Thun
T 033 222 93 74 7 www.art-house.ch
Mi&Fr 14:00-17:30 h / Do 16:00-19:30 h / Sa
11:00-16:00 h
«Spiritualität in der Kunst»
Jakob Jenzer: Malerei, Urs Kurth: Fotografie, Renato Jordan: Text-Bilder, Max Roth:
Skulptur
Vernissage: 16.12., ab 16:00h
bis 27.1.07
bk Galerie Bernhard Bischoff & Partner
Speichergasse 8, 3011 Bern
T 031 312 06 66
www.bernhardbischoff.ch
Mi-Fr 14:00-18:00 h / Sa 11:00-16:00 h oder
nach Absprache
Christian Kathriner, Elisabeth Llach, Andrea
Loux, Kotscha Reist, Dominik Stauch & Brigitte Zieger
X_MAS
Opening: 1.12., 18:00-20:00 h
bis 6.1.07
Art + Vision
Junkerngasse 34, 3011 Bern
T 031 311 31 91
Di-Fr 14:00-19:00 h / Do 14:00-21:00 h /
Sa & So 11:00-16:00 h
Martin Thönen
Holzschnitte
Feiertage sowie 24. & 31.12. geschlossen.
bis 6.1.07
Bärtschihus Gümligen
Dorfstrasse 14, 3073 Gümligen
Mary Poppins!
superkalifragilistigexpialigetisch
Galerie 25 Regina Larsson
2577 Siselen / T 032 396 20 71
www.galerie25.ch
Fr-So 14.00-19:00 h oder nach
tel. Vereinbarung
Alfred Iselin, Schweiz - Schweden
Bis 17.12.
Finissage: Sonntag, 17.12., ab 14:00 h
Galerie 67
Belpstrasse 67, 3007 Bern / T 031 371 95 71
www.galerie67.ch
Mo 13:30-18:30 h / Di-Fr 9:00-12:00 h &
13:30-18:30 h / Sa 9:00-12:00 h
Galerie Artdirekt
Herrengasse 4, 3011 Bern / T 031 312 05 67
www.artdirekt.ch
Galerie Artraktion
Hodlerstrasse 16, 3011 Bern
T 031 311 63 30 / www.artraktion.ch
Do&Fr 15:00-18:00 h / Sa 11:00-16:00 h
oder nach Vereinbarung
AUGENSCHEIN II
Mariann Bissegger Josette Hirsiger Margret
Künzi Marlis Pekarek Reini Rühlin Ruedi Schwyn Judith Zaugg Mariann Zbinden
Angela Zwahlen Mariann Bissegger Josette
Hirsiger Margret Künzi Marlis Pekarek Reini
Rühlin Ruedi Schwyn Judith Zaugg Mariann
Zbinden Angela Zwahlen Mariann Bisse
bis 16.12.
Finissage: Samstag, 16.12., 11:00-14:00 h
Galerie bis Heute
Amtshausgasse 22, 3011 Bern
T 031-311 78 77 www.galerie-bisheute.ch
Do-Fr 14:00-18:30 h / Sa 11:00-16:00 h &
nach Vereinbarung
Maman Noel
Vernissage 1.12 ab 18:00 h
bis 23.12.
Galerie Beatrice Brunner
Nydeggstalden 26, 3011 Bern
T 031 312 40 12 / www.beatricebrunner.ch
Mi-Fr 14:00-18:00 h / Sa 11:00-16:00 h
artensuite | Dezember 06
Bild: Nathalie A. Scaller, Bilder und Objekte zu «Müde Engel» im
Wartsaal 3 vom 1.12. - 12.12.06
art_clips
.ch performativ
Ariane Andereggen, Erik Dettwiler, Lori
Hersberger, Franticek Klossner, Heinrich
Lüber, Chantal Michel, Victorine Müller, RELAX, Rudolf Steiner.
2.12. - 17.3.07
Galerie Duflon & Racz
Gerechtigkeitsgasse 40, 3011 Bern
T 031 311 42 62
Do 14:00-20:00 h, Sa 12:00-17:00 h sowie
Sonntag, 17.12., 13:00-17:00 h oder nach tel.
Vereinbarung.
Erich Prager
bis 16.12.
accrochage, art brut/neuve invention
ab 21.12.
Galerie Henze & Ketterer
Kirchstrasse 26, 3114 Wichtrach
T 031 781 06 01 / www.henze-ketterer.ch
Di-Fr 10:00-13:00 h & 14:00-18:00 h / Sa
10:00-16:00 h
Kunst Depot: art clips, .ch performativ
Videoclips-Preview von Schweizer Künstlerinnen und Künstlern. Eine Ausstellung
der videokunst.ch kuratiert von Gerhard Johann Lischka
bis 17.3.07
Galerie im Graben
Waldeckstrasse 12, 3052 Zollikofen
T 031 911 96 06
Fr 17:00-19:00 h / Sa 16:00-19:00 h & So
11:00-17:00 h
Hanspeter Fiechter
Aufgespürte Botenschätze
Erfahrbare Zufahrten
bis 17.12.
artensuite | Dezember 06
Bild: Boris Rebetz, Rues, Ausstellung in der Galerie annex14
11.11.-22.12.06
Bild: Produzentengalerie Bern, Beat Feller, im PROGR
Konzert:
Thomas Füri Violine und Jürg Luchsinger
Akkordeon, am 8.12., 19:30 h
Galerie Ramseyer & Kaelin
Junkerngasse 1, 3011 Bern
T 031 311 41 72
Mi-Fr 16:00-19:00h / Sa 13:00-16:00h
Fliegender Teppich
166 Frauen - 24 Länder - 1 Werk
Künstlerisches Konzept und Durchführung:
barbara bandi, susanne Glauser, Carla Neis
Apéro: 10.12., ab 10:50 h
Finissage: 21.12., 16:00-19:00 h
Galerie Margit Haldemann
Brunngasse 14, Brunngasshalde 31
T 031 311 56 56 margithaldemann@bluewin.
ch, www.artgalleries.ch/haldemann
Mi-Fr 14:00-18:00 h / Sa 11:00-16:00 h
25 Jahr Jubiläum Ausstellung 3/5
Garden View
Regila Dettwiler, René Fendt, Bea Hänggi,
Irma Ineichen, René Küng, Jörg Mollet, Rita
Siegfried, Ivo Vonlanthen, Paul Wiedmer,
Irène Wydler
Vernissage: Samstag, 2.12., 14:00-17:00 h
2.12. - 28.1.07
1. Advent / Tag der offenen Türen in der
Altstadt: Sonntag, 3.12., 11:00-17:00 h
(vom 23.12. - 9.1.07 ist die Galerie nur nach
Vereinbarung geöffnet)
Galerie Martin Krebs
Münstergasse 43, 3011 Bern
T 031 311 73 70
Di-Fr 14:30-18:30 h / Sa 10:00-14:00 h
Martin Fivian
Landschaft
bis 23.12.
Am 6.12. findet von 18:00-20:00 h ein St. Nikolaus-Apéro mit zusätzlichen Bildern statt.
Galerie Kornfeld
Laupenstrasse 41, 3001 Bern
T 031 381 46 73 / www.kornfeld.ch
Mo-Fr 14:00-17:00 h
Teruko Yokoi
Farbentanz zu Windmusik
Aquarelle und Tempera auf Papier
6.12.-20.1.07
Galerie Rigassi
Münstergasse 62, 3011 Bern
T 031 311 69 64 / www.swissart.net/rigassi
Di-Fr 11:30-13:30 h & 15:30-19:00 h / Sa
10:30-16:00 h
Elena Preis, Alexandra Semjonova
Bis 22.12.
Galerie Silvia Steiner
Seevorstadt 57, 2502 Biel / T 032 323 46 56 /
www.silviasteinergalerie.ch
Mi-Fr 14:00-18:00 h / Sa 14:00-17:00 h oder
nach Vereinbarung
Urs Stoos
bis 16.12.
Galerie Tom Bleass
Uferweg 10b 3013 Bern / T 079 222 46 61
www.tomblaess.ch
Do-So 12:00-16:30 h
Kabinett Bern
Gerechtigkeitsgasse 72-74, 3011 Bern
T 031 312 35 01 www.kabinett.ch
Do & Fr 14:00-19:00 h & Sa 11:00-16:00 h
Istvan Balogh, Christian Denzler, Marcel Gähler Bendicht Gertsch, Filip Haag,
Gabi Hamm, Dominique Lämmli, Ni-
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artensuite
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kolaus List, Valentin Magaro, Chantal
Michel, Christina Niederberger, Olivier Passieux, Kotscha Reist, Johannes
Spehr, George Steinman, Berend Strik,
Guy Zahler, Veronique Zussau
Kornhausforum
Forum für Medien und Gestaltung
Kornhausplatz 18, 3011 Bern
T 031 312 91 10 / www.kornhausforum.ch
Di-Fr 10:00-19:00 h / Do 10:00-20:00 h / Sa
10:00-16:00 h
Spielwitz & Klarheit
Schweizer Architektur, Grafik und Design 1950-2006
bis 7.1.07
Ohne Dings kein Bums
20 Jahre Umgang mit Aids Revue passieren
bis 6.01.07
Kunstreich
Gerechtigkeitsgasse 76, 3011 Bern
T 031 311 48 49 / www.kunstreich.ch
Mo-Fr 09:00-18:30 h / Do 09:00-20:00 h / Sa
09:00-16:00 h
Petra Amerell
bis 30.12.
Kunstraum Oktogon
Aarstrasse 96, 3005 Bern
Fr 16:00-19:00 h / Sa 11:00-15:00 h
KunstQuelle
Brunngasse 14, 3011 Bern
T 079 818 32 82
Mi & Fr 14:30-18h / Do 15:30-19:00h / Sa
13:00-16:00 h oder nach tel. Vereinbarung.
Weihnachtsausstellung
Silvia Bongard, Radierungen
Walter Fuchs, Objekte aus Fundstücken
Els Jegen, Bilder und Objekte
Ruth Jo Lämmli Scheidegger, Zyklus
«Bagatellen», Acryl
Christoph Niederhauser, Gouache und
Acryl auf Holz
Christine Schär, Bilder
Margret Schlegel, Bilder, Acryl
Helena Torhan, Bilder
1.12. - 21.12.
ONO Bühne Galerie Bar
Kramgasse 6, 3011 Bern
T 031 312 73 10 www.onobern.ch
Nachtgalerie Fr&Sa 22:00-24:00 h oder nach
telefonischer Vereinbarung / bei allen ONOVeranstaltungen
Hugo Brülhart
Querschnitt
Spannenden Begegnungen mit den Ölbildern des Freiburger Künstlers
bis 30.12.
PROGR Zentrum für Kulturproduktion
Speichergasse 4, 3011 Bern www.progr.ch
Afrique Noire
«Habiller le présent / Dressing the contemporary»
Ort: Ausstellungszone, 1. OG
Bis 2.12.
DER PROGR PACKT AUS!
Eine Weihnachtsausstellung mit PROGR_
KünstlerInnen und ihren Gästen (mit Verkauf)
Ausstellungsdauer:
15.12. - 6.1.07
Di 14:00-20:00 h & Mi-Sa 14:00-17:00 h
Vernissage: Donnerstag, 14.12., 18:30 h
Weihnachtsausstellung & Präsentation:
Städtische Ankäufe
Ort: Ausstellungszone, 1.OG &
Stadtgalerie_Pavillon im Hof
Di 26.12. & Di 2.1.07
Annette Schröter «Wildwuchs»
Ort: Stadtgalerie_Pavillon im Hof
Bis 9.12.
RAUM
Militärstrasse 60, 3014 Bern /
www.kulturraum.ch
Mi-Fr 16:00-19:00 h / Sa 12:00-16:00 h
H.B. – schwarz-weiss und in Farbe
Ausstellung Hannes Binder
Illustrationen und Malerei
Bis 8.12.
Bücher Bilder Bilderbücher
Weihnachtsverkauf und Ausstellung mit Collagen und Karten von Ursula Werder-Jeker
Eröffnungsapéro: Samstag, 9.12., 14:00 h
Schloss Hünigen
3510 Konolfingen
Täglich von 8:00-21:00 h
www.schlosshuenigen.com
Wunderland
Contemporary rug art by Jan Kath
bis 28.1.07
SLM Kunstausstellung
Dorfplatz 5, 3110 Münsingen
T 031 724 11 11
Mo-Do 8:00-12:00 h & 13:30-17:00h / Fr
8:00-12:00 h & 13:30-18:00 h
Stadtgalerie
Speichergasse 4 3001 Bern
T 031 311 43 35 7 www.stadtgalerie.ch
Di 14:00-20:00 h & Di-Fr 14:00-17:00 h
Annette Schröter
Wildwuchs
bis 9.12.
Wartsaal 3
Helvetiaplatz 3, 3005 Bern
T 031 351 33 21 www.wartsaal3.ch
Nathalie A. Schaller
Müde Engel
Bilder und Obiekte
1.12. - 12.12
Vernissage: 1.12., ab 18:00 h
Anna Lüdi
Keramik
14.12. - 17.12.
Sonja Klingler
eskaywork KAW-Horizont Fotografie
19.12. - 27.12.
Temporäre Austellungsräume
Richard Hummel
Malerei & Holzschnitt
ehemlaige Schwob Leinenweberei, Stauffacherstr. 72, 3014 Bern
2.&3.12., 13:00-18:00 h, 8.12., 15:00-18:00 h
sowie 9.&10.12., 13.00-18:00 h und tel. Vereinbarung: 078 774 35 73
artensuite | Dezember 06
BERNER MUSEEN
BERN / BIEL / THUN
Abegg-Stiftung
Werner Abegg-Strasse 67, 3132 Riggisberg
täglich 14:00-17:30 h
Winterpause
Antikensammlung Bern
Hallerstrasse 12, 3012 Bern
Mi 18:00-20:00 h
Die Antikensammlung beherbergt nebst
den Abgüssen (rund 230 Exponate antiker
Skulpturen von den Anfängen der griechischen Archaik bis zur römischen Spätantike)
auch eine kleine Sammlung mit originalen
Fundstücken aus der griechisch-römischen
Antike.
Bernisches Historisches Museum
Helvetiaplatz 5, 3005 Bern
Di-So 10:00-17:00 h
So, 3.12., 11:00 h
«Ein Kind ward uns geboren…»
So, 10.12., 11:00, 14:00, 15:00, 16:00 h
So, 17.12., 14:00, 15:00, 16:00 h
So, 24.12., 14:00, 15:00, 16:00 h
«Es weihnachtet sehr…»
Führung für die ganze Familie rund ums
Thema Weihnachten.
So, 17.12., 11:00 h
So, 24.12., 11:00 h
So, 31.12., 11:00 h
Centre Dürrenmatt
Chemin du Pertuis-du-Sault 74, 2000
Neuchâtel
Mi-So 11:00-17:00 h
Dauerausstellung: Friedrich Dürrenmatt, Schrifsteller und Maler.
Hanny Fries: Dürrenmatt im Schauspielhaus Zürich. Theaterzeichnungen 19541983.
bis 17.12.
Einstein-Haus
Kramgasse 49, 3011 Bern
1.10.-16.12., Di-Fr 10:00-17:00 h / Sa 10:0016:00 h
Führungen jederzeit nach Absprache
Heilsarmeemuseum
Laupenstrasse 5, 3001 Bern
Di-Do 9:00-12:00 h & 14:00-17:00 h
Dokumente, Zeitschriften, Bilder, Fotos,
Grammophonplatten, Kassetten, Musikinstrumente und andere Sammelobjekte.
artensuite | Dezember 06
Institut für Archäologie der
Universität Bern
Länggassstrasse 10, 3012 Bern
Montag - Freitag, 8 - 17 Uhr
Das Pantheon in Rom
Ergebnisse des Bern Pantheon Digital Projects
Bis Samstag, 31.3.07
Kunsthaus Centre Pasqu’art
Seevorstadt 71-75, 2502 Biel
Mi-Fr 14:00-18:00 h / Sa&So 11:00-18:00 h
kunsthaus:
Ruedy Schwyn
Bis 7.1.07
Begegnung mit dem Künstler Ruedy
Schwyn
3.12., 18:00-19:00 h
Photoforum.
Weihnachtsausstellung 2006
Vernissage: 9.12., 17:00-20:oo h
10.12. - 7.1.07
Buchvernissage f&d cartier «ROSES»
16.12., 16:00-18:00 h
Kunsthalle Bern
Helvetiaplatz 1, 3005 Bern
Mi-So 10:00-17:00 h / Di 10:00-19:00 h
PAVEL BÜCHLER
bis 3.12.
WEIHNACHTSAUSSTELLUNG 2006/07
Vernissage: 15.12. 18:00 h
16.12. - 7.1.07
Kunstmuseum Bern
Hodlerstrasse 8-12, 3007 Bern
Di 10:00-21:00 h / Mi-So 10:00-17:00 h
Six Feet Under - Autopsie unseres Umgangs mit Toten
Gewalt und Tod sind in den Medien allgegenwärtig. Doch der direkte Kontakt zu Toten wird in unserer Gesellschaft gemieden.
bis 21.1.07
Ernst Kreidolf und seine Malerfreunde
bis 7.1.07
Im Lichte Tunesiens
Europäische Künstler in Nordafrika 19001925
bis 7.1.07
Kunsthaus Langenthal
Marktgasse 13, 4900 Langenthal
Mi & Do 14:00-17:00, Fr 14:00-19:00 h, Sa&
So 10:00-17:00 h
Giro Annen - retro.aktiv
bis 28.1.07
Führungen: jeden Sonntag, 11:00 h
Literarische Führungen mit Michaela Wendt
Sonntag, 17.12.
Kunstmuseum Thun
Hofstettenstrasse 14, 3602 Thun
Di-So 10:00-17:00 h / Mi 10:00-21:00 h
Hofstettenstrasse 2006
9.12. – 14.1.07
Vernissage und Fest: 9.12., 18:00 h
museum franz gertsch
Platanenstrasse 3, 3401 Burgdorf
Di-Fr 11:00-19:00 h / Sa&So 10:00-17:00 h
Zurück zur Figur. Malerei der Gegenwart
bis 11.2.07
Museum für Kommunikation
Helvetiastrasse 16, 3005 Bern
Di-So 10:00-17:00 h
«haarsträubend: Tier – Mensch – Kommunikation»
bis 1.7.07
Öffentliche Führungen:
So, 11:00 h: haarsträubend: Tier – Mensch
– Kommunikation
So, 13:00 h: Top Secret - Von Hieroglyphen,
Hackern und Codetalkers
So, 15:00 h: Abenteuer Kommunikation im
Überblick
Museum Neuhaus Biel
Schüsselpromenade 26, 2501 Biel
Di-So 11:00-17:00 h / Mi 11:00-19:00 h
Urs Dickerhof und Francesco Micieli
lesen eigene Texte im Rahmen der Ausstellung «Ravitaillement».
Théodore Strawinsky (1907-1989)
Eine Retrospektive
Bis 8.1.07
Naturhistorisches Museum der
Burgergemeinde Bern
Bernastrasse 15, 3005 Bern
Mo 14:00-17:00 h / Di/Do/Fr 9:00-17:00 h
Mi 9:00-18:00 h, Sa&So 10:00-17:00 h
«haarsträubend: Tier – Mensch – Kommunikation»
bis 1.7.07
artensuite
49
artensuite
50
Psychiatrie Museum Bern
Bolligenstrasse 111, 3060 Bern
Mi 14:00-16:00 h
Neben historisch wichtigen Gegenständen
und Dokumenten beherbergt das Museum
auch eine Sammlung bildnerischer Patientenarbeiten, die mehrheitlich auf jener Morgenthalers beruht. Sie umfasst über 2500
Bilder (Zeichnungen, Aquarelle, Ölbilder
und Collagen), rund 1500 Textblätter sowie
viele Stoffarbeiten, Objekte aus Holz, Ton,
Keramik und anderen Materialien.
Schloss Landshut
Schweizer Museum für Wild & Jagd
3427 Utzenstorf
Di-Sa 14:00-17:00 h
Das Schloss ist bis und mit 12.5.07 geschlossen
Schlossmuseum Thun
Schlossberg 1, 3600 Thun
Bis Januar jeden Sonntag 13:00-16:00 h
Das historische Museum mit einmaliger
Aussicht auf Stadt, See und Alpen.
Schweizerische Landesbibliothek
Hallwylstrasse 15, 3003 Bern
Mo-Fr 9:00-18:00 h, Mi bis 20:00 h / Sa
9:00-16:00 h / So 12:00-17:00 h
DÜRRENMATT UND EINSTEIN
Bis 25.1.07
RUSSLAND-SCHWEIZ
Diplomatische Archivdokumente
Vor 60 Jahren wurden die diplomatischen Beziehungen zwischen der Schweiz
und Russland wieder aufgenommen. Die
Schweizerische Landesbibliothek zeigt eine
Ausstellung der russischen Botschaft, die
die Geschichte dieser Beziehungen anhand
von Faksimiles von historisch wertvollen
Archivdokumenten darstellt.
Bis 21.12.
Schweizerisches Alpines Museum
Helvetiaplatz 4, 3005 Bern
Mo 14:00-17:00 h / Di-So 10:00-17:30 h
«Gletscher im Treibhaus. Ernste Signale
aus der alpinen Eiswelt»
Vom gewaltigen Eisstrom des Rhônegletschers, der auf der Postkarte von 1900 hinter dem Hotel Belvédère ins Tal gleitet, ist
auf der aktuellen Aufnahme nichts mehr zu
sehen. Stattdessen nackter grauer Fels, ein
Bach und die zurückgezogene Gletscher-
zunge weit oberhalb des Hotels.Ein einzigartiges Landschaftsbild droht verloren zu
gehen. Gehören wir zur letzten Generation,
die die grossartigen Eisriesen bewundern
kann?
Bis 25.3.07
Schweizerisches
Schützenmuseum Bern
Bernastrasse 5, 3005 Bern
Di-Sa 14:00-17:00 h / So 10:00-12:00 h &
14:00-17:00 h
Mit eisernem Arm - mit festem Aug. Scharfschützen an den Unspunnenfesten von 1805
und 1808
Bis 10.12.
Zentrum Paul Klee
Monument im Fruchtland 3, 3031 Bern
Di-So 10:00-17:00 h / Do 10:00-21:00 h
Kindermuseum Creaviva 10:00-17:00 h, Do
bis 21:00 h
Paul Klee – Melodie und Rhythmus
bis 2.1.07
Sämtliche Führungen und Aktivitäten finden
Sie in der ensuite - kulturmagazin agenda
und unter www.zpk.org
Stadt- und Universitätsbibliothek Bern
Münstergasse 61-63, 3011 Bern
Mo-Fr 8:00-19:00 h / Sa 8:00-12:00 h
Connaisseure unterwegs:
Die Reisen von Hans R. Hahnloser und Julius von Schlosser zu kulturellen Stätten im
Europa der zwanziger Jahre.
Bis 24.2.07
Stiftung Historisches Erbe SBB
Bollwerk 12, 3000 Bern 65
Mo-Fr 9:00-12:00 h & 13:30-17:00 h
Die Infothek der Schweizer Bahngeschichte zum Nachlesen und Ansehen.
Unsere öffentlich zugängliche Infothek bietet Ihnen u. a. folgende Dienstleistungen an:
regelmässige Publikation ausgewählter Neuerscheinungen. Beratung in Dokumentationsfragen und bei Recherchen. Leseplätze
mit Internetarbeitsplatz, Lexika usw. Konsultationsmöglichkeit für aktuelle Zeitschriften, Wörterbücher, Nachschlagewerke und
aktuelle Fahrpläne ausländischer Bahnunternehmungen. Zugang zu den historischen
und audiovisuellen Archiven (auf Voranmeldung). Bereits 1923 wurde die Bibliothek
der Generaldirektion SBB gegründet. Später wurde sie zum Dokumentationsdienst
erweitert und seit 1996 ist sie als «Infothek
SBB» bekannt. 1999 wurden ihr die Plakatsammlung und 2001 das historische Archiv,
das Fotoarchiv, - und Videoarchiv anvertraut.
2002 wurde sie in die neu gegründete Stiftung Historisches Erbe der SBB integriert.
Die Bestände der Bibliothek und Archive
werden laufend ergänzt und erweitert.
artensuite | Dezember 06