Kariesprävention mit Fluoriden. Teil II

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Kariesprävention mit Fluoriden. Teil II
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ÜBERSICHTSARBEIT
L. Stößer, R. Heinrich-Weltzien1
Kariesprävention mit Fluoriden2
Teil II: Klinische Applikationsformen der Fluoride
sowie Fluoridstoffwechsel und Toxikologie3
In dem folgenden, in zwei Teile gegliederten Beitrag werden der aktuelle Wissensstand zur Kariesprävention mit Fluoriden, ihre Chemie und Biochemie sowie
die kariesprotektiven Wirkmechanismen
zusammenfassend dargestellt. Berücksichtigung fanden weiterhin Anwendungsempfehlungen für die verschiedenen F-Präparate, die von der Selbstapplikation durch die F-Zahnpaste mit ihren
verschiedenen F-Verbindungen bis zu
den konzentrierten Lack- und Gelpräparaten reichten; die interne Fluoridverabreichung durch Kochsalz, Tabletten oder
Trinkwasser findet ebenfalls entsprechend ihrer derzeitigen Stellung Berücksichtigung. In diesem Zusammenhang
wird schließlich noch auf den Fluoridstoffwechsel und die Toxikologie hingewiesen.
Schlüsselwörter: Fluoride, Kariesprävention, Übersicht, Anwendungsarten, FAufnahme, F-Toxikologie
1
Poliklinik für Präventive Zahnheilkunde des Zentrums für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde des
Klinikums der Friedrich-Schiller-Universität Jena
2
In Vorbereitung eines Lehrbuches der „Pharmakologie für die zahnärztliche Ausbildung und Praxis“
(Hrsg.: A. Balogh, E. Haen), Dtsch Apotheker Verlag, Stuttgart
3
Die Nummerierung der Abbildungen und Tabellen
erfolgt in Fortsetzung zu Teil I (Oralprophylaxe &
Kinderzahnheilkunde 29, 8-14 (2007)
Berichtigung zum 1. Teil dieses Beitrages von
L. Stößer, publiziert in der in OP & KZH, Heft 1/2007.
Dort müsste es im Text auf S. 14 richtig heißen:
„Bei Olaflur in den Zahnpasten handelt es sich um Diamin-Dihydrofluorid, d. h. zwei F-Ionen pro organisches
Molekül. Das zusätzlich im elmex gelée befindliche Dectaflur stellt ein Monoamin-Monohydrofluorid dar.“
7 Lokale Fluoridapplikation
7.2 Fluoridhaltige Mundspüllösungen
Die Mundspüllösungen werden mit einer
F-Konzentration zwischen 250 und
2.000 ppm F (0,025 bis 0,2 % F) meist mit
Natriumfluorid, aber auch mit dem Aminfluorid Olaflur, mit Na-Monofluorphosphat
oder einem Gemisch hergestellt. Die niedrige Konzentration ist zur täglichen Nutzung und die 0,1- bis 0,2%ige F-Lösung
zur wöchentlichen Applikation in der Individualprophylaxe vorgesehen.
Täglich (0,05 % F) oder wöchentlich
überwachte (0,2 % F) Aktionen haben
eine deutliche Kariesreduktion bei Kindern und Jugendlichen zur Folge. Dieser
kariespräventive Effekt ist unabhängig
von der Anwendung anderer fluoridhaltiger Präparate und der verwendeten FKonzentration. Die Anwendung von FSpüllösungen im nicht überwachten Gebrauch führt aber zu keinem nennenswerten zusätzlichen kariesreduzierenden
Effekt, wenn die regelmäßige Mundhygiene mit einer fluoridhaltigen Zahnpaste erfolgt. Insofern wird heute bei niedriger Kariesaktivität und regelmäßiger
Mundhygiene die Anwendung fluoridhaltiger Mundspüllösungen nicht mehr empfohlen, während bei Personen mit erhöhtem Kariesrisiko, d.h. Kindern und Jugendlichen mit hohem Kariesbefall, Trägern kieferorthopädischer Apparaturen
und Xerostomiepatienten, die regelmäßige Anwendung von Mundspüllösungen zu
einer Reduktion des Kariesanstiegs führt
und deshalb unabhängig von der Anwendung anderer F-Präparate empfohlen
wird. Die tägliche Anwendung der niedrig
dosierten F-Lösung ist der wöchentlichen
Anwendung höherer Konzentrationen
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© Deutscher Ärzte-Verlag, Köln
vorzuziehen. Fluoridhaltige Mundspüllösungen sind durch die heute breitere Verfügbarkeit von Fluoriden nur bei Personen mit erhöhtem Kariesrisiko angezeigt.
Eine spezielle Mundspüllösung aus je
125 ppm F als Aminfluorid und Zinnfluorid (Meridol) hat durch das Schwermetallion Zinn einen starken antimikrobiellen Charakter erhalten, der der Lösung
neben kariespräventiven Eigenschaften
einen plaquehemmenden Charakter verleiht. Diese Wirkstoffkombination verfügt
über bakterizide und entzündungshemmende Wirkungen, der unterschiedliche
Mechanismen durch die Aminkomponente
und durch die Zinnionen zugrunde liegen.
Die Zinnionen werden an der Bakterienoberfläche adsorbiert, hemmen den Metabolismus, wirken membranschädigend
und reduzieren die Etablierung der oralen
Flora. Für die tensid wirkenden Aminfluoride konnte in vitro ebenfalls eine plaquehemmende Aktivität beschrieben werden.
Die Kombination beider Fluoridverbindungen bewirkt eine chemische Stabilisierung des in Lösung zu Oxidations- bzw.
Zerfallsreaktionen neigenden Zinnfluorids, lässt eine Konzentrationsreduktion
auf jeweils 125 ppm F zu und entfaltet eine ausreichend starke plaquehemmende
Aktivität, die der von Chlorhexidin nahe
kommt und weniger Nebenwirkungen
(Verfärbungen, Geschmacksirritationen)
zur Folge hat.
Die hohe antibakterielle Aktivität der
Wirkstoffkombination AmF/SnF2 (Meridol)
als Lösung lässt sich in der entsprechenden Zahnpaste, die einen sauren pH von
5,0 aufweist, nicht vollständig reproduzieren. Bei Untersuchungen zur Vitalfluoreszenz der Plaque wurde aber bis zu 14
Stunden nach der Meridolexposition eine
Inhibierung um etwa 50 % festgestellt.
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Fluoridkonzentration
Fluoridverbindung
Präparat
1.000 ppm F
Difluorsilan (0,625 %)
Fluor Protector®
22.300 ppm F
Natriumfluorid (5,0 %)
Duraphat®
55.900 ppm F
Natrium- und Kalziumfluorid (je 6 %)
Bifluorid12®
Tabelle 9 Fluoridverbindungen und -konzentrationen in den Präparaten.
Table 9 Compounds and concentrations in fluoride preparations often used.
Fluoridkonzentration im Trinkwasser (Mineralwasser), mg/l
Alter
< 0,3
0,3 – 0,7
> 0,7
0 – 6 Monate
–
–
–
6 – 12 Monate
0,25
–
–
1 – unter 3 Jahre
0,25
–
–
3 – unter 6 Jahre
0,50
0,25
–
> 6 Jahre
1,0
0,5
–
Stand: März 2000 nach Gülzow et al.
Tabelle 10 Dosierungsempfehlung der DGZMK zur Tablettenfluoridierung.
Table 10 Dosage recommendation of the DGZMK for tablet fluoridation.
7.3 Fluoridhaltige Gele, Lacke und Fluids
7.3.1 Fluoridhaltige Gele
Im Zusammenhang mit einer vermuteten
Korrelation zwischen dem Fluoridgehalt im
Schmelz und seiner kariesprotektiven Wirkung wurde eine möglichst schnelle F-Anreicherung als Zielstellung der Lokalapplikation abgeleitet. In diesem Zusammenhang wurde weiterhin beobachtet, dass
durch eine Vorbehandlung des Schmelzes
mit leicht sauren Lösungen die F-Anreicherung gesteigert werden konnte. Im Ergebnis dieser Studien wurde in den USA
ein APF-Gel (acidulated phosphate fluoride) entwickelt, das 1,23 % Fluorid mit
0,1 mol/l ortho-Phosphorsäure, pH 3,2
und 2,8 % Carboxymethylzellulose enthält.
Im sauren Gel ist ein Teil des Fluorids als
undissoziiertes HF-Molekül anzutreffen. Auf
diese Weise kann es ungeladen schneller in
den sauer konditionierten Schmelz diffundieren. Als Gel haftet das Präparat bei der
Applikation besser und trocknet nicht aus.
Klinisch wird das Gel mit einem Tray verabreicht, der bei individueller Anpassung eine
optimale Benetzung der Zahnflächen mit
minimalem Einsatz von Gel garantiert. Zu
Hause kann das Gel wie eine Zahnpaste mit
einer Bürste appliziert werden. Bei ein bis
vier Applikationen pro Jahr mit diesem F-Gel
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wurde über eine Kariesreduktion von 20 bis
40 % berichtet.
Dieser Entwicklung folgend befinden
sich auf dem deutschen/europäischen Markt
Gele mit bis zu 12.500 ppm F (= 1,25 %)
und pH-Werten zwischen 4,8 und 6,0. Als
Fluorid wird in den meisten Präparaten das
Natriumsalz eingesetzt, wobei das am häufigsten untersuchte F-Gel ein Kombinationspräparat ist (elmex gelée), das neben NaF
(2,21 %) auch noch Aminfluoride (Olaflur
0,23 % und Dectaflur 0,02 %) enthält. Die
Aminfluoride wirken als oberflächenaktive
Substanzen und begünstigen die F-Aufnahme durch das Hartgewebe.
In anderen Gelen muss zu diesem Zweck
separat ein Tensid zugesetzt werden.
Weiterhin kommen Zinnfluorid und ein anderes organisches Hydrofluorid in weiteren
Fluoridgelen zum Einsatz.
Die lokale Anwendung von hochkonzentrierten F-Präparaten erfordert bei Kindern
zahnärztliche Aufsicht und wird unter sechs
Jahren wegen des schlecht ausgebildeten
Schluckreflexes nicht empfohlen (Tab. 8,
Teil I). Bei 1,25 % Fluorid im Gel beträgt die
Tagesdosis als Gelstrang einer Länge von
0,5 cm (~ 0,5 g) etwa 6,25 mg Fluorid. Das
Dentalgel ist damit verschreibungspflichtig,
aber davon befreit, wenn die Packung nicht
mehr als 25 g enthält, kindergesichert verschlossen ist, einmal pro Woche zur lokalen
Anwendung abgegeben wird und die verordnete Tagesdosis 7 mg nicht übersteigt.
Die Fluoridgele können zu Hause wöchentlich oder in der zahnärztlichen Praxis
zur Individualprophylaxe, zweimal im Jahr
im Rahmen der Individualprophylaxe (IP4)
oder bei vorliegendem erhöhtem Kariesrisiko viermal pro Jahr angewandt werden. Bei
der klinischen Anwendung mit einem Tray
ist bei den Kindern sicherzustellen, dass sie
überflüssige Teile des Gels nicht verschlucken, sondern diese abgesaugt werden.
Wenn in der Gruppenprophylaxe solche
Präparate – optimal zweimal pro Jahr – angewendet werden, sind die Eltern bzw. Erziehungsberechtigten nicht nur über das
Nutzen-Risiko-Verhältnis von Fluoridsupplementen zu informieren, sondern auch ihr
Einverständnis ist schriftlich einzuholen.
Für die Gruppenprophylaxe hat sich die
Verabreichung des Gels mit der Zahnbürste
als praktikabel erwiesen. Nach dem Auftragen des Gels auf die Zähne wird das Ausspülen der Mundhöhle mit Wasser unterlassen
oder auf ein Minimum reduziert, um eine
lange Reaktionszeit des Fluorids mit der
Zahnoberfläche zu garantieren. Die Applikation muss jährlich mindestens zweimal in
Halbjahresabständen erfolgen. Bei der statistischen Meta-Analyse der Gelstudien wurde eine mittlere Wirksamkeit von 22 % berechnet. Die höchste Wirksamkeit wurde für
30 Bürstenapplikationen pro Jahr, also bei
wöchentlich in der Schule stattfindender
Anwendung, erzielt; die Kariesreduktion fiel
dann mit 38 % fast doppelt so hoch aus. Die
Fluorid-Gelapplikation ist eine wirksame kariespräventive Maßnahme und kann unabhängig von anderen lokalen Fluoridierungsmaßnahmen durchgeführt werden, vorausgesetzt, das Gel wird nicht geschluckt.
Bei kariesaktiven Patienten sollte eine
wöchentliche Applikation fluoridhaltiger
Gele erfolgen. Der kariespräventive Effekt
von Fluoridgelen ist unabhängig von der Applikationsmethode. Die Anwendungsform
hängt von der Compliance des Patienten ab
und sollte deshalb individuell ausgewählt
werden.
7.3.2 Fluoridhaltige Lacke
Da in der Vergangenheit nach Lokalapplikationen die Entstehung eines ausgeprägten
F-Depots nicht eintrat, sollte durch Verlängerung der Reaktionszeit zwischen dem FPräparat und der Schmelzoberfläche die FAnreicherung dort verbessert werden. Mit
dieser Zielstellung wurden hochkonzentrierte Lackpräparate entwickelt, die der Zahnarzt zwei- bis viermal pro Jahr entsprechend
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dem vorliegenden Kariesrisiko auf die Zahnoberflächen auftragen kann. Fluoridlacke
zeigen eine mehrstündige Haftung auf der
Zahnoberfläche. Dabei kommt es zur Ausbildung einer sehr kompakten Calciumfluoriddeckschicht auf dem Schmelz (Abb. 4, Teil I).
Eine zweistündige Nahrungskarenz nach der
Applikation, die Aufnahme weicher Nahrungsmittel und die Unterlassung des Zähneputzens bis zum nächsten Morgen sollen
die Integrität der Lackschicht und damit die
Reaktionszeit zwischen Lack und Zahnoberfläche weiter verlängern sowie die Ausbildung eines großen Fluorid-Depots an der
Zahnoberfläche unterstützen. Dieses Calciumfluorid ist im Speichel löslich und geht
folglich langsam wieder verloren, so dass
die Notwendigkeit von Wiederholungsapplikationen besteht. Die Fluoridlackapplikation
ist eine wirksame kariespräventive Maßnahme und kann bei Kindern und Jugendlichen
zwei- oder mehrmals jährlich und unabhängig von anderen Fluoridierungsmaßnahmen
durchgeführt werden.
Die Fluoridverbindungen und -konzentrationen in den handelsüblichen Lackpräparaten variieren erheblich und sind in
Tabelle 9 gegenübergestellt. Beim Fluorsilan
handelt es sich um eine organische Komponente, die unter Wassereinfluss spontan in
Flusssäure und Silan hydrolysiert; ein Vorgang, der in der Mundhöhle trotz „trocken
gelegter“ Zahnoberflächen genügend Wasser vorfindet. Die Lackbasis stellt bei diesem Präparat ein transparentes Polyurethan
dar, das zur optimalen Haftung trockene
Zahnoberflächen benötigt.
Im klassischen Lack Duraphat sind 5 %
Natriumfluorid enthalten, wobei natürliche
Harze (Kolophonium), Schellack, Mastix und
gebleichtes Wachs in Alkohol gelöst die
Lackbasis bilden. Aufgrund der Mischbarkeit
des Lösungsmittels mit Wasser muss die
Zahnoberfläche beim Auftragen des Lackes
nicht vollständig getrocknet sein; auch die
Anwendung des ursprünglich empfohlenen
Reinigungspulvers kann unterbleiben, da
die F-Anreicherung im Schmelz sogar „durch
die Plaque“ stattfindet.
Der Bifluoridlack enthält je 6 % Natrium- und Calciumfluorid, woraus die hohe
F-Konzentration von ~ 56.000 ppm F- resultiert. Die Salze sind in dem organischen
Lack nicht vollständig lösbar, so dass Stahlkugeln im Vorratsgläschen zur Suspendierung des feinen Bodenkörpers jeweils vor
der Applikation dienen. Ob die Ausbildung
der CaF2-Deckschicht auf der Schmelzoberfläche durch den Zusatz dieses Salzes karies-
präventiv wirksam gefördert wird, ist nicht
eindeutig unter Beweis gestellt. Die Lackbasis bilden wiederum Kolophonium, Ethanol,
Ethylzellulose und Siliziumdioxid.
Die hochkonzentrierten F-Lacke werden
in der Regel bei Kindern erst ab sechs Jahren empfohlen, da die verbrauchte Lackmenge und damit das Fluorid in der Mundhöhle bzw. im Körper verbleibt. Bei einer
Applikation werden bis zu einem Milliliter
verbraucht, was bei 5 % NaF im Lack
22,3 mg F/ml entspricht. Im Milch- bzw.
Wechselgebiss ist die Menge kleiner und
schwankt zwischen 0,2 bis 0,6 ml.
Als Hilfsmittel finden zur Lackapplikation Pinsel, Schaumstoffpelletts, Wattestäbchen oder Zylinderampullen (bei Duraphat)
Verwendung; aus letzteren kann der Lack direkt in die Fissur und soweit möglich an die
Glatt- und Approximalflächen appliziert
werden. Eine Kariesreduktion von 35 bis
50 % ist absteigend für die Glattflächen,
Fissuren und Approximalflächen entsprechend der Zugänglichkeit bei der Verabreichung beschrieben.
Die Fluoridlacke gewinnen in der Zukunft auch bei älteren Patienten zur Prävention der Wurzelkaries und zur Behandlung
sensibler freiliegender Zahnhälse an Bedeutung.
7.3.3 Fluoridhaltige Fluids
Während bei der Lackapplikation eine relative Trockenlegung der Zahnflächen wünschenswert ist, können hochkonzentrierte
fluoridhaltige Flüssigkeiten (Fluids) ohne
Trockenlegung benutzt werden. Diese Fluids
werden professionell für die Gruppen- und
Individualprophylaxe wie ein Lack eingesetzt. Ihr Fluoridgehalt ist im gleichen Konzentrationsbereich wie bei den Lacken,
Elmex fluid enthält z.B. 1,0 % F. Dies sind
10.000 ppm F- aus 1,15 % Dectaflur +
12,126 % Olaflur mit einem pH-Wert von
3,0. Das wässrige Fluid wird galenisch durch
Saccharin, Pfefferminz-, Krauseminz- und
Anisöl sowie Levomenthol und Vanillin komplettiert.
Die Anwendung der Fluids sollte bei besonderer Kariesrisikosituation, bei der Behandlung mit fest sitzenden kieferorthopädischen Apparaten oder zur nicht-invasiven
Behandlung der Initialkaries weitgehend
durch den Zahnarzt und weniger im Rahmen
gruppenprophylaktischer Maßnahmen erfolgen. Es werden 0,3 bis 0,6 ml mit einem
Wattebausch auf die Zahnflächen aufgetragen und nach zwei bis drei Minuten ausge-
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spült. Die Anwendung ist wie bei allen hoch
konzentrierten F-Präparaten auf Kinder
ab sechs Jahren mit kontrolliertem Schluckreflex beschränkt, insbesondere, wenn sie
gruppenprophylaktisch bei Putzaktionen benutzt werden sollten. Die kariespräventive
Wirksamkeit ist in wenigen Studien für Fluids
ohne Einfluss anderer F-Präparate untersucht; die festgestellte Kariesreduktion entspricht der Größenordnung, wie sie für fluoridhaltige Lacke berichtet wurde.
8 Interne Fluoridierung
Die Bedeutung der internen oder systemischen Verabreichung von Fluoriden hat sich
durch die veränderte Kenntnis über die
Fluoridwirkung gewandelt und wird heute
als geringer angesehen, obwohl durch
Trinkwasser-, Tabletten- oder Salzfluoridierung eine permanente Verfügbarkeit
niedriger F-Konzentrationen in der Mundhöhle unterstützt wird und diese Verabreichungen nach wie vor ihren Stellenwert
besitzen.
8.1 Trinkwasser- und Tablettenfluoridierung
Die Tablettenfluoridierung wurde ursprünglich als Alternative zur systemischen Verabreichung mit dem Trinkwasser
inauguriert und hatte auch dort ihren Dosisbezug. Die Trinkwasserfluoridierung
stellte Wasser mit 1 mg F/l zur Verfügung
und hatte zwischen 1940 und 1960 eine
Kariesreduktion von 50 bis 60 % zur Folge.
Die überwachte und angeleitete Verabreichung von Tabletten mit 1 mg F/Tag war
ähnlich effektiv, barg jedoch ein Fluoroserisiko in sich, das sehr bald zu alters- und
gewichtsbezogener Dosierung führte
(Tab. 10). Die Kombination mit der VitaminD-Rachitisprophylaxe, welche in den 90er
Jahren des vergangenen Jahrhunderts in
Deutschland verspätet durchgeführt wurde, war viel versprechend, erbrachte aber
nicht den gewünschten kariesprotektiven
Erfolg, da die Verabreichung der Tabletten
meist nach 18 bis 24 Monaten abgebrochen bzw. eingestellt wird. Gerade zu diesem Zeitpunkt ist der lokale Fluoridierungseffekt an allen Milchzähnen erforderlich.
Die Mundhygiene mit fluoridierter Zahnpaste wird dieser Notwendigkeit besser
gerecht. Der Verzicht auf die F-Tablette
sollte aber nicht zur Einstellung der Rachitisprophylaxe führen, in deren Rahmen
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Höhere interne F-Konzentrationen
können, wenn sie in den kindlichen Organismus während der Ameloblastentätigkeit
gelangen, ein Fluoroserisiko darstellen.
Während der Schwangerschaft müssen keine Fluoridtabletten eingenommen werden,
da eine Fluoridtablettengabe keinen gesicherten Einfluss auf die Kariesprävalenz
im Milchgebiss hat.
8.2 Speisesalzfluoridierung
Abbildung 10 Fluoridkonzentration im Serum nach oraler Aufnahme von 5-30 mg Fluorid aus NaF-Lösung
(nach Einwag und Trautner, 1984).
Figure 10 Fluoride concentration of blood serum after oral intake of 5-30 mg fluoride as NaF-solution (by Einwag and Trautner, 1984).
Abbildung 11 Fluoridkonzentrationsprofil im Schmelz (nach Weatherell et al., 1977).
Figure 11 Profile of fluoride concentration within enamel (by Weatherell et al., 1977).
Vitamin D separat verschrieben werden
kann.
In diesem Zusammenhang wird bei
systemischer Bilanzierung der Fluoridaufnahme aus verschiedenen Quellen von einer optimalen Dosis mit 0,05 bis 0,07 mg
F/kg Körpergewicht ausgegangen, wobei
die Applikationen vor allem lokal am
durchgebrochenen Zahn in der Mundhöhle
wirksam sein sollten. Um die Wirkmechanismen dort zu unterstützen, sollten auch
die Tabletten langsam im Mund zergehen
oder gelutscht werden. Die Fluoridtabletten können bei Kariesrisikosituationen
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und gegebener Compliance nach einem
altersabhängigen Schema und unter Berücksichtigung des Fluoridgehaltes des
Trinkwassers (Tab. 10) individuell verabreicht werden, wobei andere Fluoridquellen, wie F-Speisesalz und die F-Zahnpaste,
bis zum sechsten bis achten Lebensjahr
parallel nicht angewandt werden dürfen. Weiterer Berücksichtigung bedarf
der Konsum von Mineralwässern, die ab
1,5 mg F/l eine Kennzeichnungspflicht haben. Vor interner F-Supplementierung
muss unbedingt eine Fluoridanamnese
erstellt werden.
Eine Fluoridquelle mit steigender – auch lokaler – Bedeutung, die es anamnestisch vor
der Tablettenverschreibung zu berücksichtigen gilt, ist die Speisesalzfluoridierung mit
250 mg F/kg. Von einem Speisesalzkonsum
von 4 g Salz pro Tag ausgehend, wird mit
einer F-Aufnahme von einem Milligramm pro
Tag gerechnet. Der durchschnittliche Salzkonsum aus allen Nahrungsquellen beträgt
in Deutschland derzeitig etwa 15 g/Tag. Die
Salzfluoridierung bleibt u. a. aus diesem
Grund auf den privaten Haushaltbereich
beschränkt; fluoridiertes Speisesalz darf in
Großküchen, Bäckereien usw. bisher nicht
eingesetzt werden. Der Verkaufsanteil des
fluoridierten Salzes ist in Deutschland in den
letzten Jahren auf 60 % gestiegen, so dass
diese alternative F-Anwendung eine beachtliche Akzeptanz gefunden hat. Das süße
Speisen bevorzugende Kleinkind wird aber
mit der Salzfluoridierung erst spät erreicht.
In der Schweiz und in Frankreich ist mit
Beginn der Salzfluoridierung eine Senkung
des Kariesbefalls bei Kindern und Jugendlichen um bis zu 50 % erzielt worden, wenn
auch diese Entwicklung vor dem Hintergrund des allgemeinen Kariesrückganges in
Europa stattgefunden hat. Für Deutschland
gibt es ebenfalls Hinweise auf die kariespräventive Auswirkung des Konsums fluoridierten Salzes, denn bei 12-Jährigen mit (bewusstem) Konsum des genannten Salzes war
der Kariesbefall um ein Viertel niedriger als
in einer Vergleichsgruppe.
Grundsätzlich sollte nur eine Form der
internen Fluoridverabreichung gewählt werden; dabei ist die lokale Wirksamkeit in der
Mundhöhle und die Begrenzung der Gesamtzufuhr auf 0,05 bis 0,07 mg/kg Körpergewicht zu sichern.
9 Fluoridaufnahme und Fluoridstoffwechsel
Fluorid kommt in geringen Mengen überall in
der Natur vor. Im Erdboden wird mit einer
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Nahrungsmittel
Fluoridkonzentration
Pflanzen, Obst, Gemüse
0,01 - 0,1 mg F-/kg
Kuhmilch
0,1 - 0,2 mg F-/l
Pilze
0,8 mg F-/kg
Fleisch/Geflügel
0,2 - 1,2 mg F-/kg
Teeblätter, trocken
ca. 400 mg F-/kg
Teeaufguss
0,5 - 1,5 mg F-/l
Fische
ca. 1,2 mg F-/kg
Krabben/Muscheln
ca. 140 mg F-/kg
Meerwasser (Ostsee)
0,7 mg F-/l
Meerwasser (Schwarzes Meer)
1,2 mg F-/l
Natürliche Fluoridaufnahme ca. 0,2 bis 0,5 mg F-/Tag
Tabelle 11 Natürliche Fluoridquellen.
Table 11 Natural sources of fluoride.
mittleren Konzentration von 80 bis 100 ppm F
(1 ppm = 1 mg/l oder pro kg) gerechnet und
in der Luft sind Konzentrationen von 0,1
bis 1,3 μg F/m³ beschrieben (mittl. Atemvolumen/Tag = 20 m³). Der F-Gehalt des
deutschen Trinkwassers reicht von 0,02 bis
1,8 mg/l, wobei von 6.216 Gemeinden
Westdeutschlands nur 125 Konzentrationen
über 0,5 mg F/l erreichten. In Mineralwässern kommen höhere Konzentrationen vor,
die ab 1,5 mg/l eine Kennzeichnung und ab
5 mg/l einen Warnhinweis tragen müssen.
Natürliche Fluoridquellen unserer
Nahrung (Tab. 11) haben häufig maritimen
Ursprung oder es handelt sich um Pflanzen,
die auf vulkanischen Böden gedeihen. In
der Vergangenheit ist ebenfalls die Kontamination von Nahrungsmitteln durch Industrieabgase (z. B. Düngemittel- oder Aluminiumherstellung) beschrieben. Die F-Aufnahme aus der Nahrung erreicht in der Regel
0,3 bis 0,5 mg F/Tag.
Schließlich spielen in den Bilanzen des
Organismus verschluckte Kariespräventiva
eine nicht unwesentliche Rolle. In diesem
Zusammenhang wird heute eine interne Aufnahme von 0,05 bis 0,07 mg F/kg Körpergewicht als unbedenklich betrachtet (WHO).
Da nicht immer das gesamte in den Körper gelangende Fluorid resorbiert wird, genießt die Bioverfügbarkeit eine separate
Betrachtung. Diese ist bei oraler Aufnahme
von Natriumfluorid bei leerem Magen 100
Prozent, während alle calciumhaltigen Nahrungsmittel (Milch, Käse etc.) zur Einschränkung der Bioverfügbarkeit führen. Die
Resorption des Fluorids aus dem sauren Mageninhalt erfolgt ziemlich schnell undissoziiert als HF, so dass im Plasma (etwa 3,0 l
Flüssigkeit) bereits nach 30 bis 45 Minuten
ein von der Verabreichungskonzentration
abhängiger Maximalwert erreicht wird, der
anschließend durch die Verteilung im Extrazellularraum (ca. 12,0 l Flüssigkeit) und
durch Wechselwirkungen mit dem Knochen
sowie durch Ausscheidung zum Ausgangswert zurückkehrt (Abb. 10). Die normale FKonzentration im Plasma beträgt 0,02 bis
0,04 ppm F (= 1 bis 2 μmol/l); im Speichel
sind davon etwa 80 % anzutreffen.
Die Ausscheidung erfolgt für mehr als
90 % über die Niere, deren tägliche Ausscheidungskapazität bei etwa 15 mg liegt,
so dass bei einer höheren Einzeldosis der
Fluoridwert im Blut über 24 Stunden gesteigert bleibt (Osteoporosetherapie). Das Skelett fungiert in Abhängigkeit von der Zufuhr
als Puffer oder Ausgleichsreservoir und baut
einen kleinen Teil des angebotenen Fluorids
ein. Infolgedessen kommt es während des
Wachstums bei Kindern und Jugendlichen zu
einer positiven Fluoridbilanz mit einer höheren F-Aufnahme als F-Ausscheidung. Der
Fluorideinbau führt zu einer Vergrößerung
der Kristalle, Reduktion der Löslichkeit des
Apatits und damit Stabilisierung des Skeletts. Später beim Erwachsenen stellt sich
eine ausgeglichene F-Bilanz ein, bei der
sich F-Aufnahme und F-Ausscheidung entsprechen. Die negative Fluoridbilanz begleitet Knochenabbauvorgänge, wie sie bei alternden Personen anzutreffen sind.
96 % des Fluorids im menschlichen Körper sind im Knochenskelett konzentriert.
Im Weichgewebe ist die Konzentration demgegenüber mit 0,4 bis 0,9 μmol/l sehr niedrig. Die Ausscheidung erfolgt hauptsächlich
über die Niere und steht in direkter Propor-
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tionalität zur Belastung durch das Trinkwasser (bis 6 ppm F). Weiterhin besitzt die Ausscheidung eine starke Spezifität, denn die
renale Clearance erreicht 50 % der für das
Kreatinin und ist damit zehnfach effektiver
als für Chlorid.
Im Zusammenhang mit der Fluoridverfügbarkeit zum Zeitpunkt der Mineralisation
wird immer wieder die Plazentagängigkeit
des Fluoridions diskutiert und von einer
Plazentaschranke beim Menschen in Analogie zum Tiermodell an der Ratte oder Maus
gesprochen. Untersuchungen haben aber
gezeigt, dass nicht nur im mütterlichen Serum (z. B. 0,88 μmol/l), sondern auch im
Nabelschnurblut des Fötus Fluorid (entsprechend 0,68 μmol/l) nachweisbar ist.
Die hohe Affinität zwischen Calcium
und Fluorid spiegelt sich auch im F-Gehalt
des Zahnschmelzes wider, in dem die höchste Konzentration an der Oberfläche zu finden ist, die einen Gradienten zur SchmelzDentin-Grenze hin zeigt (Abb. 11). Dies ist
einerseits die Folge lokaler Applikation
(u. a. beim Zähneputzen) und andererseits
durch abwechselnde De- und Remineralisationsvorgänge bedingt, bei denen ein bedeutender Fluoridanteil posteruptiv in den
Schmelz eingelagert wird. Eine kariespräventive Mindestkonzentration des Fluorids
im Schmelz, wie sie von Mühlemann mit
1.000 ppm F in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhundert gefordert und als Zielstellung der F-Applikation ausgegeben wurde, ist aber nicht zu verallgemeinern, da
Plaquebesiedlung der Zahnflächen, Speichelexposition und andere kariesdisponierende Faktoren sehr starken mikroökologischen Variationen unterliegen und außerdem auch reiner Fluorapatit unter kariogenen Bedingungen löslich ist. Fluorid hat im
Körper eine besondere Affinität zu den kalzifizierenden Geweben und wird zu 95 % –
abhängig vom externen Angebot – dort eingelagert.
10 Fluoridtoxikologie
Wie einleitend zu diesen Ausführungen festgestellt, kann die chronische Aufnahme erhöhter Fluoridmengen während der Mineralisation der Zähne zu Veränderungen des
Zahnschmelzes in Form von Dentalfluorose
führen. Die schmelzbildenden Ameloblasten
stellen die gegenüber Fluorid empfindlichsten Zellen im menschlichen Organismus dar, bereits bei Konzentrationen um
10 μmol F-/l werden sie geschädigt.
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L. Stößer: Kariesprävention mit Fluoriden
SUMMARY
Caries prevention with fluorides
The caries protective effect of various
fluoride preparations differs considerably
from findings reported in the past and
could be summarised as follows:
1. During the first years (1940 to 1960)
of systemic fluoridation (with water
or tablets) the caries prevalence in
communities with such preventive
measures was approximately 50 percent lower than that of groups without these measures.
2. After the first use of topical fluoride
application as gel, varnish or solution in so-called school-based fluoride programmes (1960 to 1980) a reduction of caries increment of about
30 to 50 percent was reported within
two to three years of regular application.
3. In the last 25 years prevalence of dental caries among children and adolescents of most industrialised western
countries has declined. This phenomenon is referred to as „caries decline“ in the literature and is attributed to the widespread use of toothpastes containing fluoride. From the
current point of view other courses of
this reduced caries increment are fissure sealing, changes in dental care
systems, changes in caries diagnosis
and treatment, diet counselling and
influence of antibiotics and food
preservatives.
4. Since caries prevalence has currently
declined many preventive programmes for groups show a lower efficiency than in the past. However, an
interruption of regular fluoride application causes measurable increment
of dental caries.
Keywords: fluorides, caries prevention,
review, kinds of application, F-uptake,
F-toxicology
Jahre), können Skelettfluorosen entstehen, die sich in Verkrüppelungen und Verkalkung von Bändern und Gelenken mit
Wachstumseinschränkung äußern.
Die akute letale Intoxikation ist bei
Aufnahme von 32 bis 64 mg/kg Körpergewicht zu erwarten; diese Dosis wird als sichere toxische Dosis (Certainly Toxic Dose =
CTD) angesehen, während bei Kleinkindern
auf Grund der geringeren Körpermasse die
Dosis wahrscheinlich schon bei 5 mg/kg
(Probably Toxic Dose = PTD) liegt. Zu einer
Vergiftung müssten Erwachsene (70 kg) etwa 5 bis 10 g Fluorid verschlucken und bei
einem 20 kg schweren Kind (fünf bis sechs
Jahre alt) sind es vier bis fünf Tuben Zahnpaste mit 1.100 ppm F oder 50 ml (etwa drei
Esslöffel) eines konzentrierten F-Präparates
mit 12.300 ppm F. Bei noch kleineren Kindern ist die Intoxikationsgefahr dann entsprechend eher zu erwarten, so dass fluoridhaltige Präparate nicht unbeaufsichtigt angewandt werden sollten.
Die Charakteristika der akuten Intoxikation sind durch fallende Calcium- und steigende Kaliumkonzentrationen im Plasma
verursacht. Es sind Übelkeit, Erbrechen und
Bauchschmerzen; es folgen exzessiver Speichel- und Tränenfluss, Spasmen und Tetanie, Herzarrhythmie, Blutdruckabfall und
Beeinträchtigung des Atemzentrums mit einer respiratorischen Azidose. Der Tod kann
innerhalb weniger Stunden eintreten. Als
Sofortmaßnahmen kommen in Betracht:
die Unterbrechung der F-Resorption durch
Erbrechen, Gabe eines Emetikum und nachfolgende Calciumchlorit- oder Calciumglukonatverabreichung, ehe die Nothilfe eines
Klinikums in Anspruch genommen wird.
Hochkonzentrierte fluoridhaltige Präparate
dürfen bei Kindern bis zu sechs Jahren nur
vom Zahnarzt oder Hilfspersonal angewandt
werden.
Präventivmaßnahmen etwa 50 % niedriger als ohne diese Maßnahmen.
2. In den ersten Studien zur lokalen Fluoridverabreichung in Form von Lacken,
Gelen oder Lösungen (1960 bis 1980)
wurde über eine Reduktion der Kariesinzidenz von 30 bis 50 % nach zwei bis
drei Jahren bei regelmäßiger Anwendung berichtet.
3. In den letzten 25 Jahren ist die Kariesprävalenz bei Kindern und Jugendlichen
in den meisten Industrienationen besonders in der permanenten Dentition
deutlich zurückgegangen. Dieses Phänomen hat in die Literatur unter der Bezeichnung „caries decline“ Eingang gefunden und wird auf den hohen Marktanteil fluoridhaltiger Zahnpasten zurückgeführt. Weitere Ursachen dieses
Kariesrückganges bilden aus heutiger
Sicht die Fissurenversiegelung sowie
Veränderungen in den zahnärztlichen
Betreuungssystemen, Veränderungen in
der Kariesdiagnostik und -therapie, in
der Ernährung sowie Einflüsse von Antibiotika und Konservierungsmitteln.
4. Da die Kariesprävalenz zurückgegangen
ist, zeigen einerseits viele gruppenorientierte Präventionsprogramme eine
geringere Effektivität als aus der Vergangenheit bekannt ist; andererseits
bewirkt die Unterbrechung einer regelmäßigen Fluoridapplikation jedoch einen messbaren Kariesanstieg.
Weiterführende Literatur
1.
2.
3.
4.
5.
Abhängig von der Verabreichungsdosierung, der Zeitdauer der Einwirkung und dem
Zeitpunkt in der Schmelzbildung treten die
Störungen lokalisiert an bestimmten Zahngruppen auf. Schon bei 1,5 bis 2,0 mg F/Tag
in den ersten acht Lebensjahren kann es zu
leichten fluorotischen Schmelzflecken kommen, die aber nur eine kosmetische Beeinträchtigung darstellen. Nach der Schmelzbildung, wenn die präeruptive Reifung abgeschlossen ist, treten diese Störungen,
auch bei höheren Dosierungen, nicht mehr
auf. Werden extrem hohe Dosen jahrelang
aufgenommen (8 bis 10 mg/Tag über zehn
70
11 Aktueller Stand zur kariespräventiven Effektivität der Fluoride
Für die verschiedenen Fluoridapplikationsformen lässt sich aus heutiger Sicht die
von den älteren Berichten teilweise erheblich abweichende kariesprotektive Wirksamkeit zusammenfassend folgendermaßen beschreiben:
1. In den ersten Jahren (1940 bis 1960)
der systemischen Fluoridverabreichung (Trinkwasser- oder Tablettenfluoridierung) war die Kariesprävalenz in
Gemeinden oder Gruppen mit diesen
Hellwig, E., Klimek, J., Attin, T.: Einführung in
die Zahnerhaltung. 3., neu bearb. Aufl., München:
Urban & Fischer, 2003
Fejerskov, O., Kidd, E.: Dental caries: the disease
and its clinical management. Oxford: Blackwell
Munksgaard, 2004
Fejerskov, O., Ekstrand, J., Burt, B. A.: Fluoride in
dentistry. 2. ed., Copenhagen: Munksgaard, 1996
König, K.G.: Karies und Parodontopathien: Ätiologie und Prophylaxe. Stuttgart: Thieme, 1987
Das Dental Vademekum 8 (DDV 8): Qualitätsmanagement beim Einsatz vom Dentalprodukten, 8.
Aufl., Köln: Deutscher Zahnärzte Verlag, 2004
Weitere Literatur beim Verfasser.
佥
Korrespondenzadresse:
Prof. Dr. Dr. Lutz Stößer
Poliklinik für Präventive Zahnheilkunde
des Zentrums für Zahn-, Mund- und
Kieferheilkunde
des Klinikums der Friedrich-SchillerUniversität Jena
Bachstraße 18
07743 Jena
Oralprophylaxe & Kinderzahnheilkunde 29 (2007) 2