Zerstörungsfreie Prüfverfahren für Langprodukte — aktueller Stand

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Zerstörungsfreie Prüfverfahren für Langprodukte — aktueller Stand
Internet-PDF aus „stahl und eisen“ 131 (2011), Heft 8, Seiten 73 - 82
© 2011, Verlag Stahleisen GmbH, Düsseldorf
Werkstoff und Fertigung
Zerstörungsfreie Prüfverfahren für
Langprodukte — aktueller Stand
Non-destructive testing of steel long products — current status
Axel Stüber, Martin Waltner, Bernd Bäcker, Hilmar Jung, Herbert Schifferl und Ingo Steller
Die Oberflächengüte von Stabstahl und Walzdraht hat einen wesentlichen Einfluss auf die Qualität der Endprodukte wie beispielsweise Gesenkschmiedestücke, Kaltmassivumformteile und Schrauben. Mit Blick auf die steigenden
Anforderungen der Anwender wurden die heutigen Möglichkeiten und Grenzen der Inlineprüfung auf Oberflächenund Innenanzeigen ermittelt. Dieser Bericht ist das Ergebnis einer Gemeinschaftsarbeit im Werkstoffausschuss des
Stahlinstituts VDEh, Fachausschuss für legierte Baustähle.
The surface quality of steel bar and wire rod has a considerable influence on the quality of the final products, e. g.
closed die forgings, cold forgings and bolts. With respect to the increasing customer requirements the current potentials and limits of in-line testing for surface and internal discontinuities have been determined. This report is the
result of joint work within the Materials Committee of the German Steel Institute VDEh, technical committee for
alloyed structural steels.
L
angprodukte aus legierten Baustählen — Stabstahl und Draht — werden zu einem großen Teil
als Vormaterial für die Herstellung anspruchsvoller Bauteile für die Automobilindustrie verwendet.
Hierzu zählen Common-Rail-Injektoren und Verteilerleisten, Fahrwerkskomponenten, Teile des Antriebsstranges, aber auch Wälzlager und hochfeste
Schrauben, um nur einige zu nennen. Die immer
leichter konstruierten Bauteile werden zugleich immer höher belastet. Dabei werden die Werkstoffe
häufig bis an ihre Grenzen ausgenutzt. Im Extremfall können bereits kleinste, fertigungstechnisch
kaum vermeidbare Fehlstellen im Stahl zum Ausfall einzelner Bauteile führen. Vielfach treten diese Ungänzen erst bei der Fertigung der Bauteile in
Erscheinung, was oft zum Anlass genommen wird,
ganze Lieferungen zu reklamieren.
Die Stahlhersteller setzen modernste Fertigungstechnik ein und sorgen für technisch konstante
Produktionsbedingungen. Die wesentlichen Prozessparameter werden in der Regel mithilfe von
Automatisierungssystemen eingestellt, überwacht
und geregelt. Bei Abweichungen von den gesetzten
Vorgaben werden automatisch oder manuell Maßnahmen ergriffen. Die entsprechenden Chargen
werden gekennzeichnet und anschließend einer
eingehenderen Überprüfung unterzogen. Dennoch
entstehen auch bei optimaler metallurgischer
Arbeit kleinste nichtmetallische Einschlüsse, die
jedoch am Vormaterial mit der eingesetzten, mo-
stahl und eisen 131 (2011) Nr. 8
Auf modernen Anlagen werden Langprodukte als Vormaterial für die Herstellung
anspruchsvoller Bauteile für die Automobilindustrie hergestellt
State-of-the-art long product plants produce material for the production of advanced
parts for the automotive industry
Foto: böhler
Technik + Trends
Werkstoff und Fertigung
dernen Inlineprüftechnik kaum erkannt werden
können. (Unter Onlineprüftechnik versteht man
eine Prüfung beispielsweise im Walzprozess, unter
Inlineprüftechnik versteht man eine Prüfung auf
automatisierten Prüf linien.) Nur durch Sonderuntersuchungen und zerstörende Prüfungen können Aussagen hinsichtlich des Qualitätsstandes
gemacht werden. Es handelt sich dabei um statistisch durchgeführte Prüfungen, deren Aussagekraft
begrenzt ist. Der Stahlhersteller entscheidet dann,
ob die Charge freigegeben werden kann. Eventuell
ist eine Nacharbeit möglich. Im ungünstigsten Fall
muss die betroffene Charge verworfen werden.
Viele Stahlanwender fordern wegen der bekannten negativen Auswirkungen von Einschlüssen einen
hohen Reinheitsgrad des Stahls. Für besondere Reinheitsanforderungen müssen aufwendigere Prozesse
wie das Elektro-Schlacke-Umschmelzverfahren (ESU)
gewählt werden. Es ist jedoch ein Irrtum, anzunehmen, dass ein solches Material einschlussfrei ist.
In einschlägigen Normen wie z. B. DIN EN 10221
sind Qualitätsklassen definiert, denen maximal
zulässige Ungänzen zugeordnet sind. Hierbei ist
es von großer Bedeutung, die Qualitätsklasse entsprechend der späteren Anwendung auszuwählen. Die Wahl einer höheren Qualitätsklasse führt
nicht zwingend zu einer weiteren Absenkung der
Fehlerquote beim Stahlanwender. Aufgrund des
eventuell höheren Prüfaufwandes und des höheren
Ausschussanteils steigen dann lediglich die Fertigungskosten und somit die Materialpreise, da das
beim Stahlhersteller verschrottete Material noch
problemlos beim Stahlanwender hätte verarbeitet
werden können.
Ein vollständiger Ausschluss von Ungänzen im
Vormaterial ist mit der heutigen Prüftechnik aus
physikalischen Gründen und den gegebenen wirtschaftlichen Randbedingungen nicht erreichbar.
Diese Gründe werden nachfolgend für die einzelnen
Prüfverfahren erläutert.
Das Ziel dieser Veröffentlichung ist es, die heutigen Möglichkeiten und Grenzen der Inline-Prüfung
auf Oberflächen- und Innenanzeigen darzustellen.
Stichprobenartige Prüfverfahren wie beispielsweise die Ultraschall-Tauchtechnik-Prüfung nach SEP
1927, die ebenfalls ihre Berechtigung haben, stehen
daher nicht im Mittelpunkt dieser Betrachtung.
Klassifizierung von Ungänzen und
Konsequenzen
Beim Auftreten von Ungänzen sind drei verschiedene Szenarien möglich:
Ungänzen, die außerhalb einer vereinbarten
Spezifikation liegen. Vormaterial mit solchen Ungänzen wird generell aussortiert bzw. nachgearbei-
tet. Jedoch kann es in Einzelfällen vorkommen, dass
solche Ungänzen unerkannt bis zum Verarbeiter gelangen. Dieser muss dann aufgrund seiner Verantwortung sicherstellen, dass die betroffenen Bauteile
aussortiert werden.
Manche Ungänzen lassen sich noch nachträglich
entfernen, sofern dies von dem Verarbeitungsverfahren bzw. vom konkreten Bauteil toleriert werden
kann. Dies wird in der Regel zwischen Stahlhersteller und -verarbeiter bzw. -anwender vereinbart. Ist
dies nicht möglich, kann das fehlerhafte Vormaterial zurückgewiesen werden.
Ungänzen, die innerhalb einer vereinbarten
Spezifikation liegen. Damit sollte der Anwender
im Regelfall auskommen können, denn die Spezifikation wurde zuvor mit dem Stahlhersteller
vereinbart. Bei veränderten Rahmenbedingungen
– beispielsweise einer verlängerten Garantiezeit des
Endprodukts – müssten die Größen der Ungänzen
ggf. im Hinblick auf die geänderte Produktlebensdauer neu bewertet werden, um vorzeitige Ausfälle
zu vermeiden. Eine Zurückweisung des betroffenen
Vormaterials ist nicht berechtigt, da die vereinbarte
Spezifikation einwandfrei erfüllt wurde.
Ungänzen, die nicht nachweisbar sind. Manche
Ungänzen können selbst mit den besten heutigen
zerstörungsfreien Inlineprüfverfahren nicht nachgewiesen werden. Ihre Existenz lässt sich entweder gar nicht oder nur mithilfe stichprobenartig
angewendeter, zerstörender Prüfverfahren wie z. B.
Kalt- und Warmstauchversuch, Stufendrehprobe,
Metallografie, Rasterelektronenmikroskopie belegen. Manche Ungänzen, wie etwa kleinste mikroskopische Einschlüsse, Seigerungen, Mikroporositäten etc., haben in aller Regel keinen signifikanten
Einfluss auf die Produktlebensdauer.
Auch wenn es gelingt, durch konsequente Weiterentwicklung der heutigen Prüfverfahren deren
Empfindlichkeit zu erhöhen, wird es auch weiterhin nicht nachweisbare „Restfehler“ der letztgenannten Kategorie geben.
Charakteristika von Oberflächen- und
Innenungänzen
Die folgenden prinzipiellen Arten von Ungänzen
können an Stabstahl und Walzdraht auftreten.
Sie lassen sich anhand ihres Aussehens und ihrer
Ausdehnung charakterisieren und zeichnen sich
durch ein charakteristisches Abstrahlverhalten
aus. Eine Beschreibung der wichtigsten Fehlerarten
einschließlich deren Entstehungsursachen wird im
Fehlerkatalog für Walzdrahtfehler gegeben.
Die wichtigsten Arten oberflächennaher Ungänzen sind:
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Oberflächenrisse entstehen überwiegend in der
Stranggießanlage, und zwar während der Strangschalenbildung in der Kokille und der nachfolgenden Strangführung sowie im kritischen Bereich
der Strangrückbiegung. Durch eine inhomogene
Verteilung bzw. ungleichmäßiges Einziehen des
aufschmelzenden Gießpulvers können lokal unterschiedliche Abkühlbedingungen bei der Strangschalenbildung entstehen. Die daraus resultierenden thermischen Spannungen können von der
soeben gebildeten Strangschale nicht aufgenommen werden.
Je nach weiterer Belastung und Umgebungsatmosphäre können diese offenen Oberflächenrisse
wieder zusammengedrückt und ganz oder teilweise
verschweißt werden. (Arten: Kurzrisse, Längsrisse,
Querrisse). Auch das Rückbiegen in Bogenstranggießanlagen kann für manche Werkstoffe kritisch
sein.
Überwalzungen entstehen im Walzwerk, wenn
der Stahl bei der Umformung nicht wie erforderlich gestreckt wird, sodass das Kaliber überfüllt
wird und im nachfolgenden Stich das ausgetretene
Material einseitig oder sogar beidseitig umgelegt
und eingewalzt wird. Mögliche Ursachen sind eine
ungünstige, inhomogene Temperaturverteilung
oder Ungenauigkeiten in der Führung der Walzader.
Schalen, Splitter. Die Schalenbildung ist eine
schwache Überwalzung, die in den nachfolgenden
Umformschritten immer flacher ausgewalzt wird.
Grund für Schalen und Splitter sind in der Regel
Bereiche, in denen ein ungenügendes Verformungsvermögen vorliegt und die nachfolgend punktuell
aufreißen.
Mechanische Beschädigungen
Außerdem unterscheidet man die folgenden Arten von innen liegenden Ungänzen, wie z. B. Riefen,
Kratzer etc.
Nichtmetallische Einschlüsse wie Oxide und
Sulfide entstehen bei der metallurgischen Arbeit
in der Stahlschmelze. Die wesentliche Ursache
für die Bildung von Oxiden ist die Legierung der
Stähle mit Aluminium, das z. B. zum Erreichen der
Feinkornbeständigkeit benötigt wird. Durch den
erforderlichen Aluminiumgehalt ergibt sich ein
sehr niedriges Sauerstoffpotenzial in der Schmelze. Weniger stabile Oxide, die sich im Feuerfestmaterial befinden können, werden dann reduziert
und bilden Aluminiumoxide. Es gibt noch weitere Gründe für die Bildung von nichtmetallischen
Einschlüssen, die hier nicht aufgezeigt werden.
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Dies zeigt, dass ein hoher Aufwand zum Schutz
der Stahlschmelze vor Sauerstoffzutritt getrieben
werden muss. Aufgrund ihrer andersartigen Zusammensetzung, Kristallstruktur und sonstiger
physikalischer Eigenschaften reflektieren die Einschlüsse die Ultraschallwellen. Die Einschlussarten
(Oxide, Sulfide, etc.) unterscheiden sich in ihrem
Reflexionsverhalten, ihre Nachweisbarkeit hängt
neben der Orientierung zum Ultraschall jeweils
von ihrer Größe und dem mehr oder weniger innigen Kontakt zur Matrix ab. Aufgrund ihrer guten
Verformbarkeit bei höheren Temperaturen besitzen die Mangansulfide einen sehr guten Kontakt
zur Matrix und sind deswegen mittels Ultraschall
nur schwer zu detektieren.
Bei Lunkern und Porositäten handelt es sich um
Hohlräume, die während der Erstarrung entstehen
und auch beim nachfolgenden Walzen nicht vollständig geschlossen werden. Für gewöhnlich lassen
sich diese Ungänzen durch Ultraschallprüfung sehr
gut finden.
Prüfverfahren für gegossenes Halbzeug
Die Prüfung von gegossenem Halbzeug (Rohstrang) bezieht sich im Folgenden nur auf Knüppelstrangguss. Sie ist nicht auf großformatigen Vorblockstrangguss übertragbar, der fertigungsbedingt
eine gröbere Oberflächenstruktur aufweist, die erst
in den nachfolgenden Umformschritten vergleichmäßigt wird.
Aussagen über Seigerungen, Einschlüsse, Kernfehler und Innenrisse können nur anhand von
Stichprobenuntersuchungen an Strangabschnitten
gewonnen werden, da eine Ultraschallprüfung auf
innere Ungänzen aufgrund der groben Gussstruktur und der Oberflächenbeschaffenheit nicht sinnvoll durchführbar ist.
Schwefelabdrücke und Beizscheiben sind übliche
Verfahren der Prüfung auf Seigerungen, Kernfehler
und Innenrisse. Blaubruchprüfung, Stufendrehproben und Ultraschall-Tauchtechnik-Prüfungen nach
SEP 1927 an speziell umgeformten Proben dienen
der Beschreibung der Gehalte an nichtmetallischen
Einschlüssen [1]. Eine Überprüfung auf Oberf lächenungänzen kann mittels Magnetpulverprüfung
(nass / trocken) durchgeführt werden. Allerdings ist
die hier erreichbare Prüfempfindlichkeit aufgrund
der rauen Oberfläche und der Oszillationsmarken
nicht annähernd mit derjenigen beim umgeformten Material vergleichbar.
Oberflächenprüfverfahren für Stabstahl
Nachfolgend werden die verschiedenen Prüfverfahren einschließlich ihrer physikalischen Grundlagen beschrieben.
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Werkstoff und Fertigung
Wirbelstromprüfung. Bei der Wirbelstromprüfung wird die Oberf läche des zu prüfenden Materials einem elektromagnetischen Wechselfeld
ausgesetzt, Bild 1 . Hier spielt die elektrische Leitfähigkeit des Werkstoffs eine große Rolle. Das Wechselfeld erzeugt eine elektrische Spannung, sodass
in der Oberfläche des Materials ringförmige Wirbelströme entstehen. Diese erzeugen magnetische
Wechselfelder, die ihrerseits elektrische Spannungen in einer Messspule erzeugen. Diese Spannungen werden gemessen und elektronisch verarbeitet.
Treffen die oberf lächennahen Wirbelströme auf
ein Hindernis, etwa eine Oberflächenungänze, so
werden sie abgelenkt. Diese Ablenkung sorgt für
eine höhere Spannung in der Messspule und wird
entsprechend als über dem Rauschen und der Fehlerschwelle liegende Anzeige registriert.
Die Eindringtiefe der Wirbelströme hängt von der
Frequenz des angelegten Wechselfeldes und den
elektromagnetischen Eigenschaften des zu prüfenden Werkstoffes ab. Üblicherweise werden Prüffrequenzen zwischen 30 kHz und 3 MHz eingesetzt.
Neben ferromagnetischen Werkstoffen können
auch nichtmagnetische austenitische Stähle geprüft
1
Prinzip der Wirbelstromprüfung mittels einer Durchlaufspule
Scheme of eddy current testing with a concentric coil
Bild: Institut Dr. Förster
2
Signal einer längs orientierten Ungänze in einer Durchlaufspulenprüfung
Signal of a longitudinally oriented discontinuity obtained by
concentric coil testing technique
Bild: Institut Dr. Förster
werden. Allerdings werden die Prüffrequenzen entsprechend der unterschiedlichen physikalischen Eigenschaften gewählt.
Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten zur
Wirbelstromprüfung: zum einen die Prüfung mittels Durchlaufspule und zum anderen die Prüfung
mittels Sonden, die das Prüfgut umkreisen und eine
Prüfhelix auf der Prüfgutoberfläche abdecken. Bei
den rotierenden Wirbelstromsonden handelt es sich
um ein berührungsfreies Prüfverfahren. Wegen der
physikalischen Gegebenheiten verringert sich das
Fehlersignal stark mit zunehmendem Sondenabstand. Aber auch eine Verringerung des Sondenabstandes muss ausgeglichen werden, um die Prüfschärfe nicht unnötig zu erhöhen. Deshalb muss
über eine Abstandskompensation die Signalhöhe
korrigiert werden. Damit kann sowohl der Einfluss
einer nicht idealen Prüfgutposition relativ zu dem
Mittelpunkt der Kreisbahn der Sonden als auch der
Einfluss von Ovalitäten ausgeglichen werden.
Zur Detektion quer orientierter Ungänzen werden Durchlaufspulen eingesetzt, weil der induzierte Wirbelstrom senkrecht zu dem erwarteten
Fehlertyp strömt und daher ein maximales Signal
erzeugt werden kann, Bild 2 . In der Kaltprüfung
wird das Prüfgut zusätzlich aufmagnetisiert, um
die Nachweisempfindlichkeit zu verbessern. Damit
der Stahlanwender keine Verarbeitungsprobleme
bei der Zerspanung bekommt, müssen die Stangen
im Durchlauf wieder entmagnetisiert werden. Dabei ist zu beachten, dass die Entmagnetisierungszeit durchmesserabhängig ist. Das bedeutet, dass
bei dickeren Abmessungen die Prüfgeschwindigkeit
deutlich reduziert werden muss und somit die Kosten entsprechend steigen.
Zum Auffinden längsorientierter Ungänzen werden rotierende Sonden eingesetzt. Die Prüfgerätehersteller arbeiten daran, die mechanisch rotierenden Sonden durch elektronisch rotierende Felder
zu ersetzen. Bis jetzt zeigen jedoch die elektronisch
rotierenden Verfahren deutliche Schwächen gegenüber den konventionellen Verfahren mit rotierenden Sonden. Bild 3 zeigt Anlagenteile einer Wirbelstromprüfanlage.
Einen großen Einf luss hat die Oberf lächenbeschaffenheit des zu prüfenden Materials. Bei der
Wirbelstromprüfung an warmgewalztem Material
können Walzgrate, Abflachungen oder Zunderanhaftungen das Prüfergebnis beeinflussen. Bei walzgeschältem Material können kleinste mechanische
Beschädigungen, z. B. Kratzer und Riefen, zum Aussortieren der geprüften Stäbe führen. Außerdem
können durch den Schälprozess in der Oberfläche
induzierte lokale Verfestigungen zu Unterschieden
in der elektrischen Leitfähigkeit führen. Insbesondere sehr weiches Material kann davon betrof-
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fen sein. Hier ist die Spanbildung grundsätzlich
schlechter als bei mittleren oder hohen Festigkeiten. Dies zeigt sich nach der Schälmaschine durch
eine rauere Oberfläche. Diese Spitzen werden im
nachfolgenden Richtpolierprozess eingewalzt, und
durch die Kaltumformung des Materials entstehen
lokal begrenzte, starke Unterschiede in der Versetzungsdichte. Die Versetzungsdichte beeinflusst die
elektrische Leitfähigkeit. In den seltensten Fällen
ist die Helix, die durch die Schälmesser beschrieben wird, identisch mit derjenigen, die durch die
Prüfsonden beschrieben wird. Dies führt zu einer
deutlichen Erhöhung des Rauschpegels, sodass sehr
niedrige Risstiefen nicht mehr geprüft werden können.
Streuflussprüfung. Das Streuflussverfahren zur
Prüfung auf oberflächennahe Risse arbeitet nach
dem Prinzip der lokalen magnetischen Sättigung
des Materials, Bild 4 . Durch Erzeugen eines mittelfrequenten Magnetfeldes im Bereich zwischen 3 000
und 12 000 Hz gelingt es unter Ausnutzung des
Skineffektes, eine wenige Millimeter dicke Schicht
des Stahls in die magnetische Sättigung zu bringen.
Durch die magnetische Sättigung setzt der Stahl
dem magnetischen Fluss einen Widerstand entgegen. An einem Riss oder einem Einschluss wird
der magnetische Fluss aus der Materialoberfläche
getrieben und kann durch die Magnetfeldsonden
detektiert werden.
Um die austretenden Magnetfeldlinien sicher
detektieren zu können, müssen die Sonden auf
der Materialoberfläche gleiten, Bild 5 . Aufgrund
der umlaufenden Bewegung der Sonden können
im Wesentlichen nur längsorientierte, nicht aber
querorientierte Ungänzen, Ausbrüche oder gar Abplattungen gefunden werden. Mit diesem Verfahren
können nur ferromagnetische Werkstoffe geprüft
werden.
Die Streuflussprüfung, Bild 6 , ist weniger störanfällig als das Wirbelstromverfahren und erfordert
für niedrig legierte Stähle keine Berücksichtigung
der chemischen Zusammensetzung. Die minimal
detektierbare Länge ist von Sondenabstand und
Sondenwirkbreite abhängig. Die höchste Verbreitung haben Sondenhebel mit Sondenabständen von
12,5 mm und Sondenwirkbreiten von 5 mm. Bei
Geräten neuerer Generation können Sondenhebel
mit geringeren Sondenabständen von 7,5 mm eingesetzt werden.
Thermografie mit induktiver Anregung. Auch
bei diesem Verfahren wird die Oberfläche des zu
prüfenden Materials einem mittelfrequenten
elektromagnetischen Wechselfeld ausgesetzt. Die
induzierten Spannungen erzeugen stärkere Wir-
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3
Wirbelstromprüfanlage
Eddy current testing device
Fotos: Institut Dr. Förster
4
Prinzip der Streuflussprüfung
Scheme of flux leakage testing
Bild: Institut Dr. Förster
5
Arbeitsweise des Verfahrens mit umlaufenden Sonden
Testing method with rotating probes
Bild: Institut Dr. Förster
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belströme, die die Oberfläche des Prüfstückes deutlich erwärmen. An Rissen und oberflächennahen
Einschlüssen kommt es dabei zu einem Wärmestau.
Die Temperaturverteilung kann mit Infrarotthermokameras oder Infrarotscannern gemessen werden. Dabei ist die gemessene Temperaturdifferenz
— innerhalb gewisser Grenzen — proportional zur
Fehlertiefe. Für die sichere Detektion kommt es auf
die Auflösung kleinster Temperaturunterschiede
an.
Die Durchlaufgeschwindigkeit wird aktuell noch
von der Übertragungsrate der Thermokamera bzw.
durch die Scangeschwindigkeit bestimmt; bei zu
großer Geschwindigkeit verwischt unter Umständen das Bild, oder die Abstände zwischen den
Scanspuren werden zu groß. Technisch sind noch
weitere Verbesserungen der Datenverarbeitungsgeschwindigkeit möglich.
Eigenstrahlung (Infrarotstrahlung). Hierbei handelt es sich um ein Online-Heißprüfverfahren nach
Walzstraßen, z. B. für die Prüfung von umgewalzten
Knüppeln oder großformatigerem Stabstahl unmittelbar nach dem Walzprozess und vor dem Kühlbett. Es arbeitet mit „Mono Linear Cameras“ unter
Ausnutzung der Eigenstrahlung (Infrarotstrahlung)
des Walzgutes. Beim Durchlauf des Knüppels durch
die Prüfanlage werden alle vier Seiten jeweils von
einer Kamera aufgenommen. Oberflächenbereiche,
die eine höhere Eigenstrahlung emittieren (z. B.
zunderfreie Risse), sind heller, solche mit geringerer Eigenstrahlung (z. B. Zunder) werden dunkler
dargestellt. Anschließend werden jene Bildpunkte
detektiert, die aufgrund unterschiedlicher Grausättigung Teil einer möglichen Oberflächenungänze
sein könnten. Die Detektionsschwelle kann, abgestimmt auf das jeweilige Anforderungsprofil, eingestellt werden.
Im nachfolgenden Klassifikationsprozess wird
über unterschiedliche Algorithmen jeder detektier-
ten Ungänze eine Vielzahl von Parametern zugeordnet. Die Klassifizierung erfolgt durch einen Parametervergleich mit den bereits in der Fehlerdatenbank
abgespeicherten Fehlern. Anschließend erfolgt die
Zuordnung des vorliegenden Fehlers zu der Fehlerkategorie (z. B. Flächenlängsriss, Kantenlängsriss,
Querriss) mit der höchsten Übereinstimmung.
Magnetpulverprüfung (Fluxen). Bei der Magnetpulverprüfung wird ebenfalls das Prinzip des Magnetstreuflusses genutzt, wobei zwischen Nass- und
Trockenfluxen unterschieden wird.
Beim Nassfluxen wird auf die gereinigte oder gestrahlte Oberfläche eine Suspension mit feinsten
(im Mikrometerbereich) magnetisierbaren Partikeln aufgebracht, die mit einem Farbmittel umhüllt
sind. Je nach Art der Farbmittel können diese unter
Tageslicht (nicht fluoreszierend) oder UV- bzw. LEDLicht (f luoreszierend) sichtbar gemacht werden.
Zur Fehlererkennung wird eine Magnetisierung in
Längs- und/oder Querrichtung durchgeführt, sodass
an einer Fehlstelle der magnetische Fluss austritt
und sich die Magnetpartikel an dieser Stelle konzentrieren und eine „Raupe“ bilden. Diese Pulverraupen können dann von einem Prüfer oder einem
Bildverarbeitungssystem erkannt und ausgewertet
werden.
Das Trockenf luxen basiert auf den gleichen
Grundlagen. Diese Prüftechnik wird industriell bei
Rund- oder Vierkantmaterialabmessungen oberhalb
50 mm eingesetzt. Dabei wird der Prüfling mit zwei
Greifern durch eine Pulverkammer gefahren, in die
das fluoreszierende Magnetpulver eingeblasen wird.
Zur Prüfung auf Längsfehler wird der Prüfstrom
durch die Greifer in den Knüppel eingeleitet (Selbstdurchflutung). Zur Prüfung auf Querfehler kann
sich in der Pulverkammer eine stromdurchflossene Spule befinden, durch die der Prüfling gefahren
wird. Danach wird in einer weiteren Kammer überschüssiges Pulver vom Knüppel abgeblasen, sodass
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Streuflussprüfanlage
Flux leakage testing
device
Foto: Institut Dr. Förster
stahl und eisen 131 (2011) Nr. 8
nur die entstandenen Raupen auf dem Knüppel
verbleiben. Diese werden dann entweder fixiert,
sodass eine spätere visuelle Begutachtung durch
einen Prüfer möglich ist, oder von einem Bildverarbeitungssystem erkannt und ausgewertet.
Die Begutachtung von f luoreszierenden Magnetpulveranzeigen wurde in der bisherigen Praxis
unter UV-Licht durchgeführt, dessen gesundheitsgefährdende Wirkung bekannt ist. Durch den Einsatz
von LED-Leuchten und Betrachtung durch spezielle
Filterbrillen lässt sich dieser Nachteil bei gleicher
Prüfempfindlichkeit eliminieren. Gleichzeitig kann
Prüfung unter Tageslicht durchgeführt werden, sodass eine Abdunkelung entfallen kann.
Die Magnetpulverprüfung ist ein sehr empfindliches Verfahren, wobei das Nassfluxen aufgrund
des feineren Magnetpulvers in der Suspension eine
etwas höhere Prüfempfindlichkeit gestattet. Allerdings erlaubt das Verfahren keine direkten Rückschlüsse von Anzeigen auf die Tiefe der entsprechenden Ungänze.
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Ultraschallprüfsystem für Draht
Ultrasonic testing device for wire
Foto: bfi-bt
Prüfung von Blankstahl auf Oberflächenfehler.
Die Prüfung von Blankstahl wird in dieser Veröffentlichung nicht behandelt. Stattdessen wird auf
einschlägige Literatur [2; 3] verwiesen.
Die Grundlagen und Standardverfahren zur Ultraschallprüfung von Stäben werden in der Veröffentlichung [2] ausführlich behandelt. Daher wird hier
nicht auf diese eingegangen.
Neben den Standardverfahren auf Basis des
piezoelektrischen Effekts sind mittlerweile weitere
Verfahren auf dem Markt.
magneten (bei ferromagnetischen Materialien) oder
einem induzierten Wirbelstrom (bei nicht magnetisierbaren Werkstoffen) zum Schwingen gebracht.
Diese Schwingungen des Metallgitters sind so einstellbar, dass eine bestimmte Ultraschallschwingung erzeugt und empfangen werden kann.
Erste Anlagen für Standardanwendungen mit
Senkrechteinschallung sind im industriellen Einsatz. Hiermit kann allerdings der Randbereich
nicht geprüft werden. Für höchste Anforderungen
ist die Prüfempfindlichkeit allerdings noch nicht
ausreichend.
EMAT-Verfahren. Dieses Prüfverfahren bietet
eine interessante Perspektive, da es ohne Wasserankopplung auskommt. Jedoch führen die benötigten
starken Magnetfelder zur Ansammlung von Zunderpartikeln oder sonstigem Abrieb mit negativen
Folgen für die Prüfempfindlichkeit.
Für hohe Durchlaufgeschwindigkeiten, z. B. bei
der Drahtprüfung bei der Weiterverarbeitung, werden zunehmend elektromagnetische Ultraschallwandler (EMAT) zur Erzeugung des Ultraschalls
eingesetzt. Dies ist nur in elektrisch sehr gut leitfähigen Werkstoffen möglich und basiert auf dem Lorenz-Effekt, dem Magnetostriktionseffekt und dem
Magnetisierungseffekt. Die beiden Ersteren treten
nur in ferromagnetischen Materialien auf, können
also bei der Prüfung im heißen Zustand und der
Prüfung nichtmagnetisierbarer Materialien nicht
genutzt werden. Der Lorenz-Effekt hingegen wirkt
bei allen elektrisch leitenden Materialien. Das Metallgitter im Prüfobjekt wird mit einem Permanent-
Fidus. Das kommerzielle Prüfsystem Fidus
(Fehler-Identifikation an Drähten und Stäben mit
Ultraschall), Bild 7 , wurde am VDEh-Betriebsforschungsinstitut (BFI) entwickelt, um Fehler an
kalten (für Stahl: bis ca. 700 °C) Drähten, Stäben
und Profilen im Durchmesserbereich bis etwa
20 mm zu detektieren. Das Verfahren bietet die
Möglichkeit, das Material online, berührungslos
(ohne Koppelmittel) und verschleißfrei mit geführten Ultraschallwellen auf Innen- und Oberflächenfehler zu prüfen.
Als Prüf köpfe werden elektrodynamische Ultraschallwandler in Form von Durchlaufspulen in
Phased-Array-Technik verwendet, mit denen Stabwellen nach dem Impuls-Echo-Verfahren erzeugt
und empfangen werden. Die Ausbreitung der Ultraschallwellen ist axial gerichtet; hierdurch ist
eine 100%ige Prüfung des Drahtvolumens möglich.
Das Material kann als Stab oder Draht mit Schallgeschwindigkeit geprüft werden.
Ultraschallprüfung auf Innenfehler
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Technik + Trends
Werkstoff und Fertigung
Justierung von Prüfanlagen
Um die Prüfanlage möglichst genau auf die
nachzuweisenden Arten von Ungänzen einzustellen, muss die Prüfanlage justiert werden. Hierzu
kann ein Stab mit natürlichen Fehlern verwendet
werden. Allerdings ist die Größe dieses Fehlers in
der Regel nicht bekannt. Besser geeignet ist deshalb ein Stab mit künstlichen Fehlstellen, da diese
definiert eingebracht werden können.
Justierkörper mit künstlichen Oberflächenfehlern. Der Justierkörper enthält künstliche Fehlstellen (Justierfehler) bekannter Ausdehnung (Länge,
Breite, Tiefe), die durch Sägen, Fräsen, Bohren oder
Erodieren eingebracht werden. Beispielsweise werden an Stabstahl Längsnuten mit Tiefen ab 200 μm
— abhängig vom Durchmesser des Vormaterials —
eingebracht.
Ausgehend von den Justierfehlern wird die Grenzfehlertiefe über eine entsprechende Schwellensetzung nach Kundenanforderung realisiert. Ungänzen
mit einer Signalamplitude, die die Signalamplitude
dieses Grenzwerts überschreiten, führen zu einer
Aussonderung des betreffenden Stabes.
Von natürlichen Ungänzen, z. B. Rissen, unterscheiden sich die künstlichen Fehlstellen hinsichtlich ihres Aussehens und ihrer Abstrahlcharakteristik. Dies bedeutet, dass ein natürlicher Fehler mit
einer Tiefe, die diejenige eines künstlichen Fehlers
überschreitet, nicht zwangsläufig ausgesondert
wird, da aufgrund der Abstrahlcharakteristik die
Grenzfehlertiefe nicht erreicht wird.
Justierkörper mit künstlichen Innenfehlern für
die US-Prüfung. Der Justierkörper enthält künstliche Fehlstellen in Form von Flachbodenbohrungen
senkrecht zur Längsachse oder Axialbohrungen parallel zur Längsachse.
Flachbodenbohrungen haben einen exakt ebenen,
kreisförmigen Boden, der als Reflexionsfläche für
den Ultraschall dient (sogenannter Kreisscheibenreflektor, KSR). Unterschiedliche Reflektorgrößen
werden durch Flachbodenbohrungen unterschiedlicher Durchmesser dargestellt. Beispielsweise bedeutet KSR 1,0 mm, dass die entsprechende Flachbodenbohrung einen Durchmesser von 1,0 mm hat.
Einflussgrößen auf das Prüfergebnis
Um ein optimales Prüfergebnis zu erhalten, sind
verschiedene Randbedingungen zu beachten. Die
wichtigsten Einflussgrößen auf das Prüfergebnis
sind nachfolgend erläutert.
Einfluss der Prüfgeschwindigkeit. Die Prüfung
von unbewegtem Material stellt kaum ein Problem dar, doch im praktischen Betrieb wird das zu
prüfende Material mit teilweise beträchtlichen Geschwindigkeiten bewegt. An Prüflinien sind Durchlaufgeschwindigkeiten von 1 bis 2 m/s Standard. Bei
Prüfungen im Walzprozess können bis zu 100 m/s
erreicht werden.
Dies bedeutet, dass die Prüfverfahren eine hinreichende Abtastgeschwindigkeit haben müssen, um
eine reproduzierbar nachzuweisende Grenzfehlerlänge nicht über alle sinnvollen Grenzen hinweg
anwachsen zu lassen.
Geometrieeinfluss. Entscheidend für die Nachweisbarkeit von Ungänzen sind die Art des zu prüfenden Materials (rund, vierkant) und seine Abmessungen.
Bei der Ultraschallprüfung wird in der standardmäßigen Prüfung nur ein Teil des Volumens erfasst
(Kernfehlerprüfung). So wird beispielsweise in manchen Normen noch die um 90° versetzte Prüfung
auf zwei Bahnen gefordert. Teilweise fordern die
Stahlanwender bei höheren Anforderungen an den
Werkstoff Prüfungen der gesamten Querschnittsfläche, was bei Rundmaterial durch den Einsatz von
Senkrecht- und Winkelprüfköpfen möglich ist. Bei
mit rotierenden Prüf köpfen durchgeführter Prüfung ergibt sich aufgrund der Fortbewegung des
Materials eine helixförmige Abtastbahn. Dadurch
ergibt sich die Forderung nach einer Anzeigenmindestlänge. Diese kann wesentlich durch eine reduzierte Prüfgeschwindigkeit verkleinert werden, dies
führt aber zu deutlich erhöhten Prüfkosten.
Bei der Vorgabe der Prüfung ist zu berücksichtigen, dass der Ultraschall in Abhängigkeit der Materialdicke geschwächt wird, sodass Material größerer
Abmessungen nur mit einer geringeren Prüfempfindlichkeit sicher geprüft werden kann.
Während rundes Material relativ einfach mit
rotierenden Prüf köpfen oder rotierenden Ultraschallfeldern über die gesamte Querschnittsfläche
mit den genannten Einschränkungen geprüft werden kann, ist dies für Vierkantmaterial deutlich
komplexer. Hier ist es nur möglich, durch eine Erhöhung der Prüf kopfanzahl ein möglichst großes
Volumen zu prüfen.
Abhebeeffekte. Bei berührenden Prüfverfahren
muss die Prüfsonde permanent Kontakt mit der Materialoberfläche halten. Je nach Prüfverfahren erfolgt dies durch mechanisches Andrücken der Sonde oder durch ein Koppelmittel zwischen Sonde und
Oberfläche. Bei statischer Prüfung stellt dies kein
Problem dar, doch bei der Prüfung von bewegtem
Material muss der Prüf kopf ständig nachgeführt
werden. Bei Material, das nicht ganz gerade bzw.
leicht oval ist, kann zwischenzeitlich die Messsonde
leicht abheben. Während dieser kurzen Zeit werden
stahl und eisen 131 (2011) Nr. 8
Ungänzen bei berührenden Prüfverfahren schlechter nachgewiesen.
Abstandsschwankungen zwischen Prüfgutoberfläche und Spule. Analog zum Abhebeeffekt führt
beim Durchlauf durch eine Spule beispielsweise
eine Ovalität oder Ungeradheit zu lokalen Abstandsschwankungen in der Spule, was sich ebenfalls in
Empfindlichkeitsänderungen auswirkt.
Abdeckung durch die Messsonde. Die Messsonde
hat eine bestimmte Größe und erfasst nur einen
Teil der Oberfläche bzw. des Volumens des zu prüfenden Materials. Um trotzdem das gesamte Material zu erfassen, kann die Sonde auf festgelegten Bahnen relativ zum Material bewegt werden (bewegte
Sonde bzw. bewegtes Material). Eine geschlossene
Helix (Bahn an Bahn) stellt sicher, dass kein ungeprüfter Bereich entsteht.
Aus technischen Gründen verbleibt beim Einbzw. Auslauf des zu prüfenden Materials in bzw.
aus der Prüfanlage ein bestimmtes ungeprüftes Volumen an den Enden eines Stabes. Dieses Volumen
ist vom angewendeten Verfahren und der Prüfanlagenkonzeption abhängig.
Gefüge des Werkstücks. Das Gefüge des zu prüfenden Materials hat ebenfalls einen Einfluss auf
das Prüfergebnis. Dies ist insbesondere bei der
Ultraschallprüfung und Wirbelstromprüfung zu
bedenken.
Bei sehr hoher Ultraschallfrequenz rückt die
Wellenlänge in die Größenordnung der Korngrenzen. Dann werden die Korngrenzen selbst nachgewiesen und stören das Ergebnis der Messung. Dies
ist technisch bei Frequenzen oberhalb 10 MHz der
Fall, wenn die Wellenlänge in Stahl im Bereich von
0,5 mm liegt.
Bei austenitischen Stählen mit ihrem meist etwas
grobkörnigeren Gefüge sind aus diesem Grund bereits Ultraschallprüfungen mit einer Frequenz von
2 MHz problematisch.
Unterschiedliche Gefüge unterscheiden sich
teilweise stark in ihrem Dämpfungsvermögen. So
führen perlitische unlegierte Stähle aufgrund ihrer groben Zementitlamellen zu einem wesentlich
stärkeren Grundrauschen, verglichen mit einem
feinkörnigen vergüteten Gefüge.
Oberflächenzustand des Werkstücks. Das Prüfergebnis wird ebenfalls durch den Oberflächenzustand beeinf lusst. Dies liegt auf der Hand, wenn
man einmal die verschiedenen technischen Oberflächenzustände von Stahlprodukten betrachtet.
Eine große Oberflächenrauheit bedingt ein hohes
Grundrauschen. Als Faustformel gilt, dass eine au-
stahl und eisen 131 (2011) Nr. 8
tomatische Prüfung erst ab einem Verhältnis Nutz-/
Störsignal von mindestens 3:1 sinnvoll durchführbar ist.
Erkennbarkeit von Oberflächenungänzen
In den vorangegangen Kapiteln wurden die physikalischen Grundlagen der derzeit verwendeten
Prüfverfahren detailliert erläutert. Dabei wurde
auf die Rahmenbedingungen der Prüfungen und
die sich daraus ergebenden Einschränkungen der
Prüfbarkeit eingegangen.
Seit der Veröffentlichung von Wieland und Engineer [1] sind keine neuen, auf anderen physikalischen Methoden beruhenden Prüfverfahren im
Markt eingeführt worden. Bei den etablierten Prüfverfahren wurden zwar Verbesserungen erreicht,
die sich aber im Wesentlichen auf die Datenaufzeichnung und deren Auswertung beschränken.
Dadurch haben sich aktuell keine Änderungen
hinsichtlich der Fehlererkennbarkeit ergeben.
Material
Prüfart
Erkennbarkeit (Tiefe)
Gegossenes Halbzeug
visuell
Poren, Dellen, Einziehungen,
Mattschweißungen, klaffende
Risse (subjektiv)
Magnetpulver1)
Längsrisse > 0,5 mm
Querrisse > 2,0 mm
visuell
Schalen, Splitter, klaffende Risse
(subjektiv)
Warmumgeformtes Halbzeug für Walzwerke
Magnetpulver1) nass
1)
Magnetpulver trocken
Warmumgeformtes Halbzeug für Gesenkschmieden
Warmumgeformte runde
Stäbe (schwarz)
Längsrisse > 0,5 mm
visuell
Schalen, Splitter, klaffende Risse
(subjektiv)
Magnetpulver1) nass
Längsrisse > 0,2 mm (subjektiv)
Magnetpulver1) trocken
Längsrisse > 0,3 mm
Thermographie
Längsrisse > 0,3 mm
Wirbelstrom
Längsrisse > 0,3 mm2)
Streufluss
Längsrisse > 0,2 mm2)
1)
Walzgeschälte runde Stäbe
Längsrisse > 0,5 mm
Thermographie
Thermographie
Stabstahl schwarz vierkant
(Vormaterial für Schmieden)
Längsrisse > 0,2 mm (subjektiv)
Längsrisse > 0,3 mm
Magnetpulver nass
Längsrisse > 0,2 mm (subjektiv)
Magnetpulver1) nass
Längsrisse > 0,2 mm (subjektiv)
Magnetpulver1) trocken
Längsrisse > 0,3 mm
Thermographie
Längsrisse > 0,3 mm
Wirbelstrom
Längsrisse > 0,3 mm
Streufluss
Längsrisse > 0,15 mm
ungeprüfte Enden < 100 mm: 1) mit gestrahlter Oberfläche, 2) abhängig von der Oberflächenrauheit und
der Abmessung; zur Fehlermorphologie vgl. auch [4]
8
Erkennbarkeit für Oberflächenungänzen an Stabstahl
Detectability for surface discontinuities on steel bar
Technik + Trends
Werkstoff und Fertigung
L i t er at ur
[1]
Engineer, S. J.; Wieland,
H.-J.: stahl u. eisen 117
(1997) Nr. 3, S. 79/84.
[2] Hradecny, T.; Deutsch,
W. A. K.; Schuster, V.;
Schneider, H.-J.; Koch, R.;
Paulus, H.; Waltner, M.;
Peter, C.; Beyer, K.;
Lohmann, J. F.; Scholle,
W.; Münch, G.: stahl u.
eisen 124 (2004) Nr. 11,
S. 119/28.
[3] Sy, D.: Wirbelstromprüfung von Blankstahl in
Stäben, Stabziehereienvereinigung e. V., Düsseldorf, 2001, http://www.
blankstahl.org/stabziehereien/de/download/WirbelStromPruefung.pdf
[4] Fehlerkatalog Stabstahl
und Walzdraht, Stahlinstitut VDEh, Düsseldorf,
2011.
Bild 8 gibt auszugsweise eine Übersicht über die
minimal auffindbaren Anzeigengrößen bei Oberflächenfehlern [1]. Dies bedeutet nicht, dass diese
Grenzwerte als Anforderung immer sinnvoll oder
unter allen Umständen zu erreichen sind.
Dabei ist zu beachten: Die Angaben in Bild 8
sind abgesicherte Erfahrungswerte aus der Praxis,
die an natürlichen Ungänzen gewonnen wurden.
Nachweisgrenzen der Prüfanlagenhersteller, die an
Referenzfehlern gewonnen wurden, werden in der
Regel im industriellen Einsatz nicht erreicht.
Welches ist das Prüfverfahren der Wahl?
Aus der Historie heraus haben sich bei den Stahlherstellern bestimmte Prüfeinrichtungen als optimal erwiesen. Die unterschiedlichen eingesetzten
Prüfverfahren haben wiederum ihre spezifischen
Besonderheiten. Eine optimale Ausstattung und
Anordnung von Prüfanlagen lässt sich somit nicht
verallgemeinern.
Die Prüfung kann in verschiedenen Fertigungsschritten erfolgen. Bei den Stabstahlherstellern erfolgt die Prüfung grundsätzlich nach dem Richten.
Der gerichtete Stabstahl läuft definiert durch die
Prüfgeräte, sodass Abhebeeffekte und Abstandsänderungen auf ein Minimum begrenzt werden.
Ebenso wichtig ist die Prüfung beim Stahlverarbeiter bzw. Endanwender, der aufgrund seiner speziellen, vom Produkt abhängigen Anforderungen
bestimmte Merkmale der Produkte prüft. Diese Prüfungen und die Prüfungen beim Stahlhersteller können einander sinnvoll ergänzen. Vor allem können
erst dort Fehler, die beim Stahlhersteller nicht detektierbar waren und erst bei der Weiterverarbeitung zu
Tage treten (z.B. verschweißte Risse) oder Fehler, die
im Fertigungsprozess des Stahlverarbeiters entstanden sind (z. B. Schmiedefehler), aufgedeckt werden.
Die Wahl der Prüfklasse richtet sich nach den Anforderungen an das Endprodukt. Es macht sicherlich
keinen Sinn, einfachere Produkte nach der höchsten Prüfklasse zu prüfen. Dies verursacht unnötige
Prüf- und Sortierkosten beim Stahlhersteller. Für anspruchsvolle Anwendungen, wie beispielsweise Einspritzdüsen, werden aufgrund der hohen Werkstoffausnutzung höhere Anforderungen an die Qualität
des Vormaterials gestellt. Der erhöhte Prüfaufwand
hierfür ist bei der Bestellung zu vereinbaren.
In manchen Fällen kommt es auch darauf an, die
Lage der Anzeige im Material anzugeben. Sofern
dies die Fertigung beim Stahlverarbeiter zulässt,
könnte z. B. Material mit einer Unvollkommenheit
verwendet werden, sofern sich diese bei der Weiterverarbeitung gezielt herausschneiden lässt. Mit
Blick auf die Ressourceneffizienz — das Einschmelzen des sonst fehlerfreien Materials ließe sich vermeiden — könnte dies durchaus von Vorteil sein.
Fazit
Das ehrgeizige Ziel, „Null Fehler“ zu erreichen,
wird auch von den Stahlherstellern als Herausforderung angenommen. Die oben stehenden Ausführungen belegen jedoch, dass dieses Ziel aus physikalischen Gründen allein durch eine Prüfung beim
Stahlhersteller nicht immer erreicht werden kann.
Stringentere Forderungen helfen also nicht, die
Qualität zu verbessern. Zu beachten ist dabei auch
die Normalverteilung der Ergebnisse — selbst bei
bester Qualität wird es immer einzelne „Ausreißer“
geben.
Manche Ungänzen können sich tatsächlich
erst am Endprodukt zeigen. Nicht auszuschließen sind Effekte der Umformung, beispielsweise
extremer Werkstofffluss oder ungünstige Konstruktion der Werkzeuge: Bei sehr hohen Umformgraden und extremen Umformgeschwindigkeiten
können Ungänzen entstehen, oder sie treten erst
dort zutage.
Vieles spricht dafür, Chargen mit einzelnen Ungänzen nicht direkt zu verwerfen, sondern das
vertrauensvolle Gespräch mit dem Stahlhersteller
zu suchen. Hinweise des Stahlanwenders helfen
wiederum dem Stahlhersteller in vielen Fällen, die
Ursache aufzufinden; in vielen Fällen gelingen Abstellmaßnahmen.
Durch eine abgestimmte Vorgehensweise können Stahlhersteller und -anwender zu einer realistischen Bewertung der Anzeigen kommen, um
mit den verbliebenen, nicht vermeidbaren Ungänzen auszukommen. Hier ist eine Betrachtung der
Entstehungsmöglichkeiten über die gesamte Fertigungskette sinnvoll. Eine solche gemeinsame FMEA
stellt die Partnerschaft zwischen Stahlherstellern
und -anwendern auf eine breitere Basis. Schließlich
tragen alle Partner in der Prozesskette die gemeinsame Verantwortung für ein Produkt.
Ergebnisbericht einer Gemeinschaftsarbeit im Fachausschuss für legierte Baustähle im Werkstoffausschuss des
Stahlinstituts VDEh.
Dr.-Ing. Axel Stüber, Leiter Entwicklung, Georgsmarienhütte GmbH, Georgsmarienhütte, Deutschland; Dr.-Ing.
Martin Waltner, Leiter Technologie und ZfP, Saarstahl
AG, Völklingen, Deutschland; Bernd Bäcker, Qualitätswesen, Saarstahl AG, Neunkirchen, Deutschland; Dipl.-Ing.
Hilmar Jung, Werkstofftechnik, BGH Edelstahlwerke
GmbH, Siegen, Deutschland; Dipl.-Ing. Herbert Schifferl,
Leiter Forschung und Entwicklung, voestalpine Stahl Donawitz GmbH & Co. KG, Leoben, Österreich; Dr. rer. nat. Ingo
Steller, Abt. Werkstofftechnik/Prüftechnik, Stahlinstitut
VDEh, Düsseldorf, Deutschland.
[email protected]
stahl und eisen 131 (2011) Nr. 8