„Meistens kriegt man die Rechte, es ist ganz oft eine

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„Meistens kriegt man die Rechte, es ist ganz oft eine
filmmusik
interview
musikmarkt 02|13
thema des monats
10_16_filmmusik_Z 29.01.13 18:11 Seite 12
„Meistens kriegt man die Rechte, es ist ganz oft eine Frage des Geldes und der Zeit“
musikmarkt: Wo liegen die größten Probleme?
Milena Fessmann: Es passiert relativ oft, dass beim Dreh
Musik in den Film kommt, die teuer ist. Der Klassiker ist
„Happy Birthday“. Das kann man verhindern, wenn wir
früh einbezogen werden, denn gedreht ist gedreht. Danach kannst du die Szene nur noch rausschmeißen.
musikmarkt: Welche Rolle spielt Ihr persönlicher Geschmack bei der Musikberatung?
Milena Fessmann: Der Produzent ist mein Auftraggeber,
dem fühle ich mich verpflichtet. Das oberste Ziel lautet,
die allerbeste Musik für seinen Film zu kriegen. Wie man
das umsetzt, ist eine ganz andere Geschichte. Musik ist
auch immer Geschmacksfrage. Sicher versuche ich Produzenten und Regisseur von einem tollen Song zu überzeugen. Allerdings passt nicht jede tolle Musik zu einem
Film oder auf ein Szenenbild.
| Milena Fessmann ist professioneller Musicsupervisor | Foto: zvg
musikmarkt: Gute Hörmusik ist nicht gleich gute Filmmusik?
musikmarkt: Sie gehören zu einer sehr kleinen Gruppe
professioneller Musicsupervisor in Deutschland.
musikmarkt: Vermittlertalent ist wichtiger, als tausende
Songs im Kopf zu haben?
Milena Fessmann: Stimmt, wir sind vielleicht sieben bis
zehn Leute, die das hauptberuflich machen. Neben uns
freien gibt es noch ein paar festangestellte Musikberater bei großen Filmfirmen. Ein ernsthaftes Thema ist das
hierzulande ja erst seit Mitte der Neunzigerjahre. Klaus
Freers hatte 1998 eigens für den Film „Lola rennt“ eine
Single mit Franka Potente und Thomas D. produzieren
lassen („Wish“). Es war vielleicht das erste Mal, dass
sich explizit jemand von außen darum kümmerte, wie
man gezielt Songs für den Film einsetzte.
Milena Fessmann: Letzteres ist natürlich auch wichtig,
klar. Wenn ein Produzent mit einem Drehbuch kommt,
überlegt man als erstes, welche Musik braucht der Film,
welche Vorstellungen haben Regisseur und Produzent.
Brauchen wir nur Score oder auch Songs, soll der Hauptdarsteller etwas singen oder tritt zum Beispiel eine Band
im Hintergrund auf? Wenn ja, sollte die tunlichst nicht
Dylan covern, sondern irgendwas Rechtefreies. Das ist
alles vor dem Dreh zu klären. Danach beginnt die hauptsächliche Arbeit in der Postproduktion mit dem Rohschnitt. Da geht es um konkrete Fragen: Welche Songs
sollen in den Film, welche für den Trailer und vor allem,
können wir uns die Rechte leisten.
musikmarkt: Seit wann beraten Sie Filmfirmen in puncto
Musik?
Milena Fessmann: Seit 1998. Ich hatte ja stets mit Musik
zu tun, als Radiomoderatorin, als DJ und Filmfan war ich
immer. Über die Musik in deutschen Filmen hatte ich
mich viel geärgert, oft dachte ich: Hätte mal jemand gefragt, dann müsste man nicht schon wieder so ein abgedroschenes Stück hören oder eine Szene sehen, wo zwei
Leute zu einer Houseparty gehen, auf der dann Techno
läuft. Selbst wenn das nur zehn Zuschauer merken, man
kann es doch richtig machen. Schließlich sieht man in
einem Film über die Fünfziger auch nicht Schlaghosen
statt Pettycoats. Irgendwann schlug mir jedenfalls eine
Freundin vor, einfach mal ein Mixedtape für das LeanderHaußmann-Projekt „Sonnenallee“ zusammenzustellen.
Leider hat Leander nichts davon genutzt, aber die Idee
war geboren. Immer wenn ich Leute aus der Filmbranche traf, habe ich von ihr erzählt und so entwickelte sich
das. 2004 kam mein Mann Michael Beckmann dazu und
wir haben Cinesong gegründet.
musikmarkt: Wie viele Filmprojekte beraten Sie im Jahr?
Milena Fessmann: Sechs bis zehn, von der Familienkomödie bis zum kleinen Arthouse-Film. Wir haben auch
die „Berlin Berlin“-Folgen für die ARD betreut.
musikmarkt: Was würden Sie als wichtigste Voraussetzung
für Ihren Job bezeichnen?
Milena Fessmann: Vielleicht die Fähigkeit zum Vermitteln und Moderieren, neben musikalischem Sachverstand
natürlich.
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musikmarkt: Brauchten Sie lange, sich in die Rechteproblematik hinein zu finden?
Milena Fessmann: Ach, das lernt man schon. Mittlerweile
mache ich auch Clearing ohne Supervising, also nur
Rechteklärung im Auftrag, weil ich die beteiligten Personen in den Verlagen und vielen Labels gut kenne. Allein
für unsere letzten drei großen Filmprojekte 2012, „Pina“
von Wim Wenders, „Türkisch für Anfänger“ und
„Rubbeldiekatz“, mussten wir von über hundert Songs
die Rechte klären.
musikmarkt: Eine zeitaufwendige Arbeit?
Milena Fessmann: Genau. Wenn es passt, schlage ich natürlich Musik vor, die ich mag. Aber mein Geschmack ist
auch sehr breit und in bestimmten Situationen gibt es
nichts Besseres, als beispielsweise Scooter-Musik unter
eine Szene. Ein großer Vorteil der Musik im Film ist ja,
dass man durch sie sofort etwas verorten kann. Wenn in
einem Film über die Siebzigerjahre ein Song läuft, den
der Zuschauer von seinen Klassenpartys früher kennt,
ist der emotional sofort in die Zeit hinein katapultiert.
Viel eher als durch einen neuen Song.
musikmarkt: Bekommen Sie viele Angebote von Bands?
Milena Fessmann: Natürlich gibt es sehr viele Bands,
aber auch Filmkomponisten, die mir Musik schicken. Für
den Wenders-Film „Palermo Shooting“ haben zum Beispiel Tobias Kuhn und Get Well Soon Musik beigesteuert.
musikmarkt: Wie lukrativ ist das für die Musiker?
Milena Fessmann: Reich wird man damit nicht, was in
Hollywood teilweise anders ist. Andererseits ist es nicht
nur ein schönes Gefühl, einen eigenen Song im Film zu
haben. Man kann damit auch auf anderen Kanälen bekannt werden.
musikmarkt: Welcher Ihrer Filmsongs wurde der größte
Radiohit?
Milena Fessmann: Vor allem wenn die Songrechte in England und USA liegen. In Hollywood ist nicht so interessant, ob ich gerade 10 000 Dollar für einen Song von
50Cent in einem Buck-Film anbiete. Detlev Buck kennt
man drüben eher nicht, deshalb muss man immer wieder anrufen. Andere Sachen gehen wiederum schnell. Bei
einer kleinen kanadischen Band redet man eben direkt
mit dem Label. Die meisten Bands sind auch alle sehr interessiert, aber ein paar sagen immer nein.
Milena Fessmann: Das war „Summer Wine“ von Ville Valo
und Natalia Avelon, der Uschi-Obermaier-Darstellerin in
„Das wilde Leben“. Der Song war auf der ersten CD, die
wir dem Regisseur gaben und für den wir mit Warner den
Soundtrackpartner fanden. Der Duettsong entwickelte
sich zur zweiterfolgreichsten Single 2007 und bekam
Doppelplatin. Der Song war am Ende viel erfolgreicher
als der Film, was schon ungewöhnlich ist.
musikmarkt: Zum Beispiel?
Milena Fessmann ist auch Dozentin zum Thema „Musicsupervising“ an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin sowie an der Kunsthochschule für Medien
in Köln.
[email protected]
Milena Fessmann: Schwierig sind Radiohead, Stones,
Bowie, Coldplay. Aber auch da kommt‘s ganz auf den Film
an. Bei einem Film von Wenders weiß jeder, dass der ein
totaler Musikfan ist. Da öffnen sich leichter Türen. Meistens kriegt man die Rechte, es ist ganz oft eine Frage
des Geldes und der Zeit.
| Interview: Gunnar Leue