brennpunkt arznei - Kassenärztliche Vereinigung Hamburg

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brennpunkt arznei - Kassenärztliche Vereinigung Hamburg
BRENNPUNKT ARZNEI
Jhrg. 12, Nr. 4 – Dezember 2007
0HARMAKOTHERAPIE
2ATIONALEUNDRATIONELLE0HARMAKOTHERAPIEINDER0RAXIS
Patient mit Rückenschmerzen
Rezept oder Skalpell?
Patienten mit Rückenschmerzen zählen in der Praxis zum täglichen Brot. Und wenn
sie beispielsweise durch Bandscheibenvorfall, degenerative Spondylolisthesis oder
Spinalstenose ausgelöst werden, stellt sich die Frage: Zum Operieren schicken oder
weiterhin mit Rezepten und guten Ratschlägen behandeln? Dazu gibt es diverse
Studien, die unterm Strich allerdings keinen eindeutigen Vorteil für die eine oder
andere Methode herausarbeiten konnten. Entscheidungshilfen für den Einzelfall
lassen sich aus ihren Ergebnissen aber sehr wohl extrahieren.
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Was unternehmen Sie bei einer TIA?
Der Mundwinkel hing einige Minuten lang leicht schief und der Arm war ein
bisschen lahm – ein indolenter Patient nimmt so etwas auf die leichte Schulter
und manch ein Kollege wartet in solchen Fällen auch ganz gerne ab. Das kann
fatal werden: Jeder Zehnte dieser TIA-Patienten bekommt innerhalb des nächsten drei Monate einen richtigen Schlaganfall – es sei denn, er wird konsequent
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behandelt.
Reizende Küsse
Dass ihr Mann sie zärtlich küsste, gefiel der Patientin durchaus – dass anschließend
ein Ekzem auf ihren Lippen blühte, fand sie dagegen ziemlich lästig. Womit wir beim
Thema wären: Manchmal schleicht sich ein Allergen über verdeckte Pfade an, auf
die man erst einmal kommen muss. In diesem Heft finden Sie neben dem reizenden
Kuss noch weitere solche Beispiele – vielleicht hilft Ihnen die Lektüre irgendwann
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einmal in der Praxis weiter.
Die häufigsten Fehlerquellen beim
Verordnen von Arzneimitteln
Medikamente haben Janusköpfe: Einerseits zählen sie zu den wichtigsten Werkzeugen des Arztes, andererseits bringen sie seine Patienten in Gefahr: Tödliche
Arznei-Nebenwirkungen, so ergab eine Untersuchung in den USA, liegen bei den
Todesursachen auf Platz sechs – bei uns dürfte es nicht viel anders sein. Viele
dieser bedauerlichen Fälle sind nicht unbedingt schicksalhaft, sondern durchaus
vermeidbar. Wo die häufigsten Fehler bei der Arzneiverordnung liegen und wie sie
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zu vermeiden sind, lesen Sie in diesem Heft auf
(ERAUSGEBER+ASSENËRZTLICHE6EREINIGUNG(ESSEN
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KVH • aktuell
Nr. 4 / 2007
Der Sisyphus kommt nicht zur Ruhe
Editorial
Sehr geehrte Mitglieder der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg,
was sollen wir denn noch alles machen? Wie oft haben Sie sich diese Frage eigentlich
in der letzten Zeit schon gestellt? Die Informationsflut in die Arztpraxis war immer
schon kaum zu bewältigen, aber seit einigen Jahren ist der Unterton vieler Schreiben bedrohlicher geworden. „Wenn Sie dieses nicht tun und jenes nicht lassen...“
schwingt immer häufiger in Verlautbarungen vor allem der Krankenkassen, der
Politik und ihr nahestehender Wissenschaftler mit. Erreicht wird damit das glatte
Gegenteil: Der Leser sperrt sich gegen die Information, selbst wenn sie hilfreich
sein könnte.
Im Spannungsfeld der Pharmakotherapie ist dieses kritische Lesen auch zwischen
den Zeilen ganz besonders gefragt und ganz besonders schwierig. Die Schachzüge
der Pharmaindustrie werden immer raffinierter. Es ist nicht mehr nur der Pharmareferent, mit dem sich ein Arzt auseinandersetzen soll, es sind auch zunehmend
„informierte“ Patienten, die auf klandestinem Weg über die Medien mit (Halb-)
Wissen versorgt wurden und nun nachdrücklich in der Praxis auf einem bestimmten
Präparat bestehen, das der Arzt nicht unbedingt als erste Wahl angesehen hätte.
Ein wahrer Krimi hat sich um das Präparat „Lucentis®“ entwickelt. Nur wenige
Molekülveränderungen genügten, um aus dem erprobten, aber für die Behandlung
der feuchten Makuladegeneration nicht zugelassenen Mittel „Avastin®“ ein neues
Präparat zu machen, für das eine Zulassung für diese Behandlung beantragt und
genehmigt wurde. Aber diese wenigen Molekülveränderungen ließen den Preis
explodieren: Eine Injektion mit „Avastin®“ kostet rund 50 Euro, eine mit „Lucentis®“ 1500 Euro. Da wird man das Gefühl nicht los, dass auf geschickte Weise das
Arzneimittelrecht genutzt wurde, um eine neue Geldquelle zu eröffnen. Dabei wird
zynisch mit Patienten und Ärzten gespielt, denn den Patienten die Behandlung mit
einem Angiogenesehemmer vorzuenthalten, wäre unethisch; „Avastin ® “zu verordnen, ist aber verboten, weil der „Off-Label-Use“ nur durch die Herstellerfirma
aufgelöst werden könnte – woran diese natürlich nicht sonderlich viel Interesse hat:
Eine Zwickmühle, die aufzulösen nur die Politik in der Lage wäre, indem sie Ärzten
endlich klare Bedingungen für den „Off-Label-Use“ geben würde.
Dass die Hamburger Ärztinnen und Ärzte trotz dieser Rahmenbedingungen es
geschafft haben, bei der Verordnung im Bereich der „Grundversorgung“ auf dem
drittbesten Platz im Bundesvergleich zu landen, ist um so beachtenswerter und
allen Lobes wert. Dass in der KV Hamburg das Arzneimittelbudget trotzdem nicht
eingehalten wird, liegt vor allem an den Spezialpräparaten, die in der Hansestadt
sehr viel häufiger verordnet werden (müssen) als in anderen Bundesländern.
Um so wichtiger ist es daher, dass es gerade für diesen teuren und innovativen
Bereich unabhängige Informationen gibt, bei denen Sie nicht zwischen den Zeilen
lesen müssen. Diese wollten wir auch dieses Mal wieder im „KVH aktuell“ zusammentragen. Ich hoffe, es ist uns gelungen.
Verbunden mit den besten Wünschen für eine ruhige Adventszeit und einen guten
Start in das neue Jahr verbleibe ich Ihr
Walter Plassmann
KV Hamburg, stellvertretender Vorsitzender
Nr. 4 / 2007
KVH • aktuell
Editorial
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SPORT-Studien zum Bandscheibenvorfall
Operieren oder konservativ behandeln?
Dr. med. Alexander Liesenfeld
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Mund hing ein bisschen schief, Arm war vorübergehend lahm
TIA nicht auf die leichte Schulter nehmen – das kann fatal werden!
Dr. med. Klaus Ehrenthal
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Streit um ein neues (und teures) Medikament
Nutzen und Wirtschaftlichkeit von Natalizumab (Tysabri®)
Multiple Sklerose: Womit behandeln?
Natazulimab: Zur Frage von Nutzen und Wirtschaftlichkeit
Professor Dr. med. Peter Berlit und Prof. Dr. med. Gerd Glaeske
Masernimpfung: Argumente gegen Impfskeptiker
Dr. med. Günter Hopf
Skurrile Wege zur Erkrankung
Ungewöhnliche Ursachen für Allergien
Dr. med. Günter Hopf
Gefährliche Schuhe
Riskante Langzeit-Sitzung
Reizende Küsse
Sicherer verordnen
Dr. med. Günter Hopf
Arznei-Tee: Sehr begrenzt haltbar
Analgetika: Medikamenteninduzierte Kopfschmerzen
UAW bei Kindern: Berichte an die AkdÄ
Erythropoetine können Mortalität steigern
Die häufigsten Fehlerquellen beim Verschreiben von Arzneimitteln
Prof. Dr. med. Thomas Eschenhagen
Inhaltsverzeichnis
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Nehmen Sie das mal ein!
Riskante Wechselwirkungen zwischen Kommunikation und Arznei
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Rezept des Monats: Zwiespältige Angelegenheit
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Hausärztliche Leitlinie venöse Thromboembolie – die Tischversion
zum Ausschneiden
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Impressum
Verlag: info.doc Dr. Bernhard Wiedemann und Anne Haschke-Wiedemann GbR, Pfingstbornstr. 38, 65207 Wiesbaden
Herausgeber: Kassenärztliche Vereinigung Hessen, Georg-Voigt-Straße 15, 60325 Frankfurt
Redaktionsstab: Dr. med. Joachim Feßler (verantw.),
Dr. med. Klaus Ehrenthal, Dr. med. Margareta Frank-Doss, Dr. med. Jan Geldmacher, Dr. med. Harald Herholz,
Klaus Hollmann, Dr. med. Günter Hopf, Dr. med. Wolfgang LangHeinrich, Dr. med Alexander Liesenfeld,
Renata Naumann , Alexandra Rieger, Karl Matthias Roth, Dr. med. Michael Viapiano, Dr. med. Jutta Witzke-Gross
Fax Redaktion: 069 / 79502 501
Wissenschaftlicher Beirat: Prof. Dr. med. Ferdinand Gerlach, Institut für Allgemeinmedizin der Universität Frankfurt;
Prof. Dr. med. Sebastian Harder, Institut für klinische Pharmakologie der Universität Frankfurt
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dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- oder Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.
Wie alle anderen Wissenschaften sind Medizin und Pharmazie ständigen Entwicklungen unterworfen. Forschung und klinische Erfahrung erweitern unsere Erkenntnisse, insbesondere, was
Behandlung und medikamentöse Therapie anbelangt. Soweit in dieser Broschüre eine Dosierung oder eine Applikation erwähnt wird, darf der Leser zwar darauf vertrauen, dass Autor und
Herausgeber große Sorgfalt darauf verwandt haben, dass diese Angaben dem Wissensstand bei Fertigstellung der Broschüre entsprechen. Für Angaben über Dosierungsanweisungen und
Applikationsformen kann vom Herausgeber jedoch keine Gewähr übernommen werden. Jede Dosierung oder Applikation erfolgt auf eigene Gefahr des Benutzers.
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Für Sie
gelesen
KVH • aktuell
Nr. 4 / 2007
SPORT-Studien zum Bandscheibenvorfall
Operieren oder konservativ behandeln?
Dr. med. Alexander Liesenfeld
Obwohl viele Patienten bei Bandscheibenvorfällen operiert werden, verbessern
sich die Symptome auch bei alleiniger konservativer Behandlung. Neurochirurgen
neigen bei einem Bandscheibenvorfall eher zur Operation, während Neurologen
nicht selten eine konservative Behandlung empfehlen.
Für die beiden SPORT-Studien „Spine Patient Outcomes Research Trial“ [1,2] wurden
von März 2000 bis November 2004 an 13 Zentren
2720 Patienten mit Ischialgie bedingt durch einen Bandscheibenvorfall für diese
Untersuchung gescreent.
729 Patienten ausgeschlossen (u. a. wegen OP in der Anamnese, Cauda-EquinaSyndrom, Malignomen etc.).
1991 Patienten blieben übrig, davon lehnten
747 die Teilnahme an der Studie ab.
1244 Patienten nahmen an der Studie teil.
501 dieser Patienten ließen sich randomisieren – operativ versus konservativ
[1: SPORT-1].
Die restlichen
743 Patienten, die eingeschrieben, aber nicht randomisiert wurden, wurden
in einer Kohortenstudie (Beobachtungsstudie) im selben Zeitraum prospektiv
untersucht [2: SPORT-2].
Die nicht-operative Behandlung in beiden Studien beinhaltete Beratung, Krankengymnastik, Ergotherapie, Eigenübungen und Medikamente (NSAR, Muskelrelaxantien, Benzodiazepine, Narcotics, Steroide, u. a.).
Konservative
Behandlung
oft ebenso wirksam
wie Operation
Von den 501 randomisierten Patienten (SPORT-1) konnten 472 ausgewertet werden.
Dass randomisierte Studien in der Chirurgie äußerst schwierig sind, zeigt sich auch
bei dieser sehr gut angelegten, nicht verblindeten randomisierten Studie: In beiden
Gruppen wechselte ein nicht unerheblicher Teil der Patienten die Behandlung: 92
Patienten der eigentlichen Operationsgruppe wurden nicht operiert und 107 Patienten der „Konservativ“-Gruppe wurden doch operiert.
Bei der Intention-to-Treat-Analyse* zwischen operativ und nicht operativ versorgten Patienten nach drei Monaten, einem Jahr und zwei Jahren gab es keine
signifikanten Unterschiede in Bezug auf die Lebensqualität (Endpunkte: Schmerz,
Bewegung, physical function, leichter Trend zugunsten der Operierten im Oswestry
Disability Index n. s.).
In der Beobachtungsstudie (SPORT-2) konnten die Patienten die Behandlungsform
wählen. 2/3 entschieden sich für die OP und 1/3 für ein konservatives Vorgehen.
Beide Patientengruppen hatten eine deutliche Verbesserung im Bezug auf Schmerz,
Bewegung und Funktion. Bemerkenswert war, dass die Patienten, die sich für die
Operation entschieden hatten, über signifikant (p<0,001) deutlich bessere Ergebnisse berichteten als die Bandscheibenpatienten mit der konservativen Therapie.
In einer neueren, der SPORT-1-Studie ganz ähnlichen Untersuchung in Holland,
wurden Patienten mit Bandscheibenvorfall ebenfalls randomisiert und dann
*Intention-to-treat-Analyse: Dabei werden die Patienten für die Analyse in der Gruppe belassen, zu der sie
ursprünglich zugeordnet wurden, unabhängig davon, welche Therapie sie später tatsächlich bekommen haben
(analysed as randomised).
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KVH • aktuell
operiert beziehungsweise konservativ behandelt [4]. Die frühe Operation brachte
zwar eine schnellere Schmerzfreiheit, jedoch war das Ergebnis nach einem Jahr in
beiden Gruppen gleich.
In einer vergleichbaren Studie zur lumbalen degenerativen Spondylolisthesis
mit Spinalkanalstenose und radikulären Schmerzen [8] wurden über 300 Patienten
randomisiert (Operation versus keine Operation) und weitere 300 in einer Kohortenstudie beobachtet. Die Studie lief insgesamt über zwei Jahre.
Die operierten Patienten hatten zwar nach drei Monaten und einem Jahr im
Vergleich zu den nicht operierten weniger Schmerzen, aber nach zwei Jahren ergab die Intention-to-Treat-Analyse keinen wesentlichen Unterschied in Bezug auf
Einschränkung im Alltag, Schmerzen und Beweglichkeit.
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Bedeutung
für
unsere
Praxis
Fazit für die Praxis
Rückenschmerzen sind ein häufiger Konsultationsgrund in der allgemeinärztlichen Praxis.
Die Prognose von nicht radikulären Rückenschmerzen (Kreuzschmerzen) ist meist
gut.
Radiologische Untersuchungen werden zu häufig angefordert, denn bei jungen,
symptom­freien Menschen ohne Rücken­schmerzen findet sich im bildgebenden
Verfahren bei bis zu 27 % eine Bandscheibenprotrusion und bei bis zu 14 %
ein Bandscheibenprolaps [3]. Das heißt: Schickt man Patienten ohne radikuläre
Symptomatik zum CT oder zum Kernspin, so findet sich bei ca. jedem 6. ein
Bandscheibenvorfall, der nicht Ursache ist für diese Schmerzsymptomatik. Dieser
radiologische Befund kann dann schnell zu einer unnötigen Operation führen.
Bei einseitigen Schmerzen mit segmentaler Ausstrahlung (L4, L5, S1) in das Bein
bis unterhalb der Knieregion, positivem Lasègue auf der gleichen oder auf der gegenüberliegenden Seite sowie Reflexauffälligkeiten mit motorischen oder sensiblen
Ausfällen sollte immer an einen Bandscheibenvorfall gedacht werden [5,6,7].
Etliche Situationen bedürfen besonderer Aufmerksamkeit (so genannte Red
Flags, siehe Kasten unten auf dieser Seite).
Die vorgestellten Studien helfen in der täglichen Praxis gemeinsam mit dem Patienten, in Ruhe die Problematik und die Vorgehensweise bei lumbalem
Diese Red Flags signalisieren, dass besondere Aufmerksamkeit nötig ist
Das Cauda-Equina-Syndrom (Reithosenanästhesie mit oder ohne Blasen- und Mastdarmstörung)
Schmerzen im Bereich mehrerer Nervenwurzeln
Ausgeprägte neurologische Ausfälle, z.B. Reflexauffälligkeiten, motorische und sensible Ausfälle im Bereich
eines Dermatoms
Trotz konservativer Therapie stärkere, nicht bewegungsabhängige Schmerzen oder längere Persistenz der
Beschwerden
Bekanntes Malignom
Immunsuppression
Alter <20 Jahre oder >50 Jahre
Schlechter Allgemeinzustand
Fieber (z.B. als Hinweis auf eine Infektion, z.B. auch Tuberkulose, Abszess)
Fraktur möglich, Unfall in der Vorgeschichte
Intravenöser Drogenabusus
HIV-Infektion
Systemische Steroideinnahme bei Rheuma, Asthma oder COPD (WS-Sinterungsfraktur)
Bekannte Osteoporose (WS-Sinterungsfraktur)
Hinweise auf entzündlich rheumatische Erkrankungen
KVH • aktuell
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Entscheidung
gemeinsam mit dem
Patienten
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Bandscheibenvorfall zu besprechen. Ein beruflich engagierter Patient wird sich eher
für eine Operation entscheiden, damit er wieder schnell im Alltag aktiv sein und
seiner gewohnten Tätigkeit nachgehen kann. Im Gegensatz dazu wird es Patienten
geben, die vor einer Operation zurückschrecken. Diese Patienten kann man in ihrer
Entscheidung bestärken, eine konservative Behandlung vorzuziehen.
Wer sollte am Rücken operiert werden? Der Konsens scheint zu sein, dass
Patienten mit motorischen Defiziten und natürlich Patienten mit einem Wirbelsäulentrauma operiert werden müssen. Ohne größere neurologische Defizite
müssen Patienten mit Bandscheibenvorfall, degenerativer Spondylolisthesis oder
Spinalkanalstenose nicht unbedingt operiert werden, obwohl die chirurgischen
Maßnahmen die Schmerzsituation verbessern. In solchen Situationen sollte
die Entscheidungsfindung in einem gemeinsamen Prozess zwischen dem gut
informierten Patienten und dem behandelnden Arzt stattfinden [9].
Interessenkonflikte: keine
Literatur:
1 Weinstein JN et al.: Surgical vs nonoperative treatment for lumbar disk herniation: the Spine Patient Outcomes
Research Trial (SPORT): a randomized trial. JAMA 2006;296(20):2441-2450
2 Weinstein JN et al.: Surgical vs nonoperative treatment for lumbar disk herniation: the Spine Patient Outcomes
Research Trial (SPORT) observational cohort. JAMA 2006;296(20):2451-2459
3 Jensen MC et al.: Magnetic resonance imaging of the lumbar spine in people without back pain. N Engl J Med
1994;331(2):69-73
4 Peul WC et al.: Surgery versus prolonged conservative treatment for sciatica. N Engl J Med
2007;356(22):2245-2256
5 Chou R et al.: Diagnosis and treatment of low back pain: a joint clinical practice guideline from the American
College of Physicians and the American Pain Society. Ann Intern Med 2007;147(7):478-491
6 Chou R et al.: a review of the evidence for an American Pain Society/American College of Physicians clinical
practice guideline. Ann Intern Med 2007;147(7):492-504
7 Chou R, Huffman LH: Medications for acute and chronic low back pain: a review of the evidence for
an American Pain Society/American College of Physicians clinical practice guideline. Ann Intern Med
2007;147(7):505-514
8 Weinstein JN et al.: Surgical versus nonsurgical treatment for lumbar degenerative spondylolisthesis. N Engl J
Med 2007;356(22):2257-2270
9 Deyo, RA: Back Surgery – Who Needs It? N Engl J Med 2007;356:2239-2243
Für Sie
gelesen
TIA nicht auf die leichte Schulter nehmen!
Sofort behandeln – sonst bekommt jeder Zehnte einen Apoplex
Dr. med. Klaus Ehrenthal
Jeden Zehnten
trifft danach
ein richtiger Schlag
Eine transitorische ischämische Attacke (TIA) beeindruckt den Patienten bisweilen
kaum. Denn dabei werden Ausfälle mit unterschiedlichen neurologischen Funktionsstörungen wie Sprachstörungen, Sehstörungen, Halbseitenlähmungen oder
einfach nur einem herabhängenden Mundwinkel mitunter nur minutenlang wahrgenommen. Danach verschwinden sie wieder. Aber: Zehn Prozent der Betroffenen
erleiden innerhalb von drei Monaten einen Apoplex!
Behandlung beim Hausarzt und im Zentrum
Um herauszufinden, mit welchem Behandlungsregime die Zahl der Folgeapoplexien
sinnvoll vermindert werden kann (EXPRESS-Study [1]), wurden in der Grafschaft
Oxfordshire in Großbritannien vom 01.04.02 bis zum 31.03.07 von allen 1278
Patienten, die wegen einer TIA oder einem leichten Schlaganfall ärztliche Hilfe in
Anspruch genommen hatten (Oxford Vascular Study (OXVASC-Studie)), rund die
Hälfte (591) in eine spezialisierte Abteilung („EXPRESS“-Studienklinik) überwiesen.
Dort wurden sie vom
01.04.02 bis zum 30.09.04 (Phase 1 mit 310 Patienten ) und vom
01.10.04 bis zum 31.03.07 (Phase 2 mit 281 Patienten)
mit unterschiedlichem Regime diagnostiziert und behandelt.
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KVH • aktuell
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In Phase 1 wurden die Patienten nach klinischer Untersuchung – dies dauerte
im Schnitt drei Tage – mit Behandlungsempfehlungen an den Hausarzt zurück­
überwiesen. Bis die Patienten ihre Medikamente erhielten, dauerte es dann durchschnittlich 20 (8 bis 53) Tage.
In Phase 2 wurde in der EXPRESS-Klinik selbst die Diagnostik durchgeführt, das
geschah noch am Aufnahmetag. Die medikamentöse Behandlung wurde im Mittel
bereits innerhalb eines Tages (0 bis 3 Tage) begonnen.
Die sonstigen Risikofaktoren der beiden Gruppen unterschieden sich nicht. Die
Zahl der Patienten, die innerhalb von sechs Stunden nach hausärztlicher Erstbeurteilung in der EXPRESS-Klinik diagnostiziert wurden, stieg signifikant (p<0.0001)
von 5/310 (Phase 1) auf 80/281 (Phase 2).
Therapie bei der EXPRESS-Studie
Die Therapie in der EXPRESS-Studie wurde nach Geschlecht, Risikofaktor und Alter
unterschiedlich gewichtet wie folgt vorgenommen:
Generelle Gabe von 75 mg/d ASS bei den Patienten in Phase 1, 300 mg/d
bei den hospitalisierten Patienten in Phase 2.
Nur die Patienten, die nicht bereits antikoaguliert worden waren, erhielten
ASS oder Clopidogrel, wenn ASS kontraindiziert war. Clopidogrel wurde,
wenn erforderlich, als loading dose von 300 mg und dann fortlaufend mit
75 mg/d gegeben.
Verordnung von 40 mg/d Simvastatin.
Blutdrucksenkung, falls der RR, mehrfach gemessen, nicht 130 mm Hg sys­
tolisch unterschritt, entweder durch Steigerung der bisherigen Medikation
oder durch Zugabe von 4 mg/d Perindopril ggf. zusammen mit 1,25 mg/d
Indapamide.
Antikoagulation nach Erfordernis.
Vor der Gabe von ASS, Clopidogrel oder Antikoagulation wurde stets ein
Hirn-CT zum Ausschluss einer intracerebralen Blutung durchgeführt.
Bei Patienten der Phase 2, die innerhalb 48 Stunden nach ihrem Ereignis
zugewiesen worden waren oder bei solchen, die innerhalb von sieben Tagen
erschienen waren und bei denen ein erhöhtes Frührisiko („at particularly high
early risk“) vermutet wurde, wurde zusätzlich zum ASS nach einer loading
dose von 300 mg für 30 Tage 75 mg/d Clopidogrel gegeben.
Therapieempfehlungen in Deutschland
Hinweise für die Therapie nach den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für
Neurologie sowie der Deutschen Schlaganfall Gesellschaft finden sich im Deutschen
Ärzteblatt [2], basierend auf einer Tabelle von Diener [3]. Dabei wird das Risiko
eines Schlaganfallrezidivs nach Apoplex oder TIA nach folgender Punktetabelle
berechnet:
< 65 Jahre
0 Punkte
65 bis 75 Jahre
1 Punkt
> 75 Jahre
2 Punkte
arterielle Hypertonie
1 Punkt
Diabetes mellitus
1 Punkt
Myocardinfarkt
1 Punkt
andere kardiovaskuläre Ereignisse (außer Myokardinfarkt und Vorhofflimmern)
1 Punkt
pAVK
1 Punkt
Raucher
1 Punkt
zusätzliche TIA oder Insult zum qualifizierten Ereignis
1 Punkt
Wichtige
Maßnahmen:
Ausschluss
Hirnblutung durch CT
ASS
Simvastatin
erhöhten RR senken
konsequente Anti­
koagulation bei
entsprechender
Indikation
bei besonders hohem
Frührisiko zusätzlich
30 Tage Clopidogrel
Punkte-Score
steuert
die Therapie
KVH • aktuell
Seite 8
Die Umrechnung
dieser Zahlen ergibt:
12 Patienten mit
TIA müssen 90 Tage
lang behandelt
werden – damit
wird ein Schlaganfall
verhindert.
Eine NNT von
12 erreicht man
sonst bei der
Pharmakotherapie
nur selten!
Bedeutung
für
unsere
Praxis
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Als besonders gefährdet gelten Patienten mit einem Score von 3 oder mehr Punkten, ab dem von den Fachgesellschaften in der Sekundärprävention ASS alleine
nicht mehr als ausreichend angesehen wird. Es werden hier ASS plus retardiertes
Dipyridamol oder ASS plus Clopidogrel empfohlen. Die Einzelfallentscheidung liegt
beim Behandler.
Ergebnisse der EXPRESS-Studie aus Oxford:
Im Vergleich der zeitgleich vollständig erfassten Patienten der OXVASC-Studie mit
den Patienten der EXPRESS-Studie waren die Patienten nach TIA oder leichtem
Apoplex, die außerhalb der Phase-1- oder Phase-2-Behandlung ambulant betreut
worden waren, signifikant häufiger innerhalb von 90 Tagen von einem Apoplex
betroffen (63 von 634 Fällen versus 27 von 644 Fällen, Hazard Ratio 0,41, 95%-Konfidenz-Intervall 0,26-0,65, p<0,0001).
Die schnelle Diagnostik in der EXPRESS-Klinik und der rasche Beginn der Behandlung dort in Phase 2 verminderten gegenüber dem Phase-1-Regime signifikant die
Apoplexrate in den folgenden 90 Tagen (32 von 310 Fällen versus 6 von 281 Fällen,
Hazard Ratio 0,20, 95%-Konfidenz-Intervall 0,08-0,49, p=0,0001).
Die Autoren der Studie schlossen daraus, dass durch die Sofortdiagnostik mit
anschließender Soforttherapie nach TIA oder leichtem Schlaganfall das Risiko für
einen erneuten Schlaganfall um 80 bis 90 Prozent gesenkt werden kann. Dies würde einer Senkung der Folgeapoplexien in der Gesamtbevölkerung um 50 Prozent
bedeuten.
Was bedeutet das für die Praxis ?
Die Patienten (und alle anderen!) sollten aufgeklärt werden, dass auch eine TIA
oder ein leichter Schlaganfall eilig diagnostiziert und behandelt werden müssen
– möglichst in einer der 180 deutschen Kliniken, die über eine Stroke-Unit verfügen. Zumindest muss nach Ausschluss einer Hirnblutung die medikamentöse
Behandlung aber sofort und im vollen erforderlichen Umfang eingeleitet
werden. Abwarten nach dem Motto „Das wird schon wieder“, würde
bei mindestens jedem Zehnten innerhalb von drei Monaten zu einem
Folgeapoplex führen.
Hierzu bedarf es beim Hausarzt entsprechender neuer Strategien: TIA und natürlich auch der leichte Apoplex sind akute Notfälle, die ein sofortiges Eingreifen
erforderlich machen.
Auch in der Klinik ist die Sofortdiagnostik am Tage der Aufnahme und die Sofortbehandlung (medikamentös, ggf. operativ) erforderlich und statistisch mit einem
hoch signifikanten Erfolg bezüglich der weiteren Apoplexgefahr belegt.
Das Risiko für eine intrazerebrale Blutung wird durch die Frühbehandlung nicht
gesteigert.
Das Risiko für einen Folgeschlaganfall wird durch die Frühbehandlung um 80
Prozent reduziert. Die ambulante Folgebehandlung sollte vom Hausarzt nicht
aus Budgetgründen unterlassen oder reduziert werden. Die Therapie sollte dem
unterschiedlichem Rezidivrisiko [2] angepasst werden.
Therapievorschläge können entsprechend den Empfehlungen der Deutschen
Gesellschaft für Neurologie und der Deutschen Schlaganfallgesellschaft mit Hilfe
eines Punktescores ausgewählt werden [3].
Interessenkonflikte: keine
Literatur:
1 Rothwell PM et al.: On behalf of the Early use of Existing Preventive Strategies for Stroke (EXPRESS) study:
Effect of urgent treatment of transient ischaemic attack and minor stroke on early recurrent stroke (EXPRESS
study): a prospective population-based sequential comparison. Lancet, 2007;370(9596):1432-42.
2 Blaeser-Kiel G: Bei hohem Rezidivrisiko reicht ASS nicht aus. Deutsches Ärzteblatt, 2007;104(10):A669.
3 Diener HC et al. in: Exp Opin Pharmakother, 2005;6:755-64
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Streit um ein neues (und teures) Medikament
Nutzen und Wirtschaftlichkeit
von Natalizumab (Tysabri®)
Ende Juni 2007 wurde von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) eine
Ausgabe der Publikation Wirkstoff AKTUELL zu Natalizumab (Handelsname Tysabri®), einem neuen Mittel zur Behandlung der Multiplen Sklerose (MS), an alle
vertragsärztlich tätigen Neurologen verschickt. In dieser Ausgabe werden nach
Meinung der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) Empfehlungen zur
wirtschaftlichen Verordnungsweise gegeben, die im krassen Gegensatz zu den
evidenzbasierten Empfehlungen der Konsensus-Gruppe und des Ärztlichen Beirates
der DSMG stehen.
In der Zusammenfassung hieß es: „Für den neuen monoklonalen Antikörper
Natalizumab fehlen für die zugelassenen Indikationen verlässliche Informationen
zur Sicherheit. Natalizumab ist kein ‚First-line‘-Arzneimittel und sollte aufgrund der
schwerwiegenden Risiken und sehr hohen Kosten nur in Zentren mit ausgewiesener
Erfahrung in der Behandlung der Multiplen Sklerose (MS) verordnet werden.“
Vom ärztlichen Beirat wird die Bewertung von Natalizumab in der Publikation
der KBV als „einseitig und sachlich unkorrekt“ kritisiert und „vor dem Hintergrund
ausschließlich wirtschaftlicher Überlegungen“ charakterisiert. Es heißt weiterhin:
„Würden die niedergelassenen Kollegen der aktuellen KBV-Empfehlung folgen
und den Patienten bei entsprechender Indikation die Verordnung innovativer immunmodulatorischer Präparate vorenthalten, so handeln sie nicht nur gegen die
medizinisch belegte Meinung, sondern bewegen sich auch nach dem Auftrag des
SGB V auf juristisch dünnen Eis.“ Die Schlussfolgerung: Man solle für die Beurteilung
von Therapieverfahren den Expertenrat der medizinischen Fachgesellschaften zur
Grundlage von Entscheidungen und Empfehlungen machen.
Ist dies alles so klar, wie in der Stellungnahme des ärztlichen Beirates anklingt,
oder wäre eine differenziertere Betrachtung hilfreicher gewesen? Dazu im Folgenden zwei „Zwischenrufe“ – von Prof. Dr. Peter Berlit, Leitender Arzt der Klinik
für Neurologie mit Klinischer Neurophysiologie am Alfried Krupp von Bohlen und
Halbach Krankenhaus in Essen und von Prof. Dr. Gerd Glaeske vom Zentrum für
Sozialpolitik der Universität Bremen, einem ausgewiesenen Kenner der vertragsärztlichen Rahmenbedingungen für die Arzneimitteltherapie.
Multiple Sklerose: Womit behandeln?
Professor Dr. med. Peter Berlit
Mit einer Pävalenz von 120 auf 100 000 Personen und einer Inzidenz von 5 auf
100 000 Einwohnern ist die Multiple Sklerose (MS) eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen in Deutschland, vor allem bei jungen Erwachsenen (Erstmanifestation 15. bis 30. Lebensjahr). Umfangreiche Untersuchungen aus den
letzten Jahren haben gezeigt, dass es bereits vor dem ersten Auftreten klinischer
Symptome nicht nur zu einer Entmarkung im Bereich des zentralen Nervensystems
kommt, sondern auch bereits irreversible axonale Schädigungen eintreten. Dies hat
zu Bemühungen geführt, neue diagnostische Kriterien für die Frühdiagnose der
Multiplen Sklerose zu etablieren, die es erlauben, bereits bei einer ersten klinischen
Symptomatik (klinisch isoliertes Syndrom) die Diagnose mit hoher Sicherheit zu
stellen, um eine Intervalltherapie einleiten zu können. Für alle bislang entsprechend
untersuchten Intervalltherapeutika gilt, dass sie umso effektiver sind, je früher die
Behandlung einsetzt.
Immer wieder
beliebt:
Die Drohung
mit der Justiz
Seite 10
Wirksamer,
aber auch
mehr
Nebenwirkungen
KVH • aktuell
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Die modernen Anforderungen an wissenschaftliche Studien, nämlich placebokontrolliert randomisiert durchgeführt worden zu sein, erfüllen die drei auf dem Markt
befindlichen Interferonpräparate (z.B. Betaferon®, Rebif® u.a.), Glatiramerazetat
(Copaxone®) sowie der monoklonale Antikörper Natalizumab. Die wissenschaftliche
Datenlage für Azathioprin ist insuffizient, so dass dieses Präparat nur als Ausweichmedikament in Frage kommt.
Kranken, bei denen bei einem klinisch isolierten Syndrom die Magnetresonanztomographie eine entsprechende Läsionslast mit unterschiedlich alten Herden
dokumentiert, sollte eine Intervalltherapie mit einem Interferonpräparat oder Glatiramerazetat angeboten werden.
Die Wirksamkeit von Natalizumab ist zweifelsohne größer als die der Interferone
oder des Glatimerazetats – dies gilt sowohl für die Reduktion der Schubrate als auch
für die Verhinderung der Progression. Problematisch sind die anaphylaktischen Reaktionen, welche typischerweise bei der 2. oder 3. Gabe auftreten, sowie die unter
Natalizumab, aber auch unter anderen monoklonalen Antikörpern beobachteten
Fälle einer progressiven multifokalen Leukenzephalopathie.
Alle diese dokumentierten Fälle sind nicht unter einer Monotherapie mit monoklonalen Antikörpern aufgetreten, sondern bei gleichzeitiger Gabe einer anderen
immunsuppressiven oder immunmodulierenden Substanz. Aus diesem Grunde sollte
Natalizumab grundsätzlich nur als Monotherapeutikum gegeben werden.
Die Verordnung kommt nur dann in Frage, wenn klinisch und MR-tomographisch eine extrem ungünstige Verlaufsform der Multiplen Sklerose
zu diagnostizieren ist oder wenn es trotz Anwendung eines der drei
Interferone oder Glatiramerazetat zu weiteren häufigen Schüben oder
Progression kommt. Zumindest die ersten drei Gaben von Natalizumab
müssen in einem ausgewiesenen MS-Zentrum unter Überwachung erfolgen, danach kann die Substanz auch in der neurologischen Facharztpraxis
verabreicht werden.
Natazulimab: Zur Frage von
Nutzen und Wirtschaftlichkeit
Prof. Dr. med. Gerd Glaeske
Botschaft ist zu
undifferenziert
Der ärztliche Beirat der DMSG irrt gewaltig, wenn er meint, Vertragsärzte mit dem
Hinweis auf das SGB V juristisch zu einer Verordnung eines Mittels verpflichten zu
können, für das zwar die Zulassung ausgesprochen wurde, das damit aber noch
längst nicht den therapeutischen Nutzen nach dem herrschenden Kenntnisstand
unter Berücksichtigung des therapeutischen Fortschritts nachgewiesen hat (§§ 2,
12 und 70 des SGB V). Der Nutzen hat nämlich weniger mit den Ergebnissen der
klinischen Prüfungen (efficacy) zu tun, in denen Ein- und Ausschlusskriterien eine
wesentliche Rolle spielen, sondern mehr mit den Therapieergebnissen aus der normalen Versorgung von Patientinnen und Patienten (effectiveness). Dieser Nutzen im
richtigen Leben ist aber genauso wenig in einfacher Weise aus klinischen Studien
übertragbar wie die Wirtschaftlichkeit Gegenstand der Zulassung sein darf – diese
Argumentationskette ist sonst nur von pharmazeutischen Unternehmen bekannt.
Daher können beide für die GKV so wichtigen Aspekte erst nach der Zulassung im
Rahmen eines relativen therapeutischen Wirksamkeitsvergleichs gegenüber allen
anderen verfügbaren Alternativen bewertet werden.
Es muss somit erstaunen, wie überzeugt der ärztliche Beirat seine Botschaft verbreitet, ohne ausreichend auf eine Differenzierung in den therapeutischen Möglichkeiten hinzuweisen, wie die Empfehlung von Professor Berlit sie widerspiegelt.
Die Verordnung von Natilizumab ist daher aus meiner Sicht ein typisches Beispiel
für eine Verordnung im Rahmen der Zweitmeinungsregelung (siehe § 73 d:
KVH • aktuell
Nr. 4 / 2007
Seite 11
„Verordnung besonderer Arzneimittel“), die mit der Gesundheitsreform ab dem
01.04.2007 eingeführt wurde, die aber noch nicht vom Gemeinsamen Bundesausschuss konkretisiert worden ist.
Der Vorwurf des ärztlichen Beirats, es handele sich bei der KBV-Bewertung um
eine Empfehlung, die ausschließlich unter Berücksichtigung der Wirtschaftlichkeit
entstanden sei, geht daher an der eigentlichen Problematik vorbei: Die Arzneimittel-Richtlinien sagen in Punkt 10, dass vor den Kosten der therapeutische Nutzen
rangiert. Wenn der aber noch nicht endgültig nachgewiesen ist und zudem problematische unerwünschte Begleiterscheinungen zu berücksichtigen sind (wie groß
ist denn schließlich der verbleibende Nettonutzen?), tun alle Ärztinnen und Ärzte,
auch die vom ärztlichen Beirat angesprochenen Vertragsärzte, gut daran, ein solch
neues Mittel mit Zurückhaltung anzuwenden. Mögliche Schäden sind nämlich sehr
viel eher juristisch einzuklagen als die begründbare Vorsicht im Umgang mit neuen
Arzneimitteln. Die Vorgehensweise, die Prof. Berlit empfiehlt, entspricht letztlich
der Quintessenz aus dem Beitrag in KBV Wirkstoff AKTUELL.
Ärztinnen und Ärzte sollten sich daher nicht vom DMSG-Beirat in die
Defensive drängen lassen, wenn es darum geht, eine Behandlungsentscheidung unter Berücksichtigung der vorliegenden Evidenz in der notwendigen
Differenzierung der relativen Wirksamkeit zu treffen.
Interessenkonflikte Prof. Berlit: Referentenhonorare von den Firmen Bayer-Schering, Merck-Serono und MSD;
Konflikte im Hinblick auf den hier vorliegenden Text bestehen nicht.
Interessenkonflikte Prof. Glaeske: keine.
Antibiotika-Verbrauch
Niedergelassene verordnen
intelligenter als Krankenhäuser
Verglichen mit anderen europäischen Staaten ist der Antibiotika-Verbrauch in
Deutschland relativ gering. Das hat eine Untersuchung von Professor Winfried
Kern vom Universitätsklinikum Freiburg im Rahmen des European Surveillance
of Antimicrobial Consumption Project ergeben. Nur in der Schweiz und in den
Niederlanden ist der Verbrauch noch geringer. Im Wesentlichen sind dafür die
Niedergelassenen verantwortlich, in den Kliniken sieht es laut Kern nicht so
gut aus – dort werden Antibiotika häufiger eingesetzt.
Dass hierzulande die Antibiotika recht moderat verordnet werden, hält Kern
für richtig. Er verweist darauf, dass in den vergangenen Jahren kaum neue Substanzen entwickelt worden sind – offensichtlich ist die Antibiotika-Forschung
für die Pharmafirmen zu wenig profitabel. Deswegen sollten die derzeit verfügbaren Mittel nicht mit der Gießkanne, sondern überlegt verwendet werden.
In diesem Kontext kritisiert Kern dann aber doch noch die deutschen Ärzte:
Nach seinen Erkenntnissen werden noch zu oft Reserve-Antibiotika eingesetzt.
Während der Antibiotika-Verbrauch in den vergangenen 15 Jahren konstant
geblieben ist, werden heute dreimal so oft Reserve-Antibiotika verordnet als
vor 15 Jahren.
Sparsam bei den Antibiotika-Rezepten sollte aber nicht zum Sparen an der
falschen Stelle verführen: Eine zu geringe Dosierung, erinnert Kern, fördert
bekanntlich die Resistenzbildung bei den Keimen.
BW
Quelle: Newsletter Nr. 34 des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (Oktober 2007)
Die Resistenzbildung
schreitet voran – deswegen
möglichst bewährte ältere
Antibiotika verschreiben,
wie z.B.:
Doxicyclin
Penicillin
Cephaclor
Amoxicillin
Cotrimoxazol
Erythromycin (bei Kindern)
Neuere und ReserveAntibiotika nur, wenn
zwingend nötig. Dazu
zählen:
Gyrasehemmer
Makrolide
Cephalosporine der 3. und
4. Generation
KVH • aktuell
Seite 12
Beiträge
der
Redaktion
Todesfälle durch
Masernenzephalitis
Nr. 4 / 2007
Masernimpfung: Argumente,
die auch Impf-Skeptiker umstimmen
Dr. med. Günter Hopf
„Pocken-, Masern- und Scharlachexantheme stellten normale Entwicklungsvorgänge beim Kind dar. Es sei daher verwerflich, wenn man durch Impfung oder sonstige
Maßnahmen den Ausschlag verhindern oder zu unterdrücken versuche, da er in solchen Fällen zurückschlagen und zu schweren inneren Störungen führen könne.“
Diese Äußerung könnte auch von einem heutigen Impfgegner stammen. Gemacht wurde sie jedoch 1812 von einem – zu seiner Zeit – angesehenen ärztlichen
Meinungsbilder. Entsprechend dem damaligen medizinischen Wissenstand ist diese
Meinung nicht verwunderlich. Heute gelten jedoch andere Maßstäbe.
Ein zweites Kind ist kürzlich in NRW unnötigerweise an einer Masernenzephalitis
gestorben, nachdem es sich 2006 bei seiner Mutter angesteckt hat. Gentechnische
Untersuchungen haben ergeben, dass diese schwere Masernkomplikationen bisher
nur unter dem Wildtyp, nicht jedoch unter der Gabe des Masernimpfstoffes auftraten. Forderungen nach einer Masernpflichtimpfung sind neben verstärkter Aufklärung zu diskutieren, ebenso wie Maßnahmen (zum Beispiel in Großbritannien wegen
gezielter Desinformation) gegen die Verbreitung mittelalterlicher Vorstellungen durch
medizinische Berufe wie Krankenschwestern und Hebammen und Überprüfungen
uneinsichtiger Ärztinnen und Ärzte durch Ärztekammern und Berufsgerichte.
Die unten stehende Tabelle zeigt das Auftreten von Infektionskrankheiten vor und
nach der Möglichkeit eines Impfschutzes und die Anzahl vermutlicher Impfreaktionen aus dem Jahr 1997. Die positive Bilanz von Impfungen ist eindeutig und
kann als Argumentationshilfe bei „impfmüden“ Eltern dienen. Die berichteten unerwünschten Impfreaktionen traten übrigens meist nur lokal auf und ein Kausalzusammenhang systemischer Reaktionen mit dem Impfstoff ist oft nicht eindeutig.
Quellen: Lancet 1998; 351: 611; Hamb. Ärzteblatt 2007, Heft 4: 169: Die Zeit vom
19.04.2007, 43; Arzneimittelbr. 2007; 41: 29
Infektion
Auftreten
vor
Auftreten
nach
Änderung
in Prozent
der Möglichkeit eines
Impfschutzes
Diphtherie
206.939
(1921)
5
- 99,99 %
Masern
894.134
(1941)
135
- 99,98 %
Mumps
152.209
(1968)
612
- 99,60 %
Keuchhusten
265.269
(1934)
5519
- 97,62 %
Polio
21.269
(1952)
0
- 100,00 %
Röteln
57.686
(1969)
161
- 99,72 %
Rötelnembryopathie
20.000
(1964-65)
4
- 99,98 %
1.560
(1948)
43
- 97,24 %
20.000
(1984)
165
- 99,18 %
Tetanus
asiat.Grippe
Berichtete Impfreaktionen: 11.355 ( Stand 1997)
Impfskeptiker wollen ihren Kindern ja nicht schaden, sondern etwas Gutes tun, wenn sie die Impfung
ablehnen. Gerade deswegen hilft bei ihnen oft das folgende Argument: Klar, bevor es Impfungen
gab, wurden mehr Kinder großgezogen als heute – aber damit drei Kinder erwachsen werden
konnten, musste die Mutter erst mal sieben zur Welt bringen!
KVH • aktuell
Nr. 4 / 2007
Seite 13
Skurrile Ursachen von Erkrankungen
Beiträge
der
Redaktion
Ungewöhnliche Allergien
Dr. med. Günter Hopf
Manchmal muss man als Arzt detektivische Fähigkeiten besitzen, um die Ursache für
allergische Symptome aufzudecken. Die folgenden Fälle zeigen, wie ungewöhnlich
die Ursachen für Allergien sein können. Vielleicht hilft Ihnen die Lektüre mal bei
dem einen oder anderen Patienten weiter ...
Gefährliche Schuhe
Bei einer 33-jährigen Frau trat bereits mehrmals ein nässendes und teilweise blasenbildendes Erythem an beiden Fußrücken auf. Im Patch-Test konnte ein kontakt­
allergisches Geschehen aufgrund einer positiven Reaktion auf Kolophonium bestätigt werden, das als Werkstoff in den Schuhen verwendet wurde.
Schuhdermatitiden können hauptsächlich drei Ursachen haben:
Chromate (Gerben des Leders)
Gummi (oft in den Sohlen verwendet)
Kolophonium (als Klebstoff verwendetes Baumharz).
Quelle: Brit. med. J. 2003; 326: 172
Riskante Langzeit-Sitzung
Eine Neunjährige stellte sich mit einem seit 18 Monaten bestehenden Ekzem an
der Unterseite ihrer Oberschenkel vor. In ihrem Elternhaus waren die Toilettensitze
in den vergangenen Jahren gegen Holzsitze ausgetauscht worden. Sie gab zu, wegen fesselnder Lektüre (Harry Potter??) oft längere Zeit auf der Toilette sitzen zu
bleiben. Im Patch-Test ergaben die entsprechenden Holzspäne mit dem verwendeten Firnis eine positive Reaktion. Die steigende Popularität hölzerner Toilettensitze könnte diese allergische Kontaktdermatitis zunehmen lassen.
Quelle: Brit. med. J. 2007; 335: 832
Reizende Küsse
Eine 45-jährige Frau mit Juckreiz und leichtem Angioödem
im Lippen- und Gesichtbereich gab an, dass die Symptome etwa 30 Minuten nach Liebkosungen mit
ihrem Mann begannen. In ihrer Anamnese war
eine ähnliche, aber stärkere Reaktion nach der
Einnahme von 1200 mg Bacampicillin (in vielen europäischen Ländern im Handel) vor vier
Jahren bekannt. Ihr Mann hatte zwei Stunden
vorher dasselbe Antibiotikum eingenommen.
In einer Versuchsreihe mit Placebo, 120, 360
oder 520 mg Bacampicillin stellte sich heraus,
dass die Ehefrau ab einer 360 mg-Gabe auf
die Küsse des Mannes nach 20 Minuten allergisch reagierte. Nach der Einnahme von
10 mg Cetirizin (Zyrtec®, viele Generika)
verschwanden die Symptome (intraoraler
Juckreiz, allergische Hauterscheinungen im
Gesicht und auf den Armen) innerhalb einer
Stunde.
Quelle: Lancet 2002; 359: 1700
So passiert‘s: Er nimmt Antibiotika und Sie bekommt davon ein allergisches Ekzem.
Seite 14
Sicherer
verordnen
Dr. med.
Günter Hopf
KVH • aktuell
Nr. 4 / 2007
Arznei-Tee: Sehr begrenzt haltbar
Arzneiliche Tees haben auch heute noch ihren Stellenwert in der Therapie. Ärzte sollten
die Patienten bei einer Verordnung oder Empfehlung von Tees (pharmazeutische Definition: wässrige Zubereitungen aus Drogenteilen) auf Folgendes hinweisen:
1. Pflanzliche Drogen sind naturgemäß mikrobiell kontaminiert.
2. Insbesondere Schleimdrogen enthalten Kohlehydrate, die ein idealer Nährboden
für ein Keimwachstum sind.
3. In der Regel erfolgt eine Zubereitung mit kochendem Wasser.
4. Unkonserviert gilt eine Aufbrauchfrist des zubereiteten Tees bis zu 24 Stunden,
im Kühlschrank bis zu drei Tagen.
Da Tees nur eine begrenzte, aufgrund biologischer Schwankungen auch wechselnde Wirksamkeit besitzen, sollten Patienten bei unverändertem Fortbestehen von
Symptomen immer auf eine Wiedervorstellung beim Arzt hingewiesen werden.
Quelle: Pharm. Ztg. 2007; 152: 83
Analgetika: Medikamenteninduzierte
Kopfschmerzen
Das Blut war
schon dunkelgrün
verfärbt
Wenn Patienten wegen Kopfschmerzen mehr als 15 Tage im Monat Analgetika
einnehmen (bei Triptanen: mehr als 10 Tage/Monat), so spricht man neuerdings
von einem Kopfschmerz bei Medikamentenübergebrauch (Medication Overuse
Headache, MOH). Circa ein Prozent der Bevölkerung soll betroffen sein, wobei
die angegebenen Einnahmegrenzen individuell unterschiedlich sind. Auch ist die
Diagnose eines MOH in den seltensten Fällen so eindeutig zu stellen wie bei einem
42-jährigen Patienten, der über Monate täglich 200 mg/d Sumatriptan einnahm
und in dessen Adern dunkelgrünes Blut floss (Sulfhämoglobinbildung).
Nach einer Motivierung des Patienten zu einer Entzugsbehandlung wird ein abruptes Absetzen (Ausnahme: bei Opioidübergebrauch nur langsame Dosisreduktion)
empfohlen. Entzugskopfschmerzen mit vegetativen Beschwerden (Dauer circa 5 bis
10 Tage) müssen dann ebenso wie der ursprüngliche Kopfschmerz vor Analgetikaübergebrauch gezielt therapiert werden. Entscheidend für den Erfolg sind eine
Kombination von medikamentöser Therapie, regelmäßiger ärztlicher Betreuung und
eine begleitende psychologische Therapie zur Selbstkontrolle. Die Entzugsbehandlung sollte durch einen auf dem Gebiet der Kopfschmerzbehandlung erfahrenen
Arzt erfolgen (Neurologe, Schmerztherapeut).
Quellen: Lancet 2007; 369: 1972; Dt.Apo.Ztg. 2007; 147(23): 64
UAW bei Kindern: Berichte an die AkdÄ
Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) weist darauf hin,
dass insbesondere Berichte über unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) bei
Kindern an die AkdÄ gemeldet werden sollten. Erhebliche Wirkungsunterschiede
von Arzneimitteln, fehlende Erfahrungen aus klinischen Studien, mögliche Spätfolgen, vermehrter Off-Label-Use oder veränderter Krankheitsverlauf im Vergleich
zu Erwachsenen verdeutlichen den Vorrang, Verdachtsfälle von UAW bei Kindern
entsprechend der Berufsordnung an die AkdÄ zu berichten. Prinzipiell sind alle
Verdachtsfälle von UAW zu melden, insbesondere jedoch
alle schweren UAW, darunter alle tödlichen oder lebensbedrohenden
alle zur Schulunfähigkeit, zu einer kongenitalen Anomalie oder zu einer stationären Behandlung führenden UAW
alle bisher unbekannten UAW
alle verzögert auftretenden UAW
jede Häufung von UAW
Nr. 4 / 2007
KVH • aktuell
Seite 15
alle UAW bei Off-Label-Use
alle UAW bei einer Behandlung mit alternativen Therapien und so genannten
Hausmitteln sowie freiverkäuflichen Arzneimitteln.
Die Berichtspflicht nach der Berufsordnung an die AkdÄ bleibt unberührt von den
nachfolgend genannten gesetzlichen Verpflichtungen: Bei Impfungen besteht nach
dem Infektionsschutzgesetz die rechtliche Verpflichtung einer namentlichen Meldung schwerer UAW an die Gesundheitsämter (strafbewehrt bei Nichtbefolgen!).
Bei Blutprodukten muss nach dem Transfusionsgesetz eine Meldung an den
zuständigen Transfusionsbeauftragten der medizinischen Einrichtung erfolgen.
Niedergelassene Kollegen müssen alle Verdachtsfälle von UAW an den pharmazeutischen Unternehmer und schwere UAW zusätzlich noch an die zuständige
Bundesoberbehörde (Paul-Ehrlich-Institut) melden.
Sicherer
verordnen
Dr. med.
Günter Hopf
Quelle: Dt. Ärztebl. 2007; 104(21): C 1302
Erythropoetine können Mortalität steigern
Nach einer Metaanalyse erhöhen die rekombinanten humanen Erythropoetine
Epoetin-α (Eprex®, Erypo®), Epoetin-b (NeoRecormon®) und Darbepoetin (Aranesp®)
bei Patienten mit renaler Anämie dann das Sterblichkeitsrisiko, wenn Hämoglobinzielwerte von 12 bis 16 g/dl erreicht werden. In einem Kommentar wird ausgeführt,
dass bei anämischen Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz nur eine teilweise,
keine komplette Korrektur der Anämie anzustreben sei (9 bis 12 g/dl), auch wenn
„dies der kommerziell weniger attraktive Weg“ sei.
Empfehlungen von Zielwerten von 11 bis 13 g/dl durch einen amerikanischen
Nephrologen sind fraglich geworden, nachdem sich herausstellte, dass er zu den
Spitzenempfängern von Honoraren der pharmazeutischen Industrie zählt. Die FDA
forderte vor kurzem zu einem zurückhaltenden Einsatz dieser Präparate auf (Begründung: mögliche Förderung der Tumorprogression bei Tumorpatienten, erhöhte
Rate von tiefen Venenthrombosen nach Wirbelsäulenoperationen). Ein praktisch
tätiger Onkologe setzt diese Präparate seit Jahren erfolgreich nur dann ein, wenn
der Hb-Wert unter 9 bis 10 mg/dl fällt.
Quellen: Lancet 2007; 369: 381, Dtsch. Med.Wschr. 2007; 132: 543, www.aerzteblatt.de
Beim Hb-Zielwert
bitte
nicht übertreiben
KVH • aktuell
Seite 16
Der
Gastbeitrag
Nr. 4 / 2007
Die häufigsten Fehlerquellen
beim Verschreiben von Arzneimitteln
Prof. Dr. med. Thomas Eschenhagen
ArzneiNebenwirkungen
sind sechsthäufige
Todesursache
„Gutes tun und Schädigung des Patienten vermeiden“ – dieser hippokratische
Grundsatz der Medizin weist auf die Bedeutung einer kritischen Nutzen-RisikoAbwägung in der Arzneitherapie hin. Angesichts der zunehmenden Zahl von
Arzneimitteln auf dem Markt, dem zunehmendem Alter der Bevölkerung und
dem zunehmendem Schweregrad der behandelten Fälle kann auch eine Zunahme
der Arzneimittel-bezogenen UAW und Behandlungsfehler angenommen werden.
Tatsächlich weisen die verfügbaren Statistiken darauf hin, dass die Häufigkeit von
arzneimittelassoziierten Todesfällen zwischen 0,9 und 6,5 von 1000 hospitalisierten
Patienten liegt (Caranasos et al. 1976, Porter, Jick 1977, Bates et al. 1995). Eine
Metaanalyse prospektiver Studien ergab sogar, dass tödliche UAW von Arzneimitteln die sechsthäufigste Todesursache in den Vereinigten Staaten von Amerika sind
(Lazarou et al. 1998).
Auf der Basis dieser beunruhigenden Zahlen wurde mit Unterstützung staatlicher
Stellen und finanziert durch die Norwegian Medical Association eine prospektive
Studie durchgeführt, in der zwei Jahre lang sämtliche Patienten, die auf einer
internistischen Station aufgenommen wurden, verfolgt und Todesfälle klinisch,
autoptisch und toxikologisch untersucht wurden (Ebbesen et al. 2001). Von
13 992 Patienten starben 732 (5,2%), davon die meisten an Störungen der
Kreislauffunktion und Atmung (siehe Tabelle 1). 18,6 Prozent der Todesfälle
(133/732) wurden als direkte (48,1 %) oder indirekte (51,9 %) Folge von Arzneimitteln eingestuft.
Die Häufigkeit lag damit noch höher als vorab berichtet (9,5 von 1000 Patienten).
Dies ist wahrscheinlich zum Teil auf die Wahl der Station (95% Notaufnahmen),
wahrscheinlich aber auch auf die Art der Auswertung der Fälle zurückzuführen. So
zeigte sich, dass bei individueller Durchsicht der Akten häufig nur eines der Mitglieder des Komitees den Verdacht auf eine UAW hatte, dann aber nach Diskussion
in der Gruppe alle zu einem einstimmigen Ergebnis kamen. Schließlich belegt die
Studie erneut den hohen Wert der Autopsie und/oder der toxikologischen Analyse, die in 75 Fällen entscheidend für den Beweis und in 62 Fällen für den
Arzneimittelklassen, die mit tödlichen Wirkungen assoziiert waren
Arzneimittelklasse
Gesamtzahl* Unerwünschte Wirkung
Herzkreislauf
61 Kardiodepression, Hypotension, Dehydratation, AV-Block,
bronchiale Obstruktion, ß-Blocker-Entzug, Nierenversagen
Antiasthmatika
55 Arrhythmien, Myokardinfarkt, Herzstillstand
Antithrombotika
45 Hirnblutung, Magen-Darm-Blutung, Herzbeuteltamponade
Antiinfektiva
14 Pseudomembranöse Colitis, Nierenversagen, Leberversagen, Pankreatitis,
Antipsychotika u. Anxiolytika
12 Knochenmarksdepression
Analgetika
12 Atemdepression, schwere Sedierung
NSAIDs
Andere
6 Magen-Darm-Blutungen
32 Verschiedene
* Die Gesamtzahl von Arzneimitteln, die mit tödlichen Wirkungen assoziiert waren, betrug 237. Einige Fälle umfassten mehr als
ein Arzneimittel. NSAIDs: non steroidal antiinflammatory drugs
Tabelle 1: Gruppen von Arzneimitteln, die mit tödlichen Wirkungen assoziiert waren (Ebbesen et al. Arch
Int Med 161,2001,2317). NSAIDs = non steroidal antiinflammatory drugs.
Nr. 4 / 2007
KVH • aktuell
Ausschluss eines arzneimittelassoziierten Todesfalls
waren.
In guter Übereinstimmung mit anderen Quellen
wurde etwa die Hälfte der Fälle als vermeidbar und
damit als Fehler eingestuft. Interessanterweise wurde
nur in 8 von 132 Todesfällen über den üblichen Weg
der Verdacht auf einen Arzneimittel-bedingten Todesfall geäußert. Diese Zahl weist auf eine enorm hohe
Dunkelziffer (94 %) in diesem Bereich hin.
Es muss betont werden, dass sich diese Zahlen nicht
1:1 auf alle Bereiche im Krankenhaus und noch weniger auf die ambulante Arzneitherapie übertragen
lassen. Dennoch muss auch hier von einer relevanten
Häufigkeit von UAW-bedingter Morbidität und Mortalität ausgegangen werden. Aufgrund verschiedener
Studien kann man davon ausgehen, dass zwischen
drei und acht Prozent aller Einweisungen in die Innere Medizin auf UAW zurückzuführen sind (Einarson
1993).
Seite 17
Notaufnahme wegen Arzneifehler
Arzneimittel
Prozent
Insulin
(8%)
Antikoagulantien
(6,2 %)
Amoxicillin
(4,3%)
ASS
(2,5%)
Cotrimoxazol
(2,2%)
Hydrocodon/Paracetamol
(2,2%)
Ibuprofen
(2,1%)
Paracetamol
(1,8%)
Cephalexin
(1,6%)
Penicillin V
(1,3%)
Tabelle 2: Top-10-Arzneimittel, die in einem
US-amerikanischen freiwilligen Meldesystem am
häufigsten mit Notfallaufnahmen ins Krankenhaus assoziiert waren (Grissinger 2007).
Typische Risikokonstellationen
Hohes Alter der Patienten, Multimorbidität und eine große Zahl verordneter Arzneimittel – das sind in praktisch allen Studien die wichtigsten Prädiktoren für fatale
arzneimittelassoziierte Todesfälle oder schwere UAW. Unter den kritischen Komorbiditäten sind besonders die chronische Herzinsuffizienz und Niereninsuffizienz
mit einem fatalen Ausgang von UAW assoziiert. Im Wesentlichen weist das auf die
Tatsache hin, dass ein Patient umso stärker gefährdet ist, je geringer seine endogene
Kompensationsfähigkeit ist oder, einfacher ausgedrückt, dass alte Kranke weniger
vertragen als junge Gesunde.
So banal das klingt, muss es doch immer wieder Anlass für eine kritische Überprüfung sein, ob der angenommene Nutzen einer Arzneitherapie tatsächlich das
mit jedem wirksamen Arzneimittel in Kauf genommene Risiko aufwiegt und ob
tatsächlich jede Leitlinie auch beim Älteren 1:1 umgesetzt werden soll (Beispiel
Spironolacton beim Alten mit Herzinsuffizienz, „scharfe“ Blutzuckereinstellung
beim älteren Typ-2-Diabetiker usw.).
Kritische Arzneimittel in der Praxis
Auf dem jährlichen Kongress der Pharmazeuten in Atlanta (berichtet von K.L. Hahn)
wurden kürzlich von M. Grissinger „The Top 10 Adverse Drug Reactions and Medication Errors“ vorgestellt. In dieser Studie wurden die Arzneimittel erfasst, die am
häufigsten zu einer Notfallaufnahme ins Krankenhaus führten (Tabelle 2). Viele dieser Arzneimittel sind „alte Bekannte“, die praktisch in allen Studien mit Problemen
assoziiert sind, wie Insulin, Antibiotika, NSAIDs, Paracetamol und Antikoagulantien.
Die Statistik lässt mehrere interessante und praktisch wichtige Schlüsse zu:
Häufig verordnete Arzneimittel machen häufig Probleme (Beispiel Amoxicillin).
Arzneimittel sind sehr unterschiedlich kritisch. So fällt auf, dass die in allen
westlichen Ländern mit Abstand am häufigsten eingenommenen Herzkreislaufmittel (ACE-Hemmer, Betablocker, Calciumkanalblocker, Statine und Diuretika;
Gesamtverordnung in Deutschland in 2006:10,9 Milliarden Tagesdosen = 30
Millionen Tagesdosen pro Tag; Arzneiverordnungsreport 2006) nicht auf dieser
Liste erscheinen, was ihre gute Verträglichkeit belegt. Auf der anderen Seite
machen zwar Marcumar und Verwandte nur 271 Mio DDD = 1,0 Prozent der
Gesamtverordnungen aus, dafür aber 6,2 Prozent der kritischen UAWs. Dies
weist auf die besonders schwierige Therapie mit Antikoagulantien hin.
Auf Herz- und
Nieren-Insuffiziente
müssen Sie
besonders achten
Seite 18
Auch Antibiotika
sind
nicht ungefährlich
KVH • aktuell
Nr. 4 / 2007
Auch rezeptfreie Arzneimittel wie Ibuprofen und Paracetamol sind prominent
auf dieser Liste vertreten, was wiederum belegt, dass „rezeptfrei“ keineswegs
gleichzusetzen ist mit „harmlos“.
Amoxicillin, Cotrimoxazol, Cephalexin und Penicillin V sind zusammen mit fast
zehn Prozent aller zur Aufnahme führenden UAWs assoziiert. Dies gilt es zu
bedenken, wenn Antibiotika bei überwiegend viral bedingten Atemwegserkrankungen verordnet werden. Aspirin und Ibuprofen, die am meisten eingenommenen NSAIDs, machen zusammen fast fünf Prozent aus. Man schätzt, dass in
den USA täglich 30 Millionen Patienten diese Substanzen einnehmen, was zu
103 000 Hospitalisierungen und 16 000 Todesfällen pro Jahr führt. Letzteres
ist in der Regel Folge von Magen- und Darmblutungen und Dyspepsie. Hinzu
kommen aber die ebenfalls kritischen Herzkreislauf- und Nierenwirkungen (Hypertonie, Herzinsuffizienz-Dekompensation).
Häufigster Fehler: Überdosierung
Paracetamol:
Wegen vieler
Missverständnisse
für Kinder gefährlich
Vorsicht bei fixen
Kombinationen
Viele UAW (und wahrscheinlich die meisten harmlosen) gehören zum Profil der
Arzneimittelwirkung dazu und sind nicht vermeidbar (außer durch Nichtverordnung). Es zeigt sich aber in vielen Studien, dass gerade die schweren und zur
Hospitalisierung führenden UAW Folge einer fehlerhaften Verordnung sind. In der
Studie von Grissinger waren ungewollte Überdosierungen in 40 Prozent der
Fälle für die Notfallaufnahme ursächlich und damit mit Abstand die häufigste
Form eines Arzneitherapiefehlers.
Andere Fehler in dieser und anderen Studien (Hicks et al. 2006, Kaushal et al.
2001) waren falsche Indikationsstellung, fehlerhafte Nichtverordnung,
falsche Applikationsweise – im Extremfall die intravenöse Injektion von 50 ml
flüssigem Paraffin (Kazi et al. 2007) – und falsche Dosierungsintervalle. Interessanterweise passierten fast 80 Prozent der Fehler bei der ärztlichen Verschreibung
und nur selten im weiteren Verlauf bis zur tatsächlichen Einnahme des Arzneimittels
(Kaushal et al. 2001).
Gefährlich und fehlerbehaftet ist auch der Wechsel von oralem Morphin auf
transdermal appliziertes Fentanyl, das in mehreren Pflastergrößen angeboten
wird. Hier müssen die Umrechnungsfaktoren (60 mg Morphin/Tag erfordern Umstellung auf 0,6 mg Fentanyl = 25 µg/h = 10 cm2 Pflaster) genau beachtet werden und
die von vielen Ärzten angewandte Grundregel „1x1 pro Tag“ kann zu erheblichen
Überdosierungen führen.
Klassisch sind Überdosierungen von Paracetamol bei Kindern, wo von Müttern aufgrund ungenauer Angaben durch den Arzt mehrfach täglich 1000 mg Zäpfchen bei Kleinkindern gegeben wurden. In den USA sind Paracetamol-Vergiftungen
für mehr als 40 Prozent aller Fälle von akutem Leberversagen verantwortlich.
Ebenfalls häufig ist die Nichtbeachtung einer Niereninsuffizienz, was besonders bei Morphin, Methotrexat, Metformin, Digoxin, Spironolacton und niedermolekularen Heparinen zu kritischen Überdosierungen führt.
Was auf den Listen der Studien nicht vorkommt, aber dennoch zu den häufigen
Fehlern in der Arzneitherapie in der Praxis gehört, ist die Wahl unsinniger oder
ungenügend wirksamer Arzneimittel.
Die vielen Kombinationspräparate aus „Captopril plus Hydrochlorothiazid“, das heißt eines kurzwirksamen ACE-Hemmers mit einem langwirkenden
Diuretikum, sind als solche unsinnig. Einmal täglich verabreicht führen sie zu
einem kurzen, völlig ungenügenden Peak von Captopril; dreimal täglich wäre
für Captopril richtig, bedeutet aber eine Überdosierung von HCT. Das Gleiche
gilt für unretardiertes oder einfach retardiertes Metoprolol in Kombination mit
HCT. Von Captopril plus HCT werden in Deutschland jährlich über 200 Millionen
Tagesdosen verordnet, von Metoprolol plus HCT über 80 Millionen.
Bei einigen Arzneimittelgruppen herrscht eine inzwischen fast unüber-
Nr. 4 / 2007
KVH • aktuell
schaubare Vielfalt an Zubereitungsformen. Beispiel ist Metoprolol, das es
inzwischen mit Tartrat-Schutzgruppe unretardiert (dreimal tägliche Einnahme),
einfach retardiert (zweimal tägliche Einnahme) und für eine einmal tägliche
Gabe retardiert sowie zusätzlich mit Succinat-Schutzgruppe für die einmal
tägliche Gabe gibt. Nur Letzteres ist auch für die Therapie der Herzinsuffizienz
zugelassen. Man fragt sich, warum es – außer aus wirtschaftlichen Gründen –
die schlecht retardierten Präparate überhaupt noch gibt.
Furosemid, einmal täglich gegeben, ist zur Hypertonie-Therapie bei Patienten mit
normaler Nierenfunktion nicht geeignet, wird aber millionenfach verordnet.
NSAIDs werden zu häufig bei Patienten mit Hypertonie, Herz- oder Niereninsuffizienz gegeben, obwohl sie relativ kontraindiziert sind. So erhöhen sie im
Mittel den Blutdruck systolisch um fünf mmHg und sind nicht selten für einen
„schlecht einstellbaren“ schwankenden Bluthochdruck ursächlich. NSAIDs
erhöhen bei Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz die Wahrscheinlichkeit
einer kardialen Dekompensation um den Faktor zehn! (Page, Henry 2000).
Erythromycin hemmt kardiale Kaliumkanäle und kann daher tödliche Herzrhythmusstörungen im Sinne eines LQT-Syndroms verursachen. Eine Studie
hat bei Herzgesunden eine Verdoppelung der spontanen Rate an plötzlichem
Herztod festgestellt (von 1:1000 auf 2:1000), ein Problem, das durch die gleichzeitige Verordnung von CYP3A4-Hemmern wie Verapamil auf 5:1000 gesteigert
war (Ray et al. 2004). Clarithromycin hat wahrscheinlich ein ähnliches Risiko,
Roxithromycin aber nicht. Daher besteht meines Erachtens kein Grund mehr,
Erythromycin zu verordnen (Ausnahme Schwangerschaft, wo Erythromycin das
am besten untersuchte und daher sicherste Makrolid ist).
Lösungsansätze gegen systemimmanente Fehler
Irren ist menschlich. Der Glaube, dass man Fehler in der Arzneitherapie vollständig
vermeiden kann, ist deswegen unrealistisch. Ziel muss es aber sein, systematische
Fehlerquellen so weit wie möglich zu minimieren. Dazu gehören neben der Arzneimittelzulassung sowie der Aus- und Fortbildung vor allem auch die Strukturen
im Arbeitsalltag:
Was die Zulassungsbehörden aus politischen Gründen nicht schaffen, kann und
sollte jeder Arzt und jedes Krankenhaus für sich alleine tun – sich eine eigene
schlanke Positivliste anlegen und hier bei der Auswahl gegebenenfalls Beratung einholen.
Beschränkung auf möglichst wenige Arzneimittel (zum Beispiel ausschließlich
Morphin und Fentanyl in der Schmerztherapie mit Opioiden und ein Normalsowie ein Verzögerungsinsulin bei Diabetes).
Beschränkung auf nachgewiesenermaßen wirksame Präparate in wirksamer
Dosis und Wirkdauer (also zum Beispiel Amlodipin, Ramipril, Bisoprolol statt
Nifedipin, Captopril, Metoprolol).
Beschränkung auf möglichst sichere Präparate (zum Beispiel Roxithromycin
statt Erythromycin).
Apotheker und Arzte sollten den offenen Dialog suchen, um Fehler oder Auffälligkeiten in der Verordnung rechtzeitig zu identifizieren und baldmöglichst
abzustellen.
Es sollten nicht-bestrafende (!) Systeme etabliert werden, wo Fehler in der Arzneitherapie anonym gemeldet werden können.
Bei Fehlern sollten nicht primär Einzelne angeschuldigt, sondern nach Systemfehlern gesucht werden. Fehler im Design oder in der Ausgestaltung von
Verordnungssystemen können sein: exzessive Beanspruchung von Gedächtnisleistungen („Das müssen Sie doch wissen!“), fehlende Standardisierung (jeder
macht es anders, anstatt sich zunächst auf ein Standardvorgehen zu einigen),
nicht ausreichende Fortbildung oder Zugang zu Informationen (zum Beispiel
ungenügende PC-Ausstattung) und exzessive Arbeitsbelastung (zum
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KVH • aktuell
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Nr. 4 / 2007
Beispiel einer versucht die Arbeit von zweien zu machen).
Abbau von Stress (siehe dazu auch den unten stehenden Kasten).
Interessenkonflikte: keine
Literatur:
– Arzneiverordnungsreport 2006. U. Schwabe und D. Paffrath (Hrsg.). Springer Verlag, Berlin, Heidelberg, New York, 2006
– BATES, D. W., CULLEN, D. J., LAIRD, N., PETERSEN, L. A., SMALL, S. D., SERVI, D., LAFFEL, G., SWEITZER, B. J.,
SHEA, B. F., HALLISEY, R. & ET AL. (1995). Incidence of adverse drug events and potential adverse drug events.
Implications for prevention. ADE Prevention Study Group. Jama 274, 29 – 34.
– CARANASOS, G. J., MAY, F. E., STEWART, R. B. & CLUFF, L. E. (1976). Drug-associated deaths of medical inpatients.
Arch Intern Med 136, 872 – 875. COBB H. Dealing with stress: decompression strategies for pharmacists. Program
and abstracts of the American Pharmacists Association 2007 Annual Meeting; March 16-19, 2007; Atlanta, Georgia.
– COMMITEE on Identifying and Preventing Medication Errors. Board on Health Care Services. Institute of Medicine of the National Academies. In: Aspden P, Wolcott J, Bootman JL, Cronenwett LR, eds. Preventing Medication
Errors: Quality Chasm Series. Washington, DC: The National Academies Press; 2006.
– EBBESEN, J., BUAJORDET, I., ERIKSSEN, J., BRORS, O., HILBERG, T., SVAAR, H. & SANDVIK, L. (2001). Drugrelated deaths in a department of internal medicine. Arch Intern Med 161, 2317–2323.
– EINARSON, T. R. (1993). Drug-related hospital admissions. Ann Pharmacother 27, 832 –840.
– GRISSINGER M. Top 10 adverse drug reactions and medication errors. Program and abstracts of the American
Pharmacists Association 2007 Annual Meeting; March 16–19, 2007; Atlanta, Georgia.
– HICKS, R. W., BECKER, S. C. & COUSINS, D. D. (2006). Harmful medication errors in children: a 5-year analysis of
data from the USP‘s MEDMARX program. J Pediatr Nurs 21, 290 – 298.
– KAUSHAL, R., BATES, D. W., LANDRIGAN, C., MCKENNA, K. J., CLAPP, M. D., FEDERICO, F. & GOLDMANN, D. A.
(2001). Medication errors and adverse drug events in pediatric inpatients. Jama 285, 2114 – 2120.
– KAZI, W. A., SIDDIQI, R. & JAFRI, S. A. (2007). Intensive care management after inadvertent intravascular injection of liquid paraffin. J Coll Physicians Surg Pak 17, 356-358.
– KOHN K, CORRIGAN JM, DONALDSON MS. TO ERR IS HUMAN: BUILDING A SAFER HEALTH SYSTEM. Washington DC: National Academy of Sciences, National Academy Press; 2000
– LAZAROU, J., POMERANZ, B. H. & COREY, P. N. (1998). Incidence of adverse drug reactions in hospitalized
patients: a meta-analysis of prospective studies. Jama 279, 1200 – 1205.
– National Coordinating Council for Medication Error Reporting and Prevention (NCC MRP) (1996). About Medication Errors. www.nccmerp.org
– PAGE, J. & HENRY, D. (2000). Consumption of NSAIDs and the development of congestive heart failure in elderly
patients: an underrecognized public health problem. Arch Intern Med 160, 777– 784.
– PORTER, J. & JICK, H. (1977). Drug-related deaths among medical inpatients. Jama 237, 879 – 881.
– RAY, W. A., MURRAY, K. T., MEREDITH, S., NARASIMHULU, S. S., HALL, K. & STEIN, C. M. (2004). Oral erythromycin and the risk of sudden death from cardiac causes. N Engl J Med 351, 1089– 1096.
– SCHLOSSBERG, E. (1958). 16 Safeguards against medication errors. Hospitals 32, 62 passim.
Beitrag in Auszügen nachgedruckt aus Cardio News 07-08 / 2007 mit freundlicher
Genehmigung von Verlag und Redaktion der Cardio News
Kurzliste von Henry Cobb zum Abbau von Stress im Arztberuf
1. Bremse Deinen Kaffeekonsum!
2. Treibe regelmäßig Sport (3 mal 30 min/Woche)!
3. Mache regelmäßig Entspannungs-Atem-Übungen (2 mal 20 min/Woche)!
4. Schlafe ausreichend (30 Minuten früher ins Bett gehen als üblich)!
5. Pflege Deine Freizeit und Deine Hobbys!
6. Setze Dir realistische Ziele und vermeide Perfektion!
7. Versuche, optimistisch zu sein und nicht pessimistisch!
8. Iss richtig!
9. Bewahre Deinen Humor!
10.Sprich und unterdrücke keine Gefühle!
11.Schreibe Deine Gedanken auf!
12.Meide ungesunde Angewohnheiten (wie etwa Alkohol)!
13.Setze Dir Grenzen (lerne „Nein“ zu sagen)!
14.Suche professionellen Rat!
Das eine oder andere dieser Liste werden die meisten umsetzen können, aber,
so meint Cobb, bei manchen ist die beste Stress-Reduktionstechnik schlicht,
den Beruf zu wechseln.
Nr. 4 / 2007
KVH • aktuell
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Nehmen Sie das mal ein!
Riskante Wechselwirkungen zwischen Kommunikation und Arznei
Bei der Pharmakotherapie muss man nicht nur an Wechselwirkungen zwischen Medikamenten oder an potenziell gefährliche Nebenwirkungen denken – auch die Kommunikation kann riskante Folgen haben. Man kommt immer wieder ins Staunen, was
manch ein Patient so alles (miss-)versteht, wenn ihm sein Doktor etwas mitteilt.
Auch der Arzt lernt bekanntlich gut und gerne am Beispiel, deshalb hier zu diesem Thema keine trockene Theorie, sondern zwei Beispiele, die auf der Web-Seite
www.jeder-Fehler-zaehlt.de zu finden sind:
„Durchfall beim Patienten und Entsetzen bei uns“
Ein Patient kommt mit starken Rückenschmerzen in die Gemeinschaftspraxis, erhält
Diclofenac 150 ret. N1 und Paracetamol mit Codein. Schon am nächsten Tag kommt
er wieder: Er habe alle Tabletten eingenommen und trotzdem noch Schmerzen.
Die mitteilenden Kollegen beschreiben lapidar die Folgen dieses Falles: „Etwas Durchfall beim Patienten und Entsetzen bei uns.“ Sie hätten, finden sie retrospektiv, dem
Patienten klarmachen müssen, dass eine Tablette Diclofenac 150 die Tageshöchstdosis
ist und keinesfalls mehr eingenommen werden darf, und den Patienten darauf hinweisen sollen, dass er sich bei fehlender Schmerzbefreiung wieder melden soll.
Nun mag man sich denken, dass es kaum möglich ist, gegen jeden Fehler gedankenloser Patienten vorzusorgen, doch ein Kollege bringt es in der Online-Diskussion
auf den Punkt: „Patienten kommen selten in die Praxis ,wenn es ihnen gut geht, sie
sind oft durch erhebliche Schmerzen und Leiden am klaren und logischen Denken
gehindert ... da kommt so etwas eben mal vor!“
Ein anderer ergänzt: „... aus meiner Sicht empfiehlt es sich immer, auf das Rezept
die Dosierung „2x1“ oder „b. Bed.1, max.3x1/Tag“ oder so ähnlich zu schreiben
(in der Hoffnung, dass die Apotheke diese Angaben dann auch tatsächlich auf die
Packung überträgt ...“
Zwei Nullen oder zwei aufgemalte Tabletten?
Doch auch die Einnahmeanweisung auf der Packung hat ihre Tücken, wie der
folgende Fall zeigt: Auf die Musterpackung eines Antihypertonikums schrieb eine
Kollegin per Hand „1/2 – 0 – 0“. Jeder Arzt versteht, was gemeint ist und denkt
deswegen gar nicht mehr darüber nach. Nicht so der Patient: Er hielt die 0 – 0 für Tabletten, die die Ärztin auf die Packung gezeichnet hätte und nahm deshalb mittags
und abends eine ganze Tablette ein. Die Folge der Überdosierung: Schwindel.
Zwei Fälle, die glimpflich verlaufen sind, aber auch schlimmer hätten ausgehen
können. Zum ersten Fall ergänzt das Institut für Allgemeinmedizin: „Offensichtlich
hat der Patient nicht auch noch alle Paracetamol-Tabletten zu sich genommen. Also
noch mal alles gut gegangen!“ Und im zweiten Fall hätte der Schwindel durchaus
zu üblen Sekundärfolgen führen können.
Sicher kann man solche Kommunikationsrisiken nicht hunderprozentig beseitigen. Aber man kann sie minimieren – beispielsweise, indem man den Patienten
wiederholen lässt, wie er die Medikamente einnehmen soll. Weitere Hinweise dazu
finden sich auf der oben schon genannten und äußerst empfehlenswerten WebSeite des Instituts für Allgemeinmedizin der Universität Frankfurt. Sie arbeitet nach
dem Motto „Man muss nicht jeden Fehler selber machen, um daraus zu lernen“
und lädt Kollegen ein, ihre Fehler anonym mitzuteilen und diskutieren zu lassen.
Auch die Leitlinie zur hausärztlichen Gesprächsführung, die auf der Web-Seite
www.pmvforschungsgruppe.de verfügbar ist, gibt zahlreiche Tipps. Auf dieser
Webseite den Cursor in der Menü-Leiste im oberen Teil der Seite auf Publikationen
positionieren und im aufklappenden Untermenü auf Leitlinien klicken.
BW
Man kann sich
nicht darauf
verlassen, dass ein
schmerzgeplagter
Kranker logisch
denkt
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Rezept
des
Monats
KVH • aktuell
Nr. 4 / 2007
Zwiespältige Angelegenheit
Den unten abgebildeten Entlassungsbrief brachte ein Patient aus der Klinik in die
Praxis eines Kollegen mit. Eigentlich eine schöne Sache: So gut zusammengefasst
und trotzdem ausführlich bekommt man die nötigen Informationen bei der Entlassung nicht aus jeder Klinik! Man könnte den Entlassungsbrief tatsächlich als
vorbildlich betrachten – wenn da nicht die Medikamentenlatte wäre.
Es handelt sich um 16 Arzneimittel mit 30 Applikationen (28 Tabletten). So werden
mit Neurontin, Lyrica, Saroten und Paladon vier zentralnervös wirkende Substanzen,
mit Novalgin ein peripher wirksames Analgetikum, mit Torem, Concor und Delix
drei cardial wirksame Substanzen, mit ASS und Iscover zwei Thrombozytenaggregationshemmer, mit Pantozol und Lactulose zwei die Nebenwirkungen im MagenDarm Trakt kurierende Substanzen und mit Simvastatin eine für Diabetiker und KHK
Patienten immer (?) angezeigte Substanz kombiniert.
Tavanic lassen wir mal außen vor. Alle diese Ansätze sind leitlinienkonform, sofern
man keine Multimorbidität antrifft. Aber bei Multimorbidität ist nicht einfach die
Aufsummierung aller einzelnen Maßnahmen indikationsbezogener Leitlinien gefordert (hier LL KHK, Herzinsuffizienz, Diabetes, Schmerz/Polyneuropathie, Arthritis
und Obstipation/Gastritis), sondern eine sinnvolle Reduktion der Arzneimittelmenge
unter dem Aspekt Symptomkontrolle und Prognosebesserung anzustreben.
Dies kann nur in Angesicht des Patienten, seiner Lebensumstände , Lebenserwartungen und mit seinem Einverständnis durchgeführt werden – also durch den Hausarzt,
ganz individuell. Ansonsten ist mit einer Compliance/Adhärenz nicht zu rechnen.
Dr. med. Joachim Feßler

Tischversion
KVH • aktuell
Seite 3
Venöse Thromboembolie
Allgemeine Maßnahmen
Medikamentöse Therapie
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
Patienten mit frischer Oberschenkel- und Beckenvenenthrombose sind liegend stationär einzuweisen.
Bei Unterschenkelthrombose unter adäquater
Kompression viel Gehen.
Ausreichend trinken.
Gewichtsnormalisierung: Übergewicht stellt ein
zusätzliches Risiko dar.
Nikotinkarenz insbesondere bei KontrazeptivaEinnahme.
Bei chronischem Verlauf: berufliche Beratung; kein
langes Sitzen oder Stehen zur Vermeidung eines
posttrombotischen Syndroms (PTS) und eines VTERezidivs.
Tragen von Kompressionsstrümpfen (mind. Klasse
II) tagsüber (Reduktion des postthrombotischen
Syndroms bei 2-jähriger Therapie um 50%) {A}.
Schwimmen, Gehen und Fahrradfahren nach
Klinikentlassung und nach Akutphase empfehlen.
Warmbäder vermeiden.
Rezidivprophylaxe bei Risikosituationen (s.o)
Patientenmerksatz: Sitzen und Stehen sind
schlecht, lieber laufen oder liegen.
Cave: Bei Heparintherapie an HIT (Heparininduzierte
Thrombozytopenie) denken! D. h. Abfall der Thrombozytenwerte um mehr als 50% und/ oder neue thromboembolische Komplikationen vor allem zwischen dem 5.
und 14. Tag sind verdächtig.
Das Risiko für eine HIT ist bei niedermolekularen
Heparinen gering.
Eine Bestimmung der Thrombozyten vor Beginn
der Heparintherapie ist erforderlich. Ab Tag 4 der
Therapie sind regelmäßige Thrombozytenkontrollen/Blutbild alle 2-3 Tage erforderlich.
Bei initial niedrigen Thrombozytenwerten an Pseudothrombozytopenie denken und Überprüfung mit
Zitratblut vornehmen.
Kontraindikationen für Vit-K-Antagonisten
ƒ Krankheiten mit erhöhter Blutungsbereitschaft (z. B.
Magen-Darm-Ulcera, Aneurysmata)
ƒ
ƒ
Möglichst Beginn der Behandlung mit Vitamin KAntagonisten am 1. oder 2. Tag nach Diagnose
unter Beachtung der Kontraindikationen.
Heparin- und Phenprocoumontherapie sollten sich
aufgrund unterschiedlicher Halbwertszeiten der
Gerinnungsfaktoren solange überlappen, bis ein
INR t 2,0 erreicht ist.
Eine Sekundärprophylaxe mit niedermolekularem
Heparin ist genauso effektiv, aber wesentlich teurer
als eine Therapie mit Vitamin-K-Antagonisten. Für
Patienten, für die eine Phenprocoumontherapie
nicht infrage kommt, stellt diese Behandlung eine
gute Alternative dar. Die Frage des optimalen
niedermolekularen Heparins (NMH) und dessen
Dosis ist ungeklärt.
ƒ
Fixierte und behandlungsrefraktäre Hypertonie
(> 200/105 mmHg)
ƒ Nach urologischen Operationen solange Makrohämaturie besteht
ƒ Ausgedehnte offene Wunden
ƒ Bekannte Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff
ƒ Kavernöse Lungentuberkulose
ƒ Abortus imminens, Schwangerschaft
keine Kontraindikation: Menstruationsblutung
Beachte: Korrekte Handhabung der Therapie durch
Patienten sicherstellen!
Falls Überbrückung der Antikoagulation notwendig
wird: Nach Unterbrechung der oralen Antikoagulation
Überbrückung der Antikoagulation ab INR < 2 mit
therapeutischen Dosen unfraktionierter oder niedermolekularer Heparine (»Bridging«). Letzte Gabe der
Heparine nicht später als 12 Stunden vor dem Eingriff.
12-24 Stunden postoperativ Heparintherapie weiterführen und bis INR > 2 fortführen.
Korrespondenzadresse
Ausführliche Leitlinie im Internet
Hausärztliche Leitlinie
PMV forschungsgruppe
Fax: 0221-478-6766
Email: [email protected]
http:\\www.pmvforschungsgruppe.de
www.pmvforschungsgruppe.de
> publikationen > leitlinien
www.leitlinien.de/leitlinienanbieter/deutsch/pdf/
hessenvenenthrombose
»Venöse Thromboembolien«
Tischversion 1.0 November 2007
info.doc Verlag GbR, Pfingstbornstr. 38, 65207 Wiesbaden
PVSt Deutsche Post AG,
Entgelt bezahlt,
68689
Tischversion
Tischversion
Epidemiologische Studien zeigen einen
Fettstoffwechselstörung Dyslipidämie
von diätetischen Empfehlungen für (VTE)
eine
Zusammenhang Venöse
ƒ Einhaltung
Thromboembolie
zwischen dem Auftreten von Herz-Kreislauferkrankungen
und hohen Serumcholesterinwerten. Diese bzw. die Höhe
der
HDL-Adäquate
und LDL-Werte
stellen jedoch
nur einen
von
Ziele:
Behandlung
der VTE;
Vermeiden
mehreren
Risikofaktoren Vermeiden
dar. Deshalbvon
empfiehlt
sich für
einer Lungenembolie,
Rezidivthromden
Hausarzt
bei Vorliegen
einer Dyslipidämie
die Einteilung
bosen
und des
postthrombotischen
Syndroms.
in eine Risikogruppe anhand von systematischen Algorythmen
oderVTE
Scores
PROCAM).
Somit erfolgt eine
Ätiologie:
und(NCEP,
erbliche
oder vorübergehende
Abschätzung
des Risikos für kardiovaskuläre Ereignisse
Risikofaktoren
(10-Jahresrisiko)
und zwischen
darauf dievorübergehenden
Festlegung der BehandMan unterscheidet
Risiko-
lungsstrategie
mitchirurgische
dem Patienten.
Für die und
Risikoeinstufung
faktoren (z. B.
Eingriffe)
dauerhaften
orientiert
Leitliniengruppe
Hessenwie
an der
folgenden
Risiken sich
(z. Bdieerbliche
Thrombophilie
Faktor-V-Lei-
Einteilung
der NCEP
(National Cholesterol
Education
den-Mutation)
sowie Neoplasmen.
Davon abzugrenProgram
National Heart, Venenthrombose,
Lung, and Blood Institute,
zen ist des
die idiopathische
bei der
http://www.nhlbi.nih.gov/guidelines/cholesterol/index.htm):
keine thrombophile Störung und kein vorübergehender
Risikofaktor
zu eruieren
sind.
1.anderer
Hohes Risiko
(10-Jahresrisiko
über
20%): a) Bestehende
koronare Herzkrankheit (KHK), b) KHK-Äquivalente, c)
Diagnostik
Diabetes
mellitus, d) 2 oder mehr Risikofaktoren**:
Bei
VTE
ungeklärter
Ursache sollte 10-20%):
immer nach
einem
2. Mäßig hohes
Risiko (10-Jahresrisiko
•2 RisikoMalignom
gesucht werden.
faktoren*
bei errechnetem
Risiko**. Eine Thrombophilie3.Diagnostik
ModeratesistRisiko
(10-Jahresrisiko
< 10%):
bei jungen
VTE-Patienten
(< •2
50 RisikoJahre),
aktoren*
bei errechnetem
Risiko**. Familienanamnese, bei
bei Patienten
mit positiver
4.Patienten
Niedriges Risiko:
Risikofaktor*
mit 0-1
rezidivierenden
VTE, bei VTE
*Risikofaktoren:
Zigaretten
rauchen,
Hypertonie,
niedriges
ungeklärter Ursache und bei Patientinnen
mit
HDL-Cholesterin
unter
40mg/dl,
familiäre
Belastung
mit
rezidivierenden Aborten (Antiphospholipid-AK-Synvorzeitiger KHK, Alter (Männer über 45 Jahre, Frauen über
drom) durchzuführen.
55 Jahre); **errechnetes Risiko: Bsp. mit PROCAM Score
(s. Rückseite) oder elektronischem NCEP-Risikokalkulator
Bei venöser Thromboembolie gilt
Anmerkung: Diabetiker ohne KHK oder KHK-Äquivalente
Die optimalen INR-Zielwerte zur Sekundärprophyund ohne zusätzliche Risikofaktoren profitieren bei einem
laxe der
venösen
Thromboembolie
liegen- zwischen
LDL<115
mg/dL
- laut der
jetzigen Studienlage
nicht von
2,0
und
2,5.
einer Therapie mit einem CSE-Hemmer.
ƒ
ƒ
Die Behandlungszeit beträgt bei erstem Ereignis im
nach “International Task Force for
Bereich des Unterschenkels, bedingt durch vorPrevention of Coronary Heart Disease”:
übergehenden Risikofaktor, 3 Monate.
Basis sind nichtmedikamentöse Maßnahmen, die auf eine
ƒ Die Behandlungszeit beträgt bei allen anderen
Veränderung des Lebensstils zielen:
Venenthrombosen mindestens 6 Monate.
ƒ Erhalten des normalen Körpergewichtes oder
Gewichtsreduktion bei Übergewicht
Therapieschritte
ƒ
Steigerung der körperlichen Aktivität
„Herzgesunde Ernährung“
ƒ Nur mäßiger Konsum von Alkohol und Vermeidung von
Nikotin
ƒ Bei schwerer Thrombophilie (z. B. Antithrombin-
Indikationsstellung
für eineFaktor-V-Leiden-Mutation,
medikamentöse Therapie
Mangel, homozygote
Umfassende,
unmittelbare
Behandlung
kombinierte Defekte) istmedikamentöse
eine dauerhafte
bzw.
aller
Patienten mit
hohem
Risiko (Gruppe
1: 10-Jahreslebenslange
orale
Antikoagulation
unter
Hinzurisiko
>20%)
und Spezialisten
Anstreben eines
LDL von 100 mg/dl.
ziehung
eines
durchzuführen.
Medikamentöse Therapie bei Patienten der Gruppe 2
und 3 nach individueller Entscheidung unter BerückWichtige Hinweise
sichtigung der Lipidwerte und nach Erprobung lebensstilBei VTE immer die Familienanamnese bezüglich
ändernder Maßnahmen.
thromboembolischer Ereignisse erheben.
Für Patienten der Risikogruppe 4 (0-1 Risikofaktor) sind
Bei jungen Frauen mitMaßnahmen
Thromboseimhormonelle
lebensstilmodifizierende
AllgemeinenKontrazeption überdenken, ggf. absetzen. Rauchen
ausreichend.
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
einstellen.
Je nach Risikogruppe wird ein LDL von 100 mg/dL (Gruppe
Die Compliance für oberschenkellange Kompres1), 130 mg/dL (Gruppe 2+3) bzw. 160 mg/dL (Gruppe 4)
sionsstrümpfe ist häufig mangelhaft, besser knieangestrebt.
ƒ
lange Strümpfe (mind. Klasse II) tragen lassen als
Arzneimittelauswahl:
Es
gar keine.
sollten Wirkstoffe
eingesetzt
werden, für die Endpunktstudien mit günstiger NNT und NNH
vorliegen
(Simvastatin, in
Pravastatin).
Für Simvastatin (20 mg
Rezidivprophylaxe
Risikosituationen
und
40
mg)
und
Pravastatin
(40
mg)
ist
eine Senkung
sowohl
Nach Absetzen der oralen Antikoagulation
müssen
die
der
Gesamtmortalität
auch
kardiovaskulären
Patienten
unbedingtalsauf
dieder
Vorbeugung
einer Mortaerneu-
lität
Bei Thromboembolie
Multimorbidität und in
Multimedikation
sollte hindie
tenbelegt.
venösen
Risikosituationen
Indikation
eine medikamentöse lipidsenkende Therapie
gewiesenfürwerden:
ƒ
ƒ
ƒƒ
ƒ
ƒ
besonders
streng gestellt
werden.
Vorübergehende
Immobilität
Merke:
Längere Auto-/Bus-/Zugfahrten, Flugreise
Bei
medikamentöser
Akute
Infektionen Therapie: CK kontrollieren!
(Rhabdomyolyse
möglich!)
Schwangerschaften
Keine Kombinationstherapie CSE-Hemmer + Fibrate/
Makrolide/Azol-Antimykotika.
Zur Rezidivprophylaxe geeignet sind die KompresWechselwirkungen auch mit anderen Medikamenten
sionstherapie der unteren Extremitäten bzw. die
möglich!
Heparinisierung
(niedermolekular, prophylaktische
Bei Makrolidtherapie CSE-Hemmer pausieren!
Dosierung).
Statine vor chirurgischen Eingriffen und bei akut auftretenden schweren Erkrankungen vorübergehend absetzen! Auf Compliance achten, auf abendliche Einnahme des CSE-Hemmers hinweisen.
Evidenzbasierte Patienteninformationen sind unter
www.gesundheitsinformation.de abrufbar.
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ