REINIGUNG im HINAYANA, MAHAYANA, TANTRA

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REINIGUNG im HINAYANA, MAHAYANA, TANTRA
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REINIGUNG im
HINAYANA, MAHAYANA, TANTRA und
DZOGCHEN
einschließlich Dorje Sempa, Machig Labdron und andere Meditationspraktiken, unter Verwendung von Aa, Phat! und Malerei
James Low
Eifel, Deutschland, Herbst-­‐Retreat. 10 – 14. Oktober 1997
Redigiert von Robert Jaroslawski
Übertragung ins Deutsche: Vera Neuroth
Anmerkungen des Herausgebers:
James Low wurde immer wieder gebeten, seine Vorträge zu publizieren. Gleichzei@g haAe ich als sein Übersetzer während etlicher Workshops in Deutschland die Idee, einige seiner Vorträge in schriFlicher Form ins Deutsche zu übertragen. Dabei wurde uns beiden klar, dass das englische Material zunächst in eine gewisse Form gebracht werden muss.
Üblicherweise bedarf es bei der Herausgabe dieser Art von gesprochenem Text einer Balance zwischen der ursprünglichen Spontaneität und einer größeren Kohärenz, die die fehlende visuelle und kontextuelle Erfahrung der Workshop-­‐Situa@on ersetzt. Weil ich die Art, wie James Low spricht, sehr mag, habe ich mich immer sehr eng ans Original gehalten und versucht, nur dort einzugreifen, wo ich das für notwendig erachtet habe – natürlich mit dem Risiko, kein “Na@ve Speaker” zu sein (falls so etwas tatsächlich exis@ert – manchmal fragt man sich das in Deutschland).
Ich hoffe, dass dieser Ansatz funk@oniert und die LeserschaF in den vollen Genuss seiner Vorträge kommt – wie auch ihrer erhellenden WirkkraF.
Robert Jaroslawski, Freiburg (Deutschland), 15. August 2000
James Low © www.simplybeing.co.uk 2
REINHEIT UND REINIGUNG!5
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KUNTUZANGPO!5
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DIE ELEMENTAREN SÜNDEN!10
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EINE GESCHICHTE!12
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DIE DREI ARTEN DES LEIDES!16
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ATMEN IN NEUN RUNDEN: siehe auch ANHANG 1!17
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REINIGUNG DES KÖRPERS!18
TÖTEN!18
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ETWAS NEHMEN, WAS EINEM NICHT GEGEBEN WURDE!21
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SEXUELLES VERHALTEN!23
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RESPEKT!24
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WAS IST EIN KÖRPER?!24
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DIE FÜNF ELEMENTE!26
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DIE FÜNF GIFTE!26
SCHWERE KRANKHEIT UND KREBS!31
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ATMUNGS-PRAKTIKEN, GEFOLGT VOM MALEN!33
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ATMEN UND ATEM ANHALTEN: siehe auch Anhang 2!34
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ATMEN MIT MUSKELKONTROLLE: KUMBAKA – siehe auch Anhang 3!36
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MALEN: DER KÖRPER IN BEWEGUNG: siehe auch Anhang 4!36
MALEN – ETWAS ERSCHAFFEN UND ES ZERSTÖREN: siehe auch Anhang 5!37
ENTSTEHEN IN GEGENSEITIGER ABHÄNGIGKEIT!39
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PRINZIPIEN DER REINIGUNG!40
HINAYANA!42
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MAHAYANA!43
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PARAMITAS!44
TANTRA!48
ABSTAMMUNGSLINIE!49
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STRUKTUR DER PRAXIS!51
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ÜBERTRAGUNG UND INITIATION!51
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GLAUBE!53
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DIE DREI KAYAS!55
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ZORNVOLLE GOTTHEITEN!57
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DORJE SEMPA PRAKTIK: siehe auch Anhang 7!.59
REINIGUNG DER SPRACHE!61
DIE ART, WIE WIR SPRACHE BENÜTZEN!61
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KLANG UND MUSIK!62
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KLANG UND SPRACHE!62
MANTRA!63
UNMITTELBARE KOMMUNIKATION!64
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SCHWINGUNG!.64
GEDÄCHTNIS UND PSYCHOTHERAPIE!65
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SANSKRIT-ALPHABET: ALI KALI!66
INNERER KLANG!.66
ENTSTEHEN IN GEGENSEITIGER ABHÄNGIGKEIT!68
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NIEDERE TANTRAS!71
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HÖHERE TANTRAS!71
EIN GERÄUSCH MACHEN!73
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UNTERSCHIEDLICHE METHODEN, DAS CHANTING EINZUSETZEN!76
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ZUFLUCHT: REZITATION IN UNTERSCHIEDLICHEN RHYTHMEN – siehe auch Anhang
6!77
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REINIGUNG UND DIE VIER KRÄFTE!80
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FELD DER AKTIVITÄT: ERSTE KRAFT!.80
EFFEKTIVE KRAFT DES GEGENMITTELS: ZWEITE KRAFT!80
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DIE MACHT DER BEICHTE: DIE DRITTE KRAFT!.81
BEICHTE UND DIE VIER PHASEN DES KARMAS!81
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JEGLICHE RÜCKKEHR ZUM FEHLER AUFGEBEN: DIE VIERTE KRAFT!84
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WAS IST DORJE SEMPA? Siehe auch Anhang 8!87
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DAS AA ERLKINGEN LASSEN: siehe auch Anhang 9!88
AA UND TONGLEN: siehe Anhang 10!...88
MACHIG LABDRON ÜBUNG: siehe auch Anhang 16!...89
SINGEN!...89
KÖRPER UND STIMME SIND NICHT VONEINANDER GETRENNT!...90
REINIGUNG DER SÜNDEN DES GEISTES!...90
DIE SÜNDEN DES GEISTES: HABGIER/GIER!...91
DIE SÜNDEN DES GEISTES: FEINDSELIGKEIT!...91
DIE SÜNDEN DES GEISTES: FALSCHE SICHTWEISEN: ERSTER ASPEKT: NICHT AN
KARMA GLAUBEN!...92
FALSCHE SICHTWEISEN: ZWEITER ASPEKT: NICHT AN DIE ABWESENHEIT EINES
INHÄRENTEN SELBST GLAUBEN!...93
BEISPIELE FÜR FALSCHE SICHTWEISEN!...95
VERGÄNGLICHKEIT!...96
LEERE!...97
TOD!105
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ZWEI FORMEN DER REINHEIT IM DZOGCHEN!106
KA DAG: ERSTE REINHEIT!.107
DER GRUND IST UNWISSENHEIT!107
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FLECKENLOSE REINHEIT: DIE ZWEITE REINHEIT!109
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DIE DREI Aa: siehe auch Anhang 11!112
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PHAT! siehe auch Anhang 12!113
BESONDERHEIT!.114
IM HERZEN DER WELT IST DER BUCHSTABE AA!115
BETRACHTE DENJENIGEN, DER DENKT!117
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UNSER GEWAHRSEIN ABTRENNEN!.119
DREI Aa: AN DER ERFAHRUNG DRAN BLEIBEN: siehe auch Anhang 13!120
NICHT-MEDITATION!121
HILFE BEGINNT MIT DEM FRAGEN!.122
REINIGUNG DES GEISTES!123
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MEDITATIONSHALTUNGEN: siehe auch Anhang 14!125
WO KOMMT DER GEIST HER? siehe auch Anhang 15!126
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MACHIG LABRDON PRAXIS - siehe Anhang 16!126
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DHARMA LEHREN !127
DAS WICHTIGSTE IST DIE INTEGRATION!131
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UNREIN IST AUCH LEER!131
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KA DAG: URSPRÜNGLICHE REINHEIT!132
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DIE DREI AAs: siehe auch Anhang 17!134
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SICH SELBST BEFREIEN, UM MACHTVOLL ZU SEIN!135
C. R. LAMA SAGTE: „KAUF DIR IMMER EINE RÜCKFAHRKARTE.“!.136
GRENZEN SETZEN!137
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SCHNEIDE DAS SUBJEKT AB, DANN IST DAS OBJEKT BEFREIT. SCHNEIDE DAS
OBJEKT AB, DANN IST DAS SUBJEKT BEFREIT.!138
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UNSERE VERPFLICHTUNG, NICHT ZUZULASSEN, DASS ANDERE MENSCHEN LEID
VERURSACHEN!.138
VIER AKTIVITÄTEN [Abbildung 14]!.140
NOCH ETWAS ZU PHAT!!144
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PHAT!: siehe auch Anhang 18!144
Abbildungen 1 - 14!146
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PRAKTIKEN, DIE WÄHREND DES RETREATS GELEHRT WURDEN:!146
Anhang 1: ATMEN IN NEUN RUNDEN!.146
Anhang 2: ATMEN UND ATEM ANHALTEN!.146
Anhang 3: ATMEN MIT MUSKELKONTROLLE: KUMBAKA!147
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Anhang 4: MALEN: DER KÖRPER IN BEWEGUNG!.148
Anhang 5: MALEN – ETWAS ERSCHAFFEN UND ES ZERSTÖREN!.148
Anhang 6: ZUFLUCHT: REZITATION IN UNTERSCHIEDLICHEN RHYTHMEN!149
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Anhang 7: DORJE SEMPA PRAKTIK!150
Anhang 8: WAS IST DORJE SEMPA?!151
Anhang 9: DAS AA ERLKINGEN LASSEN!152
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Anhang 10: AA UND TONGLEN!152
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Anhang 11: DIE DREI Aa!153
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Anhang 12: PHAT!!154
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Anhang 13: DREI Aa: AN DER ERFAHRUNG DRAN BLEIBEN!155
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Anhang 14: MEDITATIONSHALTUNGEN!155
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Anhang 15: WO KOMMT DER GEIST HER?!156
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Anhang 16: MACHIG LABRDON PRAXIS!156
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Anhang 17: DIE DREI AAs!157
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Anhang 18: PHAT!!158
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REINHEIT UND REINIGUNG
Vorstellungen von Reinheit und Unreinheit bilden ein grundlegendes Element der meisten Kulturen. Die Menschen haben die unterschiedlichsten Vorstellungen davon, was unreines Handeln, unreine Speisen oder unreine Gedanken sind – und sie versuchen, diese zu unterbinden und staAdessen „lautere“ Gedanken zu haben.
Ein wich@ger Aspekt im Buddhismus ist Konflikt. Wir erkennen, dass wir Dinge tun, von denen wir glauben, dass wir sie besser unterließen; deshalb denken wir, wenn wir erwachen und Verantwortung übernehmen: „Ich will das nicht tun“ oder „Ich sollte das nicht tun“ – und so geraten wir in Konflikt mit uns selbst. Wir beginnen, einem Teil unseres Selbst Widerstand entgegenzusetzen, indem wir versuchen, uns zu ändern. Das ist sehr wich@g, denn es handelt sich dabei um einen zentralen Punkt in der Sichtweise des Theravada-­‐
Buddhismus; aber auch im Mahayana geht es darum – speziell im sogenannten Paramitamahayana, wo man versucht, Großzügigkeit und Güte zu entwickeln, wie es im bekannten BodhiciAa-­‐Gebet zum Ausdruck kommt.
Im Dzogchen ist das anders. Hier versuchen wir, nicht in Konflikt zu sein. Selbst in der Sichtweise des Tantra, die in der Nyingma-­‐Tradi@on der Herangehensweise des Dzogchen sehr nahe ist, wird Konflikt thema@siert; es gibt die Vorstellung von Dämonen und davon, wie man alle Buddhas und alle Medita@onsgoAheiten mobilisiert, damit sie gegen diese dämonischen KräFe ak@v werden, die sowohl innere als auch äußere sein können. Hier stellen wir uns vor, dass die Buddhas Lichtstrahlen aussenden, die uns durchdringen und reinigen, sodass wir da sind und bereitwillig sagen: „Nehmt diese Unreinheit von uns“.
Es ist, als häAen wir Krebs, gingen zur Strahlenbehandlung und sagten: „BiAe benützen Sie Ihre mäch@ge Maschine, um diesen Krebs aus mir heraus zu brennen.“ Genauso sagen wir: „Ihr Buddhas alle, kommt, um diese schlechten Dinge aus mir heraus zu brennen, sodass ich weiterleben und glücklich sein kann.“
Das ist ganz offensichtlich ein Konflikt-­‐Modell. Es geht um Gegensätze. Das Gute wird dem Bösen gegenübergestellt; es soll das Schlechte dominieren. Im Gegensatz dazu ist Dzogchen eine eher kollabora@ve Vorgangsweise. Hier geht es darum, an sich selbst zu arbeiten – was immer einem auch begegnet. Man versucht, die Energie von allem, was auFaucht, dazu zu benützen, das Gewahrsein von der grundlegenden Reinheit aufrecht zu erhalten, die allem innewohnt, was entsteht. Das ist ein diametral anderer Vorgang.
Im Rahmen des Retreats werden wir also die Unterschiede zwischen diesen Vorstellungen untersuchen – und wie immer liegt das Hauptaugenmerk auf dem Versuch, etwas von der absoluten Reinheit unseres eigenen Wesens zu erfahren, von unserer Buddha-­‐Natur, die von Kuntuzangpo repräsen@ert wird, dem Buddha, der das „Immer Gute“ verkörpert. Wenn die grundlegende Beschaffenheit der „Abstammungslinie“ des Universums immer gut ist, dann muss auch alles, was von dieser Linie abstammt, immer gut sein.
KUNTUZANGPO
In der Nyingma-­‐Tradi@on wird Kuntuzangpo nackt dargestellt, mit langem Haar, blau, in sexueller Vereinigung mit Kuntuzangmo, die weiß ist, nackt und ebenfalls mit langem, offenem Haar – das lange Haar symbolisiert Freiheit und Entspannung – und die beiden sind immer zusammen. Das Männliche und das Weibliche, sowie alle möglichen Dualitäten von Existenz und Nicht-­‐Existenz, verschmelzen hier in absoluter Reinheit. Aus allen diesen Formen der Dualität entsteht jegliche Erfahrung, die wir machen.
Auf dem Weg hierher sind wir heute in einen Stau geraten. Das Auto ist im Verkehr gesteckt James Low © www.simplybeing.co.uk 6
und wir sind nur sehr, sehr langsam vorwärtsgekommen. Manchmal sind Menschen an uns vorbeifahren. Wir waren in der Überholspur, aber die Autos auf der langsameren Spur sind de facto schneller unterwegs gewesen als wir – weil wir uns in einem Stau befanden… Man kann jetzt jede Menge Gedanken und Gefühle zu diesem Thema haben. In einer solchen Situa@on ist alles gut. Wenn man schnell weiterkommt, ist es gut; wenn man sich langsam fortbewegt, ist es gut.
Man kann diese Einstellung natürlich sehr leicht verlieren, weil man beispielsweise denkt: „Oh – es ist ein schöner Tag, ich könnte spazieren gehen. Wenn ich allerdings meine Zeit hier im Stau verbringe, geht sich der Spaziergang nicht mehr aus.“ Daraus entsteht eine Krise, eine Tragödie. Unser Geist erzeugt aus unseren Wünschen sehr leicht eine kleine Schachtel, in der eine Sache sich an der anderen reibt – und wir übersehen, dass alle diese Dinge, die da entstehen, die Kinder von Kuntuzangpo und Kuntuzangmo sind.
Kuntuzangpo und Kuntuzangmo haben ständig Sex, also haben sie auch ununterbrochen Kinder. Darauf läuF es hinaus – so ist das Leben! Ja – keine Kondome! Alle Gedanken, Gefühle und Erfahrungen, die wir haben, sind nichts als die Kinder, die aus dieser immer währenden Vereinigung entstehen. Sie sind die Früchte dieser Krea@vität. Aber wir erkennen nicht, dass alle Erfahrung die Frucht dieser zwei offenen und perfekten göAlichen Formen ist; wir denken: „Das ist ein Verkehrsstau! Ich will nicht im Stau stecken! Ich möchte nicht, dass das Auto dahin kriecht. Warum fährt das Auto nicht schneller?“
Es ist sehr, sehr leicht, diese Abstammungslinie der Reinheit zu verlieren und in getrennte Vorstellungen von Gut und Böse zu verfallen. Einige von euch waren schon in einschlägigen Retreats und ZusammenkünFen, wo wir über die unterschiedlichen Stadien der Unwissenheit gesprochen haben. Möglicherweise werde ich hier kurz darauf zurückkommen; aber der zentrale Punkt ist, sich das Gefühl dafür zu bewahren, wo die Dinge herkommen.
Wenn wir zum ersten Mal buddhis@sche Belehrungen empfangen, repräsen@eren sie einfach irgendjemandes Anschauung. Jemand sagt etwas, das ist interessant und man glaubt es, oder auch nicht; oder man interessiert sich dafür und es wird zu einer Art Dogma, einer Art Ideologie. Allmählich – so ist zu hoffen – machen wir jedoch Erfahrungen und beginnen zu sehen, dass das die Wahrheit ist. Aber diese Erfahrungen müssen sich in einer Welt behaupten, die von unseren gewohnheitsmäßigen Annahmen erfüllt ist. Selbst wenn wir diese Dinge lange Zeit studieren, werden wir trotzdem immer wieder genau dann in die Falle laufen, wenn sich etwas ereignet, was eine dieser Annahmen ak@viert – zumindest solange unser Studium des Dharma einfach ein Gedanken-­‐Muster bleibt und nicht durch eigene Erkenntnisse für uns lebendig wird.
Ich erinnere mich – als ich noch ein Kind war, haAe mein Vater ein Auto, auf das er sehr stolz war. Er hasste jede Art von Verkehrsproblemen, denn er wollte sein schönes Auto fahren. Sein Vater haAe nie ein Auto besessen; es war ein Symbol für Erfolg und dafür, dass es im Leben aufwärts ging. Also irri@erte ihn der Verkehr sehr und ich erinnere mich, als Kind immer ein ängstliches Gefühl gehabt zu haben, wenn es ein stärkeres Verkehrsaunommen gab. Also gibt es heute auf einer sehr sub@len Ebene einen zusätzlichen Haken aus meiner eigenen Erfahrung für dieses Gefühl.
Auf diese Weise haben wir alle gewisse Vorannahmen, die nicht nur mit unseren Gedanken zu tun haben – sie sitzen auch im Körper, es sind auch energe@sche Annahmen, Empfindungs-­‐Prämissen, die uns in eine fixe Posi@on ziehen, und diese fixe Posi@on stoppt oder verhindert die direkte Erfahrung des Flusses an Manifesta@onen, die unablässig aus dem reinen Ur-­‐Grund entstehen.
Aus diesem Grund wird innerhalb der Tradi@on immer ein Abstammungslinien-­‐Gebet James Low © www.simplybeing.co.uk 7
gesprochen, wenn Menschen längere Medita@onen prak@zieren; und für die Nyingmapas geht dieses Gebet immer zurück auf Kuntuzangpo. Das ist von größter Wich@gkeit. Es besagt, dass alle Erkenntnis aus der Verbindung des Geistes mit Kuntuzangpo kommt. Von dieser Ebene aus betrachtet, ist Kuntuzangpo nicht nur eine Gestalt, ein Bild, oder etwas, das man in Form einer Skulptur irgendwo auf ein Podest stellt.
Kuntuzangpo ist hier eine Erfahrung – oder vielmehr: eine Art, Erfahrungen zu machen. Denn das, was wir erfahren, wenn wir die wahre Natur unseres Geistes erkennen, ist die Tatsache, dass wir uns alle innerhalb des Mandalas von Kuntuzangpo befinden. Das ist eine symbolische Art, das auszudrücken. Es heißt, dass die ursprüngliche Reinheit niemals verlorengegangen ist, und wenn uns klar wird, dass die Produk@vität, die Fruchtbarkeit, der Reichtum von Kuntuzangpo niemals enden, werden wir einfach zu einer weiteren Form, das wahrzunehmen.
Alles ist eine Form von Kuntuzangpo, aber nicht jeder erkennt das. Deshalb heißt es in den Dzogchen-­‐Texten: wenn man das am Morgen erkennt, ist man am Morgen ein Buddha; wenn man es am Abend erkennt, ist man am Abend ein Buddha. Das ist BuddhaschaF: die Erkenntnis, dass die Abstammungslinie, die mit Kuntuzangpo beginnt, niemals unterbrochen wurde, dass wir alle unablässig aus diesem energievollen Spiel der ungeborenen Natur entstehen. Im Dzogchen wird das auf @be@sch ka dag genannt. Ka heißt soviel wie Anfang oder Ursprung. Es bezeichnet auch eine Säule – wie jene, die in den Klöstern das Dach stützen. Es ist auch der erste Konsonant im @be@schen Alphabet, also enthält es auch die Idee von etwas Primärem, Grundlegendem, das die Dinge an ihrem Platz hält. Die zweite Silbe, dag, bedeutet „rein“, „pur“. Also heißt ka dag soviel wie: „Das, was von allem Anfang an rein ist“, die Stützsäule der Welt, eine Art Welt-­‐Achse, wenn man so will, um die alles sich dreht. Der innerste Kern von allem ist rein.
Diese Reinheit wird auf viele verschiedene Weisen beschrieben und man kann viele der Defini@onen und Erklärungen in Simply Being finden. [Simply Being. James Low, Wisdom Books, UK]. Es ist ganz, ganz wich@g, das zu verstehen, denn wenn wir zunächst einmal daran glauben, dass unser Wesen rein ist und dann beginnen, die Erfahrung dieser Reinheit zu machen, schenkt uns das eine große Freiheit; wir können uns rich@g entspannen. Die meiste Zeit jedoch sind wir irgendwie in Sorge, Fehler zu machen. Das Leben ist voller Sorgen. Wir möchten, dass die Menschen uns mögen; wir wollen nicht abgelehnt werden; also versuchen wir immer irgendwie, eine Situa@on so zu manipulieren, dass wir einbezogen werden und dazugehören. Wir können uns nie wirklich entspannen, weil wir fürchten, abgewiesen zu werden.
Wenn wir die Reinheit des Wesens erkennen, verstehen wir auch, dass es nichts in uns gibt, was jemals berech@gter Weise abgelehnt werden könnte. Es gibt keine Grundlage für Zurückweisung. Wenn wir das zu@efst erkennen, sind wir weise; dann können wir auch Mitleid für die Menschen fühlen, die uns ablehnen, denn sie sind in Vorannahmen, Vorurteilen und Verwirrung gefangen. Auf diese Weise bringen wir Weisheit und Mitgefühl zusammen. AnstaA sich vor anderen Menschen zu fürchten, bringen wir ihnen Mitgefühl entgegen. Diejenigen, die uns schelten, die uns sagen, dass wir nicht ordnungsgemäß gekleidet sind, oder dass wir zu dick oder zu dünn sind, oder zu alt oder zu dumm – wie immer die Urteile auch lauten mögen, die sie über uns fällen – geben uns vielmehr den Anstoß, zu denken: „Wie traurig, in einem Geist gefangen zu sein, der ständig urteilt.“ Wir können das denken, weil wir selbst das Freisein von der Beurteilung gekostet haben. Natürlich beurteilen auch wir nach wie vor die Dinge, aber diese Urteile ziehen durch uns hindurch – ein bisschen so, wie Wolken am Himmel ziehen. Und wir können erkennen, wie sich diese Menschen Urteile bilden, die rich@ggehend zuschlagen und wie kompleA verfallen sie ihnen sind. James Low © www.simplybeing.co.uk 8
Dieses Wochenende triA England gegen Italien im Fußball an und die ganze Woche schon waren die englischen Zeitungen voll mit Befürchtungen, die italienische Polizei könnte die englischen Fans beleidigen und zusammenschlagen; oder die bri@schen Fans könnten sich betrinken und wieder außer Rand und Band geraten. Na@onalstolz und Fragen wie: „Werden wir gewinnen?“ erzeugen eine Menge Befürchtungen. Man kann zusehen, wie Millionen von Menschen sich kompleA darin verfangen. Sie übertragen ihre Iden@fika@on, ihre Realität auf elf Männer, die herumlaufen und nach einem Ball treten. Und wenn diese Männer den Ball nicht in der rich@gen Weise treten, meinen die Menschen, dass ihr Platz auf dieser Welt jetzt nichts mehr wert ist oder zerstört wurde. „Wir haben verloren! Oh, verdammt!“
Wer ist dieses „Wir“? Elf Männer laufen herum und treten nach einem Ball – und an diesem Punkt ist der Na@onalstolz angesiedelt. Aus so etwas können Kriege entstehen. In England werden immer wieder Menschen niedergestochen, sie werden sogar umgebracht, weil jemand einen Ball in einen kleinen Raum befördert. Das ist die unfassbare Macht, die aus der Unwissenheit kommt – die daraus entsteht, dass wir unser eigenes wahres Wesen nicht erkennen. In unserem immensen Bedürfnis nach Iden@tät und Zugehörigkeit, das wir allem überstülpen, was uns unterkommt – ob das nun eine Na@onalflagge ist oder ein Held, die Geschichte oder ein Auto – verlagern wir unsere Iden@tät ins Außen und versuchen dann, sie zu beschützen. Als Folge davon befinden wir uns in einem ständigen Konflikt, denn als Menschen leben wir innerhalb unserer Haut; wenn wir uns aber mit diesen Dingen iden@fizieren, die außerhalb von uns liegen, werden wir riesig groß, unüberschaubar – und diese enormen Grenzen müssen wir verteidigen. Wenn dann jemand unser Fußball-­‐Team beleidigt, werden wir sehr zornig.
Ich habe gestern in den englischen Zeitungen gelesen, was ein Protestant einem Katholiken in Glasgow angetan hat – das ist die Stadt, aus der ich stamme. Die Katholiken haAen gefeiert, weil sie ein Fußballmatch gewonnen haAen; dieser Katholik tanzte auf der Straße, da kamen mehrere Protestanten, leerten ihre Biergläser über den Katholiken aus und schrieen sie an. Dann stellte sich ein Protestant hinter einen Katholiken und schniA ihm die Kehle durch – so @ef, dass man bis zur Wirbelsäule sehen konnte. Überall Blut. Warum hat er ihn umgebracht? Einfach, weil er ein Katholik war. Wir wissen, dass auch im Krieg das Töten ganz einfach wird. Warum ist das so?
Das sind alles die Früchte unserer falschen Vorstellung davon, wer unsere Eltern sind; weil wir glauben, unser Vater und unsere MuAer seien unsere wirklichen Eltern. Wären unsere MuAer und unser Vater unsere wirklichen Eltern, würden wir in eine bes@mmte Gruppe hineingeboren, in eine Rasse, einen Klub, eine Na@on, eine Kultur. Aber wenn wir erkennen, dass das nur unsere karmischen Eltern sind – die Eltern, die Sex miteinander haAen, als dessen Resultat wir dann aus dem Bauch unserer MuAer kamen – dann werden diese Eltern zu einer Manifesta@on unseres eigenen Karmas. Unsere wirklichen Eltern sind dieses andere Paar, das unablässig dem Sex frönt, das die ganze Zeit vollkommen ineinander verschlungen ist. Die beiden sind voneinander dermaßen in Anspruch genommen, dass es kein Wunder ist, dass sie uns vergessen haben – und wir sie. Sie können an nichts anderes denken! Es ist ein Skandal. Deshalb müssen wir viel beten und sagen: „Hey, vergesst mal für einen Augenblick den Sex, denkt auch an mich!“ – und dann schicken sie uns Lichtstrahlen herab.
Das sind unsere tatsächlichen Eltern. Das ist die ganze Idee des Dzogchen. Wenn wir unsere wahrhaFigen Eltern wiederfinden, kehren wir in diesen Zustand absoluter Reinheit zurück und glauben daran: wenn meine MuAer und mein Vater rein sind, dann bin auch ich rein. Wenn die Eltern rein sind, wie sollte das Kind nicht rein sein? Wenn deine MuAer oder dein Vater Deutsche sind, bekommst du einen deutschen Pass.
Die Vorstellung von Kuntuzangpo und Kuntuzangmo als unseren Eltern ist äußerst wich@g, denn wenn wir heimkehren – das ist jetzt ein bisschen idealisiert, aber macht nichts – also James Low © www.simplybeing.co.uk 9
die Idee ist, dass es daheim immer ein BeA für uns gibt und etwas zu essen; wir werden zu Hause immer willkommen geheißen. Das ist die eigentliche Bedeutung. Wenn du zu deinen Eltern zurückkehrst, werden sie dich immer aufnehmen. Das ist, wie gesagt, die Idee.
Wenn wir unsere eigentliche Natur erkennen, selbst wenn wir Millionen von Lebenszeiten woanders waren, brauchen wir nur ans Tor zu klopfen, und sobald sich das Tor öffnet, heißt es: „Ah! Setz‘ dich und trink eine Tasse Tee, lass uns ein Buddha-­‐Gespräch führen.“
Die Reinheit ist immer da. Das ist ganz wie in dem biblischen Gleichnis vom Verloren Sohn. Es gibt auch eine buddhis@sche Version dieser Geschichte und eine Sufi-­‐Version. Sie kommt in den meisten Kulturen des MiAleren Ostens vor. Es ist eine archetypische Geschichte. Das Kind zieht fort und sagt: „Ich mag euch Eltern nicht – ihr seid nutzlos. Ich will mein eigenes Leben leben. Gebt mir mein Geld – ich hau‘ ab.“ Dann kommt es vom Weg ab und verirrt sich und gerät in viele Schwierigkeiten; und wenn es sich ganz @ef verstrickt hat und nirgendwo mehr hinkann, kehrt es nach Hause zurück. Die Eltern sehen es und sagen: „Oh! Mein Kind!“
Die Eltern sagen nicht: „Hau ab, du kleiner Scheißer!“ Das heißt – heutzutage sagen sie das oF, aber es geht hier um eine archetypische Geschichte, nicht um eine Familie, wie sie den Sozialarbeitern oF begegnet. Die Eltern sagen also: „Sei willkommen.“ Die Sufi-­‐Version dieser Geschichte ist sehr interessant, weil der junge Mann, der sein Zuhause verlassen hat, auf dem Heimweg einem alten Medita@onsmeister begegnet. Er erzählt ihm, was er vorhat; und der Meister sagt zu ihm: „Nein, nein, das kannst du nicht tun, denn du hasst dich jetzt. Du glaubst jetzt, du seist ein schlechter Mensch. Wie kannst du mit diesem Gefühl nach Hause zurückkehren?“ Also gibt er ihm eine Menge Aufgaben zu erledigen, und sagt schließlich: „Wenn du in dein Elternhaus kommst, verkleide dich und biete an, die Schweine zu füAern.“ Der Sohn tut, wie ihm geheißen wurde. Er verbringt viele Jahre im Hause seines Vaters, ohne dass der ihn erkennt; aber weil er hart arbeitet, kommt er voran. Sein Vater denkt: „Dieser junge Mann ist sehr gut. Ich kann mich auf ihn verlassen.“ Und eines Tages sagt er: “Weißt du, du bist wie ein Sohn für mich. Wenn ich nur einen Sohn häAe wie dich!“ Darauf antwortet sein Sohn: „Ich bin dein Sohn!“
Sie können einander begegnen, weil der junge Mensch eine gewisse Vertrauensbasis in Bezug auf sich selbst zurückgewonnen hat. Darum geht es sehr oF in der Dharma-­‐Praxis. Es ist nicht so, dass die Tür unseres Elternhauses, oder das Tor von Kuntuzangpo und Kuntuzangmo, vor uns verschlossen wären; sondern wir wenden unser Gesicht schamvoll ab, weil wir uns für schlecht halten. Wir erwarten, abgelehnt zu werden, weil wir diese Last mit uns herumtragen, nicht zu genügen, zu arm oder zu dumm zu sein. Wir sind noch stark von den Fünf GiFen affiziert. Also liegt der Zweck der Reinigungspraxis darin, zu lernen, uns von diesen Aspekten, denen wir anhaFen, zu distanzieren, damit wir, sobald das Tor sich öffnet, tatsächlich hindurchgehen können.
Das ist der Vorstellung von einer Vorbereitung auf den Tod sehr ähnlich – die Überzeugung, dass wir nach vorne schauen müssen, wenn es ans Sterben geht. Wir verlassen die Welt und gehen auf dieses klare Licht zu, auf diesen Zustand von Realität, der sich uns eröffnet, wenn wir sterben. Aber das Problem ist, dass die meisten Menschen, wenn sie sterben, zurückblicken. Sie schauen zurück auf ihre Besitztümer, auf die Menschen, die sie zurücklassen, die Dinge, die sie nicht getan haben, die Schmerzen in ihrem Körper. Sie haFen diesen Dingen an, die jetzt schon in der Vergangenheit liegen; und weil die Menschen der Vergangenheit anhaFen, sind sie auch ganz auf sie ausgerichtet. Und wenn sie sich vorwärts bewegen, sehen sie nicht, wohin sie gehen; und sie können nicht erkennen, was sie da sehen. Das ist ein echtes Problem.
Es gibt im Buddhismus ganz viele unterschiedliche Reinigungs-­‐Prak@ken. Im Dzogchen wird die Ansicht vertreten, dass der Ur-­‐Grund, die Basis für unsere Existenz, vollkommen rein ist. James Low © www.simplybeing.co.uk 10
Wenn wir diesen reinen Grund erkennen, ist alles rein, denn er ist die Quelle, aus der alles entsteht. Reinigung wird im Dzogchen auch als „Reinigung des Grundes“ bezeichnet. Mit dem Entstehen von Unwissenheit vergessen wir den Urgrund unseres Seins. Das ist die Bedeutung von „Unwissenheit“. Unwissenheit heißt, dass wir in einen Prozess hinein kippen, durch den wir immer stärker in all die Dinge verwickelt werden, die sich gerade abspielen. Wenn das geschieht, wird Unwissenheit zu einer Ursache, die Auswirkungen hat. Das heißt: wir beginnen zu handeln. Wir werden zu einem „Ich“, das auf die Welt einwirkt; und wenn „ich“ auf die Welt einwirke, hat das Auswirkungen und diese Auswirkungen haben wiederum einen Einfluss auf mich. Die Auswirkungen haben eine Wirkung, sie erzeugen Affekte, Gefühle, einen Sinn.
DIE ELEMENTAREN SÜNDEN
Wenn wir uns auf dieser Ebene bewegen, müssen wir überlegen, wie wir die schlechten Handlungen stoppen können. Auf einer Ebene, wo wir einfach Menschen auf dieser Welt sind, mit allen unseren Schwierigkeiten, müssen wir uns daran erinnern, dass es drei Sünden des Körpers, vier Sünden der Rede und drei Sünden des Geistes gibt – wie das im ersten Kapitel von Simply Being ausgeführt wird, im ersten Teil des Textes von Chetsangpa, wo er die zehn elementaren Sünden behandelt; und wir müssen das ernst nehmen. Solange wir als Menschen in unseren Körpern gefangen sind, haben wir eine Wirkung; unsere Handlungen haben Konsequenzen. Laut Chetsangpa sind die Sünden des Körpers: töten, stehlen oder etwas nehmen, was einem nicht gegeben wird, sowie sexuelles Fehlverhalten. Es ist ziemlich eindeu@g, was mit „töten“ gemeint ist; es ist auch ziemlich klar, was gemeint ist, wenn es heißt, wir sollen nichts nehmen, was uns nicht gegeben wird; aber sexuelles Fehlverhalten oder schlechtes Betragen sind komplizierter.
Für Tibeter ist die Defini@on von sexuellem Fehlverhalten rela@v einfach: kein Sex mit dem Mund, kein Sex mit dem Anus, keine Selbstbefriedigung, kein Sex vor Statuen, kein Sex an Vollmondtagen, kein Sex an Neumondtagen, kein Sex an jedem Monatszehnten, kein Sex an jedem 25. des Monats… da gibt’s sehr, sehr viele Regeln. Kein Sex, wenn man in der Nähe eines Lamas lebt. Also – sie haben sehr viele solche Vorstellungen. Was soll man dazu sagen? Wie dem auch sei – ich bin kein Tibeter, also habe ich beschlossen, diese Vorstellungen, was mich betrifft, als eine mögliche lokale kulturelle Tradi@on zu betrachten. Ganz allgemein: der wirklich nega@ve Aspekt am Sex liegt darin, wenn anderen Menschen dadurch Schmerz zugefügt wird. Sex ist Träger einer sehr machtvollen Energie. Heutzutage sind viele Menschen einsam und traurig; also ist Sex eine gute Möglichkeit, weniger einsam und traurig zu sein. Aber wenn man so damit umgeht, wird er zu einer sehr mäch@gen Falle. Das Posi@ve am Sex ist, dass er bewirkt, dass wir uns lebendiger fühlen; dass er uns mehr aus uns herausholt, uns mehr durch unsere Sinne leben lässt, uns das Gefühl gibt, wir wären verbunden und Teil der Welt. So gesehen ist er eine sehr machtvolle Methode, ein im wahrsten Sinn des Wortes sehr nützliches Spielzeug – nicht in einem dummen Sinne! Er ist eine Art von Energie, die bewirkt, dass wir die Welt zu würdigen wissen. Mit einer Prise sexueller Energie sehen die Bäume gleich ein wenig leuchtender aus, alles ist irgendwie strahlend, weil wir in uns selbst ankommen – vorausgesetzt, alle Beteiligten können die Verantwortung dafür übernehmen, dass es zu keiner Situa@on kommt, in der sie sich selbst oder anderen Schaden zufügen. Das heißt soviel wie: die Menschen müssen sich darüber im Klaren sein, was sie tun.
Wir sprechen immer davon, dass man ein System von Regeln und Gesetzen haben kann, aber dass diese Regeln oF ein Bollwerk sind, das uns davor bewahrt, Verantwortung zu übernehmen; während tatsächlich verantwortliches Handeln, tatsächliche Menschenleben, sehr kompliziert sind. Man erstellt eine Liste, wann man keinen Sex haben darf – aber dann bleibt gar keine Zeit mehr für Sex! Sobald man sich auf Menschen einlässt, stellt man fest, James Low © www.simplybeing.co.uk 11
dass heiße Energie chao@sch ist; also hält sie sich nicht an Regeln. Diese Dinge sind sehr vertrackt. Also selbst auf dieser Ebene muss man sehr aufpassen und sehr genau wahrnehmen, worum es jeweils geht.
Was die Sünden der Sprache betrifft, ist die erste das Lügen, also Dinge zu sagen, die nicht der Wahrheit entsprechen. Dann gibt es die bösar@ge Rede – eine Art, zu sprechen, die zum Ziel hat, anderen Schaden zuzufügen; und weiters das undisziplinierte Reden, wenn man alles Mögliche daherredet, einfach nur, um zu reden. Es gibt Menschen, die schwafeln endlos daher; das ist hier gemeint. Dann gibt es Tratsch und Verleumdung und damit verbunden eine Art brachialer Ausdrucksweise, die die Menschen provoziert, sich in Streitgespräche und Auseinandersetzungen zu verwickeln.
Wir können sehen, dass alle diese Formen des Redens etwas mit Konflikt zu tun haben. Die erste, das Lügen, bedeutet, dass man mit sich selbst in Konflikt gerät, weil man eine Sache sagt, obwohl man weiß, dass sie nicht wahr ist. Was aus unserem Mund kommt, ist ein einfacher Satz, aber innerlich müssen wir uns quasi entzweischneiden. Für andere Menschen mag das ehrlich erscheinen, wir aber tragen den Konflikt in unserem Inneren. Mit den anderen Redeweisen trägt man den Konflikt in die Welt hinaus.
Dann gibt es die Sünden des Geistes: die erste ist die starke AnhaFung, oder auch Geiz, Habgier – also sich mit aller Macht an die Dinge zu hängen. Dann geht es um falsche Sichtweisen; im Speziellen, nicht an den Dharma und an die Leere zu glauben. Der Grund, warum es als falsche Sichtweise betrachtet wird, diese buddhis@schen Ansichten nicht zu teilen, liegt nicht darin, dass man sie glauben soll, nur weil der Buddha es so gesagt hat und sie deshalb wahr sein müssen. Sie werden uns vielmehr als Forschungsergebnisse präsen@ert. Jeder Mensch kann Vergänglichkeit verstehen, wenn er nur genau hinsieht. Wenn wir uns in der Welt umsehen, sehen wir Vergänglichkeit – sie ist einfach da; sie ist offensichtlich eine Tatsache. Nicht an die Vergänglichkeit zu glauben, bedeutet also, sich der eigenen Dummheit zu verschreiben. Es heißt, dass wir glauben, die Dinge häAen Dauer, weil das gemütlicher ist, weil es sich so sicherer anfühlt. Es ist eine Verfehlung gegenüber der wahren Arbeit des Geistes, die darin liegt, alles zu untersuchen.
Die natürliche Funk@on des Geistes, dieses menschlichen Geistes, der sich in unseren Gehirnen entwickelt, liegt in der Fähigkeit, die Dinge zu untersuchen – das tut er auch ununterbrochen. Das Gehirn ist dazu da, alles zu untersuchen. Wir gehen die Straße entlang. Unser Gehirn, das durch die Augen auf uns einwirkt, ohne dass wir uns dessen überhaupt bewusst sind, untersucht so viele Dinge. Wir setzen den Fuß auf; da ist ein Loch im Gehsteig. Unser Körper beginnt, sich zu bewegen; in unserem Gehirn tut sich ganz viel, um herauszufinden: „Ist das ein Unfall? Werde ich jetzt stürzen?“ Wir fühlen mit dem Fuß, „Oh – es ist nur ein Loch in der Straße“, wir finden das Gleichgewicht wieder und gehen weiter. Eine enorme Anzahl von Prozessen ist im Gehirn abgelaufen, um diesen Vorfall zu verarbeiten. Ununterbrochen werten wir die Dinge aus und bewerten sie.
Das ist unsere natürliche Beschaffenheit; aber wir entscheiden uns dazu, das zu ignorieren. Lieber glauben wir an Vorannahmen. Wir glauben an das Konzept von Überlegenheit – egal, ob auf der Basis von Rasse, Geschlechtszugehörigkeit, Alter, was auch immer; und wir klammern uns an diese Vorurteile, wir wollen sie nicht näher untersuchen, und auf diese Weise handeln wir unserer eigentlichen Natur zuwider. Wir nehmen Dinge für selbstverständlich, wir werden faul – und das ist der wahre Grund, warum man hier von einer Sünde spricht.
Auf dieser Ebene, auf der wir uns in Gedanken verstricken, müssen wir sehr rigoros daran denken, unser Verhalten zu verändern. Selbst wenn wir Dzogchen prak@zieren, reicht es nicht aus, zu sagen: „Ich verstehe das und ich kann alle Dinge sich selbst befreien lassen.“ James Low © www.simplybeing.co.uk 12
Unserem eigenen Verhalten in der Welt sollte ein Mindestmaß an Integrität innewohnen. In den Dzogchen-­‐Texten heißt es: selbst wenn man ein Mörder wäre oder ein Dieb, kann man erleuchtet sein. Das mag wohl sein – aber wenn man weiter s@ehlt oder mordet, obwohl man Erleuchtung erlangt hat, müssten sich Zweifel einstellen. Was sollte denn der Zweck des Mordens sein? Dzogchen ist sehr schwer zu verstehen; und es ist besonders schwer zu verstehen, wenn unser Geist verschlossen ist.
EINE GESCHICHTE
Zum Abschluss dieses langen Tages will ich euch noch eine kleine Geschichte erzählen. Vielleicht habt ihr sie schon einmal gehört; das macht nichts – sie ist das Bindeglied zwischen diesen unterschiedlichen Formen. Ich werde es ganz einfach machen.
Es war einmal ein reicher junger Mann, Sohn eines reichen Grundbesitzers. Er haAe einen Diener, der sehr hart arbeitete. Ein großer buddhis@scher Lehrer kam ins Land, also ging der reiche junge Mann gemeinsam mit seinem Diener, um den Lehrer zu sehen. Der Dharma-­‐
Lehrer gab ihnen eine elementare Dzogchen-­‐Belehrung. Er sagte: „Vom allem Anfang an war dein Geist rein. Er ist wie der Himmel – unendlich weit, grenzenlos offen, wolkenlos. Was auch immer auFaucht, ist leer und rein; erkennt also die Reinheit, die allem innewohnt – was immer ihr auch tut.“
Die beiden gingen fort. Der Diener haAe zugehört, also prak@zierte er jeden Tag, versuchte zu medi@eren und seinen Geist wie den Himmel zu sehen; und wenn er in Versuchung geriet, zu stehlen oder etwas dergleichen zu tun, beobachtete er einfach nur, wie dieser Impuls durch seinen Geist hindurchging. Und er begann zu erkennen: “Ja, es gibt gute und böse Dinge, und sie ziehen einfach durch den Geist hindurch. Egal, ob gut oder böse – er ist rein”. Und sein Handeln wurde völlig rein.
Der reiche junge Mann aber haAe den Lehrer so verstanden, als häAe der gesagt: „Was auch immer du tust, ist gut.“ Also dachte er: „Das ist ausgezeichnet!“, ging fort und betrank sich, haAe Sex mit aller Leute Kinder und verursachte eine Menge Ärger. Sein Vater dachte bei sich: „Also – ich weiß nicht. Das war wohl keine Schweizer Eliteschule, in die ich ihn da geschickt habe. Diese Dharma-­‐Lehrer sind wirklich sehr seltsam. Ich denke, wir sollten den Sohn zu ihm zurückschicken.“
Also ging der junge Mann zurück zum Dharma-­‐Lehrer und der fragte zuerst den Diener, was er in der Zwischenzeit getan haAe; und als er den Bericht des Dieners vernahm, sagte der Dharma-­‐Lehrer: „Wunderbar, du hast mich wirklich verstanden.“ Dann fragte er den reichen jungen Mann; der antwortete ihm: „Ich erkenne, dass alles perfekt ist, was immer ich auch tue; also tue ich, wonach mir der Sinn steht. Ich bin vollkommen frei!“ Der Dharma-­‐Lehrer antwortete: „Das ist ganz schlecht. Du hast meine Lehre kompleA missverstanden. Du solltest auyören, dich nach dieser Belehrung zu richten und diesen Ort jetzt verlassen.“ Der junge Mann entgegnete: „Du befiehlst mir wegzugehen? Wer glaubst du denn, dass du bist? Verdammt noch einmal?“ Und er verprügelte den Dharma-­‐Lehrer und schob ihn bei der Türe hinaus.
Darauyin geht er selber fort; und wo immer er auch hinkommt, verursacht er Ärger und Ungemach. Er sammelt eine Gruppe von Menschen um sich und gemeinsam beginnen sie, zu morden und zu vergewal@gen. Das wird immer ärger, und schließlich haben sie eine große Zahl von Menschen umgebracht. Als der Mann s@rbt, wird er hunderAausend Jahre lang als Wurm wiedergeboren; dann als Frosch und als RaAe; danach kommt er in die Höllenbereiche – dort verbringt er viele, viele Leben, aber eines Nachts hat eine sehr verstörte Pros@tuierte Sex mit drei verschiedenen Arten von Dämonen – in der @be@schen Tradi@on sind diese Dämonen sehr raue und gefährliche Kreaturen – der Samen dieser drei Dämonen vermischt James Low © www.simplybeing.co.uk 13
sich und sie wird davon schwanger. Der Geist, der sich in diese Vereinigung von dreierlei Samen und ihrer Eizelle einpflanzt, ist der Geist des reichen jungen Mannes.
Die Frau s@rbt während der SchwangerschaF und die Menschen denken: „Ugh, das ist eine wirklich eklige Frau“, also schleppen sie ihren Leichnam hinaus und lassen ihn auf dem Totenacker liegen, wo die Leichname entsorgt werden. Damals – es ist schon sehr lange her – war das ein wahrhaF schrecklicher Ort. Körperteile lagen überall verstreut herum, und es gab dort viele wilde Tiere. In der Leiche befindet sich immer noch der Fötus. Der Fötus wächst und allmählich verlässt er den Körper seiner MuAer – dabei stellt sich heraus, dass er drei Köpfe und Flügel hat. Er ist zwar sehr klein, aber auch sehr hungrig; und da er drei Köpfe hat, kann er auch viel essen. Er findet die Brust seiner MuAer und beginnt zu saugen, und er saugt und saugt, bis er alle Milch ausgetrunken hat. Dann saugt er dem Körper das gesamte Blut aus, dann den Eiter – und schließlich frisst er seine MuAer auf.
Deshalb heißt er auch Matram Rudra, MuAer-­‐Fresser, oder der Dämon, der seine MuAer frisst. Dann streiF er durch den Friedhof, frisst andere Leichen und bringt alles um, was ihm in die Quere kommt. Er tötet einen Elefant und wickelt sich in dessen Haut; er erlegt einen Tiger, zieht sich auch dessen Fell über und reibt sich die Wangen mit seinem Blut ein; er nimmt die Asche des verbrannten Körpers und verreibt sie in seinem Gesicht. Er holt sich das FeA aus den Leichen, sobald es ein bisschen gekocht hat – wie auf den indischen Ghats, wo sie die Toten verbrennen; und auch das reibt er sich in die Haut, sodass sie ganz glänzend wird. Er windet sich Schlangen um den Körper und er tanzt. Wenn er tanzt, beginnt die Welt zu beben. Das sind die acht Friedhofs-­‐Ornamente, die er ab jetzt trägt; dazu gehört auch seine HalskeAe aus Totenschädeln.
Dann zieht er weiter und tötet jeden Mann, dem er begegnet und vergewal@g jede Frau, die ihm über den Weg läuF; er bringt die halbe Menschheit um. So kommt er in das Reich der GöAer und mordet immer weiter und tötet immer mehr Menschen.
Die Buddhas beobachten sein Treiben. Und sie denken: „Hey, wir haben da ein Problem. Wir sind neAe Theravada-­‐, Hinayana-­‐Buddhas. Wir mögen reine Speisen, wie weißen Reis und Joghurt. Und jetzt kommt diese böse Gestalt daher und obwohl wir uns daran erinnern: ‚Alles ist vergänglich. Nichts hat ein innewohnendes Selbst‘, kommt er trotzdem.” Jetzt denken diese Buddhas also: „Das ist sehr, sehr schlecht. Würdest du biAe weggehen?“ und sie versenken sich wieder in ihre Medita@on. Aber jedes Mal, wenn sie ihre Medita@on beenden, ist Matram Rudra wieder ein Stück größer geworden; er wird immer größer und größer – und so haben sie ein gewisses Problem.
Wie dem auch sei – Matram Rudra baut sich einen riesigen Palast; dort wohnt er mit seiner Frau, die „Rad der Dunklen Zeit“ heißt, weil sie die Welt umkehrt. Der Palast hat die Form eines Mandalas – Mandalas gleichen in Wirklichkeit alten Verteidigungsanlagen. Europäische Burgen sehen ähnlich aus; sie haben einen zentralen Turm, mit Fenstern, die die vier Himmelsrichtungen überblicken, damit man sehen kann, von wo aus der Feind sich nähert; dann gibt es die äußeren Mauern, Zugbrücken und alles, was noch dazu gehört. Das Ganze ist eine miAelalterliche Verteidigungsanlage. Matram Rudra bringt also immer mehr Unheil in die Welt, bis die Buddhas endlich beschließen, dass sie etwas unternehmen müssen. Und Dorje Sempa bekommt den AuFrag, zu organisieren, was jetzt geschehen soll.
Sie schicken eine Emana@on der Lotus-­‐Familie aus – Hayagriva, also die elementare Vorstufe des Hayagriva – und diese Form dringt in den Körper von Matram Rudra ein; er schlüpF beim Penis hinein, steigt durch den gesamten Körper auf und kommt beim Scheitelpunkt des Kopfes in Form eines Pferdeschädels wieder heraus. Das ist der Anfang von Hayagriva. Die zornvolle Form der Tara, die auch ausgeschickt wird, gelangt durch die Scheide von Matram Rudras Frau in ihren Körper; auch sie steigt auf und kommt an ihrem Scheitel in Form eines James Low © www.simplybeing.co.uk 14
Schweineschädels wieder zum Vorschein. Das ist der Anfang von Vajravarahi. Hayagriva und Vajravarahi sind das erste zornvolle männlich-­‐weibliche Paar. Das Tal von Kathmandu ist ein Mandala von Hayagriva und Vajravarahi. Vajravarahi ist die HauptgoAheit des Kathmandu-­‐
Tales.
In weiterer Folge entwickelt sich daraus eine Unzahl von Ereignissen. Die beiden haben Sex miteinander; daraus entsteht ihr Sohn Mahakala; und Mahakala wird eingesetzt, den Dharma zu beschützen.
So kamen die zornvollen Manifesta@onen in die Welt. Das ist eine sehr hilfreiche Geschichte. Sie weist auf die reale Gefahr hin, wir könnten den Dharma missverstehen. Je fortgeschriAener die Lehre, desto gefährlicher ist es, sie falsch zu verstehen. Vergleichbar mit einer Atombombe, die über die Maßen gefährlich ist – während ein Hammer zwar gefährlich ist, aber wenn man mit seiner Hilfe Menschen töten will, muss man jedem einzelnen den Schädel einschlagen. Wenn man jedoch eine Atombombe hat, kann man viele Menschen gleichzei@g umbringen. Wenn man die Lehren des Dzogchen missversteht, kann das dazu führen, dass man zu einem sehr, sehr schlechten Menschen wird – obwohl sie von der allem innewohnenden Reinheit sprechen.
Für uns, die wir nicht in einer buddhis@schen Kultur aufgewachsen sind und in sehr beunruhigenden Zeiten leben, ist es sehr wich@g, gemäß der Nyingma-­‐Tradi@on alle neun Yanas gemeinsam zu prak@zieren. Wir müssen uns auf die zehn Sünden des Körpers, der Rede, des Geistes und all die anderen Sünden besinnen, auch wenn wir hier viel auf Dzogchen-­‐Art und gemäß den Sichtweisen des Dzogchen medi@eren werden. Wir dürfen auch nicht vergessen, zu Padma Sambhava zu beten, uns in Hingabe zu üben und sie weiterzuentwickeln; an Weisheit und Mitgefühl zu denken und die sechs Paramitas zu prak@zieren.
Wenn wir auf der Ebene der rela@ven Wahrheit prak@zieren, also auf der Ebene von Subjekt und Objekt, die voneinander getrennt und real sind und gleichzei@g auf der absoluten Ebene dieser ursprünglichen Reinheit, wird sich das gegensei@g ausbalancieren und uns helfen, in der Welt nützlich zu sein.
Das ist nur ein Überblick darüber, wie wir beginnen können, über Reinigung nachzudenken. Vom Standpunkt der absoluten Wahrheit aus betrachtet, gibt es nichts, was gereinigt werden müsste. Vom Standpunkt der rela@ven Wahrheit aus gesehen gibt es jede Menge zu bereinigen. Wenn man nur einen der beiden Standpunkte berücksich@gt, kann man sich verirren. Was wir prak@zieren, ist die Integra@on dieser beiden Wahrheiten. In dem bereits genannten Buch gibt es das entscheidend wich@ge Kapitel von Patrul Rinpoche, in dem er die Untrennbarkeit dieser beiden Wahrheiten darlegt. Wenn man wirklich versteht, dass die beiden zusammengehören, kann man in seinem Herzen grenzenlos und offen sein wie der Himmel; und in unserer Haut, wenn wir mit anderen Menschen zusammenkommen, werden wir stets respektvoll und freundlich sein, rücksichtsvoll und sehr darauf bedacht, uns auf ihre momentane Verfassung einzustellen. Der eine Zustand ist unendlich weit, der andere sehr präzise. Ich glaube, das ist der zentrale Punkt.
Kommentar: Ich habe Schwierigkeiten damit, weil es einerseits natürlich sehr fein ist, das zu hören und zu spüren; aber immer wieder sehe ich die Praxis in meinem Job – ich arbeite mit schwierigen Kindern, und die werden immer schlimmer. Und wenn ich feststelle, mit was für einer Aggression sie miteinander streiten, dann weiß ich zwar, warum das so ist und dass sie in Wirklichkeit ganz rein sind, und so weiter… Aber wenn ich sehe, wie sie einander wirklich weh tun, fällt es mir sehr schwer, irgendetwas Posi@ves zu sagen. Es ist manchmal wirklich schwer für mich, wenn ich mich so umschaue und alle diese – in meiner Realität – schrecklichen Dinge sehe. Das ist manchmal ein echtes Problem für mich. Vor allem, wenn James Low © www.simplybeing.co.uk 15
die Dinge sich ganz rasch entwickeln, wie bei einer Streiterei, wo ich nicht eingreifen kann, wo ich zusehen muss; und ich kann dann sagen: „Na ja – jetzt ist es so,“ und anschließend kann ich etwas unternehmen, aber nicht jetzt im Augenblick. Das ist manchmal sehr schwierig. James: Ich denke, manchmal ist alles, was man in so einem Moment wirklich tun kann, Mitgefühl prak@zieren.
Kommentar: Ich weiß, ich weiß das; aber das ist wirklich sehr schwer.
James: Das ist schwer.
Kommentar: Weil wenn ich ältere Jugendliche sehe, wie sie miteinander kämpfen, oder auch kleine Kinder, und ich schaue dabei zu und versuche natürlich auch, es zu unterbinden, aber in dieser Situa@on ist das sehr schwer...
James: Das ist auch sehr schwierig.
Kommentar: Sogar wenn ich sage: ok, das ist die Unwissenheit, und so weiter, tut mir das alles so leid. Natürlich ist das Mitgefühl, aber es ist keine Art, die Freiheit zu erlangen…
James: Ich denke, das zeigt eines der Paradoxa auf, die im Buddhismus exis@eren: Obwohl wir den BodhisaAva-­‐Schwur ablegen und uns vornehmen, den Dharma zu prak@zieren, um Erleuchtung zu erlangen und alle fühlenden Wesen zu reAen, können die Buddhas nicht alle Lebewesen reAen. Wenn sie das könnten, häAen sie es bereits getan. Wenn also irgendwelche Buddhas anwesend sind, streiken sie entweder oder sind in Frühpension gegangen, oder sie nehmen Heroin oder was weiß ich; aber sie hängen jedenfalls nicht an deiner Schule herum, um den Leuten zu helfen. Wir müssen uns vorstellen, dass der BodhisaAva-­‐Schwur in gewisser Weise Teil einer Technik ist, die uns hilF, Weisheit zu erlangen.
Eines der großen Probleme ist natürlich, dass jede Religion sich in die Mythen der Macht verstrickt. Die Menschen glauben, dass große Lamas viele wunderbare Dinge tun können. Ich bin sicher, das können sie auch; aber alle fühlenden Wesen können sie nicht reAen. Sie können nicht in ein Spital für Krebskranke gehen und die Krankheit der Menschen stoppen. So etwas können sie nicht. Es gibt also Situa@onen, in denen die Menschen an etwas glauben und im Lama oder Buddha diese wunderbare Person sehen, zu der sie beten: biAe hilf uns; aber diese Ebene der Hilfe ist äußerst sub@l. In gewisser Weise können die Buddhas einem nur helfen, wenn man sich selbst helfen will. Sie sind eine Methode, die man benützen kann; aber die Kinder in der Schule wollen das keineswegs; das heißt, auf dieser Ebene sitzt der Buddha dann einfach in seinem Regal. Der Buddha kann erst ak@v werden, wenn man ihn darum biAet.
Das ist eine ganz entscheidende Sache im Buddhismus. Erinnert euch an die Geschichte, als Shakyamuni Gautama – der später zum Shakyamuni Buddha wurde – nachdem er Erleuchtung erlangt haAe, in der Nähe des Bodhi-­‐Baumes auf und abging und sich überlegte: „Was soll ich tun? Soll ich darüber reden? Wenn ich spreche, wird niemand mich verstehen; ich habe also nichts anzubieten, weil die Menschen damit nichts anfangen können.“ Unzählige Menschen haben ihn aufgesucht – selbst GöAer wie Brahma sind gekommen und haben gebeten: „BiAe -­‐ lehre uns, hilf uns“. Erst dann ging er darauf ein; und er lehrte immer nur, wenn jemand ihn ausdrücklich darum bat. Wenn man diese frühen Pali-­‐Texte liest, heißt es darin immer: „Eines Tages saß der Buddha unter einem Baum, oder in einem Mango-­‐Hain, und dieser reiche Mann, oder dieser arme Mann, oder dieser Mönch kam zu ihm und fragte: „Oh Buddha, wie kommt es, dass so und so…“. Darauf antwortete der Buddha…“
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Er sprach, weil er gefragt wurde. Das ist die Realität unserer Situa@on: wir können nur dann wirklich ak@v werden, wenn man uns fragt. Wenn wir versuchen, einzugreifen, ohne dass wir darum gebeten werden, machen wir alles nur noch schlimmer. Aber wir tragen auch alle die Vorstellung mit uns herum, dass irgendwo der große Papa und die große Mama exis@eren, die uns Sicherheit geben.
Kommentar: Vielleicht wissen große Lehrer, wie sie mit den Menschen umgehen müssen? Vielleicht erkennen sie, was zu tun ist? Es gibt da eine Geschichte von Patrul Rinpoche; der wusste, was zu tun ist…
James: Ich bezweifle nicht, dass einige dieser Geschichten tatsächlich wahr sind, aber es gibt so viele entsetzliche Dinge, die täglich auf der Welt geschehen, und niemand kann das verhindern. Also müssen wir auf der einen Seite Vertrauen haben, aber auf der anderen Seite dürfen wir nicht dieser Art von Ideologie verfallen, zu glauben, dass Samsara zu Ende ist, nur weil der Karmapa mit den Fingern schnippt. Es gibt Menschen, die solche Dinge sagen. Das ist offensichtlich nicht wahr. Das ist unsere Realität. In gewisser Weise ist es vielleicht so, wie Ulrike gesagt hat: je mehr wir lernen und je mehr wir wissen, desto empfänglicher werden wir auch für das Leiden der anderen.
DIE DREI ARTEN DES LEIDES
In der buddhis@schen Tradi@on werden drei Arten des Leides beschrieben: das Leid durch Veränderung, das Leiden am Leid und reines Leid. Reines Leid, heißt es, ist für gewöhnliche Menschen so, als läge ein Staubkorn auf ihrer Handfläche – sie spüren es nicht. Aber wenn die Menschen in der Medita@on FortschriAe machen, wandert ihnen das Staubkorn ins Auge und dann spüren sie es. Man beginnt, Samsara wahrzunehmen – zu jeder Zeit und wo immer man auch hinsieht, leiden die Menschen. Man geht eine Straße entlang, und früher häAe man vielleicht einen alten Mann gesehen, der einen Spaziergang macht und ihm einen guten Morgen gewünscht; aber jetzt denkt man: „Ach, das Alter! Leiden und Tod!“ Man sieht, dass der Mann Arthri@s hat und wie schwer er sich tut, wie langsam er geht, also iden@fiziert man sich mehr mit anderen Menschen – aber man hat nicht die Macht, ihre Lage zu verändern.
Kommentar: Na ja, ich will ihre Situa@on auch nicht ändern. Ich weiß, dass ich das nicht kann. Was ich sagen wollte ist: es ist sehr schwer, da zuzuschauen, weil man sich so hilflos fühlt. Es ist in so einer Situa@on auch schwer, Mitgefühl zu entwickeln. Ich bin sehr oF sehr, sehr wütend; und ich weiß natürlich, dass ich wütend bin, aber trotzdem, letztlich bin ich am Ende, weißt du.
James: Wenn es dir gelingt, diese Art von Gewahrsein die nächsten paar Tage beizubehalten, können wir vielleicht darauf zurückkommen, weil ich denke, dass das sicherlich für viele hier ein sehr hilfreiches Beispiel ist: Wie kann es uns gelingen, diese Konzepte in unserem Alltagsleben umzusetzen – ansonsten bleiben sie abstrakt.
Kommentar: Ich würde gerne mehr über die Praxis der zornvollen GoAheiten erfahren – wie wir sie anwenden können.
James: Okay, wir werden uns sicherlich damit auseinandersetzen, weil ich das Thema Reinigung aus der Sicht des Hinayana, Prajnaparamitayana und Mahayana, des Tantra und des Dzogchen betrachten werde. Das zentrale Anliegen dieses Retreats ist, mit sich selbst zusammenzuarbeiten; das heißt, Zeit mit sich zu verbringen. Die Menschen hier sind alle sehr neA, deshalb ist es auch sehr interessant, sich mit vielen von ihnen zu unterhalten. Entscheidet selbst: wenn ihr mit anderen redet, verliert ihr da das Gewahrsein dessen, was ihr zu prak@zieren versucht?
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Findet selbst heraus, was jeder von euch braucht. Wenn ihr euch niederlegen wollt, oder was auch immer für euch gerade das Rich@ge ist – macht es. Und wenn ihr euch deshalb schuldig fühlt, ist das wunderbar, weil Schuldgefühle etwas sind, was wir untersuchen wollen. So viele von uns, mich selbst eingeschlossen, sind mit einer Menge äußerer Regeln aufgewachsen; und diese Regeln sagen uns immer, wenn wir gerade falsch liegen. Zu lernen, wie man mit diesen Regeln umgeht, ist sehr wich@g, und Schuldgefühle sind da sehr hilfreich, weil sie uns darauf hinweisen, dass wir uns in den Regeln verheddern. Wir fühlen uns müde und denken: „Ach, du liebes Bisschen, was werden die Leute denken, wenn ich mich hinlege. Ich sollte allen zeigen, dass ich jemand bin, der ordentlich medi@ert.“
Diese Art des Denkens ist teuflisch. Es hat keinerlei Nutzen; es verfälscht uns vielmehr, weil wir nicht wir selbst sind. Man kann nur erleuchtet sein, wenn man ganz man selbst ist. Und das ist unmöglich, wenn man den Mut dazu nicht au|ringt. Den Mut zu haben, man selbst zu sein, bedeutet: man erkennt, dass kri@sche Urteile von anderen wie die Augen des Teufels sind. Dort wohnt der Teufel – in der Kri@k. Ich war mit @be@schen Lamas beisammen und es gibt da die Regel, dass es eine ganz arge Beleidigung darstellt, wenn man die Beine ausstreckt und die Füße in Richtung des Lamas zeigen. Das ist verrückt. Das ist eine kulturell gewachsene Form von Respektsbezeugung, aber im Grunde ist es völlig bedeutungslos. Es ist einfach eine kulturelle Umgangsform, die gar nichts zu tun hat mit Folter in Ruanda oder den vielen schrecklichen Dingen, die ständig auf der Welt passieren.
Wir sollten uns nicht mit dem Versuch auyalten, zu entscheiden, was Recht und was Unrecht ist. Alles ist Recht, sobald es mit der Leere integriert ist. Alles ist Unrecht, wenn man daran als einer robusten Realität anhaFet.
ATMEN IN NEUN RUNDEN: siehe auch ANHANG 1
Wir üben jetzt das Atmen in Neun Runden, um den Körper zu entspannen und ihn ein bisschen zu öffnen. Bei dem, was wir jetzt machen, müsst ihr nichts visualisieren, sondern euch einfach nur entspannen. Die Frauen beginnen mit dem linken Arm, die Männer mit dem rechten. Für die Frauen geht es also links-­‐rechts-­‐links-­‐rechts und für die Männer anders herum. Diese Art des Atmens geht immer durch die Nase. Der Grund dafür ist, dass die LuF, wenn sie durch die Nase ein-­‐ und ausgeatmet wird, sich in den Nebenhöhlen erwärmt; das hilF auch, sie zu reinigen. Sie hat also eine gute Temperatur für den Körper.
Wenn man durch den Mund atmet, speziell wenn es draußen kalt ist, verändert sich die Körpertemperatur sehr rasch; das verursacht eine Art Kälte-­‐Schock, der im Körper Spannung erzeugt. Es ist besser, die LuF langsam durch die Nasenatmung zu temperieren.
Wir beginnen mit dem Einatmen – die Frauen nehmen dazu den linken, die Männer den rechten Arm. Diese weit ausladende Geste öffnet den Brustraum. Dann führt eure Hand zum Gesicht und benützt den MiAelfinger, um das Nasenloch auf derselben Seite zuzuhalten und atmet durch das andere Nasenloch aus. Beim Ausatmen senkt ihr den Arm, um den Druck auf dieser Seite zu erhöhen. Dann lasst die Hand sinken und beginnt mit dem nächsten Atemzug, diesmal mit dem anderen Arm. Wir machen das abwechselnd, drei Mal auf jeder Seite. Danach atmen wir ein, beugen uns vor und hinunter, so weit es geht, indem wir den Druck auf das Zwerchfell dazu benützen, die LuF aus dem Körper herauszupressen. Wir machen das ganz langsam, jeder in seinem Tempo. Es gibt dazu keine speziellen Visualisierungen. James Low © www.simplybeing.co.uk 18
REINIGUNG DES KÖRPERS
TÖTEN
Ich möchte gerne auf die Sünden des Körpers zurückkommen. Die erste ist das Töten und tradi@onell unterscheidet man drei Arten: Töten aus Zorn, also wenn man jemanden nicht mag und ihn umbringt; töten aus Begierde, weil man es essen will; und töten aus Dummheit, wie beispielsweise Tieropfer. Wenn ihr ein Exemplar von Simply Being habt, könnt ihr das dort nachlesen – es steht alles drin.
Ich meine, wir müssen auch darüber nachdenken: was ist töten? Da gibt es etwas, das ich nicht mag – oder was ich schon mag; oder etwas, das ich nicht respek@ere. Das ist mit diesen drei Arten gemeint. Du bist mein Feind: ich werde dich umbringen. Du bist mein Nachtmahl: ich werde dich töten. Du bist etwas, was ich dem großen GoA im Himmel als Opfer darbringen werde – also bringe ich dich um. Aus Zorn, Begierde und Dummheit. Die drei elementaren GiFe, in Kombina@on mit dem Töten.
Diese GiFe wirken auf der Basis einer Subjekt-­‐Objekt-­‐Beziehung. Wir sehen diese Dinge als real, wir halten uns selbst für real, wir spüren einen starken inneren Impuls und wir handeln in der Welt, gegen die Welt – entweder, indem wir versuchen, die Dinge von uns wegzuschieben oder sie an uns heranzuziehen. Im Grunde ist das nichts als eine Art Manipula@on der Umstände.
Die meisten von euch sind mit der Idee vertraut, dass Unwissenheit als eine Art Unsicherheit beginnt, die sich in dem Konzept stabilisiert, das da lautet: „Ich lebe in dieser Welt, die sich von mir unterscheidet; manche Dinge in dieser Welt will ich haben und andere nicht.“ Auf diese Weise manifes@ert sich unsere Unwissenheit. Durch die Vorstellung eines separaten, isolierten Selbst in einer Welt, die sowohl feindlich als auch aufregend ist. Eine Art manisch-­‐
depressiver S@mmung, wenn man so will. Es gibt gute und schlechte Dinge, Dinge, die wir uns wünschen und Dinge, die wir fürchten. Diese Vorstellungen entstehen, weil wir uns als getrennt von der Welt erleben. Dieses Gefühl der Trennung bildet die Grundlage für die Sünden des Körpers.
Wenn wir unseren Morgenspaziergang machen und es noch ganz finster ist, sehen wir nicht, worauf wir treten, und töten zweifellos zehn oder hundert dieser kleinen Kreaturen, die da herumwandern. Wir tun das, weil wir einen Spaziergang machen wollen; also könnte man sagen: wir sind offenbar sehr gefährliche Wesen. Wir brennen den Regenwald nieder und wir sind die Ursache für alle diese Probleme. Wenn wir gute Buddhisten sein wollen, sollten wir uns in ein Gefängnis begeben und den Rest unseres Lebens dort verbringen – in einer kleinen Betonzelle, wo wir niemandem gefährlich werden können.
In gewisser Weise machen die Yogis genau das – sie ziehen sich in eine Höhle zurück. Sie begeben sich in ein Gefängnis, um zu verhindern, dass sie anderen Schwierigkeiten bereiten. Aber selbst dann ist es so, dass wenn ein Yogi nach draußen geht, um sein GeschäF in der freien Natur zu verrichten, die Exkremente aus seinem Hintern auf irgendwelche armen winzigen Insekten fallen. Als ich in einem kleinen Kloster in Manali war, gab es dort einen großen Piss-­‐Stein; und alle Mönche kamen dorthin, hoben ihre kleinen Röckchen und pissten auf diesen Stein. Mönche müssen auf Steine pissen, nicht auf die Erde. Wenn man auf die Erde pisst, tötet man womöglich Insekten. Also gab es da diesen ziemlich übel riechenden Stein im Klostergarten.
Es ist sehr, sehr schwer, nicht zu töten. Wir leben in einer Welt der Vergänglichkeit und des immerwährenden Wandels. Was unser Töten so besonders schwerwiegend macht, ist die Tatsache, dass wir das Faktum nicht akzep@eren. Und einer der Gründe, warum wir nicht zur James Low © www.simplybeing.co.uk 19
Kenntnis nehmen, dass wir töten, liegt darin, dass wir nicht akzep@eren, dass wir einmal selbst sterben werden. Geburt und Tod fließen ständig ineinander. Unser Leben basiert auf dem Sterben anderer. Selbst wenn man als reiner Vegetarier lebt, müssen Insekten bei der Herstellung unserer NahrungsmiAel sterben. Es gibt kein Mehl, ohne dass Insekten getötet werden; das ist absolut unmöglich. Jede Art von LandwirtschaF geht mit dem Töten von Insekten einher. Am Leben zu sein heißt, sich in einer Beziehung zur Welt zu befinden, in der unsere grundlegendsten Ak@vitäten sich auf irgendeine Weise gegen die Existenz anderer Lebewesen richten. Das ist einfach eine existen@elle Tatsache.
Wenn wir das akzep@eren, können wir Teil dieser Welt sein, weil wir erkennen, dass wir dieser Tatsache nicht entgegen handeln, sondern uns in einem KraFfeld von Energie befinden, wo alles, was wir tun, Konsequenzen hat. Das ist die buddhis@sche Vorstellung von Karma, von Ursache und Wirkung – dass wir uns nicht in einen kleinen isolierten Tunnel begeben und dort einfach dahin sausen können, ohne Unheil anzurichten. Es ist nicht, als würden wir in der U-­‐Bahn leben, wo alle Züge in dieselbe Richtung fahren. Es ist viel eher wie im normalen Verkehr, wo die Autos aus allen Richtungen kommen und immer wieder zusammenstoßen. Wir können es nicht vermeiden, mit anderen zu kollidieren.
Wenn wir diese Art des Tötens akzep@eren, ist das etwas anderes als bei den drei Sünden, die ich beschrieben habe, denn bei den Sünden ist ein Vorsatz mit im Spiel. Unsere Handlungen innerhalb der Welt erwachsen aus unserem Denken und wir benützen unseren Körper als Werkzeug zur Befriedigung unseres Denkens. Das ist in Wirklichkeit unsere grundlegende Situa@on. Wenn wir unseren Körper also auf diese Weise einsetzen, nehmen wir unsere eigene Erfahrung wich@ger als die der anderen.
Wenn wir in Gedanken sind und unseren Körper einsetzen, das zu bekommen, was wir wollen, schenken wir unserer eigenen Erfahrung viel mehr Beachtung als der Erfahrung der anderen. Natürlich können wir niemals direkt die Erfahrung eines anderen machen. Wir können unsere Intui@on benützen, oder unsere Empathie und einen Geschmack davon bekommen, aber im Grunde sind wir alle hier einander fremd. Einige unter euch sind ziemlich gut miteinander befreundet und wenn ihr euch trefft, könnt ihr euch über Babys oder die Arbeit unterhalten – was auch immer; und ihr könnt die Fäden eurer FreundschaF weiterspinnen, indem ihr diese Fragen stellt. Ihr lächelt und habt einen offenen Gesichtsausdruck und ihr denkt: „Ich mag diese Person“ – aber dennoch: wer ist diese Person?
Die karmische Beschaffenheit von Sünde – und ich benütze dieses Wort bewusst, weil es so schwer und biAer klingt; heutzutage mögen die Menschen dieses Wort nicht, aber es beschreibt genau dieses Sich-­‐nicht-­‐auf-­‐andere-­‐Einlassen; wir sind nicht im Einklang mit unserer Umwelt – Sünde entsteht also, wenn wir die Auswirkungen, die unsere Ak@vitäten haben, nicht beachten. Wenn man Tiere schlachtet, um sie zu essen, würden Tibeter zweifellos sagen, dass man das ganze Tier essen sollte. Viele Menschen sind der Meinung: wenn man schon ein „Fleisch-­‐Fresser“ ist, sollte man alle Teile des Tiers verspeisen. Heutzutage werden die Innereien wie das Hirn aber oF nicht mehr gegessen – das hat viele Gründe; es ist nicht sehr gesund, aber das liegt wiederum daran, dass wir Hühner und Schafe an Kühe verfüAert haben. Ein Schaf an eine Kuh zu verfüAern…! Das ist völlig pervers. Das ist die Sünde der Habsucht, der Gier nach Profit. Sehr oF vergeuden wir Dinge – wir werfen sie weg, weil uns nicht klar ist, was wir da tun. Wenn man eine Kuh schlachtet, tötet man eine reale Kreatur. Ein Steak im Supermarkt ist nicht dasselbe wie eine Kuh. Auf dem Weg von der Kuh, die auf der Wiese weidet, zum Steak, das in der Pfanne brät und so gut duFet, gibt es einen Punkt, an dem der Tod in Form einer Kugel oder eines Schlachtmessers auFriA, und dann wird die Kuh zerhackt und alle ihre Innereien werden herausgeholt. Das ist ziemlich eklig und meistens wollen wir das nicht allzu James Low © www.simplybeing.co.uk 20
genau sehen.
Die Verminderung jeder Art von Sünde entsteht dadurch, dass wir gewahr sind und gegenwär@g mit dem, was sich abspielt.
Kommentar: Kannst du das biAe wiederholen?
James: Die Verminderung von Sünde. Je deutlicher wir dessen gewahr sind, desto mehr nehmen wir der Sünde von ihrer Macht.
So viele Ak@vitäten, die unseren Körper betreffen, sind verboten oder werden verborgen. Die Menstrua@on kommt gerade erst an die Öffentlichkeit, jedenfalls in England, aber eine sehr, sehr lange Zeit hindurch war sie unsichtbar. Verhütung ist in England immer noch überwiegend Frauensache. Die Männer wollen sich mit solchen Dingen nicht wirklich auseinandersetzen. Auf diese Weise werden physische Tatsachen, Körperwirklichkeiten einfach zugedeckt. Die Menschen möchten nicht allzu viel darüber nachdenken, was sich da abspielt. Menschen, die sehr krank sind, kommen in spezielle Heime. Heutzutage pflegen wir alte oder kranke Menschen kaum mehr zu Hause. Wir verlieren daher die Verbindung zu diesen körperlichen Phasen. Viele Erwachsene haben keinen wirklichen Draht mehr zu Kindern. Babys kommen ihnen prak@sch nie unter, also sind sie nicht mit dem S@llen konfron@ert, sie müssen niemals ihre Popos auswischen; diese Art von Beziehung zum Körper fehlt ihnen.
Nur wenn man weiß, was ein Körper ist, kann man eine gesunde Beziehung zu ihm haben. Der Körper muss erforscht und akzep@ert werden so, wie er ist.
So viele reiche und mäch@ge Menschen machen es uns vor: der Körper muss schön sein. Wenn er nicht schön ist, muss er sonst irgendwie spektakulär aussehen. Der Körper wird fe@schisiert und zu einem Ding gemacht, das keinerlei Verbindung mehr hat zu Prozessen wie Essen und Kauen, oder dass irgendetwas in den Zähnen hängenbleibt, dort verroAet und schlechten Atem verursacht, oder zu diesen ganzen seltsamen Vorgängen in unserem Darm, oder zur Scheiße, die aus unseren Hintern kommt.
Nichts davon ist in der Modewelt gegenwär@g. Die eigentliche Existenz des Körpers ist immer versteckt und verboten. Der Körper als Fantasieobjekt wird mehr und mehr in den Vordergrund gerückt. Fantasiekörper sind aber gefährlich. Schöne Fantasien sind eine Sache, aber die Kehrseite der Medaille sind ganz schreckliche Fantasien. Beispielsweise die Vorstellung, dass man als Jude keine Existenzberech@gung hat. Egal, ob man ein Tutsi oder ein Hutu ist, eine Kroate oder Bosnier, ein Katholik oder Protestant – der Körper wird diesem Fantasie-­‐Namen subsumiert und deshalb darf ich ihn vernichten. Ich kann das tun, weil ich dich nicht als Körper aus Fleisch und Blut wahrnehme; ich habe keine Körper-­‐Sympathie zu dir. Ich weiß, wer du bist: Du bist bloß Abschaum. Du bist etwas anderes.
Versteht ihr, was ich meine? Sobald uns die Existenz des Körpers nicht mehr vorrangig bewusst ist , wird die physische Existenz von Ideen überlagert. Das ist die wahre Gefahr, die in der Mode lauert und die die Menschen immer mehr in ihren Bann zieht. Es ist ein Spiel mit einer Präsenta@on des Selbst, die Geburt, Alter, Krankheit und Tod verleugnet. Das ist das genaue Gegenteil von dem, was der Buddha über den Körper gesagt hat.
Wenn wir uns für den Dharma interessieren, besteht eine unserer Aufgaben darin, unseren Körper wirklich zu kennen. Wir haben das früher schon einmal besprochen. Man kann beispielsweise seinen Urin in einer Tasse sammeln und etwas vom eigenen Urin trinken. Abgesehen davon, dass das in vielen Tradi@onen als HeilmiAel gilt, ist es auch etwas, das aus dem eigenen Körper kommt. Man sollte alles kosten, was aus dem eigenen Körper kommt. James Low © www.simplybeing.co.uk 21
Man kann am Haar saugen. Macht euch damit vertraut, was ein Körper tatsächlich ist – denn sehr oF fürchten wir uns vor ihm. Wir wollen nicht sterben; wir wollen nicht alt werden. Wir betrachten Falten als einen Anschlag auf uns. Auf diese Weise versuchen wir, unseren Fantasiekörper aufrechtzuerhalten – anstelle unseres realen Körpers. Das ist Körper-­‐Unwissenheit. Sie ist der Grund für viele Sünden, die wir begehen, weil wir alles tun, um unsere Fantasie aufrecht zu erhalten. ETWAS NEHMEN, WAS EINEM NICHT GEGEBEN WURDE
Die zweite Sünde des Körpers besteht darin, etwas zu nehmen, was einem nicht gegeben wurde. Was wird uns gegeben? Wird uns die LuF gegeben? Wer gibt sie uns? Haben wir ein Recht darauf, zu atmen? Wir atmen ständig ein, wir nehmen die LuF in uns auf und atmen alle die schlechten Dinge aus unserem Körper wieder in die LuF aus. Wir nehmen die Dinge dieser Welt und benützen sie. Wer gibt uns das Recht, uns die Welt zunutze zu machen? Das ist eine sehr wich@ge Frage, weil man sich keine rechte Vorstellung vom Stehlen machen kann oder davon, was es heißt, etwas zu nehmen, was einem nicht gegeben wurde, wenn man keine Idee hat, wo die Dinge eigentlich herkommen und was es bedeutet, einen Anspruch auf etwas zu haben. Proudhon, ein Anarchist aus dem vorletzten Jahrhundert, sagte: „Eigentum ist Diebstahl“ – aber wir alle besitzen Dinge. Er war der Ansicht, dass wir die Welt immer bestehlen, weil wir sagen: „Das gehört mir, das gehört dir“; dass wir die Welt in kleine Stücke schneiden, von denen wir einige besitzen – weshalb wir andere Menschen von da verdrängen müssen.
Das ist eine ziemlich extreme Ansicht, aber sie ist der buddhis@schen Phänomenologie sehr ähnlich. Wenn wir medi@eren und uns entspannen, öffnen wir uns allem, was ist – und so gesehen können wir alles erfahren. Wenn du ein schönes Auto hast, kann ich es ansehen und mich dran erfreuen. Ich kann große Freude an deinem Auto haben, ohne dass ich es zu meinem machen muss. Ich kann alles, was mir begegnet, vollkommen genießen – und diese Freude wohnt in der Erfahrung, nicht im Besitz. Sehr oF zerstört Besitz die Erfahrung von Freude. Das ist sehr wich@g. Das ist jedenfalls eine Erfahrung, die ich selbst im Leben gemacht habe. Die Bauarbeiter, die die Wohnung unter mir renovieren, haben ihr Gerüst bis zu meinen Fenstern aufgebaut, dabei arbeiten sie nicht einmal am Haus; also rufe ich ständig in der Firma an und sage: „Nehmt eure Gerüste und Leitern von meinen Fenstern weg. Ich will nicht, dass mir jemand meine ganzen wich@gen Besitztümer klaut.“
Ich habe darüber nachgedacht: lange Zeit hindurch habe ich prak@sch nichts besessen, nur eine kleine Tasche; und jetzt gehören mir so viele Bücher und Papiere und lauter solche Sachen. Als ich meine Wohnung verließ, um hierher zu kommen, habe ich meine Buddha-­‐
Statuen angeschaut und mir gedacht: „Na ja – ich hoffe, die s@ehlt mir niemand.“ Eine ganz dumme Idee: Ich will diese Buddha-­‐Statue haben. Wenn die Buddha-­‐Statue da ist, sehe ich sie gar nicht oF an; aber die Vorstellung, dass jemand anderer sie mir nimmt, stört mich immens! Meine Sorge wird durch die Tatsache, dass sie mir gehört, vergrößert. In Indien, als ich jung und arm war, war der Buddha dieses große, offene Ding – jedermann war Buddha. Jetzt aber ist ein Buddha etwas, was ich habe und besitze.
Wir müssen wirklich darüber nachdenken – wer gibt uns das, was wir besitzen? Waren sie überhaupt dazu berech@gt? Einer der wesentlichen Faktoren der Sozialisierung ist, dass große Diebe – nicht kleine Räuber, sondern große Börsen-­‐Diebe und große Kapitalisten-­‐
Diebe, die arm begonnen haben – jetzt ihre Kinder in teure Schulen schicken und diese Kinder denken, sie seien die haute bourgeoisie. Das ist das Wesen von Sozialisierung. Es ist normal, aber ihre teure Erziehung ist im Grunde das Resultat von Diebstahl. Und wenn wir in unserer Kultur Menschen sehen, die reich sind, verehren wir sie. Es ist überall dasselbe, auch in Tibet. Räuberkönige sind Könige. Wir denken nicht darüber nach, wer die Dinge verteilt: James Low © www.simplybeing.co.uk 22
solange jemand Geld hat, ist es uns im Grunde egal, woher es kommt.
London ist voll Drogenhändler und solchen Leuten; London verkündet auch lauthals in aller Welt: „Bringt euer Drogengeld hierher.“ Frankfurt sagt das gleiche, die Schweiz hat da gewisse Vorteile. Alle diese großen Banken-­‐Zentren sind ganz begierig drauf, auf legale Weise illegal zu sein. Man kann damit einen Riesen-­‐Profit machen. Also stellt sich immer die Frage: wer gibt uns die Dinge? Was ist unser Anspruch auf die Dinge, die wir besitzen? Wo kommen sie her? Tradi@onsgemäß beten die Christen im Vaterunser: „Vater unser, der du bist im Himmel, gib uns unser täglich Brot.“ Wo kommt dieses Brot her? Es kommt von GoA. Die tradi@onell christliche Vorstellung ist eine der Vorsehung: alles kommt von GoA. Wir haben uns darüber schon einmal unterhalten, aber ich denke, dass das sehr wich@ge Überlegungen sind.
Seit der Französischen Revolu@on und der Entwicklung der Moderne, einer humanis@schen Bewegung, glauben die Menschen, dass sie die Schöpfer der Dinge sind; oder jedenfalls: wenn wir schon nicht ihre Schöpfer sind, so sind wir doch die Erben des Besitzrechtes über die Erde. Aber alle tradi@onelleren Kulturen sagen, dass wir alles von jemandem bekommen. Wir sind bestenfalls Verwalter, eine Art Hausmeister dieses Besitzes, den wir geerbt haben. In Wirklichkeit gehört er GoA, und es ist unsere Pflicht, ihn an andere Menschen weiterzugeben. Aber unsere moderne, individualis@sche, besitzergreifende Kultur sieht das anders. Die behauptet, die Dinge wären das Eigentum desjenigen, dem es gelingt, sie an sich zu raffen – je besser man also im Raffen ist, desto mehr besitzt man. Besitzanspruch ist ein Recht. Wenn du etwas in Händen hältst, gehört es dir. Wir kennen das von außergerichtlichen Einigungen. Im Englischen sagen wir: „Besitztum ist neun Zehntel des Gesetzes.“ Soviel zum Thema „nehmen, was uns nicht gegeben wurde“…
Buddhis@sche Texte erwähnen auch das Bestehlen von Heiligen oder Diebstahl, den man mit Hilfe von schmeichelnden Worten begeht. Es gibt viele verschiedene Arten, zu stehlen und die unterschiedlichsten Menschen, die wir bestehlen können, aber das Wich@gste an der Sache ist unser Verhältnis zur Welt. Stehen wir in einer respektvollen Beziehung zu ihr? Ziehen wir Nutzen aus dem, was wir haben?
Einer der wesentlichsten Faktoren heutzutage, zumindest für die Menschen im Westen, ist, dass wir viel, viel mehr Dinge besitzen, als wir benützen können. Mir gehören miAlerweile so viele Bücher, dass ich niemals alle lesen werde, aber ich kann nicht auyören, neue zu kaufen, weil sie alle so interessant aussehen. Ich besitze so viele Paar Schuhe – ich schaue sie an und denke: „Warum gehören mir alle diese Schuhe?“ Natürlich – manchmal brauche ich sie, aber im Grunde sollten zwei Paar Schuhe ausreichend sein. Wir besitzen alle diese vielen Dinge, die wir nicht brauchen.
Was ist der Zweck dahinter? Sie dienen uns als eine Art Symbol für unsere Sicherheit, für unsere Geborgenheit. „Ich werde immer vermögend sein, ich werde es immer leicht haben im Leben, ich werde niemals alt werden, ich werde nie hilflos sein, weil ich das alles besitze.“ Das ist die Fantasie, die da dahinter steckt. Wir werden alt und wenn wir sterben, werden wir womöglich in einem guten Anzug begraben. In England sagen die Leute oF, wenn sie etwas kaufen gehen: „Ach, das Stück da wird mich hinausbegleiten.“ Oder sie kaufen einen neuen Anzug und denken: „In dem werden sie mich begraben.“ Wie viele Dinge dieser Welt brauchst du? Wie viele Dinge willst du zurücklassen? Einen ganzen großen Kasten voller Dinge?
Wollen wir uns nahezu unsichtbar durch die Welt bewegen? Indem wir die Dinge zwar auf respektvolle Weise benützen, aber kaum Spuren hinterlassen? Ein bisschen so wie die Nomaden in Nord-­‐Afrika. Die meisten Nomadenvölker sind stolz darauf, keinerlei Spuren zu hinterlassen. Sehr oF graben sie ein Loch für die Feuerstelle, das sie dann wieder zudecken. James Low © www.simplybeing.co.uk 23
Es geht darum, keine Spuren zu hinterlassen und diese Vorstellung wird oF auch im Hinblick auf Yogis gebraucht: dass sie wie eine Sternschnuppe über den Himmel ziehen. Während wir sehr oF Spuren hinterlassen wollen; wir wollen der Welt in irgendeiner Form unserem Stempel aufdrücken, wir möchten, dass die Menschen sich an uns erinnern. Aber Akte der Zuwendung können ganz unsichtbar vonstaAen gehen, wir müssen sie nicht ankündigen, wir brauchen dazu keinerlei Titel. Wenn wir auf diese Weise unsichtbar bleiben, können wir vielleicht mit einer größeren Anzahl von Menschen in Beziehung treten.
Obwohl diese Dinge uns in Form von langen Listen mit Regeln präsen@ert werden, ist die zentrale Frage immer: Wie viel brauche ich? Was nehme ich mir von der Welt? Die beste Kompensa@on fürs Nehmen ist das Geben; wenn wir also nehmen, sollten wir auch etwas zurückgeben – auf diese Weise können wir vielleicht einen Ausgleich schaffen. Wenn wir zu viel nehmen, macht uns das traurig. Wenn wir nicht genug nehmen, sind wir anderen gegenüber, die etwas besitzen, oF neidisch und fühlen uns frustriert. Viele Menschen sind sehr zurückhaltend – sie würden gerne etwas haben, aber sie trauen sich nicht, danach zu fragen; und dann schauen sie mit großen Augen denen zu, die diese Dinge besitzen und sie genießen. Das kommt auch sehr häufig vor. Es gibt Menschen, die auf das Angebot: „Ich habe eine Freikarte. Möchte jemand sie haben?“ reagieren, indem sie denken: „Ach, häAe ich doch nur was gesagt!“ Der Wunsch kommt zu spät. Seine Wünsche nicht äußern zu können, ist in gewisser Weise so schlimm, wie sie zu oF zu äußern. Es geht darum, die Balance zu finden, sodass wir die Dinge zwar benutzen, dadurch aber sowohl uns selbst als auch anderen Menschen nützen.
Kommentar: Hast du gesagt, es sei nicht so schlimm?
James: Ja – die Dinge zu benützen ist nicht schlimm. Es ist nicht an sich etwas Schlechtes.
SEXUELLES VERHALTEN
Der driAe Punkt, was den Körper betrifft, ist die Sexualität. Der Körper ist immer sexuell. Heutzutage gibt es diese Scan-­‐Verfahren, da ist das nicht mehr so ein Thema, aber tradi@onell haben die Menschen bei der Geburt eines Babys als erstes auf das Gesicht geschaut: ist alles dran? Sie zählen die Finger und sehen nach, was sich zwischen den Beinen tut, weil das eine ganz wich@ge Determinante ist. Von ihr hängt der Name ab, die Iden@tät, der Status. In vielen Ländern sagen alle, wenn da so was Längliches baumelt: „Hey!!“ und wenn nichts baumelt, sagen sie: „Oooh…“ So sind viele Kulturen eingestellt. Gender und Sexualität bes@mmen unser Leben – vom ersten Augenblick an.
Wie sollen wir mit sexueller Energie umgehen? Das ist eine wich@ge Frage. Der Grund, warum die Theravada-­‐Schule im Sex etwas Schlechtes sieht, liegt in seiner Macht, Unruhe zu s@Fen. Lust und Begierde lassen sich nicht kontrollieren. Man kann die Lust „abdrehen“, aber wenn man in einem Zustand des Begehrens ist, gerät sie in Bewegung; sie ist kein ra@onales Phänomen. Begehren ist grundsätzlich irra@onal. Es bedarf einer großen Anstrengung, zu lernen, wie man mit der Irra@onalität umgehen und mit ihr arbeiten kann. Nur mit dem Denken geht das nicht.
[Kurze Unterbrechung, während das Band gewechselt wird].
In der Theravada-­‐Schule wird versucht, sie abzuschneiden; deshalb ist Sex für sie ein bisschen so wie für die Katholiken: Sex dient der Fortpflanzung, weil das Element der Lust im Sex einen vom Weg abbringen kann. Wenn es einem gelingt, die Sache so einfach zu sehen, ist das nicht weiter schlimm. Aber wenn man beginnt, Sex als etwas Lustvolles zu erleben, was macht man dann mit dieser Lust? Wie jede Art von Appe@t kann sie wachsen, stärker James Low © www.simplybeing.co.uk 24
werden und man verbringt dann seine Zeit damit, an Sex zu denken, was dazu führen kann, dass das eigene Leben ganz unkrea@v wird, weil es die Menschen aus ihrer Alltags-­‐Existenz wirF. Ganz klar – der zentrale Punkt ist: können wir mit diesen Grenzen umgehen? Darum geht’s. Wir müssen uns vergegenwär@gen, dass diese Regeln in Kulturen niedergeschrieben wurden, in denen es prak@sch keine VerhütungsmiAel gab. Schwanger zu werden war eine ganz reale Gefahr. Es war eine absolute Gefahr für die Frauen, aber auch für Männer – aus allen möglichen Gründen, vor allem aber wegen der Rache. Sex hat einen in Schwierigkeiten gebracht. Heutzutage, mit wirksamen MiAeln zur Empfängnisverhütung, ist dieses Element der Angst aus dem Leben der meisten Menschen verschwunden – jedenfalls im Westen.
RESPEKT
Als nächstes geht es um Respekt. Verflüch@gt sich der Respekt vor der gesamten Person im Zyklus sexueller Erregung? Ein Großteil der sexuellen Verbundenheit wird fe@schisiert. Beispielsweise haben die Menschen hier im Raum vermutlich alle unterschiedliche ero@sche Gefühle. Manche Personen werden uns sexuell mehr interessieren als andere. Aus westlicher Perspek@ve hängt das sehr stark von unserer frühkindlichen Prägung in Bezug auf Sexualität ab; oder wir könnten auch sagen: von unserer karmischen Prägung. Was auch immer der Grund dafür ist – manche Menschen interessieren uns mehr als andere.
Warum ist das so? Man kann das nicht in Form eines Computer-­‐Printouts darstellen. Es ist einfach so, dass manche Menschen für uns etwas Faszinierendes haben; aber wahrscheinlich erscheinen uns zu verschiedenen Tageszeiten unterschiedliche Menschen interessant. Das ist sehr variabel. Diese Art von Anziehung ist sehr verstörend. Das, was uns an Menschen sexuell anzieht, ist vielleicht nur ein Teil ihrer Person. Vielleicht ist es die Form ihrer Backenknochen, oder ihrer Brüste oder des Hinterteils, oder es könnte sich um etwas dominant Sexuelles handeln oder einfach um den Klang ihrer S@mme. Es kann alles Mögliche sein. Unsere Beziehung gilt dann nur einem Aspekt dieser Person, nicht ihrer Gesamtheit. Deshalb hat ganz viel Sex – obwohl es dabei um In@mität geht – nicht wirklich etwas mit einer Beziehung zum Anderen zu tun. Es geht vielmehr um die Erregung, die von einem bes@mmten Merkmal ausgelöst wird. Das ist gefährlich, weil man auf dieser Basis andere Menschen leicht verletzt – vielleicht will man mit ihnen schlafen, weil sie einen in bes@mmter Hinsicht interessieren, aber wenn man einmal Sex mit ihnen gehabt hat, interessieren sie einen nicht mehr. Die meisten von uns haben das vermutlich schon einmal erlebt – und das ist danach immer sehr traurig. Vielleicht hat man geglaubt, verliebt zu sein, aber im Nachhinein wird einem klar, dass man sich in einer Art Obsession verfangen hat, die mehr mit unserer Beziehung zu unseren Gedanken oder Erinnerungen zu tun hat, als mit der Person, mit der wir zusammen waren. Ich glaube, das ist eine recht häufige Erfahrung.
Die Sünden des Körpers haben viel mehr damit zu tun, einen Menschen nicht in seiner Gesamtheit zu erleben. Wir haben Sex mit Körpern, mit Personen, aber es handelt sich dabei immer um einen Menschen, der in einem Körper lebt. Diese Offenheit der Gesamtheit einer Person gegenüber ist sehr selten. Vor allem anderen den Menschen zu sehen, ihn zu respek@eren, ist ganz, ganz wich@g.
WAS IST EIN KÖRPER?
Was ist ein Körper? Ohne Frage – wir haben alle einen Körper. Wir können ihn berühren – beispielsweise so: ich klopfe auf meine Knie. Ich weiß nicht, warum – aber ich tue es. Ich klopfe also auf meine Knie. Es macht mir nichts aus, auf meinen Knien herumzuklopfen, weil es ja mein Körper ist. Wenn jemand anderer käme und anfinge, auf meine Knie zu klopfen, würde ich vielleicht fragen: „Oy! Warum machst du das?“ Ich habe eine ganz besondere James Low © www.simplybeing.co.uk 25
Beziehung zu meinem Körper; ich gestaAe mir, Dinge mit ihm anzustellen, die ich von niemand anderem akzep@eren würde. Selbst wenn ich bis über beide Ohren verliebt wäre, würde ich vermutlich nicht wollen, dass diese Person mir die Zähne putzt. Ich will mir selbst die Zähne putzen.
Dieser Körper ist ein äußerst komplexer privater Bereich von allerlei Arten von Erinnerungen, Gewohnheiten und Charakterzügen; und unsere Beziehung zu ihm ist höchst privater Natur. Im s@llen Kämmerlein tun wir Dinge mit unserem Körper, von denen wir nicht wollen, dass andere Menschen etwas davon erfahren. Der Körper ist eine sehr spezielle Domäne. Er ist auch der Ort, wo wir am öffentlichsten werden, weil die Menschen unseren Körper sehen können, selbst wenn wir nicht sprechen oder ihre Aufmerksamkeit erregen wollen.
Der Körper ist ein Ding – und ist es gleichzei@g auch nicht. In unserer Kultur wird die DinghaFigkeit des Körpers betont. Wir haben im Fernsehen und auf Fotos schon oF Bilder von Körpern als Ding gesehen: sexualisierte Dinge, wie in der Werbung; aber auch schreckliche Dinge, wie Körper bei einem Autounfall, in Konzentra@onslagern, in Sarajevo und dergleichen mehr. Der Prozess, der einen lebendigen Körper in ein totes Ding verwandelt, ist uns also recht vertraut. Vermutlich haben wir auch schon viele Filme gesehen, in denen Leute die Körper anderer Menschen als Dinge behandeln. Und wahrscheinlich haben wir auch selbst schon einmal die Erfahrung gemacht, dass andere Menschen unseren Körper als Ding benutzten – im Zusammenhang mit Gewalt, mit Sex, was auch immer. Vielleicht ist es das, worauf Ulrike gestern hingewiesen hat: in der Schule, auf dem Spielplatz, sehen wir oF, wie die Körper von Kindern von anderen zu einem Ding gemacht werden – ein Ding, das man schlagen, dem man etwas wegnehmen kann, oder was auch immer; aber all dem wohnt keinerlei Vorstellung von einer lebendigen Person inne.
Aus der Sicht von Yoga, Tantra und vor allem auch im Dzogchen wird der Körper als ein Prozess der Manifesta@on wahrgenommen; er ist die Manifesta@on der Energie der Realität. Die innerste Natur der Welt wird als unendlich gesehen, als offene Leere; aber sie ist nicht von allem leer, weil die Energie sich fortwährend manifes@ert – und zwar in der Form der Welt, die wir erleben; und im Speziellen als unser Körper.
Auf diese Weise können wir sehen, wie die Form unserer Erfahrung immer dynamisch und in Bewegung ist.
Wir können hier in die Hügel spazieren und einen Fluss beobachten, der dahinfließt. Das Wasser bewegt sich, es ist im Fluss und wir können feststellen, dass Wasser etwas sehr Dynamisches ist – aber wir können auch Steine nehmen und am Ufer einen kleinen Wall errichten und einen kleinen Tümpel bilden. Hier wird das Wasser plötzlich ganz s@ll. Direkt neben dem bewegten Wasser gibt es hier jetzt ein ganz s@lles Wasser. Wenn man ins s@lle Wasser schaut, kann man sich nicht vorstellen, dass es sich bewegen könnte. Man denkt vielleicht: “Wasser steht; das entspricht seinem Wesen. Wasser bewegt sich nicht. Es steht einfach hier.“
Genau so ist es mit uns selbst. Wenn wir uns auf „mich“ konzentrieren, auf „meinen Körper“, werden wir wie ein stehendes Gewässer. Es scheint, als stünden wir s@ll, als gäbe es keine Veränderung. „Ich bin nur ich“ – aber im Grunde ist dieses „Ich bin nur ich“ eine Momentaufnahme innerhalb der Bewegung des Flusses. Es ist kein abgetrennter Tümpel. Es ist vielmehr wie eine Serie von Fotos oder ein Film – wenn man ihn anhält, den Pausenknopf drückt, bekommt man ein Standbild. Wir sind unablässig in einem Prozess begriffen, aber wir nehmen uns die meiste Zeit wahr, als wären wir Standbilder.
Wir reduzieren uns auf eine Art Essenz von uns selbst und verhalten uns zu ihr, als wäre sie ein Ding. Dadurch erleben wir unsere Beziehung zur Welt als zu einem fixierten, James Low © www.simplybeing.co.uk 26
unabänderlichen Objekt. „Ich habe Hunger. Ich muss was essen.“ „Ich bin einsam. Ich möchte bei dir sein.“ „Ich brauche das, also nehme ich es mir.“ Von diesem „Ich“ wird gesprochen, als wäre es ein Ding. „Ich musste das tun.“ Dieses Ich erhält dadurch Substanz, eine gewich@ge Bedeutung, eine Anspruchsberech@gung – und Kinder nehmen das schon sehr früh wahr. „Aber ich will, dass du…!“. „Ich will!“, insis@ert das Ich – aber was ist dieses „Ich“? Wenn wir so etwas sagen, fühlt sich das sehr, sehr schwer an.
DIE FÜNF ELEMENTE
Eine andere Sichtweise wäre, diesen unablässigen Prozess der fünf Elemente wahrzunehmen – Raum, der sich in Wind verwandelt, in Feuer, in Wasser und in Erde; und dass jeglicher Aspekt unseres Selbst miAels jedes dieser Elemente erfahren werden kann. Wenn wir beispielsweise über Vergänglichkeit nachdenken und unseren Körper betrachten, ihn bis zur Ebene der Atome hin untersuchen, zeigt sich, dass wir im Grunde nichts als Raum sind; aber wir sind nicht nur Raum – weil wir uns laufend manifes@eren. Aus dem Raum kommt die Bewegung des Atems, das Feuer der Leber und des Herzens, das Wasserelement des Bluts und der Schleime, die sich durch den Körper bewegen, und das Erd-­‐Element der Knochen. Das gilt auch aus psychologischer Sicht: wenn wir gesund und glücklich sind, ist unser Geist unbeschwert und die fünf Elemente sind in Balance.
DIE FÜNF GIFTE
Wenn wir aber unter den Einfluss der fünf GiFe geraten – wenn wir sehr zornig sind oder starke Begierden verspüren, unter Eifersucht leiden oder stolz sind – entsteht eine Konzentra@on in eine Art von Erd-­‐Element, wie wenn wir sagen: „Ich bin stocksauer auf dich! Ich bin rich@g wütend auf dich!“ Das „Ich“ bekommt da eine große Schwere, es verdickt sich wie Kondensmilch, es wird ganz kompakt. Begierden sind so. Im Englischen sagt man „cloying“ – pick-­‐süß, es vermiAelt dieses klebrige Gefühl, man kommt nicht los davon. Man verwickelt sich darin. Es hat eine obsessive Qualität. So geht es uns auch mit Eifersucht und Stolz.
Wir können uns allerdings bemühen, die fünf Elemente immer wieder neu zu integrieren. Wenn wir das tun, hören wir deshalb nicht auf, wütend zu sein; wir werden unsere Begierden oder die Eifersucht oder den Stolz nicht los, aber wir geraten nicht in die Falle dieser konzentrierten Form. Wir spüren die Konzentra@on und können sie wieder in den Raum hinein entspannen. Es entsteht, wenn man so will, eine Art ver@kales Pulsieren zwischen diesem Raum, dem Wind, dem Feuer, dem Wasser und der Erde, das die zunehmende Konzentra@on auf der horizontalen Ebene auflöst, die entsteht, wenn ich mich beispielsweise über jemanden ärgere, der ganz „Erde“ zu sein scheint – dann fühle ich mich auch ganz wie Erde und wir stoßen zusammen. Natürlich – wenn jemand auf uns wütend ist, bewegen wir uns auch ins Erdelement, oder? Wir erschrecken und denken: „Ach du liebe Güte!“ Der Körper macht das automa@sch, die Muskeln spannen sich an, wir denken: „Ach du grüne Kacke – was wird jetzt geschehen?“
Vielleicht haben wir in der Arbeit Schwierigkeiten – wir bekommen zum Beispiel eine No@z: „Der Chef möchte dich sprechen.“ „Oh Scheiße!“ Man kann es im Körper spüren, wie die Erde sich zusammenzieht, die Angst vor Vernichtung; „Ich werde meinen Job verlieren!“ Man wird gestrichen. Da ist man nun, in diese Firma quasi eingestöpselt – und plötzlich geht’s schnipp, schnapp – und man ist draußen, auf Wiedersehen! Und das ist sehr furchterregend, weil man sich dann als ein Ding fühlt, das abgeschniAen wurde.
Diejenigen unter euch, die schon Erfahrung mit dem Tod innerhalb der Familie gemacht haben, von Eltern, Kindern oder geliebten Menschen, kennen das Gefühl – wie hart und kompakt man wird, wenn man jemanden auf diese Weise sehr vermisst. Wenn ihr das Gefühl James Low © www.simplybeing.co.uk 27
kennt, wisst ihr, dass es sich ganz „fest“ anfühlt, so traurig zu sein; sehr schwer. Vielleicht sagt man das im Deutschen auch so – im Englischen sprechen wir davon, „schwer vor Trauer“ zu sein; man wird „niedergedrückt“ von der „Last der Trauer“. Das liegt am Gefühl, abgeschniAen zu sein. Solange die Menschen lebendig sind und wir mit ihnen beisammen sein können, ist alles ganz lebhaF und energiegeladen. Aber wenn sie nicht mehr da sind, bleibt man mit dieser ganzen Energie zurück, mit der man nicht mehr spielen kann; und sie wird zu dieser schweren Bürde, zu dieser drückenden Last. Die Hoffnung besteht, dass man eines Tages jemand anderen trifft und sich die Sache wieder zu lockern beginnt.
Für Menschen, die durch die Liebe verletzt wurden und sich daher zurückziehen und abschoAen, fühlt es sich wie eine Art Frühling an, wenn sie sich erneut verlieben. Es ist, als würden sie aus dem Winter erwachen. Winter ist wie eine Art Verdichtung, oder? Wir würden sagen: die Erd-­‐Natur sinkt in sich selbst zurück. Alles fällt von den Bäumen, die eine Erweiterung in den Raum hinein darstellen, und sinkt zurück in die Erde.
Im Dzogchen versuchen wir, uns ständig mit der Erfahrung des Körpers als einer Energie zu verbinden und uns des Augenblicks bewusst zu werden, wenn Gedanken, Gefühle oder Empfindungen sehr schwer werden. Diese Schwere zeigt, dass wir den Fluss unseres Seins verlassen haben; wir sind in einen kleinen Tümpel geraten. Aber wenn es uns gelingt, uns einfach zu entspannen und in den Strom zurückzuspringen, sind wir gleich wieder miAendrin im Tanz des Lebens und gehen mit der Bewegung von allem mit, was sich gerade abspielt. Das klingt ziemlich roman@sch, oder?
Ein ganz wich@ger Punkt ist der: wenn es uns gelingt, entspannt und gegenüber dem Fluss der Dinge offen zu bleiben, werden wir nicht zu schlechten Ak@vität hingezogen. Wenn wir uns zu@efst in unser Wesen hinein entspannen, reguliert es sich selbst. Die meisten Tiere fressen, was sie brauchen und halten sich keine großen Vorräte. Wenn die Eichkätzchen sehr ak@v werden, sagen wir: „Oh je – das wird ein kalter Winter!“, weil die Menschen über die Jahre hin beobachtet haben, dass die Tiere nur dann viel Nahrung verscharren, wenn ihr Ins@nkt ihnen einen harten Winter ankündigt; wenn nicht, vergraben sie nicht so viel. Es funk@oniert eher nach dem Prinzip: „Wie gewonnen, so zerronnen“. Genauso wie diese hübsche Katze, die hier wohnt – das ist auch eine sehr neAe Möglichkeit, über Dzogchen nachzudenken. Sich einfach durch die Dinge hindurch bewegen und sie nicht zu ernst nehmen. Wenn es gut ist, ist es gut; ist es schlecht, dann ist es eben schlecht. Und Katzen wissen genau, wann sie genug haben. Sie kommen und setzen sich auf unseren Schoß und dann wird ihnen langweilig. Wir wollen sie noch dabehalten, aber wir haben nicht die Gabe, Katzen zu verführen. Sie verführen uns die ganze Zeit, aber dann schlüpfen sie hinaus und sind verschwunden.
Das ist etwas, was jeder für sich untersuchen kann. Sind wir nicht bessere Menschen, wenn wir entspannt sind? Werden wir dann auch so wütend? Oder so eifersüch@g oder stolz? Wenn man sich einfach darüber freut, einen Vogel singen zu hören, hört man den Vogel. Aber wenn wir gerade von jemandem träumen oder etwas haben wollen, dann mögen wir es nicht, wenn der Vogel singt. Wir können dann nicht mit den Dingen gegenwär@g sein, weil wir schon bei etwas anderem sind. Das ist das Problem mit der Geistesabwesenheit. Wir sind geistesabwesend. Geistesabwesend zu sein bedeutet, dass wir von einem Ding ganz erfüllt sind; in unserem Inneren ist ein Ding, auf das wir fixiert sind und so haben wir nicht mehr die Freiheit, einfach zu fließen. Wie der Buddha sagte: alles Leiden entsteht aus der AnhaFung, denn es ist die AnhaFung, die uns aus dem gegenwär@gen Augenblick herausholt und in die Vergangenheit oder in die ZukunF zieht. Je mehr wir uns entspannen, desto mehr können wir das genießen, was gerade ist; und wenn wir das genießen, was gerade da ist, haben wir kein so verzweifeltes Verlangen mehr nach anderen, zusätzlichen Dingen. Und wenn wir alles zurücklassen müssen, lassen wir es einfach da.
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Wenn wir Übungen machen, medi@eren und prak@zieren, den Körper als Energie zu erleben, ist das Wesentliche daran, dass jeder das für sich selbst ausprobiert. Es geht nicht um Konzepte: Wenn wir Tee trinken, erforschen wir den Vorgang des Teetrinkens. Wenn wir auf die ToileAe gehen, untersuchen wir diesen Vorgang vom Blickwinkel der Energie aus gesehen. Was geht vor sich? Wenn wir pissen, kommt dieses Wasser aus uns geflossen; und später trinken wir etwas und führen uns wieder Wasser zu – und dieser Prozess, das sind wir. Die ganze Zeit atmen wir ein und aus, daran gibt es keinerlei Zweifel. Fühlt euren Puls, fühlt einfach euren Herzschlag, legt die Hand auf’s Herz. Boom, boom – fühlt es in eurem Hals. Das geht ständig vor sich. Gedanken, Gefühle, Erfahrungen.
Gleichzei@g haben wir diese machtvollen organisierenden Gedanken, die uns sagen, wer wir sind. Was wir nun versuchen ist, die Aufmerksamkeit immer mehr auf die phänomenologische Basis unserer Erfahrung zu lenken, also auf das, was tatsächlich da ist, und die Realität des Gegenwär@gen als GegenmiAel einzusetzen, um die Macht der Vorannahmen und Konzepte zu schwächen, die wir geerbt haben, die uns sagen, wer wir sind und wer wir sein sollten. Die meisten von uns sind damit beschäFigt, ihr Leben aus Ideen zu konstruieren, anstaA aus direkter Erfahrung; aber Dzogchen sagt ganz deutlich: Wenn wir nicht wirklich in allem sein können, was wir sind – wo sind wir dann?
Ein gewisser Lama erzählt mir zum Beispiel immer von seinen Eingeweiden. Er spricht immer viel über seinen Bauch und wie seine Scheiße beschaffen ist und ich haAe jahrelang gehofft, er würde mir eine Dharma-­‐Geschichte erzählen, oder eine großar@ge Belehrung geben. Aber er interessiert sich für seinen Körper; für seinen eigenen Zustand und den kommen@ert er dann. Viele der Dinge, die er sagt, drücken einfach aus: „So bin ich.“ Aber mich interessiert nicht, wie er ist! Ich will, dass er mir dieses Dharma-­‐Ding gibt, das ich mitnehmen kann, weil ich mich mit diesen Dharma-­‐Ideen ganz anfüllen möchte. Es ist sonderbar – wie kleine Eichkätzchen lagern wir dieses ganze Wissen irgendwo ein, als wäre es die wahre Realität. Aber ein Teil unserer Realität ist genau, wie sich unser Bauch gerade anfühlt, wie wir schlafen und wir sprechen auch oF darüber, indem wir eine Art soziales Format benützen: „Wie hast du denn geschlafen?“ – oder wie auch immer. Aber in Wirklichkeit ist „Wie hast du geschlafen?“ eine sehr reale Frage. „Wie isst du?“
Die fak@sche Realität des Körpers ist etwas sehr Profundes und das ganzheitliche Verhältnis von Körper und Geist steht in diametralem Gegensatz zu der Art, wie unsere Kultur des Westens Körper und Geist auseinanderdividiert und dem Geist, der die Konzepte entwickelt, die VorherrschaF über den Körper eingeräumt hat. Es ist ziemlich mühsam, diese Integra@on zu prak@zieren, und wir werden in diesem Zusammenhang einiges gemeinsam machen.
Für uns fühlt es sich so an, als wäre der Körper als die Erfahrung der fünf Elemente präsent, aber er ist auch das Medium, mit dessen Hilfe wir in der Welt handeln und auf sie einwirken. Eines der Dinge, das dadurch besonders hervorgehoben wird – durch die Beschaffenheit unseres Körpers in Bezug auf Gesundheit oder Schönheit, etc.; durch die Charakteris@k und Beschaffenheit unseres Körpers wie auch unserer Ak@vitäten – ist die Tatsache, dass das Leben nicht fair ist. Das Leben ist unfair und was wir daraus lernen können, ist, denke ich, eines der wich@gsten Dinge überhaupt.
Ich war unlängst bei einem Psychotherapie-­‐Treffen in London; bei einer ZusammenkunF von Therapeuten, die alle demselben psychoanaly@schen Ins@tut angehören. Die Menschen, die dieses Ins@tut vor ca. dreißig Jahren gegründet haAen, heißen „Members“ – es gibt etwa zehn von ihnen; und alle anderen, die dort ihren Abschluss gemacht haben, heißen „Associates“ dieser Vereinigung. Einige der Associates sagten: „Ich habe hart gearbeitet. Ich habe viel geschafft. Ich möchte auch ein Member sein.“ Die Members sagten – freundlich formuliert: „Nun macht mal halblang!“ Sehr höflich, mit jeder Menge analy@scher Verbrämung.
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Die Members sind jene Leute, die die Organisa@on ins Leben gerufen haben, die am längsten Mitglieder sind, die, wenn man so will, die meiste Erfahrung haben; sie sind sozusagen die Träger der Tradi@ons-­‐Linie und sie geben die Überlieferung dieser Linie weiter. Sie haben natürlich auch Probleme; sie sind nicht immer weise, sie machen Fehler – aber das kann einem @be@schen Lama auch passieren. Aber ihnen eignet so etwas wie ein Erfahrungs-­‐
Des@llat. Aus dieser gesammelten Erfahrung heraus laden sie manche Leute ein, dazu zu stoßen, und andere nicht.
Genauso funk@oniert die Übertragung des Dharmas. Die Lehrer sagen zu ihren Schülern: „Ich erkenne dich als einen Erben des Dharma an“, oder wie auch immer sie das formulieren – oder sie sagen das nicht. Es passiert oF bei einer solchen Übertragung, dass andere Menschen eifersüch@g oder traurig werden. Das berühmteste Beispiel dafür – ich glaube, wir haben darüber schon einmal gesprochen – ist die Geschichte des Sechsten Patriarchen der Ch’an Buddhisten in China, der sofort nachdem er von seinem Lehrer zum Patriarchen ernannt wurde, aus dem Kloster flüchten und sich verstecken musste, weil die Mönche ihn sonst getötet häAen. Er trug sein kleines Mönchsgewand und lief hinauf in die Berge und wanderte herum wie ein BeAler. Er war Erbe von Chinas zentraler Dharma-­‐Lehre, aber auf Grund der Eifersucht anderer Leute musste er sich verstecken.
In seinem Kloster haAe es einen Abt gegeben, einen ranghohen Mönch, der schon sehr viele Jahre dort gelebt und vieles bewirkt haAe und der der engste Schüler des FünFen Patriarchen gewesen war. In dieser Form der Übertragung muss jeder der Kandidaten ein kleines Gedicht verfassen; also schrieb der Abt ein Gedicht und auch Hui Neng, der spätere Sechste Patriarch, schrieb eines – und Hui Nengs Gedicht war einfach vollkommen. Es war auch ein Seitenhieb auf das Gedicht des Abts, weil es zeigte, dass dessen Gedicht leerer Unsinn war; einfach Worte, die er einmal irgendwo gehört haAe, ohne dass er sie verstand. Aber die Mönche des Klosters liebten ihren Abt und waren sehr unglücklich, dass er nicht erwählt wurde. Das funk@oniert genau nach dem gleichen System. Der Abt ist viele Jahre lang im Amt, er ist sehr hilfreich und tut viel Gutes, aber er wird nicht der nächste Patriarch. Also ist er es nicht geworden.
So geht es im Leben. Wir können hart arbeiten, mit vollem Einsatz, aber wir werden „es“ nicht. Wir haben nicht das Glück. Wir passen nicht. So gesehen ist das Leben unfair. Man kann das nicht nach den Prinzipien von Ursache und Wirkung berechnen: Wenn ich so arbeite, dann… Die Psychotherapeuten sagen: „Aber ich bin Mitglied all dieser Komitees, ich habe viel mehr gearbeitet als die Members! Warum kann ich kein Member sein?“ Aber darum geht es nicht. Es geht um etwas ganz anderes. Diejenigen, die „es“ haben, laden andere ein – oder nicht. Und wenn sie einen nicht einladen, kommt man nicht rein. Das führt uns zurück in die Zeit, als wir Kinder waren auf dem Spielplatz der Schule; man will mit den anderen spielen und sie lassen einen links liegen. Wir alle kennen dieses Gefühl, und wir wissen auch, wie wunderbar es ist, dazuzugehören. Das führt dann dazu, dass wir sagen: „Nein, nein, wir sind hier herinnen und machen das“, und einen ganz kleinen Kreis bilden.
Der Körper ist der Ort, an dem sich ganz viele dieser Dinge abspielen. Im Westen wurde der Glaube an die VernunF, die Funk@on der Ra@o – an und für sich keine schlechte Sache – dermaßen überhöht, dass dadurch die Idee entstand, die Demokra@e könne die Welt strukturieren und sie zu einem wohl geordneten Ort machen, wo jeder das bekommt, was er braucht. Es ist mir aufgefallen, dass auch hier Kaffee serviert wird, der aus einem „Fair Trade“ GeschäF stammt… Fair Trade gibt es in England auch; wir versuchen so, den armen Kaffeebauern in Kolumbien, oder wo auch immer, zu helfen, sodass sie direkt profi@eren können. Aber es gelingt natürlich nicht jedem Kaffeebauern in Kolumbien, dieser Organisa@on beizutreten. Also wird nach kurzer Zeit die „Fairness“ zu einem Privileg. Die Welt ist nicht fair.
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Kommentar: Aber warum ist die Welt nicht fair? Wo kommt das her?
James: Das ist eine gute Frage.
Kommentar: Denn ich kann das nicht wirklich akzep@eren, zu sagen, die Welt sei nicht fair. Okay – die Welt mag nicht fair sein, aber wodurch können wir das ändern? Ich weiß es nicht.
James: Deine Frage ist sehr gut und die Art, wie du sie stellst, zeugt von jener modernen Dynamik, die versucht, die Dinge fair zu gestalten, die wiederum unserer ra@onalis@schen Erziehung entstammt, die als GegenmiAel oder Kontrapunkt zur christlichen Idee von GoAes Gnade oder der Vorsehung entwickelt wurde. Der Herr wird für uns sorgen. Insh’Allah. Jede Religion, die ich kenne, jede der großen Religionen ist im Prinzip passiv in ihrer Ausrichtung. Sie sagt: wie immer die Welt auch sei, es ist unsere Aufgabe, das zu akzep@eren, es wahrzunehmen, uns dem zu öffnen, aber nicht zu versuchen, es zu sehr zu verändern. Unterschiedliche Religionen haben unterschiedliche Begründungen dafür, aber die zentrale buddhis@sche Vorstellung ist: wenn du dich in die Welt verstrickst in dem Versuch, sie zu verändern, ist das wie Honig – es bleibt alles kleben. Es wird dir heiß werden, du wirst dich aufregen, du wirst dich herumgestoßen fühlen – wie diese armen Psychotherapeuten. Was sie sagten, war absolut rich@g. Sie haAen sehr hart gearbeitet, aber die Welt war nicht so, wie sie es sich vorstellt haAen.
Um die Welt so zu verändern, wie sie das gerne möchten – und es wird ihnen möglicherweise gelingen, sie werden genügend Leute finden und darüber abs@mmen – zerstören sie die Welt anderer Menschen. Ihre Fairness ist ein Angriff auf andere Menschen. So ist unsere Welt. Das ist alles sehr kompliziert, vieldimensional und der Versuch, die Welt fair zu gestalten, ist, wenn man so will, ein aggressiver Akt. Nicht im Sinne von feindselig, aber es bedeutet, dass man auf die Dinge einwirkt und diese Bewegung ist eine Verstärkung der Dualität von Subjekt und Objekt. Indem wir versuchen, ein Problem auf der Ebene der Manifesta@onen zu lösen, unterstützen wir in Wirklichkeit die Struktur, die das Problem verursacht. Das ist iatrogen, d.h. durch die ärztliche Behandlung ausgelöst: der Versuch, den Zustand zu heilen, erzeugt überhaupt erst die Pathologie, oder zumindest hält er sie aufrecht. So etwas ist tragisch.
In Tibet gibt es diese Geschichte vom ersten buddhis@schen König Songtsen Gampo, der drei Mal den gesamten Reichtum des Landes auf alle auFeilte, weil er der Meinung war, dass alle ihren rechtmäßigen Teil haben sollten. Er sammelte also das ganze Geld ein und gab jedem einen gleich großen Anteil. Nach kurzer Zeit schon waren manche Menschen reich und andere arm. Er versuchte es noch einmal; und beim driAen Mal wurde ihm klar: „Ah – da ist eine KraF wirksam.“ Buddhisten nennen sie Karma. „Das ist dein Karma“. Manchen Menschen gelingt es, gut zu verdienen; sie haben den Ins@nkt dafür; sie können es quasi riechen. Andere Menschen schnüffeln die ganze Zeit, aber ohne Erfolg!
Das ist eine sehr wesentliche Tatsache im Hinblick auf den Körper, denke ich. Welche Ak@vitäten sollten wir mit Hilfe unseres Körpers setzen? Prinzipiell ist davon auszugehen, dass wir Menschen helfen wollen und manche von uns haben sich schon mit der Frage befasst: Wie kann man Menschen überhaupt helfen? Wie funk@oniert Hilfe? Es wäre ganz einfach, wenn wir auf eine bes@mmte Weise handeln und so ein garan@ertes Resultat erzielen könnten.
Heutzutage geraten öffentliche Ins@tu@onen unter großen Druck, zu demonstrieren, dass sie das Geld, das ihnen zugeteilt wird, effizient einsetzen; also muss jede klinische Service-­‐
Ins@tu@on das nachweisen. Um zu beweisen, dass man gut arbeitet, muss man das, was man tut, konzeptualisieren. Beispielsweise war die Psychotherapie in England vor etwa fünfzehn Jahren noch ganz darauf ausgerichtet, Sicherheit zu bieten; es ging darum, Halt zu geben, die James Low © www.simplybeing.co.uk 31
Klienten willkommen zu heißen, einen Platz zu schaffen, wo Verbindungen und Beziehungen sich entwickeln konnten. Sie funk@onierte in einer Art biologischem Zeitmaß. Heute, mit dieser Finanzkontrolle, sagen die Leute: „Na ja, wir haben nur zehn Sitzungen, oder maximal zwanzig, daher müssen wir sehr effizient vorgehen. Wir müssen uns voll auf die Aufgabenstellung konzentrieren.“ Wenn man sich auf eine Aufgabe konzentriert, arbeitet man ganz anders; man macht daher auch andere Erfahrungen als bei der anderen Vorgehensweise.
Das gilt auch im Buddhismus. Wenn man so will, arbeitet Buddhismus im Grunde mit „biologischer“ Zeit. Die Menschen sind in ihren eigenen Prozessen, in ihrem eigenen Karma befangen, und es dauert für sie so lange, wie es eben dauert. Das ist der Grund, warum wir beim BodhisaAva-­‐Schwur sagen: „Ich bleibe in Samsara, so lange es dauert.“ Wir sind nicht darauf aus, die Menschen direkt in die Erleuchtung zu katapul@eren, weil sie nur in ihrem eigenen Tempo unterwegs sein können. Das heißt, wenn wir ihnen helfen wollen, müssen wir die Situa@on respek@eren, in der sie sich befinden. Obwohl es im Tantra sehr weit entwickelte Technologien und Methoden gibt, können die trotzdem nur von Menschen angewandt werden, die arbeiten wollen. Wenn wir etwas tun, müssen wir uns immer fragen: „Was versuchen wir, zu tun?“ Was wollen wir bewirken?
SCHWERE KRANKHEIT UND KREBS
Das wird davon beeinflusst, wie wir unseren eigenen Körper und den der anderen sehen. Um es kurz zu machen: Ich denke, jeder hier ist mit der Idee der Vergänglichkeit vertraut und hat hoffentlich auch schon einschlägige Erfahrungen gemacht. Unser eigener Körper ist vergänglich, die Körper der anderen sind vergänglich; die Welt ist vergänglich. Wenn jemandem etwas Tragisches zustößt, entsteht dieses Tragische aus dem Fluss seiner Manifesta@onen. Es ist ein vergängliches Phänomen. Selbst wenn es bis ans Ende des Lebens anhält, ist es letzten Endes vergänglich.
Nehmen wir ein Beispiel: Ein Elternteil oder ein Freund hat einen Schlaganfall und bleibt gelähmt. Wir sagen: „Ach, ihr Leben ist prak@sch vorbei. Früher waren sie immer so ak@v und haben so viele Dinge unternommen; und jetzt sabbern sie.“ Wir sehen sie an und denken: „Ach nein – was ist das? Das ist schrecklich!“ Das ist Vergänglichkeit. Für Buddhisten ist es eine Selbstverständlichkeit, dass die Phänomene vergänglich sind. Es exis@ert ein bes@mmtes Schema der fünf Elemente – und jetzt ist es passiert, dass ein Blutgerinnsel ins Gehirn gelangt ist. Was ist ein Blutgerinnsel? Es ist Blut, das normalerweise flüssig ist; das Erd-­‐Element hat vom Wasser-­‐Element Besitz ergriffen, also haben wir jetzt „Erde“, wo keine sein sollte. Sie verklumpt sich, wird fest und blockiert die Bewegung im Hirn, und dadurch s@rbt ein Teil der Hirnfunk@onen ab. Das ist kein großes Geheimnis. Diese Dinge kommen vor.
Wenn wir das aus der Perspek@ve einer unendlich langen Reihe von Leben betrachten – was die einzige Sichtweise im Buddhismus ist; im Buddhismus geht es um unendliche Zeit – werden wir in einem anderen Leben mit einem anderen Körper wiedergeboren. Aber wir sind ganz entsetzt: „Oh GoA! Wir erinnern uns, Hans war so und so und so, und jetzt – ach, ist das tragisch!“ Diese Person war einmal so – und jetzt ist sie in einem Zustand, in dem sie nicht sein sollte; das ist eine schlimme Sache. Wir sehen die Vergänglichkeit nicht, wir sehen nicht das Spiel der fünf Elemente, wir sehen nicht die Abwesenheit jeglicher inhärenter Eigen-­‐Natur. Wir sehen nur den armen Hans, so traurig. Wenn wir den-­‐armen-­‐Hans-­‐ach-­‐wie-­‐
traurig sehen, prak@zieren wir nicht den Dharma; wir sind einfach neAe gutbürgerliche Deutsche. Bourgeoise Moral, E@keAe und Höflichkeit sind nicht an sich schlecht, aber sie sind nicht der Dharma.
Der Dharma geht von einem anderen Standpunkt aus. Der Dharma sagt: es gibt Raum, und James Low © www.simplybeing.co.uk 32
es gibt Prozesse, die in diesem Raum entstehen. Was auch immer kommt, kommt. Was auch immer geht, geht. Wenn ein Schlaganfall kommt, wenn Krebs kommt, dann lasst ihn kommen. Man kann das ohnedies nicht verhindern, also bleibt wenigstens auf dem Boden der VernunF. Wenn es so kommt, kommt es so. Niemand kann Krebs stoppen. Also haben wir Krebs. Okay – das wollten wir nicht, aber jetzt haben wir ihn. Man kann sagen: „Dieser Krebs gehört nicht zu mir, er sollte nicht da sein. Ich ändere jetzt meine Essgewohnheiten; ich verspreche, von heute an nurmehr Kohl zu essen.“ Das kann man machen, aber das ist nicht die Praxis des Dharma. Das ist vielmehr die Praxis, zu sagen, Krebs ist eine riesige, böse Sache, die wir nicht wollen. Ja – er ist eine große und schlimme Sache, aber er ist auch ein Prozess des Körpers. Er ist ein Veränderungsprozess im Körper. Die dynamische, vergängliche Natur der Zellen manifes@ert sich in einer Weise, die das Ego nicht will.
Wenn wir uns ein Bild des Buddha ansehen, hat er am Scheitel seines Kopfes so einen Klumpen, der Ushnisha heißt. Man stelle sich vor: der Buddha medi@ert, plötzlich spürt er etwas Seltsames: „Ach, du liebes bisschen, was ist los?“ Er schaut in den Spiegel: „Oh mein GoA! Was ist da passiert?“ Er sieht sich um. Alle anderen haben immer noch einen flachen Kopf; er ist der einzige, der am Scheitelpunkt eine Schwellung hat. Er ist kompleA trauma@siert. Deshalb hat er sich das Haar aufgebunden, um das zu verbergen.
Die Menschen haben keine Kontrolle über ihr Schicksal. Der Buddha haAe diese Zeichen an den Händen und Füßen. Er haAe Schwimmhäute zwischen den Fingern, wie eine Ente. Stellt euch das vor. Auf seinen Handflächen sind Räder zu sehen. Auf seinem Körper sind Meeresschnecken abgebildet. Es gibt zweiunddreißig große und vierundsechzig kleine Male auf dem Körper des Buddha. Er sieht sehr seltsam aus. In den Bereichen, die oberhalb der menschlichen Ebene angesiedelt sind, mag das normal sein; für uns wirkt er eher wie ein Alien, der vom Tushita-­‐Himmel herabgekommen ist. Auf Grund dieser Wesensart der Unwissenheit geht es für das Ego immer um Kontrolle – denn Unwissenheit ist die Abspaltung vom Strom des Daseins, eine Absonderung. Aus dieser Absonderung entsteht Furcht, die Angst eines Flüchtlings, eines Emigranten, der sich nie sicher ist und der immer versucht, sich anzupassen. Die tragen wir die ganze Zeit mit uns herum; und diese Angst bedeutet, dass wir uns auf das Außen konzentrieren, weil die Welt, an die wir uns anzupassen versuchen, da draußen liegt. Entweder zwingen wir die Welt, sich uns anzupassen, oder wir suchen die Übereins@mmung mit ihr.
Der Dharma besagt, dass wir versuchen sollten, uns in den Strom „zurück zu entspannen“. Sich in den Strom des Werdens zu entspannen, heißt, die Kontrolle aufzugeben; aber das Ego, das sich isoliert fühlt, versucht, die Situa@on unter Kontrolle zu behalten, indem es entweder danach strebt, die Welt an unsere Wünsche anzupassen, oder uns an die Welt. Das sind zwei gänzlich verschiedene Verhaltensweisen. Echter Dharma hat nichts mit Kontrolle zu tun, obwohl manche seiner Methoden Aspekte von Kontrolle mit einschließen. Es geht darum, sich einfach der Welt zu öffnen – so, wie sie gerade ist. Der Dharma ist phänomenologisch, das heißt er befasst sich mit dem, was vorhanden ist. Er ist nicht ideologisch. Natürlich gibt es im Buddhismus vielerlei ideologische Aspekte, aber diese Ideologie dient einer gesteigerten phänomenologischen Erfahrung. Die Theorien oder Dogmen des Dharma – diese geis@gen Konstrukte und Ideen – sind dazu da, um uns zu helfen, zu unseren Sinnen zurückzukehren. Zur direkten Erfahrung dessen, was vorhanden ist. Wenn uns die Dharma-­‐Konzepte nur dazu bringen, Buddhisten zu sein und die buddhis@sche Philosophie zu kennen, werden sie zu einer Ideologie; sie werden zu einer theore@schen, dogma@schen Bewegung, die nicht mehr lebendig ist; sie gehen uns nicht in Fleisch und Blut über.
Kommentar: Ich meine das nicht als ein „aber“. Heutzutage gibt es Krebs; wir haben die Technologie, zumindest teilweise etwas dagegen zu unternehmen, wie Chemotherapie oder James Low © www.simplybeing.co.uk 33
Radiologie. Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten. Bis zu einem gewissen Grad ergibt sich eins aus dem anderen, und das kann auch einigermaßen ok sein. James: Klar – sonst wäre es hoffnungslos; und wir versuchen ja, Hoffnungslosigkeit zu vermeiden. Aber wir bemühen uns auch, manische Hoffnungsgedanken à la „wir kriegen das alles schon unter Kontrolle“ zu vermeiden. Wenn wir uns also mit der Idee anfreunden: was immer auch kommt, kommt – dann ist das, was mit der Post kommt, ein Spitals-­‐Termin für eine Strahlenbehandlung. Sollen wir das also machen? Wenn ja, gehen uns die Haare aus und wir denken: „Ach, was geht, geht. Jetzt habe ich keine Haare mehr.“ Wir sehen uns in den Spiegel – das Haar ist weg; wir sehen sehr ungewohnt aus. Später wächst das Haar wieder nach und man führt ein gesundes Leben – oder auch nicht. Was kommt, kommt.
Es geht nicht darum, uns von der Welt abzusondern. Spitals-­‐Abteilungen sind Teil der Welt, also können wir auch in einer Spitalsabteilung sein. Wir können alles, was sich uns bietet, benützen – aber wir sollten es nicht zu ernst nehmen. „Ach, mein Krebs! Oh dieses! Oh jenes!“ … So lebt man in einer mentalen Welt, die einen von der realen Welt abschneidet. Wir wissen, dass Menschen Krebs bekommen; vermutlich werden auch einige von uns einmal Krebs bekommen. Wir können sagen, das sei tragisch – aber es ist auch das, was geschieht. Wir können das Wesen von Krebs verstehen. Krebs ist eine Unausgewogenheit der fünf Elemente. Wir leben in einer Welt, die kompleA aus dem Gleichgewicht ist und im Hinblick auf die fünf Elemente immer mehr ins Ungleichgewicht gerät – also ist es weiter nicht überraschend, wenn wir diese Krankheit bekommen.
Man kann die fünf Elemente wieder in Balance bringen, wenn man sich erneut der Medita@onspraxis zuwendet. Man geht also zur Strahlenbehandlung und medi@ert auch. Insbesondere Patrul Rinpoche sagt – in Simply Being: Wenn schlechte Zeiten kommen, laufen die Menschen, die medi@eren, herum, schreien und klagen und hören mit ihrer Praxis auf. Sie reden mit ihren Freunden:“Ach, diese schreckliche Sache ist passiert.“ Sie gehen nicht hin und beten zu Guru Rinpoche. Sie machen auch nicht ihre Dorje Sempa Medita@on. Das erhält den ständigen Rhythmus der Praxis aufrecht – und wenn man abgelenkt wird, kann man dahin zurückkehren.
ATMUNGS-­PRAKTIKEN, GEFOLGT VOM MALEN
Es ist auch interessant, weil zur jetzigen Jahreszeit alle erkältet sind. Viele Menschen haben Schnupfen – seht nur dieses Wasser-­‐Element, das allen aus der Nase tropF! Krank zu sein ist sehr, sehr hilfreich, denn wenn wir krank sind, sind wir anders. Man kann beobachten, wie unsere innere Form – unsere Vorstellung davon, wer wir sind – sich verändert, wenn wir krank sind. Man mag nicht dieselben Dinge essen, man möchte auch nicht dieselben Dinge tun. Das ist der Prozess des Wandels unserer Iden@tät. „Ich fühle mich ganz seltsam. Ich wäre so gerne wieder wie immer.“ Es ist ganz wich@g, dabei zuzusehen, wie der Körper sich ständig verändert. Und das Ego will das alles unter Kontrolle behalten und uns sagen, wie wir zu sein häAen. Aber die Realität ist: dieser Körper hat ein Eigenleben. Und entweder wir sind im Körper und leben eine verkörperlichte Existenz mit allen ihren Veränderungen – oder wir versuchen, einen reinen Ego-­‐Bereich herzustellen, in dem wir uns von unserem Körper distanzieren und ihm vorschreiben, wie er zu sein hat.
Es geht darum, den Körper als Erfahrung zu integrieren; dann können wir nach Bedarf jede Form von Heilbehandlung oder Medizin anwenden, aber mit einer sub@leren Aufmerksamkeit für das, was vorgeht. Wir wissen, dass die Pharma-­‐Industrie die besten Möglichkeiten zur Geldanlage bietet. Im Großen und Ganzen sind die Gewinne für unsere Inves@@onen dort am höchsten, und das liegt daran, dass die Menschen ununterbrochen James Low © www.simplybeing.co.uk 34
Medikamente kaufen. In vielen Wohnungen sind die Badezimmer-­‐Schränke voll mit Schachteln von Zeug, das sie sich besorgt, aber niemals eingenommen haben, weil sie es als eine Art magischer Substanz gekauF haben. Da ist etwas Manipula@ves mit im Spiel, das von einer fehlenden Eins@mmung auf unseren eigenen Zustand zeugt. Aber wir können nicht Dzogchen prak@zieren, ohne in unserer eigenen Haut zu stecken.
Kommentar: Wenn wir medi@eren, ist das Ego ja auch involviert; es stellt sich also die Frage, ob wir uns einfach hinsetzen und alles kommen lassen, was kommt; oder, wie in der Dorje Sempa-­‐Praxis, eine gewisse Kontrolle ausüben – wir lassen die Dinge nicht einfach kommen, sondern wir folgen einer Methode, die wir kontrollieren.
James: Ja. Normalerweise prak@zieren wir Dorje Sempa aus der Sicht des Tantra und im Tantra geht es überwiegend um Kontrolle. Tantra ist ein Weg der Macht, das ist Dzogchen nicht. Dzogchen ist ein Weg der Integra@on und der Akzeptanz; das ist etwas anderes. Aber der Hinweis auf das Ego in der Medita@on ist gut. Je mehr Ego in unserer Medita@on präsent ist, desto mehr wollen wir kontrollieren, was sich abspielt. Je weniger Ego wir in unserer Medita@on haben, desto weniger müssen wir die Dinge unter Kontrolle halten. Paradoxer Weise ist es so: je weniger wir die Dinge kontrollieren, desto mehr haben wir sie de facto unter Kontrolle. Im Dzogchen spricht man von lhundrup, das heißt so viel wie „spontanes Entstehen“; und ich denke, das ist eine weitverbreitete Erfahrung von Menschen, die viel medi@eren – dass ihr Leben sich einfacher gestaltet. Die Dinge geschehen einfach. Jemand ruF an oder es herrscht irgendwie eine Atmosphäre des Wohlwollens in der Welt, auf die man sich eins@mmen kann. Vielleicht habt ihr auch schon diese Erfahrung gemacht. Auf diese Weise wird die Situa@on immer besser, je weniger man versucht, sie zu kontrollieren. Das ist seltsam, oder?
Nehmt zum Beispiel die Lamas – selbst in Indien, wo sie Flüchtlinge waren und ich sie in den Sechzigerjahren traf: Sie lebten dort in einem kleinen Zimmer und den ganzen Tag über kamen Menschen zu ihnen, durch Regen und Sturm, und brachten ihnen ein wenig Gemüse oder eine Schachtel Kekse oder Räucherstäbchen oder ein paar Rupien. Der Lama sitzt auf seinem Hinterteil, in einem kleinen Zimmer, und das Essen kommt durch die Türe herein. Unsereins muss ins Büro gehen oder in die Fabrik oder wohin auch immer, und arbeiten. Also – auf gewisse Weise bringt das Medi@eren die Dinge zu uns. Vielleicht habt ihr auch schon die Erfahrung gemacht, dass die Dinge leichter werden.
Die andere Möglichkeit ist, dass Menschen Dinge für einander bringen. Wenn die Menschen zusammenarbeiten, muss gar nicht so viel getan werden. So viele Dinge werden einfacher, nur weil die Menschen auf hilfreiche Weise zusammenarbeiten. In einem Zustand der Isola@on hingegen müssen die Menschen so viele repe@@ve Handlungen setzen. Wir haben zuvor von Autos gesprochen, über die Zahl der Menschen, die mit ihrem eigenen Auto zur Arbeit fahren, ganz allein in ihrem Auto, und man fragt sich: „Warum fahren in einem Auto nicht mehr Menschen?“ Das mag natürlich prak@sche Gründe haben, und „Ich mag es einfach, in meinem Auto mit meiner Musik allein zu sein.“ Individualismus stellt schon spezielle Ansprüche.
ATMEN UND ATEM ANHALTEN: siehe auch Anhang 2
Wir beginnen wieder mit dem Atmen in neun Runden. Dann fahren wir fort mit dem Ein-­‐ und Ausatmen, aber wir verlängern die Zeitspanne der einzelnen Atmungsphasen. Zuerst atmen wir ein, indem wir bis vier zählen, und atmen aus, indem wir bis vier zählen. Jede Zahl hat etwa die Dauer einer Sekunde. Man kann es auch mit Hilfe des Pulsschlags machen, der ist ein wenig schneller. Und man kann es auch langsamer angehen.
Unser Atem ist wie ein Muskel-­‐System, also müssen wir mit der Übung langsam beginnen, James Low © www.simplybeing.co.uk 35
respektvoll und sanF. Je besser das gelingt, desto mehr werden wir in der Lage sein, den Atem anzuhalten.
Wir atmen einfach ein und zählen dabei bis vier, und aus… bis vier, ein – vier, aus – vier, ein – vier, aus – vier.
Sobald sich das eingependelt hat, kann man den Atem zwei Schläge lang anhalten. Also: einatmen auf vier, zwei halten, ausatmen auf vier. Später macht man dann einatmen auf vier, halten auf vier, ausatmen auf vier; und noch später einatmen auf sechs, halten auf vier, ausatmen auf vier.
Man kann den Atem auch nach dem Ausatmen anhalten, aber ich glaube, dass es am Anfang besser ist, das nur nach dem Einatmen zu tun. Normalerweise atmet man länger ein und schneller aus. Diesem System folgend kann man auch auf acht – vier – vier und dann acht – sechs – vier atmen.
Jeder steigert das nach eigenem Ermessen – normalerweise ist der Einatem um zwei Schläge länger als der angehaltene Atem; und der wiederum kann gleich lang sein mit dem Ausatem, oder zwei Schläge länger. Also kann man auf zehn – acht – sechs atmen.
Einatmen auf zehn, acht halten, ausatmen auf sechs. Jeder übt das für sich, indem ihr es langsam au|aut, beispielsweise
EIN HALTEN AUS
4 -­‐ 4
4 2 4
4 4 4 6 4 4
8 4 4
8 6 4
10 8 6
An Anfang, wenn man es noch nicht gewohnt ist, ist es besser, diese Art des Atmens nicht zu lange zu machen. Dem @be@schen System zufolge ist unsere Energie sehr fein und sehr eng mit unseren mentalen Funk@onen verknüpF. Wenn man das also viel macht, wird man sehen, dass die eigene S@mmung sich verändert. Vielleicht fühlt man sich sehr glücklich, oder auch traurig. Es hat oF einen psychologischen Effekt.
Das ist eine Art Reinigung, aber es gibt Zeiten, wo dieser Effekt nicht erwünscht ist. Wenn wir wie hier auf einem Retreat sind, ist das kein schlechter Ort, um ein bisschen durchzuknallen; aber macht diese Art von Übung nicht, wenn ihr gerade Auto fahrt oder etwas dergleichen tut. Autofahren ist eine Funk@on des Egos und diese Übung dient dazu, das Ego zu eliminieren, also sollte man sie nur machen, wenn man sich in einigermaßen sicheren Umständen befindet.
Kommentar: Ich würde gerne wissen, warum wir versuchen, den Einatem länger als den James Low © www.simplybeing.co.uk 36
Ausatem zu machen, weil ich viel darüber gelernt habe, wie man den Ausatem verlängert.
James: Ja, das werden wir später auch machen. Aber zuerst konzentrieren wir uns einfach auf den Atem, weil viele Menschen nur ganz flach aus dem oberen Brustkorb heraus atmen; also ist es hilfreich, sich einfach einmal an einen langsamen Einatem und die Konzentra@on darauf zu gewöhnen. Später, wenn sich das einmal eingespielt hat, verlangsamen wir auch den Ausatem.
Generell wird Gesundheit in den buddhis@schen und Hindu-­‐Tradi@onen mit einem sehr langen, langsamen, gleichmäßigen Ausatem in Verbindung gebracht; aber das erfordert zunächst einen @efen Einatem. Das ist der Grund.
ATMEN MIT MUSKELKONTROLLE: KUMBAKA – siehe auch Anhang 3
Wir bedienen uns der Muskeln unseres Körpers, um den Atem anzuhalten.
Wir atmen ein, dann ziehen wir die Sphinkter-­‐Muskeln zusammen, sodass wir die Po-­‐Backen zusammenpressen. Wir spüren, wie unser Po sich anspannt und wir spannen auch die Muskeln des Zwerchfells an und versuchen, die LuF im Inneren „einzusperren“. Also wir atmen ein und schließen ab. Wir atmen ein, ganz entspannt und dann, wenn wir den Atem anhalten wollen, spannen wir die Muskeln an, immer stärker, damit wir den steigenden und fallenden Druck spüren – und das halten wir dann.
Man kann dazu bis vier zählen und dann die Muskeln wieder entspannen und ausatmen.
Kommentar: Soll ich den Atem herauspressen, oder lasse ich ihn einfach gehen?
James: Es geht um den Wechsel von Anspannung und Entspannung; und wenn du dich entspannst, entweicht der Atem von selbst. Der Körper möchte atmen. Man kann keine frische LuF einatmen, wenn man schon voller LuF ist, insbesondere, wenn man einen @efen Atemzug gemacht hat. Also entweicht die LuF von selbst.
MALEN: DER KÖRPER IN BEWEGUNG: siehe auch Anhang 4
Wir werden jetzt mit dem Malen beginnen. Wir konzentrieren uns auf den Körper in Ak@on, um ein Gefühl für ihn als Energie und Bewegung zu bekommen.
Wir beginnen mit einer kurzen Phase s@llen Sitzens, indem wir uns auf den Atem konzentrieren; und aus diesem entspannten Raum heraus beginnen wir, auf dem Papier zu zeichnen. Während ihr das tut, bleibt mit eurer Aufmerksamkeit im Körper. Wenn ihr anfangt zu denken, kehrt zu eurem Atem zurück, aber versucht, mit der Aufmerksamkeit wirklich bei den Empfindungen eurer Muskeln im Körper zu bleiben. Wir sind nicht so sehr auf das Bild da draußen fokussiert, sondern wir benützen den Vorgang des Malens, um auf einfache Weise unseren Körper in Bewegung zu verspüren.
Aber natürlich haben wir auch Augen, also sehen wir, was wir da erschaffen. Werdet euch bewusst, wie die Wahrnehmung dessen, was da entsteht, euren Körper verändert; die Art der Bewegungen, die ihr macht. Ihr beobachtet die Ak@vität und ihr Resultat und auch die Feedback-­‐Schleife zwischen den beiden – alles in einem medita@ven Zustand.
Wenn ihr mit dem Malen fer@g seid, bleibt noch eine oder zwei Minuten lang s@ll sitzen und erlebt einfach die physische Präsenz des Bildes. ÜberprüF, ob es für euch die eigene Körperenergie enthält, mit der ihr es gemalt habt; die kinästhe@sche Energie, die von euch in das Bild geflossen ist. Reflek@ert damit den Prozess der Entstehung des Bildes. Wart ihr euch James Low © www.simplybeing.co.uk 37
eures Körpers bewusst? Wann habt ihr dieses Bewusstsein verloren? Wann habt ihr euch in der Ak@on „verfangen“?
Überlegt euch das eine oder zwei Minuten lang und dann besprecht es mit einem Partner.
MALEN – ETWAS ERSCHAFFEN UND ES ZERSTÖREN: siehe auch Anhang 5
Wir sitzen im Kreis und beginnen mit einer Atem-­‐Medita@on und anschließend, nur ein, zwei Minuten lang, lassen wir einige Striche aus unserem Körper heraus entstehen; etwas, das sich posi@v anfühlt. Lasst uns sehen, ob wir etwas Posi@ves aus unserem Körper aufs Papier bringen können.
[Medita@ons-­‐ und Mal-­‐Phase]
Reicht euer Bild jetzt an die Person weiter, die zu eurer Rechten sitzt. Hat jeder ein Bild? Gut.
Ihr habt jetzt eine Minute Zeit, um aus diesem Bild vor euch etwas ganz Schreckliches zu machen. So schrecklich wie nö@g. Das ist der Moment der zornvollen GoAheit.
[Malen]
Sitzt jetzt einen Augenblick damit, fühlt die Wirkung. Dann reicht es der Person zu eurer Rechten weiter.
Ok, jetzt versucht ihr das, was ihr vor euch habt, zu verbessern.
[Malen]
Fahrt mit diesem Prozess des Verbesserns und Zerstörens fort, bis ihr wieder euer ursprüngliches Bild vor euch habt.
Sitzt jetzt damit eine Minute lang und dann tut euch paarweise zusammen und besprecht, wie das war – sowohl wie es sich anfühlt, euer eigenes Bild zurückzubekommen, als auch diese Änderungen vorzunehmen.
[Kontempla@on und Diskussion]
Das Wich@ge ist: was immer wir auch tun, uns im Prozess dieses Tuns zu beobachten. Das ist das Wesentliche; egal, ob wir essen, schlafen, gehen oder sprechen – versucht, euch im Prozess zu ertappen. Immer und immer wieder kippen wir ganz in den Vorgang hinein; wir sind einfach in dem drinnen, was wir tun; und wir müssen versuchen, diesen Punkt zu erwischen und gewahr zu sein. Das ist der Kern der Dzogchen-­‐Methode, das eigene Verhalten zu reinigen. Man reinigt es in dem Augenblick, wo es sich abspielt, wenn das Gewahrsein präsent ist. Das Wesentliche aus der Sicht des Dzogchen ist, uns selbst zu beobachten, weil wenn wir mit uns selbst gegenwär@g sind, in allen unseren Ak@vitäten, verändert das die Qualität unserer Handlungen. Das ist der Prozess, mit dem man Dummheit reinigt. Dummheit ist, wenn wir in den Zustand hinein kippen, jemand zu sein; wenn wir ganz da drinnen stecken. Das Beobachten, das Gewahrsein, bringt uns in die Präsenz. Wir beginnen, gegenwär@g zu sein und wenn wir gegenwär@g sind, haben wir die Basis des sich ansammelnden Karmas gereinigt. Der Zustand des Gegenwär@gseins, der Zustand von rigpa, Gewahrsein, ist frei von Karma, es sammelt sich dort einfach nicht an.
Einer der Gründe für diese Art von Ak@vität, wie beispielsweise das Malen, liegt darin, zu erleben, wie wir uns in unsere Handlungen verwickeln, sobald wir etwas tun. Es ist, als ginge James Low © www.simplybeing.co.uk 38
ein Teil von uns in die Welt hinaus, und obwohl uns die Malerei vielleicht keinen besonderen Spaß gemacht hat, oder wir damit auch gar nicht sehr verbunden waren, hat sie dennoch eine emo@onelle Auswirkung. Wir agieren die ganze Zeit durch unseren Körper, wir setzen Zeichen in der Welt und tun die unterschiedlichsten Dinge. Man bietet jemandem Tee an oder reicht die Milch herüber, solche kleinen Gesten sind Verlängerungen unseres Selbst, und wir beobachten auch, wie sie ankommen. Schenkt man uns Beachtung? Bedankt man sich bei uns? Die ganze Zeit hindurch wird unser Selbst-­‐Gefühl durch die Reak@onen der anderen beeinflusst.
Es ist, als wäre die Grenze zwischen dem Selbst und den anderen ständig in wellenförmiger Bewegung, und wir sind ziemlich verwundbar, weil wir nicht umhin können, mit anderen in Berührung zu sein. Im Leben zerstören andere Menschen ständig unsere Malereien; sie parken ihre Autos neben unserem, sodass wir nicht aussteigen können; sie rempeln uns im Supermarkt an; andauernd krachen sie in unsere kleinen Bilder des Lebens. Wir müssen erkennen, wie sehr wir uns in die Dinge inves@eren, wie weit wir uns in die Welt hinein ausdehnen, und das macht uns sehr verwundbar. Im Dzogchen wollen wir wirklich alles loslassen, was entsteht. Das ist die Vorstellung von Selbst-­‐Befreiung: natürlich haben wir Impulse, etwas zu tun; aber wenn wir ihnen anhaFen, können die Menschen uns auf die unterschiedlichste Weise sehr verletzen. Wir weben eine Art Spinnennetz um uns herum, auf dem jeder landen und an einzelnen Fäden reißen kann – so wird an uns herumgezerrt und wir laufen im Kreis. So gesehen: je mehr Macht wir haben, je mehr wir besitzen, desto mehr sind wir anderen Menschen schutzlos ausgeliefert. Das ist wirklich seltsam. Je beschäFigter wir sind, je vernetzter, je mehr Freunde wir haben, umso mehr Menschen können uns auch ablehnen. Je mehr Geld wir haben, desto mehr kann uns gestohlen werden. Je mehr Kinder wir haben, desto größer sind unsere Sorgen. So ist es. Es spricht also viel dafür, präsent zu sein; uns für das, was wir tun, zu engagieren, ohne gewissermaßen vom Ergebnis versklavt zu werden – denn dann ist es schwer, unbelastet im Augenblick zu sein, weil wir an alle diese anderen Aspekte unseres Lebens gefesselt sind.
Wenn ihr solche Übungen macht, nehmt das Gefühl, das dabei entsteht und beobachtet, jeder für sich, wie ihr euch in die Welt erstreckt und wie ihr üben könnt, das einfach loszulassen; sich nicht in die Dinge zu verwickeln. Das ist eine wirklich ganz, ganz wich@ge Übung. OF wissen wir gar nicht, dass wir einer Sache anhaFen, bis jemand diese Sache beleidigt. Man kann oF sehen, dass Menschen gar nichts dabei finden, einen Aspekt ihres eigenen Lebens verächtlich zu machen. Sie fühlen nichts dabei, aber wenn jemand anderer dieselbe Sache beleidigt, sind sie sehr aufgebracht. So führt AnhaFung zum Leid – AnhaFung ist nichts anderes als diese Verlängerung unserer selbst. Wir kommen nicht umhin, unser Selbst auszuweiten, aber es geht darum, wie wir es tun. Es muss uns klar werden, dass es hier um dieses wellenar@ge Fließen der ganzen Welt geht, und wenn wir erkennen, dass das Objekt wie auch das Subjekt Teil der Manifesta@on des Urgrundes sind, fühlen wir uns nicht mehr so gefährdet, wenn ein Objekt auf ein Subjekt einwirkt.
Kommentar: BiAe erkläre das noch genauer.
James: Das heißt: wir fühlen uns oF als Handelnde, als häAen wir die Situa@on unter Kontrolle; wir sind diejenigen, die malen. Aber im Leben beginnen wir meist nicht mit einem leeren Stück Papier. Wenn man einen neuen Job antriA, geht man in ein Büro. Das ist bereits ein Gemälde. Die Menschen haben bereits ihre Vorstellungen davon, wer wo sitzt, wer der Chef ist und alle diese Dinge. Also kann man nur ein ganz kleines Bild in jener Ecke malen, die einem bleibt. In Wirklichkeit ist es so: unsere Ak@on als Subjekt wird bes@mmt von der Beschaffenheit des Objekts. Sogar wenn wir Handlungsträger sind, agieren wir oF wie MarioneAen. Wir sind nicht wirklich unabhängig. James Low © www.simplybeing.co.uk 39
ENTSTEHEN IN GEGENSEITIGER ABHÄNGIGKEIT
Das entspricht der buddhis@schen Vorstellung von der Entstehung in gegensei@ger Abhängigkeit – der Idee, dass Subjekt und Objekt gleichzei@g entstehen und untrennbar miteinander verbunden sind. Wenn wir akzep@eren, dass alles, was entsteht, aus dem Urgrund kommt, inves@eren wir nicht mehr so viel in unsere eigene Posi@on. Es gibt viele buddhis@sche Prak@ken, das zu üben.
Wenn wir uns am Glück anderer freuen, heißt das, wir versetzen uns in ihr Leben, in ihr Glücksgefühl, damit wir angesichts ihres Glücks nicht eifersüch@g sind. AnstaA zu denken: „Warum habe ICH das nicht bekommen?“ lernen wir zu denken: „Das ist wunderbar!“ und so bewegen wir uns aus unserer Welt in die Welt des Objekts. Wir balancieren und entspannen uns aus unserer selbst-­‐referen@ellen Posi@on heraus, sodass wir Subjekt und Objekt als gemeinsam entstehend erleben können.
Kommentar: Ja, aber das ist doch eher theore@sch. Ich denke da an einige meiner Klienten, zum Beispiel eine Frau, 35 Jahre alt, die in ihrem Leben noch keine einzige Liebesbeziehung haAe, und jedes Mal, wenn sie mit Leuten an ihrem Arbeitsplatz spricht, und die Rede auf das Privatleben kommt, weiß sie nicht, was sie sagen soll. Sie beneidet die anderen um ihre Situa@on, weil sie in Beziehungen leben, Familien haben und so weiter. Ich glaube, das ist sehr hart für sie. Wenn ich zu ihr sagte: „Beneide diese Menschen nicht, schau dir die Realität doch an, sie haben alle Probleme, sei einfach glücklich, wie du bist“ – ich glaube, es ist sehr schwer für jemanden, der zum Beispiel niemals ein schönes Bild gehabt hat, wenn er dann sagen soll: okay, und es übermalen muss.
James: Das ist ein sehr gutes Beispiel dafür, warum Therapie manchmal nur sehr eingeschränkt wirksam ist. Ich bin immer mehr dieser Meinung. Wenn man sich vorstellt, wie das vor 50 Jahren gewesen wäre – wenn diese Frau zum Pfarrer des Ortes gegangen wäre, oder zu einem Ältesten, dann häAen die ihr gesagt: „Nun ja, das Leben ist hart. Wir müssen das Beste draus machen. Denke an andere Menschen. Sei nicht so auf dich selbst konzentriert.“ Ein sehr tradi@oneller Ratschlag; und wenn die Person in der Lage gewesen wäre, ihn anzunehmen, häAe sie ihr Leben ändern können. „Okay!“ Und wenn sie ihr Leben ändert, hoffnungsvoller und posi@ver wird, würde jemand sagen: „Was für eine strahlende Frau! Ich muss sie heiraten!“ Das ist die Fantasie dazu. Aber es könnte die Wahrheit sein. Es ist sehr oF so: je stärker wir die Aufmerksamkeit auf unsere Wunde richten, desto @efer sinken wir in sie ein – und unsere Wunde wird dann zu etwas ganz Besonderem. Der große Unterschied zwischen Religion und Psychotherapie ist, dass die Religionen sagen: „Oy, hör auf damit! Wach‘ auf!“ Und die Therapie kann uns noch @efer in die Wunde hineinführen. Wir leben in einer Kultur, in der die Menschen geradezu einen Anspruch darauf haben, verwundet zu sein; während wir in Wirklichkeit, denke ich, alle die Erfahrung machen können, dass wir uns verändern, wenn wir echtes Mitgefühl prak@zieren. Die Menschen werden freundlicher zu uns und es ist leichter, mit uns zusammen zu sein, weil wir irgendwie warmherziger sind – und die Menschen spüren das.
Kommentar: Aber es gibt Menschen, die das nicht hören wollen – absolut nicht.
James: Ja, natürlich. Therapie ist wahrscheinlich gut für jene Menschen, die das nicht hören können, weil es das ist, was sie brauchen. Sie hängen so an ihrer schmerzhaFen, verlorenen, einsamen Opfer-­‐Posi@on, und erst wenn die ein wenig aufgefüllt ist, können sie wirklich hören, dass die Welt einem nur schenkt, was man ihr gibt – und oF muss man selbst mit einem Geschenk beginnen.
Kommentar: Ich habe Buddhisten sagen gehört, dass manchmal sogar sich klein zu machen, sich selbst herabzusetzen, genauso dem Stolz entspringt, nur mit einer medita@ven Fassade. James Low © www.simplybeing.co.uk 40
Ich habe das zeitweise sehr hilfreich gefunden. Das ist nichts anderes. Sogar wenn ich sage: „Oh, ich bin so schlecht – ich bin der schlechteste von allen“ ist das der Überheblichkeit sehr ähnlich. Weil ich mich selbst ins Zentrum stelle, und weil ich nicht der Größte sein kann, bin ich eben der Kleinste; aber trotzdem etwas Spezielles.
Kommentar: Ist das nicht der Punkt, von wo aus man sehen kann, dass beides nicht rich@g ist, dass das keine hilfreichen Posi@onen sind? Man ist entweder zu stolz oder zu sehr das Gegenteil davon.
James: Ja, genau.
PRINZIPIEN DER REINIGUNG
Ich möchte gerne die Prinzipien beim Thema „Reinigung“ ein bisschen genauer erläutern, die Struktur untersuchen und dann zeigen, wie Dorje Sempa da hineinpasst.
[ABBILDUNG 1]
Alles entsteht aus dem Urgrund. „Alles“ beinhaltet sowohl Subjekte als auch Objekte. Das Wesen des Urgrundes ist Leere. Sie wird als die wahre Natur des Geistes bezeichnet. Es gibt sehr viele Ausdrücke dafür. Leere, Dharmata, Dharmadhatu – alle diese Begriffe beziehen sich mehr oder weniger auf diese Vorstellung eines offenen Raumes, den wir niemals finden, wenn wir ihn suchen. Obwohl er der Urgrund von allem ist, exis@ert er nirgendwo.
Kommentar: Er exis@ert nirgendwo – oder überall?
James: Das könnte man auch sagen. Aber er exis@ert nirgendwo als etwas; er ist also überall, aber wenn man ihn sucht, findet man ihn nirgendwo als Substanz. In Wirklichkeit ist der Grund wie ein großer Kreis oder eine große Kugel, die manchmal als dieses große Bindu oder Tigle gesehen wird – also als eine strahlende Kugel aus Licht. Subjekt und Objekt entstehen aus dem Grund, im Grund und als Grund. Weil sie im Grund und als Grund entstehen, haben sie keine vom Grund getrennte Existenz; das tradi@onelle Bild dafür ist der Spiegel. Subjekt und Objekt entstehen wie eine Reflexion im Spiegel. Sie ist da, und wir können sie sehen, aber man kann sie nicht anfassen und man wird sie nicht als etwas tatsächlich Existentes finden. Hier handelt es sich um einen dreidimensionalen Spiegel, in dem auch Bäume und Autos entstehen können.
Subjekt und Objekt sind keine Dinge. Sie entstehen als Prozesse; das ist der Grund, warum wir gewissermaßen im Rückblick, wenn wir aus unserer Welt auf ihre originale Beschaffenheit zurück schauen, das durch die Vergänglichkeit tun, indem wir die Dinge in ihre Einzelteile zerlegen und analysieren – wie bei der Geschichte der königlichen Kutsche, James Low © www.simplybeing.co.uk 41
die wir uns früher angesehen haben. Ausgehend von etwas, das wie eine von anderen Dingen unabhängige, reale Einheit aussieht, gehen wir immer weiter zurück bis zu den kleinsten, winzigen Sub-­‐Einheiten, die sich zuletzt verflüch@gen. So kann alles zurückverfolgt und auf immer kleinere Elemente reduziert werden, genau wie dieses Stück Kreide, das zu exis@eren scheint, aber wenn man es zerreibt, wird es zu Pulver, das man wegblasen kann. Es scheint solide und real zu sein, aber das ist nur eine Form, die von Ursachen und Verhältnissen aufrecht erhalten wird. Man kann alles, was exis@ert, auf den Grund „zurück reduzieren“.
Andererseits könnte man sagen – und das entspricht mehr der Sicht des Dzogchen – dass sich alles als Energie des Grundes manifes@ert; also ist das, was wir als getrenntes Subjekt und Objekt erleben, nichts als die Energie der dynamischen Beschaffenheit des Grundes. Aber alles entsteht innerhalb dieses spiegelähnlichen Zustandes. Es verlässt ihn nicht, also zerstreut es sich auch nicht.
Als nun die Unwissenheit entstand, bildete sich da eine Blockade. Unwissenheit erzeugt eine Art Wand und an diesem Punkt wird das Subjekt abgetrennt, anstaA eine dynamische wellenar@ge Bewegung durch alles hindurch zu sein. Das Subjekt steht dann in einer scheinbaren Beziehung zu einem Objekt, zu Objekten, von denen es getrennt exis@ert. Vor manchen Objekten fürchtet sich das Subjekt, andere will es haben; wieder andere möchte es zerstören – also entstehen sehr rasch die Fünf GiFe – Dummheit, Zorn, Begierde, Eifersucht und Stolz – sobald das Subjekt sich als separat , abgetrennt, isoliert und von vielen verschiedenen Objekten umgeben erfährt, die es auszubalancieren versucht.
Um ein Beispiel zu nehmen: Als ich herunterkam, gab es Kuchen, zwei verschiedene Arten von Kuchen, und Schlagobers. Vom Blickwinkel einer bes@mmten Art von Objekten aus gesehen – also: aus Sicht einiger der Hosen, die bei mir zu Hause hängen, Hosen, in die ich nicht mehr hineinpasse – wenn ich also an diese Hosen denke, dann dürFe ich die Kuchen nicht weiter beachten. Aber leider sind die Hosen in London und der Kuchen ist hier in Deutschland; so stelle ich also eine Beziehung zu diesen Kuchen her; und die Hosen verschwinden immer mehr in der Ferne.
Egal, was wir für eine Entscheidung in Bezug auf ein Objekt treffen, wird das vermutlich Konsequenzen für andere Objekte haben. Wenn man einem Menschen eine Freude macht, ärgert man damit einen anderen. Wir empfinden das zusehends als schwierig und oF versuchen wir, das Problem zu lösen, indem wir Scheuklappen aufsetzen, weil die ganze Situa@on viel zu kompliziert ist. Wir machen unser Leben ganz eng, nur weil uns das alles zu viel ist. Das Subjekt setzt sich also in diese kleine Schachtel, versucht, sich eines posi@v besetzten Objektes zu bemäch@gen und das abzuwehren, was es als nega@ves Objekt empfindet. Das beschäFigt uns sehr. Auf diese Weise sammelt sich Karma an. Wenn wir versuchen, Freunden zu gefallen und Feinde unter Kontrolle zu halten, wenn wir Arbeits-­‐
Situa@onen zu bewäl@gen versuchen, immer, jedes Mal, wenn wir tä@g werden, verbinden wir uns mit einer Welt, die auf uns einwirkt.
Manche Menschen, die ak@v waren und die Einwirkung der Umwelt auf sich erfahren haben, beschließen, „das nicht mehr zu tun“, und sie ziehen sich aus der Welt zurück. Es scheint, als würden immer mehr Menschen diesen Weg einschlagen. Sie beschließen: „Ich will mich nicht auf die Dinge einlassen, das wird mir alles zu viel“ und sie versuchen so, die Sache zu vereinfachen. Aber wenn man das tut, wird man von inneren Erlebnissen gequält, weil das Subjekt, leider, auch in seinem Inneren Objekte mit sich herumträgt – also Gedanken, Gefühle, „ach, es ist schrecklich, so einsam zu sein, aber wenn ich hinausgehe, betrügen die Menschen mich immer und tun mir weh.“ Viele Menschen fühlen sich in so einer Situa@on gefangen. Das ist Karma.
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HINAYANA
In Bezug auf Reinigung arbeitet das Hinayana-­‐ oder Theravada-­‐System – ich verwende diese Ausdrücke wechselweise; natürlich gibt es Unterschiede, aber der Einfachheit halber – also im Hinayana arbeiten wir mit dem Subjekt und versuchen, seine Scheuklappen zu verändern. Wir sagen: „Die Welt ist ein gefährlicher Ort. Sie ist voller Versuchungen. Ich werde meine Welt vereinfachen, indem ich ganz viele Regeln aufstelle, die mir die Dinge verbieten und mich daran hindern, mich in Situa@onen zu verwickeln.“
Also werde ich Mönch oder Nonne – im Idealfall muss ich mich um Sex und etliche andere Dinge dann nicht mehr kümmern. Ein Mönch oder eine Nonne zu sein bedeutet, dass man nicht masturbieren sollte, also ist die ganze Welt des Sex „out“ und man lernt auch, wie man sich von sexuell aufgeheizten Situa@onen fernhält. Ein guter Mönch, eine gute Nonne sollten auch kein Geld bei sich haben, also können sie sich nichts kaufen. Sie sehen auch ein bisschen seltsam aus, also sind sie von vielen Situa@onen ausgeschlossen. Um gelassen und achtsam zu bleiben und auf diese Weise ihren Eid zu wahren, müssen Mönche und Nonnen verstörende Situa@onen vermeiden – also Situa@onen, die an die unterschwelligen karmischen Impulse andocken, die wir alle mit uns herumtragen, wie eben Sex, Gewalt, Gier und dergleichen.
Indem ich mich selbst verändere, schränke ich die Art der Objekte ein, die mich beeinflussen. Ich versuche das auch, indem ich an den Objekten in meinem Inneren arbeite – an meinen Gedanken und Gefühlen; zunächst, indem ich den Geist mit Hilfe des Atems beruhige, dann, indem ich die Gedanken beobachte, die auFauchen, ohne mich in sie zu verstricken – wie wir das bereits besprochen haben. Die grundlegenden Lehren des Hinayana entstanden, als der Buddha zu Beginn im Deer Park lehrte; sie befassten sich mit drei Themen: Das erste ist Leiden; das zweite ist Vergänglichkeit, und das driAe ist das Fehlen einer innewohnenden Eigen-­‐Natur, was soviel heißt wie: Kein-­‐Selbst. Das sind die drei zentralen Gedanken.
Das heißt also: alles ist Leid. Wenn ich weiß, dass alle Dinge leiden, will ich sie nicht haben. Ich häAe hereinkommen, den Kuchen anschauen und denken können: „Leiden!“ Das habe ich nicht getan. Wenn man das Leid kennt, bringt man sich nicht in Schwierigkeiten. Man weiß, dass die Dinge gefährlich sind, also stellen sie nicht einmal eine Versuchung dar. Das ist wie bei Seeleuten, wenn ihr Schiff auf hoher See kentert: sie wissen, dass Salzwasser GiF für sie ist. Wenn man auf seinem kleinen offenen ReAungsboot einmal Salzwasser getrunken hat, ist man so gut wie tot. Das darf man auf keinen Fall! Obwohl sie also durs@g und von Wasser umgeben sind, müssen sie denken: „GiF!“ „Ich will, ich will!“… „GiF!“ Und wenn sie trinken, ist es um sie geschehen, weil der Körper sehr stark darauf reagiert.
Das ist unsere Lage vom Standpunkt des Hinayana aus gesehen. Es sieht aus wie Wasser, es sieht aus, als würde es meinen Durst löschen, aber wenn ich es trinke, macht es mich verrückt. Also sage ich mir: „GiF, GiF, GiF, dukha, Leiden, Leiden!“ Dazu kommt, dass das, was mir im Augenblick so furchtbar wich@g erscheint, was ich mir einbilde, unbedingt haben zu müssen, vergänglich ist. Obwohl ich es also haben muss – oder im Gegenteil: obwohl ich mich so davor fürchte – wird es in einer Stunde, einem Tag, einem Jahr vergangen sein. Selbst die schrecklichsten Situa@onen dauern nicht ewig. Sie sind vergänglich, wie alles andere auch. Wenn wir wirklich an die Vergänglichkeit glauben, werden wir immer ruhig bleiben können, selbst wenn große Wellen der Freude oder der Angst entstehen, die uns bewegen – denn wir verstehen, was „Vergänglichkeit“ heißt.
Der driAe Punkt ist das Fehlen jeglicher innewohnenden Selbst-­‐Natur. Das bedeutet: wir sehen etwas, das uns gefällt oder Angst macht und wir erkennen: das ist ein Konstrukt. Es entsteht auf Grund bes@mmter Ursachen. Diese Ursachen sind nicht von Dauer. Dieses Konstrukt hat keinerlei Wesensgehalt. Vor nicht allzu langer Zeit war dieser Kuchen nichts als James Low © www.simplybeing.co.uk 43
Packungen auf einem Regal. Später wurde der Inhalt dieser Packungen mit Eiern, Mehl, BuAer und dergleichen vermischt und daraus wird dann ein Kuchen. Wenn wir den Kuchen auf dem Tisch stehen lassen, sieht er nach einiger Zeit nicht mehr ganz so interessant aus – und je ehrlicher, je reiner er ist, desto schneller wird er verroAen. Wenn er voll chemischer KonservierungsmiAel ist, kann man ihn lange Zeit stehen lassen, aber wenn er mit echter BuAer und Obers und so gemacht wurde, wird er ziemlich schnell schlecht werden. Alle Objekte unserer Begierde verwesen. Alles schwindet dahin.
Wenn einem diese drei Punkte wirklich klar sind, schützen sie uns vor den Versuchungen dieser Welt, sowie den Gedanken und Gefühlen, die in uns aufsteigen. Das ist die zentrale Reinigungs-­‐Strategie innerhalb der Theravada-­‐Tradi@on; sie beruht auf Vermeidung. Wenn man äußerliche Situa@onen vermeidet, sammelt man kein Karma für die ZukunF an; und wenn man lernt, innere Situa@onen wie Gedanken und Gefühle zu vermeiden, die in der Medita@on aufsteigen, löst man die Macht des vergangenen Karmas auf. Auf diese Weise werden der Haken von innen und der Haken von außen umgedreht; sie verfangen sich nicht mehr und wir werden ganz einfach. Wir haben dann keine Verbindung mehr und auf diese Weise schlüpfen wir aus Samsara ins Nirvana.
MAHAYANA
In der Tradi@on des Mahayana, insbesondere im Paramitamahayana, das eine Form des Mahayana ist, das sich speziell auf die Entwicklung der posi@ven EigenschaFen eines BodhisaAva konzentriert, reinigen wir uns, um anderen zu helfen. Da verlagert sich unmiAelbar die Mo@va@on. Während es im Hinayana darum geht, sich selbst vor Leiden zu bewahren, ist die Mahayana-­‐Tradi@on darauf ausgerichtet, andere vor dem Leiden zu bewahren; und das verstärkt die eigene Verpflichtung, nicht vom Weg abzukommen.
Nehmen wir ein Beispiel – es ist kein sehr gutes, aber macht nichts: nehmen wir einen Mann, der trinkt und mit dem Trinken eine Menge Geld vergeudet. Dann trifft er eine Frau; die zwei haben es neA, aber er trinkt immer noch. Die Frau wird schwanger und sie bekommen ein Kind. Leider kommt das nicht oF so vor, aber in einer guten Geschichte wird dem Mann plötzlich klar: „Jetzt, wo ich Verantwortung trage, kann ich nicht mehr so viel Geld für Alkohol ausgeben, weil ich mich um mein Kind kümmern muss.“ Die Gegenwart des anderen würde in Form einer KraF wirksam werden, die den Egoismus, die Schwäche des Mannes stoppt. Das passiert natürlich kaum jemals, weil die Macht der egois@schen AnhaFung sehr groß ist. Aber im Prinzip würde das im Mahayana so funk@onieren – dass wir die anderen Menschen über uns stellen, weil wir uns verpflichtet haben, alle fühlenden Wesen zu reAen; und das gibt uns extra Druck, verleiht der Sache extra Gewicht, mit dessen Hilfe wir unsere egois@schen Impulse überwinden können. Wir sind vielleicht nicht in der Lage, so etwas für uns selbst zu tun, aber wir tun es den anderen zuliebe.
Wahrscheinlich kennen wir das. Wir wissen: wenn uns jemand um Hilfe biAet, tun wir etwas für sie, aber für uns selbst würden wir es nicht machen. Es ist oF so, dass andere Menschen uns dabei helfen, ak@v zu werden.
Zu den stärksten KräFen, die im Mahayana wirken, zählen Geständnis und Reue. Das funk@oniert sehr ähnlich wie in der römisch-­‐katholischen Kirche. Schande, Schuld und Reue werden als eine Art Keil benützt.
[Abbildung 2]
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Hier haben wir einen Menschen; und dieser Mensch trägt viele unterschiedliche Tendenzen in sich. Diese Neigungen oder Impulse werden als „Selbst“ erlebt. Ich wollte ein Stück Kuchen. Diese Absicht ist in mir entstanden und ich habe mich mit ihr iden@fiziert; also habe ich ein Stück Kuchen gegessen. So lange die Neigung oder das Bestreben mit dem Selbst verbunden ist, wird es das Selbst dazu mo@vieren, zu handeln. Was man also miAels einer Art von Beichte versucht, ist, einen Keil im eigenen Inneren zu verankern, der diese Tendenz nach außen kehrt; was dazu führt, dass ich jetzt darüber nachdenken muss, wie ich handeln werde. Ich folge nicht mehr so ohne weiteres meinem Impuls, weil ich mir selbst misstraue. Ich denke: „Zum Teufel, ich tue so viele schlechte Dinge, ich mache so viele Fehler, es ist einfach nicht gut, wenn ich spontan handle.“ Im Grunde tut man nichts anderes, als in Bezug auf unsere psychologische Funk@onsweise auf die Bremsen zu steigen. Wir benützen Sorge und Unbehagen, um das „Selbst-­‐System“ abzubremsen. Das ist heutzutage nicht sehr populär, aber in den meisten Religionen ist es tradi@onell die Standard-­‐Belehrung für alle Menschen, die nicht entweder Yogis oder Mys@ker sind. Die meisten Religionen fordern „normale“ Menschen auf: „Gebt anderen den Vorrang; misstraut euch selbst. Ihr tragt dieses GiF bereits in euch, egal ob man es jetzt Ur-­‐
Sünde nennt, ursprüngliche Unwissenheit oder die Fünf GiFe. Solange ihr euch mit diesen Fünf GiFen iden@fiziert, seid ihr eine Gefahr für euch selbst und für andere.“
PARAMITAS
Das GegenmiAel, das wir hier anwenden, ist: anderen Menschen den Vorrang zu geben. Also sind wir großzügig im Geben, unterstützen sie, sind freundlich zu ihnen. Wir sind strebsam und arbeiten hart. Wir stellen ethische Betrachtungen an. Wir haben die sechs oder zehn Paramitas – EigenschaFen, die dazu dienen, uns einzubremsen, unsere Impulse zurückzuhalten. Also üben wir konzentrierte Medita@on; wir entwickeln Weisheit. Alles das sind MiAel, die die karmischen Impulse hintanhalten. Es ist, als würde unsere Post abgefangen, oder unsere Telefone abgehört. Angenommen, wir würden von einem Anrufer beläs@gt. In einem solchen Fall wird die TelefongesellschaF vermutlich den Anschluss überwachen, um herauszufinden, wer dieser Anrufer ist. Sie wird eine Form von Filter anwenden, damit ein Anrufer, der sexuelle Beläs@gungen ausspricht, gar nicht erst zu uns durchkommt. Wir versuchen also in dieser Mahayana-­‐Praxis, in uns selbst einen derar@gen Filter einzubauen, sodass ein entsprechender Impuls herausgefiltert wird, sobald er auFaucht. Wir tun das, indem wir unsere bewusste Inten@on darauf ausrichten, gute Werke für andere zu tun. Natürlich ist das sehr mühevoll. Es ist mühevoll, weil diese Impulse zurückkehren, sobald man nicht damit beschäFigt ist, für andere Gutes zu tun. Es ist genauso, wie es das Sprichwort sagt: „Müßiggang ist aller Laster Anfang.“
In diesem System geht man also eine Verpflichtung ein, viele Abermillionen von Leben lang für andere da zu sein und immer für andere zu arbeiten. Und indem wir uns ständig beschäFigen, schützen wir uns vor unseren eigenen Neigungen, Schlechtes zu tun. Das ist James Low © www.simplybeing.co.uk 45
eine ziemlich unbeholfene Methode. Es ist ein bisschen so, wie ein Raucher, der zu rauchen auyört. Dann isst er ständig. Und wenn er auyört, zu essen, will er wieder eine ZigareAe rauchen.
Kommentar: Die Art, wie du das präsen@erst, klingt das so, als würde ich mich vom wahren Leben abschneiden…
James: Genau. Ich habe das nicht erfunden. Ich bin dafür nicht verantwortlich. Der Buddha hat es so gelehrt, also richtet biAe alle Kri@k direkt an ihn! Genau darum geht es. Das Ganze ist sehr ar@fiziell und in tradi@onellen Kulturen ist das religiöse Leben sehr ar@fiziell. Man lebt kein „normales“ Leben, wenn man diese Form von Religion prak@ziert.
Kommentar: Wenn du sagst, jedem Menschen eignet Buddha-­‐Natur, dann scheint mir das in der Mahayana-­‐Tradi@on aber nicht zuzutreffen, oder jedenfalls nicht sehr deutlich, weil ich mir immer misstrauen muss.
James: S@mmt, aber wir haben unser Selbst und unsere Buddha-­‐Natur; wir können dazu auch „unser wahres Selbst“ sagen, wenn ihr wollt.
[Abbildung 3]
Unser Selbst und unsere Buddha-­‐Natur sind nicht dasselbe. Wenn ich meine Aufmerksamkeit auf mein Selbst richte, werde ich meine Buddha-­‐Natur niemals erkennen, weil es just mein Selbst ist, das mich daran hindert, meine Buddha-­‐Natur zu erkennen. In gewisser Weise müssen wir unser Selbst erst auslöschen, um unsere Buddha-­‐Natur erkennen zu können. Wenn wir sie einmal erkannt haben, können wir unser Selbst vielleicht wieder „inkorporieren“. Das ist der Übergangspunkt, denn laut Dzogchen kommt die Erleuchtung durch die Integra@on. Aus der Sicht des Tantra geht es um die Integra@on, aber auf dieser Grundstufe des Mahayana sind die beiden getrennt. Da drüben sind die Buddhas und hier die fühlenden Wesen. Wie auf dem Kinderspielplatz – die Buben sind hier und die Mädels dort drüben. Aber die Dinge sind nicht so deutlich voneinander getrennt.
Wer und was wir sind, ist der Feind dessen, wer wir wirklich sind; also müssen wir auyören, diejenigen zu sein, die wir sind, um wirklich zu werden, wer wir sind. Das Christentum sagt so ziemlich das Gleiche. Man muss sich vergessen, um sich selbst zu finden. Das ist im MiAleren und Nahen Osten eine sehr weit verbreitete Idee. Zumindest ist sie vermutlich aus dem Nahen Osten in den Mahayana gekommen. Die meisten dieser Religionen sind im Prinzip ganz ähnlich.
Es geht darum, uns zu verändern, damit wir unsere Buddha-­‐Natur nicht länger daran hindern, sich zu manifes@eren. Eine Vorstellung lautet, dass unser sogenanntes „schlechtes“ Selbst, unsere schweren, machtvollen Emo@onen und alles das, sich wie eine dicke Trennwand vor unsere Buddha-­‐Natur schieben. Aber wenn ich gut und freundlich und rücksichtsvoll bin und medi@ere, wird mein alltägliches Selbst ganz dünn. Wenn er mir gelingt, meine rohe, gewöhnliche Wesensart in eine feine, gewöhnliche Wesensart zu James Low © www.simplybeing.co.uk 46
verwandeln, ist die Chance größer, dass diese Buddha-­‐Natur sich durchsetzt.
Deshalb machen die Menschen viele Reinigungs-­‐Rituale, sie spenden BuAerlampen, bauen Klöster oder Stupas, geben den Armen zu essen, lassen Dharma-­‐Bücher drucken, bauen Spitäler – das sind alles Möglichkeiten, sich zu reinigen. Um unsere Sensibilität zu fördern, also um anderen gegenüber einfühlsam und feinfühlend zu sein, werden wir selbst in gewisser Weise weich und sanF; das erhöht dann die Chance, dass wir etwas erkennen. Das ist hier die zugrunde liegende Idee. Wenn sich uns die Gelegenheit bietet, ist es durchaus nützlich, solche Dinge zu tun. Es ist immer gut, Armen etwas zu essen zu geben, oder Akte der HilfsbereitschaF zu setzen, weil sie dazu beitragen, eine Umwelt zu erschaffen, in der wir von anderen Menschen ‚bewohnt‘ werden.
Wenn wir die einzigen Bewohner unseres Selbst sind, können wir immer nur für uns selbst tä@g werden. Aber in uns wohnen natürlich auch unsere Lehrer, unsere Eltern, Menschen, die nicht neA zu uns waren… Also entstehen Impulse in uns, die von diesen S@mmen ausgehen und uns in Schwierigkeiten bringen. Das ist gemeinhin die Aufgabe der Psychotherapie: Menschen zu helfen, diese inneren S@mmen zu iden@fizieren. Aber im Mahayana Buddhismus laden wir ganz bewusst das gesamte Universum in unser Inneres ein. Wir sagen: „Ich bin bei euch. Ich komme in mein Inneres zu euch. Ich werde an euch denken.“ Der Grundsatz-­‐Schwur im Mahayana lautet: „Ich werde fühlende Wesen niemals im S@ch lassen. Ich werde immer bei ihnen sein.“ Wenn man das recht bedenkt, ist das eine unglaubliche Vorstellung. Selbst wenn wir schlafen gehen, sollten wir uns vorstellen, dass alle fühlenden Wesen sich in den Armen des Buddhas in Sicherheit befinden und gemeinsam einschlafen. Immer, wenn wir etwas essen, stellen wir uns vor, dass diese Nahrung an alle fühlenden Wesen geht. Jedes Mal, wenn etwas Posi@ves geschieht, versuchen wir, es mit allen fühlenden Wesen zu teilen. Und immer, wenn uns etwas Nega@ves widerfährt, wollen wir derar@ge nega@ve Dinge von allen fühlenden Wesen fernhalten.
Auf diese Weise werden wir sehr, sehr groß und ganz erfüllt von all diesen Wesen. Sie in unserem Inneren zu haben, machte es uns sehr schwer, von der Posi@on unseres kompakten, schweren, „schlimmen“ Selbst heraus zu agieren, weil man so „ausgedünnt“ ist dadurch, dass man sich nach allen Richtungen streckt, um anderen zu helfen. Aber natürlich werden wir dadurch auch sehr verwundbar. Wie ich gestern schon sagte – wir bekommen ein Gefühl für das Leiden der anderen und das ist äußerst schmerzhaF, weil wir meistens nicht in der Lage sind, etwas daran zu ändern. Deshalb gibt es in der @be@schen Tradi@on die Vorstellung, dass Tara aus einer Träne im Auge des Chenrezig geboren wurde. Chenrezig hat tausende Augen, die alle weinen, weil er alles sieht – und er muss weinen, weil er Anteil nimmt.
Das ist Teil des Schmerzes, aber es bedeutet auch, dass wir uns nicht mehr in erster Linie um uns selbst kümmern, sondern um andere Menschen. Die anderen werden dann zu einer Art Wunde, die das Selbst daran hindert, sich von allem abzuschirmen. Wir sind immer für andere da. Wir haben diesen SchniA, der miAen durch unser Herz geht. Das ist eine sehr weitreichende Verpflichtung, die man fühlenden Wesen gegenüber eingeht; und das allein läutert schon dieses gierige Anklammern am Selbst; dieses Sich-­‐wich@ger-­‐als-­‐alle-­‐anderen-­‐
Nehmen. Wir tun damit nichts anderes als Subjekt und Objekt zu vereinigen, indem wir alles auf dieser Welt teilen wollen. Alle guten Dinge auf der Welt wollen wir mit den anderen Lebewesen teilen. Immer, wenn wir etwas Schönes sehen – vielleicht machen wir einen Spaziergang und sehen die Bäume in ihren Herbsƒarben – denken wir: „Mögen alle Wesen so etwas erleben. Mögen alle Wesen in den Höllen-­‐Bereichen, die von der Kälte gequält werden, diesen sanFen Regen fühlen.“ Auf diese Weise wird alles, was wir erleben, zu einem Haken, der unsere Aufmerksamkeit von uns selbst weg zu den anderen zieht. Das ist etwas ganz James Low © www.simplybeing.co.uk 47
Wunderbares.
Kommentar: Meinst du „wunderbar“ ernst oder ironisch?
James: Wie könnte das ironisch gemeint sein? Traust du mir zu, ironisch zu sein? Nein – genau! Ich bin immer ganz geradlinig. Nein – das ist natürlich nicht ironisch gemeint.
Es ist wirklich etwas Wunderbares. Es gehört zu den Dingen, die uns die Tränen in die Augen treiben, wenn wir nur daran denken. Wie wenn wir die Pietà von Michelangelo sehen. Ich finde, es liegt etwas absolut Wunderbares in diesen buddhis@schen Vorstellungen; sie vermiAeln genau diese Qualität des gemeinsamen Leidens.
Kommentar: Ohne den Wunsch, das zu ändern?
James: Wir haben den Wunsch, es zu ändern – aber es steht nicht in unserer Macht. Wir wollen es verändern, aber wir akzep@eren, dass das eine sehr lange Zeit dauern kann, also werde nicht mehr ich es sein, dieses isolierte Subjekt, das versucht, Erleuchtung zu erlangen; aber ich gehe jetzt die Verpflichtung ein, mit den Objekten, die auch fühlende Wesen sind, gemeinsam Erleuchtung zu erlangen; das erweitert die Situa@on ziemlich.
Wir sind nicht fest und unveränderlich – weil es diese Bewegung der Gedanken gibt und unsere Verbindung zu anderen Menschen. Wir können anderen gegenüber nicht gleichgül@g sein. Wenn wir von einer Tragödie hören, die sich irgendwo auf der Welt abspielt, berührt uns das und wir sagen: „Ich möchte davon berührt werden, es ist sehr wich@g für mich, berührt zu werden.“ Das heißt, wenn irgendein Ereignis irgendwo auf der Welt zu uns kommt, stehen wir mit diesen Orten und den Menschen dort in Verbindung. Die Distanz zwischen uns und den anderen wird beständig kleiner und wir entwickeln eine dynamischere Beziehung, die uns hilF, sie zusehends als Energie zu verstehen.
Das ist eine sehr wich@ge Idee, denn sie ist die Wurzel dieser Mahayana-­‐Praxis. Kommentar: Ich finde das ist – also zumindest für mich ist es immer wieder eine schwierige Idee. Vielleicht hat es in meinem Fall ein bisschen mit AnhaFung zu tun, aber wenn ich in den Wald gehe und alles schön ist und ich das mit allen fühlenden Wesen teile, oder wenn ich Schmerzen habe und mich mit allen Menschen verbunden fühle, die auch leiden – ich sehe das, ich spüre das. Dann kommt ganz klein die Hoffnung auf: wenn ich das tue, diese Verbindung mit den anderen spüre, dann wird mein eigener Schmerz kleiner. Aber natürlich funk@oniert das nicht so – ich habe meine Schmerzen immer noch; und die Freude geht mir verloren.
Ich finde die Vorstellung, mit allen verbunden zu sein oder zu leiden, Freude zu fühlen mit allen, eine Verbindung zu allen zu haben, sehr schön; aber ich denke, es ist schwierig, dieses Gefühl von Verbindung zu haben und gleichzei@g etwas Posi@ves zu fühlen.
James: Ja, es ist schwer, posi@ve Gefühle zu haben. Du hast vollkommen recht. Es bedarf immer einer Anstrengung. Das ist der Weg des Märtyrers – und nicht nur mit einem Löwen oder einem Schwert; da geht es jeden Tag: SchniA! SchniA! SchniA! Weil wir nicht nur das Leben beschneiden, sondern auch unser Ego. Wir wissen, dass unser Ego sich von Leben zu Leben fortsetzt, also müssen wir auch viel schneiden, um es klein zu kriegen.
Kommentar: Ich möchte so gerne ein Resultat sehen bei dem, was ich tue… oder mich besser fühlen. Nur ein ganz kleines bisschen. Aber so ist es nicht.
James: Die Gefahr liegt in der Depression. Dass wir die Hoffnung verlieren und depressiv James Low © www.simplybeing.co.uk 48
werden, wenn das alles zu schrecklich wird. Ich denke, es funk@oniert eher so, wie… sagen wir einmal, wir haben Rückenschmerzen oder etwas in der Art. Dann stellt man sich alle Menschen auf der Welt vor, die von Arthri@s heimgesucht werden, die nicht einmal mehr essen oder eine Tasse halten können; dann denken wir vielleicht: „Zum Teufel, was soll’s, vielleicht wird es noch schlimmer. Ich will nicht alt werden…“ Aber dann wird uns klar: „Ach so – das sind Gedanken, die die Angst mir eingibt; aber ich weiß doch, dass das Leben vergänglich ist…“ Die Verbindung mit dem Leiden aller holt quasi den Schlamm vom Grund des Sees herauf; und dann muss man in einem nächsten SchriA das reinigen, was man da hochgeholt hat. Für sich selbst genommen reinigt das noch nicht. Es stellt nur eine Verbindung her und dadurch wird uns klar: „Ach so – ich haFe an. Ich habe viel Angst, also muss ich daran arbeiten.“
Generell gibt es im Mahayana aber die zwei KräFe: Weisheit und Mitgefühl. Erinnert euch, wir haben davon gesprochen, dass die beiden wie zwei Flügel eines Vogels sind. Wenn man zu viel Mitgefühl verspürt und die Weisheit fehlt, wird man umfallen. Weisheit ist schwierig, weil es hier so viel wie „Leere“ bedeutet. Wenn wir also über das Leiden aller Wesen nachdenken und dieses Leiden sehr real wird, wird es womöglich so schwer, dass es uns rich@ggehend erdrückt. Wir müssen auch die Idee festhalten: „Von ihrem allerersten Ursprung her haben alle fühlenden Wesen die Beschaffenheit der Leere“ und versuchen, mit Hilfe unserer eigenen Medita@on diese Erfahrung zu machen. Das ist es, was uns inmiAen von Schwierigkeiten Leich@gkeit verleiht. Wenn wir das nicht haben und wir immer nur nach noch mehr Verbindung trachten, ist es leicht möglich, dass wir davon überwäl@gt werden. Das ist ein bisschen so wie Therapeuten oder Lehrer, die keine gute Supervision oder Unterstützung oder einen guten Manager haben – wenn sie nicht sehr gut ausgebildet sind, versuchen sie, allen zu helfen, und dann wird das Ganze völlig verrückt. Es muss einen Ort geben, wo sie sich zurückziehen und darüber nachdenken können, was da vor sich geht.
Im Buddhismus ist die Medita@on unser Supervisor; der Ort, an dem wir uns neue Ideen holen. Was du sagst, ist sehr wich@g; man muss diese beiden Elemente im Gleichgewicht halten und wir sollten uns niemals mehr au|ürden, als wir bewäl@gen können. Es hat keinen Sinn – man fühlt sich sonst im Nachhinein nur traurig und kummervoll.
TANTRA
Ich möchte das jetzt gerne mit dem Tantra verbinden, weil Tantra uns zu Dorje Sempa bringt.
Tantra arbeitet mit denselben Prinzipien von Weisheit und Mitgefühl. Der Standpunkt im Tantra ist derselbe wie im Prajnaparamitayana. Er besagt, dass alle Lebewesen Buddha-­‐Natur haben und zielt darauf ab, diese Buddha-­‐Natur – meine eigene Buddha-­‐Natur – möglichst rasch hervorzuholen. Vom Standpunkt des Mahayana aus ist es ein langer Weg, um von mir zur Buddha-­‐Natur zu gelangen.
[Abbildung 4]
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Es bedarf sehr vieler Leben, unzähliger Erfahrungen, um von hier nach dort zu gelangen. Das Wort Tantra heißt soviel wie „Kon@nuität“. Manche von euch wissen das alles schon, aber um es nochmals kurz zusammenzufassen: es handelt sich um eine Kon@nuität wie bei einem Mala, einem kleinen Rosenkranz. In der MiAe ist der Faden; der Faden hält die Perlen und die Perlen laufen im Kreis. Das ist die eigentliche Bedeutung von Tantra: die Kon@nuität der Verbindung.
Was wird da verbunden? Man könnte sagen: dieser Bereich unseres Selbst ist Samsara. Meine Buddha-­‐Natur ist Nirvana. Tantra besagt, dass zwischen Samsara und Nirvana eine Verbindung besteht. Erfahrungen des Samsara, Erfahrungen des Nirvana – alle bewegen sich, eine nach der anderen, auf demselben Faden. Was ist dieser Faden? Die Leere. Leere ist dieser Faden, der alle Erfahrungen verbindet. Das bringt uns zurück zur Vorstellung des Urgrundes, denn dieser Faden, der alles zusammenhält, ist genau der Urgrund – und weil das so ist, können wir MiAel und Wege finden, uns schneller mit diesem Faden zu verbinden. Wenn wir den Faden finden, bewegen wir uns sehr rasch von Samsara ins Nirvana. Das ist es, was im Tantra geschieht.
ABSTAMMUNGSLINIE
Jedes Tantra hat eine Abstammungslinie und alle Abstammungslinien beginnen mit einer Darstellung der Buddha-­‐Natur.
[Abbildung 5]
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Im Nyingma wird die Buddha-­‐Natur durch Kuntuzangpo repräsen@ert; in den Kagyupa-­‐, Gelugpa-­‐ und Sakya-­‐Tradi@onen durch Dorje Chang oder Vajradhara. Diese GoAheiten sind Symbol für und gleichzei@g lebendige Gegenwart unserer Buddha-­‐Natur – der Buddha-­‐Natur aller Lebewesen. Ab einem bes@mmten Punkt macht sich diese Buddha-­‐Natur bemerkbar; das heißt: sie manifes@ert sich auf eine gewisse Weise gegenüber der Welt. Generell verläuF die Verbindung in den Nyingma-­‐Tradi@onen, und speziell im Dzogchen, von der Buddha-­‐
Natur zu Dorje Sempa oder VajrasaAva. Dorje Sempa ist nur der @be@sche Name.
Es gibt viele Abkömmlinge von Dorje Sempa; aber vor allem gelangen wir hier zu Padma Sambhava und von ihm gehen dann die unterschiedlichen Nyingmapa-­‐Tradi@onen aus. Dann kommen eure Lehrer; und dann kommt ihr. Also seid ihr mit diesem Ursprung in Verbindung. Man kann das als eine historische oder ver@kale Linie sehen, aber es ist auch eine Abstammungslinie, die quer durch die Herzen verläuF. Wenn man die Gebete spricht und medi@ert, erwacht die Tradi@on in uns zum Leben; und mit unserem Herzen finden wir direkt zu Kuntuzangpo. Das ist die Praxis aller tantrischen Medita@onen.
Es ist sehr wich@g, sich vor Augen zu halten, worum es in einer solchen Abstammungslinie geht. Sie zeigt, dass wir immer die Möglichkeit haben, uns mit der Buddha-­‐Natur zu verbinden. Das wird durch die Abstammungslinie repräsen@ert. Sie ist eine lebendige Übertragungslinie; und der Grund, warum sie durch Übertragung weitergegeben werden muss, liegt darin, dass man zwar in Büchern darüber lesen kann, aber dabei gelangt man immer wieder nur zu sich selbst zurück. Denn da Unwissenheit nichts ist als die Trennung von Subjekt und Objekt, brauchen wir gewissermaßen ein Objekt – also ein anderes Subjekt – das uns mit uns selbst bekannt macht. Wenn man das selber machen müsste, wäre das so, als würde ein Subjekt versuchen, sein eigenes Problem zu lösen. Aber wenn der Lehrer es uns erklärt und man das prak@ziert, was vom Lehrer kommt, stellt sich zwischen dem Lehrer als Objekt und einem selbst als Subjekt eine Verbindung her; und man erkennt als Subjekt durch die Beziehung mit dem Objekt, wer man ist.
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STRUKTUR DER PRAXIS
Wenn man diese spezielle Form der Medita@on prak@ziert, die Abstammungslinie visualisiert und alle GoAheiten auf dem eigenen Kopf, so ist Dorje Sempa auf eurem Kopf die Form, in der euer Lehrer hier erscheint. Dann löst sich euer Lehrer in euch auf; aber euer Lehrer ist Träger der gesamten Abstammungslinie. Also habt ihr als Objekt den Buddha, der mit euch verschmilzt, als Subjekt den Menschen, der sich in Samsara verliert; und wenn jetzt Subjekt und Objekt miteinander verschmelzen, Samsara und Nirvana miteinander verschmelzen, dann erkennt ihr euch selbst. Das ist die Struktur der Praxis. Daraus geht hervor, wie wich@g es ist, dieser Abstammungslinie zu vertrauen.
ÜBERTRAGUNG UND INITIATION
Der Lehrer nimmt die Übertragung der Praxis vor; das kann formal durch eine Ini@a@on geschehen oder informell, durch sehr klare Unterweisung, damit man versteht, worum es genau geht. Denn bei Ini@a@onen geht es darum, dass einem jemand etwas gibt. Man kann eine formelle Ini@a@on erleben und nichts davon haben; und man kann auf eine ganz andere Art verbunden sein und etwas erhalten. Wenn man nichts bekommt, hat man keine Ini@a@on erhalten. Wenn man will, kann man nach Indien reisen und sich dort einen Titel kaufen. Man kann sich einen Führerschein kaufen – in Indien kann man prak@sch alles kaufen. Ich fahre selber nicht, also könnte ich nach Indien reisen und mir dort einen Führerschein kaufen, aber wenn ich dann in ein Auto eins@ege, wäre ich kein sehr guter Fahrer! Ich häAe zwar meinen Führerschein, aber ich wüsste nicht, wie man das Auto fährt.
Man kann zu Lehrern gehen und viele, viele Ini@a@onen erhalten und in einem kleinen No@zbuch Aufzeichnungen über alle diese Ini@a@onen machen, aber das hilF einem nicht, das Auto zu lenken. Man muss etwas bekommen; man muss ein Verständnis dafür entwickeln, was ein Auto ist. Und das wird einem vom Fahrlehrer erklärt. Es ist ganz wich@g, sicherzustellen, dass jemand tatsächlich in der Lage ist, einem zu zeigen, wie man ein Auto lenkt.
Kommentar: Sind Ini@a@onen also nicht nützlich?
James: Doch, sie sind sogar sehr nützlich.
Kommentar: Für später? Wenn man anfängt, ein Auto zu lenken?
James: Nun ja – sie sind hilfreich, weil man manchmal bei so einer Ini@a@on etwas bekommt. Man erhält die Fahr-­‐Übertragung. Aber es bedeutet auch, dass die Übertragung einen in die Familie herein holt. Die Übertragung findet dabei auch staA. Übertragung ist eine Verbindung. Sie kann auf formelle oder informelle Weise zustande kommen. Man trifft zum Beispiel jemanden, der einem sympathisch ist und man denkt sich: „Ach, ich häAe gerne eine Beziehung mit dieser Person.“ Also ladet ihr sie vielleicht zum Essen ein – entweder in ein neAes Restaurant, oder zu euch nach Hause. Wenn ihr sie nach Hause einladet, aus diesem Anlass Blumen kauF, etwas Gutes kocht und einen feinen Wein aufmacht – denkt ihr euch vielleicht am Ende des Abends: „Ach, du liebes bisschen – ich hoffe, der geht bald. Ich will mit dieser Person nicht ins BeA gehen.“ Die Situa@on war da, aber die Energie hat gefehlt. Ein anderes Mal trefft ihr vielleicht zufällig jemanden, ihr kommt unvermiAelt ins Reden und denkt euch vielleicht: „Das ist es jetzt!“
Die Dinge schön zu arrangieren, führt nicht unbedingt zur gewünschten Situa@on. Zu Beginn, als Tilopa in Indien Einweihungen gab, verwendete er einen Tontopf, wie viele der Yogis. In Tibet benützen sie heute diese sehr schönen Töpfe für die Vasen-­‐Ini@a@on, mit Gold, Silber und Pfauenfedern und dergleichen mehr. Früher waren das einfache Töpfe, Wassertöpfe. Es James Low © www.simplybeing.co.uk 52
ist auch nur Wasser; man gießt sich Wasser über den Kopf. Das Wesentliche daran ist, zu verstehen, dass das Wasser rein ist. Aber heutzutage sieht es so aus wie: „Ihr bekommt jetzt diese Topf-­‐Einweihung…“ Aber ihr müsst die Erfahrung machen. Wenn ihr die Erfahrung nicht macht, ist es wie bei der christlichen Taufe – ganz ähnlich. Die meisten dieser Religionen haben ähnliche Vorstellungen. Die Hindus baden im Ganges und waschen so alle ihre Sünden ab. Das ist genau die gleiche Idee.
Kommentar: Aber das, was einem zu diesem Zeitpunkt hilF, die Erfahrung zu machen, verschwindet später, weil man nicht prak@ziert; dann wird es zu einer Erinnerung aber ich weiß nicht mehr wirklich, wo es herkommt.
James: In der @be@schen Tradi@on war es bei vielen Lamas Brauch, eine Unzahl von Einweihungen zu erlangen; und manche davon mehrmals. Wenn man die Biographien dieser Lamas liest, kann man sehen, wie genau sie ihre Lehrer auflisten, von denen sie manchmal alles in allem mehrere hundert Ini@a@onen erhalten haben. Die Biographien können ein bisschen wie ausführliche Curricula sein. Sie sagen nicht wirklich etwas über einen Mensch aus. Die Hauptsache ist, sich auf irgendeine Weise mit den Vorgängen verbunden zu fühlen. Einweihungen werden vorgenommen, um Verbindungen herzustellen; denn die Verbindung der Abstammungslinie ist die Verbindung, die aus Samsara ins Nirvana führt. Deshalb hat der Glaube tradi@onell sehr große Bedeutung, weil wir daran glauben müssen, dass der Guru das Nirvana repräsen@ert; und dass das Nirvana zu uns kommt. Wenn man nicht daran glaubt, dass der Lehrer eine lebendige Form des Nirvana ist, kann man auch die symbolische Transforma@on nicht machen.
So funk@oniert das. Wir geben einer symbolischen Realität mehr Gewicht als der gewöhnlichen Realität unserer Wahrnehmung. Eine Person wird von uns mit allen unseren Hoffnungen und Träumen und unserem ganzen Glauben an den Dharma ausgestaAet, sodass diese eine Person alles für uns repräsen@ert, was gut ist – und dann kann man sich ändern, indem man diese eine Person „benützt“. Alles, was wir brauchen, ist in dieser einen Person verkörpert. Sie ist eine Art Gedächtnisstütze – eine Eselsbrücke, mit deren Hilfe wir uns an etwas erinnern, aber nicht in kogni@ver Weise, sondern in Form einer Erfahrung. Beispielsweise wollen wir uns daran erinnern, was Schönheit ist. Vielleicht haben wir ein Gefühl, das uns ein Musikstück vermiAelt hat, oder ein Gemälde, oder eine Skulptur, oder ein Sonnenuntergang – und wann immer wir mit Schönheit in Berührung kommen wollen, beschwören wir dieses Gefühl herauf. So wie Schauspieler lernen, auf der Bühne zu weinen oder zu lachen, weil sie etwas erleben, was diese spezielle Erfahrung auslöst. Und das ist keineswegs künstlich.
Der Lehrer übernimmt dieselbe Funk@on. Das ist alles ein MiAel zum Zweck. Das sind alles Methoden, mit deren Hilfe wir die Lehren des Mahayana erkennen können. Sie sind nicht „wahr“, aber es sind Werkzeuge, und weil sie ein Werkzeug sind…
Kommentar: Und weil sie ein Werkzeug sind, können sie wahr werden.
James: Ja, sie können für einen selbst wahr werden. Was sie wahr werden lässt, ist die Tatsache, dass sie funk@onieren. Aber wenn wir sie wahr machen und sie funk@onieren bei uns nicht, haben wir das Gefühl, wir seien schlecht; und das ist nicht hilfreich, weil das Leben zu kurz ist.
Wir kommen jetzt gleich zu Dorje Sempa.
Kommentar: Aber dieser Lehrer – sprichst du da von einem tatsächlichen, lebendigen Lehrer, oder ist er wie Padma Sambhava oder ein Sambhogakaya?
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GLAUBE
James: Das macht keinen so großen Unterschied. Es heißt immer, es kommt darauf an, was für eine Art von Glauben wir haben. Wir kennen alle die Geschichte von der Frau, für die ein Hundezahn zum Zahn des Buddha wurde.
Um die Geschichte nochmals kurz zu rekapitulieren: der sehr geschäFstüch@ge Sohn einer überaus gläubigen @be@schen MuAer reiste mehrmals dienstlich nach Indien und jedes Mal bat ihn seine MuAer, ihm aus dem Heiligen Land des Dharma eine Reliquie des Buddha mitzubringen, damit sie sie verehren könne. Da er über seinen GeschäFen ihren Wunsch immer wieder vergaß, drohte ihm seine MuAer einmal sogar damit, vor seinen Augen Selbstmord zu begehen, wenn er ihren Herzenswunsch wieder vergessen würde. Auf seiner nächsten Heimreise – er war schon fast zu Hause angekommen – bemerkte er, dass er den Wunsch seiner MuAer wieder vergessen haAe. Da er wusste, dass seine MuAer fähig war, ihre Drohung wahr zu machen, blickte er sich verzweifelt nach einem Objekt um, das er ihr als Reliquie mitbringen könnte und fand ein HundeskeleA. Er nahm daraus einen Zahn, schlug ihn in prachtvolle Seidentücher ein und brachte ihn seiner MuAer mit den Worten: „Das ist ein Zahn des Buddha!“ Da sie keinerlei Zweifel an der WahrhaFigkeit seiner Worte haAe, betete sie inbrüns@g zu dem Hundezahn und erwirkte so den Segen des Buddha.
Im @be@schen Buddhismus ist es der Glaube, der zählt. Wenn man wirklich an etwas glaubt, wird das auch funk@onieren – und wenn man nicht glaubt, funk@oniert es nicht. Es ist wirklich ganz wich@g, etwas zu finden, woran man glauben kann. Darauf kommt es an. Und nur deshalb, weil andere Menschen an etwas glauben, heißt das noch lange nicht, dass das auch für einen selber gilt. Wir müssen eine Herzensverbindung dazu haben. Ohne diese Herzensverbindung wird es nicht funk@onieren.
Wir haben im Zusammenhang mit Sex schon darüber gesprochen. Man kann diese Gebete immer wieder sprechen, quasi als eine Formalität, wie der sexuelle Akt, wenn er nichts anderes ist als unsere Sexualorgane, die sich aneinander reiben. Daraus entsteht nicht unbedingt ein Gefühl. Kann sein, es wird einem heiß und so – aber die Befriedigung wird ausbleiben, es sei denn, ihr fühlt mit eurem Herzen.
Man kann sich nicht wirklich lieben, wenn man keine Herzensverbindung zu dieser Person hat. Wenn wir diese tantrische Prak@k ausführen, muss das wirklich aus @efstem Herzen geschehen; denn letztendlich dringt die GoAheit in unser Herz ein und unser Herz muss völlig offen sein, damit diese zwei miteinander verschmelzen können. Als wäre die GoAheit der Phallus, ein Penis, und das Herz eine Vagina, und die zwei kommen zusammen und werden eins. Aber wenn wir nicht offen und bereit sind, sie zu empfangen, verschließt sich unser Herz und das Ganze wird völlig mechanisch.
Kommentar: Das Drama ist immer dasselbe. Es ist dasselbe, ob ich alleine bin und prak@ziere oder ob ich andere Menschen dafür bezahle, dass sie für mich prak@zieren.
James: Ich könnte dich dafür bezahlen, dass du diesen Kuchen für mich isst. Der Vorteil wäre: ich würde in meine Hosen passen; der Nachteil: ich bekomme den Kuchen nicht zu schmecken. Man muss den Kuchen aber schmecken.
Kommentar: Warum?
James: Weil wir selber dieser Kuchen sind.
Kommentar: Sogar wenn drei andere den Kuchen essen, bedeutet es mir nichts, Kuchen zu essen.
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James: Aber wenn sie ihre Buddha-­‐Natur erlangen und du nicht…
Kommentar: Vielleicht geben sie mir später einmal Kuchen.
James: Das ist eine sehr interessante Idee. Das ist genau das Herzstück einer, sagen wir einmal, patriarchalischen Linie dieser Tradi@on – jemand schenkt mir Erleuchtung. Im Tantra wird das nicht so deutlich, aber alle Dzogchen-­‐Texte sagen ganz klar: “Niemand kann unsere Buddha-­‐Natur stehlen, niemand kann uns Buddha-­‐Natur geben; wir haben von Anfang an Buddha-­‐Natur; aber nur wir selbst können unsere Buddha-­‐Natur kosten.“ Die Erleuchtung eines anderen kann niemals uns selbst Erleuchtung bringen. Das ist die Erkenntnis von Medi@erenden. Die Auffassung von Klöstern und Thronsesseln ist, dass uns jemand etwas auf den Kopf tut und wir darauyin Erleuchtung erlangen.
Die Menschen reisen um die halbe Welt, um zu sehen, wie der Karmapa einen Hut aufsetzt. Ich habe den Hut des Karmapa sehr oF gesehen und der Karmapa hat mir Belehrungen gegeben; ich habe viel vom Karmapa gelernt, aber, wisst ihr, der Karmapa ist der Karmapa. Und ich war und bin immer nur ich selbst. Ich war ich selbst, plus… Man kann ganz viele Erlebnisse haben, die aus dem Selbst bestehen – plus jener Erfahrung. Und dann gibt es eine Erfahrung wo… etwas anderes passiert. Wir brauchen den Schock; wir brauchen dieses „Andere“.
Kommentar: Aber wenn wir alle Teil dieses Grundes sind, wozu brauche ich es dann?
James: Weil in diesem Augenblick für dich der Grund als „Gefühl“ exis@ert. Sonst wären wir vermutlich nicht hier. Wenn du wirklich „im Grund“ lebtest, und exakt diese Erfahrung integriert häAest, würdest du nicht hierher kommen müssen. Wir haben eine Vorstellung vom Grund und wollen die Erfahrung machen – deshalb gehen wir zu einem Lehrer, damit er uns hilF, das tatsächlich zu erleben. Wenn uns der Lehrer nur die Theorie erzählt, so wie wir das hier gerade tun, ist das nicht so gut – hoffentlich benützen wir dieses Konzept beim Prak@zieren, um direkt in die Erfahrung hineinzugehen. Wenn man sie einmal gekostet hat, kennt man den Geschmack. Und den kann einem niemand mehr wegnehmen. Man weiß dann, was das ist. Tibe@sche Lamas wiederholen es immer wieder: „Wenn ich ein Stück Zucker auf meine Zunge lege, schmeckst DU deshalb nicht die Süße. Du musst dir deinen eigenen süßen Geschmack verschaffen.“
Normalerweise stehen wir nicht in Verbindung mit dem Grund. Das Ego-­‐Selbst kann den Grund niemals finden. Man kommt nur zum Grund, indem man zum Grund wird; von diesem Moment an ist man nicht mehr Teil dieser Subjekt-­‐Objekt –Beziehung. Es ist das eine ganz radikale Beziehung. Hoffentlich wird das noch ein bisschen klarer. Man kann nicht hinausgehen und Samen in diesen Grund pflanzen; das ist es nicht. Er ist Leere.
Kommentar: Wir sollen also den Grund nicht zu einer „höheren Ebene“ machen?
James: Nein, nein. Die Tibeter sprechen immer vom Grund. Wenn er Leere ist, und man ihn deshalb nicht finden kann, ist er nirgendwo – er ist kein Ding. Wenn wir uns auf dem Weg befinden und uns danach sehnen, mit dem Grund eins zu werden, wird er oF zu etwas Wundersamem für uns. Er ist das, was erst vollbracht werden muss, deshalb kann er uns transzendent erscheinen. Aber de facto ist der Grund im Hier und Jetzt gegenwär@g; er ist die Basis unserer Existenz, immanent und nicht transzendent.
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DIE DREI KAYAS
[Abbildung 6]
Es gibt die Vorstellung des Dharmakaya, Sambhogakaya und Nirmanakaya. Dharmakaya ist die Erkenntnis des Grundes. Sambhogakaya ist die erste Manifesta@on der Energie dieses Grundes; man kann sagen, es handelt sich dabei um eine symbolische Dimension. Sie besteht aus Licht und Klang in Strahlenform, aber sie ist nichts Präzises. Das Nirmanakaya ist eine Manifesta@on in die Welt hinein, auf dieser Ebene. Wenn wir den Guru als Gestalt aus Fleisch und Blut visualisieren, benützen wir das Nirmanakaya, um hinaufzugelangen. Wenn wir eine symbolische Form wie Dorje Sempa oder Padma Sambhava visualisieren, steigen wir vom Sambhogakaya hinauf ins Dharmakaya.
Im Tantra lassen wir die Visualisierung entstehen, nachdem wir Zuflucht genommen und BodhiciAa prak@ziert haben. In einer großen Übung gibt es sehr viele unterschiedliche Stadien, aber die Hauptsache ist, die Visualisierung zu machen – mit Erlaubnis deines Lehrers. Dann rezi@ert man das Mantra und das Mantra verbindet einen mit der GoAheit.
Das Mantra hat vielerlei Funk@on, aber eine seiner Kern-­‐Aufgaben ist es, dem Geist zu helfen, sich nicht ablenken zu lassen. Man konzentriert sich auf das, was man tut. Außerdem ist es eine Ak@vität, dadurch bekommt die Verbindung etwas Dynamisches, denn wenn man ein Mantra rezi@ert, stellt man sich normalerweise vor, dass es sich im Herzen der GoAheit um die Samen-­‐Silbe dreht; und man kann sich auch Lichtstrahlen vorstellen, die zu allen Buddhas hinauf scheinen, und Lichtstrahlen, die auf alle menschlichen und Höllen-­‐Ebenen hinab scheinen und sie reinigen – also gibt es da eine Menge Ak@vitäten. Es entsteht eine ganze Welt.
Dann senkt sich die GoAheit auf deinen Scheitel herab, und indem sie herabsinkt, wird sie immer kleiner, bis sie zu einer Lichtkugel wird – und diese Lichtkugel dringt in dein Herz ein. Der Körper, der eben durch das Licht gereinigt wurde, verschmilzt mit dieser Kugel und wird seinerseits immer kleiner – bis zur Leere. Es gibt viele verschiedene Arten, sich aufzulösen, aber das ist eine Standard-­‐Methode. Das Wesentliche bei dieser Praxis ist, dass man seine Aufmerksamkeit auf einen Punkt konzentrieren kann. Im Rahmen einer großen Visualisierung kann man geis@ge Ablenkung in eine krea@ve Ak@vität verwandeln.
Zum Beispiel: Kinder laufen herum; sie sind immer sehr beschäFigt und wollen etwas tun. Wenn man Glück hat und Besitzer eines Gartens ist, kann man sie hinausschicken und sagen: „Ok, jetzt kommt der Herbst und ihr müsst alle diese alten Pflanzen abschneiden.“ Man gibt ihnen ein Messer, das nicht allzu scharf ist und – schnipp, schnipp – haben sie ihren Spaß. James Low © www.simplybeing.co.uk 56
Der Garten wird gesäubert und die Kinder beruhigen sich. So funk@oniert auch die Praxis des Tantra. Wir haben einen sehr aufgeregten, ständig beschäFigten Geist, der ununterbrochen tä@g ist; also geben wir ihm etwas zu tun. Wenn man dem Geist draußen in der Welt etwas zu tun gibt, entsteht daraus Karma. Also stecken wir den Geist in das sichere Gefängnis eines klaren, blauen Himmels – in diesem klaren, blauen Himmel kann man nirgendwo anstoßen, also düsen wir durch die Gegend, hupen und stellen alles Mögliche an – aber das löst sich alles einfach auf. In diesem klaren blauen Himmel erschaffen wir die GoAheit, Lichter steigen auf und ab – aber jedenfalls rennen wir niemanden über den Haufen, wir tun keinem weh. Eine sehr sichere Übung.
Nach all dieser mentalen Ak@vität wird der Geist ein wenig müde; er fokussiert sich und dann bringen wir alles an einem Punkt zusammen. Dadurch kommen Subjekt und Objekt zueinander und gehen in den Grund ein. Vom Standpunkt dieses „Ich-­‐selbst-­‐und-­‐die-­‐
Buddha-­‐Natur“ (siehe Abbildung 6) aus gesehen, gibt es hier mich – James Low – und ich prak@ziere, also bewege ich mich zu dieser GoAheit hin und die Strahlen des Lichts scheinen auf mich herab und fließen in mich hinein. Dann verwandelt sich diese GoAheit, die die Integra@on der drei Kayas repräsen@ert; sie wird zu einer Lichtkugel, dringt in mich ein und ich löse mich in der GoAheit auf.
Also vereinigen James Low und die GoAheit sich in einem Punkt, dem Grund. Das ist der Ur-­‐
Grund. Der Grund, der noch vor allen Subjekten und Objekten exis@ert. Also benützen wir das reine Objekt der visualisierten GoAheit als Fokus für die Aufmerksamkeit des verstörten Subjektes, dadurch wird das Subjekt ruhig und konzentriert. Auf Grund unserer Hingabe ist das Subjekt bereit, zu sterben. Darauf läuF es hinaus. Jedes Mal, wenn wir diese Puja machen, sterben wir. Das ist genauso wie die Sufi-­‐Praxis des Schmelzenden Herzens, die Auflösung des Herzens in GoA. Auch die gnos@sche Praxis ist sehr ähnlich. Denn solange ich als James Low herumlaufe, bleibe ich ich selbst. Wenn ich meine Buddha-­‐Natur erkennen will, muss ich mich selbst loslassen. Aber wenn ich draußen auf der Straße gehe, muss ich wissen, dass ich James Low bin, sonst komme ich in Schwierigkeiten: Ich weiß nicht, wer ich bin. „Wer bist du?“ „Buddha-­‐Natur.“
Also muss ich einen Weg finden, James Low zu sein, ohne allzu große Schwierigkeiten zu verursachen. Das ist schwierig. Ein lebenslanges Bemühen! Wir benützen die GoAheit, um uns in ihr aufzulösen, weil es in der Medita@on nicht gefährlich ist, sich zu verlieren. Denn man wird ganz gewiss wiederkommen. Niemand von uns hier, denke ich, beherrscht die Medita@on so weit, dass er für immer verschwindet! Nach einer Stunde, oder einer Minute, nach einer Sekunde, sind wir wieder da. „Hallo? Hallo? Was ist los?“ „Immer noch da?“ „Oh ja, ich bin dein bester Freund. Ich bin ich. Ich bin du.“
Das ist die Praxis. Dadurch, dass wir uns auflösen, bekommen wir einen Geschmack vom Urgrund und wenn wir uns im Grund aufgelöst haben, gibt sich der Grund als Dharmakaya zu erkennen. Wenn das geschieht, versuchen wir, entspannt zu bleiben. Was auch immer entsteht – Gedanken, Gefühle, Empfindungen, Erinnerungen – wir versuchen, sie einfach loszulassen. Wenn sie kommen, gehen sie auch. Sie kommen und gehen.
Je länger wir das durchhalten, desto mehr erfahren wir das Dharmakaya – im Dzogchen heißt es rig pa; dieser Zustand des Gewahrseins, die Gegenwart der Reinheit, die Gegenwart der Buddha-­‐Natur.
Wenn Gedanken oder Gefühle auFauchen und wir nach ihnen greifen, verwandeln sie sich unmiAelbar in uns selbst. Je länger wir uns in dieser offenen Dimension auyalten können, während Gedanken und Gefühle auFauchen und wir uns darüber keine Sorgen machen, desto eher entpuppen sie sich als strahlend. Man beginnt, Gedanken, Gefühle und Empfindungen als strahlende Energie zu spüren, manchmal als Farbe oder Licht. Alles wird James Low © www.simplybeing.co.uk 57
dadurch leichter. Das ist Sambhogakaya. In unserer Medita@on erleben wir Gedanken und Gefühle als Sambhogakaya; und aus diesem Zustand bewegen wir uns in der Welt mit der Praxis des Nirmanakaya. Die Praxis des Nirmanakaya bedeutet, alles, uns selbst mit eingeschlossen, als eine Form von Padma Sambhava oder Tara oder Dorje Sempa oder von wem auch immer zu sehen. Alle Gedanken sind Gedanken von Padma Sambhava – oder von wem auch immer. Alles erklingt als das Mantra. Wir integrieren die Erfahrung der Welt in das Mandala der GoAheit. Im Tantra benützen wir die GoAheit, also prak@sch das Sambhogakaya, als den Transforma@ons-­‐
Aspekt, der unser gewöhnliches Selbst mit unserer Buddha-­‐Natur verbindet. Das ist eine Technik, diesen Bereich zur Verbindung des alltäglichen mit dem absoluten Selbst zu benützen, sodass er sich dann als Nirmanakaya offenbart. Das ist die Struktur dieser Praxis.
In gewisser Weise ist es für uns sehr einfach, zu denken, dass Liebe, Zuwendung und Großzügigkeit göAliche Qualitäten sind. Wenn wir uns diese posi@ven Qualitäten vor Augen halten, ist es leicht, sich vorzustellen, dass eine GoAheit so beschaffen ist. Aber wir haben auch schlechte EigenschaFen, oder sagen wir vielmehr: wir haben das, was wir unsere schlechten EigenschaFen nennen – unsere Wut, unsere Grausamkeit, unseren Egoismus, unsere Eifersucht und so weiter. Wir tendieren dazu, zu denken, diese EigenschaFen seien schlecht. Selbst auf vielen der Dharma-­‐Pfade, die wir uns zuvor näher angesehen haben, werden sie für schlecht gehalten.
ZORNVOLLE GOTTHEITEN
Lasst uns nicht vergessen – wir denken:“Ich bin ganz dick von diesem Zeug; und um gut zu werden, möchte ich ein bisschen schlanker werden, mich ein bisschen reinigen.“ Aber es wird sehr lange dauern, das alles zu reinigen. Im Tantra versuchen wir zu erkennen, dass dieses dicke, hässliche, gewöhnliche Selbst auch eine Form der Buddha-­‐Natur ist, und das fällt uns sehr schwer. Das ist der Grund, warum wir zornvolle GoAheiten bei der Medita@on verwenden. Eine Form wie Vajrakilaya, der sich dem Töten verschrieben hat, der seinen großen Dolch schwingt, mit dem er Menschen erstechen wird, steht für die KraF der Wut. Wir benützen diese GoAheit, um unsere Wut zu transformieren und in den Dienst der Weisheit zu stellen. Der Dämon, den Vajrakilaya und diese anderen GoAheiten töten, ist der Dämon des Egoismus. Es geht nicht um reale Menschen in der Welt, sondern um den Dämon unseres Selbst. Ich werde also wütend – und ich benütze eine zornvolle Form, um mich selbst zu erstechen – also benütze ich meine Wut, die mich in Schwierigkeiten bringt; ich nehme sie und verwende sie in der Praxis… man fühlt es auf sich zukommen… und man entwickelt eine Menge Energie. Und die lasse ich in die Leere fließen.
Ich emigriere jetzt aus Samsara ins Nirvana und nehme zwei Koffer mit, einer ist voll liebevoller Zuwendung, der andere voll s@nkender Scheiße. Wir müssen friedliche und zornvolle GöAer haben. Wenn man im Nirvana ankommt und nur seinen guten Koffer dabei hat, macht es nach ein paar Monaten – klopf, klopf, klopf – und der BrieFräger bringt eine große Schachtel: „Ich weiß nicht, was da drinnen ist, aber es s@nkt schrecklich!“ Und man ist doch ein neAer, reiner Buddha… und alle anderen Buddhas sagen dann: „Verschwinde!“ So ist das. Wenn du aber mit deiner eigenen Scheiße ankommst und laut brüllen kannst, lassen die Leute dich in Frieden. Sie sagen: „Oh, das ist dieser s@nkende Buddha James. Keine Ahnung, was er da macht, aber er dürFe ein bisschen gefährlich sein.“
Das ist im Grunde die Aufgabe dieser zornvollen GoAheiten. Sie bieten uns eine Möglichkeit, alle die Anteile von uns selbst, die wir gerne verleugnen wollen, zu integrieren – denn wenn man etwas verleugnet, schiebt man es zwar weg, aber es bleibt dennoch mit uns verbunden und früher oder später, wie ein Bumerang, kommt es zu uns zurück. Wenn man es zugibt, wenn man sagt: „Ich bin grausam, egois@sch, ein schlechter Mensch,“ dann können alle diese James Low © www.simplybeing.co.uk 58
schlechten EigenschaFen integriert werden.
Kommentar: Warum werden sie dann „schlechte“ EigenschaFen genannt?
James: Nun ja, wenn sie einmal transformiert sind, sind sie nicht mehr schlecht; an diesem Punkt sind sie nicht schlecht.
Kommentar: Aber es handelt sich dabei doch nur um eine saFige Energie; wenn man wütend ist, ist man voller Energie und man benützt diese Energie dann gegen sich selbst, um diese Gewohnheit abzuschneiden, die die Schwierigkeiten verursacht. Es ist immer noch gegen etwas gerichtet – schlechte EigenschaFen exis@eren immer noch, also benütze ich jetzt diese Energie, die aus der schlechten EigenschaF kommt, um möglicherweise eine GegenkraF zu haben.
James: S@mmt. Aber es ist auch ein bisschen gefährlich, diese Übung der Zornvollen GoAheit zu prak@zieren. Viele Lamas, die diese Art von Prak@ken häufig machen, werden selbst ziemlich ruppig. Sie schreien herum und sind rüde und egois@sch, also würde ich da etwas vorsich@g sein. Wenn man sich mit bösen Menschen zusammentut, kommt man in Schwierigkeiten. Und diese GöAer sind ein wenig gefährlich. Es ist ein bisschen wie bei einer speziellen Polizeieinheit, die sich mit Terrorismus befasst. Die Polizisten müssen sich unter die Terroristen mischen, manchmal müssen sie sogar mitmachen und Bomben hochgehen lassen und ab einem gewissen Punkt gibt es im Verhalten kaum einen Unterschied mehr zwischen ihnen und den Terroristen. Aber irgendwo in alledem ist, hoffentlich, immer noch ein Polizist verborgen. Hollywood produziert immer wieder Filme über diese Burschen; die werden dann tatsächlich böse und man weiß dann nicht mehr, ob sie jetzt zu den Guten oder den Bösen gehören.
Der einzige Unterschied zwischen Vajrakilaya und einem Dämon ist der geheime Pass der Leere. Wenn die Leere fehlt, ist es ein Dämon. Das ist der einzige Unterschied. Wenn ihr beim Üben dieser Praxis keine Leere in euch habt, werdet ihr zu Dämonen.
Die Leere steht im MiAelpunkt der tantrischen Praxis und das ist der Grund, warum tradi@onell die Menschen etwas von Leere verstehen mussten, bevor sie diese Ini@a@on erhielten. Aber heutzutage bekommt jeder jegliche Form von Einweihung, ohne dass die Leere erklärt wird. Das ist sehr problema@sch, weil die Menschen denken: „Glaube ist genug“, aber „Glaube ist genug“ bedeutet, dass der GoA uns reAen wird. Das ist keine tradi@onelle Praxis. Die tradi@onelle Praxis setzt voraus, dass der Medi@erende selber verstehen muss, was er tut, weil die Medita@on eine Methode ist, die uns hilF; und wenn man nicht weiß, was man tut, kann das sehr gefährlich werden. Das ist wie bei einer KeAensäge. Die kann ausgesprochen hilfreich sein, wenn man mit ihr umzugehen weiß. Wenn beispielsweise ein Nagel im Baumstamm steckt und man eine KeAensäge benützt, dann wird sie zurückspringen und man muss dann wissen, wie man mit der KeAensäge zusammen springt.
Kommentar: Ist es wich@g, genau zu wissen, was die Symbole bedeuten?
James: Wenn man nicht weiß, was die Symbole in der Tradi@on bedeuten, neigt man dazu, seine eigenen Vorstellungen auf sie zu projizieren und die Symbole, die eigentlich dazu da sind, einem zur Befreiung zu verhelfen, mit der eigenen Konfusion zuzudecken. Ich kann mich an zwei kleine Kinder erinnern, zwei Brüder; einer von ihnen war gerade neun und er kam angelaufen – das war in Indien – er kam ins Haus gelaufen und weinte ganz biAerlich. Er war völlig außer sich und konnte gar nicht sagen, was geschehen war; aber schließlich brachte er es doch heraus: sein Bruder haAe ihn einen „homo sapiens“ genannt! Worte haben eine große Macht, aber sie sind nicht die Wirklichkeit. Zu wissen, dass eine Gö„n die James Low © www.simplybeing.co.uk 59
Gestalt der Weisheit ist, genügt nicht; denn solange wir nicht selbst einen Geschmack dieser Weisheit erfahren haben, wissen wir nicht, was eine Weisheits-­‐Form ist. Es könnte irgendetwas sein. Man kann das nicht alleine von der Objekt-­‐Seite her angehen; obwohl Objekt und Subjekt gemeinsam entstehen.
Wir müssen etwas verstehen. Die GoAheit hat etwas und gemeinsam mit unserem „etwas“ ergibt das ein Ganzes. Wir müssen mit Hilfe unserer Studien etwas über die Leere lernen; das ist der Grund, warum ich für Diagramme und solche Dinge viel Zeit aufwende – damit wir eine Idee davon bekommen, was wir da überhaupt tun.
DORJE SEMPA PRAKTIK: siehe auch Anhang 7
[Ausführlichere Kommentare und Erklärungen finden sich in Being Guru Rinpoche; James Low, Traffords, 2006] Auf Seite 168 finden sich einige Gebete; wir gehen jetzt hier direkt zur Dorje Sempa-­‐Praxis über.
HRI RANG GI CHI TSUG PAD DA JA OD LONG
LA MA DOR SEM DORJE DRIL DZIN KAR
LONG KUI GYEN DZOG THUG KAR DA TENG HUNG
YIG GYE KOR WAR DUD TSII GYUN BAB NAE
TSANG BUG NAE ZHUG DIG DRIB DAB PAR SAM
Hri. Umgeben von Regenbogenlicht, auf einem Lotus und Mond auf dem Scheitel meines Hauptes, ist mein Guru in der Form von Dorje Sempa, der weiße Farbe hat, einen Vajra und eine Glocke hält. Er trägt alle Ornamente des Sambhogakaya, und in seinem Herzen auf einer Mond-­‐Scheibe ist der Buchstabe Hung, um den das Mantra der Hundert Silben sich dreht. Ein Strom von Amrita sprudelt aus ihm; ich visualisiere, wie er in die Öffnung meines Schädels hineinläuF und meine Sünden und jegliche SichArübung völlig reinigt.
An der höchsten Stelle deines Kopfes sitzt Dorje Sempa. Es gibt ein kleines Bild von ihm im Praxis-­‐Text. Er ist weiß, er hält einen Vajra in der rechten und eine Glocke in der linken Hand. Er trägt die Sambhogakaya-­‐Ornamente: auf dem Haupt die Tiara, große Ohrringe, Armbänder, Reifen ums Handgelenk, eine HalskeAe, KeAen um die HüFen und ein Tuch. In der MiAe seines Herzens ist der Buchstabe HUNG !ྂ sichtbar und rund um dieses HUNG dreht sich das Mantra der Hundert Silben in einer Spirale. Die Spirale dreht sich um die Außenseite dieses Herz-­‐Mantras; sie kommt oben heraus, geht unten hinein und steigt im Inneren auf.
Man sollte versuchen, das Ganze auf einmal zu visualisieren. Die Hauptsache dabei ist das Gefühl. Das Gefühl öffnet das Herz und es ist das Herz, das gesegnet wird. Man könnte vollkommen klar sein, kalt und emo@onslos, aber das würde uns nicht helfen, weil es fern wäre. Wir wollen aber ein ganz nahes Gefühl; also selbst wenn die Visualisierung nicht ganz klar ist, versucht ein Gefühl zu entwickeln, dass das eure lebendige Erfahrung ist. Während das Mantra sich um den Buchstaben HUNG dreht, tropF Nektar aus ihm herab und füllt seinen Körper. Sein Körper wird immer voller, bis der Nektar schließlich aus seiner rechten Zehe rinnt und auf unseren Kopf tropF; und so wird unser Körper vom Nektar erfüllt.
Man kann sich das vorstellen wie eine weiße Flüssigkeit, die durch die Schädeldecke rinnt. Während sie durch unseren Körper fließt, stellen wir uns vor, dass alle schlechten Dinge, alle Nega@vität, die wir – auf welche Weise auch immer – angesammelt haben, langsam nach unten gedrückt wird, während immer neue reine Substanz nachkommt. Es rinnt durch unseren Anus in die Erde, die au|richt. Tief am Grunde sitzt ein großer Dämon mit offenem James Low © www.simplybeing.co.uk 60
Mund, der alles verschluckt. Er ist sehr glücklich, weil er etwas bekommt, was er mag – und wir werden von allen Sünden befreit. Dann stellen wir uns vor, dass unser Körper klar und durchscheinend ist wie Kristall. Während wir auf diese Weise medi@eren, rezi@eren wir das Mantra der Hundert Silben.
Sobald die Rezita@on des Mantras endet, wird Dorje Sempas Körper zu einer Kugel aus Licht – er schmilzt von unten hinauf und von oben herunter. Der Körper bewegt sich auf die MiAe zu und wird glänzend – wie eine Quecksilberkugel. Diese Kugel sinkt durch unsere Schädeldecke, bis sie in unserem Herzen erstrahlt. Wir sind wie aus Kristall, mit dieser strahlenden Kugel in unserem Herzen; und dann bewegt sich unser Körper herein und löst sich in dieser Kugel auf. Zu diesem Zeitpunkt gibt es nichts anderes mehr – da ist nur diese Kugel; sonst nichts. Diese Kugel wird immer kleiner – bis auch sie verschwunden ist. Dann bleiben wir einfach ganz s@ll sitzen.
Wenn in diesem Zustand dann Gedanken auFauchen, lassen wir sie kommen und gehen. Versucht nicht, die Dinge zu kontrollieren; heißt eure Gedanken nicht willkommen. Wenn Gedanken oder Gefühle auFauchen, schiebt sie nicht weg; erlaubt ihnen einfach, da zu sein. Wir sind keine private Person mehr, die ihren kleinen Garten beschützt. Wir sind jetzt quasi im „öffentlichen Bereich“. Das ist das unendliche Dharmadatu, es gehört uns nicht – es gehört niemandem; jeder, der will, kann es durchwandern; es ist nicht mehr unser Privateigentum. Das Ego wird trotzdem versuchen, zu beschützen, herumzuspielen, Form zu geben – aber es ist nicht mehr unser Territorium. Wenn das Ego versucht, es zu seinem HerrschaFsbereich zu machen, ist es mit der Medita@on vorbei – wir sind dann wieder in unseren alltäglichen Gedanken. Wir werden die Dringlichkeit des Besitzanspruches spüren – aber wir entspannen uns einfach wieder. Immer wieder entspannen wir uns.
Wenn wir die Medita@on beenden, erkennen wir, dass alles, was uns da begegnet ist – wir selbst mit eingeschlossen – die Beschaffenheit von Dorje Sempa hat.
Bei dieser Praxis benützen wir Visualisierung als ein „GegengiF“ zu den „GiFen“, den Sünden, die wir mit uns herumtragen. Wir machen von der reinigenden KraF von Dorje Sempa Gebrauch, um uns von den schlechten Dingen in uns zu befreien – als wären wir krank, gingen mit einer VergiFung zum Arzt und er gäbe uns eine Medizin, die die Schadstoffe austreibt. Das ist das grundlegende Prinzip. Es ist ganz einfach.
Auf einer rela@ven Ebene entspricht die Reinigung durch Dorje Sempa dem Ersetzen der GiFstoffe durch Nektar. Die absolute Wahrheit, also die Reinigung, liegt in der Praxis der Auflösung. Diese Auflösung ist außerordentlich wich@g.
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Es ist schon recht spät. Morgen werden wir uns der Reinigung der S@mme zuwenden, die auch eine Energieform ist. Vielleicht können wir morgen Abend ein kleines Fest feiern – mit ein bisschen Tanz und Bewegung und allgemeinem joie de vivre?
Am Montag werden wir die Reinigung des Geistes angehen; dieser Tag wird dann eher ein S@lle-­‐Tag sein. Morgen können wir dafür viel reden; und wenn ihr damit einverstanden seid, können wir dafür am Montag ganz s@ll sein, auch beim Essen wenig sprechen, einfach versuchen, den Geist „aufrechtzuerhalten“. Jedes Mal, wenn wir ak@v werden, zieht uns ein Haken aus uns selbst heraus; wenn wir also versuchen wollen, unsere geis@gen Erfahrungen auf einer etwas sub@leren Ebene zu reinigen, ist S@lle sehr hilfreich.
SONNTAG
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REINIGUNG DER SPRACHE
Wir beginnen heute mit den Zufluchts-­‐ und BodhiciAa-­‐Gebeten, aber zuerst machen wir das Atmen in Neun Runden. Was die S@mme betrifft – und das gilt für jegliches Chanten – versucht einfach, eure Aufmerksamkeit auf die Klangproduk@on zu richten. Fühlt einfach, was der Körper macht, wenn ihr einen Ton von euch gebt. Einen Klang zu produzieren und ihn zu hören – diese zwei Vorgänge geschehen gleichzei@g.
[Zuflucht und BodhiciAa]
[für eine genaue Anleitung zum Atmen in Neun Runden s. Anhang 1 ]
DIE ART, WIE WIR SPRACHE BENÜTZEN
Wir haben uns am ersten Abend schon ein wenig mit den Sünden der Rede auseinandergesetzt; es geht da in erster Linie um unseren Sprachgebrauch, unser Sprechen, das Schwierigkeiten verursacht. Lügen erzählen, andere Menschen mit unseren Worten verletzen, Unruhe s@Fen und Tratsch, einfach Gerede, das zu nichts führt. Wir haben dieselben Möglichkeiten wie gestern: im Hinayana geht es generell darum, zu erkennen, wenn wir auf eine dieser Weisen sprechen und zu versuchen, es nicht zu tun. Sehr einfach. Wir beobachten, wie wir mit anderen Menschen Zeit verbringen, unser Sprachverhalten dabei, und sofern es keinen triFigen Grund dafür gibt, eine Geschichte über jemanden anderen zu erzählen, sollten wir es unterlassen. Auf einer allgemeineren Ebene benützen wir Sprache im Mahayana dazu, eine posi@ve Verbindung mit anderen Menschen herzustellen, indem wir unser Interesse und unsere Anteilnahme bekunden, unser Mitgefühl zum Ausdruck bringen, sodass wir mit Hilfe sanFer und freundlicher Worte anderen Menschen näherkommen. Damit Mitgefühl wirksam werden kann, müssen wir den Worten anderer Menschen erlauben, uns zu berühren; das geht nicht nur in eine Richtung – wir müssen hören, was andere Menschen tatsächlich sagen. Das bedeutet, wir müssen in uns einen Raum für die Worte anderer Menschen schaffen, selbst wenn sie Dinge sagen, die wir nicht mögen. Wir haben sehr gute Filter an unseren Ohren, die die Dinge ausblenden, die wir nicht hören wollen. Vor allem wenn wir Weisheit und Mitgefühl miteinander integrieren, ist es Teil dieses Mitgefühls, uns zu erlauben, das zu erleben, was gerade da ist – das versteht man unter dem Begriff „Weisheit“ – und dann in offener Weise darauf zu reagieren; das ist Mitgefühl. Das ist natürlich ziemlich schwierig, weil wir alle unsere Einschränkungen haben. Es gibt im Buddhismus zahllose Prak@ken, die sich mit der Sprache und mit dem Reden befassen; sie setzen unseren Sprachgebrauch als eine Art Verkehrspolizist ein, um gewisse Vorstellungen und Konzepte zu installieren, die uns helfen, unsere Gedanken und unser Benehmen in die rich@gen Bahnen zu lenken. Wenn wir beispielsweise unseren Zufluchts-­‐
Text sprechen, den BodhisaAva-­‐Schwur und die BodhiciAa-­‐Idee, verlagern wir unsere Ausrichtung. Wir benützen Sprache, wir benützen Klänge, um zu uns selbst zu sprechen, um uns daran zu erinnern1, unseren Geist auf etwas einzus@mmen – nämlich auf das, was wir tun wollen. Wir benützen Sprache also als GegenmiAel zu unseren karmischen Impulsen. Je öFer wir diese Sätze rezi@eren und sie sich dadurch in unserem Unterbewussten verankern, desto besser können sie unseren karmischen Impulsen entgegenwirken. Das ist einer der Gründe, warum Tibeter viel rezi@eren – um diese Dinge im Geist zu verankern und sich quasi selbst davon zu überzeugen, dass sie daran glauben. Wir versuchen also, unsere gewöhnlichen Reak@onen auf die Welt durch diese Dharma-­‐Reak@onen zu ersetzen.
1
James Low betont die Bedeutung des englischen Wortes „remind“: im Sinne von re-­‐mind
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KLANG UND MUSIK
Der Klang ist im Tantra sehr wich@g. Wir haben schon oF von diesen Symbolen gesprochen – von der Lampe, dem Spiegel und dem Kristall, die sowohl im Tantra als auch im Dzogchen verwendet werden. Es werden aber nicht nur visuelle Metaphern benützt. Auch Klang, akus@sche Metaphern, werden sehr häufig eingesetzt.
Speziell in Indien gibt es eine umfassende WissenschaF des Klangs. Klang ist eine der frühesten Formen der Erkundung in der Sanskrit-­‐Literatur; und es gibt äußerst komplexe Theorien zu diesem Thema. Einige der frühesten indischen Mathema@ker haben sich speziell mit den Tönen befasst; die Indische Musik ist ja überhaupt ausgesprochen mathema@sch. Beim Tabla-­‐Spielen gibt es diese unfassbar komplexen Rhythmen, die in Form von Ragas organisiert sind; die Ragas wiederum werden von den Tages-­‐ und Jahreszeiten bes@mmt, sodass der Rhythmus zu einer Art Kontrapunkt wird – oder vielmehr: er ist kein Kontrapunkt, sondern er spielt mit den verschiedenen Aspekten der Welt; und es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, sich mit einer bes@mmten Zeit oder Periode in Einklang zu bringen. Wenn man also einen „Früh-­‐Morgen-­‐Raga“ tatsächlich am frühen Morgen, am Ufer des Ganges, hört und dabei den Sonnenaufgang betrachtet, bekommt man das volle Programm. Es ist das eine Methode, die den Klang dazu benützt, die Mauern der Isola@on einzureißen, sodass wir uns enger mit der Welt verbinden können.
Die Vorstellungen von Buddhisten und Hindus hinsichtlich des Klangs sind nicht sehr unterschiedlich. Die grundsätzliche Idee lautet, dass der Kosmos, das Universum, aus Klang entstanden ist. Der Klang exis@ert vor allem anderen – und auch nach allem anderen. Allem wohnt ein Klang inne und wenn man den Klang der Welt versteht, kann man sie verändern. Wir kennen diese Geschichten von Sängern, die mit Hilfe ihrer S@mme Glas zerspringen lassen können. Das ist eine eher krude Methode, aber man kann auch auf sub@leren Ebenen Veränderungen bewirken. Wenn ihr ein kleines Baby habt, wird euch sein Weinen auf eine ganz bes@mmte Weise berühren; es verändert eure Energie. Jemand anderer, der nicht der Vater oder die MuAer dieses Kindes ist, reagiert darauf wieder anders; vielleicht ist er oder sie allgemein besorgt, aber wenn euer eigenes Kind weint, führt das zu einer ganz spezifischen Reak@on.
Wenn wir unsere Augen schließen, sehen wir den Raum nicht mehr; aber es ist sehr schwierig, die Ohren zu verschließen. Wir haben Augenlider, aber wir haben keine Ohrendeckel. In der Nacht kann man nicht einfach seine Klappen über den Ohren zumachen. Wenn wir beim Medi@eren sitzen, dringen Geräusche von draußen herein. Der Klang lenkt uns ab. Aber Klang ist auch etwas, das uns in die Welt hinauszieht.
KLANG UND SPRACHE
Solange wir Babys sind, sprechen die Menschen ganz viel mit uns. Sie machen Babys gegenüber alle möglichen Geräusche. Wir möchten uns einem Kleinkind mit einer klanglichen Geste zuwenden, weil wir wissen, dass Geräusche ankommen; und wenn jemand ganz außer sich ist, sich zusammenkrümmt und weint, sprechen wir vermutlich sanF und beruhigend zu dieser Person und der Klang unserer S@mme findet einen Weg durch alle diese Schichten von Schmerz und hilF dem Menschen, da allmählich wieder herauszukommen. Klang kann eine außerordentlich sub@le Möglichkeit der Eins@mmung sein. Ich weiß nicht, wie man das auf deutsch sagt, aber im Englischen heißt es „affek@ve“ oder „emo@onelle“ Eins@mmung – also die Vorstellung, dass wir uns mit Hilfe von Musik auf etwas eins@mmen, wir begeben uns auf die selbe Wellenlänge oder in die gleiche Schwingung. In erster Linie tun wir das mit Hilfe des Klanges.
Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass „AA“ der Grundton des Universums ist. Ein kleines James Low © www.simplybeing.co.uk 63
Baby macht ganz viel „AA“ und auch ein bisschen „EE“, aber ziemlich viel „AA“, und wenn Menschen sterben, sagen sie auch oF „AA“. Sie hauchen mit diesem „AA“ ihren letzten Atemzug aus. Wenn Menschen miteinander Sex haben, sagen sie auch „Ah! Ah!“ und das Gleiche sagen sie bei einem Unfall oder wenn sie sich fürchten. Die meisten dieser grundlegenden starken Emo@onen sind einfach „AA“; und dann entwickelt sich das weiter – wir sagen: „Mama, Mama!“ Könnt ihr euch erinnern, wie ihr „Mama“ gesagt habt? „Mama, Mama, Mama“. Versucht es. Das ist sehr fein. KraFvoll. Und man möchte auch immer an etwas zupfen. Ich will immer an etwas ziehen: „Nicht mein Bruder – ich!“
Dieser Klang ist so voller Widerhall, und natürlich transpor@eren Worte auch Emo@onen. Für manche Menschen bedeutet „Mama!“ Verlust, für andere ein Glücksgefühl. Jeder von uns hat seine eigene Beziehung zu sehr machtvollen Klängen. Der Satz „Ich liebe dich“ kann schreckliche Gefühle von Schmerz und Leid evozieren, oder wunderbare von Glück und Hoffnung. So gesehen ist Sprache niemals neutral; Worte können da draußen neutral sein, aber in unserer eigenen Erfahrung sind sie durchsetzt von unseren eigenen biographischen Konsequenzen.
Ich denke, es ist sehr wich@g für uns, Sprache und Klang zu trennen. In westlichen Ländern gibt es viele Untersuchungen zum Thema Sprache. Sprache ist etwas ganz Wich@ges; es gibt umfassende linguis@sche Theorien und dergleichen, aber die Aufmerksamkeit richtet sich weniger auf den Klang selbst. Dieser Teil wird meist der Musik zugeschoben; also studieren die Menschen viel Musik, aber es gibt da nicht diese Art von Verbindung – während in der indischen Denkweise der Klang sehr leicht in Sprache übergeht; und Sprache selbst ist da nicht so wich@g. Das Wesentliche ist der Klang. Die Worte, die seman@sche Bedeutung der Klänge, ist weniger wich@g als ihre phone@sche Qualität. Die einzelnen Phoneme, die Grundelemente des Klangs, können natürlich seman@sche Bedeutung haben, sie können etwas aussagen, zu einem Morphem werden und sich zu größeren Einheiten zusammensetzen, aber sie können auch einfach nur Klang sein. Wenn wir sie nur als Klang hören, verstricken wir uns nicht so damit.
Deshalb liebe ich es, wenn ich hierherkomme und am Abend einfach da sitze und alle reden Deutsch und ich trinke ein Bier und schaue mich um und alle sehen sehr glücklich aus und ich verstehe kein Wort von dem, was ihr sagt. Ich höre nur rhabarber-­‐rhabarber-­‐rhabarber und das ist sehr fein. Ich bleibe an nichts hängen; es ist wie Urlaub, einfach Klänge – und ich denke oF, dass das einer der Gründe ist, warum Menschen gerne in fremde Länder auf Urlaub fahren, weil sie dann umgeben sind von all diesem Zeugs – und nichts davon geht sie etwas an. Fährt man hingegen in ein Land, wo man die Sprache versteht, wird man unweigerlich mit hineingezogen.
MANTRA
Der tantrische Buddhismus legt größten Wert auf Mantras; und darauf, dass ein Mantra im Prinzip ein Klang ohne Bedeutung ist. Mantras haben schon einen Sinngehalt, aber das sind keine gewöhnlichen Bedeutungen. Einige Lehrer erklären sie im Sinne von Bedeutung, aber die meisten tun das nicht.
Im Allgemeinen versteht man unter einem Mantra eine Weise, sich mit der GoAheit in Einklang zu bringen; nicht so sehr auf der Ebene der linguis@schen Bedeutung, der seman@schen AussagekraF der Wörter, sondern mehr im Sinne einer energe@schen Übereins@mmung. Wenn wir also sagen: „Om Mani Padme Hung“, dieses Mantra vielleicht in großem Tempo rezi@eren, begeben wir uns in einen Klang-­‐Tunnel; und dieser Klang-­‐Tunnel trennt uns von unseren Alltagssorgen.
Deshalb wird das Wort Mantra oF so erklärt: es kommt von der Wurzel man, die soviel wie James Low © www.simplybeing.co.uk 64
„Geist“ bedeutet und tra, was die Wurzelbedeutung „Schutz, Geborgenheit“ hat; wie in Rudra. Rudra, der zornvolle Dämon, ist hier verbunden mit tra; „zu schützen“. Also schützt das Mantra den Geist, indem es ihn auf etwas konzentriert, was sich nicht in ihm verhakt. Wenn wir die Übung beenden, lautet die Anweisung, alle Geräusche so zu hören, als wären sie ein Mantra – also wenn wir ein Auto hören, oder jemanden, der die Treppe hochsteigt, oder Menschen, die sich unterhalten, sollten wir das als Mantra verstehen. Und was ist ein Mantra? Klang und Leere. [siehe Abbildung 8] Nehmen wir an, wir haben hier die Leere und aus dieser Leere entsteht ein Klang; und innerhalb einer Kultur verwandelt sich dieser Klang in Worte, die Bedeutung haben. Sobald wir uns auf die Ebene der Wörter begeben, verstricken wir uns in ihre Bedeutung. Wenn wir die Energie wieder auf die Ebene des reinen Klanges zurück verlagern können, werden wir nicht so leicht hineingezogen. Was meint ihr?
Kommentar: Ich glaube, ich spinne.
James: Das ist gut! Lass deine Ohren weiterarbeiten.
Wenn ihr beispielsweise nach China reist und jemand sagt zu euch: „Ich mag dich wirklich“, oder: „Ich hasse dich!“ – könnt ihr den Unterschied nicht erkennen. Es sind alles einfach Klänge. Einfach Geräusche! Wenn man Chinesisch kann, macht es einen riesen Unterschied. Man verwickelt sich sofort in die Frage: „Warum magst du mich nicht?“ oder „Ich bin so glücklich, dass du mich magst.“ Wir sind dadurch immer sehr, sehr beschäFigt.
UNMITTELBARE KOMMUNIKATION
Aber unser Problem – hier in Samsara, mit unserem Karma – ist, dass wir durch unser Ego voll Interesse und Begeisterung sind. Wir haben rich@ggehende Haken, die wir nach der Welt auswerfen und die Welt schickt uns viele, viele Haken zurück. Wir leben in einem Zeitalter der Kommunika@on: Medien-­‐Revolu@on, Internet – das Internet funk@oniert jetzt schon über das Telefon, es kommt übers TV zu uns, es kommt mit einem Riesentempo zu den Menschen in die Wohnungen. Sofort-­‐Kommunika@on auf der ganzen Welt. Wir ertrinken in einem Meer der Wörter; und die meisten dieser Wörter sind kompleAer Humbug.
Im Spital bekomme ich jeden Tag einen Haufen von E-­‐Mails, die herumgeschickt werden; und die erste Seite ist einfach eine Liste von Namen. Irgendjemand im Spital schickt eine Nachricht an alle – und so kommt mein Name auf diese Verteilerliste. Ich kriege Informa@onen über Theaterkarten, Fahrten für Pa@enten aus der geschlossenen Abteilung in irgendwelche Spezial-­‐Kliniken. Ich muss das alles nicht wissen! Irgendwie wollen Menschen mir miAeilen, was sie tun – also kommt dieses ganze Zeug bei mir an und vermutlich bekommt ihr auch alle diese Postwurfsendungen von Banken; und in England kriegen wir auch diese Kuverts, auf denen steht: „Sie sind der glückliche Gewinner!“ Und wenn man sie aufmacht, findet man einen Haufen von Informa@onen, die muss man dann alle lesen und etwas einschicken und immer mehr Worte, und im Endeffekt bekommt man gar nichts. Ozeane von Worten – und sie sind sehr, sehr verführerisch…
SCHWINGUNG
Die Standard-­‐Praxis im Buddhismus funk@oniert so, dass wir versuchen, unsere Aufmerksamkeit auf eine Ebene zu lenken, auf der wir uns nicht verstricken. Wenn es uns mit Hilfe des Mantras gelingt, können wir üben, alles, was da entsteht einfach als Klang und Leere zu hören, als eine schwingende Energie – wie diese Glocken: ein Schwenk und etwas macht „bäännnngggg“ – und wenn man die Glocke anschaut, sieht man, wie das Metall James Low © www.simplybeing.co.uk 65
schwingt. Wenn wir sprechen, gerät unsere S@mme in Schwingung; und wenn man diese schönen Bilder von einem ak@ven Larynx sieht, kann man erkennen, dass das genau nach demselben Prinzip funk@oniert. Genau das ist es – einfach eine Schwingung.
Aber wir machen aus einer Schwingung eine bes@mmte Bedeutung. Und wir fühlen uns sicher und geborgen in dieser Bedeutung; aber die Sicherheit und die Geborgenheit der Bedeutung lockt uns in eine Falle. Hier entkommen wir der Falle – wir bewegen uns ins Mantra hinein, das auf einer gewissen Ebene nicht sicher ist, denn man weiß dann nicht, was die Dinge sind. Man kann völlig abheben, wenn man Mantras rezi@ert; aber wenn man das Mantra wirklich als Klang und Leere versteht, und in der Lage ist, den Klang und die Leere zu re-­‐integrieren, kann man diese integrierte Ebene beibehalten, selbst wenn man wieder zu sprechen beginnt oder wenn andere Menschen reden. Die Leere ist dann, wenn man so will, Dharmakaya; Klang-­‐und-­‐Leere ist Sambhogakaya und die genaue Sprach-­‐Bedeutung der Worte ist Nirmanakaya. „Wie geht es dir? Wie fühlst du dich? HaAest du es schön?“ Das sind Worte, die Verbindung schaffen. Nirmanakaya kann sich auf eine Weise in der Welt manifes@eren, die hilfreich ist; aber es bedeutet auch, dass wir nicht in die Falle gehen dürfen. Nirmanakaya geht immer zurück auf Sambhogakaya und Dharmakaya; das ist ein sehr dynamisches Fließen.
[siehe Abbildung 6]
Das Mantra ist die Brücke zwischen dem Dharmakaya und dem Nirmanakaya. Es führt uns in die Leere und dann, mit der dadurch gewonnenen Freiheit, bringt es uns in eine krea@ve und dynamische Verbindung mit der Alltagswelt. Das Ziel dieser Prak@ken ist nicht, ein seltsames, esoterisches Leben zu führen; sondern zu unserem ganz gewöhnlichen Alltagsleben zurückzukehren – aber in Freiheit. Momentan sitzen wir in unserem Alltagsleben in der Falle, weil es auf dieser Ebene AnhaFung gibt.
GEDÄCHTNIS UND PSYCHOTHERAPIE
Ich weiß nicht, ob ihr euch noch daran erinnern könnt, wie ihr begonnen habt, sprechen zu lernen, oder ob ihr eine Erinnerung an irgendwelche vorsprachlichen Erfahrungen habt. Das scheint für uns Menschen prak@sch unmöglich zu sein. Manchmal gibt es eine Art visueller Erinnerung – wir erinnern uns vielleicht daran, in einem Kinderwagen zu sitzen und etwas anzuschauen oder an ein Geräusch, aber es ist sehr schwer, eine sogenannte erwachsene kogni@ve Erinnerung zu haben, weil diese Art von Erinnerungen mit Hilfe der Sprache verarbeitet werden. Ein Großteil unserer Vorstellung von der Person, die wir sind, wird mit Hilfe der Sprache konstruiert, und das bedeutet: man muss gar nicht herausfinden, wer man ist, wenn man das Drei-­‐Kaya-­‐System des Klangs versteht.
Die Psychotherapie ist eine Welt der Worte; sie ist die „Sprechkur“. Menschen sprechen Worte aus und wir mischen diese Worte ein bisschen für sie durcheinander. Man bringt sie James Low © www.simplybeing.co.uk 66
dazu, einem schreckliche Worte zu sagen, verrückte Worte, in freier Assozia@on, man veranlasst sie dazu, einem Dinge zu erzählen, die sie selbst nicht begreifen – und dann sagt man ihnen, was das bedeutet und sie sagen „Dankeschön.“ Es ist auch eine Art Erzähl-­‐
Therapie. Die Vorstellung ist heutzutage weit verbreitet, selbst in der Psychoanalyse, dass es bei Psychotherapie ums Geschichtenerzählen geht. Die Menschen kommen mit einer ganz verkorksten Geschichte zu uns: „Niemand hat mich je geliebt, mein Leben ist hoffnungslos und ich bin ein schlechter Mensch“; und wir finden irgendwie einen Weg, ihnen eine Geschichte zu erzählen, damit sie denken: „Na ja, im Grunde liegt das daran, dass ich als Kind nicht bekommen habe, was ich gebraucht häAe; aber jetzt bin ich erwachsen und weiß, was ich tun muss.“ Also fühlen sie sich ein bisschen besser, indem sie sich eine andere Geschichte erzählen. Das ist die Ebene der Psychotherapie.
Aber sie bewirkt keine strukturelle Veränderung, weil sie mit Worten so umgeht, als wären sie real. Unsere Vorstellung von Subjekt und Objekt wird uns durch Worte vermiAelt. „Ich sehe dich.“ Wenn ich einfach nur hinschaue, zu einem bes@mmten Zeitpunkt, wenn wir auyören zu sprechen und einfach nur schauen, fühlen wir uns ein wenig benommen. Vielleicht haben einige von euch das schon einmal in Gestalt-­‐Workshops gemacht; einfach nur dazusitzen und jemanden anzuschauen, ohne etwas zu sagen. Nach einiger Zeit fühlt sich das sehr seltsam an. Man macht das vielleicht fünf Minuten lang und dann sagt jemand: „Redet jetzt über eure Erfahrung“, und alle machen blah blah blah… so viele Worte, die erklären wollen, wie es sich angefühlt hat, nicht zu sprechen, weil Worte bringen uns zu dem oder der zurück, die wir sind. Wir haben uns auf eine Reise begeben, aber wir möchten etwas mit nach Hause bringen, damit wir es erklären können. Das ist die Kleidung des Egos. Das Ego trägt Kleider aus Worten.
SANSKRIT-­ALPHABET: ALI KALI
Im Alphabet des Sanskrit gibt es insgesamt fünfzig Vokale und Konsonanten; ali steht also für Vokale, die mit a beginnen und kali für Konsonanten, die mit ka beginnen. Die Hindu-­‐Gö„n Kali trägt eine HalskeAe aus fünfzig Köpfen; manche sind Totenschädel, andere sind frische Köpfe. Diese KeAe repräsen@ert das Ali Kali, die Vokale und Konsonanten des Sanskrit-­‐
Alphabets. Dasselbe gilt für die Heruka-­‐Formen im @be@schen Buddhismus. Alles kommt aus dem Ali Kali.
INNERER KLANG
Wenn wir Mantra-­‐Praxis üben, richten wir unsere Aufmerksamkeit auf den Klang, um zu verhindern, dass wir uns in Gedanken verlieren. Denken ist eine Art inneres Geräusch. Die Menschen sprechen oF davon, S@mmen zu hören und ich denke – das gilt ganz sicher für die 1930er und 1940er Jahre – wenn damals jemand gesagt hat, dass er S@mmen hört, hieß es gleich „Oh, Sie sind psycho@sch, Sie sind sehr krank.“ Heutzutage gibt es ein viel größeres Verständnis dafür, dass wir die ganze Zeit S@mmen hören und dass eine Art akus@scher Halluzina@on zu den mentalen Funk@onen gehört. Manche Menschen sind ausgesprochen visuell veranlagt und sehen die Worte vielleicht im Inneren; aber bei den meisten Menschen ist es ein MiAelding zwischen Klang und Gefühl. S@mmt’s? Eine Art Sinnesempfindung?
Haltet eine Minute inne und lasst ein paar Gedanken kommen… Wie sehen diese Gedanken aus? Sind sie wie Sprache?
A: Wie Sprache, wie Worte, aber ohne Klang.
A: Manchmal haben sie auch eine DialekĊrbung, es sind Arten von S@mmen, die ich nicht iden@fizieren kann, obwohl sie vielleicht aus dem Radio gekommen sind, keine Ahnung. Sie sind einfach da.
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James: Also hörst du vielleicht die S@mmen von mehreren Menschen?
A: Genau.
James: Und manchmal ist es vielleicht so, als würden diese S@mmen zu dir sprechen, und andere wiederum aus dir. Vielleicht gibt es da auch so etwas wie ein räumliches Gefühl.
A: Alle S@mmen kommen aus der S@lle hier, nicht von draußen.
A: Ich höre meistens Musik, keine S@mmen, aber wie von hoch oben, keine Worte. Sehr hohe Melodien, nicht @ef, wie Gesang oder...
A: Es ist mehr so wie ein Freund im Leben, wenn ich meine Gedanken kommen und gehen lasse, sie kommen oF aus der Vergangenheit oder aus der ZukunF.
A: Wenn ich meine Augen schließe, sehe ich manchmal sehr schöne Farben, aber es ist alles ganz s@ll. Mir gefällt das, aber ich habe keine Ahnung, warum es so ist...
James: Hmm -­‐ hoch lebe das esoterische Fachwissen! Wer weiß? Es gibt so viele verschiedene Theorien zu diesen Dingen. Guru Maharaji, der eine Zeit lang sehr populär war, pflegte Ini@a@onen zu erteilen. Die Menschen kamen zu ihm, er forderte sie auf, die Augen zu schließen, dann drückte er mit zwei Fingern auf ihre Augenlider und fragte: “Seht ihr jetzt das Licht?” “Ja!” Das ist auch eine Möglichkeit, diese Erfahrung zu machen. Aus @be@scher Sicht sind alle fünf Elemente Träger von Klang und Licht, also hat jedes Element seine eigene Farbe. Starke Eindrücke dieser fünf Elemente oder ein Ungleichgewicht der fünf Elemente in unserem Inneren führen demnach zu Sinneserfahrungen von unterschiedlichen Farben oder Klängen – beziehungsweise zu entsprechenden Krankheiten. Man konnte also auf Grund der Farbe, die jemand besonders häufig wahrnahm, auf seine etwaigen gesundheitlichen Probleme schließen.
Eine andere Form dieses Phänomens sind Menschen, die Auren sehen können und die daraus Rückschlüsse auf den Zustand der Person ziehen. Warum manche Menschen viel Farbe sehen und andere nicht, ist reine Glückssache und hängt davon ab, wie dein Gehirn funk@oniert. Oder man kann auch sagen: es hängt vom Karma ab.
Kommentar: Manchmal sehe ich dieses dunkle VioleA. Heißt das, dass mein Körper diese Farbe braucht, weil ich sie mag? Oder folgt er einem Element und weil mein Körper Harmonie will und Farbe ist das der Grund, dass ich das sehe?
James: Ich habe keine Ahnung. Ich glaube, das ist genau der Punkt, an dem interessante symbolische Strukturen, die uns möglicherweise helfen, sich in Muster esoterischen Wissens verwandeln, von denen manche Menschen behaupten, dass sie Zugang zu ihnen häAen. Keine Ahnung, ob das s@mmt oder nicht; aber viele Menschen glauben es. Ich kenne mich in diesem Bereich nicht aus, und ich will darüber auch nichts wissen, weil das Leben dann furchtbar kompliziert wird. Alle diese New-­‐Age Heilmethoden – das kann alles wahr sein, oder auch nicht, aber was die Menschen erzählen, sind Geschichten. Würden wir sagen: “Ich möchte eine Geschichte erzählen – wenn du magst, bekommst du von mir diese Geschichte”, wäre das etwas anderes. Aber es heißt ja in so einem Fall oF: “Meine Geschichte ist wahr, aber nur ganz spezielle Menschen können sie verstehen. Ich glaube irgendwie, du gehörst zu diesen besonderen Menschen”. Die Welt funk@oniert in vielerlei Hinsicht so. Es ist für uns sehr schwer, klar zu sehen, dass es eine Menge Dinge gibt, von denen wir nicht wissen, wozu sie gut sind. Die @be@sche James Low © www.simplybeing.co.uk 68
Literatur ist voll von Büchern, die prak@sch jedes Zeichen interpre@eren. Ein Buch, zum Beispiel, das vor ein paar Jahren übersetzt wurde, befasst sich mit Vogelrufen, speziell von Amseln. Wenn sie im Osten rufen, bedeutet das, dass jemand sterben wird; und im Westen... solche Sachen. Man kann jedesmal, wenn man einen Vogel rufen hört, sein kleines Buch zücken und es wird voraussagen, was man tun wird. Es gibt da eine Geschichte von Milarepa. Er wollte sich auf den Weg zu Marpa machen. Es sitzt also in seiner Höhle und medi@ert und als er sich dann aufmacht und seine Höhle verlässt, nimmt er ein schlechtes Omen wahr, also geht er zurück in die Höhle und medi@ert weiter. Als er sich erneut aufmacht, nimmt er wiederum ein schlechtes Omen wahr. Jedes Mal, Tag für Tag, begegnen ihm diese nega@ven Zeichen – und plötzlich wird ihm klar: “Ich kann den Rest meines Lebens hier verbringen!” Was bedeuten diese Zeichen? Sie sind nur konven@onelle Wahrheiten.
Wenn wir im Rahmen des tantrischen Systems Licht und Farben sehen, dann hat das im Allgemeinen mit der sich manifes@erenden Energie der fünf Elemente zu tun, aber ich bin mir nicht sicher, ob irgendjemand weiß, was die genauen Kombina@onen jeweils bedeuten. Vielleicht weiß ein @be@scher Arzt solche Dinge.
ENTSTEHEN IN GEGENSEITIGER ABHÄNGIGKEIT
Kommentar: Manchmal haben wir so Vorstellungen wie: wir hören einen Klang oder wir haben eine Sinneswahrnehmung, ein Licht vielleicht oder ein spezieller Augenblick, und es scheint, als ob das eine besondere Bedeutung häAe. Manchmal wirkt das alles sehr real und es ist schwer für mich, zu unterscheiden: vielleicht ist es gar nichts? Man kann sagen: das hat rein symbolische Bedeutung und ist etwas Erfundenes; aber irgendwie will es dir etwas miAeilen – vielleicht kann man es auf der rela@ven Ebene benützen, also erhebt sich die Frage, wie man zwischen dem unterscheidet, was “wirklich” und dem, was eine reine Erfindung ist. Oder – was ist der Unterschied zwischen Illusion und Intui@on? Was unterscheidet die beiden? Vielleicht ist alles nur Illusion, oder es hat mit der Beschaffenheit der Dinge zu tun – aber es ist auch so etwas wie Intui@on.
James: Es könnte Intui@on sein. Nehmen wir beispielsweise die Farbe VioleA. Vielleicht hat jemand eine intui@ve Reak@on auf diese Farbe und eine gewisse Vorstellung dazu, aber die allgemeine buddhis@sche Lehre von Ursache und Wirkung ist die Theorie des Entstehens in gegensei@ger Abhängigkeit. Sie besagt, dass jedes Ding auf Basis der Existenz vieler anderer Dinge entsteht und auch diese Dinge wiederum auf anderen Dingen basieren, also befinden wir uns in einem gigan@schen Netz von miteinander in Wechselbeziehung stehenden Ursachen. Jedes Phänomen, das sich manifes@ert, kann aus einer Vielzahl von Ursachen entstehen. Deshalb müssen wir uns jede konkrete Situa@on ganz genau ansehen, um dahinterzukommen, warum sie entstanden ist. Und dann ist es sehr schwer, eine allgemeine Regel aufzustellen und zu sagen, dass VioleA oder Gelb etwas Bes@mmtes bedeuten. Man kann sagen: “In diesem System bedeutet Gelb das.”
Ich erinnere mich, als ich gemeinsam mit C.R.Lama diesen großen Medita@ons-­‐Text übersetzte, dass an einer Stelle die Farbe Gelb mit einer bes@mmten GoAheit in Zusammenhang gebracht wurde und an einer anderen Stelle haAe dieselbe GoAheit eine andere Farbe. Wenn ich fragte: “Warum ist das so?” antwortete er: “Das ist dieser Text. Das steht in diesem Text hier. Werde jetzt nicht komisch. Generell ist es so, dass etwas gelb ist, weil es gelb ist. Es gibt keinen anderen Grund, außer dass es in diesem Buch gelb ist.” Ein anderes Mal sagte er: “Wenn du das wissen willst, frag den Buddha. Ich weiß es nicht! Geh, such den Buddha und frag ihn!”
Das zugrunde liegende Prinzip lautet: die Welt ist sehr, sehr kompliziert – aber das wissen wir bereits!
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Kommentar: Heißt das, dass es einfacher ist, wenn wir nicht nach dem “Warum” fragen und diese Frage einfach nicht mehr stellen?
James: Na ja -­‐ wir wissen „warum“ im Sinne gewisser Strukturen. Die Struktur ist hilfreich, aber wenn wir nach etwas Speziellem fragen, egal, worum es geht, dann zeigt sich, dass jedes Geschehnis auf Grund des Entstehens in gegensei@ger Abhängigkeit auf eine so großen Zahl von Faktoren zurückgeht, die in der Vergangenheit liegen, dass bis wir die alle untersucht haben, die Zeit weitergegangen ist und diese Faktoren sich auch alle verändert haben. Man muss sehr intui@v reagieren. Wie beispielsweise heute Morgen: einige von uns haben heute Früh einen Spaziergang gemacht, als es noch ganz finster war. Wir gingen so dahin und man konnte fast nichts sehen und als wir zurückkamen und ich auf die Uhr sah, wurde mir bewusst, dass wir für diesen Rundgang viel länger gebraucht haAen als im Frühling, weil im Frühling war es um diese Zeit schon hell und alle gingen einfach drauflos. Jetzt mussten wir genau aufpassen. Wenn man auf einer Straße geht, muss man nicht allzu genau schauen – man fühlt sich bei Tageslicht ganz sicher. In einer Stadt kann man normalerweise auch einfach eine Straße entlanggehen, selbst wenn es dort vielleicht Diebe und Räuber gibt. Hier, im Dunkeln, übersieht man womöglich eine Pfütze oder man rutscht aus, also ist man vorsich@g. Man kann nicht vorhersehen, was auf einen zukommt.
Der Buddhismus ist auf dunklen Feldwegen aufgewachsen. Er stammt aus Indien und Tibet – keine Elektrizität, keine Beleuchtung. Die Menschen dort bewegen sich sehr vorsich@g; sie müssen die gesamte Körperwahrnehmung mobilisieren, wenn sie in Tibet oder in Indien durch die nächtliche LandschaF gehen. Das erzeugt ein ganz bes@mmtes Körpergefühl. Es entspricht in gewisser Weise der Art, wie wir an den Dharma herangehen. Man kann nichts vorhersehen. Im Westen gibt es diese Art ZukunFsprognose in Bezug auf Qualität oder Standards; jede Zahnpasta-­‐Tube gleicht allen anderen Zahnpasta-­‐Tuben garan@ert aufs Haar. Coca Cola wird auf der ganzen Welt verkauF und man behauptet, dass es überall genau gleich schmeckt. Wo immer man auch ist – es schmeckt überall gleich. Für die meisten von uns ist das nichts Posi@ves; es ist nicht wirklich das, was wir wollen. Wir wollen unterschiedliche Dinge.
Um die Komplexität, aus der die Dinge entstehen, wirklich würdigen zu können, müssen wir langsam gehen und einer der Vorteile dieser Art von Mantra-­‐Praxis ist, dass sie uns bremst. Natürlich – wenn wir in dieser Welt der Worte unterwegs sind, die uns vertraut ist, werden wir gleich sehr schnell. “Was ist das?” “Oh, es ist das!” Wir haben uns hier immer wieder darüber unterhalten, wie Kinder sprechen lernen. Das ist genau das Selbe. Wenn Kinder zu sprechen beginnen, sind sie sehr, sehr neugierig; sie stellen viele Fragen und wollen genau wissen, wie und was die Dinge sind und manchmal können die Eltern, wenn sie nicht gerade zu viel zu tun haben, plötzlich auch wieder Zugang zu ihrer Neugierde finden. Nach einer Weile geht das Kind zur Schule und braucht Gewissheiten – wenn man einen Aufsatz schreibt, muss man wissen, was das alles bedeutet, also kann man nicht mehr neugierig und offen sein. Man muss genau über alles Bescheid wissen. Und wenn man dann in unser Alter kommt, beruht unsere HerrschaF über die Welt darauf, zu wissen, was die Dinge sind. Zu wissen, wie man sie auf alltägliche Weise benützt. Wir kennen die rich@ge Weise, mit Sprache umzugehen. Das ist einerseits sehr sicher, aber es ist auch sehr blind. Wir sind nicht mehr neugierig – dabei ist die Schlüsselfunk@on des Dharmas, diese Ebene in Frage zu stellen, sodass sich ein Spalt öffnet, durch den wir uns auf eine andere Ebene “hinunterlassen” können.
In manchen Dharma-­‐Tradi@onen studieren die Menschen viel; sie lernen, die Welt der Worte in ihre Einzelteile zu zerlegen; sie studieren Logik und die Kunst des Deba„erens. Das dient alles dazu, die Worte durchlässig zu machen, die Menschen mit der Erkenntnis zu schockieren, dass sie nichts verstehen. In der Medita@on benützen wir die konzentrierte Aufmerksamkeit auf den Atem, den Körper, auf den Klang des Mantras, die uns von den James Low © www.simplybeing.co.uk 70
Worten wegführen. Wenn wir Tantra prak@zieren und Pujas veranstalten, ein bisschen so wie gestern Abend, dann verbinden sich die Worte eines Gebets mit Klängen, und das führt dazu – wie wir heute Morgen begonnen haben, mit dieser Zuflucht: normalerweise singt man ja nicht “Guten Morgen, wie geht’s dir?” Das ist ja nicht normal.
Normalerweise ist Sprache knapp und effizient, aber wenn wir langsamer werden und diese elaborierten Melodien singen, holen wir die Worte in den Klang hinein und den Klang in die Worte. Wir öffnen diese Grenze – zunächst haben die Worte eine Bedeutung, aber plötzlich, während des Chantens, verwandelt sich alles in Schwingung, es ist einfach Energie. Dann kommen wir an den Punkt, wo wir uns fragen: “Und was heißt das jetzt? Ah ja – und jetzt machen wir das” und man kommt wieder in die “normale” Welt zurück. Wir begeben uns auf eine @efere Ebene und je mehr wir prak@zieren, desto besser gelingt es uns, diese Ebene beizubehalten, sodass wir, wenn wir eine Puja gestalten, uns innerhalb dieser drei Ebenen auf und ab bewegen. (siehe Abbildung 7)
Kommentar: Während der Pujas sagt man die Mantras meist sehr rasch. Warum ist das so? Ich mag das nicht, weil es ist so rasch, so furchtbar schnell.
James: Ja, das ist schade. Das beruht auf einem realen Problem. Wie soll ich das sagen? Tibeter sind ziemlich ungeschliffene Menschen. Indien ist ein sehr hochentwickeltes Land; die indische Musik ist wundervoll. Ich erinnere mich, dass C. R. Lama zu mir sagte: “Weißt du, bevor die Chinesen es zerstörten, gab es im Samye-­‐Kloster Sitars und Vinas, die sie vor sehr langer Zeit aus Indien mitgebracht haAen.” Ich fragte ihn: “Hat irgendwer die Instrumente je gespielt?” “Nein, nein – wir haben sie einfach da au|ewahrt. Sehr hübsche Gegenstände; niemand hat damit pling-­‐plingpling gemacht.” Tibe@sche Musik ist nicht sehr raffiniert. Vielleicht sollten wir nicht so ein Beispiel hernehmen...
Die indische Kultur ist durch und durch ästhe@sch. Die indische Philosophie hat vermutlich weltweit die ausgeklügeltsten ästhe@schen Theorien entwickelt – das gilt bis zum heu@gen Tag. Eine wahnsinnig komplexe Theorie der Ästhe@k, vor allem im Shaivismus in Kaschmir; die Theorien des Abhinavagupta, der eine Studie zu jeder einzelnen Art von Empfindung unter dem Gesichtspunkt der Ästhe@k verfasst hat – eine ästhe@sche Phänomenologie. Wunderschön und voll der fantas@schsten Ideen. Manche von euch kennen diese Theorie der Rasa – von Geschmäckern, die in der Musik vorkommen, im Theater und in der indischen Dichtung. Die gibt es schon seit sehr langer Zeit. Die Tibeter haben so etwas nicht.
Die indische Wertschätzung von Klang und Rezita@on hat bei ihrer AnkunF in Tibet irgendwie den Kürzeren gezogen. Ich weiß nicht – Tibeter sind gute GeschäFsleute, gute Händler, also schließen sie diesen Kompromiss: um Erleuchtung zu erlangen, müssen sie zwanzig Millionen Mantras rezi@eren – also legen sie los, mit noch schnelleren Mantras... Man kann sich das wie einen kleinen Rechenapparat an Stelle eines Rosenkranzes vorstellen! Das ist eine etwas mechanische Idee, die wieder einmal nach folgendem neAen Prinzip funk@oniert: wenn eins gut ist, dann ist zwei doppelt so gut. Wenn man also von etwas hundert Stück braucht und jedes von ihnen für sich selbst genommen machtvoll ist, dann ist es egal, wie man es macht – Hauptsache, man tut es. Das ist ein bisschen verrückt. Es kommt darauf an, wie man es macht.Das Problem mit dieser Art von Systemen ist immer, dass wir, um uns zu behelfen, entweder ein System entwickeln oder etwas idealisieren: jetzt haben wir einen GoA, dort an der Wand hängt ein Bild von Dorje Sempa, also: “Dorje Sempa -­‐ wow! Ich liebe dich! Komm und hilf mir!” Wie können wir sicherstellen, dass Dorje Sempa kommt, um uns zu helfen? Dorje Sempa hat sehr, sehr viel zu tun. Also sammeln wir alle unsere Mantras, bis wir zehn Millionen beisammen haben, das schreiben wir dann auf einen Scheck, tun ihn in ein Kuvert und schicken ihn los – und dann kommt Dorje Sempa. So funk@oniert dieses System. Wenn man nicht große Mengen davon macht, bekommt man nichts zurück. Zuerst zahl’ dein Geld ein, dann bekommst du eine Pension. Man kann verstehen, warum das so ist. Für einfache James Low © www.simplybeing.co.uk 71
Leute ist das eine sehr gute Art, sich solche Dinge vorzustellen. Allerdings – Dorje Sempa ist nicht jemand irgendwo da draußen, der zu uns herein kommt. Dorje Sempa ist eine Erfahrung. Er ist eine Erfahrung!
NIEDERE TANTRAS
Wie kommt man also zu einer derar@gen Erfahrung? Die sogenannten “niederen Tantras” folgen da ziemlich genau dem indischen Puja-­‐System. Wenn ihr jemals in einem indischen Tempel wart – da wird die GoAheit am Morgen geweckt, gebadet und gefüAert; am Abend wird ihr Licht und ein bisschen Räucherwerk geopfert und dann wird sie zu BeA gebracht. Und am nächsten Morgen wird sie wieder geweckt, jeden Tag. Die Statue wird eingewickelt und schlafen gelegt, “gute Nacht, GoAheit, schlaf’ jetzt! Und komme wieder.“ Das ist eine sehr hübsche Idee.
Die Tibeter haben ähnliche Vorstellungen, in einer etwas anderen Form: die Idee ist, dass man beim Prak@zieren vor der Medita@on immer ein Bad nehmen, sich umziehen und saubere weiße Kleidung anziehen soll, dass man nur reine LebensmiAel isst – speziell Joghurt, weißes Mehl und Honig, solche Sachen –, keinen Knoblauch, kein Wurzelgemüse, kein Fleisch, keinen Alkohol. Man reinigt sich – die GoAheit ist ganz rein, und dann kommt es zu dieser ästhe@schen Verschmelzung auf der sogenannten saAvischen oder reinen Ebene. HÖHERE TANTRAS
In den höheren Tantras wird das ein wenig abgewandelt; hier bedient man sich viel mehr der Dinge des Alltags, also bringt man Alkohol dar und Fleisch, menschliches Fleisch, Hundefleisch, Elefantenfleisch, alle möglichen Dinge werden diesen GoAheiten geopfert und sie nehmen das alles an, aber es hat eine etwas andere Qualität. Es geht da nicht mehr so sehr um Ästhe@k, obwohl es natürlich bei einer großen Puja in einem @be@schen Kloster sehr prachtvoll zugeht. Es gibt sogar eine Art Choreograph oder Regisseur, der Dorje Lopon genannt wird; und dieser Dorje Lopon leitet die Medita@onen an und der Produk@ons-­‐
Assistent heißt Karma Lopon -­‐ “karma” heißt hier “Ak@vität“ – er ist derjenige, der herumläuF und die Tormas auyängt und sie wieder abnimmt, die Lichter anmacht und all diese Dinge. Das Ganze ist sehr genau choreographiert und man muss sich darauf konzentrieren, seinen Damaru genau zum rich@gen Zeitpunkt zu heben; alle machen diese Mudras exakt im rich@gen Augenblick – das dient alles dazu, die Energien zu harmonisieren. Aber es wird ein bisschen fabrikar@g. Ästhe@k wird vorgeschrieben – das ist die rich@ge Art, diese Dinge durchzuführen; wenn man ein guter Mensch ist, will man es rich@g machen. Es wird zu einer Dharma-­‐E@keAe und das ist etwas anderes als Ästhe@k. Ästhe@k ist immer etwas Individuelles, aber E@keAe ist gesellschaFlich und wenn diese beiden aufeinander treffen, gibt es eine gewisse Konfusion. Alles wird dann irgendwie zu einem Produk@ons-­‐
System und man kann damit immer mehr erzeugen; und wenn man die Produk@on standardisiert, ist der Profit grösser.
Das ist das Problem eines Ein-­‐Mann-­‐Betriebes: ich bin nur ein einzelner Mensch, der Psychotherapie betreibt. Ich kann nur so und so viel pro Stunde verlangen; und wenn ich mehr Geld verdienen möchte, muss ich viele, viele Stunden arbeiten. Wenn man eine Einzelperson ist, die GeschäFe betreibt, ist das das Problem. Wenn man eine Einzelperson ist, die Mantras rezi@ert, ist die einzige Möglichkeit, mehr Mantras zu rezi@eren, es schneller zu machen. Sonst gibt es keine Alterna@ve. Man kann andere Menschen dafür bezahlen, dass sie für einen Mantras rezi@eren, das gibt’s im @be@schen Buddhismus auch, aber im allgemeinen, wenn man seine Mantras rezi@ert, tut man das entweder langsam oder schnell. Und wenn man der Meinung ist, dass man ganz viele braucht, weil eine große Zahl von Mantras großem Verdienst entspricht und man ganz viel Verdienst braucht, kommt man zu James Low © www.simplybeing.co.uk 72
der mathema@schen Gleichung, dass man sich sehr beeilen muss.
Das ist eine sehr umständliche Erklärung für die Vorstellung, dass Klang allein schon genügt. Aber es handelt sich dabei um einen Klang, der auf uns zukommt, während wir ursprünglich von der ästhe@schen Wertschätzung von Klang gesprochen haben, und dass wir dem Klang ermöglichen, sich durch uns hindurchzubewegen und uns dabei zu transformieren. Das dauert vermutlich länger. Es bedeutet, dass man sich selbst kennen muss. Das ist nicht wie die Herstellung von Coca Cola; es entspricht viel eher der Erzeugung von eigenem Wein – man muss ihn verkosten und vielleicht schmeckt er jemandem anderen, aber man selbst ist noch nicht zufrieden mit dem Geschmack und daher tut man noch ein wenig Zucker dazu oder was auch immer, oder man lässt ihn länger reifen, weil er einen ganz speziellen Geschmack hat, er ist etwas ganz Besonderes. Wir sind alle etwas Besonderes, also hat auch jeder von uns eine ganz spezifische Beziehung zur Praxis.
Der Buddhismus in Tibet, im Speziellen diese Puja-­‐Systeme, haben sich zu etwas entwickelt, was man für andere Menschen tut. Die Mönche vollziehen diese Rituale für andere, also handelt es sich nicht nur um persönliche Medita@on sondern auch um Darstellungskunst. Und Darstellungskunst muss choreographiert werden. Wenn man nur für sich selbst tanzen will, ist das eine Sache; aber wenn jemand sagt: “Gut, wir veranstalten jetzt eine Tanz-­‐Show. Willst du mitmachen?” denkt man: ”oh, da muss ich aber ein bisschen üben!” Selbst wenn man sich für einen einigermaßen guten Tänzer hält, will man proben, weil die Ak@on sich nach außen richtet, auf die anderen hin; es muss alles standardisiert werden – während es beim Üben für sich allein nichts ausmacht, wenn man falsch beginnt oder es sich miAendrin anders überlegt.
Das ist eine kurze Erklärung, warum sich das historisch so entwickelt hat. Ich denke, wenn wir auf diese Weise prak@zieren, ist es wich@g, selbst draufzukommen, wie es für uns am besten passt. Wir haben darüber bereits gesprochen. Es ist so viel einfacher, irgendwelchen Geboten Folge zu leisten; das zu machen, was ein Guru sagt, anstaA selber draufzukommen, was gut für uns ist. Deshalb machen wir es einfach, wenn uns jemand die Anweisung gibt: “Rezi@ere fünf Millionen Mantras!”, obwohl es ein wenig langweilig ist, und wenn sich am Ende herausstellt, dass uns das keinerlei Nutzen gebracht hat, sagen wir: “Ach, wahrscheinlich hab’ ich es nicht rich@g gemacht”, oder “Ich habe ein ganz schlechtes Karma, also mache ich noch ein paar zusätzlich“ – das ist die Überlegung in diesem System. Wenn man den Segen der GoAheit erlangen will und daran glaubt, dass die GoAheit einen tatsächlich segnen kann – warum sollte die GoAheit das dann nicht gleich tun? Glauben wir etwa, die GoAheit sei eine Art MuAer, die zu uns sagt: “Du darfst nicht hinaus zum Spielen, bevor du nicht deine Schulaufgaben gemacht hast!” Das ist ein bisschen einfäl@g.
Kommentar: Mantras haben immer eine posi@ve Wirkung, oder gute Schwingungen haben eine posi@ve Wirkung. Was mich betrifft, ver@efen sie meine Zärtlichkeit. Ich denke, das wird auch für andere so sein. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Rezi@eren von Mantras keine oder eine schlechte Wirkung auf Menschen haben könnte.
James: Ich sage nicht, dass es schlecht ist, aber es kann sein, dass sie gar keine Wirkung haben. Es gibt in Tibet so viele Menschen, die Millionen von Mantras rezi@ert haben und trotzdem nichts wirklich besonders klar sehen.
Kommentar: C.R. Lama sagte, dass wenn man ein Mantra rezi@ert und keine Visualisierung dazu macht, der Geist möglicherweise immer noch wie ein Affe herumturnt. Manche Menschen rezi@eren Mantras völlig automa@sch, wie ein Tonbandgerät, aber der Geist wandert währenddessen trotzdem herum... was soll das für einen Sinn haben?
James: Genau darum geht es. Das meine ich, wenn ich davon spreche, dass wir uns selbst auf James Low © www.simplybeing.co.uk 73
die Spur kommen sollen. Vielleicht ist es für manche hier ganz in Ordnung, ein Mantra ganz schnell zu rezi@eren und es hilF, die Aufmerksamkeit zu konzentrieren. Für andere ist es vielleicht besser, wenn sie es langsamer machen. Wenn wir Erleuchtung erlangen wollen, müssen wir uns auf den Prozess einlassen. Das kommt nicht einfach in Form eines fer@gen Pakets.
Wir werden später noch mit anderen Mantras prak@zieren und uns unterschiedliche Arten des Chantens genauer ansehen. EIN GERÄUSCH MACHEN
Mir ist neulich etwas wirklich ganz Schreckliches bewusst geworden: Ich habe mir im Fernsehen eine Sendung über Kambodscha angesehen, weil sie Pol Pot gerade aufgespürt haAen. In der Sendung haben sie auch Leute interviewt, die in diesen Folter-­‐ und Todeslagern gefangen waren. Eine der Frauen sagte, dass da ein Schild an der Wand mon@ert war, auf dem stand: “Macht kein Geräusch! Weinen ist verboten!” Das ist eine unglaubliche Vorstellung: es schneidet jemand einem den Finger ab und man darf keinerlei Geräusch von sich geben. Das ist wahrhaF furchtbar. Aber auch in unserem Leben hat es immer wieder Augenblicke gegeben, in denen uns gesagt wurde, dass wir s@ll sein sollen; und so ist es für viele Menschen nach wie vor schwierig und angsterregend, einen Klang zu produzieren. Denn die S@mme ist Ausdruck unseres Selbst; wenn wir aus uns herausgehen, können wir auch kri@siert werden. Vielleicht ist eine wich@ge Übung für heute, einfach ein Geräusch zu machen und uns wirklich der Blockaden bewusst zu werden, die uns daran hindern. Diese Gefühle von Schuld und Scham, und auch, wie wir das Geräusch beurteilen, das wir hervorbringen.
In der Dharma-­‐Praxis geht es vor allem darum, den Klang zu erzeugen. Klang ist eine Form der Harmonisierung des Atems und der Medita@on; wenn wir also immer alles im S@llen machen, entgeht uns dabei ganz viel Nützliches. Es ist sehr wich@g, das einmal auszuprobieren.
Kommentar: Aber es stellt sich die Frage, ob der Klang schön und harmonisch sein soll oder was bedeutet es im Hinblick auf den Dharma, wenn ein Ton hässlich klingt?
James: Ich denke, wenn die Menschen medi@eren, wissen sie nicht, ob ein Ton schön oder hässlich ist. Dieses Urteil fällen immer nur die anderen.
Kommentar: Ach, ich denke, das spürt man.
James: Ich weiß nicht, ob man es spüren kann. Wenn man sich wirklich voll auf den Klang einlässt, weiß man nicht, ob er schön oder hässlich ist. Ein Klang ist ein Klang. Wenn man sich mit dem Klang harmonisiert, wird er eine bes@mmte Form annehmen.
Kommentar: Ich meine – wenn es nicht harmonisch klingt, wäre das aus meiner Sicht hässlich, und wenn ich mich nicht ausreichend eins@mmen kann, wird der entstehende Ton mein Unbehagen noch verstärken, weil es mir nicht gelingt, die Harmonie auszudrücken, die das Mantra braucht, wenn du verstehst, was ich meine.
James: Ich glaube nicht, dass ein Mantra Harmonie braucht. Das ist eine kri@sche Beurteilung in deiner Vorstellung oder ein Gefühl, dass du die Dinge auf die rich@ge Weise machen solltest.
Kommentar: Aber es fühlt sich besser an, wenn es mir gelingt.
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James: Das ist eine Beurteilung.
Kommentar: Na gut – dann würde ich sagen, dass meine Erfahrung der Praxis sich ver@eF, meine Erkenntnisse ver@efen sich und so weiter. Wenn das in Harmonie geschieht, schwingt mein ganzer Körper mit. Wenn mir das, aus welchem Grund auch immer, nicht gelingt, blockiere ich und fühle mich sehr unbehaglich und meine Praxis macht keine FortschriAe. So scheint es mir zumindest.
James: Aber das ist eine Manifesta@on des Wunsches, die Situa@on unter Kontrolle zu haben. Dann wirst du von deinem Wunsch eingeschränkt, eine perfekte Form zu produzieren und das ist meiner Meinung nach das zentrale Problem im Dharma, wenn Menschen gemeinsam prak@zieren. Es ist gut, in der Gruppe zu prak@zieren, weil es uns harmonisiert; aber es führt unweigerlich dazu, dass wir das, was wir tun, nach außen bringen – und wir haben alle schon die kri@schen Aspekte in uns verinnerlicht, die uns externalisieren. Wir sind befangen. Medita@on dient dem Versuch, diese Befangenheit aufzulösen. Kommentar: Aber das Glücksgefühl wird sich nicht einstellen, wenn der Körper buchstäblich nicht in der Lage ist, sich mit dem Klang zu harmonisieren. Wenn der Ton nicht auf einer bes@mmten Wellenlänge herauskommt, kann das eine sehr störende Wirkung haben und ein Glücksgefühl ist nicht möglich.
James: Ich weiß nicht. Ich denke nicht in diesen Kategorien, also habe ich dieses Problem nicht. Ich glaube, das ist ein rein theore@sches Problem.
Kommentar: Ich habe das nicht im Hinblick auf eine Theorie gemeint, sondern in Bezug auf die prak@sche Erfahrung.
James: Ich weiß nicht, wie das mit der Erfahrung ist. Ich kann dir da nicht helfen. Für mich klingt das so, als ginge es dabei um Befangenheit, und das ist das Problem. Es ist immer problema@sch, wenn wir etwas vorhersagen: “Wenn nicht dies und jenes passiert, kann das nicht geschehen.” Ich weiß nicht.
Kommentar: Ich sage nicht, dass das eine Vorhersage war. Ich meine nur: wenn ich auf eine Weise singen kann, die mir bekannt ist, weil der Körper dann mitschwingt – wahrscheinlich kennt jeder dieses Gefühl – man weiß, man ist im Einklang, das fühlt sich angenehm an und voll und melodiös, dann vermiAelt das den ganzen Reichtum, der damit Hand in Hand geht. Wenn einem das nicht gelingt, dann fehlt alles das. Ich sage nur insofern etwas voraus, als ich feststelle, es könnte so sein – auf Grund der Erfahrungen, die ich bisher gemacht habe.
James: Aber ich glaube nicht, dass das wahr ist. Ich denke, das ist ein Werturteil. Wenn du beispielsweise zu einem Fußballmatch gehst, und die Menschen dort singen, dann klingt das vielleicht komisch, aber sie gehen ganz im Geschehen auf, es geht ihnen gut und sie haben sehr starke Emo@onen. Die Energie des Herzens wird alle diese Probleme überwinden, aber der Kopf, der immer alles bewerten und kontrollieren will, triA einen SchriA zurück und beurteilt. Es ist also ganz wich@g, nicht zu urteilen.
NÄCHSTER TAG
Okay. Ich möchte einen Wunsch äußern. Ich würde gerne hören, wie ihr “S@lle Nacht” singt.
Kommentar: Wenn die Nacht s@ll ist, warum sollen wir dann singen? James: Du kannst ein “Kri@ker-­‐Eck” bekommen, wenn du magst und einen Bericht schreiben. James Low © www.simplybeing.co.uk 75
Vermutlich kennen die meisten Menschen in Deutschland dieses Lied und wenn ihr den Text nicht genau kennt, könnt ihr einfach la-­‐la-­‐la singen. Diese Melodien, speziell von Liedern, die wir in unserer Kindheit lernen, sind oF mit starken Emo@onen verknüpF, denn zu dem Zeitpunkt, wo wir sie lernen, fühlen wir uns nicht so unterdrückt. Später sind wir uns dessen deutlicher bewusst, aber zu dem Zeitpunkt, an dem wir diese Weihnachtslieder lernen, sind wir meistens noch ganz offen. Sollen wir das machen? ... Ist es schwierig? Vielleicht geht ihr einfach ein bisschen in den Atem, ein bisschen in die Ruhe und dann könnt ihr von da heraus singen, ganz entspannt.
Kommentar: Wozu sollen wir dieses Lied singen?
James: Wozu? Na ja – um die Erfahrung zu machen, wie es ist, ein Lied zu singen, das uns vermutlich sehr vertraut ist, die Worte sind einfach, sie drücken ein sehr friedliches Gefühl aus. Aber es ist auch eine Möglichkeit, ein Lied zu nehmen, das vermutlich jeder kennt und zu sehen, wie es die Erfahrung unseres Hierseins harmonisiert. Einfach um das zu erleben. Das ist keine Bekehrungs-­‐Kampagne. Ich komme ja nicht aus Rom! Stellt euch vor, ihr seid gerade fünf Jahre alt, Weihnachten steht vor der Tür und ihr habt eine kleine Kerze.
[Medita@on]
Lasst den Ton einfach kommen.
[Singen]
Jeder von euch wird seine eigenen Erinnerungen und unterschiedliche Resonanzen haben, manche angenehm, andere nicht, keine Frage. Aber die Art, wie wir durch Klang in Kontakt mit unseren Emo@onen kommen können, ist etwas wirklich Machtvolles. Wenn wir einer Tradi@on wie dem @be@schen Buddhismus begegnen, lernen wir die Dinge als Erwachsene und deshalb fehlen uns viele unserer Kindheits-­‐Verbindungen. Ich denke, es ist wich@g, uns daran zu erinnern, was das für einen kulturellen Verlust bedeutet. Worte wie diese evozieren so viele unterschiedliche Arten von Gefühlen und Erinnerungen, zu denen man beim Lernen im Erwachsenenalter vermutlich einfach keine solche Verbindung herstellen kann.
Eines der Projekte, über das wir in der Vergangenheit gesprochen haben, war die Vertonung einiger buddhis@scher Texte mit westlicher Musik; oder sie neu zu arrangieren, damit sie leichter zugänglich werden. Es ist wich@g, sich diese Freiheit zu nehmen und Melodien auszuwählen, zu denen ihr einen gefühlsmäßigen Bezug habt und dazu buddhis@sche Mantras oder Lieder zu singen – so lässt sich die emo@onelle Wirkung von etwas, mit dem ihr vertraut seid, mit diesem neuen Verständnis integrieren. Ich glaube, auf diese Weise wird es realer und persönlicher.
Kommentar: Was ist mit der Schwierigkeit, in @be@scher Sprache zu singen? Wo wir sehr oF keinen Bezug zum Inhalt haben? Es gibt nicht so viele buddhis@sche Lieder, die wir in unserer Sprache singen können, oder?
James: Nein, aber es ist auch möglich, Lieder zu schreiben. Es gibt heutzutage ganz viel Freiheit, beim Liederschreiben. Die Hauptsache ist natürlich, zu überlegen, was für eine Art von S@mmung man hervorrufen will und dass das Lied bei möglichst vielen Menschen diese spezielle Atmosphäre erzeugt. Für manche Menschen ist es ein trauriges Lied, voll Emo@on, getragen von einem Gefühl des Verlustes. Das wird unterschiedlich wahrgenommen.
James Low © www.simplybeing.co.uk 76
UNTERSCHIEDLICHE METHODEN, DAS CHANTING EINZUSETZEN
Tibe@sch-­‐buddhis@sches Chanten wird vor allem von der @be@schen Sprache geprägt, die auf Silben aufgebaut ist. Im Tibe@schen haben fast alle Silben eine Bedeutung, sodass die funk@onale phonemische Masse, also die Masse an Klängen, seman@sch signifikant ist. Die meisten Worte werden aus zwei, drei oder maximal vier Teilen gebildet, die wiederum häufig aus zwei oder drei Silben bestehen, manchmal auch nur aus einer einzigen. Himmel heißt nam-­‐ka. Dakini heißt ka-­‐dro-­‐ma. Mehr ist es in den meisten Fällen nicht. Also: ka ist Himmel, dro heißt gehen und ma bedeutet, dass es sich um ein Femininum handelt. Es ist ziemlich einfach, angesichts dieser Art von Trennung zwischen Bedeutung und Klang ausgeglichene Melodien zu erfinden, weil man sie einfach in Zeilen auFeilen kann – und so geschieht es meistens auch. Die meisten Zeilen bestehen aus sieben, neun oder elf Silben. Gestern Abend haben wir beim Gebet kyab ne lu me kon chok rin po che mit einem neunteiligen Takt begonnen; und mit dem siebenzeiligen Gebet wird das dann zu einem Siebener-­‐Takt. Bei neun Silben ist der Rhythmus beim Chanten meistens so aufgeteilt: eins-­‐
zwei-­‐eins-­‐zwei, eins-­‐zwei-­‐drei-­‐vier-­‐fünf. Gestern Abend haAen wir eins-­‐zwei-­‐eins-­‐zwei, eins-­‐
zwei-­‐drei-­‐vier-­‐fünf. Der Takt war eins-­‐zwei, eins-­‐zwei, eins-­‐zwei [letzteres sehr gedehnt], eins-­‐zwei-­‐drei. Wenn man einmal ein Gefühl für diese Ordnung bekommt, ist es ziemlich einfach, das in seine Bestandteile zu zerlegen. Man muss sich nur merken, wo die Betonungen liegen.
Wenn man den Grundrhythmus einmal drauyat, kann man das schnell oder langsam machen, je nachdem, wie viel Zeit man zur Verfügung hat und welche S@mmung man erzeugen will. Meistens ist die Wirkung auf uns umso größer, je langsamer wir werden. Allein schon die Verlängerung des Tones versetzt uns in einen Bereich abseits der Sprache. Der Sprechrhythmus ist so, wie ich jetzt rede; wenn ich also schnell rezi@ere: kyab ne lu me kon chok rin po che, etc., ist das dem normalen Sprechrhythmus sehr nahe und @be@sche Pujas werden oF in diesem Tempo gelesen – oder noch schneller. Wenn man in einem normalen Sprechrhythmus liest, konzentriert sich der Geist darauf wie beim normalen Sprechen, also interpre@ert man auf der Sprachebene; aber wenn wir es ganz langsam machen: kyab ne..., seid ihr miAen im Nirgendwo! Ihr habt das kyab verlassen, ihr seid im ne, ihr habt das lu noch nicht erreicht. Ich bin verloren im kyab ne...
Wenn ihr jede einzelne Silbe so auseinandernehmt, dann wechselt ihr einfach auf die klangliche Ebene – anstaA dass es heißt: kyab-­‐ne-­‐lu-­‐me, wo ihr eine Sequenz von Worten habt, die aufeinander au|auen, ist es dann kyyaaab nnneee, und wenn ihr das langsam jeder für sich rezi@ert, beginnt ihr vielleicht zu spüren, was für eine Energie in diesem Klang steckt, kkkkyyyyyaaabbb, was bewirkt der Klang von nnee lluu mee kon chog rin po che…
Es ist ganz wich@g, sich die Freiheit zu nehmen, mit diesen Dingen zu experimen@eren. Alles ist nützlich, wenn man weiß, wie man es einsetzt. Aber man lernt nur, wie man die Dinge benützt, wenn man mit ihnen übt und man kann nur üben, wenn man sich erlaubt, sogenannte “Fehler” zu machen. Üben heißt, eine Vielzahl von Möglichkeiten auszuprobieren, bis man diejenige findet, die wirklich für einen passt. Im Rückblick, oder wenn man von außen zusieht, könnte man diese anderen Möglichkeiten vielleicht als „Fehler“ bezeichnen; aber im Grunde sind das Tests, oder? Wenn ein Kind eine Sprache lernt, sagt es oF komische Wörter. Man könnte dazu sagen: “Es spricht falsch!” und ständig versuchen, es zu verbessern. Oder man kann sagen: “Es macht gerade interessante Klang-­‐
Experimente!”
Vieles von dem kann jeder für sich alleine machen. Nehmt so ein kleines Gebet mit auf eure Spaziergänge draußen in der Natur und erforscht einfach den Klang, indem ihr es ganz, ganz langsam sprecht. Ihr könnt mit der Hand den Takt schlagen und immer langsamer werden. James Low © www.simplybeing.co.uk 77
Nehmt vielleicht eines, das die meisten von euch wahrscheinlich kennen, dieses sang gye chö dang. Man kann das ganz schnell sagen, oder ganz langsam und ausprobieren, was diese Rhythmen bewirken. Sie erzeugen eine S@mmung. Wenn man sich darüber im Klaren ist, kann man, wenn man für sich alleine übt, die Geschwindigkeit und die KraF [force] beim Chanten einsetzen, um sich mit seiner S@mmung in Einklang zu bringen bzw. sich noch @efer in sie hineinzubegeben.
Kommentar: Zwingen [force]? Hast du gesagt “zwingen”? James: Habe ich das gesagt?
Kommentar: Ich weiß nicht. Ich hab es so verstanden.
James: Man kann es dazu benützen, sich in Einklang zu bringen, man kann die KraF der S@mme dazu verwenden – die Intensität, die Tonhöhe und die S@mmung, jeder kann das auf seine Weise machen. Wenn du beispielsweise sehr traurig bist und dich hilflos fühlst, könntest du das alles in den Klang einfließen lassen. Wenn du dich weit offen fühlst, dann sing’ auf diese Weise. Mit Singen kann man seine Gefühle verändern. Je nachdem, wie man sich fühlt, kann man versuchen, mit Hilfe des Klangs diese S@mmung wirklich in der Tiefe auszuloten oder man kann dagegen angehen und den Klang dazu benützen, die S@mmung zu verändern. Dazu sind diese Dinge da. Oder – ich sollte vielmehr sagen: das ist ihr energe@scher Zweck auf der Ebene der S@mme; weil auf der Wort-­‐Ebene sagen wir, dass wir Zuflucht beim Buddha nehmen, da läuF alles in einer Coca Cola-­‐
Standardform ab. Wir kennen alle den Rhythmus und der ist ganz einfach. Dadurch bleibt die Bedeutung klar, aber wenn wir den Klang als ein energe@sches System erforschen wollen, brauchen wir die Freiheit, das zu untersuchen – ich möchte euch wirklich dazu ermuntern, das auszuprobieren.
Eines der größten Probleme liegt darin, dass wir diese Texte als heilig ansehen, das heißt, sie müssen mit Glacéhandschuhen angefasst werden. Die Lehre des Buddha ist dazu da, euch zu helfen. Ihr seid schmutzig, unordentlich. Es wäre absurd, einem kleinen Kind eine Figur aus Dresdner Porzellan in die Hand zu geben, weil kleine Kinder herumspielen und die Dinge fallen lassen. Diese Übungen sind nicht aus Porzellan, sie sind sehr robust und wie aus Gummi, damit wir mit ihnen spielen können und der Buddha ist deshalb nicht beleidigt. Im Gegenteil: der Buddha freut sich, wenn ihr mit ihnen spielt. Das ist die Realität, denn nur dadurch, dass ihr mit ihnen spielt, gewinnt ihr die Freiheit für euch selbst.
ZUFLUCHT: REZITATION IN UNTERSCHIEDLICHEN RHYTHMEN – siehe auch Anhang 6
Also, wollen wir einfach das Zufluchts-­‐Gebet rezi@eren? Wie wir sehen, lassen die Verse neun mögliche Betonungen zu.
Lasst uns damit beginnen, sie drei Mal mehr oder weniger in Lesegeschwindigkeit zu sprechen. [Rezita@on drei Mal, rela@v rasch]
Wie fühlt ihr euch jetzt? Euer Atem geht ein bisschen schneller, weil ihr nicht so @ef habt LuF holen können, denn wenn man in dieser Geschwindigkeit rezi@ert, atmet man aus dem oberen Teil der Brust. Es holt die Energie herauf. Lasst sie uns jetzt etwas langsamer sprechen.
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[Rezita@on drei Mal, langsamer]
Ich bin sicher, das erzeugt ein anderes Gefühl. Für mich ist es ein bisschen wie in einem Panzer zu sitzen oder so; man stellt sich vor, dass man über alles drüberfahren könnte. Das ist ziemlich stark, sehr machtvoll, ziemlich unerbiAlich. Diese Art von Melodie ist also gut, wenn wir uns kräFigen wollen. Man hat das Gefühl, überall durchzukommen. Das ist sehr machtvoll.
Lasst es uns jetzt noch langsamer machen, wie heute VormiAag.
[Rezita@on 3 Mal, noch langsamer]
Das fühlt sich wiederum anders an. Jeder von euch wird das anders empfinden.
Wir können natürlich mehrere solcher Melodien lernen, aber ich glaube, das Wesentliche – speziell aus der Sicht des Dzogchen – ist, dass man die Melodie dazu benützt, sich mit seiner S@mmung in Einklang zu bringen, sie zu verstärken oder zu verändern.
Aus der Sicht des Tantra haben die Pujas einen speziellen, vorgegebenen Rhythmus. Menschen kommen zusammen und gemeinsam vollziehen sie es in diesem Rhythmus; das ist eine Art von Abstammungslinien-­‐Melodie. Es vermiAelt ein Gefühl der Zusammengehörigkeit und dass das die rich@ge Art ist, die Dinge zu tun.
Am Abend werden wir noch andere Arten von Gesang und Chanten ausprobieren, und klatschen und uns bewegen – das ist alles ein Versuch, Klang und Energie zu integrieren. Also – können wir jetzt das Zufluchts-­‐Gebet rezi@eren? Die Verse ermöglichen neun Varianten der Betonung.
Wir beginnen, indem wir sie in einer rela@v raschen Lesegeschwindigkeit rezi@eren.
[Rezita@on 3x, rela@v rasch]
Wie fühlt ihr euch? Euer Atem geht ein bisschen schneller, weil ihr nicht so @ef LuF holen konntet, weil man bei diesem Tempo aus dem oberen Teil des Brustkorbs heraus atmet. Es holt die Energie herauf. Aus der Sicht des Dzogchen versuchen wir so, uns auf sub@lere Weise mit unserer Energie zu verbinden und sie entweder zu ändern, falls das nö@g ist, oder sie zu verstärken. Wenn man traurig ist, kann das Rezi@eren des Siebenzeilen-­‐Gebetes einen zum Weinen bringen – und man weint und weint und es kann möglicherweise sehr hilfreich sein, sich auf diese Weise mit Emo@onen zu verbinden, denen man normalerweise keinen Ausdruck verleiht. Oder vielleicht ist man gerade auf dem Weg zu einem schwierigen Treffen, sei es in der Arbeit oder in einer Beziehung, und man fühlt sich ziemlich zerbrechlich und schwach; dann kann man eine Melodie wählen, die einen stärkt und einem eine Art Schutz verleiht. Das Wesentliche ist, dass jeder für sich herausfindet, was für ihn oder sie passt, denn es geht um eure Beziehung zu diesen Dingen; und Tatsache ist, dass unsere S@mmung sich ununterbrochenen verändert. Wir sind nicht beständig, deshalb müssen wir auch unser Verhältnis zum Dharma je nach unserer momentanen S@mmung ständig verändern. Und das ist ein großer Unterschied zu der Art, wie viele Aspekte des Buddhismus normalerweise präsen@ert werden. Ganz vieles im Buddhismus ist „für alle fühlenden Wesen“ bes@mmt; das ist ein bisschen so, wie wenn das Verteidigungs-­‐Ministerium oder das Militär-­‐Hauptquar@er den Befehl ausgibt: “Alle Soldaten tragen diese Uniform“ – also werden James Low © www.simplybeing.co.uk 79
Standard-­‐Uniformen erzeugt und ein Soldat soll da hineinpassen. In dieser Form geht es hinaus. Aber im Dzogchen versuchen wir, uns selbst gegenüber feinfühliger zu sein. Kommentar: Wie funk@oniert die Integra@on von Sanskrit-­‐Mantras aus der Sicht des Dzogchen?
James: Man kann jedes Mantra nehmen, das einem gefällt. Das Wesentliche ist, dass man das Prinzip versteht: aus der Leere entsteht der Klang und durch den Klang treten wir in die Schöpfung der Welt ein. Sowohl in der Sprache als auch in der energe@schen Erfahrung exis@eren die Dinge als Klangschwingung. Du kannst auch Om nama shivaya nehmen, wenn du magst; das macht keinen Unterschied. In Wirklichkeit gibt es nicht sowas wie ein buddhis@sches Passamt und wenn man mit einem Shiva Mantra ankommt, schneiden sie einem die Kehle durch. Das ist nicht wie in Sarajevo – obwohl viele Menschen gerne so etwas draus machen würden. Du kannst Om nama shivaya sagen oder MAamAa, MAa-­‐mmAa, MAa-­‐mmma, Maa-­‐mmmma. In Bengalen bin ich vielen Kali Babas begegnet, die einfach nur “Ma” singen. Sie gehen herum und singen den ganzen Tag nur “Ma! Ma!”. Sie sind kompleA hinüber. Ramakrishna hat lange Zeit seines Lebens damit verbracht, “Ma, Ma” zu singen. Versucht es einmal: man rezi@ert fünf Minuten lang “Ma” und ist in einem anderen Bewusstseinszustand, man kommt dabei sehr schnell in eine Trance. “Ma! Ma! Ma!” Man wird ganz schnell leer dabei. Es ist ganz wunderbar, diese Dinge einfach auszuprobieren.
Wenn man das Prinzip einmal verstanden hat, ist alles Dharma. Deshalb konnte der Buddha auch, wie man sagt, vierundachtzigtausend Dharmas lehren – das bedeutet einfach: sehr, sehr viele – weil er alles benützt hat, um fühlenden Wesen zu helfen. So wie man in der @be@schen Medizin auf dem Standpunkt steht, dass alles Medizin sein kann, es hängt nur von der Person und ihrer Verfassung ab. Wir müssen also herausfinden, was unsere Verfassung ist, wir müssen die Struktur der Praxis kennen und dann können wir verwenden, was wir brauchen.
Buddhis@sche Praxis wird entweder allein oder in Gruppen geübt. In der @be@schen Tradi@on gibt es so gut wie keine Dialoge, also tatsächliche Kommunika@on zwischen zwei Menschen. Manchmal gibt es so etwas wie ein Interview, aber auch das ist in einer ganz bes@mmten Weise strukturiert. Meist handelt es sich dabei um Frage-­‐und-­‐Antwort und keine @efergehende Erkundung, die von jemandem unterstützt wird. Das ist ziemlich selten – einen Gesprächspartner zu haben, dessen einzige Aufgabe es ist, einem zu helfen, in der eigenen Geschichte zu bleiben und der kein Interesse daran hat, deine Geschichte zu sich herüberzuziehen, um sie interessant zu machen, oder so. Vielleicht empfinden wir selbst den Wunsch, interessant zu sein – aber tatsächlich exis@ert dieser Anspruch nicht. Das ist nur Teil dessen, wie wir uns selbst definieren.
Für mich liegt ein Vorteil dieser Art zu prak@zieren darin, dass wir durch die Vereinigung mit der GoAheit und mit Hilfe der Auflösungs-­‐Medita@on einen Augenblick von Offenheit erleben und es sehr deutlich wird, wenn die Gedanken wieder zurückkommen. Die Gedanken haken sich irgendwie bei uns ein, weil wir ihnen nachgehen und dann sind wir wieder in unserem normalen Leben. Ich denke, diese Praxis kann euch helfen, die Art von Gedanken zu untersuchen, in denen ihr euch leicht verheddert, denn wie ihr euch selbst definiert, vermiAelt euch ein Gefühl für eure innere Geographie – und es ist diese Geographie, die den Platz ausfüllt, der in der Medita@on entsteht. Wenn man das Auflösen prak@ziert, schafft man ein wenig Raum – und der füllt sich dann ganz rasch wieder mit den Hügeln und Tälern eurer vertrauten Gedanken; ihr fallt in eine ganze Schablone von Konstrukten zurück. Wenn wir diese Art des Fragens dazu benützen, die innere Geographie in Frage zu stellen, kann sie uns auch dabei helfen, die süch@g machende KraF dieser Vorstellungen zu lockern.
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REINIGUNG UND DIE VIER KRÄFTE
Ich möchte ein wenig über die Vier KräFe sprechen, die zur Reinigung benützt werden. In dem Kapitel von C.R. Lama in “Simply Being” werden sie sehr klar beschrieben, aber es ist immer nützlich, über sie nachzudenken.
FELD DER AKTIVITÄT: ERSTE KRAFT
Diese Vier KräFe sind Teil der buddhis@schen Tradi@on. Die erste beschreibt die Macht des sogenannten “Feldes der Ak@vität“ – was soviel bedeutet wie die Macht, der ich vertraue, dass sie mich reinigt. In den alten Texten bezog sich das auf den Bodhi-­‐Baum in Bodh Gaya, also pilgerten die Menschen zum Bodhi-­‐Tempel und führten dort ihre Reinigungsrituale vor dem Tempel durch. Gemäß dieser Vorstellung gibt es zwei Gründe, warum es wich@g ist, seine Beichte oder was auch immer vor einem sehr heiligen Gegenstand zu machen. Einerseits, weil man daran glaubt, dass dieser Gegenstand die Macht hat, einen tatsächlich zu reinigen und andererseits, weil er in der Lage ist, ein Gefühl von Scham zu erwecken. Auch in Europa begeben sich die Menschen auf PilgerschaF zu heiligen StäAen; sehr oF tun sie das zu Fuß oder sogar auf den Knien als eine Form von Reinigungsritual. Die Tibeter machen das Gleiche. Es gibt Tibeter, die sich miAels Niederwerfungen über eine Enƒernung von zweitausend Meilen quer durch Tibet vorwärtsbewegen, sie sind zehn Jahre unterwegs. Die Menschen unternehmen alles Mögliche, aber die Vorstellung ist immer die, dass die eigenen Gefühle an so einer heiligen StäAe von der Macht, die von diesem Ort ausgeht, verändert werden. Wenn wir das auf tantrische Weise versuchen, visualisieren wir die GoAheit und bekennen unsere Sünden vor dieser Präsenz. Eine andere Vorstellung vom Handeln in Gegenwart einer GoAheit ist die Überzeugung, dass die GöAer weise sind und alles sehen können; es ist also sinnlos, sie anzulügen, weil sie ohnedies schon alles über uns wissen. Auch das ist eine Möglichkeit, uns daran zu hindern, die Dinge zu vertuschen.
EFFEKTIVE KRAFT DES GEGENMITTELS: ZWEITE KRAFT
Die zweite KraF, die wir benö@gen, ist die einer hilfreichen Methode – in der Tradi@on heißt sie die “effek@ve KraF des GegenmiAels”, was soviel bedeutet, wie: wir sollten nach einer Methode prak@zieren, die mäch@g genug ist, um als GegenmiAel für alles zu dienen, was wir möglicherweise anstellen. Man kann sich das so vorstellen: In einer kleinen tradi@onellen katholischen Dorfgemeinde gibt es einen alten Menschen, jemanden, der immer zur Beichte gegangen ist. Diesmal trifft er dabei auf einen neuen Priester. Er legt seine Beichte ab und wartet an dem kleinen Fenster und der Priester erklärt ihm: “Ich kann dir dazu nichts sagen! Ich bin Priester geworden, weil meine MuAer das so wollte. Ich glaube nicht an diese Dinge und kann dir nicht helfen.” Diese Person wäre dann wohl sehr schockiert. Die Macht der perfekten Methode ginge so verloren. Der Priester würde nicht mehr sagen: “Auf Grund der Abstammungslinie habe ich die Macht, dich von deinen Sünden zu befreien.”
Es ist sehr wich@g, jemanden zu finden, der wirklich die Macht hat, das zu tun. Wenn man auf die Bank geht, um einen Kredit aufzunehmen und erzählt dort der Reinigungsfrau alle seine finanziellen Probleme und erklärt, warum man den Kredit braucht, und am Ende sagt sie: “Ich muss jetzt die Klos putzen gehen, tut mir leid!”... Es ist sehr wich@g, die rich@ge Person zu finden und die passende Art, so etwas zu prak@zieren. Diese KraF bedeutet nichts anderes als: die Methode des Reinigungsrituals ist korrekt und angemessen. Alle Arten von Dorje Sempa-­‐Prak@ken gehören da dazu. Auch Gebete wie das Narak kang shag, das in vielen Reinigungs-­‐Ritualen vorkommt. Es bedeutet, dass man eine passende Methode haben sollte – eine Methode, die funk@oniert.
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DIE MACHT DER BEICHTE: DIE DRITTE KRAFT
Die driAe KraF ist die Macht der Beichte. Das bedeutet: man sagt, was man getan hat und dadurch, dass man es ausspricht, distanziert man sich von der Tat. Normalerweise können wir nicht beichten, weil wir noch zu sehr in die Sache verwickelt sind. Wenn man sich einmal davon loslöst, ist es viel einfacher, zu beichten. Im Zusammenhang mit mehrfach rückfälligen Sexualverbrechern heißt es oF, dass einer der Gründe, warum man ihnen so schwer helfen kann, darin liegt, dass sie niemals wirklich bekennen können, weil sie noch so sehr in dem verfangen sind, was sie getan haben. Es gibt in ihrem Inneren immer noch diesen Ort, wo sie Sex mit Kindern haben wollen, oder was auch immer. Nur wenn sie wahrhaFig beichten, gelingt die Trennung von diesem Teil in ihnen, der so handelt. Beichten ist sehr, sehr wich@g. Tradi@onell heißt es, dass man weinen sollte, wenn man beichtet, dass man sehr, sehr verstört sein sollte und zu@efst beschämt. Das Wich@gste beim Beichten ist, der Tat selbst abzuschwören.
BEICHTE UND DIE VIER PHASEN DES KARMAS
Ich möchte hier kurz die vier Phasen des Karmas in Erinnerung rufen. Ganz knapp gesagt: wir gehen davon aus, dass jede karmische Handlung zunächst einmal einer Basis bedarf. Das ist die Wahrnehmung von Subjekt und Objekt als real und voneinander getrennt. Auf Basis dieser Trennung entstehen Gedanken – Absichten, die auf andere Personen gerichtet sind: ihnen zu schaden oder etwas von ihnen zu bekommen; oder auch ihnen zu helfen, wenn es um gutes Karma geht. Diese Gedanken führen zu Taten und die Taten haben ein Resultat, mit dem man einverstanden sein kann oder nicht. Die volle karmische Wirkung triA ein, wenn man etwas sieht: “Ich will diese Schüssel. Ich werde mir diese Schüssel nehmen. Ich habe mir diese Schüssel genommen und ich bin froh, diese Schüssel genommen zu haben.” Wenn diese vier SchriAe staAgefunden haben, entsteht daraus die volle Wirkung. Oder – wenn es um meine Schüssel geht, denke ich vielleicht: “Ich möchte dir diese Schüssel geben, ich gebe dir hiermit diese Schüssel, jetzt hast du die Schüssel, wie wunderbar du mit dieser Schüssel aussiehst!” Aber wir können die Handlung beim vierten SchriA anhalten; ich gebe diese Schüssel jetzt Johannes, denke mir aber dann: “Meine Schüssel! Ich sehe mit dieser Schüssel besser aus. Das bin ich. Du willst sie ohnedies nicht wirklich haben.” Auf diese Weise können wir unser Tun im Nachhinein bereuen und dieses Bedauern macht das posi@ve Karma einer guten Tat zunichte. Wenn ich aber die Schüssel jemandem gestohlen habe, kann das auch die nega@ven Konsequenzen einer schlechten Tat rela@vieren. Wir können auch im Moment des Stehlens innehalten. “Ach was, ich stelle die Schüssel besser wieder zurück!” Die Auswirkung ist dann schwächer, als wenn ich sie tatsächlich stehle und nachträglich wieder zurückgeben muss. Oder man denkt einfach: “Ich würde sie gerne stehlen” und dann: “Ach, was soll’s!” Am besten ist es, wenn einem klar wird, dass die Schüssel eine Form von Leere ist und keine ihr innewohnende Existenz hat, die man stehlen könnte. Dass man in Wirklichkeit die Schüssel gar nicht stehlen kann – alles, was man tut, ist, eine Beziehung zu verändern, über die man ohnedies keinerlei Kontrolle hat. Selbst wenn ich die Schüssel stehle – was mache ich dann mit ihr? Sofern ich nicht beschließe, sie ab jetzt ständig mit mir herumzutragen, muss ich sie ohnedies irgendwo abstellen und wenn ich sie da hinstelle und mit euch rede, habe ich meine Schüssel vergessen – wo ist dann also meine Schüssel? Meine Schüssel. Man kann das bei kleinen Kindern sehen. Sie tragen ihren Teddybären oF die ganze Zeit mit sich herum, weil sie wissen wollen, wo er ist. Sie sind sehr, sehr klug. Das ist reine AnhaFung. Als Erwachsene vergessen wir, wie das funk@oniert. Kinder sind in der Lage, einem einzigen Objekt völlig anzuhaFen. Wir gewöhnen uns so sehr daran, allem anzuhaFen, dass wir alle die anderen Dinge dabei verlieren!
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Dieser Vorgang hängt mit der driAen der vier KräFe insofern zusammen, als Beichte eine Methode ist, den Dingen zu entsagen. In gewisser Weise schneiden wir damit auf der vierten Ebene, auf der Karma erzeugt wird, also dem Abschluss der Handlung, die Verbindung durch. Ich habe die Schüssel gestohlen und will sie haben und dann denke ich: “Oh GoA, ich wünschte, ich häAe das nicht getan!” Durch unsere Beichte “Ich habe die Schüssel gestohlen” stellen wir die Schüssel gewissermaßen dort hin. Ich sage nicht mehr: “Ich will diese Schüssel behalten!”, sondern ich bin bereit, zu sagen: “Es war eine schlechte Tat, die Schüssel zu stehlen. Ich möchte keine schlechten Taten begehen, also stelle ich die Schüssel weg von mir.” Ich sage: “Ich will die Schüssel zurückgeben. Ich möchte sie nicht behalten.” Ich distanziere mich von der Tat. Ich sage: “Die Schüssel zu stehlen, war schlecht – es tut mir sehr leid.” Wiederum distanziere ich mich von der Handlung, aber im Augenblick des Diebstahls will ich nicht, dass irgendjemand mich sieht, weil ich die Schüssel ganz nahe bei mir haben will; ich will ganz nah an der Handlung dran sein und ich will nicht, dass irgendjemand es weiß. Der Diebstahl ist geheim und die Beichte ist öffentlich. Das ist in der Tradi@on immer so, oder? In den meisten Religionen herrscht die Vorstellung, dass wir nur dann im Frieden mit uns selbst sein können, wenn wir keine Geheimnisse haben, weil wir, um etwas geheim zu halten, einen Teil von uns selbst verdecken müssen. Wenn man große Geheimnisse hat, wird man so sehr von diesen innerlichen Abdeckungen erfüllt, dass man kaum mehr exis@ert. Etwas zu beichten macht uns leicht; wir fühlen uns leicht, weil wir das Licht der Welt in uns einlassen und öffentlich werden. Das ist eine ganz wich@ge KraF, die wir benützen können. Besonders, wenn wir den Gedanken aufgreifen, dass wir schon unzählige Male geboren wurden, ist es sehr wich@g, alle Sünden zu bekennen, die man zu irgendeinem Zeitpunkt begangen hat. Indem wir uns mit all den kriminellen Akten, die es auf der Welt gibt, iden@fizieren, stellen wir sicher, dass wir auch die Möglichkeit beichten, vielleicht einmal selbst so gehandelt zu haben.
Zum Beispiel – wenn wir schon unzählige Male geboren wurden, ist es ziemlich wahrscheinlich, dass wir irgendwann einmal einen Menschen vorsätzlich getötet haben. Wir haben ihn ermordet. Wir haben aus einer Haltung des Zorns heraus agiert und jemanden umgebracht. Wenn wir diese Idee akzep@eren und dem Buddha gegenüber Beichte ablegen in Bezug auf alle Menschen, die wir ermordet haben, passieren zwei Dinge: Wir kommen dadurch in Kontakt mit den grausamen, verletzenden Aspekten unserer Persönlichkeit, die wir womöglich verborgen halten. Ich sage: “Ich bin ein neAer Mensch; die ganze Zeit versuche ich, anderen zu helfen.” Es bringt unsere andere Seite ans Tageslicht und es hilF uns auch, in diesem Leben mit den Menschen in Verbindung zu kommen, die schreckliche Taten begehen. Sehr oF werden Menschen, die Verbrechen begehen, sehr heFig abgelehnt.
Es gibt eine Engländerin, sie heißt Myra Hindley, die an der Ermordung mehrerer Kinder beteiligt war. In der bürgerlichen Vorstellung exis@erte sie als Inbegriff der “bösen Frau”.
Kommentar: In der neuen Ausstellung in London hängt ein großes Foto von ihr; das hat einen derar@gen Skandal verursacht, dass hunderte Menschen es sehen wollten und einer hat sogar versucht, das Kunstwerk zu zerstören. Da waren so viele Emo@onen mit im Spiel...
James: Genau. Alles, was konserva@ve Poli@ker tun müssen, ist, sich auf ein Podium zu stellen und zu sagen: “Myra Hindley wird niemals freikommen” und alle applaudieren. Wie in einem totalen Freuden-­‐Orgasmus, dass diese Frau, die das Böse schlechthin verkörpert, weggesperrt werden kann. Aber wenn wir selbst erkennen, dass wir in entsprechenden Umständen womöglich das Selbe getan häAen...
Aber wir sind unehrlich, was das betrifft. Ich habe mir eine Sendung angesehen, die derzeit im englischen Fernsehen läuF, in der es um die Nazis ging; es gibt da einen sehr James Low © www.simplybeing.co.uk 83
interessanten Report – ich weiß nicht, ob sie den auch in Deutschland zeigen werden – der wurde aus einer Menge altem Filmmaterial aus der damaligen Zeit zusammengestellt. Es gibt darin ein Interview mit einem alten Mann aus Litauen, der als einer der Wächter damals die Juden in Polen erschossen hat. Nach dem Krieg wurde er von den Russen gefangen und zu zwanzig Jahren HaF in Sibirien verurteilt; aber als er davon sprach, konnte er nicht wirklich verstehen, wo das eigentliche Problem gelegen war. Er beschrieb einfach: “Nun, wir bekamen jede Menge Wodka und wir haben sie einfach erschossen!” Er sagte: “Da sind viele Menschen und man erschießt einen oder zwei, und dann sind sie alle tot und man schießt weiter.” So, wie er es beschrieb, klang es, als wäre er für etwas bestraF worden, was er gar nicht verstand. “Alle haben geschossen. Ich auch.” Das ist Dummheit als Ursache für Mord. Er war nicht einmal böse auf diese Leute, es wurde ihm einfach niemals klar, dass es falsch ist, Menschen zu erschießen. Er tat es, weil “alle sie erschossen haben.”
Wir können daran erkennen, wie leicht es für Menschen ist, wenn ihr Geist dumpf oder vom Zorn aufgeheizt ist, oder von zu viel Wodka oder Rassenhass, sich so weit zu verwirren, dass sie schreckliche Dinge tun und ihnen danach nicht einmal klar wird, dass das nicht in Ordnung war.
Wir hören in England niemals etwas darüber, dass Briten irgendwo auf der Welt jemanden foltern; aber wir wissen, dass während des Vietnam-­‐Krieges bri@sche Einheiten entsandt wurden, um den Amerikanern Foltertechniken beizubringen. Das ist in der Öffentlichkeit bekannt, aber es wird kompleA verleugnet, dass bri@sche Soldaten jemals so etwas tun könnten. England ist einer der größten Exporteure von Folterinstrumenten in der Welt, aber das wird in der offiziellen Kommunika@on niemals erwähnt. Für die Engländer sind die Deutschen die Bösen. So einfach ist das; alles Böse wird auf die Deutschen projiziert, damit die Engländer mit einer völlig reinen Weste dastehen. Und da sie völlig unbescholten sind, können sie tun, was sie wollen – es gibt keinerlei Schuld. Das ist der Grund, warum es oF sehr, sehr schwer ist, festzustellen, wer jetzt die Guten sind und wer die Bösen.
Als gute Buddhisten gestehen wir alles – als eine Art Versicherungspolizze. “Ich habe es getan! Ich habe es getan!” Wer hat es getan? “Ich! Ich!” Wer das so handhabt, kann nie fehlgehen. Aus buddhis@scher Sicht sind Menschen, die töten, keine Mörder, weil sie böse Menschen sind. Aus buddhis@scher Sicht töten wir wegen der Fünf GiFe – und die wohnen in uns allen. Es ist so, wie Jesus sagt: „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.” Wenn wir unser Inneres betrachten, finden wir die Fünf GiFe. Im Augenblick sind sie ein wenig auf Eis gelegt, es kocht gerade nichts über, aber wir müssen den Kochtopf nur ein wenig über die Flamme schieben und wir erhitzen uns und tun schreckliche Dinge.
Wenn wir unseren eigenen Geist untersuchen, können wir also eine Menge Verständnis dafür au|ringen, warum Menschen sich so verhalten. Wir alle tragen die Samen von schrecklichen Verbrechen in uns. Das ist keine roman@sche Behauptung – aus buddhis@scher Sicht ist das eine technische Realität und solange die Fünf GiFe nicht in die Fünf Weisheiten transformiert wurden, sind wir gefährlich. Noch einmal: aus buddhis@scher Sicht entwickelt sich alles auf Grund von Ursachen und Bedingungen auf Basis des Entstehens in gegensei@ger Abhängigkeit.
Wir haben ziemliches Glück. Die meisten von uns haben nie Kriegszeiten erlebt. Europa ist rela@v sicher, aber wenn es nächstes Jahr Krieg gäbe und wir kämpfen müssten, was würde geschehen? Die Frauen hier würden vielleicht in Fabriken arbeiten, in denen Bomben hergestellt werden, vielleicht sogar GiFgas-­‐Bomben. Die Männer würden da draußen mit BajoneAen kämpfen und versuchen, jemanden damit aufzuspießen, oder in Flugzeugen fliegen und Napalm-­‐Bomben auf Kinder abwerfen. Und wir würden das vermutlich tun. Vielleicht wollen wir nicht wirklich oder sind aus poli@schen Gründen dagegen, aber wenn der Zeitgeist sich änderte und mäch@g würde... Das Selbstgefühl ist sehr schwach und die James Low © www.simplybeing.co.uk 84
Fünf GiFe wirken sehr stark. Man braucht nur eine Menge Propaganda und unsere Wut steigt. “Ja, wir leiden wegen dieser verdammten Leute!”
Das geht ganz schnell. Wir sehen, wie es den Menschen überall auf der Welt so ergeht. Deshalb ist es so wich@g, zu beichten, weil das eine Methode ist, sich vor Augen zu halten, wie schnell wir selbst in solche Gefahren verwickelt werden könnten. In England sagen wir: “ Da gehe ich – von GoAes Gnaden.” Viele Menschen geraten in ihrem Leben auf Abwege und wir haben wirklich Glück, wenn wir davon nicht betroffen sind – aber es kann uns jederzeit ganz leicht passieren.
Wenn wir das als Faktum akzep@eren, ist der einzige Weg, schlechten Taten abzuschwören, uns von den Fünf GiFen loszusagen. Und der einzig wahre Weg, den Fünf GiFen abzuschwören ist, die Natur unseres Geistes zu erkennen – die Leere. Obwohl wir mit diesen Überlegungen zu Taten im Außen begonnen haben, kommen wir sehr rasch wieder zum zentralen Thema – und das lautet: wir müssen medi@eren.
JEGLICHE RÜCKKEHR ZUM FEHLER AUFGEBEN: DIE VIERTE KRAFT
Die vierte KraF besteht darin, nicht mehr zu seinem Fehler zurückzukehren. Das bedeutet, ein dauerhaFes Versprechen abzugeben, nie mehr wieder schlimme Dinge zu tun. Es ist nicht gut, zu lügen – wenn wir also sagen: “Okay, ich werde niemals mehr etwas Böses tun“ – lügt man da nicht einfach? Natürlich werden wir weiterhin schlechte Dinge tun. Wie soll das gehen – nie mehr etwas Schlechtes tun? Das kann nur funk@onieren, wenn wir uns über die Möglichkeit, etwas Böses zu tun, hinaus entwickeln. Und das bringt uns zur Struktur von Karma zurück: die Basis, der Gedanke, die Inten@on, die Ak@vität und schließlich die Konsequenz. So lange wir an „Subjekt“ und „Objekt“ denken, können sich die Fünf GiFe einmischen und wir stellen fest, dass wir Böses tun.
Wir müssen am Boden schneiden. Wir müssen uns die Basis dualen Handelns ansehen, denn nur wenn wir diese Voraussetzung verstanden haben, können wir verhindern, dass die Fünf GiFe entstehen.
Es ist ein bisschen so, als würde man sterilisiert. Wenn man sterilisiert wird, als Mann oder als Frau, kann man keine Kinder mehr haben. So einfach ist das. Ein kleiner SchniA – und man bekommt keine Kinder mehr. Das ist die Idee – die Basis für die Produk@on von schlechtem Karma abzuschneiden.
[Abbildung 9]
Es gibt diese Leere, und aus der Leere entstehen Subjekt und Objekt. Subjekt und Objekt sind ununterbrochen dabei, sich zu paaren; sie sind in ständiger Interak@on. Unauyörlich sind wir als Subjekt in Interak@on mit der Welt. Die Paarung, das Kopulieren dieser zwei, führt dazu, James Low © www.simplybeing.co.uk 85
dass alle diese Babys der karmischen Ak@vität entstehen. Das ist wie eine Fabrik. Wenn wir nur die Objekte sterilisieren könnten! Aber das ist schwierig, weil schon so viele Objekte exis@eren. Es ist viel besser, das Subjekt zu sterilisieren, dann weiß man zumindest, dass man selbst keine Verantwortung mehr trägt. Viele Menschen werden euch sagen, dass sie ihre Empfängnisverhütung unter Kontrolle haben; aber es ist immer am besten, selbst Vorkehrungen zu treffen.
Wenn ihr schneiden wollt, versetzt euer Subjekt in die Leere und schneidet die Geburt ab, diesen kleinen Durchgang, durch den das Subjekt hervortriA. Das heißt soviel wie: bleibt mit eurem Gewahrsein in der Leere, indem ihr übt, ständig gewahr zu sein; und wenn ihr so des Subjekts gewahr werdet, bleibt es ungeboren in der Leere. Solange es ungeboren ist, hat es keine Genitalien und solange es keine Genitalien hat, macht es keinen Ärger. Babys kopulieren nicht in der GebärmuAer, zumindest nicht bis dato. Wenn ihr also Subjekt und Objekt ungeboren sein lasst, in der Leere, entsteht keine karmische Produk@on. Das ist zumindest die Theorie. Das ist einer der Gründe, warum wir versuchen, Gewahrsein und Leere zu prak@zieren. Es ist der einzig zuverlässige Weg, die unablässige Ak@vität zu stoppen, aus der Karma entsteht, aus dem die Wiedergeburt entsteht, aus der alles Werden entsteht. Wenn wir mit Phat! üben, können wir ein kleines Skalpell visualisieren – die Dakini hält dieses kleine Messer in ihrer Hand und macht: schnipp! schnapp! Solange wir unsere Erfahrung von Wahrnehmung nicht verändern, bleibt der Rest einfach ein Konzept. Zu beichten und sich sehr demü@g zu fühlen, kann auch eine perverse Handlung sein. Es kann Stolz darin liegen, sehr, sehr schlimm zu sein. Im Buddhismus muss alles in die Leere eingehen. Wenn irgendetwas außerhalb der Leere zurückbleibt, entsteht daraus unweigerlich Spannung und es ist diese Spannung, die das Karma erzeugt. Aus dem Aneinander reiben von Subjekt und Objekt entsteht Karma – also muss man sie auseinander halten. Das ist die eigentliche Basis, wenn wir über die Fünf GiFe und schlechte Taten in Körper, Sprache und Geist nachdenken. Warum sagen wir böse Dinge zu anderen Menschen? Was ist die Basis von Tratscherei? Oder des Lügens? Normalerweise geht es darum, dass wir als Subjekt etwas vor einem Objekt verbergen wollen, also lügen wir; oder wir möchten das Objekt beeindrucken und deshalb lügen wir; oder wir wollen nicht, dass das Objekt etwas erreicht, wir wollen es in irgendeiner Weise blockieren und deshalb belügen wir es. Die Basis für die Lüge liegt darin, dass wir mit anderen Menschen in Verbindung stehen. Wir belügen Menschen, weil wir mit ihnen in Beziehung stehen. Ich bin real, meine Welt ist real, du bist real, ich will deine Realität nicht in der meinen. Ich will nicht, dass du meine Realität kennst. Deshalb verberge ich Dinge vor dir, damit ich mich vor dir schütze. Es ist ganz klar: Lügen entsteht aus der Trennung von Subjekt und Objekt. Dasselbe gilt für Verleumdung, oder wenn wir jemanden verächtlich machen oder Klatsch über andere verbreiten. Warum erzählen wir Leuten irgendeinen Tratsch? Warum wollen wir interessant erscheinen? Warum wollen wir, dass andere Menschen unseren Geschichten zuhören? Sehr oF ist es deshalb, weil wir uns gut fühlen, wenn das Objekt uns anlächelt; und wenn wir uns nicht wohlfühlen, fühlen wir uns schlecht. Wenn wir uns schlecht fühlen, leiden wir womöglich unter der schrecklichen Angst, nicht mehr zu exis@eren. Unsere Fähigkeit, andere Menschen zu verführen, indem wir ihnen Geschichten erzählen – oder was auch immer – wird zur Basis unserer Existenz.
Also exis@eren wir weiter, aber immer um den Preis, untrennbar mit dem Objekt verbunden zu sein – das heißt: mit anderen Menschen. Und diese anderen Menschen sind unzuverlässig, also bleiben wir ständig in Bewegung und sind ununterbrochen sehr James Low © www.simplybeing.co.uk 86
beschäFigt. Und weil wir dauernd sehr beschäFigt damit sind, diese Verbindung zwischen Subjekt und Objekt aufrecht zu erhalten, haben wir keine Zeit, die Leere zu erfahren. Wenn man Leere einmal ein bisschen verstanden hat, macht es nicht mehr so viel aus, ob die anderen Menschen einen mögen oder nicht, weil die Menschen, die einen mögen könnten, bereits in der Leere sind. Das macht den Unterschied aus: es gibt keine realen Menschen mehr, also sind Worte des Lobs oder der Kri@k nicht mehr so wich@g, weil jeglicher Klang ein Mantra ist. In diesem System hängt alles zusammen; es ist ganz folgerich@g und schlüssig.
In all unserer Praxis – und wir werden gleich noch ein bisschen weiterüben, speziell morgen, wenn wir uns auf den Geist konzentrieren – steht für den Medi@erenden der Geist im MiAelpunkt. Wir können den Körper und unser Sprechen dazu benützen, unsere Geistesarbeit zu unterstützen, aber der springende Punkt liegt für uns alle darin, zu erkennen, wie der Geist von Augenblick zu Augenblick funk@oniert. Wenn wir nicht erkennen, wie der Geist beschaffen ist, sind wir den Gedanken schutzlos ausgeliefert und obwohl wir vielleicht glauben, unser Leben unter Kontrolle zu haben, ist das ein Irrtum. Ich glaube, das ist zur Zeit eines der großen Probleme in der Welt: die reichen Menschen des Westens haben ein recht angenehmes Leben. Hier gibt es keinen Monsun, keine Schlangen oder Skorpione in unserem Garten. Es gibt hier so wenige Gründe, vor etwas Angst zu haben. Wir wissen, dass Menschen exis@eren, die betrunken Auto fahren, oder Unfälle und schreckliche Krankheiten, aber wir glauben daran, dass die Technologie das alles irgendwie unter Kontrolle hat. Das führt zu der Fantasievorstellung, dass wir alles irgendwie so einrichten können, dass wir in Sicherheit sind – aber die meisten Menschen auf dieser Welt leben in ganz anderen Umständen. Wir müssen nur daran denken, dass die Tibeter, als die Chinesen einmarschierten, trotz all ihrer Klöster, der großen Buddha-­‐Statuen, der Lamas und der Thronsitze auf neun Ebenen mit Dorjes und Glocken und Hüten, die fünyundert Jahre alt sind, nichts tun konnten. Da kommt ein Chinese aus irgendeinem Dorf mit einem Gewehr und er macht einfach: Pop! Om Mani Padme Hung... Pop! Aa. Vor nicht allzu langer Zeit gab es in Westafrika und im südlichen Zentralafrika Gruppen von Menschen, die in den Kampf zogen, nachdem sie sich in heiligem, gesegneten Wasser gewaschen haAen; und sie glaubten, dass die feindlichen Kugeln einfach zu Staub würden, wenn sie getroffen wurden. Habt ihr darüber gelesen? Es gab da eine weibliche Führerin, ich kann mich an den Namen nicht erinnern, aber sie war ziemlich berühmt, und sehr viele ihrer Anhänger starben, weil sie nackt in den Kampf zogen, nur weil sie ihren Körper mit diesem speziellen roten Öl eingerieben haAen und fest daran glaubten, dass die Kugeln sie nicht verletzen könnten.
Die Tibeter waren nicht viel anders. Knapp vor der chinesischen Invasion stellten alle hohen Lamas große Tormas her, sie riAen auf ihren Pferden durch die Gegend und warfen sie. Und dann gab es die Kalaschnikows. Eine Kalaschnikow ist ziemlich mäch@g. Mantras können Kalaschnikows nicht auyalten, wirklich nicht. Eine glückliche Fügung oder wie immer man das nennen mag, hat viele dieser Lamas über die Hügel in Sicherheit gebracht, aber viele Menschen haben geliAen. Kontrolle ist eine Illusion. Manchmal haben wir Kontrolle über die Dinge, aber die meiste Zeit nicht. Es ist einfach Glück. Und Glück funk@oniert auf der Basis von Karma – das heißt: auf Grund von früheren guten Handlungen erleben wir in diesem Augenblick einen kurzen Moment des Glücks. Wenn diese Ursache aufgebraucht ist, ist es vorbei. Wie wir schon gesagt haben: man spart sein Geld und fährt auf Sommerurlaub; man ist an einem schönen Ort und dann ist das Geld ausgegeben und man muss zurück in die Arbeit. Man kann nicht immer auf Urlaub sein.
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Dieses Leben, das wir im westlichen Europa heute führen, ist ein Urlaub. Bedenkt nur – die meisten von euch sind Deutsche und wenn ihr an die Erfahrungen eurer Eltern oder Großeltern während des Krieges denkt: das war kein Urlaub. Das war eine ganz schreckliche Zeit und die ist noch nicht so lange vorbei. Wir leben auf dieser Insel der Illusionen, wo wir uns alle möglichen Sicherheiten und schöne ZukunFs-­‐Szenarien ausmalen, aber das ist alles nur eine Haaresbreite von der Katastrophe enƒernt. Alle Arten von Problemen können auf uns zukommen. Von diesem Standpunkt aus betrachtet, versuchen wir nicht, Kontrolle über unsere Umwelt zu erlangen, sondern diese Umwelt – wie immer sie auch aussieht – mit unserem Verständnis der Buddha-­‐Natur zu integrieren. WAS IST DORJE SEMPA? Siehe auch Anhang 8
Dorje Sempa ist Tibe@sch und VajrasaAva ist Sanskrit. Vajra heißt „unzerstörbar“ und saPva bedeutet „Wesen“, also ist VajrasaAva das unzerstörbare Wesen. Was ist das unzerstörbare Wesen? Gewahrsein. Gewahrsein und Leere vereint ist Dorje Sempa.
Dorje Sempa ist in Worten nicht auszudrücken. Dorje Sempa ist die Beschaffenheit unseres eigenen Geistes. Wir benützen die Form von Dorje Sempa, um unseren eigenen Geist zu erkennen. Wenn wir durch das Medi@eren einen Zustand erlangen, wo wir uns entspannen und unser Geist sich nicht verändert – die Gedanken bewegen sich durch ihn hindurch, aber wir werden von ihnen nicht abgelenkt und bleiben völlig offen – das ist die unzerstörbare Beschaffenheit unseres Geistes. Das ist VajrasaAva. In dieser VajrasaAva-­‐Beschaffenheit ist alles rein. Wenn der Geist unbeweglich bleibt, bewegt sich alles andere. Dann sind der Geist und seine Erzeugnisse voneinander getrennt. Im Augenblick befinden wir uns innerhalb dieser Erzeugnisse des Geistes, wir iden@fizieren uns mit dem Vorgang ihrer Erzeugung durch den Geist und weil sie sowohl gut als auch schlecht und ständig in Bewegung sind, machen wir die Erfahrung von Samsara.
Wenn wir mit Hilfe der Medita@on zur Ruhe kommen und die Gedanken kommen und gehen, wird dieser Zustand des Geistes – der manchmal auch rigpa oder Gewahrsein genannt wird, oder das Verschmelzen des Geistes im Dharmadhatu oder Dharmata – auch Dorje Sempa genannt. Dorje Sempa ist völlig rein, weil keiner der durchgehenden Gedanken ihn berühren kann. Die Gedanken ziehen einfach durch und hinterlassen keinerlei Spur.
Diese Natur des Geistes ist unzerstörbar, weil sie mit keinem Selbst in Berührung kommt. Es gibt keinerlei Reibung, weil nichts exis@ert, womit etwas kollidieren könnte. Man kann kein Graffi@ in die LuF malen; man kann seinen Namen nicht kreuz und quer auf Dorje Sempa schreiben, weil das einfach durch Dorje Sempa hindurchgeht. Er kann weder befleckt noch berührt werden und bleibt deshalb völlig rein. Das ist das Wesen von Dorje Sempa. Weil es völlig rein ist, kann es auch alles andere reinigen.
Weil im Stadium der Auflösung in der Medita@on alles in diese Natur eingeht, erkennen wir auch, dass alles aus dieser Natur entsteht. Dadurch offenbart das Ende von Samsara uns das Nirvana und zeigt uns gleichzei@g die Beschaffenheit von Samsara. Es ist nicht so, dass die Gedanken aus Samsara entstehen, sich durch dieses kleine Fenster von Nirvana bewegen und dann ins Samsara zurückkehren. Wenn ein Gedanke aus der Natur von Dorje Sempa entsteht und man ihn für real hält, zieht man diesen Gedanken ins Samsara. Wenn man den Gedanken sein lässt und er sich selbst befreit, bleibt er im Nirvana. Wir reinigen alles, wenn wir den Zustand von Dorje Sempa aufrecht erhalten.
Wenn wir also beten: “Dorje Sempa, biAe reinige mich”, meinen wir damit, dass wir uns mit Hilfe der Macht der Medita@on – symbolisch mit Strahlen von Licht – so weit öffnen, dass wir, wenn wir die Auflösungs-­‐Praxis machen, mit dieser reinen Beschaffenheit verschmelzen. Wenn wir in dieser reinen Beschaffenheit verbleiben, ziehen unsere Gedanken und Gefühle James Low © www.simplybeing.co.uk 88
einfach nur durch uns hindurch, ohne uns in Ak@vitäten zu verwickeln. Darin liegt die Reinigung von jeglichem Karma. Das ist die Entsagung von aller schlechten Ak@vität und so werden alle unsere Sünden gereinigt.
DAS AA ERLKINGEN LASSEN: siehe auch Anhang 9
Seid ganz entspannt in eurem Körper, mit geradem Rücken. Wir lassen den Klang des Aa ertönen und halten ihn in einem andauernden Strom aufrecht, während wir aus dem Bauch atmen. Manche machen das laut, andere leise. Probiert aus, was für euch passt. Während diese Klangschwingung in euch entsteht, verbindet euch einfach mit dem Klang selbst. Wir versuchen das jetzt einmal und werden es eine Zeitlang üben. Euer Blick ruht im Raum vor euch, nicht auf der gegenüberliegenden Wand, sondern einfach in dem Raum vor euch. Während wir das Aa erklingen lassen, fühlen wir die Vereinigung des Aa im Herzen mit dem Aa im Raum. Fühlt, dass der Klang des Aa der elementare Grundklang des Universums ist. Aa ist der Klang der Leere, die Basis von allem.
AA UND TONGLEN: siehe Anhang 10
BiAe steht auf und sucht euch einen Platz, wo ihr eure Arme frei bewegen könnt. Wir machen also diesen fortdauernden Aa-­‐Klang, weil er das Wesen der Leere ausdrückt. Wir können dieses Gefühl des Aa in unserem Herzen bewahren, während wir das tun. Zunächst legen wir in der Geste eines Gebetes die Hände auf unser Herz. Dann strecken wir die Arme gerade vor uns aus und schwingen sie in einem großen Kreis, bis wir wieder zu unserem Herzen zurückkommen. Während wir das tun, stellen wir uns unser ganzes Glück vor, all unseren Verdienst und all die guten Dinge, die wir besitzen, wie sie von dem Aa in unserem Herzen zu allen fühlenden Wesen hinaus fließen, sie ganz erfüllen und all ihren Schmerz und ihre Sorgen besei@gen. Dann verändern wir die Geste – wir bewegen unsere Hände vom Herzen weg zu beiden Seiten und dann nach vor und holen alles zurück ins Herz. Auf diese Weise nehmen wir alles Leid sämtlicher Wesen der Sechs Bereiche in uns auf, damit es sich im Aa in unserem Herzen auflöst.
Dann kehren wir wieder dazu zurück, unser Glück mit allen zu teilen. Wechselt diese Bewegungen ab, so lange ihr wollt und endet mit dem Teilen des Glücks.
Das Aa in unserem Herzen ist unendlich. Es hat die unbegrenzte Fähigkeit, Licht, Liebe und alle guten Dinge entstehen zu lassen – und auch die unbegrenzte Fähigkeit, Sorgen, Schwierigkeiten und Schmerz in sich aufzunehmen. Das Wich@ge dran ist das Aa, weil das Aa die Leere ist und Leere ist uneingeschränkter Schutz. Wenn man einfach nur die Probleme aller anderen auf sich nimmt, wird man sehr rasch untergehen. Wir entwickeln also ein Gefühl dafür, weit offen zu sein, durchsich@g – wie die GöAer, die gleichzei@g Form und Leere sind – ein Gefühl, einfach sehr leicht und lichtvoll zu sein und so spielt sich dieser ganze Vorgang ab, als wäre es ein Traum.
Kommentar: Warum machen wir das im Stehen?
James: Damit wir diese Bewegung ausführen können. Wenn ihr vorzieht, es im Sitzen zu machen, könnt ihr das auch tun, wenn sich das besser anfühlt.
[Übung]
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Jetzt lassen wir drei Mal das Aa erklingen, im Bewusstsein des Raumes vor uns; wir entspannen uns in den Raum hinein, bevor wir zum Abendessen gehen. Nehmt den Raum der Medita@on mit, sodass wir dieses Gefühl auch in unser Zusammensein, ins Essen und Reden einfließen lassen können. Wenn ihr euch verliert, kehrt in die Medita@on zurück. Ganz sanF.
MACHIG LABDRON ÜBUNG: siehe auch Anhang 16
Wir beginnen mit dem Lied der Machig Labdron. Während wir es singen, stellen wir uns diese Frau vor. Sie ist nackt und von weißer Farbe. Sie lebte in Tibet und haAe ein sehr schweres Leben. Sie wurde als Frau geboren; heute würden die Leute sie als Dakini sehen, das heißt, als Weisheits-­‐Form, die die erleuchtete Natur der Buddhas zum Ausdruck bringt. Wir stellen sie uns in weißer Farbe vor, tanzend; in ihrer rechten Hand hält sie eine kleine Trommel und in der linken eine Glocke.
Auf der Trommel, die sie spielt, ist die eine Seite Samsara und die andere Nirvana; also macht sie click-­‐click-­‐click-­‐click, das heißt: Samsara-­‐Nirvana-­‐Samsara-­‐Nirvana-­‐Samsara-­‐
Nirvana. Das Selbe. Es ist der eine Klang des Verschmelzens von Samsara und Nirvana.
SINGEN
Wir singen dieses Lied für sie; wir stellen sie uns vor, im Himmel vor uns, und am Ende visualisieren wir, wie sie durch den Scheitel unseres Kopfes kommt, sich in eine Lichtkugel verwandelt und in unser Herz wandert. Wir begeben uns in diese Kugel aus Licht und dann verschwindet sie, sie löst sich auf. Wir bleiben ein bisschen in Ruhe sitzen und danach machen wir eine kurze Pause, bevor wir noch ein paar andere Arten von Gesängen probieren.
Wir singen unterschiedliche Arten von Liedern. Das wirklich Wich@ge daran ist, den Geschmack der Rezita@on für Machig Labdron in die anderen Gesänge mitzunehmen. Aus der Sicht des Dzogchen entsteht jeglicher Klang aus der Leere, also hat jedes Lied die gleiche Beschaffenheit, egal, ob es sich um eine Art heiligen Gesang oder ein ganz normales Lied handelt. Wenn wir zwischen reinem und unreinem Gesang unterscheiden, entwickeln wir bloß eine dualis@sche Sicht. Wenn wir verstehen, dass Klang die Energie der Leere ist, die miAels dieser Schwingung im Hals aus unserem Herzen entsteht, dann ist, was immer wir auch singen, der Klang der Leere. Wenn wir dieses Verständnis aufrecht erhalten können, auch wenn wir wieder an unseren Arbeitsplatz zurückkehren – oder in welchen Umständen auch immer – dann sprechen wir jedes Mal, wenn wir den Mund aufmachen, Dharma; dann ist jeder Klang, den wir vernehmen, Dharma. Es ist ganz wich@g, diesen Übergang hier zu üben.
Eines der Dinge, die wir mit dieser Atemübung erreichen, ist uns unseren Atem deutlicher bewusst zu machen. Die meiste Zeit sind wir uns des Atems nicht sehr bewusst. Wie wir gestern schon sagten, als wir uns die S@mme und das Sprechen näher angesehen haben: wenn wir mit Menschen sprechen, sind wir uns dessen meistens gar nicht so bewusst; wir reden einfach. Jemand sagt “Hallo” oder “Hast du gut geschlafen?” und man beginnt zu reden. Wenn wir uns der Dinge nicht bewusst sind, können wir sie nicht verändern. Das gilt auch für die Beschaffenheit unseres Geistes. Die ganze Zeit haben wir Gedanken und Empfindungen, aber das meiste davon ist uns nicht bewusst. Das heißt: wir tun es nicht bewusst. Das hat nichts mit dem Freud’schen Unbewussten zu tun. Es bedeutet einfach, dass wir völlig gefangen sind in allem, was sich abspielt und weil wir da so drin stecken, merken wir sehr oF gar nicht, was wir tun.
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Der erste SchriA in der buddhis@schen Praxis ist, zu erkennen, was vor sich geht. Wir sind vielleicht nicht in der Lage, es zu ändern, aber wenn man es nicht erkennt, hat man keine Chance, es zu verändern. Indem wir bewusstes Atmen üben, den bewussten Gebrauch der S@mme, und Bewusstheit oder Gewahrsein im Hinblick auf unser Denken, unsere Empfindungen und Gefühle entwickeln, legen wir den Grundstein für den Beginn zur Veränderung. Die meiste Zeit funk@onieren wir völlig automa@sch, aber unser Autopilot ist Karma oder Gewohnheit oder Mutmaßung und dieser Pilot ist betrunken und ziemlich gefährlich. Eine weit verbreitete Annahme ist “Ich werde ewig leben”. Die meisten Menschen würden auf die Frage “Glaubst du, dass du ewig lebst?” natürlich mit “Nein” antworten; aber wir verbringen unser Dasein so, als würden wir ewig leben; als würde ein Tag dem anderen folgen und immer und immer weiter so. Wenn wir uns dieser Annahmen bewusst werden, erkennen wir, wie einfäl@g sie sind. Wenn es uns gut geht, glauben wir, dass wir immer gesund sein werden. So ist es, und wir sind sehr überrascht, wenn wir krank werden. “Oh, das sollte mir aber nicht passieren!” KÖRPER UND STIMME SIND NICHT VONEINANDER GETRENNT
Aus @be@scher Sicht sind Körper, S@mme und Geist nicht voneinander trennbar. Diese drei bewegen sich immer gemeinsam. Obwohl es gemäß ihrer Kosmologie heißt, dass auf dem Gipfel des Berges Meru, diesem zentralen Gebirge der Welt, zahlreiche Ebenen der GöAer zu finden sind. Auf der allerhöchsten Ebene haben die GöAer gar keine Form mehr, sie sind einfach körperloses Bewusstsein. Allgemein gesprochen entsteht aus dem Geist die Form; das ist eine seiner Aufgaben.
Tradi@onell glauben die Menschen oF, dass der Körper etwas sehr Kompliziertes und Schlechtes ist und sie möchten sich irgendwie von diesem Körper distanzieren. Der Körper ist der Ort, an dem wir Schmerz empfinden, also gibt es viele Arten der Medita@on, die uns zu einer Art von Abspaltung vom Körper führen – alle Trance-­‐Medita@onen – was bedeutet, dass man in einen Zustand gerät, in dem man des eigenen Körpers nicht mehr so deutlich gewahr ist. Man mag seinen Körper dazu benützen, um in Trance zu fallen – die meisten dieser Trance-­‐Systeme bedienen sich des Körpers, rhythmischer Bewegungen und dergleichen – aber wenn man einmal in diesem Zustand angelangt ist, verliert der Körper seine normale Empfindungsfähigkeit. Man kann sich dann ein bisschen sicherer fühlen, weil man nicht mehr so viel Leid verspürt.
Diese Trance-­‐Zustände sind aber von der Alltagsrealität abgeschniAen; deshalb begibt man sich immer @efer in die Medita@on, was zwar hilfreich sein kann, aber man ist dann woanders. Man ist dann entweder dort hinten oder dort oben, aber nicht hier. Wenn man dann von dort zurückkehrt, denkt man: “Verdammt, jetzt bin ich wieder da!” So ist es immer – und das ist immer eine große EnAäuschung, wie eine post-­‐koitale Depression. Diese Art von Medita@on ist innerhalb des Dzogchen nicht sehr hilfreich, weil es uns darum geht, in der Situa@on gegenwär@g zu sein, und wir nicht versuchen, ihr zu entkommen.
NEUER TAG
REINIGUNG DER SÜNDEN DES GEISTES
Um uns zu helfen, gegenwär@g zu sein, bedienen wir uns des Körpers und der Rede. Zuerst einmal möchte ich zur Basis zurückkehren – zu den Sünden des Geistes. Ihr findet eine genaue Erklärung zu diesem Thema in Simply Being: Texte in der Dzogchen TradiTon (Wisdom Books, 1998). James Low © www.simplybeing.co.uk 91
DIE SÜNDEN DES GEISTES: HABGIER/GIER
Die erste Sünde des Geistes ist Habgier. Habgier bedeutet soviel wie heißes Verlangen, Gier. Sie ist eine Art permanenter Heißhunger. Sie bezeichnet eine Art von Beziehung, in der das Subjekt sich immer leer fühlt und Objekte sucht, die diese Leere füllen können. Es kann aber nie endgül@ge Befriedigung finden, weil sich das Subjekt in Wirklichkeit keine Objekte einverleiben kann. So gesehen sind Subjekt und Objekt etwas Verschiedenes. Habgier veranlasst uns dazu, zu stehlen, Lügen zu erzählen, zu töten – alle die Möglichkeiten des Körpers und der Rede.
Aus Habgier entstehen eine Menge anderer Sünden. Man arbeitet zum Beispiel in einem hierarchisch organisierten Büro; und wenn man befördert werden will, muss man seinen Chef zufrieden stellen. Also ist man immer freundlich und bleibt am Abend länger im Büro, um ihm gefällig zu sein – aber die Mo@va@on dazu ist Habgier. Man will mehr Geld und dafür tut man dieses und jenes – man hat einen Plan im Kopf und das Mo@v für das freundliche Benehmen und die HilfsbereitschaF ist in Wirklichkeit Gier. So gesehen hat das alles, obwohl es sich hilfreich anlässt, nichts mit Mitgefühl zu tun; es handelt sich nicht um gute Taten, weil es die Mo@va@on ist, die die eigentliche Natur der Handlung bes@mmt. Diese Sünden oder GiFe des Geistes sind sehr wich@g, weil sie uns beeinflussen, weil sie unser Verhalten durchdringen und dadurch seine Bedeutung ändern.
DIE SÜNDEN DES GEISTES: FEINDSELIGKEIT
Die zweite Sünde ist Feindseligkeit oder Groll. Das ist nicht das Gleiche wie Zorn; es bedeutet, jemandem Schlechtes zu wünschen, oder darauf aus zu sein, jemandem zu schaden. Das heißt, dass man zu diesen Personen in einem fundamentalen Gegensatz steht und ihnen Schlechtes wünscht. Man freut sich, wenn ihnen etwas Unangenehmes passiert. Wir sind davon überzeugt, dass wir die meiste Zeit frei von dieser Geisteshaltung sind, weil wir ja gute Menschen sein wollen. Aber Feindseligkeit entsteht sehr leicht, weil man sogar Nyingmas sagen hören kann, dass die Gelukpas schlechte Menschen sind. Die Gelukpas sind eine andere buddhis@sche Sekte, aber selbst innerhalb der Nyingmas werden Menschen einer Abstammungslinie von den Lehrern und Studenten einer anderen Linie behaupten, dass sie schlecht seien. Diese Glaubens-­‐Kriege spielen sich andauernd ab. In jeder großen Religion, die wir kennen, kämpfen Menschen und töten einander. Und vieles davon beruht auf dieser Art von Feindseligkeit und Groll.
Feindseligkeit entsteht auf Grund der paranoiden Angst, dass meine Posi@on durch andere Menschen gefährdet sein könnte. Sie basiert auf der Vorstellung, dass andere Menschen irgendwie expansionis@sch veranlagt sind und in mein Territorium eindringen könnten. Wer von euch Geschwister hat, kennt das sicher aus der Kindheit: die Erfahrung, dass die Geschwister einem die Spielsachen strei@g machen oder einem etwas wegnehmen. Manchmal ertappt man sich dabei, wie man sie hasst oder zumindest sehr böse ist auf sie. Feindseligkeit entsteht auf Grund der Trennung von Subjekt und Objekt und weil das Subjekt sich sehr fragil und gefährdet fühlt. Wir werden sehr schnell in so etwas hineingezogen. OF erleben wir Feindseligkeit als eine sehr rasch aufsteigende Empfindung; wir sind plötzlich sehr böse auf jemanden, wenn wir uns in unserer Sphäre bedroht fühlen. Eins der Dinge, die viele meiner Pa@enten mir immer wieder erzählen, ist: wenn sie aus dem Urlaub an ihren Arbeitsplatz zurückkommen – und viele von ihnen arbeiten in weitläufigen, modernen Großraumbüros – hat irgendjemand das Büro umgestellt und ihren persönlichen Arbeitsplatz verändert. Jemand ist in ihren Raum eingedrungen und das erzeugt ein Gefühl, als sei ihnen die Welt feindlich gesinnt. Sie werden sehr wütend und wollen mir von allen Fehlern erzählen, die diese Person hat – und hinter dem Ganzen steckt der Wunsch, diese Person umzubringen oder zumindest zu erreichen, dass sie verschwindet.
James Low © www.simplybeing.co.uk 92
Wir wollen oF andere Menschen umbringen, aber wir tun das, indem wir uns wünschen, dass sie nicht exis@erten oder dass wir von ihnen nicht beläs@gt werden. Der Wunsch ist derselbe: dass sie verschwinden und nicht auf dieser Welt exis@eren, weil sie gefährlich sind. So lange wir uns als von anderen Menschen getrennt erleben, werden wir dieses Gefühl der Gefährdung nicht los.
Kommentar: Ist das nahe an der Eifersucht?
James: Ja, es ist ähnlich wie Eifersucht. Wie die Bewegung der Eifersucht, aber nach außen gerichtet. Eifersucht fühlt sich oF so an, als würde sie von außen in einen eindringen und dann etwas Böses wünschen. Das kann von der Eifersucht kommen. DIE SÜNDEN DES GEISTES: FALSCHE SICHTWEISEN: ERSTER ASPEKT: NICHT AN KARMA GLAUBEN
Die driAe Sünde des Geistes sind falsche Sichtweisen. Es gibt grundsätzlich zwei Arten von falscher Sichtweise. Die erste ist, Karma nicht zu verstehen, nicht daran zu glauben. Die zweite besteht darin, nicht an die Abwesenheit einer inhärenten Eigen-­‐Natur zu glauben.
Wenn wir nicht an Karma glauben, bilden wir uns eine eigene Meinung darüber, warum die Dinge geschehen. Kulturen entwickeln ihre eigenen Vorstellungen von Kausalität. Wenn beispielsweise die Konjunktur in Deutschland gut läuF, gibt es Poli@ker, die sagen: “Die Deutschen sind ein sehr intelligentes Volk, sie arbeiten hart und wir haben uns diesen Reichtum selbst erwirtschaFet. Andere Länder sind faul, wir arbeiten hart und deshalb steht uns das zu.” Also entsteht die Überzeugung, dass der Reichtum des Landes auf diese Gründe zurückzuführen ist und damit ist auch ein gewisser Stolz verbunden. Dann passiert etwas. Die Konjunktur gerät in eine Flaute und wir müssen uns fragen: “Was ist der Grund dafür? Wir haben bereits festgestellt, dass wir gute, hart arbeitende Menschen sind. Der Grund muss also bei jemand anderem liegen!” Auf diese Weise wird der Grund an einem besTmmten Ort lokalisiert. Er bewegt sich, um uns zu ermöglichen, das Bild, das wir von uns entwickelt haben, aufrecht zu erhalten. Die Ursachen, die wir erschaffen, sind sehr oF von Habgier und Feindseligkeit beeinflusst; sobald Deutschland also finanziell nicht mehr so boomt, entsteht Habgier – dieses Verlangen nach mehr – und verbindet sich mit dem Stolz. “Ja – das ist unser Recht. Wir arbeiten sehr hart. Warum sollen wir nicht langen Urlaub haben, Geld und Häuser? Warum nicht? Wir verdienen es. Wir arbeiten.” Wir haben eine Theorie, die von der Habgier beeinflusst ist und wenn es mit der WirtschaF dann bergab geht, entsteht eine neue Theorie, aber diesmal ist sie von Feindseligkeit mo@viert. “Diese verdammten Ausländer! Sie wollen uns kapuA machen.”
Wenn wir Karma begreifen, verstehen wir, dass das, was wir erleben, die Frucht unserer Taten in der Vergangenheit ist. Das heißt: wir haben eine Veranlagung und diese Veranlagung vermiAelt uns unser Erleben. Ein ganz simples Beispiel: wir sehen die Welt gemäß der Stärke der Linsen unserer Augen. Ich bin einmal zum Op@ker gegangen, der mir alle diese unterschiedlichen Linsen vor die Augen gehalten hat und plötzlich habe ich “Hey!” gesagt: “Das ist eine vollkommen neue Welt!” Ich vergesse immer, die Brille aufzusetzen, also sieht meine Welt immer ein bisschen vernebelt aus. Das ist sehr fein. Ich bin an meine etwas unscharfe Welt gewöhnt. Was wir sehen, hängt von unserem Sinnesorgan ab. Manche Menschen haben ein Hörvermögen, das ihnen erlaubt, eine sehr große Bandbreite an Frequenzen wahrzunehmen – und andere Menschen können nur in der MiAellage oder hohe Töne hören. Das gilt auch für die Zunge. Es gibt sehr interessante Forschungsergebnisse in Bezug auf die Anzahl der Nervenenden in der menschlichen Zunge. Manche Menschen haben in einem ganz kleinen Bereich viele tausende – und andere haben fast gar keine. James Low © www.simplybeing.co.uk 93
Wenn wir älter werden, sterben diese Nervenzellen ab, dadurch schmecken wir immer weniger. Alte Menschen sagen oF, dass sie nichts schmecken oder dass die Dinge nicht mehr so schmecken wie früher – weil ihre Nerven absterben. Unsere Erfahrung von der Welt wird uns durch unsere physische Existenz vermiAelt und diese physische Existenz ist aus buddhis@scher Sicht das Resultat unserer früheren Taten. Wir machen Sinn im Rahmen unserer eigenen “Fahrspuren”, unserer eigenen Verhaltensweisen – und daraus entsteht, ganz einzigar@g, unsere eigene Erfahrung. Manche Menschen haben sehr gute Augen, aber dafür hören sie nicht so gut, oder sie hören und sehen gut, aber schmecken nichts, oder ihre Haut ist gefühllos, oder ihr Körper ist sehr, sehr schwer und sie fühlen nicht viel in ihrem Inneren. Es ist die Komplexität der Balance zwischen all dem, die uns unsere je einzigar@ge Form verleiht.
Zu akzep@eren, dass die Art, wie wir sind, und was wir erleben, aus uns selbst entsteht, bedeutet, dass wir die Verantwortung dafür übernehmen können, es zu verändern. Wenn die Ursache für unsere jeweilige Situa@on außerhalb von uns läge, wäre es sehr schwer, etwas zu ändern. Das ist der große Vorteil, wenn man im Sinne von Karma denkt. Es erlaubt uns, die Kontrolle – oder besser gesagt: die Verantwortung zu uns zurück zu holen.
FALSCHE SICHTWEISEN: ZWEITER ASPEKT: NICHT AN DIE ABWESENHEIT EINES INHÄRENTEN SELBST GLAUBEN
Der zweite Aspekt der falschen Sichtweise liegt darin, nicht an die Abwesenheit einer innewohnenden Eigen-­‐Natur zu glauben. Es ist schon sehr viel zu diesem Thema geschrieben worden und ich habe auch schon viel darüber erzählt, also werde ich es jetzt nur kurz zusammenfassen. Unter “innewohnender oder inhärenter Eigen-­‐Natur” verstehen wir, dass die Form eine Eigendefini@on hat, die aus sich selbst entsteht. Ein Ding ist, was es ist, weil es sich selbst definiert.
Beispielsweise: eine Füllfeder ist eine Füllfeder. Einfach eine Feder. Habt ihr eine da? Hier ist eine Feder. Wir denken: “Hier ist eine Füllfeder” und meistens denken wir nicht darüber hinaus, weil der Name “Füllfeder” und das Vorhandensein eines Gegenstandes, der wie eine Feder aussieht und auch wie eine Feder benutzt werden kann, zusammentreffen – und dabei belassen wir es. Wir denken: “Ja, das ist eine Füllfeder. Sonst gibt’s dazu nichts zu sagen.” Aber wenn wir uns die Beschaffenheit der Feder genauer ansehen wollen, könnten wir beginnen, sie auseinanderzunehmen. Wir könnten dieses Röhrchen hier öffnen und die Tinte würde auslaufen und das Ding würde nicht mehr als Feder funk@onieren. Was so aussieht, als wäre es ein in sich geschlossenes Objekt, ist in Wirklichkeit ein Nebeneinander, eine „Zusammenfügung“ aus vielen verschiedenen Teilen, die eine gewisse Zeit lang so funk@onieren, als wären sie tatsächlich ein Ganzes. Wir kommen hier wieder auf die buddhis@sche Vorstellung des Entstehens in gegensei@ger Abhängigkeit zurück – viele Faktoren müssen zusammenkommen, um die Existenz dieses Objekts zu erschaffen. Wir haben die Technologie und das Marke@ng. Diese Feder ist übrigens ein Werbegeschenk – eine Gra@s-­‐Füllfeder, die von einer großen Firma verschenkt wurde und die ich in einer Beratungsstelle vor vielen Jahren von irgendeinem Schreib@sch mitgenommen habe. Sie ist also ein Beispiel für meine sündige Tat – ich habe etwas genommen, was mir nicht gegeben wurde! Aber wenn ich diese Feder nicht mitgenommen häAe, könnte ich sie jetzt nicht dazu benützen, Dharma zu lehren!
Diese Feder ist in der heu@gen Zeit und in dieser Kultur entstanden. Ihr Aussehen gehört in eine ganz bes@mmte Epoche. Sie wurde von einer amerikanischen Firma hergestellt, die schon seit sehr vielen Jahren Federn dieser Art erzeugt. Ihnen gefällt der S@l, sie könnten ihn als ihren “klassischen S@l” bezeichnen; also erzeugen sie weiterhin diese Federn und weil sie James Low © www.simplybeing.co.uk 94
ganz schick aussehen, kaufen die Menschen sie. Sie sind nicht besonders teuer, aber sie sehen gut aus, also eignen sie sich als Werbegeschenke für Firmen. Marke@ngstrategie. Alle diese Faktoren spielen eine Rolle bei der Existenz dieses Objektes. Dieses Objekt würde nicht exis@eren, wenn sich Menschen nicht alle diese Gedanken gemacht häAen; also sehen wir das Objekt als in sich selbst existent – einfach eine Feder – aber in Wirklichkeit hängt seine Existenz von sehr vielen Faktoren ab. Als ich meine Wohnung verließ, um hierher zu kommen, habe ich einen Schreiber gesucht. Die Feder ist auf dem Tisch gelegen, also habe ich sie eingesteckt. Die Tatsache, dass sie jetzt hier ist, beruht allein auf meiner Geistesabwesenheit heute am frühen Morgen.
Der Großteil unserer Erfahrung ist genau so – etwas passiert und auf einmal machen wir dies. Wir merken plötzlich, dass wir es tun, aber das Zustandekommen dieser Handlung liegt in der Macht des Karmas. Das Ego trifft seine Entscheidungen oF erst im Nachhinein. Wir tun etwas und begründen im Nachhinein, warum wir es getan haben – aber der wahre Grund für unsere Handlung ist, dass es einen Impuls gegeben hat, so zu agieren; und wir waren uns dieses Impulses überhaupt nicht bewusst. Das ist Karma. Wenn man so will ist Karma die Programmierung oder das Muster unserer Annahmen, wenn wir etwas tun. Und dann denken wir: “Ah ja, ich habe das getan, weil...” Die meiste Zeit entsteht diese Art von Erfahrungen einfach wie Wellen aus der Vergangenheit. Wie diese Meeresströmungen, die Wirbel erzeugen, Windströme, die durchziehen und die Wolken verändern. Genauso gibt es diese karmischen Strömungen, in denen Bewegungen aus der Vergangenheit plötzlich in uns entstehen und wir einen momentanen Impuls empfinden, etwas haben zu wollen. Meine MuAer sagt manchmal: “Ach, ich habe keine Ahnung, warum ich das gekauF habe, aber ich hab’ es da im GeschäF liegen gesehen und mir plötzlich gedacht: ‘Das will ich haben’.” Sie ist nicht ausgegangen mit dem Vorsatz “Ich will dieses Ding haben”, sondern plötzlich ging es: “Oh!”, da war dieser Impuls; das ist kein wirklich bewusster Vorgang. “Oh ja, ich will das haben!“ – und man steckt es ein. Man weiß nicht genau warum; und nachher sagt man sich: “Ja, ich bin froh, dass ich das gekauF habe.” Der Impuls selbst zieht gewissermaßen durch das Ego hindurch – und das ist der Grund, warum es sehr schwer ist, sein Verhalten zu verändern.
Auf einer ganz gewöhnlichen moralischen Ebene erkennen wir vielleicht: “Das ist keine gute Handlung und ich will sie nicht tun.” Aber wenn die Macht des Entstehens dieser Tat außerhalb unseres Bewusstseins angesiedelt ist, erkennen wir das oF erst in dem Augenblick, wo wir sie bereits ausführen. Erinnern wir uns an die vier Phasen des Karmas: die Basis -­‐ also die Trennung von Subjekt und Objekt; der Gedanke oder die Inten@on, die die Handlung anlegt; die Handlung und das Glücksgefühl nach dem Vollzug der Handlung. Wir wissen oF erst während wir etwas tun, dass wir es tun; wir sind uns der Inten@on nicht bewusst, weil die Inten@on eine alte Gewohnheit ist, die hier zum Vorschein kommt.
Das ist der Grund, warum man sich sehr schwer tut, wenn man seinen Geist reinigen will. Vielleicht ist es uns allen schon einmal so ergangen: man ertappt sich dabei, wie man etwas tut und weiß gar nicht genau, warum.
Kommentar: Ich glaube, ein Grund, warum ich die Mo@va@on, anderen zu helfen, manchmal problema@sch finde, ist, weil ich folgende Erfahrung gemacht habe: Es ist sehr leicht, sich anzugewöhnen, zu denken: “okay, alles das ist jetzt gut für andere Menschen”. Dabei erkenne ich die wirkliche Bedeutung dessen gar nicht, der wirkliche Grund, warum ich etwas tue. Und im Nachhinein kann ich sagen: “Ja, klar -­‐ ich habe das getan, weil... ich Gutes tun will.” Manchmal kann es passieren, dass ich etwas ignoriere, aber andererseits kann ich auch alles entschuldigen damit, weil ich mo@viert war, anderen Wesen Gutes zu tun. Ich finde das manchmal sehr problema@sch.
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James: Genau, ganz genau. Das findet man sehr oF im Umfeld großer Lamas. Man trifft dort immer auf Menschen, die dem Lama seinen Tee zubereiten und ihm alle Dinge abnehmen wollen. Aber meistens ist die Mo@va@on nichts als ein narziss@sches Bestreben, ganz speziell zu sein, oder dem Papi nahezustehen; oder irgendein unbefriedigtes Bedürfnis aus der Vergangenheit, oder: “Seht mich an! Hey, ich bin Papi ganz nahe!” Derar@ge Dinge passieren, aber die Menschen sind sich darüber nicht im Klaren. Ich habe beobachtet, wie Menschen andere aus dem Weg gerempelt haben, um ihre tugendhaFe Tat zu vollbringen und dem Lehrer eine Tasse Tee zu reichen! Genauso ist es. Wir haben nur meistens im Augenblick des Impulses keine Vorstellung davon; weshalb es im Buddhismus immer heißt, dass das Medi@eren so wich@g ist. In der Medita@on erlauben wir einigen dieser verdeckten Strömungen der Gedanken aufzutauchen und dann können wir erkennen: wer wir zu sein glauben, sagt nicht die ganze Wahrheit darüber, wie unser Geist funk@oniert; in Wirklichkeit ist das alles viel, viel komplizierter.
BEISPIELE FÜR FALSCHE SICHTWEISEN
Im Tibe@schen werden diese zwei Arten von falscher Sichtweise lok ta wa genannt. Ta wa heißt soviel wie “Ansicht”, aber es bedeutet auch gleichzei@g so etwas wie schauen, sehen, und das, was man sieht. Das ist eine neAe Kombina@on von Bedeutungen. Lok heißt “verkehrt herum” oder auch “falsch”; also heißt der ganze Ausdruck ‘falsches Sehen’. Das ist der Unterschied; es ist keine falsche Sichtweise vom Standpunkt eines Dogmas aus.
Wenn beispielsweise jemand nicht daran glaubt, dass Jesus Christus der Erlöser ist, wäre das für einen Christen eine falsche Sichtweise, denn nur durch Christus kann man in den Himmel kommen und bei GoA sein. Wenn man Christus verleugnet, hat man ein Problem. Das ist eine ganz bes@mmte Art von Wahrheit. Das ist die Wahrheit des Glaubens. Es mag wahr sein oder nicht; wir können es nicht wirklich beweisen, aber es repräsen@ert eine Art abstrakter Wahrheit. Es wäre schwer, das innerhalb unserer Welt zu beweisen. Wenn wir glauben wollen, wenn wir die Vorstellung haben, dass diese Flamme heiß ist und uns verbrennen könnte, kann jeder von uns hergehen und seinen Finger hineinstecken. Wir könnten es beweisen; wir häAen einen angemessenen Beweis dafür.
Gleichermaßen könnte ein Nyingmapa sagen: “Der beste Weg, Erleuchtung zu erlangen, ist zu Padma Sambhava zu beten“ – aber das ist das Selbe, wie wenn man zu Jesus Christus betet. Es ist sehr hilfreich, aber wer kann darüber entscheiden, ob Padma Sambhava besser ist als Jesus Christus? „Falsche Sichtweisen“ beziehen sich nicht auf diese Art von Wirklichkeit. Diese Art von Realität kann als Privatmeinung sehr hilfreich sein für Menschen, die einer bes@mmten Glaubensrichtung angehören, aber wenn daraus eine öffentliche Wahrheit wird, ist das sehr gefährlich, denn dann wird es poli@sch. Die jüngsten Schwierigkeiten mit dem Karmapa und Sharmapa in der Kagyupa-­‐Sekte sind genau auf dieser Ebene des dogma@schen Glaubens angesiedelt, die nicht bewiesen werden kann...
Kommentar: Also hat eine falsche Sichtweise auch etwas mit Dummheit zu tun?
James: Ja, genau.
Kommentar: Ist das eine sehr enge Verbindung?
James: Eine sehr enge. Wenn man wirklich an den Karmapa glaubt, ist das in Ordnung. Wenn man wirklich an den Sharmapa glaubt, ist das in Ordnung. Aber öffentlich zu behaupten: “Mein Lehrer ist besser als eurer” oder: “Ihr habt einen falschen Lehrer”, ist verrückt. Einen Lehrer zu haben bedeutet, in einer Beziehung zu stehen. Wenn jemand einen anderen Menschen liebt – z.B. Herr A. liebt Frau B. und Herr C. sagt zu Herrn A.: “Frau B. ist eine alte Schachtel. Was machst du mit ihr?” antwortet Herr A. “Das mag schon sein, aber ich liebe James Low © www.simplybeing.co.uk 96
sie.”
Das geschieht oF im Leben. Wir fragen: “Warum kannst du nicht das sehen, was ich sehe?” Weil das Glaube ist, Liebe, reine Glückssache, das ist Karma! Egal, ob du beim Karmapa oder beim Sharmapa landest – das ist dein Karma. Es ist eine persönliche, von der Beziehung abhängige Wahrheit – eine reale Wahrheit, aber sie ist persönlich und nicht objek@v. Es gibt Menschen, die als erstes in der Früh einen Kaffee brauchen und andere bevorzugen Tee. Ich möchte nicht als erstes in der Früh Kaffee trinken! Es ist vielmehr das letzte, was ich möchte. Ich will eine Tasse Tee. Tee tut mir gut, aber es handelt sich dabei um eine persönliche Entscheidung. Ich bin ein Tee-­‐Karmapa-­‐Anhänger und ihr seid Kaffe-­‐Sharmapa-­‐Anhänger. Das ist genau das Gleiche.
Was wir hier unter dem Thema „falsche Sichtweisen“ besprechen, ist: Karma nicht zu verstehen, die Abwesenheit einer innewohnenden Eigen-­‐Natur nicht zu verstehen. Man glaubt, dass das EigenschaFen der Realität sind – genauso wie Newtons Gesetz der SchwerkraF ein Gesetz der Realität ist. Natürlich funk@oniert SchwerkraF nicht ganz so, wie Newton sich das vorgestellt hat, wie aus Einsteins Revisionen hervorgeht, aber trotzdem ist das Denken unter dem Gesichtspunkt der SchwerkraF ausgesprochen hilfreich – innerhalb eines bes@mmten Bereiches. Egal, wie oF man sich das ansieht, wird man feststellen, dass die SchwerkraF immer gilt. Grundgleichungen für die SchwerkraF sind sehr nützlich, wenn man Ingenieur ist.
VERGÄNGLICHKEIT
Auf dieselbe Weise hängt die Abwesenheit jeglicher inhärenter Eigen-­‐Natur mit der Vergänglichkeit zusammen. Vergänglichkeit kann jeder für sich selbst überprüfen. Nyingmapas sagen, dass Padma Sambhava in Zangdopalri weilt und dass wir, wenn wir beten, auch nach Zangdopalri kommen. Sehr schwer, das zu verifizieren. Aber wenn man Vergänglichkeit nachprüfen will, muss man nur zum Fenster hinausschauen und zusehen, wie die BläAer ihre Farbe ändern. Wie ihr seht, regnet es gerade; aber als wir heute am frühen Morgen einen Rundgang machten, hat es nicht geregnet. So geht das die ganze Zeit. Man geht hungrig zum Frühstück und nach Beendigung des Frühstücks hat man keinen Hunger mehr. Ununterbrochen verändert sich das, was wir erleben. Das ist eine Tatsache. Wir nehmen sie nur sehr oF nicht wahr. Das ist Dummheit, aber wenn wir aufmerksam sind, können wir es sehen, weil es kein geis@ges Konstrukt ist, kein religiöses Dogma. Es ist einfach das, was da ist. Die Verbindung zwischen innewohnender Eigen-­‐Natur und Leere ist die: auf Grund der Vergänglichkeit stellt sich heraus, dass etwas, das uns wie ein reales Ding erscheint, ein Ding an sich, in Wirklichkeit vergänglich ist. Nehmen wir folgendes Beispiel: ich bin in Indien und habe diese Füllfeder mit; ich benütze sie viel und irgendwann geht die Tinte aus. Ich gehe in den Bazar und finde keine Patronen in der passenden Größe. Was soll ich jetzt mit dem Ding tun? Man könnte mit einer Feder natürlich alles Mögliche anstellen, aber nichts wirklich Nützliches, also wirF man sie weg. Ein wesentlicher Teil ist abhanden gekommen und wenn man indische Dörfer besucht, sieht man dort immer diese Berge von alten Traktoren und Wasserpumpen, weil irgendwann einmal die Weltbank den Indern Geld gegeben hat, um diese Traktoren zu kaufen. Die Amerikaner expor@erten eine Menge Traktoren und verdienten damit viel Geld – aber dann lieferten sie keine Ersatzteile und deshalb stehen viele Traktoren jetzt dort herum. Das ist Vergänglichkeit. Der Traktor funk@oniert nur, wenn alle seine Teile intakt sind. Sobald ein wesentlicher Teil fehlt, bleibt der Traktor stehen. Wir sehen: ein Traktor ist das Zusammenwirken von vielen, vielen Teilen. Irgendetwas James Low © www.simplybeing.co.uk 97
Winziges geht schief – man geht beispielsweise zu seinem Auto, aber weil man die Scheinwerfer angelassen hat, ist die BaAerie leer, oder die Zündkerze ist kapuA. Es bedarf nur irgend so einer Kleinigkeit und das Ding funk@oniert nicht mehr. Das Ding erscheint wie ein einheitliches, zusammengesetztes Ganzes – irgendetwas geht kapuA und... Das Herz arbeitet zum Beispiel, bum-­‐bum, bum-­‐bum, auf Grund dieser kleinen elektrischen Ladung. Die elektrische Ladung setzt aus, das Herz macht popp, der Mensch macht popp – und das war’s! Es ist so einfach, oder? Oder das Blut bildet ein kleines Gerinnsel, durchströmt das Hirn, und popp! Einfach so. Diese ganze wunderbare Komplexität, aus der wir bestehen, kann ganz schnell ausgelöscht werden. Dieses Gebäude zum Beispiel – wenn wir uns ein bisschen delinquent fühlen, könnten wir Zünder nehmen, ein kleines Feuer machen und das ganze Haus niederbrennen. Das wäre Feindseligkeit. Wenn wir das Haus zuvor versichert haben, wäre es Habgier.
Wir können alles, was uns begegnet, auf diese Weise untersuchen und werden feststellen, dass alles, was exis@ert, seine Existenz ganz vielen einzelnen äußeren Faktoren verdankt. Das ist eine der zentralen Erkenntnisse des Buddhismus, aber auch eine, die für uns am schwersten nachzuvollziehen ist. Wir sind so sehr darauf trainiert, das Ding an sich zu sehen, diese Gestalt-­‐Forma@on, etwas, das anscheinend einfach ein Ding ist. Das ist gemeint, wenn von inhärenter Eigen-­‐Natur die Rede ist.
Wir erkennen, dass wir leben, weil wir ein-­‐ und ausatmen und dass wir sterben, wenn wir auyören zu atmen; dass wir also unser Leben der LuF verdanken. So einfach ist das. Wir können nicht nicht atmen. Sterben ist, wenn jemand auyört, zu atmen. Wir können sehen, dass wir nichts Eigenständiges sind. Wir müssen essen, trinken, atmen. Wenn man einen Menschen in Frischhaltefolie einwickelt, wird er sterben, weil die Haut sich bewegen, atmen und Wasser aufnehmen muss. Wenn man dieses Leben des Atems unterbindet, wird man sehr krank. Auf diese Weise sind wir nicht einmal hinsichtlich unseres Körpers unabhängig von unserer Umwelt; und dadurch haben auch Änderungen in dieser Umwelt eine Auswirkung auf uns. In London wächst die Zahl der Kinder, die an Asthma leiden, von Jahr zu Jahr und es gibt immer mehr Hinweise darauf, dass das mit der Umweltverschmutzung zusammenhängt. Es hängt auch mit einer speziellen Art von Mikroben zusammen, die offenbar die Lungen angreifen, aber es gibt so viele äußere Faktoren, die auf uns einwirken, von denen wir keine Ahnung haben. Hautkrebs, zum Beispiel, wird defini@v in Europa immer häufiger, weil sich die Intensität der Strahlung verändert, die auf die Erde trifft.
LEERE
Auf diese Weise wird das, was wir für uns selbst halten, ständig von äußeren Faktoren verändert. Wir können das in allem beobachten. Die Dinge exis@eren nicht aus sich heraus, sondern als Manifesta@on des Zusammentreffens vieler Faktoren. [Abbildung 10]
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Hier haben wir ein Haus. Das Haus ist aus kleinen Ziegeln gebaut. Wenn das jetzt euer Haus ist, seht ihr es als “mein Haus!”; es hat eine affek@ve Existenz für euch. Ihr habt eine emo@onelle Bindung an das Haus, es vermiAelt euch das Gefühl von Sicherheit und alle diese Dinge; und ihr betrachtet es als ein Ding. Aber es besteht aus diesen Ziegeln und wenn wir alle die Ziegeln wegnehmen und auch den hölzernen Rahmen und die Dachziegel, häAen wir kein Haus mehr; es wäre einfach nicht mehr da. Ein Haus setzt sich aus vielen Dingen zusammen; wenn wir diese Dinge zusammenfügen, entsteht daraus die Illusion eines Hauses. “Illusion” in dem Sinne, dass das, was wir tatsächlich sehen, wenn wir hinschauen, in Wirklichkeit nichts anderes ist als ein paar Ziegel, ein bisschen Holz und Glas. Das ist es, was wir sehen – aber wir denken, wir sehen ein Haus. “Das ist mein Haus!” – also exis@ert das, was wir zu erkennen meinen, gar nicht.
Kommentar: Ist es die Illusion der Beständigkeit des Hauses?
James: Es ist sogar die Illusion, dass es sich hier um ein Haus handelt, denn “Haus” ist ein mentales Konzept. Das, was wir hier haben, sind nichts als Ziegel, Holz und Glas, die wir in unserer Kultur “Haus” nennen. Und wir haben eine genaue Vorstellung davon, was man mit einem Haus macht. In England – heutzutage ist es nicht mehr so, aber in den 1940er Jahren beschloss die Regierung, Zigeuner und fahrendes Volk sesshaF zu machen und steckte viele von ihnen in Häuser. Aber sie waren ein ganz anderes Leben gewöhnt – jedenfalls in SchoAland, dort lebten sie in Wohnwagen oder sogenannten “Benders”, kleinen gewölbten Unterschlupfen aus Zweigen. Die Häuser verwahrlosten kompleA und die Menschen sagten “Das ist doch ein Haus! Ein Haus muss man sauber halten!” Aber von diesen Menschen haAe keiner jemals ein Haus besessen, sie wollten nicht in Häusern wohnen, sie wurden dazu gezwungen, sich in Häusern anzusiedeln. Für diese Menschen war ein Wohnwagen oder ein Bender viel besser als ein Haus; aber für Menschen, die in Häusern leben, ist ein Haus sehr wich@g – “wie kann man so mit einem Haus umgehen?” Sie denken so, weil für sie die Vorstellung eines Hauses mit allerhand emo@onalen Konnota@onen und mit dem Gefühl von Sicherheit verbunden ist.
„Haus“ ist ein Konzept. Was wir sehen, sind diese vielen Dinge. „Haus“ ist etwas, was wir diesen Dingen hinzufügen, und dann sagen wir, das Ganze sei mehr als die Summe seiner Teile. Wenn ein Ganzes grösser ist als die Summe seiner Teile, dann ist dieser dazukommende Teil eine Illusion, und diese Illusion verdeckt die Leere. Wir haben hier ein Konstrukt, das wir irgendwie zusammengesetzt haben und ping! kommt die Fee und verwandelt es mit Hilfe von Magie in ein Haus. Vielleicht habt ihr das schon einmal mit diesen Gestalt-­‐Zeichnungen erlebt oder jemand baut etwas zusammen, was man nicht gleich James Low © www.simplybeing.co.uk 99
erkennt und dann plötzlich sieht man: “Ah, jetzt kann ich erkennen – das ist ein Auto!” Oder ein Boot, oder jemand zeichnet etwas – das hat’s bei uns in England im Kinderfernsehen gegeben. Der Künstler Rolf Harris zeichnete etwas auf eine Tafel und fragte dann: “Könnt ihr raten, was das ist?” Und plötzlich konnte man es sehen, weil er ein letztes Element hinzufügte, und alles war klar. Und an diesem Punkt des Erkennens entspannt man sich. Wenn wir also Dinge sehen und sie wiedererkennen, entspannen wir uns; wenn wir aber nicht wissen, was das für Dinge sind, fühlen wir uns ängstlich-­‐gespannt. Das ist der Grund, warum wir uns, wenn wir diesen Prozess umkehren und die Medita@on in die Leere prak@zieren, womöglich sehr beklommen und ängstlich fühlen. Wir dekonstruieren hier eine Illusion, wir zerstören diese Illusion und was uns dann bleibt, sind viele einzelne Dinge. Wir nehmen diese Dinge weg und es bleibt uns nichts; und dann denken wir: “Oh, ich will mein Haus wiederhaben.”
Kommentar: Was für eine Rolle spielt hier die Funk@on? Ich inves@ere emo@onell in etwas, dann habe ich da ein Haus und ich denke, da gibt es nicht nur die Dinge, sondern auch eine theore@sche Funk@on und so weiter; und das alles zusammen macht mehr aus als seine Teile, die physischen Teile.
James: Ja, natürlich, ganz genau. Aber nimm beispielsweise dein Bedürfnis nach einem Haus – wenn du von hier abreist, musst du irgendwohin fahren. Also ist es fein, wenn du ein Haus hast, in das du zurückkehren kannst. Wenn das Haus, zu dem du fährst, eines ist, das für dich mit vielerlei Erinnerungen verbunden ist, fühlt es sich vertrauter an, angenehmer. Es können auch schreckliche Erinnerungen sein, das wäre schlecht, aber weißt du, es handelt sich da nicht um eine neutrale Beziehung, das s@mmt. Wir haben Kogni@onen im Zusammenhang mit dem Haus, Emo@onen und Affekte und physische Sensa@onen. Manche Menschen entspannen sich, wenn sie nach Hause kommen; andere sind angespannt – alle haben Gefühle. Für manche Menschen ist ihr Haus ein Ort, wo viele Forderungen auf sie zukommen und wenn sie wegfahren und sich auf ein Retreat begeben, ist das für sie wie Urlaub. Für andere Menschen ist ihr Heim, ihr Haus, etwas sehr Warmes und Freundliches und wenn sie auf ein Retreat fahren, ist das für sie weniger bequem und gemütlich und sie sagen sich: “Ich möchte zu Hause sein, in meinem eigenen Zimmer.” Wir können ganz unterschiedliche Beziehungen dazu haben, aber auch diese Beziehungen gehören zu den Dingen, aus denen ein Haus besteht. Es geht nicht nur um Ziegel, Holz und Glas, sondern auch um emo@onale Dinge. Alles das trägt dazu bei – wenn du so willst, lassen die Ziegel und alles das die Illusion eines Hauses entstehen; aber wenn wir das noch dazugeben, haben wir die Illusion “mein Haus”; es ist mit persönlichen Wertvorstellungen behaFet und die funk@onieren als der finale Klebstoff, der alle diese Dinge an einem Ort zusammenhält.
Kommentar: Ist das nicht das Selbe mit unserem Körper?
James: Natürlich. Wir können den Körper eines anderen Menschen anschauen und ihn in seinen Einzelteilen wahrnehmen, aber bei unserem eigenen Körper wird es durch alle diese zusätzlichen Faktoren noch viel komplizierter.
Kommentar: Aber Babys haben diese Konzepte nicht, die müssen ihnen als Teil ihrer Sozialisa@on beigebracht werden. Es ist nicht möglich für uns, ohne diese Konzepte Wesen in dieser unserer Existenz zu sein.
James: Aus buddhis@scher Sicht haben Babys sie genauso, weil das das Erbe ihres Karmas ist. Also kommen Babys mit gewissen Veranlagungen auf die Welt, wie sie sich einen Reim auf James Low © www.simplybeing.co.uk 100
die Dinge machen. Es ist nicht so, dass die Welt den Babys das schenkt.
Kommentar: Ach, wir sind also keine „Tabula rasa“?
James: Nein, überhaupt nicht. Karma bedeutet, dass diese Idee nicht s@mmen kann. Babys kommen mit einer vollen AusstaAung auf die Welt.
Kommentar: Aber sie haben noch keine Konzepte zum Thema Phänomene der Wahrnehmung entwickelt, die dann im Rahmen unserer Sozialisierung zu einem Baum oder einem Haus werden. Babys haben so etwas nicht. Haben sie dafür bes@mmte Wahrnehmungsmuster von Licht und SchaAen und solche Sachen?
Kommentar: Sie haben weniger Konzepte, vermutlich.
James: Ja, sie haben weniger, aber die Konzepte funk@onieren trotzdem. Vom allerersten Moment an organisieren Babys sich und die Welt. Selbst in der GebärmuAer organisieren sie die Phänomene. Man kann zeigen, wie sich ihr Herzrhythmus ändert, je nachdem, welche Geräusche sie hören oder welche Emo@onen ausgedrückt werden.
Kommentar: Entwickeln sie daraus Muster, die sie dann im Leben beibehalten?
James: Später manifes@eren sie sich als Struktur. Wir verstärken die Struktur.
Die Verbindung zwischen diesen Vorgängen und der Vorstellung der Leere ist, dass das, was wir als reale Dinge wahrnehmen, Illusionen sind. Das heißt: sie sind leer von jener Art von Realität, die wir ihnen zuschreiben. Sie sind leer, frei davon, oder ermangeln ihrer... Wenn ich zum Beispiel an meinen eigenen Körper denke, kann ich ihn unter dem Gesichtspunkt der fünf Elemente analysieren, oder ich kann ihn in Bereiche von weichem und hartem Gewebe unterteilen; ich könnte ihn auf vielerlei Weise auf Moleküle reduzieren und müsste dann erkennen, dass das, was ich als „mich“, „meinen Körper“ wahrgenommen habe, aus dem Zusammenwirken vieler Faktoren entsteht, von denen ich überhaupt nichts weiß.
Wenn wir das so analysieren, erkennen wir, dass das, was ich „meinen Körper“ nenne, nur ein Name ist. Habe ich diesen Namen einmal akzep@ert und verwende ich ihn, dann hat diese Benennung eine Funk@on; aber ihre Funk@on ist es, die Illusion noch zu verstärken. Teil der schmerzhaFen Illusion, die „mein“ Körper generiert, ist die Vorstellung: “Das ist mein Körper, also sollte ich ihn unter Kontrolle haben.” Aber ich bin nicht derjenige, der veranlasst, dass mein Herz schlägt, und ich bin nicht verantwortlich dafür, dass mein Verdauungstrakt mein Frühstück verarbeitet; ich kümmere mich nicht um die Mikro-­‐Veränderungen auf der Zell-­‐Ebene, während sie Sauerstoff aufnehmen, ihn verarbeiten und unterschiedliche Dinge damit anstellen. Wenn meine Zellen mu@eren, bin nicht ich es, der sie dazu veranlasst. Wenn wir an aggressiven oder degenera@ven Krankheiten leiden, haben wir das nicht unter Kontrolle. Wir sind in gewisser Weise Zuseher bei etwas, von dem wir fälschlich glauben, es gehöre uns. Einfach zu sagen „mein Körper“ bedeutet noch nicht, dass ich weiß, was mit ihm geschieht.
Kommentar: Was ist die Bedeutung von Krankheit aus karmischer Sicht? Und dann: karmische Sicht heißt ja nicht, dass ich keine Verantwortung habe – aber kann Verantwortung nicht auch sehr nahe an einer Art von Kontrolle liegen?
James: Ja, ich habe zum Beispiel gerade das Gefühl, ich bekomme einen Schnupfen. Ich kann etwas dagegen einnehmen, aber im Grunde ist der Schnupfen bereits in meinem Körper. Körper können Schnupfen bekommen. Dann sage ich: „Ich habe einen Schnupfen“ – aber wer ist dieses “Ich”, das einen Schnupfen hat? Ich bin es; ich beobachte, dass ich jetzt diese James Low © www.simplybeing.co.uk 101
Erkältung habe, ich muss Taschentücher einstecken und wenn ich niese, kommt vielleicht Rotz aus meiner Nase. Das sind die Sorgen, wenn man eine Erkältung hat. Wer ist dieses “Ich” im Verhältnis zum Schnupfen?
Kommentar: Gibt es im Buddhismus auch psychosoma@sche Krankheitsursachen? Ist man selbst dafür verantwortlich, wenn man krank wird?
James: Nein. Aus buddhis@scher Sicht bist du vielleicht selbst dafür verantwortlich, wenn du krank wirst, aber die Ursache liegt sehr, sehr lange zurück. Das hat gar nichts mit diesen “New Age“-­‐Ideen zu tun, die besagen, dass man dieses Problem nicht häAe, wenn man dies oder jenes nicht gegessen oder wenn man seiner MuAer gezeigt häAe, dass man wirklich böse auf sie ist. So funk@oniert das nicht, das ist nur eine Manipula@on der Welt. Worum es hier geht, ist die Tatsache, dass wir durch unendlich viele Leben hindurch gewisse Impulse entwickelt haben; diese Impulse treten in unterschiedlicher Form zutage und wir verstehen sie nicht. Die “New-­‐Age”-­‐Weise des Denkens bleibt immer noch innerhalb der modernis@schen Flugbahn, der modernis@schen Vorstellung von Kontrolle. Es gab eine Ins@tu@on in England, das Bristol Cancer Centre, wo sie viele interessante Dinge gemacht haben, aber schließlich waren sie von der Idee völlig besessen, dass man den Grund herausfinden kann, warum Menschen Krebs bekommen. Und die Menschen dort haAen dann Ideen wie: “Wenn ich nur dies getan häAe”, oder “ich muss unbedingt jenes tun”, oder “es ist deshalb”. Ich glaube nicht, dass das funk@oniert.
Der Buddha war in der Lage, zu sagen: “Der Grund, warum du jetzt krank bist, liegt darin, weil du drei Leben zuvor ein Schwein gejagt hast“ – oder etwas in der Art. Kommentar: Vielleicht ist das nur ein Aspekt der Krankheit? Der Grund – nicht mit seiner MuAer gesprochen zu haben oder etwas in der Art, um ein Beispiel zu geben. Vielleicht ist das ein Aspekt – möglicherweise nicht der ganze Grund, aber ein Teil davon. Ein Teil von vielen.
James: Es ist sicher ein Teil davon.
Kommentar: Es kommt also auch von der karmischen Verbindung zur MuAer.
James: Ja, das kann natürlich auch sein. Externe Umstände sind ein s@mulierender Faktor für das Entstehen von Karma. Wovon wir aber wegkommen möchten, ist, meiner Meinung nach, diese Vorstellung... Denn was passiert, wenn man sagt, “Nun ja, es ist mein Haus, mein Körper und wenn ich alles rich@g mache, wird alles gut”? Also wenn man ein guter Mensch ist und sehr bewusst lebt, wird man defini@v ein langes und glückliches Leben haben. Das ist ein neAer Gedanke, aber das würde darauf hinauslaufen, dass alle Menschen, die kein langes und glückliches Leben haben, schlechte Menschen sind. Das ist die Kehrseite der Medaille. Sich persönlich vorzunehmen, auf sich zu achten, ist eine Sache; aber wenn man das zu einer generelle Theorie über die Realität macht, mündet das in eine Abwertung gegenüber vielen Menschen. Um auf die Leere zurückzukommen: mein Haus und mein Körper sind leer, sie besitzen nicht die Charakteris@k von “meinem Haus” und “meinem Körper”. “Mein Körper” wird dem Körper von außen übergestülpt; das kommt nicht aus dem Inneren. Der Zustand, in dem sich mein Körper jetzt befindet, wird von unendlich vielen Faktoren beeinflusst, die aus der Umwelt herrühren. Er wird sich verändern; wenn ich noch zwanzig Jahre lebe, wird er defini@v anders aussehen; also ist das, was ich “mein Körper” nenne, nichts als eine Momentaufnahme oder eine Idee davon, was vorhanden ist, aber die tatsächliche Realität dessen, was da ist, ist viel komplizierter und weitgehend außerhalb James Low © www.simplybeing.co.uk 102
meiner Kontrolle. So gesehen gibt es “meinen Körper” nicht. Er ist etwas, von dem ich Besitz ergreife oder das ich in gewisser Weise stehle und ihm diesen Namen gebe, aber ich weiß nicht, was das wirklich ist.
Es ist erst in letzter Zeit, durch die Entwicklungen auf dem Gebiet der Mikro-­‐Biologie und der Biochemie, möglich geworden, viele der Prozesse zu verstehen, die im Körper ablaufen. Und je mehr wir darüber wissen, desto mehr erkennen wir, dass der Körper ein unglaubliches Ding ist, wie unfassbar kompliziert diese Abläufe sind und wie die Systeme sich gegensei@g ausbalancieren. Es ist wirklich unglaublich.
Dazu kommt, dass wir einfach sagen “mein”, “mein Körper”, aber “mein Körper” ist keine zutreffende Bezeichnung, weil das, woraus jeder von uns besteht, Systeme sind – Blutsysteme, Wärme-­‐ und Kältesysteme, Abwehrsysteme, alle möglichen Arten von Systemen, die miteinander auf komplizierteste Weise interagieren. Diese Systeme sind allesamt dynamisch und verändern sich unablässig, weil sie offene Systeme sind. Jedes geschlossene System ist ein totes System. Systeme müssen offen sein, um am Leben zu bleiben. Sie müssen Ränder und Grenzen haben, durch die Nahrung impor@ert und Abfall expor@ert wird. Das ist der Puls eines lebendigen Wesens.
Weil es diese Bewegung über Grenzen hinweg gibt, bricht dieses Ding, das scheinbar innerhalb dieser Grenze exis@ert, zusammen. So wie es diese Bewegung hin zur finanziellen Einheit Europas gibt – wenn man hier in der Gegend durch die Straßen fährt, sieht man alle diese Lastwagen, die von überall her kommen, aus Spanien und so. Offensichtlich hat das, was wir als Landesgrenze bezeichnen, keine besondere Bedeutung mehr; auch deshalb, weil sich Landesgrenzen verändern. Wenn man eine Landkarte der letzten hundert Jahre hernähme, würde man sehen, dass sich die Grenzen Deutschlands mehrmals ziemlich verändert haben – also was ist das, „Deutschland“? Deutschland ist ein Konzept. Ein Konzept, das über bes@mmte Gegenden gestülpt wird und das zum Frieden führen kann oder zum Krieg. Das, was wir tatsächlich hier vor uns haben, ist äußerst kompliziert. Und das gleiche gilt für unsere Vorstellung vom Selbst. Alles ist da, aber es befindet sich in ständiger komplexer Interak@on und weil sich diese komplexen Interak@onen dauernd abspielen, können wir nicht einzelne Teile herausschneiden. Es ist nicht so, als häAen wir einzelne Bausteine, oder diese Monaden, oder grundlegende, unabhängige, individuelle Einheiten und indem wir die zusammensetzen, entsteht das Ganze – so wie man ein Haus aus Ziegelsteinen zusammensetzt.
Der Körper ist ganz anders. Und selbst Ziegel sind nicht so beschaffen, wie uns die moderne Physik zeigt. Alles ist ununterbrochen in Interak@on. Während wir hier sitzen, durchdringen Abermillionen von Strahlen unsere Körper: sie kommen aus dem All, dringen ein, fließen durch unseren Körper, durch die Erde und kommen am anderen Ende wieder heraus. Wir werden ständig von allen möglichen Arten von Strahlen und Bakterien, etc. durchdrungen Wir atmen ununterbrochen alle möglichen lebende Organismen ein. Das ist ein wirklich fundamental wich@ger Punkt, weil wir immer wollen, dass diese Bausteine exis@eren – wir möchten wissen, wo es langgeht; wir möchten wissen, wo die Dinge sind und wie sie funk@onieren. [Abbildung 11]
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Aber tatsächlich gleicht die Struktur der Welt viel eher interak@ven Schleifen und diese interak@ven Schleifen sind natürlich mul@-­‐dimensional. Die Welt ist ein System von Feedback-­‐Schleifen und Interak@onen und weil das alles zusammenhängt und in Bewegung ist und dynamisch, ist es nicht sehr sinnvoll, ein Stück irgendwo herauszuschneiden und zu sagen: “Das bin ich und das bist du.” oder “Das ist mein Körper”.
Wir können beispielsweise sagen: “Hör mal, es ist mir wirklich wich@g, dass du meine Privatsphäre respek@erst. Wenn du mit mir reden willst, stell’ dich biAe da hin. Manche Menschen mögen es vielleicht, wenn du näher kommst, aber ich brauche diesen persönlichen Raum.” Und während wir das zu jemandem sagen, atmen wir sie an und atmen ihren Atem ein! Es ist alles eine verdammte Illusion! All diese LuF, die heiß und verschwitzt ist und die aus ihren Lungen kommt steigt uns direkt in die Nase und in unsre Lunge und geht von dort in unser Blut – also ist die Vorstellung eines persönlichen Raums völlig absurd. Wir sind nicht getrennt von anderen Menschen. Das ist ein wirklich zentraler Punkt – dass wir als ein System von Interak@onen exis@eren, nicht als individuelle Einheiten. Das ist mit Leere gemeint; denn interagierende Systeme sind dynamisch. Das ist die Energie des Dharmakaya, die Energie des Dharmadhatu, die in komplexen Verflechtungen verläuF, aber es ist ein Prozess.
Es exis@eren keine voneinander unabhängigen Gebilde. Das ist die Lehre von der Leere. Alles ist ein Prozess. Es gibt nur ein ständiges Werden. Das ist es, was wir zu verstehen versuchen, aber gleichzei@g erschaffen wir die ganze Zeit En@täten, weil man die kontrollieren kann. Prozesse sind so unendlich viel komplizierter.
Man muss nur den Finanzteil in den Zeitungen studieren, um zu sehen, dass die WeltwirtschaF aus Systemen besteht. Niemand kann die ZukunF vorhersagen. Wechselkurse ändern sich täglich. An der Frankfurter Börse steigen und fallen die Ak@enkurse und sie steigen und fallen auf Grund von Dingen, die in Malaysia passieren, oder was mit dem Dow Jones Index los ist, was auch immer. Diese Interak@onen pulsieren quer durch die ganze Welt und sie entstehen, weil es die unterschiedlichsten Arten von Interak@on gibt – einen enormen interna@onalen Schwarzmarkt von illegalem Währungstausch, Geldwäsche, und auch das alles hat eine Auswirkung auf die Ak@enbörsen.
Wir haben es also mit Interak@onen zu tun, nicht mit abgeschlossenen Einheiten. Und wenn wir diese eine Idee wirklich verstehen, haben wir auch die Leere wirklich verstanden; denn die Lehre von der Leere exis@ert in zwei Formen. Die eine ist eine Art Kri@k – eine Kri@k am Glauben an En@täten. Dazu gehört beispielsweise das Herz-­‐Sutra. Weil wir normalerweise an diese En@täten glauben, wird dieser Glaube an En@täten bis ins kleinste Detail analysiert. [siehe Abbildung 11 oben]. Es wird gezeigt, dass das, was als Einheit zu exis@eren scheint, in Wirklichkeit jeglicher innewohnenden Eigen-­‐Natur entbehrt. Das heißt: es handelt sich nicht um eine abgeschlossene Einheit, sondern um Teil eines Prozesses. So lautet die Analyse, und teilweise James Low © www.simplybeing.co.uk 104
wird das bis zur letzten Konsequenz durchgezogen, zu einer Reduk@on, die letztlich im Absurden endet.
Die andere Sicht von Leere beginnt mit dem Endpunkt, dem Resultat der Analyse. Okay – es gibt also keine unabhängigen abgeschlossenen Einheiten. Gibt es daher gar nichts? Offensichtlich ist da etwas. Was ist dieses Etwas? Es ist Erfahrung. Wo entsteht Erfahrung? Woraus entsteht sie? Aus der Leere. Weil es Wirklichkeit keinerlei voneinander unabhängige Einheiten gibt, aber dennoch Dinge exis@eren, sind diese Dinge die Präsenta@on oder die Erscheinungsform der Leere ihres zugrundeliegenden Wesens innerhalb des Systems.
Die erste Form ist jene, die im Mahayana oder auf dem Sutra-­‐Pfad und innerhalb der Prajnaparamita-­‐Literatur benützt wird; sie ist die Basis für die Praxis im Tantra und im Dzogchen. Manche Dzogchen-­‐Prak@ken funk@onieren ein bisschen anders, aber im Grunde kann man sagen, dass Tantra mit der Leere beginnt. In sehr vielen Medita@onen im Tantra heißt es: “Vor mir liegt ein unendlicher blauer Himmel” und dieser klare blaue Himmel steht immer für die Leere. Wenn der Himmel klar ist, breitet er sich in alle Richtungen unendlich aus – er ist offen, man kann ihn nicht halten oder nach ihm greifen, und dennoch kommen Wolken, die Sonne, der Mond... Viele Dinge kommen und gehen. Es ist eine Sphäre oder ein Raum, eine Dimension, in der sich die Dinge manifes@eren, aber diese Manifesta@onen sind niemals unabhängige Einheiten, sondern nichts anderes als der Prozess der Manifesta@on selbst.
Das ist wirklich wich@g; denn dann haben wir den leeren Raum – beziehungsweise die Leere wird zur Weite oder zur Offenheit, zum Himmel.
[Abbildung 12]
Darin ist alles eine wirbelnde Manifesta@on und diese wirbelnde Manifesta@on wird allmählich präziser. Das sind die drei Kayas oder die drei Körper, oder die drei Aspekte der Existenz des Buddha. Die offene Dimension hier ist das Dharmakaya. Diese Komplexität der Erfahrung, die wir manchmal in der Medita@on erleben – wie Licht oder eine sehr ungeformte Wahrnehmung – ist das Sambhogakaya. Die präzise Form, wie beispielsweise unser Dasein im Körper, ist das Nirmanakaya. Was es zum Nirmanakaya macht, ist die Tatsache, dass ich zwar in meinem Körper bin, wenn ich diesen Körper aber als die Manifesta@on der drei Systeme interak@ver Energie erlebe, dann greife ich nicht nach ihm wie nach einem Ding, obwohl er ein unabhängiges Gebilde zu sein scheint, weil diese drei Aspekte integriert sind. Das ist hier der Kern der Lehre des Buddha. Und es ist von zentraler Wich@gkeit.
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Kommentar: Heißt das wirklich, dass alles gleichzei@g exis@ert?
James: Ja – es exis@ert gleichzei@g, immer. Weil sonst verlieren wir, sobald Unwissenheit entsteht, dieses Gefühl für den Raum; und dann generiert diese Komplexität diese Ebene und schließlich sind wir auf dieser Ebene gefangen und denken: “Ich bin ich – und wer bist du?” Dann spielen sich alle unsere Interak@onen auf dieser Ebene ab und wir halten sie für völlig real. Denn dann trenne ich dieses Stück hier ab [siehe Abbildung 12 oben] und sage: “Moment einmal. Das ist James Low und das ist sein Haus.” Und dann fühle ich mich sicher, weil ich das hier ins Haus hineinstecken, die Türe schließen und sagen kann: “Lasst mich in Frieden! Mein Haus!”
Aber so ist es natürlich nicht. Diese Person ist mit allem verbunden, was gerade geschieht; diese Person exis@ert als ein andauernder Prozess von Manifesta@onen, die aus dem leeren Raum entstehen. Noch einmal: das Wich@ge ist, dass sich auf dieser Ebene gar nicht viel ändern muss, sobald wir das einmal verstanden haben. Man isst immer noch die gleiche Art von Frühstück. Wenn ich mir ansehe, was manche Menschen so zum Frühstück essen, bin ich sehr verwundert! Und manche Menschen sind vermutlich verwundert über das, was ich frühstücke. Wir sind alle ganz verschieden, aber wir können auch weiterhin ganz verschieden bleiben; wir müssen auf dieser Ebene keine großen Veränderungen vornehmen – was wich@g ist, ist die Integra@on dieser Erfahrung hierdurch.
TOD
Was die Reinigung unserer Existenz betrifft, geht es nicht darum, zu sagen: “Ich bin ein schlechter Mensch, jetzt muss ich die Form eines guten Menschen annehmen.” Wir können das zwar bis zu einem gewissen Grad auch versuchen, aber die zentrale Transforma@on entsteht durch die Erkenntnis “Ich bin diese Manifesta@on”. Dadurch erfahren wir uns viel deutlicher als diesen dynamischen, ständig sich wandelnden Prozess des Werdens – und das macht alles von selbst viel leichter. Wir sind nicht mehr Gefangene in unserer kleinen Schachtel. Wir sind viel, viel grösser. Wir sind unendlich. Sodass wir, wenn es ans Sterben geht, den Tod einfach als eine Umkehr dieses Prozesses verstehen: wir bewegen uns aus unserer Schachtel in diese Energie, die da zusammenbricht und fällt und gelangen zurück in den Raum. Und wenn wir dann wiedergeboren werden, kommen wir über denselben Weg wieder zurück. Das ist der Pulsschlag des Universums. In Wirklichkeit geht es nur darum, sich in die natürliche Gegebenheit zurück zu entspannen. Es geht nicht darum, sich kompleA zu verändern.
Kommentar: Tod bedeutet, in die Leere zu gehen? Er bedeutet nicht, dass wir uns einfach in den Fluss unseres Karmas auflösen?
James: Nein. Die tradi@onelle Vorstellung ist, dass sich die Leere durch den Prozess des Sterbens offenbart. [siehe Abbildung 12 oben] Ich bin in meinem Körper und liege im BeA und bin nahe daran, zu sterben. – Ich frage mich, ob ich tatsächlich einmal in einem BeA sterben werde. Wer weiß...? Wie dem auch sei. Ich liege hier in diesem angenehmen, bequemen BeA, mit sauberer BeAwäsche. Was dann passiert, ist folgendes: Das Erd-­‐Element bricht zusammen und kippt ins Wasser-­‐Element, das Wasser-­‐Element ins Feuer, das Feuer in die LuF und die LuF in den Raum. Das geht hier durch. Was ihr hier seht, ist die Form der fünf Elemente; also bewegen wir uns hier durch in den Raum; und in diesem Raum befindet sich das, was die Tibeter das chö nyid bardo, das Bardo der Realität bezeichnen, wo es nur diese unermessliche Weite und Offenheit gibt und alles ganz klar und voll Licht ist. Und wir können uns völlig darin auflösen, genauso wie wir das bei der Auflösungs-­‐Medita@on machen. Aber meistens ist es so: Weil alles hier so völlig offen ist, wir unser ganzes Leben aber in einer Schachtel verbracht haben, sagen wir, wenn wir in diese Offenheit kommen: “Oh verdammt!” und wollen wieder zusammenschrumpfen. James Low © www.simplybeing.co.uk 106
Wir könnten uns einfach in diesen Raum auflösen und voller Glück sein, aber wir ziehen uns in uns selbst zurück, weil wir uns unser ganzes Leben lang zurückziehen wollten; und in diesem Rückzug bewegen wir uns von hier herunter und machen die Erfahrung des Sambhogakaya, wo wir all den friedlichen und zornvollen GoAheiten begegnen. Nochmals: die sind alle sehr, sehr groß und wir fühlen uns sehr, sehr klein. Es ist, als häAen wir den ganzen Tag am Strand verbracht, nur mit irgendeinem Bade-­‐Ouƒit bekleidet, und plötzlich finden wir uns auf diesem Dinner-­‐Empfang mit Helmut Kohl wieder und alle sind sehr elegant und wir denken: “Oh!” und wollen nichts wie weg; und dann sagen wir uns: “Immer mit der Ruhe! Nur die Ruhe!” “Oh nein, nein, nein!” Und so laufen wir vor allen diesen GöAern davon und suchen eine kleine Schachtel – und dann sind wir wieder in unserer Schachtel. Kommentar: Man braucht viel Mut, um so zu denken. Wo kommt dieser Mut, dieser Funke her?
James: Der Funke entsteht im Grunde entweder, weil du begriffen hast, dass das Sinn ergibt oder, auf einer anderen Ebene, weil du Angst hast. Wir fürchten uns, wenn wir sterben, denn wenn wir in unserer Schachtel sind, ist der Tod so, als säßen wir in einem Auto und würden mit vollem Karacho in eine Wand fahren. Wir sitzen in diesem Auto unseres Körpers... Ah!! Das ist nicht sehr angenehm. Wir denken, dass wir selbst und die Wand etwas ganz Unterschiedliches sind. Was auch zutrifft. Wenn man medi@ert, gewöhnt man sich an die Auflösung. “Hey! Gerade ist etwas durch mich hindurchgegangen. Ich glaube, das ist die Windschutzscheibe.” Wenn man diese Art von Offenheit hat, fürchtet man sich nicht so und kann den Prozess seines eigenen Todes mit Interesse beobachten.
Ich erinnere mich, dass C.R.Lama sich einmal in die Hand geschniAen haAe. Er sah mit großem Interesse auf diese Verletzung und seine Neugierde hat ihn letztlich davon bewahrt, in einer selbst-­‐referenziellen, emo@onellen Weise auf die Wunde und das Blut zu reagieren. Es gibt einen Zustand, in dem wir einfach interessiert sind – und das, was dieses Interesse verhindert, ist die Angst, weil diese neue Informa@on nicht in die Form unserer Schachtel passt. Wenn wir medi@eren, üben wir im Grunde nichts anderes, als aus der Schachtel heraus zu kommen. Vielleicht konzentrieren wir uns auf eine GoAheit auf dieser Ebene, und über die GoAheit versuchen wir, Zugang zu dieser Ebene zu erlangen und uns zu öffnen. Und dann kehren wir aus der Medita@on wieder in unsere Schachtel zurück, aber durch die Praxis nimmt alles, was wir sehen, die Gestalt der GoAheit an; alles, was wir hören, wird zum Mantra – wir versuchen also, diese Ebene in die Schachtel mit hineinzunehmen. Das ist die Praxis im Tantra und das öffnet die Schachtel.
Im Dzogchen versuchen wir, die Schachtel in die Weite zu integrieren. Wir versuchen nicht, die Dinge als GöAer oder Mantras zu sehen, als Form und Leere; wir sind nur einfach ganz entspannt und erlauben der Erfahrung, zu kommen und zu gehen. Wir integrieren unser Gewahrsein in die Leere und dann ist, was immer auch entsteht, einfach eine Erfahrung von Leere.
ZWEI FORMEN DER REINHEIT IM DZOGCHEN
Dieser Raum im Dzogchen, diese Leere – wobei: der Begriff “Leere” wird im Dzogchen nicht so viel verwendet, man spricht da eher von der wahren Natur; auf Tibe@sch heißt das ngo wo. Damit ist im Grunde der Zustand oder dasjenige gemeint, was da ist, wenn man nichts tut. Wenn alle Ak@vität endet, lösen sich sämtliche Konstrukte der Welt auf. Die Angst, die dadurch entsteht, löst sich auch auf, wenn wir in der Lage sind, uns wirklich zu entspannen – und dann ist alles Offenheit und weiter Raum. Dieser Raum ist unsere wahre Natur.
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KA DAG: ERSTE REINHEIT
Es heißt, dass diese wahre Natur von Anfang an rein ist. Sie heißt ka dag – das ist ein sehr wich@ger Begriff im Dzogchen. Von Anfang an rein. Immer rein. Das heißt, dass die Reinheit dieses Zustandes kein Konstrukt ist, sie wird durch nichts erzeugt. Er ist nicht deshalb rein, weil jemand ihn gerade gewaschen oder gereinigt hat. Er ist rein, weil er offen ist und so keine Verunreinigung aufnehmen kann. Das ist wirklich wich@g. Er kann nicht beschmutzt werden. Also egal, was passiert – die wahre Natur kann nicht verunreinigt werden.
Wenn wir nun in unserer kleinen Schachtel des Selbst leben, gibt es viele Dinge, die uns schmutzig machen können. Menschen können uns beleidigen, jemand kann uns einen Kübel mit Schweineblut über den Kopf kippen und wir würden dann ziemlich eklig aussehen. Dann würden wir uns vielleicht schämen. Oder wir werden von einer Krankheit befallen, die unser Gesicht mit lauter riesigen Beulen verunstaltet und uns deshalb furchtbar schämen. Es passiert uns sehr leicht, dass wir meinen, wir wären nicht so gut, wie wir sein sollten. Wir bekommen Falten, die Haare gehen uns aus, und wir denken: “Ach, ich bin nicht sehr aArak@v!” Wir sind weniger als wir sein sollten, und manche Menschen empfinden das als unrein. Wir verlieren unseren Job und haben kein Geld und denken: “Wie schlimm, ich kann mir das nicht leisten”, und wir fühlen uns ganz klein. Es gibt ganz viele Möglichkeiten, wie wir uns unrein, schlecht oder inakzeptabel fühlen können. Das geschieht, weil man unserer Schachtel Dinge hinzufügen oder wegnehmen kann.
Wenn man keine Schachtel hat, was soll man dann hinzufügen oder wegnehmen? Wenn wir den Himmel haben – was kann man dem Himmel hinzufügen? Ich spreche jetzt nicht von der Atmosphäre, sondern vom unendlichen Raum. Raum ist nichts als Raum. Man kann etwas in den Raum hineintun, aber es wird da nicht auf ewig bleiben. Man kann dem Raum nichts stehlen, weil man Raum nicht anfassen kann. Also kann man nichts hinzufügen und nichts wegnehmen – das ist die Bedeutung von „rein von allem Anfang an.“ Wenn nichts ihn beeinflusst, kann nichts ihn berühren. In der Dzogchen-­‐Lehre heißt es: das ist die eigentliche Natur des Geistes. Mit dem Ausdruck “Geist” ist hier die grundlegende noe@sche Fähigkeit gemeint; die Fähigkeit, gewahr zu sein. In diesem Gewahrsein, das selbst leer ist, können alle Arten von Gedanken, Gefühlen und Empfindungen entstehen.
Einer der Gedanken, der entsteht, lautet: “Ich denke”; also ist derjenige, der denkt, nicht dieses Gewahrsein selbst. Derjenige, der zu denken scheint, ist normalerweise eine Manifesta@on, die entsteht. Wenn wir also zu jemandem sagen: “Ich habe gestern an dich gedacht und mich gefragt...”, dann ist das ein Strom von Entstehendem, ein Fluss von entstehenden Gedanken. Wer ist derjenige, der denkt? Das ist das Gewahrsein. Das Gewahrsein ist keine Manifesta@on. Es ist vielmehr der Grund, aus dem jegliche Manifesta@on entsteht. Es wird oF mit einem Spiegel verglichen, in dem viele Dinge sichtbar werden, viele Eindrücke, viele Reflexionen, aber der Spiegel selbst wird von keiner Reflexion jemals zerkratzt oder verschmutzt. Ebenso wird der Geist von nichts verunreinigt, was in ihm auFaucht. Unsere Natur ist von Anfang an völlig rein. Das ist der Grund. DER GRUND IST UNWISSENHEIT
Nun, wir alle haben Unwissenheit geerbt und wandern hier in Samsara herum. Wir haben die drei Stadien der Unwissenheit mitbekommen: spontane Unwissenheit zu dem Zeitpunkt, da wir unseren natürlichen Zustand verlieren; Entwicklung von Unwissenheit durch Iden@fika@on, wenn wir alle möglichen Arten von Kategorien entwickeln; und driAens die Unwissenheit, die darin besteht, Karma nicht zu verstehen, wo wir einfach in der Welt herumgestoßen werden und nicht begreifen, warum die Dinge geschehen. Auf Grund der Macht dieser drei Arten von Unwissenheit flüchten wir in unsere kleine Schachtel, um uns dort zu verstecken. Wir wollen nicht zu viel nach draußen schauen, außer wir können etwas James Low © www.simplybeing.co.uk 108
stehlen, um unsere Schachtel ein bisschen bequemer auszustaAen. Aber im Grunde sind wir wie eine kleine Maus.
Kommentar: Wo ist die Verbindung zwischen diesem offenen Raum und dem karmischen Zustand?
James: Das meine ich – sie liegt in diesen drei Ebenen der Unwissenheit. Auf der ersten Ebene der Unwissenheit verlieren wir ihn. Auf der zweiten ist er verschwunden, aber anstaA zu sagen “Oh -­‐ da ist er ja!”... Das ist so, wie wenn ich meine Uhr hier weglege. Im Reden lege ich die Uhr hier hin und frage dann: “Wie spät ist es? Wo ist meine... Hey, wo ist meine...? Ach, verdammt! Ich glaube, ich habe sie im Zimmer vergessen. Ich gehe mal, sie zu holen.” So beginnt Unwissenheit. Ich häAe mich einfach umdrehen und sehen können: “Ah, da ist sie ja!”
Wenn ich das erkannt häAe, wäre ich wieder in den natürlichen Zustand zurückgekehrt, aber weil ich mich aufmache und die Uhr überall suche – in Wirklichkeit liegt die Uhr nicht einmal da, sie ist in meiner Tasche – also selbst wenn ich da hinübergehe und meine Uhr suche, häAe ich sie bei mir, aber ich sehe nicht, wo sie ist. Das ist die Verbindung. Und je mehr ich suche, desto verstörter bin ich und irgendwann lande ich da oben und jemand fragt mich: “Hey, magst du einen Drink?” und ich antworte: “Okay” und wir unterhalten uns und nach einer Weile frage ich mich, was ich da oben überhaupt wollte. Ich vergesse, dass ich jemals eine Uhr besessen habe. Kommentar: Und im Buddhismus?
Im Buddhismus vergisst man diesen ursprünglichen Zustand und nun, wenn man einmal in seiner Schachtel sitzt, beginnt man damit, Schachtel-­‐Zeug zu reden. Es ist auf dieser Ebene sehr selten, dass sich jemand fragt: “Exis@ert das wirklich?” Das ist sehr, sehr selten. Meistens erzählen die Menschen einem Dinge über ihre Schachtel. Sie möchten einem etwas aus ihrem Alltagsleben erzählen, von ihren Kindern oder mit wem sie Sex haben – was auch immer sie so treiben. Deshalb verstehen wir es nicht; auf diese Weise geht alles verloren und die Verbindung besteht darin, dass das immer in dem enthalten ist. Die Trennung besteht darin, dass wir das nicht erkennen. Wenn man das einmal begreiF, ist die Verbindung wieder da, weil sie immer vorhanden ist. Aber wenn man nicht hinsieht, wird man es nicht erkennen und dann wird diese Verbindung niemals zustande kommen – obwohl sie immer exis@ert; denn es handelt sich um eine Sache, die erfahren werden muss. Das ist es: es ist eine Erfahrungssache. Wir reden hier über jede Menge Konzepte, aber dieses Ding ist in Wirklichkeit eine Erfahrung. Eine Erfahrung ist etwas sehr einfaches, aber die Konzepte helfen uns, ein Gefühl dafür zu vermiAeln. Vor allem warum wir vorsich@g sein sollten, wenn wir diese ganzen Schachtel-­‐Kommunika@onen entwickeln. Heute üben wir ein wenig in der S@lle; wenn ihr also einen Impuls verspürt, etwas zu sagen, ist es sehr hilfreich, sich zu fragen: “Warum möchte ich das sagen? Was ist der Nutzen dieser Kommunika@on von Schachtel zu Schachtel?” Das ist sehr, sehr verlockend.
Vor allem: es sind auch viele Menschen beleidigt, wenn wir nicht auf diese Kommunika@on von Schachtel zu Schachtel eingehen – und so kommunizieren wir aus einem falsch verstandenen Mitgefühl heraus mit ihnen von Schachtel zu Schachtel und verlieren uns. Damit andere Menschen sich nicht abgelehnt fühlen, fahren wir in diesen unsinnigen Unterhaltungen fort und machen uns selber dumm. Dann haben sie sich nicht verändert und wir haben uns nicht verändert. Wenn wir uns ändern wollen, müssen wir unhöflich sein. Das ist eine Tatsache. Man muss Dinge tun, die James Low © www.simplybeing.co.uk 109
ein wenig seltsam anmuten. Jemand beginnt, sich mit uns zu unterhalten und wir sagen: “Augenblick, tut mir leid, ich will das alles nicht hören. Ich weiß nicht, warum du mir das alles erzählst.” Das wäre doch interessant. Es ist auch ein Geschenk. Warum erzählt diese Person uns alle diese Dinge? Jeder spielt da mit. “Ich erzähle dir meinen Unsinn aus meiner Schachtel, wenn du bereit bist, zuzuhören und dafür höre ich mir dann deinen an.” Wir tauschen Unsinn aus, von Schachtel zu Schachtel. Kommentar: Es ist sehr schwer, mit Menschen in Kontakt zu bleiben, wenn man das nicht tut.
James: Ja, ja. Wenn man medi@ert, kann man die Erfahrung machen, dass man mit Menschen in Verbindung ist, wenn man für sie betet. Yogis, die in Höhlen leben, sind trotzdem mit Menschen in Kontakt, weil sie in Wirklichkeit mehr an sie denken als die Menschen unten in den Dörfern, die herum tratschen. Wenn man wirklich an Menschen denkt, heißt man sie im Herzen willkommen; aber wenn man diese Kommunika@on von Schachtel zu Schachtel prak@ziert, denkt man meistens nur an sich selbst.
FLECKENLOSE REINHEIT: DIE ZWEITE REINHEIT
Jetzt werde ich noch ganz kurz die zweite Reinheit beschreiben. Die erste ist die ursprüngliche Reinheit. Die zweite wird die fleckenlose Reinheit genannt. Wenn wir die Erfahrung machen, dass wir hier unten in unserer Schachtel sitzen, haben wir große Angst davor, uns zu verunreinigen; aber natürlich haben wir bereits diese, wenn man so will, karmischen Flecken. In diesem Leben haben wir das Erbe unserer Familie und unsere Ängste und wir möchten anderen Menschen nicht weh tun. Wenn wir hier bleiben, könnte man das auch als eine Art Formgebung sehen – wir werden von der Welt geformt. In unserem Inneren und in unserem sozialen Handeln sind wir alle ein wenig verkrüppelt; wir sind nicht frei. Wenn wir diese Verkrüppelung spüren, fühlt sich das nach uns selbst an, deshalb wollen wir sie oF auch gar nicht aufgeben, weil wir sonst nicht wissen, wer wir ohne diese Verkrüppelung wirklich wären. Ein Mensch zu sein bedeutet in vielerlei Hinsicht, verkrüppelt zu sein.
Indem wir prak@zieren, kehren wir die drei Stadien der Unwissenheit um – also den Verlust des Gewahrseins, die Entwicklung des komplexen Denkens und unseren Rückzug in die Schachtel. Wir kehren diese Dinge um, indem wir durch den Sambhogakaya in den Dharmakaya gelangen und in diesem Augenblick, wenn wir einen Geschmack des Dharmakayas verspürt haben, kehren wir durch die Medita@on ins Nirmanakaya zurück – und erkennen, dass wir gleichzei@g auch rein sind, egal wie verkrüppelt wir sind.
„Rein“ heißt nicht, dass wir wie eine Art Mannequin aussehen. Man muss nicht schön sein, um erleuchtet zu sein. Diese Mode-­‐Ikonen, die alle so schön aussehen, sind ein bisschen eine Pest. Das dient dazu, die Menschen anzuregen. Yogis sind oF nicht so schön. Heutzutage kommt es immer wieder vor, dass Lamas, alte Lamas, wenn sie in den Westen kommen, ein künstliches Gebiss tragen. In Tibet haAen diese Lamas keine Zähne. Herunterhängende Kiefer und alles das. Sie haben sich auch nicht allzu oF gewaschen. Es geht nicht um Schönheit in diesem Sinn. Aber – wie auch immer wir sind, sind wir rein. Rein heißt soviel wie ungeboren, von der Beschaffenheit der Leere. „Rein“ ist nicht gleichzusetzen mit „gut“. Man kann rein und trotzdem gleichzei@g ein Scheißkerl sein. Man kann ein rich@ger Scheißkerl sein und trotzdem rein. Das ist die Realität. Von allem Anfang an ist alles rein; selbst Myra Hindley war von Anfang an völlig rein und auch Adolf Eichmann. Die schrecklichsten Menschen, die wir uns vorstellen können, sind von ihrem Wesen her von Anfang an völlig rein. Was sie schlecht gemacht hat, war, dass sie nicht erkannt haben, dass ihr Wesen von Anfang an rein war. Das ist der Grund, warum wir schlimme Dinge tun.
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Wenn wir erkennen, dass wir von Anfang an vollkommen rein sind, erkennen wir damit diese fleckenlose Reinheit und wir akzep@eren, dass wir rein sind, egal wie wir sind. An diesem Punkt hören wir auf mit dem Versuch, uns zu verändern. Wir hören auf, etwas anderes werden zu wollen. Indem wir die Reinheit dessen akzep@eren, wie wir sind, werden wir leichter, freier, spontaner und auf der Ebene der rela@ven Wahrheit reinigt uns allein das schon. Das ist die zweite Form von Reinheit – fleckenlose Reinheit. Das bedeutet: egal, wie beschmutzt die Dinge zu sein scheinen – wir erkennen, dass sie fleckenlos rein sind. Die Flecken, die entstehen, sind Flecken der Beurteilung einer Subjekt/Objekt-­‐Wahrnehmung. Das heißt nicht, dass wir einfach tun, was wir wollen. Wenn wir uns an die Geschichte des reichen jungen Mannes erinnern, der zu einem Dämon wurde, heißt das nicht, dass wir tun sollen, was immer uns in den Sinn kommt. Es bedeutet vielmehr, zu erkennen, dass alles rein ist – was immer auch geschieht. Das heißt: es ist leer. Das bedeutet: es ist kein Ding, sondern ein Prozess, der entsteht, sich manifes@ert, entsteht, sich manifes@ert – dann lassen wir uns davon nicht so sehr beunruhigen. Wir wissen: es ist vergänglich, es ändert sich. Wenn gute Dinge kommen, kommen sie. Wenn schlimme Dinge kommen, kommen sie. Es ist ganz egal – sowohl die guten als auch die schlechten Dinge werden wieder gehen. Wenn man Raum hat, kann man Prozesse zulassen. Wenn man keinen Raum hat, kann man das nicht. Während der großen WeltwirtschaFskrise, die 1929 begann, war die deutsche WirtschaF in sehr schlechtem Zustand. Wenn man sehr arm war, war das Leben sehr, sehr schwierig. Ein Laib Brot kostete zwanzig Millionen Mark oder so etwas. Sehr, sehr schwer. Aber wenn man reich war und Landbesitz haAe, oder wenn man ein preußischer General war, konnte man seine LebensmiAel selbst anbauen. Und obwohl die Zeiten schwer waren, fühlte man den Druck nicht so stark, weil man Raum haAe und eine hohe Mauer um das eigene Land, und eigene NahrungsmiAel, eigenes Obst und eine eigene Kuh. Wenn man Raum hat, kann einem der Druck nicht zusetzen. Das ist wirklich sehr wich@g. Aber wenn wir arm sind, geraten wir unter Druck. Was wir also hier versuchen, ist, nicht arm im Geiste zu sein. Menschen, die in Schachteln leben, sind arm im Geiste, weil sie sehr dünn sind. Sie sagen: “Das bin nur ich, ich, ich.” Während wenn wir hinausgehen, medi@eren und uns mit dem Himmel verbinden können, sind wir sehr reich, selbst wenn wir kein Geld in der Tasche haben, weil uns die ganze Welt gehört. Wenn ein Vogel ruF, ruF er für uns. Wenn eine Blume blüht, erfüllt uns das mit Glück. Alles macht uns glücklich, alles macht uns traurig. Wenn wir schreckliche Dinge im Fernsehen sehen, weinen wir. Wir sind völlig offen gegenüber allem, was passiert. Und das heißt, dass wir nicht nur in unserer Schachtel sitzen, sondern sie integrieren.
Kommentar: Als du vorhin von der Verkrüppelung der Persönlichkeit gesprochen hast, musste ich daran denken, dass du einmal gesagt hast, dass man Mut braucht. Und ich musste an die Zensur im Geiste denken. Dass man manchmal intellektuell über solche Ideen nachdenkt, aber ihnen wirklich zu erlauben, da zu sein – sich selbst als Buddha vorzustellen, alle diese wirklich weit ausladenden Gedanken – ich stelle fest, dass es da einen Aspekt gibt, der das eindeu@g nicht zulassen will. Ist das jetzt eine Frage des Karmas oder hat das mit dem Sozialisa@onsprozess zu tun, dass man sich nicht gestaAet, über die Ideen der Gruppe hinauszudenken? Und in Verbindung damit war die Vorstellung von verunreinigenden Gedanken. Dass wenn man seinen Geist öffnet, wenn man den Zensor besei@gt, Gedanken auFauchen können, die vielleicht sehr gefährlich sind. Diese Idee gibt es auch. Ich glaube nicht, dass das nur meine Vorstellung ist, oder?
James: Soziale Kontrolle ist Karma; von diesem Standpunkt aus betrachtet ist also alles Karma. Die Einschränkungen, die wir haben, sind unsere Einschränkungen. Wenn unsere MuAer etwas zu uns sagte oder ein Lehrer uns angeschrien hat und wir uns deshalb ängs@gten, dann war das unsere Furcht; es ist unser Karma, diese Angst zu haben. Zu sagen, es sei von ihnen gekommen, hilF uns nicht wirklich. Die Tatsache, dass wir und nicht unser James Low © www.simplybeing.co.uk 111
Sitznachbach angeschrien wurden – das ist unser Karma. Was immer wir auch für Sozialisierungsdruck mit uns herumtragen – das ist unser Glück oder Pech; und auf dieser Ebene der Resultate ist Karma im Prinzip einfach Glückssache. Das Glück, das wir haben; das, was uns passiert. Jedem Menschen widerfährt etwas anderes. Das ist es, womit wir uns auseinandersetzen müssen. Der springende Punkt ist: Was immer auch geschieht – wenn du erkennst, dass es seinem Wesen nach rein ist, ist es in Ordnung. Wenn du das nicht kannst, wird es schwierig. Wenn du dich selbst belügst, indem du denkst, du würdest erkennen, dass es rein ist, obwohl es das nicht ist, kommst du in Teufels Küche – wie in der Geschichte von dem reichen jungen Mann. Während wenn du wirklich die Erfahrung machst, dass alles rein ist, wird dich nichts von dem, was entsteht, mehr beunruhigen.
Kommentar: Aber wenn da ein Zensor am Werk ist, ist es schwer, diese Erfahrung zu machen, oder? James: Aber der Zensor ist nichts anderes als dein Karma. Der Zensor ist eine Idee. Wenn du also Vorstellungen anhaFest, bist du dein eigener Zensor. Wenn du auyörst, diesem Zensor anzuhaFen, wird er sich einfach auflösen. Der Zensor exis@ert nicht in alle Ewigkeit, er ist eine Manifesta@on. So wie viele Menschen in ihrem Inneren eine kri@sche S@mme haben, die ihnen sagt: “Du bist sehr dumm” oder “Warum hast du das gesagt?” Man spricht etwas aus und im Nachhinein spürt man es manchmal im ganzen Körper. Dieser innere Kri@ker ist einfach ein Gedanke, der sich manifes@ert. Das ist alles. Aber er wirkt sehr real und wenn du drüber nachdenkst, entdeckst du auch, wo er herkommt – von einem Elternteil oder einem Lehrer oder von wem auch immer. Dann erhält er fast eine Art anthropomorpher Gestalt und scheint wie eine innere Person zu sein, die zu uns spricht und die Wahrheit sagt. Das ist nur ein Gedanke, der entsteht. Wenn du dem Gedanken Folge leistest, wird dieser Gedanke real. Wenn du den Gedanken sein lässt, wird er von selbst vergehen. Jedes Mal, wenn du deinem inneren Kri@ker Glauben schenkst, jedesmal, wenn du deiner inneren S@mme glaubst, die sagt, du kannst nicht malen oder singen oder du bist dumm oder zu dick oder hässlich, wie immer deine persönlichen Dämonen auch aussehen, jedes Mal, wenn du dem zuhörst und es glaubst, verstärkst du es. Wenn du es dir anhörst, es nicht glaubst und dir einfach sagst: “Ach, heute habe ich wieder komische Gedanken”, dann wird es allmählich schwächer. Wir verstärken diese Dinge, weil – und das geht jetzt wieder auf eine buddhis@sche Grundidee zurück – alles vergänglich ist. Wenn du glaubst, dass der Zensor oder Kri@ker von Dauer ist, bist du ein Idiot und wenn du ein Idiot bist, leidest du. Gib niemandem anderen die Schuld. Wenn das so ist...
Kommentar: ...geht man vielleicht zum Therapeuten.
James: Das würdest du in der Therapie tun? Ja, aber Therapie ist etwas anderes als der Dharma. In der Therapie versucht man, herauszufinden, was diese Dinge wirklich sind, sodass man sie beschreiben kann. Aus buddhis@scher Sicht sind sie alle vergänglich. Und wenn man Vergänglichkeit begreiF... Wenn man beginnt, diese Dinge real und wahr und aus sich selbst heraus existent zu machen, dann ist man jedes Mal, wenn diese S@mme sich meldet... dann ist man gefangen in der Trennung von Subjekt und Objekt; das Objekt ist real und aAackiert das Subjekt. Das ist seine Funk@on; wenn man sich also daran erinnert, dass alles vergänglich ist, kann man sich entspannen und es geht von selbst. Wenn du dich entspannst, geht es einfach. Wenn du dich nicht entspannst... Das ist wie ein Kind, das geimpF werden soll; es verkrampF sich völlig, die Muskeln im Arm werden ganz hart und wenn die Nadel dann s@cht... Autsch! Die Schwester sagt: “Hör mal, entspann’ dich, entspanne dich einfach, wenn du dich entspannst, geht die Nadel rein und wieder raus.”
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Kommentar: Diese Fünf GiFe, die wir in gewisser Weise überwinden müssen, haben die dieselbe Funk@on wie der Zensor?
James: Ja. Allerdings ist es oF so, dass die Fünf GiFe auf der Objekt-­‐Seite in deine Psyche Eingang finden. In deiner Medita@on gibt es sowohl Subjekt als auch Objekt. Es ist nicht so, dass ich das Subjekt bin und du das Objekt. Subjekt und Objekt liegen beide auf dem Pfad der Erfahrung. Manche Gedanken entstehen als Objekte, wenn man sich beispielsweise selbst beschimpF: “Verdammt, das habe ich vergessen!“ – diese Art von Gedanken. Das ist wie wenn der Gedanke als Objekt das Subjekt aAackiert. Es gibt aber auch Gedanken wie: “Ah, das häAe ich gern!” Das ist ein Gedanke, der als Subjekt entsteht und einem Objekt gilt. Die Fünf GiFe können beiden Arten von Gedanken innewohnen. Die Fünf GiFe sind so etwas wie die Ges@mmtheit, die Tönung oder Färbung deiner Gedanken. Natürlich gibt es verschiedene Möglichkeiten, damit umzugehen. Wenn wir beispielsweise die Atem-­‐Medita@on machen und versuchen, unsere Aufmerksamkeit auf unseren Atem zu konzentrieren, ist die Anleitung immer dieselbe. Wenn du merkst, dass dein Geist umherwandert, werde dir dessen bewusst und bringe ihn sanF wieder zurück. Mach’ dir keine Vorwürfe. Was du da entwickelst, ist ein beobachtendes Selbst, und das ist der Beginn des Gewahrseins. Das ist etwas anderes als das kri@sche Selbst. Wenn du dir jedes Mal, sobald du vom Medi@eren abkommst, denkst: “Ach, Scheiße! Verdammt!” ist das nicht hilfreich. Ein beobachtendes Selbst ist nicht kri@sch. Wenn du das Glück haAest, in freundlichen, unterstützenden Umständen aufgewachsen zu sein, wirst du ein beobachtendes Selbst haben, weil auf einer Ebene ist dieses beobachtende Selbst die Internalisierung der MuAer, die dich mit Liebe und Zuwendung ansieht. Die MuAer beobachtet das Baby und sieht, was lost ist. Ein beobachtendes Selbst gewährt den Dingen Raum, sich zu enƒalten. Ein kri@sches Selbst versucht, den Raum zu befes@gen. Das kri@sche Selbst verschärF die Fünf GiFe; ein beobachtendes Selbst ist neutral. Es kann die Fünf GiFe nicht auflösen, aber es wird beginnen, die Idee von Weite zu vermiAeln. Im Dzogchen lösen wir darauyin das beobachtende Selbst auf; wenn das beobachtende Selbst sich also ins Gewahrsein hinein entspannt – wenn man will, miAels dieser drei Ebenen der Unwissenheit – entwickelt man zuerst ein involviertes Selbst, dann ein beobachtendes Selbst und schließlich ein Selbst, das gewahr ist. Die meisten Menschen müssen durch diese drei Stadien hindurchgehen. Es ist eine sehr „hohe“ Vorstellung, wenn man so will, ob man von einem ver@eFen, involvierten Selbst direkt zum Gewahrsein übergehen kann. Meistens muss man zuerst eine Art beobachtendes Selbst entwickeln; das ist der Grund, warum wir gewöhnlich mit dem Sitzen in der S@lle beginnen. Einfach, um uns ein wenig herauszuholen.
DIE DREI Aa: siehe auch Anhang 11
Aa steht für die Leere, es repräsen@ert ka dag, die ursprüngliche Reinheit. Alles entsteht daraus und kehrt dorthin zurück. Das gesamte Universum entsteht aus dem Aa und geht wieder dahin zurück.
Wenn wir das Aa drei Mal rezi@eren, erlauben wir der Offenheit des Herzens und der Offenheit des Raumes vor uns, sich in ihrer Nicht-­‐Unterschiedlichkeit zu offenbaren. Wir medi@eren mit offenen Augen, nicht weit offen und starrend, sondern mit einem Blick, der einfach sanF in einer miAleren Distanz im Raum ruht.
In diesem Zustand lassen wir alle Gedanken, die aufsteigen, einfach kommen und gehen. Was immer auch kommt, Dinge, die hier oder da auFauchen: trennt nicht Subjekt vom Objekt, trennt nicht das Selbst vom Raum. Was auch immer kommt, lasst es kommen und James Low © www.simplybeing.co.uk 113
dann auch wieder gehen. Es ist ganz egal, was da auFaucht. Das Wich@gste ist, sich soweit zu entspannen, dass es auch wieder gehen kann. Wenn gute Gedanken auFauchen, bleibt nicht an ihnen haFen; wenn schlechte Gedanken auFauchen, versucht nicht, sie wegzuschieben. Alles wird sich letzten Endes selbst befreien.
[Medita@on]
PHAT! siehe auch Anhang 12
Wir üben jetzt wieder mit den drei Aa, aber diesmal wenden wir auch das Phat! an.
Phat! ist eine Silbe, mit deren Hilfe wir Gedanken abschneiden, die uns vernebeln und verwirren. Wir benützen die drei Aa, um uns zu entspannen und versuchen danach, dieses offene, sonnengleiche Gewahrsein beizubehalten. Es ist, als würde unser Geist den Sonnenstrahlen gleichen, die in alle Richtungen strahlen und alles ist ganz klar. Dann werden wir in unsere Gedanken hineingezogen und dadurch werden sie wie Wolken, die die Sonne verdecken und wir werden ganz dumpf und stumpf. Wenn wir spüren, dass das beginnt, rufen wir einfach Phat! Versucht, diesen Klang von einem Punkt knapp unterhalb eures Nabels ganz gerade aufsteigen und an eurem Scheitel herauskommen zu lassen. Der Klang sollte laut und intensiv sein, damit wir uns durch den Schock in die Aufmerksamkeit katapul@eren. Wir zerstören alles und entspannen uns dann wieder. Wir rufen Phat! und alles befreit sich von selbst. Verwickelt euch nicht in das Phat! Das hilF nichts. Schafft euch einfach selbst beiseite. Dann bleibt weiterhin entspannt und offen.
Wenn ihr abschaltet, ruF einfach Phat! Es soll kurz, scharf und klar klingen; deshalb bewegt sich euer Körper dabei ein bisschen. Man muss darüber nicht nachdenken. Es braucht vielleicht ein wenig Zeit, sich daran zu gewöhnen, aber wenn man einmal damit vertraut ist, kommt der Klang ganz von selbst heraus – als würdet ihr niesen.
[Medita@on]
Entspannt euch ein paar Minuten und dann machen wir es noch einmal. Bei dieser Art von Praxis ist es gut, eine kleine Pause zu machen, wenn man müde wird. Das ist für den Geist eine ganz ungewohnte Art des Daseins; wir sind normalerweise nicht in so einem Zustand, also übt es fünf oder zehn Minuten lang, macht eine kurze Pause und versucht es erneut. Forciert es nicht. Wenn ihr forciert, seid ihr nicht in der Praxis, sondern verstärkt bloß die Dualität.
[Medita@on]
Wenn ihr einmal einen Geschmack von der Erfahrung habt, könnt ihr euch einfach in den Aus-­‐Atem hinein entspannen. Diese Art der Praxis ist ganz einfach. Man kann das jederzeit tun. Man muss weder das Aa laut sagen, noch Phat! benutzen. Man atmet einfach aus – niemand muss wissen, was ihr gerade macht. Man kann das in jeder Art von Raum üben, bei der Arbeit oder in einer Bar – wo immer man mag.
Es wird einem dann nie mehr langweilig sein, weil man immer etwas zu tun hat. Für mich ist das bei Dharma-­‐Events immer sehr interessant zu beobachten: wenn beispielsweise Lamas daran teilnehmen, wirkt es immer so, als würden sie sich verspäten. Die Menschen stehen herum und warten darauf, dass “der Dharma” beginnt; sie schauen ein bisschen gelangweilt drein und denken: “Das ist nicht Dharma”. James Low © www.simplybeing.co.uk 114
In jeder Situa@on, in der wir das Gefühl haben, dass gerade nichts passiert, sollten wir an diesem „Nichts“, das gerade geschieht, interessiert sein, denn für Buddhas ist „Nichts“ besser als „Etwas“! Wir müssen niemals mehr die Zeit totschlagen.
Wenn das Leben gerade etwas langweilig oder deprimierend ist, kann man sich einfach mit dem Aa entspannen und die eigene Erfahrung in den Raum einbeziehen. Man muss sie nicht wegschieben, man kann einfach mit ihr anwesend sein.
Wir machen diese Medita@on mit geöffneten Augen, hier, in diesem Raum, völlig entspannt. Wir trennen die Medita@on nicht vom Raum, wir medi@eren hier im Raum, mit dem Raum. Der Raum ist Teil der Medita@on; die anderen Menschen sind Teil der Medita@on.
Versucht, am Ende der Medita@on, wenn wir zu anderen Ak@vitäten übergehen, diesen Geschmack beizubehalten – egal, was wir tun.
[Medita@on]
BESONDERHEIT
In Tibet gibt es unzählige unterschiedliche Prak@ken für die verschiedensten Arten von GöAern, aber die tantrischen Prak@ken sind immer mehr oder weniger gleich. Entweder ist die GoAheit vor uns und löst sich in uns auf oder man selbst löst sich in der GoAheit auf, oder man wird zur GoAheit. Es gibt kaum andere Möglichkeiten. Obwohl diese Prak@ken angeblich ganz unterschiedlich sind und es sie in verschiedenen Abstammungslinien gibt, sind sie einander strukturell gesehen sehr ähnlich. Eine Praxis auf struktureller Ebene zu sehen, hat in Tibet allerdings kaum Tradi@on, also werden sie viel häufiger aus der Sicht von Abstammungslinien und ihrer Wirkung präsen@ert. Jemand sagt: “Mein Lehrer hat mir das beigebracht und ich möchte dir auch zeigen, wie das geht – es ist etwas sehr Außergewöhnliches und sehr kostbar, weil mein Lehrer mir sehr wich@g ist.” Das ist die tradi@onelle Sprache innerhalb der Praxis. Also sagt man: “Ich kenne eine ganz spezielle Praxis.” Diese Praxis ist sehr speziell oder sie ist für diese Menschen sehr speziell, und schon sind wir wieder beim Thema von subjek@ver und objek@ver Wahrheit. In puncto Struktur der Praxis gibt es kaum Unterschiede. Es gibt aber einen Punkt, der für uns hier im Westen bedeutsam ist – und zwar, wie wir den Begriff des “Besonderen/Speziellen” verstehen, insbesondere im Zusammenhang mit Objekten. In London werden beispielsweise die Kronjuwelen im Tower of London au|ewahrt – ich glaube, sie sollen woanders untergebracht werden, aber noch sind sie dort. Da sind also diese sehr speziellen Gegenstände, vor allem das Krönungsdiadem des Königshauses. Wenn jemand König oder Königin von England wird, setzt man ihm oder ihr diese Krone auf. Diese Krone wird niemals von jemandem anderen getragen – nur vom König oder der Königin; und wenn die Menschen diese Krone sehen, denken sie: “Oh, das ist etwas ganz Besonderes!” Was ist so Besonders an dieser Krone? Worin genau liegt diese Besonderheit? Diese Krone ist Form und Leere. Die Besonderheit liegt in der Art von Gedanken, die die Menschen im Bezug auf sie haben, in ihren Assozia@onen. Teil des Entstehens in gegensei@ger Abhängigkeit der Krone ist nicht nur die Tatsache, dass sie aus sehr kostbaren Materialien hergestellt wurde, sondern dass sie eine Geschichte hat, dass sie auf den Köpfen von ganz bes@mmten Menschen gesessen ist, dass sie von bewaffneten Wächtern gesichert wird – die ganze Situa@on zeigt die Besonderheit dieses Gegenstandes an. Aber in Wirklichkeit ist es nichts als Form und Leere.
Wenn wir mit der Erkenntnis von Form und Leere hinsehen, ist gar nichts besonders. Wenn James Low © www.simplybeing.co.uk 115
wir die Dinge aus einem anderen Blickwinkel betrachten, sind manche viel spezieller als andere. Im @be@schen Buddhismus bewegen wir uns die ganze Zeit von der einen Sichtweise zur anderen; also ist eine besondere Lehre eine, die für jemanden „besonders“ ist. Ob sie tatsächlich etwas Besonderes ist oder nicht – woher wollen wir das wissen?
Die Besonderheit ist in das System der Übertragung eingebaut. So wie manche Lamas eine Statue oder einen Gegenstand besitzen, der angeblich einmal Padma Sambhava gehört hat oder von Milarepa benutzt wurde – deshalb wird er sorgsam eingewickelt und nur hie und da ausgepackt und wenn man großes Glück hat, berühren sie damit unseren Kopf und wir denken dann: “Ah, ich habe diese ganz besondere Segnung erhalten!” Oder man fährt nach Sri Lanka oder nach Sarnath, wo sie Reliquien des Buddha au|ewahren und wenn eine reiche Person dorthin kommt und Geld spendet, wird der Behälter geöffnet und man kann diese Reliquie des Buddha sehen.
IM HERZEN DER WELT IST DER BUCHSTABE AA
Eine solche Besonderheit kann auf viele Weisen entstehen. Worauf es ankommt, ist das, wozu sie benutzt wird.
Besonderheit ist eine Methode. Nichts ist „besonderer“ als irgendetwas anderes, weil die Dharma-­‐Texte, obwohl sie sich in vielem anderen widersprechen, diesbezüglich alle das gleiche sagen: im Herzen der Welt sitzt der Buchstabe Aa – alles ist Leere. Wenn die Menschen das nicht glauben, haben sie nichts mit @be@schem Buddhismus zu tun. Das ist die Grundlage. Wenn alles Leere ist, hat alles denselben Wert. Darum ist die vierte der fünf Weisheiten: nyam nyid yeshe, die Weisheit der Gleichwer@gkeit – alles hat den gleichen Wert.
Besondere Belehrungen, besondere Statuen, besondere Lehrer sind immer nur besonders im Kontext unserer Beziehung zu ihnen; und die Frage ist, ob man diese Beziehung auf hilfreiche oder nicht hilfreiche Weise nutzt. Man könnte sie dazu verwenden, das eigene Ego aufzublasen – oder dazu, die Hingabe an die Praxis zu ver@efen; aber objek@ve Wahrheit und subjek@ve Realität sind nicht das Selbe. Aus buddhis@scher Sicht hat alles objek@v gesehen denselben Wert, weil es Leere ist. Alle fühlenden Wesen haben denselben Wert und sollten respek@ert werden. Alle Lebewesen haben Buddha-­‐Natur. Wenn wir uns vor dem Guru verbeugen, sollten wir uns auch vor allen anderen verbeugen, weil wir uns vor der Buddha-­‐
Natur im Guru verbeugen. Einer der Gurus von C. R. Lama verbeugte sich vor jedem Menschen, den er traf und das ist gar keine unübliche Tradi@on, weil alle Menschen Buddha-­‐
Natur haben. Jemand, der sich gerade in einem Höllenbereich auyält, hat eine Buddha-­‐Natur, die auch nicht schlechter war als die des Karmapa oder von Padma Sambhava. Die Buddha-­‐Natur eines jeden Menschen hat dieselbe Beschaffenheit. Bei manchen kommt sie deutlicher zum Vorschein als bei anderen, aber dasjenige, dem man Respekt zollt, ist diese Buddha-­‐Natur. Es ist in diesen hierarchischen, patriarchalen Systemen außerordentlich wich@g, nicht subjek@ve Erfahrung mit objek@ver Realität zu verwechseln; denn aus buddhis@scher Sicht ist die objek@ve Erfahrung von Realität, wenn die subjek@ven Assozia@onen einmal aufgelöst wurden, dass alles gleich ist, das Selbe in seiner Beschaffenheit aus Leere. Das Wesen einer jeglichen Manifesta@on ist iden@sch – egal, wie unterschiedlich sie sich auch präsen@eren mag. Das ist die Sichtweise des Dharma. Wenn wir glauben, ein Mensch sei besser als ein anderer, ist das unsere subjek@ve Meinung. Das kann für unsere Praxis nützlich sein, aber es ist eine Erkenntnis des Weges, nicht eine des Resultats. Wenn man den Weg mit dem Resultat verwechselt, geht man verloren.
Das ist der Grund, warum diese poli@schen Auseinandersetzungen zwischen Karmapa und James Low © www.simplybeing.co.uk 116
Sharmapa und vielen anderen Menschen – ich nenne diese Namen nur, weil sie euch vertraut sind – aber ganz viele dieser Dharma-­‐Zwis@gkeiten entstehen, weil die Menschen vergessen, dass Lamas dazu da sind, den Menschen zu dienen; und ob sie wundervoll sind oder nicht, ist meistens eine subjek@ve Meinung. Wir brauchen unsere subjek@ven Meinungen, aber eine subjek@ve Meinung ist und bleibt subjek@v. Die Tatsache, dass ich etwas mag, heißt noch lange nicht, dass es gut ist – es heißt nur, dass ich es mag.
Ich glaube, wir müssen mit diesen Themen sehr vorsich@g umgehen. Was ich da sage, ist keine sehr populäre Ansicht, aber sie ist bei mir sehr populär, weil ich sie schon seit langem vertrete!
Kommentar: Um auf die Besonderheit zurückzukommen: Manche Menschen können Auren und Energiefelder von Menschen und Orten sehen, wo bedeutende Wesen prak@ziert haben. Kannst du das erklären?
James: Wer weiß? Ich habe einmal eine Geschichte von Namkhai Norbu gehört. Als er ein junger Mann war, studierte er gemeinsam mit seinem Lehrer einen Text; in diesem Text ging es um die Wesensbeschaffenheit großer BodhisaAvas und Buddhas – unter anderem war darin zu lesen, dass ihre Körper nach Rosen riechen und selbst ihre Scheiße nach Rosen duFet. Am Abend ging Namkhai Norbu also zur ToileAe seines Lehrers und stocherte mit einem Stecken drin herum... Aber seine Erfahrung war: “Das riecht wie Scheiße!”
Ich habe selbst nie Auren gesehen, also kann ich dazu nichts sagen. Ich weiß, dass es manchen Menschen sehr wich@g ist, dass man nicht auf ihrem Kissen sitzt, aber wenn jemand ein sehr machtvolles Kissen häAe, könnte derjenige damit ja Geld verdienen, oder? Jeder Guru könnte fünf Minuten lang auf diesem Kissen sitzen und dann könnte sich jemand anderer draufsetzen und die Schwingungen aufsaugen! Das ist natürlich keine neue Idee – die Menschen machen das schon lange Zeit so. So werden beispielsweise Teile des “echten Kreuzes” angepriesen; das zu behaupten, potenziert die spezielle Energie.
Vielleicht erzählt uns jemand, dass er eine kleine Kapsel an einer KeAe um den Hals trägt, in der er etwas Spezielles au|ewahrt – vielleicht eine Haarlocke... Es ist ganz egal, ob das eine Locke deines Liebsten oder des Guru Rinpoche ist. Wenn man dran glaubt, wird uns das glücklich machen.
Die Menschen sprechen symbolische Sprachen und verwechseln das mit einem wortwörtlichen Diskurs. Infolgedessen können sie das Wörtliche und das Symbolische nicht mehr von einander unterscheiden; und wenn dann auf der Welt etwas passiert, was nicht gut ist – beispielsweise jemand benimmt sich schlecht – ist die einzige Möglichkeit für sie, einen Sinn darin zu erkennen, es ins SymbolhaFe zu übersetzen und zu sagen: “Das war ein Segen” oder “Das war eine Lehre”. Wenn man also irgendwie übers Ohr gehauen wird, sagt man: “Das war eine Lehre”. Natürlich ist es eine Lehre! Es lehrt uns, wie wir uns übers Ohr hauen lassen! Wenn man ein vernünFiger Mensch ist, lehrt es uns das. Wenn man nicht vernünFig ist, glaubt man, dass das eine echte Lehre war; hau’ mich doch erneut übers Ohr!
Kommentar: Die Ereignisse, die uns so besonders vorkommen, scheinen wirklich etwas Besonderes zu sein, beispielsweise wenn wir einen Segen empfangen; aber in Wirklichkeit ist das alles nur Form und Leere?
James: Genau. Die Tatsache, dass es keine objek@ve Wirklichkeit gibt, macht es zu einer subjek@ven Erfahrung. Und das ist ein ganz entscheidender Punkt im Hinblick auf Dogma@smus – denn Dogma@smus entsteht, wenn man aus einer subjek@ven eine objek@ve Wahrheit macht. Nur deshalb, weil etwas für dich wahr ist, heißt das noch lange nicht, dass das auch für irgendjemanden anderen gilt. Das ist ein ganz wich@ger Punkt, über den wir James Low © www.simplybeing.co.uk 117
nachdenken sollten. Es ist zu hoffen, dass wir alle einen Nutzen aus den Dingen ziehen, die wir tun und etwas von ihnen lernen, sodass es hilfreich sein kann, wenn wir sie als etwas Besonderes empfinden und darüber nachdenken, weil es uns vielleicht ermuntert oder daran erinnert, mehr zu prak@zieren. Aber wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass die Besonderheit von der Art der Beziehung abhängt und nicht notwendiger Weise im Objekt beheimatet ist. Sonst sitzen wir, wenn das Objekt sich ändert, in der Falle.
Der Buddha sagte, dass alles vergänglich ist und das ist etwas, was wir tatsächlich beweisen können. Das Benehmen der Menschen ändert sich im Laufe der Zeit, Verhalten ändert sich. Eine interessante Frage wäre: gibt es @be@sche Lamas, die an Alzheimer leiden? Wir haben das nicht erforscht, aber überall auf der Welt leiden die Menschen unter degenera@ven Alterserkrankungen und es gibt innerhalb der @be@schen Geschichte gewisse Hinweise, dass manche Menschen aus unterschiedlichen Gründen von der Öffentlichkeit abgeschirmt wurden. Obwohl der alte Yogi, der seine Mantras murmelt, sich vielleicht mit dem Dharmakaya vereinigt hat, murmelt er vielleicht auch deshalb, weil er unter einer degenera@ven Krankheit leidet. Das ist Realität. Es hat noch niemand neurologische Untersuchungen durchgeführt, also wissen wir es nicht. Es ist ein schrecklicher Irrtum, Glauben und Vertrauen mit Fantasie zu verwechseln. Im Dharma geht es um die Realität.
Ich habe gerade eine Arbeit eines Kollegen gelesen, einem Professor der Psychiatrie in London, der in Hai@ Forschungen betrieben hat. Wie ihr vermutlich wisst, gibt es in Hai@ diesen Zombie-­‐Kult. Er fuhr also in seiner Funk@on als Psychiater dorthin. Er hat eine Menge über afro-­‐karibische geis@ge Erfahrungen publiziert, also untersuchte er eine ganze Reihe von Menschen, die als Zombies angesehen wurden. Man wird ein Zombie, weil jemand einem den Geist s@ehlt. Er fand dabei heraus, dass einer dieser Menschen ein Au@st war, ein anderer einen angeborenen Gehirnschaden haAe, zwei liAen unter einer degenera@ven Hirnerkrankung und einer haAe einen Schlaganfall erliAen. Eine ganze Reihe von Fällen konnte mit einer viel klareren westlichen Diagnose erklärt werden.
Unterschiedliche Kulturen interpre@eren Phänomene auf unterschiedliche Weise; und als Menschen aus dem Westen kann es uns sehr leicht passieren, dass wir die Symbole und Interpreta@onen anderer Kulturen missverstehen. Und obwohl wir respek@eren können, was Tibeter, Chinesen oder andere Menschen sagen, müssen wir auch unseren eigenen Zugang zu diesen Dingen respek@eren. Das hat eine direkte Verbindung zum Dzogchen, denn der Weg des Dzogchen sagt: “Beobachte dich selbst.” Wenn man dumm und ignorant ist, kann man sich nicht selbst beobachten. Wenn man glaubt, dass man etwas anderes ist als alle anderen Menschen, oder dass man selbst der Höchste oder der Niedrigste von allen ist, wenn man von solchen Annahmen ausgeht, kann man Dzogchen nicht prak@zieren, weil Dzogchen bei der Beobachtung der eigenen Annahmen ansetzt. Wenn wir annehmen möchten, dass unser Guru erleuchtet ist, ist das eine Annahme. Es ist eine Annahme, die von der @be@schen Kultur unterstützt wird, aber es ist trotzdem nur eine Annahme. BETRACHTE DENJENIGEN, DER DENKT
Dzogchen lehrt uns, denjenigen zu beobachten, der die Vermutung anstellt. Es ist einerseits, auf einer rela@ven Ebene, sehr wich@g, Vertrauen zu haben, zu glauben und zu beten und alle diese Dinge zu fühlen, aber gleichzei@g ist derjenige, der fühlt, ein Subjekt im Verhältnis zu Objekten. Das ist eine gereinigte Form der rela@ven Wahrheit, aber es ist keine absolute Wahrheit. Es ist eine Methode. Lasst uns dazu eine kleine Übung machen. Eine der zentralen Prak@ken liegt darin, zu versuchen, uns nicht in das hineinziehen zu lassen, was in unserem Geist gerade auFaucht. Gedanken, Gefühle, Empfindungen tauchen auf und mit ihnen sehr oF das Gefühl: “Ich mache diese Erfahrung” oder “Das geschieht gerade mit mir”. Ich sitze vielleicht gerade hier James Low © www.simplybeing.co.uk 118
und denke: “Wann geht denn mein Flugzeug?” Dieser Gedanke taucht auf und gleichzei@g damit das Gefühl: “Wann geht das Flugzeug”. Dieses Gefühl macht es zu meinem Gedanken. Ich stelle nicht fest: “Aha, ich habe gerade einen Gedanken”, sondern ich bin in dem Gedanken “Wann geht das Flugzeug?” Ich werde gewissermaßen zugleich mit diesem Gedanken geboren. Das Selbst reitet auf diesen Gedanken und findet in ihnen vorübergehend eine Heimat. Es fällt dem Selbst sehr leicht, von einem Gedanken oder Gefühl zum nächsten zu springen. Es springt andauernd herum.
Wir versuchen also, denjenigen anzusehen, der den Flugzeug-­‐Gedanken hat. Wir öffnen einen winzigen Spalt, in dem wir die Beschaffenheit desjenigen, der auf diese Weise tä@g ist, in Frage stellen und wenn wir einen Geschmack dieses Gewahrseins gewonnen haben, versuchen wir, dabeizubleiben. Das ist eine ziemlich knifflige Angelegenheit, weil unser Selbst-­‐Gefühl die meiste Zeit mit den Gedanken, die auFauchen, verschmilzt. Wir versuchen jetzt, nur einen ganz kleinen SchriA zurückzutreten und gewahr zu sein. Aber wenn wir einen SchriA zurück tun, verschwindet deshalb noch lange nicht das Objekt. Denn hier bin ich als Subjekt und wenn ich zu dir hinüberschaue, André, bist du da drüben als Objekt; die Tatsache, dass ich dich anschaue hilF mir also, meinen Standort zu bes@mmen. Ohne mich selbst anzusehen, nur, indem ich dich ansehe, weiß ich, dass ich hier bin, weil ich die Inten@on der Wahrnehmung spüre. Wenn du mich ansiehst, geht es dir genauso. Du weißt, dass du dort bist, weil du hier herüberkommst.
In seiner Bewegung auf das Objekt zu definiert das Subjekt nicht nur das Objekt. Es definiert auch sich selbst. Natürlich bekommen wir mit, ob wir etwas hören oder sehen. Das gibt uns eine Bestä@gung unserer Existenz als jemand, der an einem bes@mmten Ort exis@ert. Ich bin hier! Und hier – es könnte auch hier sein. Wo immer dieses „hier“ auch angesiedelt ist, da bin ich. Das ist das Erstaunliche an diesem „hier“. Es enthält immer mich. Das „dort“ enthält dich, aber „hier“ beinhaltet immer mich. Wo immer dieses „hier“ auch ist – ich bin da. Erstaunlich.
Natürlich – wenn wir medi@eren, und das Objekt, mit dem wir uns auseinandersetzen, ist ein Gedanke, kann ich meine Gedanken nicht auf die gleiche Weise sehen, wie ich die Menschen hier sitzen sehe. Ich schaue hinüber und da bist du und du hast eine bes@mmte Form. Aber wenn der Gedanke in meinem Geist entsteht, ist das nicht so, oder? Es ist so, als würden wir in der Medita@on irgendwie Subjekt und Objekt vermischen. Ist das die Erfahrung, die ihr macht? Es ist ein Ding. Der Gedanke und der Denkende scheinen zu verschmelzen, deshalb gibt es eine große Unklarheit. “Wann geht das Flugzeug?” Der Gedanke ist da, aber ich bin Bestandteil des Gedankens. Ich bin der Gedanke. Um ein bereits bekanntes Bild zu verwenden: es ist als wäre das Selbst in den Spiegel gefallen und als würden Subjekt und Objekt als Reflexionen im Spiegel erscheinen, aber das Subjekt ist da drinnen, also bin ich Teil dessen, was entsteht. Was wir jetzt versuchen, ist, da eine kleine Trennung herbeizuführen – Subjekt und Objekt zu trennen, sodass das, was wir auseinanderdividieren, ein Subjekt ist, das wir von dem Gebilde Subjekt/Objekt trennen. Versteht ihr, was gemeint ist?
Hier ist das Subjekt.
[Abbildung 13]
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Hier also ist das Subjekt – vielleicht sollte ich das ein bisschen klarer sagen: Was wir hier haben, ist ein Gewahrsein, das eines Subjekt/Objekts gewahr ist. Das ist etwas anderes als dieses Subjekt hier, weil wir hier diese beiden voneinander trennen können; meistens ist das ohne Schwierigkeiten möglich. Aber das Gewahrsein von dieser Subjekt/Objekt-­‐Melange zu trennen, von dieser Vermischung, dieser Fusion, ist sehr schwierig. Es gibt keine klare Trennung des Raums. Das Subjekt hat keine Form und das Gewahrsein hat defini@v auch keine. Und darin liegt das Problem. Wenn wir die Beschaffenheit des Geistes untersuchen, finden wir dort nichts. Der Geist hat weder Form noch Farbe, demnach kann das Gewahrsein, also derjenige, der sieht, nichts finden. Wie schaut man nun aus der Posi@on des Gewahrseins, das nirgendwo beheimatet ist, auf etwas, das nur ein flüch@ges Phänomen ist, auf etwas Vorübergehendes?
Kommentar: Gute Frage!
James: Sehr gute Frage. Das ist der Kern des Dzogchen und natürlich, wenn man es einmal verstanden hat, ist es ganz leicht, aber es ist sehr schwer, das zu verstehen. Es ist gleichzei@g wirklich einfach und sehr komplex.
UNSER GEWAHRSEIN ABTRENNEN
Das erste, was wir tun müssen, ist zu versuchen, unser Gewahrsein abzutrennen. Wie es in manchen Texten heißt: zieht es wie ein Haar aus einem Klumpen BuAer. In Tibet war der Hygienestandard bei Milchprodukten nicht sehr hoch, also waren sie immer voller Haare. Man zieht also so ein starkes Yak-­‐Haar heraus, langsam und sorgfäl@g. Wenn man daran zerrt, reißt das Haar. Langsam und vorsich@g. Das versuchen wir in der Medita@on, wenn wir die drei Aas sagen und uns dann einfach entspannen. Während wir uns entspannen, versuchen wir, diese Art von Wechsel in unserem Verhältnis zu unserer Wahrnehmung zu spüren.
Wir sind hier und das Wissen darum, dass wir hier sind, ist nicht mehr länger in uns, sondern es ist gegenwär@g. Es gibt also ein Gefühl einer Gegenwart, die kein bes@mmtes Subjekt ist. Dann verlieren wir das wieder; hier können wir mit Phat! arbeiten und versuchen, diese Trennung erneut herzustellen, diesen Spalt wieder zu erzeugen. Oder wir können uns weiter entspannen – es gibt ganz viele Methoden.
Kommentar: Was bedeutet das Fragezeichen auf dem Diagramm?
James: Das Fragezeichen bedeutet, dass das nicht etwas ist, was man finden kann. Wenn man es sucht, findet man nichts, also bleibt es irgendwie – nicht vorläufig oder unverbindlich, aber jedenfalls nicht etwas, das man kennen kann. Ich kann beispielsweise diesen Schreibs@F kennen, aber ich werde niemals meinen Geist auf die gleiche Weise kennen können wie diesen S@F. Im tradi@oneller gefärbten Wissen wird der Geist selbst niemals zu einem Objekt des Wissens. Alles andere ist ein Objekt des Wissens; es wird zu etwas, das wir kennen können. Aber wenn wir nach unserem Geist Ausschau halten, finden James Low © www.simplybeing.co.uk 120
wir ihn nicht als ein Objekt. Wir sind so daran gewöhnt, nach Objekten zu suchen, dass wir sehr oF auch unseren Geist suchen, als wäre er ein Schreibs@F. Wir versuchen, ihn zu finden, als wäre er ein Ding und fragen uns, wo er ist. Wenn man auf diese Weise sucht, wird man niemals etwas finden, weil er nicht diese Art von Gegenstand ist.
In Wahrheit muss man die S@mmung verändern. Ein spannendes Beispiel dafür sind Kinder, wenn sie sich für Sex interessieren. Sie sind vielleicht zehn, elf, zwölf Jahre alt, also haben sie noch keinerlei sexuelle Erfahrung. Vielleicht haben sie in Büchern nachgelesen oder Fotos angeschaut und jedenfalls haben sie sehr viele Gedanken zu dem Thema entwickelt, aber sie können sich nicht wirklich vorstellen, wie es ist, den Körper eines anderen Menschen auf diese Weise zu berühren. Erst wenn sie tatsächlich eine Beziehung eingehen und dadurch eine neue S@mmung entsteht, ergibt das alles einen Sinn. Also muss man in der S@mmung dazu sein, eine solche Erfahrung zu machen. Es hängt von der S@mmung ab.
Mit dem Gewahrsein ist es ähnlich. Das hat eine ganz spezielle S@mmung. In gewisser Weise ist es eine S@mmung, von der wir sagen, sie sei nackt, entspannt, offen. Sie ist nicht beschäFigt, nicht eng, es ist keine S@mmung von HerrschaF oder Kontrolle, aber trotzdem eine S@mmung. Es ist keine Wahrnehmung, kein Gedanke an etwas, sondern eine Art, zu sein; mit sich selbst und der gesamten Realität zu sein und das hat einen ganz eigenen Geschmack.
So wie gestern Abend – es hat da ein paar tangoar@ge Bewegungen gegeben. Tango und alle diese Tänze sind nicht einfach nur eine Abfolge von SchriAen, sondern sie sind eine S@mmung. Immer wieder denkt man, während man den Menschen beim Tanzen zusieht: “Ah, da ist diese S@mmung!” Und man kann sie sehen. In einer bes@mmten Geste, einer gewissen Extravaganz; und man denkt: “Oh!” Weil die Tänzer sich plötzlich in etwas hineinsteigern – und dann ist es wieder ein bisschen ein Herumgeschiebe. Unsere Medita@on funk@oniert so ähnlich. Man kommt in den Rhythmus, aber der Geschmack lässt sich nicht so leicht erlangen; er kommt auf einen zu. Man kann die SchriAe immer wieder üben, aber die S@mmung ist ein Geschenk, wie diese wunderbare Musik, “In the Mood”. Man gerät in etwas hinein. Man kann die S@mmung nicht erzeugen, sie kommt zu einem. Man tanzt und plötzlich tanzt man wirklich und wenn man wirklich tanzt, ist das anders als nur zu tanzen. Etwas verschiebt sich.
Das ist es, was wir hier versuchen. Das beste, was wir tun können, ist, uns in eine Posi@on zu begeben, wo diese Möglichkeit entstehen kann; aber wir können nichts erzwingen, weil es kein “es” gibt, das man zu etwas zwingen könnte. Das ist ein ziemlich weiter SchriA weg von manchen anderen Arten der Medita@on.
DREI Aa: AN DER ERFAHRUNG DRAN BLEIBEN: siehe auch Anhang 13
Wir beginnen wieder mit den drei Aa und wann immer ein Gedanke oder ein Gefühl auFaucht, bleiben wir einfach bei demjenigen, der diese Erfahrung macht. Wir werden das nicht allzu lange versuchen, weil das ziemlich ermüdend sein kann; es ist recht schwierig, ein Gefühl dafür zu bekommen.
Während alles neu Entstehende sich manifes@ert, muss es eine Art noe@scher Präsenz geben, eine Art von gegenwär@gem Gewahrsein, damit wir diese Erfahrung überhaupt machen können. Das fühlt sich oF so an, als säße diese Präsenz im Inneren des Gedankens, der gerade auFaucht – was bedeuten würde, dass sie irgendwie in jeden Gedanken eingefügt wird, wie eine Cocktail-­‐Olive mit einem kleinen Stück Piment im Inneren. Wir müssen dieses Piment-­‐Stück herausziehen und beiseite legen. Man braucht dazu einen guten Zahnstocher.
Wir haben uns also entspannt, wir sitzen in der Medita@on, ein Gedanke taucht auf und wir James Low © www.simplybeing.co.uk 121
werden sofort da hineingezogen, aber staAdessen machen wir einen SchriA zurück und entspannen uns in die Offenheit des Geistes. Die Tendenz, zu verschmelzen, ist da, aber wir entspannen uns einfach und bleiben präsent. Bleibt bei demjenigen, der gewahr ist.
Derjenige, der gewahr ist und dasjenige, dessen er gewahr ist, liegen sehr, sehr nahe beisammen, aber sie sind nicht das Selbe. Derjenige, der gewahr ist und schaut, ist kein gewöhnliches Subjekt, kein Konzept. Wenn man denjenigen, der schaut oder weiß oder denkt als Konzept wahrnimmt, fällt man wiederum in ein Konzept. Und ein Konzept unterhält sich mit einem anderen! Das Gewahrsein spricht zu niemandem. Das Gewahrsein, der Geist selbst, ist von Anfang an nackt, einzeln, allein. Es ist in nichts verwickelt. Es versucht nicht, irgendetwas herzustellen oder zu zerstören. Es ist einfach für sich. NICHT-­MEDITATION
Diese Praxis wird im Dzogchen, aber auch im Mahamudra, allgemein als “Nicht-­‐Medita@on” bezeichnet. Damit ist gemeint, dass die meisten Arten von Medita@on eine Absicht verfolgen oder ein Ziel haben. Man versucht, seinen Atem zu kontrollieren oder eine GoAheit zu visualisieren, sich von Sünden zu reinigen oder Opfergaben darzubringen. Man entwickelt also ein System, mit dessen Hilfe man ein bes@mmtes Ziel erreichen kann. Aber in dieser Art der Medita@on ist das einzige, was wir tun, zu sitzen, ohne etwas zu tun. Wir sitzen einfach, atmen ein und aus und lassen uns nicht in das, was sich gerade abspielt, hineinziehen. Wir sehen einfach zu, egal, was geschieht. Es ist, als ginge man auf Urlaub; man sitzt irgendwo auf einem Stuhl und schaut einfach, es gibt sonst nichts zu tun. Menschen gehen auf der Straße. Wie eine alte Dame sitzen wir und schauen aus dem Fenster – das ist die Medita@on der Frühpensionisten. Sie wird tatsächlich oF so genannt, weil es oF heißt, dass das Ziel dieser Medita@on ist, von jeglicher Ak@vität frei zu sein, chag tral wa. Es gibt einen berühmten Lama, er heißt Chatral Rinpoche, das heißt soviel wie: „Jenseits der Ak@vität“ oder „frei von Ak@vität.“ Wir sind die ganze Zeit über mit irgendetwas beschäFigt, zielgerichtet, zweckgerichtet, im Versuch, etwas zu erreichen – und hier sitzen wir einfach und tun gar nichts.
Natürlich ist es sehr schwer, nichts zu tun, wenn man versuchen muss, nichts zu tun. Wenn man jemanden massiert und sagt: “Entspanne dich einfach!” ist es schwer, sich zu entspannen. Um sich zu entspannen, muss man vergessen. Nicht-­‐Medita@on ist also auch Nicht-­‐Absicht. Deshalb bewegen wir auch unseren Körper – weil wenn wir eine Menge Sorgen und Anspannung mit uns herumtragen, stehen wir unter Spannung, wir sind elektrisch geladen. Diese Ladung ist energe@sch; das heißt, wir finden uns plötzlich in einer Situa@on wieder und fangen zu weinen an oder wir werden sehr, sehr wütend oder sind sehr verletzt und wissen nicht genau, warum.
Das liegt daran, dass wir diese innere Spannung aufgebaut haben, die wir entladen müssen – sei es durch körperliche Bewegung oder mit Hilfe des Atems; es gibt viele Yoga-­‐Techniken dafür. Oder einfach eine Bob Marley PlaAe auflegen und tanzen. Das ist vermutlich genauso gut, wie jede Art von Tai Chi. Bob Marley hat einen sehr feinen Rhythmus und wenn man ein bisschen medi@ert und sich entspannt, sind seine Liedtexte meist freundlich und neA. Wenn der Körper sich einmal auf diese Weise bewegt, beginnt sich allmählich alles zu lockern und die ängstliche Spannung, die wir mit uns herumtragen, beginnt sich zu lösen.
Obwohl es in manchen @be@schen Texten heißt, dass man nicht herumhüpfen und wild tanzen soll, kann ich mich erinnern, dass Namkhai Norbu oF sagte, ein ganz wich@ger Bestandteil von gemeinschaFlichen Dzogchen-­‐Retreats sei es, gemeinsam eine Party zu James Low © www.simplybeing.co.uk 122
feiern und zu tanzen. Manche Lamas sind nicht so überzeugt davon, weil @be@scher Tanz oF sehr formal ist und mit Hilfe festgelegter Mudras ausgeführt wird.
Das Wesentliche ist, sich der Spannungen im Körper bewusst zu werden und sie abzuschüAeln. Natürlich kann man die Dinge nicht lösen, wenn man es mit Absicht tut. Wenn man zu einer Musik tanzt und das nicht eng und miAels rigider SchriŠolgen tut, kann Tanzen vermutlich eine gute Methode sein, sich aufzulockern. Gestern Abend, als ich zu BeA ging, hat sich mein Körper an einigen Stellen ein bisschen “autsch” angefühlt, weil ich ihn stellenweise ein bisschen mit der Medita@ons-­‐Haltung gestresst habe, aber allgemein gesprochen habe ich mich recht locker gefühlt. Ich denke, Tanzen kann das bewirken.
Nicht-­‐Medita@on heißt, kein Ziel zu haben. Es kann sehr schwer sein, das umzusetzen. Die Frage ist, wie man das mit dem BodhisaAva-­‐Schwur in Einklang bringt, demzufolge man Erleuchtung erlangen will, um alle fühlenden Wesen zu befreien.
Alle Medita@onstexte sagen, dass man prak@zieren sollte, als stünde der eigen Kopf in Flammen. Man ist in Samsara, man sollte erkennen, dass man vergiFete Nahrung zu sich genommen hat und dass es deshalb sehr wich@g ist, aufzuwachen und ein GegenmiAel einzunehmen, denn wenn man das nicht tut, wird man sterben. Es gibt also auch diese Art der Unterweisung, die versucht, einen generell zu mo@vieren. Aber die Art von Medita@on, von der wir hier sprechen, ist etwas ganz anderes. Es ist eine Art von Medita@on, bei der in gewissem Sinne diese anderen Aspekte buddhis@scher Kultur bereits vorhanden sein sollten, wenn man aus buddhis@scher Sicht prak@ziert.
HILFE BEGINNT MIT DEM FRAGEN
Menschen helfen zu wollen, sollte als Grundhaltung bereits vorhanden sein. Aber dann erhebt sich die Frage – wie hilF man den Menschen? Was ist die beste Methode, anderen zu helfen? Allgemein gesprochen, kann man fragen: “Was häAest du gerne?” oder “Was ist los mit dir?” Jemand wird beispielsweise in einen Unfall verwickelt und kommt in die Notaufnahme. Plötzlich wird man auf einem KrankenbeA fortgeschoben; wenn der Betreffende noch bei Bewusstsein ist, wird er gefragt: “Wie geht’s Ihnen? Können Sie sprechen? Wo haben Sie Schmerzen? Was ist geschehen? Was haben Sie eingenommen?” Es beginnt immer mit Fragen. Hilfe beginnt mit Fragen. Wenn man Lehrer ist, ist es auch sehr hilfreich, mit Fragen zu beginnen: “Was möchtet ihr heute lernen? Worüber sollen wir sprechen?” Auf diese Weise entsteht ein Raum, in dem Menschen ihr Interesse entwickeln können. Wenn man gleich mit der Antwort beginnt: “Die heu@ge Lek@on ist..., setzt euch und seid s@ll. Ich werde euch jetzt alles sagen!”, ist das viel schwieriger. (Obwohl ich es natürlich hier die ganze Zeit so mache.) Menschen auf direktem Wege zu helfen – nicht, indem man Wissen überträgt, sondern indem man zu ihnen eine Beziehung au|aut – heißt, offen zu sein und herauszufinden, was sie wollen. Wenn man viel Kontrolle ausübt, wird man vielleicht nicht bereit sein, das zu tun. Wenn man sein ganzes Leben darauf verwendet hat, Antworten zu bekommen, ist man womöglich so voll von diesen Antworten, dass man die Leute nichts fragen, sondern ihnen einfach die eigenen Antworten erzählen will. Im Dzogchen beginnen wir mit Fragen. Wie können wir den Fragen eines anderen Menschen gegenüber offen sein, wenn wir keinerlei Raum in uns haben? Der beste Ort, um auf jemanden anderen einzugehen, ist dort, wo wir entspannt und offen sind. Durch Nicht-­‐
Medita@on üben wir Mitgefühl; aber wir prak@zieren kein Mitgefühl, das weiß, wie man Menschen hilF, sondern ein Mitgefühl, das bereit ist, auf Menschen einzugehen – das ist James Low © www.simplybeing.co.uk 123
etwas anderes. Man muss nicht von vornherein irgendwelche Spezialkenntnisse besitzen, um das zu tun – sondern nur die BereitschaF, zuzulassen, dass man aus sich selbst herausgeholt wird. Es ist schwer, sich aus sich selbst herausholen zu lassen, wenn man an sich selbst oder an irgendeiner Art von Plan anhaFet. Wenn man eine Vorstellung davon hat, wie ein Gemälde aussehen soll, und daher denkt: “Ach, das gefällt mir nicht, das sollte nicht hier sein, das macht das Bild kapuA”, dann sind unserem Gefühl der Freiheit sofort Grenzen gesetzt.
Bei der Nicht-­‐Medita@on versuchen wir, ohne jede Art von Ziel oder Wunschvorstellung vorzugehen, sodass wenn wir mit den drei Aa beginnen, wir einfach “AaAahhhh” sagen und alles kompleA loslassen. Wir putschen uns nicht psychisch auf damit, im Sinne von: “jetzt werde ich medi@eren!”, wir versuchen nicht, da irgendetwas aufzubauen, sondern wir lassen alles mit diesem Aa aus uns herausfließen, “Aaahhhh”, und setzen unsere Lasten ab. Wir legen unsere Absichten ab und entspannen uns. Wenn wir entspannt sind, tun wir nichts. Wenn irgendwelche Gedanken oder Gefühle auf Besuch kommen, lässt man sie sich einen Moment lang hinsetzen und dann gehen sie vorüber und wir halten Ausschau: “Wer ist da?”
Es ist nicht unsere Aufgabe, Tee zuzubereiten, eine Mahlzeit zu kochen, die Gedanken willkommen zu heißen oder sie zu verabschieden. Man sitzt einfach da und schaut. Es ist sehr wich@g, dass man sich darüber im Klaren ist, und natürlich ist das keine gewohnte Ak@vität. Normalerweise sind wir sehr beschäFigt. Es ist recht schwer, das zu tun, weil wir immer den Impuls haben, ak@v zu sein, aber derjenige, der ak@v ist, ist das Subjekt und das ist die Basis von Samsara.
[Medita@on]
REINIGUNG DES GEISTES
Wenn es darum geht, den Geist zu reinigen, wie wir das heute Morgen besprochen haben, dann geht es aus Sicht des Hinayana darum, die Habgier, die Feindseligkeit und die falschen Sichtweisen zu reinigen, indem wir ihnen keine Folge leisten. Das heißt, wir entwickeln ein beobachtendes Selbst, das auch kri@sch ist. Wir beobachten, was wir tun und wir beurteilen es. Aus der Sicht des Mahayana reinigen wir den Geist dadurch, dass wir Weisheit und Mitgefühl entwickeln. Weisheit schützt uns vor falschen Sichtweisen und Mitgefühl befreit uns von Habgier und bösem Willen. Das ist rela@v unkompliziert.
Im Tantra reinigen wir den Geist, indem wir die Grundlage der Subjekt/Objekt-­‐
Wahrnehmung mit Hilfe von Visualisierungen verschieben und Auflösung prak@zieren. Wenn wir die GoAheit bei der Visualisierung vor uns sehen und in diesem GoA zugleich Form und Leere erkennen können, hilF uns das, wenn wir nach der Medita@on wieder in die Welt hinausgehen, zu sehen, dass alles Form und Leere gleichzei@g ist. Aber nicht nur neutrale Form und Leere, sondern alles hat darüber hinaus eine göAliche Qualität, sodass die ganze Welt sich in ein Mandala verwandelt. An einem solchen heiligen Ort gibt es eine größere Hemmung vor dem Stehlen oder davor, zornig zu reagieren. Wenn man die Menschen um sich herum als GoAheiten wahrnimmt, täte man sich schwer, sie zu bestehlen oder sie zu aAackieren.
Wir bestehlen Menschen oder aAackieren sie, wenn wir sie nicht respek@eren und oF verlieren wir den Respekt vor anderen, wenn wir fühlen, dass sie uns nicht respek@eren. Unser Gefühl des Selbst-­‐Respekts ist oF nur sehr schwach entwickelt. Wenn wir also spüren, dass jemand anderer uns verächtlich behandelt, versinken wir, weil wir uns ängs@gen und dann brechen wir aus und greifen den anderen an oder beschwindeln ihn auf irgendeine Weise.
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Im Tantra werden wir in den meisten Prak@ken an irgendeinem Punkt zur GoAheit. Wir werden zu Tara oder Padma Sambhava – oder zu wem auch immer. Wir werden zu einer GoAheit! Das heißt, wir werden göAlich, wir haben ganz viele posi@ve Qualitäten, wir sind prachtvoll gekleidet, wir haben eine S@mme mit all den EigenschaFen von Brahmas Sprache; alles an uns ist weich und sanF und sub@l oder sehr mäch@g und würdevoll – ganz, ganz viele wunderbare EigenschaFen. Das vermiAelt uns einen @efen Selbst-­‐Respekt für alle Zeit. Solange ich Padma Sambhava bin, warum sollte ich mich hassen? Warum sollte ich denken, ich sei dumm? In dieser Iden@fika@on mit der GoAheit gibt es keinerlei Basis für die nega@ve Sichtweise, die wir gewöhnlich in Bezug auf uns selbst haben. Wenn uns dann jemand beleidigt oder angreiF, sind wir so sehr erfüllt von all diesen reichen Qualitäten, dass wir die Unebenheiten nicht so spüren und sogar Mitgefühl für die Menschen empfinden können – wie verblendet müssen sie sein, wenn sie sich über eine GoAheit wie mich ärgern! Aber das ist ein bisschen heikel. Frech, aber neA!
Kommentar: Es ist recht schwer, eine GoAheit zu sein, wenn man gewahr ist oder gehemmt wird von dem Gefühl, so ein armseliges Geschöpf zu sein.
James: Genau. Deshalb prak@zieren wir lange Zeit mit den Mantras, um ein Gefühl für diese Iden@fika@on zu entwickeln. Wenn dieser Raum von der GoAheit bewohnt wird, kann er nicht von dir besetzt sein. Wir versuchen, uns durch diese Ak@vität selbst zu ersetzen. So wie Menschen, die zum Schauspieler ausgebildet werden: wenn sie mit dem Studium beginnen, fallen sie sehr leicht aus der Rolle und werden wieder sie selbst. Sie vergessen ihren Text, fühlen sich befangen, verlieren die Figur und kommen wieder zu sich selbst zurück. Auch Berufsschauspieler können ihren Text vergessen, aber sie machen einfach weiter, erzählen einen Witz, improvisieren oder erfinden etwas. Das ist das Selbstvertrauen, wenn man ein Star ist. Man weiß, dass die Menschen an einen glauben, also kann man selbst an sich glauben und auf die Weise macht man keine Fehler; man ist so dran gewöhnt, ein Star zu sein – wo bliebe da der gewöhnliche Mensch, in den man zurückfallen könnte?
Dieses Beispiel vermiAelt euch vielleicht eine Art von Geschmack, wie es wäre, Padma Sambhava zu sein. Man übt mit diesem Stolz, aber weil es der Stolz von Form und Leere ist, ist man vor egois@scher Au|lähung sicher. Zu wissen, dass es leer ist, schützt einen vor der Verwundbarkeit und der Gefahr, schlechtgemacht zu werden, weil man diesen Stolz hat. Indem wir so die Haltung einer GoAheit beibehalten, reinigen wir die drei Sünden der Rede.
Im Dzogchen, in den Übungen, die wir gemacht haben, liegt die Reinigung darin, keine spezielle Posi@on abzusichern. Wenn man entspannt ist und diese Gedanken und Gefühle steigen auf, sind wir völlig eins mit der Wahrheit der Vergänglichkeit, weil ganz offensichtlich alles dynamisch und im Fluss ist. Wir sind außerdem völlig im Einklang mit der Lehre vom Karma, weil wir kein neues Karma mehr erzeugen. Wir stehen im Einklang damit, aber wir bestä@gen es nicht. Und da gibt es auch keinen bösen Willen oder Habgier, weil wir in diesem Zustand keine Gedanken an uns ziehen. Wenn ein interessanter Gedanke auFaucht, halten wir ihn nicht fest; das ist die Basis für die Reinigung von der Habgier. Und wenn ein schwieriger oder böser Gedanke auFaucht, schieben wir ihn nicht weg, darin besteht die Reinigung vom bösen Willen. Auf diese Weise werden die drei Sünden des Geistes mit Hilfe dieser Praxis selbst-­‐befreit. Also ist es sehr nützlich, das zu üben.
Kommentar: Es ist sehr schwer, diese Praxis zu üben und dann so vielen Worten zuzuhören...
James: Ja, das ist nicht einfach. Aber ich bin ein bisschen zwanghaF und will solche Unterweisungen immer zu Ende bringen, alle Leerstellen ausfüllen. Was du sagst, ist wich@g und natürlich kann man auch zu viele Worte machen.
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Allerdings: der Effekt einer Medita@on lässt nach und um wieder dahin zurückzukommen – wenn man die Struktur versteht, die sie einem gibt – ist das Wesentliche, Vertrauen in die Praxis zu entwickeln. Um wieder zu den drei Aussagen von Garab Dorje zurückzukehren: direkte Erkenntnis des Geistes, Auflösen aller Zweifel und auf dem Weg forƒahren. Wenn wir Zweifel haben, ob sie funk@oniert, werden wir nicht mit der Praxis forƒahren. Wenn wir theore@sch verstehen, warum es funk@onieren sollte, haben wir das Vertrauen, weiterzumachen, selbst wenn unsere eigene Praxis noch nicht sehr stark ist, und wir verlieren nicht die Hoffnung. Dann wird es allmählich leichter. Was wir entwickeln müssen, ist Durchhaltevermögen, Ausdauer und die Fähigkeit, die Dinge allmählich anzugehen.
MEDITATIONSHALTUNGEN: siehe auch Anhang 14
Setzt euch gerade hin. Wir können die drei Aas in aufrechter Haltung machen, aber wenn ihr euch lieber hinlegt, geht das auch, solange ihr gewahr bleibt. Wenn ihr einschlaF oder schlafen wollt, ist das auch in Ordnung. Der Buddha hat das auch getan. Kennt ihr diese Bilder und Statuen des Buddha, als es ans Sterben ging? Er liegt so da, den Arm hier und er hält seinen Daumen hier an den Hals, genau hier. Das ist also auch keine schlechte Posi@on zum Medi@eren. Es ist sehr friedlich und hilF euch, mit der Verlockung des Einschlafens zu arbeiten – ohne dass ihr dabei einschlaF. Das ist eine gute Balance für die Nerven, man kann auch in dieser Posi@on prak@zieren. Oder man kann sich an die Wand anlehnen und die Arme so ausstrecken, das ist auch eine gute Balance. Es verhindert, dass eure Schultern runterfallen, der Brustkorb ist immer noch offen. Mit dem Hinterkopf lehnt ihr an der Wand.
Kommentar: Zuerst versuchen wir es im Liegen?
James: Vielleicht ist es auch gut, wenn ihr ein paar Minuten aufsteht und euch bewegt.
Im Dzogchen versuchen wir, die Medita@on an unsere jeweilige S@mmung anzupassen, an unsere Energie. Wenn man sich in die Welt hinausbegeben und ak@v sein muss und man sich sehr verletzlich fühlt, ist es vielleicht besser, mit Visualisierungen zu arbeiten und sich mit Padma Sambhava oder einer ähnlichen GoAheit zu iden@fizieren, und diese beschützende Qualität dazu zu benützen, die Situa@on zu bewäl@gen. Wie einige von euch bemerkt haben werden: wenn man auf eine Weise medi@ert, die einen sehr offen macht, wird man sensibler und möglicherweise verletzlicher. Das ist innerhalb der Sphäre der Medita@on sehr hilfreich, aber in der Arbeit oder im Unterricht, wo man robust sein und sich gut schützen muss, vielleicht nicht so güns@g. Wenn man schon länger prak@ziert, wird diese Offenheit selbst sehr kraFvoll, aber am Anfang fühlt es sich so an, als würde man eine Hautschichte enƒernen. Deshalb prak@ziert diese Art der Medita@on vielleicht, wenn ihr ein bisschen mehr Raum und Zeit habt.
Wenn euer Energie-­‐Pegel gerade niedrig ist, ihr aber trotzdem prak@zieren wollt, könnt ihr dieses Phat! üben, weil einen das auch ziemlich gut aufweckt. Wenn man sitzt und müde ist und Phat! ruF, wird man feststellen, dass man wacher wird. Wenn man einfach den Gedanken nachspürt, die auFauchen, macht uns das am Anfang sehr müde, weil das eine ungewohnte Ak@vität ist und wir sehr oF enAäuscht sind darüber, immer wieder scheint‘s „herauszufallen“. Denkt daran, wenn ihr shi ne prak@ziert, also den Atem beobachtet, dass das ziemlich anstrengend sein kann. Man wird abgelenkt. Und jetzt sucht ihr etwas, das hundertmal feiner ist als der Atem, also kann es ganz leicht sein, dass man das verliert. Nochmals: übt das immer nur für kurze Zeit. Erzwingt nichts bei dieser Art James Low © www.simplybeing.co.uk 126
von Medita@on. Wenn ihr zu müde werdet, hört einfach auf. Trinkt eine Tasse Tee, macht etwas anderes.
WO KOMMT DER GEIST HER? siehe auch Anhang 15
Das ist eine kurze Praxis der Fragestellung, mit der man das Wesen des Geistes erforschen kann – wo er ist, wo er herkommt, wohin er geht. Diese Art von Fragen können sehr hilfreich sein, wenn unser Geist mit großer Geschwindigkeit unterwegs ist, wenn man sehr wach ist und in der S@mmung, etwas zu tun. Wenn man den Drang verspürt, etwas zu tun, ist der Versuch, sich zu entspannen und offen zu sein nicht sehr hilfreich. Wir gehen gegen unsere Energie. Vielleicht könnt ihr euch, wenn ihr von der Arbeit nach Hause kommt und ziemlich aufgedreht seid, auf diese Art von Fragen konzentrieren und die Energie, die ihr aufgebaut habt, dazu benützen, in diese Richtung weiterzumachen. Es gibt vielerlei Wege in diese Medita@on. Man kann mit Visualisierung und Auflösung beginnen oder mit den drei Aa.
Wenn man sich dann ein wenig entspannter und offener fühlt, erlaubt man der Frage ganz sanF, in sich aufzusteigen. “Wo kommt der Geist her?” Lasst das dann einfach so stehen und beobachtet, was passiert. Oder fragt euch: “Wo ist mein Geist?” “Worauf ruht er? Ruht er auf irgendetwas?” “Was ist die Basis meines Geistes?” Beim Sitzen beobachtet ihr: “Worauf ruht mein Geist? Ruht er auf meinem Körper? Oder befindet sich mein Körper in meinem Geist?” Erforscht das, nicht allzu kri@sch, aber auf eine freundliche und zarte Weise, als würdet ihr einem Liebhaber eine Massage verabreichen. Ihr folgt einfach den Konturen eures Geistes und erforscht ihn.
Okay -­‐ sollen wir das einmal versuchen?
[Medita@on]
Lasst uns nun in Zweiergesprächen überprüfen, wie es euch bis jetzt mit all dem ergangen ist, was euch klar ist und wo ihr noch Fragen habt; und was eure Erfahrung in der Medita@on ist. Lasst uns eine Art Überblick darüber versuchen, wie ihr vorankommt und sehen, ob sich daraus noch Fragen ergeben.
[Zweiergespräche]
Jetzt machen wir noch schweigend eine letzte gemeinsame Medita@on und dann die Widmung des Verdienstes.
MACHIG LABRDON PRAXIS -­ siehe Anhang 16
Wenn wir zu Machig Labdron beten, ist eines der Dinge, um das wir speziell biAen können, der Segen des Verständnisses von Leere. Im Gebet sagen wir OM MA CHIG MA LA SOL WA DEP und wir stellen sie uns in Form der Dakini vor, die hier vor uns tanzt. Selbst wenn ihr sie nicht sehr deutlich seht, könnt ihr euch eine Vielzahl von Regenbogen am Himmel vorstellen und diese wunderschöne tanzende Frau, ganz frei und glücklich.
In der MiAe ihrer S@rne ist der weiße Buchstabe Om. Es macht nichts, wenn ihr nicht wisst, wie der @be@sche Buchstabe genau aussieht. An ihrem Hals hat sie den roten Buchstaben Aa und in ihrem Herzen den blauen Buchstaben Hung.
Wenn wir es aussprechen: OM MA CHIG MA LA SOL WA DEP, beten wir zu Machig Labdron James Low © www.simplybeing.co.uk 127
mit diesem weißen Om auf der S@rne. Wenn wir sagen: AA MA CHIG MA LA SOL WA DEP, beten wir zu ihr mit dem Aa an ihrem Hals. Und wenn wir sagen HUNG MA CHIG MA LA SOL WA DEP, beten wir zu ihr mit dem Hung im Herzen. Om, Aa, Hung steht für die drei Kayas, das weiße Om repräsen@ert das Nirmanakaya, das rote Aa das Sambhogakaya und das blaue Hung das Dharmakaya. Das heißt: des Buddhas Körper, Rede und Geist. Im @be@schen System sitzen der Körper im Kopf, die Rede und die S@mme im Hals und der Geist im Herzen.
Wenn wir sagen KAR PO OM GYI JING GYI LOB, stellen wir uns vor, wie von dem weißen Om an ihrer S@rne Strahlen weißen Lichts ausgehen und in unsere S@rne eindringen. Das weiße Licht strömt in unseren Körper und reinigt uns von allen Sünden des Körpers, es erfüllt unseren ganzen Körper mit weißem Licht. Wenn wir sagen: MAR PO AA GYI JING GYI LOB, kommen rote Lichtstrahlen aus dem roten Aa an ihrem Hals und strömen in unseren Hals; sie erfüllen unseren Körper und reinigen uns von allen unseren Sünden der Rede. Wenn wir sagen: NGONG PO HUNG GYI JING GYI LOB entspringen blaue Lichtstrahlen dem Hung in ihrem Herzen und erfüllen unser Herz und unseren Körper mit blauem Licht, das reinigt uns von allen Sünden des Geistes.
Mit dieser einen Praxis reinigen wir uns von allen Sünden; das ist also eine sehr machtvolle, kurze Übung.
Mit OM AA HUNG erhalten wir unsere ersten drei Einweihungen und dann, in der siebten Zeile, wo es darum geht, dass alle Segnungen zusammenkommen, bedeutet das, dass aus dem Om, dem Aa und dem Hung gleichzei@g Licht ausstrahlt und in uns einströmt und so alle Verunreinigungen von Körper, Rede und Geist reinwäscht. Daraus entsteht die Basis des Svabhavikakaya, das ist die Integra@on der drei Kayas.
In dieser einen Verszeile erhalten wir vier Ini@a@onen; und die vier Ini@a@onen sind die Basis des Tantra. Es ist ziemlich kompliziert, das zu erklären, aber es heißt, dass man ohne die vier Ini@a@onen nicht Tantra prak@zieren kann. Also ist es sehr hilfreich, eine Ini@a@on in diese Praxis zu erlangen, wenn möglich von einem Lama, der sie gut kennt – in dieser Abstammungslinie ist das vor allem C. R. Lama. Wenn das nicht geht, erlangt ihr schon durch das Gebet alleine Segen, weil es sich dabei um ein öffentliches Gebet handelt.
Das ist der eigentliche Grund, warum wir prak@zieren – um die Vereinigung zwischen der Gö„n und uns selbst zu erlangen, weil ihre Natur gleichzei@g Form und Leere ist, Klang und Leere, Gewahrsein und Leere und wenn wir mit ihr verschmelzen, erlangen wir dieselben EigenschaFen.
Wir können diesen Segen allezeit aufrecht erhalten. Dazu gibt es zwei Möglichkeiten. Die eine ist der allgemeine tantrische Weg: man stellt sich alles, was man im Außen sieht, als eine EigenschaF von Machig Labdrons Körper vor, alles, was man hört als die EigenschaF ihrer Rede und alles, was man denkt als das Wesen ihres Geistes.
Man kann das aber auch einfach mit dem Atem machen. Wir atmen mit dem Om ein, halten den Atem mit dem Aa an und atmen mit dem Hung aus. Auf diese Weise findet ständig das Om Aa Hung staA und man integriert mühelos die drei Kayas des Buddha auf einer energe@schen Ebene. Sobald man dieses Gewahrsein erlangt hat, reinigt man sich unablässig. DHARMA LEHREN
Heute Morgen wollen wir uns diese Integra@on der Reinigung von Körper, Rede und Geist etwas genauer ansehen. Zuerst möchte ich ein bisschen etwas dazu sagen, wie diese Art von Dingen gelehrt wird.
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Gemäß der Tradi@on ist der einzige Grund, den Dharma zu lehren, die Aufforderung des eigenen Lehrers, das zu tun. Selbst wenn der Lehrer das ausspricht, sollte man genau darüber nachdenken, was man tut, weil man mit den Konsequenzen der eigenen Handlungen leben muss. Wenn man Automechaniker unterrichtet, ist es ziemlich einfach, festzustellen, ob ein Auto ordentlich repariert wurde oder nicht, denn ein repariertes Auto fährt – und ansonsten fährt es nicht. Aber Menschen sind nicht wie Autos.
Es ist sehr schwer für uns Menschen, zu beurteilen, ob etwas hilfreich ist oder nicht. Es gibt ganz viele Gründe, warum wir glauben, etwas könnte uns nützlich sein. Aber wir können uns da sehr täuschen. Wir können uns auf alle möglichen Weisen belügen. Es gibt sicher etliche unter uns, die schon einmal Zeit dafür aufgewendet haben, etwas zu tun und dann dachten: “Seltsam“ – aber während sie es taten, schien es das Rich@ge zu sein. Es ist schwer für uns, zu wissen, was hilF. Wenn man den Dharma unterrichtet, ist es auch sehr schwierig, zu beurteilen, was den Menschen hilF.
Man kann nicht einfach aus einem Lehrbuch unterrichten; man muss sich selbst benützen – aber da das Selbst, das da benützt wird, auch in der Welt ist, mit unterschiedlichen Aspekten und EigenschaFen, hat man es immer mit der Ansicht einer Einzelperson zu tun. Das ist der Grund, warum in der @be@schen Tradi@on manche Lamas empfehlen, man solle herumreisen, verschiedene Lehrer treffen und unterschiedliche Bücher studieren. Ich glaube, es tut den Menschen auch sehr gut, verschiedene Therapeuten zu haben. Wenn ich höre, dass jemand acht Jahre lang zu einem bes@mmten Therapeuten gegangen ist, macht mich das sehr besorgt. Es ist sehr leicht, einen symbio@schen Wahn, eine folie à deux zu entwickeln; eine seltsame Art von geheimem Einverständnis, eine Art Verlorenheit.
So etwas kann auch zwischen Lehrern und Schülern passieren. Wir brauchen immer wieder etwas frische LuF. Die Einschränkungen in unserer Situa@on zu erkennen ist nicht der Gegner der Hingabe; es geht nur darum, zu erkennen, dass niemand für uns vollkommen ist. So ist es eben. Das ist die Tradi@on, nicht mein Vorurteil. Das sagt immer die Tradi@on. Alle Lamas, denen ihr begegnet, werden euch die verschiedenen Lehrer nennen, bei denen sie studiert haben. Sie werden erklären, dass ein Lehrer besonders hilfreich in dem einen oder anderen Bereich war, aber grundsätzlich haben Menschen verschiedene Zugangsweisen. Das ist, denke ich, sehr wich@g, weil wir uns angesehen haben, wie kompliziert wir sind, wie komplex.
Wenn wir uns selbst betrachten, stellen wir fest, dass es Dinge gibt, die wir brauchen. Darauyin sollten wir ak@v werden, um diese Dinge zu erlangen. Vielleicht müssen wir zu diesem Zeck an verschiedene andere Orte gehen. Wenn wir uns nur darauf konzentrieren, was uns zur Verfügung steht, uns auf ein Objekt hin konzentrieren, denken wir vielleicht: “Das ist ja wunderbar! Das muss mir genau das geben, was ich brauche!” Aber wenn wir das so angehen, berücksich@gen wir nicht, ob unsere Bedürfnisse wirklich befriedigt werden. Wir erkennen unsere wahren Bedürfnisse nur, wenn wir nach innen schauen; und die ganz grundlegende Wahrheit im Dzogchen liegt darin, sich selbst zu beobachten. Schau in dein Inneres, dann kannst du auch nach außen gehen, um zu schauen. Ich glaube, wir haben schon darüber gesprochen. Wenn wir ins GeschäF gehen, um LebensmiAel einzukaufen, werfen wir erst einen Blick in die Speisekammer, in den Kühlschrank; wir überlegen, was wir in den nächsten Tagen kochen wollen und dann gehen wir einkaufen. Wenn man einkaufen geht und denkt: “Ach, das mag ich, davon kaufe ich eine Menge!”, kommt man zurück und stellt fest, dass es im Kühlschrank schon ganz viel davon gibt, weil es dasjenige ist, was wir immer mögen. Man hat dann eine große Menge von einer einzigen Sache. Es ist also wich@g, zu schauen, bevor man einkaufen geht; aber man geht ins GeschäF, um etwas zu besorgen. Wenn man auf den Markt kommt und trifft dort auf einen Verkäufer, der sehr überzeugend wirkt, kommt man vielleicht mit einem großen Sack James Low © www.simplybeing.co.uk 129
Bananen heim und denkt sich: “na ja, diese Bananen waren sehr billig”, aber nach drei Tagen hat man genug von den Bananen und sie beginnen zu verfaulen.
Es ist sehr wich@g, darüber nachzudenken, was uns gut tut. Wir wissen das natürlich nicht. Darin liegt das Problem. Es ist sehr schwer, zu wissen, was einem gut tut. Wieder einmal stellt sich die Frage: kennt uns irgendjemand auf dieser Welt besser als wir uns selbst kennen? Im Tantra gibt es die Vorstellung, dass der Lehrer einen besser kennt als man sich selbst. Lehrer wissen allgemein sehr viel über die Condi@on humaine, und sie haben vermutlich eine gute Intui@on, was die Umstände der Menschen betrifft. Aber die Schüler müssen selber Verständnis dafür entwickeln. Wenn man etwas nicht weiß, ist es vermutlich auf längere Sicht gesehen nicht sehr hilfreich, einfach nur jemand anderem zu vertrauen.
Viele Menschen haben zu prak@zieren begonnen und dann wieder damit aufgehört, weil sie keine echte Verbindung dazu herstellen konnten. Es wurde ihnen gesagt, dass das hilfreiche Übungen seien, oder ein Lama kommt und begeistert einen und man beginnt, etwas zu tun – und kommt dann drauf, dass das irgendwie nicht zu einem passt. Dann hat man die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten – oder vielmehr: drei Möglichkeiten. Entweder man sagt, der Lehrer sei schlecht gewesen. Man kann der Meinung sein, dass diese Lehre einem nicht weiterhilF. Oder man kann sagen: “Ich bin ganz schlecht”. Es ist nicht sehr hilfreich, dem Lehrer oder sich selbst die Schuld zu geben. Alle diese Lehren sind Methoden. Wenn eine bes@mmte Methode nicht zu einem passt, verwendet man eine andere. Ganz einfach. Wenn wir uns in Situa@onen verheddern, hilF das gar nichts.
Das Denken spielt eine wich@ge Rolle in dieser Dharma-­‐Praxis. Das Denken ist nicht unser Feind, die Dinge zu untersuchen ist nicht unser Feind, sie einzuschätzen und zu beurteilen ist nicht unser Feind. Wir haben dasselbe Problem in der Psychotherapie-­‐Ausbildung. Die Studenten kommen und haben bei Carl Rogers oder so jemanden gelesen, dass Urteilen eine ganz schlechte Sache ist und dass man einfach offen sein und Empathie empfinden soll. Aber Psychotherapie heißt auch, dass man darüber nachdenkt, was vor sich geht. Dharma Praxis beinhaltet auch, seine eigenen FortschriAe zu überprüfen und darüber nachzudenken, ob sie einem hilF oder nicht.
Wenn man zu keinem Schluss kommt, ob etwas hilfreich ist oder nicht, hat man ein Problem! Man verliert dann die Qualitätskontrolle in der eigenen Fabrik. Das führt wahrscheinlich in den Konkurs. Das erste, was man braucht, ist Qualitätskontrolle; und das heißt, man muss untersuchen, was los ist. In der Schule gibt es Prüfungen – sowohl, um zu sehen, ob die Kinder FortschriAe machen, aber auch um zu sehen, ob die Lehrer in der Lage sind, das zu machen, wofür sie angestellt sind.
Wenn die Schüler sehr schlecht sind, sagen die Lehrer: “Wie soll ich diese verrückten Kinder unterrichten? Sie hören nie zu.” Dann muss sich der Schuldirektor denken: “Tja -­‐ und was jetzt? Wir müssen die Kinder durchs Examen bringen, aber die Kinder sind auch läs@g. Die Lehrer haben eine schwierige Aufgabe, aber sie müssen trotzdem unterrichten.” Das ist genau das gleiche Problem im Dharma. Wir müssen uns anstrengen, den Sinn zu verstehen. Das ist nicht leicht. Was einem leicht fällt, enƒällt einem auch leicht. Wie gewonnen, so zerronnen. Wenn wir wollen, dass der Dharma Bestandteil unseres Herzens wird, müssen wir uns anstrengen.
Das ist die Geschichte von Milarepa. Er musste überlegen: “Was hat Marpa vor?” Milarepa war von vielen Zweifeln geplagt, was Marpa betraf. Zweifel sind kein Problem. Mit den Zweifeln zu arbeiten und zu versuchen, sie zu verstehen, ist sehr nützlich, weil es hilF uns, unseren Geist besser zu verstehen. Das ist von zentraler Bedeutung.
Die Welt ist kompliziert. Sie ist nicht nur einfach gut oder böse. Die Verständnisebene von James Low © www.simplybeing.co.uk 130
Kuntuzangpo ist keine gewöhnliche. Sie ist ganz offen. Die meiste Zeit sind wir ganz vollgeräumt und in diesem Durcheinander müssen wir darangehen, die Dinge zu ordnen. Um sie zu ordnen, müssen wir sie beurteilen. Aus der Sicht des Dzogchen ist es ganz wich@g, sich seiner Intelligenz zu bedienen. Es ist auch wich@g, die Kenntnisse, die man bisher in seinem Leben erlangt hat, nicht zu vergessen. Wenn wir davon sprechen, den Lehrer zu visualisieren oder Machig Labdron oder Padma Sambhava als Wesenskern des Lehrers zu visualisieren, heißt das: alle unsere Lehrer. Das ist sehr wich@g. Das heißt: unsere MüAer, Väter, Volksschullehrer, MiAelschullehrer, unsere Chefs in der Arbeit, unsere Liebhaber, alle Menschen, die uns etwas beigebracht haben – selbst unseren Fahrlehrer. Alle diese Menschen haben uns Disziplin beigebracht, Konzentra@on, Kontrolle, Sprache, Respekt, wie man Beziehungen eingeht – also müssen wir sie alle respek@eren; und wenn wir das tun, erkennen wir wieder einmal, was für eine komplexe Situa@on das ist. Es geht nicht um einen einzelnen Guru, der in einer Kugel abgetrennt von allen anderen lebt. Wenn unsere MuAer uns nicht das Sprechen gelehrt häAe, oder ein Lehrer uns nicht geholfen häAe, eine Sprache zu erlernen, würden wir kein Wort davon verstehen, was der Guru zu uns sagt. Also kommt vor dem Guru die MuAer. Ohne MuAer gibt’s keinen Guru. Das ist sehr wich@g. Ohne Lehrer in der Schule – kein Guru. Ohne die Person, die uns Lesen und Schreiben beigebracht hat, könnten wir niemals ein Dharma-­‐Buch lesen. Wir stehen in der Schuld sehr vieler Menschen. Nochmals: unsere Beziehungen sind äußerst kompliziert. Wir können das nicht einfach alles abtrennen und sagen: “Hier ist mein einzig wahrer Held, das ist mein einziger Weg!” Denn das würde bedeuten, dass wir alle anderen Menschen verlassen und zurückweisen, die uns im Leben geholfen haben. Wir können die EigenschaFen all dieser Menschen in der Form des Gurus oder von Machig Labdron vereinigen, aber das ist ihre symbolische Präsenz. Respekt anderen Menschen gegenüber ist sehr, sehr wich@g; und das bedeutet auch, alle jene zu ehren, die uns geholfen haben, selbst wenn sie Fehler gemacht haben, weil es unmöglich ist, zu leben, ohne Fehler zu machen. So ist es eben.
Melanie Klein, eine berühmte Psychoanaly@kerin, hat eine sehr interessante Idee entwickelt: sie sagt, dass die wirkliche Evolu@on des Menschen durch die Vergebung geschieht. Kinder sind oF von einer @efen Wut oder einem Hassgefühl ihren Eltern gegenüber durchdrungen; oF gilt das speziell der MuAer, weil sie uns auf irgendeine Weise blockiert hat oder weil wir eifersüch@g auf den anderen Elternteil waren. Die MuAer haAe viel Freiheit und Macht; und als Kind haben wir oF das Gefühl, dass unsere Eltern ihre Macht missbrauchen. Sie sagen uns, dass wir schlafen gehen müssen, sie lassen uns nicht das tun, was wir gerne möchten... Wir tragen viel Hass und Frustra@on mit uns herum. Wir konstruieren ganze Theorien, die besagen: häAen sie uns nur mehr gegeben, wären wir heute nicht mit diesen Problemen konfron@ert.
Melanie Kleins Idee ist, dass wir für diese Gefühle eine Wiedergutmachung leisten müssen, um in den Zustand der Vergebung zu gelangen. Nur wenn wir unseren Eltern ihre Fehler vergeben haben, können wir neu geboren werden. Genauso ist es mit dem Dharma: wir müssen Wiedergutmachung leisten. Wir waren nicht so erfolgreich, wie unsere Lehrer sich das für uns gewünscht häAen und vielleicht haben sich auch unsere Lehrer manchmal auf eine Weise benommen, die es uns schwer machte, etwas zu lernen. Das geht durchaus in beide Richtungen. Obwohl die Lehrer in der @be@schen Tradi@on ihren Schülern so etwas nicht sagen, haben sie dennoch immer das Gefühl , nicht so gut unterrichtet zu haben, wie sie es häAen sollen, oder den Menschen nicht so weit helfen zu können, wie sie das gewollt häAen. Das denkt der Lehrer bei sich. Genauso, wie der Therapeut immer bei sich denkt: “Ich häAe so viel mehr tun können, um zu helfen.” Es ist nicht sehr sinnvoll, das seinem James Low © www.simplybeing.co.uk 131
Klienten zu sagen, aber ohne diese Gedanken wären wir vermutlich nicht sehr effek@v.
Die Schüler wiederum denken oF: “Wie häufig habe ich diese Unterweisung schon erhalten und immer wieder vergessen!” oder: “Wie oF habe ich das prak@ziert, seit ich es das letzte Mal gehört habe?” Und wir fühlen uns ein bisschen traurig. Das ist die Traurigkeit des Samsara. Wir können es immer besser machen. Das ist eine rela@ve Wahrheit und sie ist sehr wich@g. Von der anderen Seite her betrachtet, ist alles von allem Anfang an rein. Unsere Depression ist rein, unsere Traurigkeit ist rein, selbst unsere Wut.
DAS WICHTIGSTE IST DIE INTEGRATION
Das Wesentliche ist: auf dem Nyingma-­‐Weg versuchen wir, alle Wege zu integrieren, obwohl Dzogchen die Hauptlehre bleibt. Hinayana lehrt uns, das Unreine zu vermeiden. Es ist sehr wich@g, für uns herauszufinden, was uns schwer fällt, was uns nicht weiterhilF. Die Dinge können formell sehr gut funk@onieren, aber uns trotzdem nicht weiterhelfen; sie können uns durcheinanderbringen. Vielleicht findet ein Retreat mit hunderten von Menschen staA, aber wenn einen diese Art von Energie beunruhigt, dann ist die Teilnahme daran nicht hilfreich, selbst wenn es sich um eine noch so heilige Ak@vität handelt. Sich auf Pilgerreise zu begeben kann sehr hilfreich sein, aber wenn es einen nur vers@mmt und beunruhigt, ist es nicht das Rich@ge. Nur deshalb, weil etwas der Form nach gut ist, heißt das nicht, dass es uns weiterhilF. Wenn es heißt: “Vermeide das Unreine”, bedeutet das: dasjenige, was für dich unrein ist; indem man sich der eigenen Erkenntnis bedient.
Das ist von allergrößter Wich@gkeit, weil die zentrale Aufgabe immer ist, sich selbst zu beobachten. In was für einem Zustand befindet man sich heute? Was sind unsere Möglichkeiten? Wenn man sich überfordert, kann man nicht arbeiten. Wie du gestern Abend gesagt hast: “James hat zu viel geredet, es war alles ein bisschen zu viel”; und dass s@mmt exakt. Vielleicht war dieser Hinweis für andere Menschen hilfreich; wir müssen also selber wissen: “Ach, ich entspanne mich jetzt oder mache ein kleines Nickerchen. Ich brauche nicht von allem zu haben, mir reicht’s jetzt für’s erste.” Und jemand anderer denkt sich: “Ach, davon möchte ich noch mehr hören.” Deshalb ist es sehr wich@g, dass in einer Situa@on wie der jetzigen die Menschen ihren eigenen Standpunkt einnehmen in dem, was da passiert.
UNREIN IST AUCH LEER
Die zweite Sache, die wir aus dem Mahayana nehmen, ist die Vorstellung, dass auch das Unreine leer ist, dass das Wesen einer jeden unreinen Handlung in Wirklichkeit die Leere ist. Wenn man etwas s@ehlt – beispielsweise stehle ich diese Füllfeder: dann ist diese Feder leer, ich bin leer, die Handlung des Stehlens ist leer. Es ist ein Konstrukt; es hat keinerlei innewohnende Bedeutung. Natürlich – weil diese Feder jemandem gehört, wird derjenige sagen: “Hey, ich rufe die Polizei!” und die Polizei kommt und fragt: “Hast du diese Füllfeder gestohlen?” “Ja, ich habe sie gestohlen.” “Dann müssen Sie jetzt vors Gericht.” “Herr Low, Sie sind angeklagt, eine Füllfeder gestohlen zu haben.” “Es tut mir sehr leid. Ich möchte mich beim Gericht für meine schändliche Tat entschuldigen. Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist. Ich war auf einem buddhis@schen Retreat und habe viel medi@ert, meine Gedanken sind ganz durcheinandergeraten und ich habe diese Feder gestohlen.”
Auf diese Weise kann die Welt eine momentane Handlung in etwas sehr Reales verwandeln, und wir müssen uns den Konsequenzen stellen. Wir tun etwas; und die Welt, in der wir leben, die Welt des Samsara, besteht aus Subjekt und Objekt, hart und getrennt; und wenn man sich schlecht benimmt, dann kriegt man eins über die Rübe – in irgendeiner Form. Das ist die Realität.
Gleichzei@g sind aus der Sicht der Praxis, wenn man das Herz-­‐Sutra studiert hat und die fünf James Low © www.simplybeing.co.uk 132
Skandhas begreiF, alle Aspekte dieser Handlung leer. Weil sie leer sind – wenn man so will, sind sie aus Plas@k, beweglich – haben sie keinerlei Wesenskern. Das Baby, beispielsweise, hat eine hübsche kleine Finger-­‐Puppe. Sie lässt sich in alle Richtungen verbiegen, aber wenn man seine Hand hineinsteckt, lässt sie sich nur bewegen, wenn man seinen Finger bewegt. Wenn Dinge leer sind, sind sie viel flexibler.
Wenn wir uns als Padma Sambhava visualisieren, können wir nur dann zu Padma Sambhava werden, wenn wir nicht schon völlig wir selbst sind. Ansonsten wird das Ganze zu einer Art Verstell-­‐Spiel. “Im großen Samsara-­‐Theater präsen@eren wir Ihnen, direkt aus Berlin eingeflogen, unseren Freund Jens, der heute für uns Padma Sambhava darstellen wird!”
Kommentar: Es kann in einer Minute losgehen!
James: So ist es nicht. Wir fügen nicht etwas zu uns hinzu, wir verfälschen uns nicht – aus dem Verständnis der Leere des Mahayana heraus entspannen wir uns, öffnen uns in diesen klaren blauen Himmel und entstehen daraus als Padma Sambhava. In diesem Moment sind wir nicht Jens, Ruth, Elke oder sonstwer. Alles, was exis@ert, ist dieses Entstehen. Je einsgerichteter wir in der Offenheit sind, desto mehr ist es so, wenn wir in dieser Form hervorkommen. Wir haben keinerlei böse Absicht uns selbst gegenüber. Durch diesen Vorgang kann jegliche unreine Form transformiert werden. Wenn man allerdings denkt: “Ich bin ein schlechter Mensch, ich bin zu selbstsüch@g und habgierig, ich mache ständig Fehler”, dann ist es sehr schwer, sich zu transformieren. Aber wir müssen uns gleichzei@g auch an die Sichtweise des Hinayana erinnern, der zufolge wir tatsächlich Fehler machen. Das Ganze wird also sehr kompliziert. Wenn man nur sagt, dass man keine Fehler macht, führt das womöglich in eine sehr aufgeblasene Täuschung. Die Transforma@on alles dessen, was in Körper, Rede und Geist unrein ist, entsteht aus der Leere; also ist es ganz wich@g, immer und immer wieder zum Herz-­‐Sutra zurückzukehren, die Texte über die Leere zu studieren und die Praxis der Auflösung zu üben, die uns die Möglichkeit gibt, das zu erfahren.
Und diese analy@sche Methode anzuwenden, die Dinge in ihre Bestandteile zu zerlegen. Man kann das ganz leicht machen – man nimmt ein einfaches Objekt aus dem Haushalt, zerlegt es und setzt es wieder zusammen; man macht die Erfahrung, wie es ist, wenn da nur Einzelteile herumliegen, die sich dann wieder zu dem Ding zusammensetzen.
KA DAG: URSPRÜNGLICHE REINHEIT
Und der vierte Punkt, den wir uns aus der Sichtweise des Dzogchen ansehen, ist die ursprüngliche Reinheit, ka dag, über die wir bereits ein wenig gesprochen haben. Das bezieht sich auf die Vorstellung, dass der Geist leer ist – denn wenn wir die Natur unseres Geistes suchen, finden wir sie nirgendwo – und trotzdem ist sie voll Energie und Manifesta@onen. Diese Energie und die Manifesta@onen sind von allem Anfang an rein, denn sie entstehen aus der und innerhalb dieser Unendlichkeit der Leere. Die Welt ist Erfahrungssache. Die Welt ist eine ästhe@sche Realität. Sie berührt uns auf diese Art und Weise, nicht in materieller Hinsicht. Selbst wenn ich hier gegen die Wand schlage und mir denke: “Das ist aber eine harte Wand!” ist das nichts anderes als eine Erfahrung. Wenn ich mich frage: “Au! Warum schlage ich mit meiner Hand auf diese Wand? Ich bin ja doof – wozu mache ich das eigentlich?” entwickle ich eine Menge Gedanken zu etwas, was im Grunde nichts als ein Sinneseindruck ist. Auf Grund meiner Geschichte weiß ich: “Au! Au! James! Au!“ – also ist da etwas. Ich schlage gegen die Wand. Ich bin hier und die Wand ist dort. Das sind Konzepte. In Wirklichkeit haben wir hier einen Sinneseindruck und wenn ich einfach nur das spüre, ist das weder gut noch James Low © www.simplybeing.co.uk 133
schlecht. Es ist ein bisschen warm, ich spüre eine gewisse KraF. Lasst einfach die Konzepte fahren; irgendetwas geht vor, aber was das ist, wissen wir nicht. Wenn wir diesem Vorgang das Konzept überstülpen: „Ich schlage mit meiner Hand auf die Wand. Die Wand ist härter als meine Hand. Wenn ich so weitermache, werde ich mir wehtun. Ich sollte auyören”, dann haben wir es mit Konzepten zu tun und wo kommen diese Konzepte her? Sie kommen von demselben Ort, wie die Empfindungen, die Sinneswahrnehmungen. Alles entsteht aus demselben Ursprung, und zwar aus der reinen Natur des Geistes.
Das ist nicht unsere gewöhnliche Erfahrung. Unsere normale Wahrnehmungsweise ist: „Ich habe einen Sinneseindruck. Er entsteht in mir. Die Wand hat keine Sinneseindrücke, weil sie keinen Geist hat.” Also entwickeln wir alle diese Konzepte und kommen dann zu dem Schluss, dass die Wand etwas anderes ist als ich selbst.
Aus der Sicht des Dzogchen lassen wir die drei Aa ertönen, wir entspannen uns, wir nehmen diesen Raum hier in unsere Entspannung mit hinein und wir bemühen uns, in völliger Offenheit einfach nur mit der Erfahrung der Präsenz dieser lichtvollen Realität anwesend zu sein, die entsteht, sich verwandelt und sich als Erfahrung verändert. Wir entwickeln keine Gedanken über die Dinge, sondern wir sind einfach in der Erfahrung präsent. Wenn wir einmal anfangen, uns Gedanken über den Raum zu machen, wird der Raum zu etwas Getrenntem, wir werden zu etwas Separatem und die VermiAlung findet durch die Gedanken staA. Wenn wir feststellen, dass die Gedanken aus demselben Urgrund entstehen wie die Empfindung des Körpers selbst und die Eindrücke, die wir von der Welt um uns herum empfangen, hat alles denselben Ursprung. Dieser Ur-­‐Grund ist die Leere – deshalb ist alles immer gut; das ist Kuntuzangpo. So gesehen ist alles rein. Egal, wie es sich präsen@ert – es ist einfach eine Erfahrung. Erfahrungen sind immer rein – und alles, was wir haben, sind Erfahrungen. Es ist nicht nur wie ein Traum, es ist vielmehr eine energe@sche Realität, in der wir handeln und auch derjenige, der handelt, ist leer.
Das ist der Grund, warum wir gestern beim Medi@eren geübt haben, an demjenigen dranzubleiben, der das tut, was gerade geschieht. Wenn ihr feststellt, dass ihr geht, bleibt an demjenigen dran, der geht. Wenn ihr esst, bleibt dran an dem, der isst. Wenn ihr redet, bleibt dran an dem, der spricht.
Kommentar: Hast du ein anderes Wort als ‘dranbleiben’?
James: Ja, man könnte auch sagen: „bleibe dabei“, „bleibe mit“. Aber es ist nicht: derjenige, der spricht und ich. Wenn ich sage: “bleib dran”, dann ist das irgendwie ganz, ganz nah dran, ganz dicht auf der Spur – während wir uns natürlich daran erinnern, dass derjenige, der dranbleibt, kein “jemand” ist. Er hat weder Form noch Farbe noch Gestalt. Es ist einfach das Gewahrsein selbst. Also kommt man nicht von einer bes@mmten Posi@on.
Das ist der Weg zur Selbst-­‐Befreiung aller Phänomene. Wir erfahren auf absolute Weise alles, was entsteht, als vergänglich, sich verändernd, auFauchend und sich befreiend auf dem Grund dieses offenen Gewahrseins, das sich niemals verändert. Das ist der Dzogchen-­‐Weg der Reinigung von Körper, Rede und Geist in einem. Eine Methode reinigt alles. Es ist zugleich sehr einfach und sehr, sehr schwer. Es ist einfach, weil es immer da ist und sich ständig von selbst so abspielt; und es ist schwer, weil wir lange Zeit hindurch geübt haben, etwas anderes zu machen.
Das ist, wie wir wissen, sehr, sehr schwierig. Wenn jemand beispielsweise Golf spielt, oder James Low © www.simplybeing.co.uk 134
Tennis, und viele Jahre lang allein prak@ziert hat und dann beschließt, sein Spiel zu verbessern – dann geht man zu einem Trainer; und der Trainer sagt sehr oF: “Du musst ganz bei Null anfangen. So, wie du das machst, geht das kompleA gegen den eigenen Körper.” Und man sagt: “Aber ich mache es immer so. Es hat bis jetzt funk@oniert.” “Wenn du so weitermachen willst, ist das natürlich in Ordnung; aber wenn du wirklich willst, dass ich dir zeige, wie man Tennis spielt, musst du es so machen.” Und wenn man dann übt, fühlt sich das ganz seltsam an, weil man eine ganz @efsitzende Körper-­‐Erinnerung daran hat, wie man es bisher gemacht hat. Also muss man alles verlernen, bevor man das Neue lernen kann und dieses Verlernen führt dazu, dass wir uns dumm fühlen.
Ein Aspekt, wenn man medi@eren lernt, ist die Tatsache, dass wir so gewohnt sind, unsere Gedanken zu konstruieren und zu kontrollieren und wir wissen so genau, wie das geht, wir können das rich@g gut, sodass es viel einfacher ist, mit dieser Gewohnheit weiterzumachen, in der wir uns kompetent fühlen – obwohl sie fundamental inkompetent ist, zu@efst inkompetent – aber an der Oberfläche fühlt es sich kompetent an. Damit aufzuhören, fühlt sich an wie eine @efe Inkompetenz. Aber nur, wenn wir diese @efe Inkompetenz spüren, können wir durch sie hindurch zu wahrer Kompetenz gelangen.
DIE DREI AAs: siehe auch Anhang 17
Sollen wir ein wenig prak@zieren? Wenn wir mit den drei Aa beginnen und dann eine kleine Weile einfach sitzen, sehr offen, mit offenen Augen und vor uns in den Raum in der MiAe dieses Zimmers schauen, werden wir der Wände gewahr und der Menschen um uns herum. Das behindert die Medita@on nicht. Nehmt das alles in die Medita@on mit hinein, aber iden@fiziert die Menschen, die ihr seht, nicht ausdrücklich; denkt nicht: “Ah, sie trägt heute gelb, oder grün, oder rot, oder was auch immer”. Wenn dieser Gedanke auFaucht, bleibt einfach an ihm dran – geht nicht in ihn hinein, beschäFigt euch nicht damit, sondern seid einfach ganz entspannt – und ihr werdet bemerken, dass sich das, was ihr seht, allmählich verwandelt.
[Medita@on]
Wie auch gestern schon, werden wir eine Reihe kürzerer Sitzungen hintereinander abhalten.
Kommentar: Ich brauche immer ziemlich lange, bis mir klar wird, was gerade los ist – und dann sind die anderen meist schon wieder weiter. Was kann ich dagegen tun?
James: Eine Möglichkeit, sich das vorzustellen, ist in Form von Ges@mmtheit. Es geht etwas vor, an dem sich Menschen beteiligen und wenn man selbst an diesen Punkt kommen will oder in den Takt dessen, was sie machen, muss man in diesen Rhythmus hineinkommen. Wie kommt man also in diesen Rhythmus, ohne sich darin zu verlieren? Eigentlich nur mit Übung. Man braucht dazu zweierlei: den Wunsch, in den Rhythmus zu kommen und den Wunsch, sich darin nicht zu verlieren. Und man muss diese beiden Wünsche beisammen halten.
Zum Teil hängt es natürlich davon ab, ob man das, was die Menschen da tun, ernst nimmt. Wenn man den Dharma prak@ziert, denkt man vielleicht: “Ach, dieses ganze Zeug ist ja bloß Samsara”; dann ist man dem gegenüber nicht sehr offen. Aber wenn es gleichzei@g die Art ist, wie du dein Geld verdienst und du Geld brauchst, musst du auch aufpassen. Es ist auch das, was jetzt gerade geschieht. Einfach die Realität. Die Realität, in der du dich manifes@erst, ist Büro-­‐Poli@k, s@mmt’s? Und innerhalb der Büro-­‐Poli@k ist man entweder Gewinner oder Verlierer; also ist es eine Art Kampf. Gewahrsein ist eine wunderbare Möglichkeit, zu gewinnen, weil man dann sogar dem Taktschlag zuvorkommen kann; weil man vorhersehen kann, was als nächstes kommt.
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Man muss also seine Aufmerksamkeit darauf konzentrieren, was gerade geschieht, aber nur ganz leicht. Wenn man sich zu sehr in die Poli@k hineinkniet, in die Unterhaltungen, verliert man sich. Und dann entsteht Emo@on und Emo@on, speziell Angst, macht einen dumm. Das s@mmt ganz uneingeschränkt. Ich bin vollkommen davon überzeugt, dass Angst einen dumm macht. Wenn du entspannt bist, bist du intelligenter. Ich sehe das immer wieder bei meinen Pa@enten, die viel intelligenter werden, sobald die Therapie greiF und sie nicht mehr so ängstlich sind. Dann kehren sie in eine Situa@on zurück, die ihnen Angst macht und sie werden wieder dumm. Die Macht anderer Menschen kann uns ängs@gen. Aus unserer Kindheit, auf Grund unseres Karmas, haben wir eine bes@mmte Verletzlichkeit in Situa@onen, in denen wir das Gefühl haben, dass andere Menschen uns schlecht machen, beschämen oder uns dumm finden könnten. Ein Großteil davon besteht darin, unsere eigene Sorge zu beobachten; das macht es uns leichter, sie hinter uns zu lassen. Angst entsteht oF, wenn wir das Gefühl haben, die Welt sei gegen uns. Wenn wir uns in einer Situa@on befinden, wo wir das Gefühl haben, die anderen, unsere Kollegen, seien gegen uns und wir die Außenseiter, wird das jeden besorgt s@mmen.
Der erste Teil ist Verführung. Wie erlangt man Zugehörigkeit zu einer Gruppe – denn ohne irgendwo dazuzugehören, kann man sich nicht bewegen. Es ist der Übergang vom Hinayana-­‐
Wunsch, sich zu schützen, indem man einen SchriA zurück tut – was sehr sinnvoll ist; sehr oF ist es im Leben so, dass uns jemand verletzt und wir uns denken: “Verdammt, ich habe genug. ich gehe.” Aber im Mahayana denken wir, dass wir jedenfalls Mitgefühl haben müssen, und das holt uns zurück. Aber wir erkennen, dass alle diese Menschen in unserem Büro – oder wo auch immer – die Fünf GiFe in sich tragen. Sie sind gierig, selbstsüch@g, sie wollen gewinnen, sie haben viele dieser Emo@onen; also bewegen wir uns in diesem Feld der Fünf GiFe und haben ja auch unsere eigenen Fünf GiFe.
SICH SELBST BEFREIEN, UM MACHTVOLL ZU SEIN
Was ist das Ziel? Was ist der echte Wunsch, die Inten@on? Man muss sich darüber im Klaren sein, was man da tut. Es ist unser Vorsatz, der uns über dieses raue Wasser der GiFe trägt. Auf einer allgemeinen Ebene ist es der Vorsatz, allen lebenden Wesen zu helfen. Ein anderer Vorsatz ist der, einigermaßen machtvoll zu sein.
Ich glaube, dass Macht etwas sehr, sehr Wich@ges sein kann. Macht exis@ert. Wir werden sie nicht los. Ich habe einen Vorsatz gefasst und möchte ihn umsetzen, also brauche ich die Macht, das zu tun. Eine Frage ist, wie wir uns selbst daran hindern, machtvoll zu sein? Wie sabo@eren wir uns selbst? Vielleicht ist es die Furcht, dass die Menschen uns beneiden, wenn wir machtvoll sind; dass sie uns ablehnen und uns nicht mögen. Wir entscheiden vielleicht, dass die einzige Möglichkeit, dazuzugehören, gemocht, geliebt zu werden, darin liegt, machtlos und anderen Menschen zu Gefallen zu sein. Das ist eine sehr weit verbreitete Überzeugung – speziell unter Frauen. Auch bei Männern, aber noch häufiger gilt das für Frauen. Also müssen wir uns sozusagen selbst befreien, um machtvoll zu sein.
Deshalb ist die Machig Labdron Praxis sehr gut. Sie ist das wunderbare Beispiel einer machtvollen Frau, die ihre Macht aber auf sehr krea@ve Weise einsetzt. Aber es gehört zum Mäch@gsein dazu, dass man nicht von allen geliebt wird, also müssen wir auch untersuchen, warum wir geliebt werden wollen. Das ist eine wirklich schlimme Sache. Wir möchten geliebt werden, weil wir uns einsam fühlen und wenn es nicht Menschen gibt, die uns sagen, dass wir in Ordnung sind, haben wir das Gefühl, wirklich furchtbar zu sein und dass uns nie mehr irgendjemand lieben wird. Das ist eine roman@sche Illusion, mit deren Hilfe viele Millionen dieser Mills und Boon-­‐Dinger, dieser Schmalz-­‐Romane verkauF werden, in denen diese James Low © www.simplybeing.co.uk 136
wundervolle Person kommt und alles wird, wie... “Ah -­‐ jetzt, wo ich dich gefunden habe, werde ich nie wieder einsam sein!” Leider ist das Leben nicht so, denn wenn wir sterben, tun wir das ganz alleine. Vollkommen alleine.
Wenn wir medi@eren, sind wir alleine. Die Medita@on kann voller GöAer und Gö„nnen sein und solchen Dingen, aber im Augenblick der Medita@on, so heißt es, ist die Beschaffenheit von rig pa oder dem Gewahrsein nackt, einzeln, allein. Aus dieser Einsamkeit können wir uns nach außen wenden und Verbindungen eingehen. Wenn wir das Alleinsein wirklich schmecken, die Einsamkeit, die Vollständigkeit und gleichzei@g das völlige Offensein – das ist alles: es ist vollkommen und gleichzei@g offen. Normalerweise ist „vollständig“ irgendwie geschlossen, aber hier ist es vollständig und offen – die Große Perfek@on, die Große Vollkommenheit.
Aus dieser Haltung heraus können wir mit Menschen zusammen sein oder nicht, und wir werden uns nicht so einsam fühlen. Wenn uns jemand mag und mit uns spricht – fein. Wenn nicht, ist das auch fein. Weil wir immer etwas zu tun haben. Wenn wir im gewöhnlichen Wortsinn allein sind, wenn wir auf uns allein gestellt sind, können Ängste auFauchen und wir wollen sie oF loswerden, indem wir Ablenkung suchen.
Ich kenne jemanden, der immer sehr, sehr beschäFig ist und wenn er abends nach Hause in seine Wohnung kommt, dann ist er nach einer halben Stunde schon wieder auf dem Weg in einen Massagesalon. Er kann einfach nicht auyören. Es gibt dafür ganz viele Gründe. Aber er ist sich auch dessen bewusst, dass einer der Gründe, warum er ständig ausgehen muss, darin liegt, dass er sich selbst nicht „enthalten“ kann, er hat keinen Topf für sein Selbst. Wir müssen auf unterschiedliche Weise einen Topf entwickeln, der uns enthält. Der beste Topf ist die Leere, weil er groß genug ist, um alles aufzunehmen – egal, was für eine Scheiße passiert. Das ist der beste Topf. Aber egal – selbst der Topf des gewöhnlichen Glaubens an sich selbst, der simplen Selbst-­‐Achtung ist sehr wich@g.
Kommentar: Warum?
James: Weil wenn wir das nicht haben, verlassen wir unseren Topf in dem Versuch, das zu bekommen, was wir brauchen – und das heißt soviel wie: “Ich brauche dich, damit du mich liebst, damit du neAe Dinge in meinen Topf tust.” Aber mit Hilfe der Medita@on können wir unseren Topf einfach mit diesem natürlichen Frieden füllen, mit der natürlichen Zufriedenheit. Dann brauchen wir die anderen Menschen nicht mehr so dringend. Nicht so bedürFig zu sein – darin liegt die Basis für Macht.
Die erste Grundlage für jegliche Art von Macht ist es, in der Lage zu sein, wegzugehen. Wenn man eine Situa@on nicht hinter sich lassen kann, ist die halbe Macht bereits futsch. Man sitzt in der Falle. C. R. LAMA SAGTE: „KAUF DIR IMMER EINE RÜCKFAHRKARTE.“
Viele von euch haben mich das bereits sagen gehört – eine der besten Lehren, die ich von C.R. Lama empfangen habe, war der Satz: “Kauf dir immer eine Rückfahrkarte”. Wo immer man auch hingeht, man sollte immer eine Rückfahrkarte dabei haben. Er haAe oF die Erfahrung gemacht, wohin zu kommen und bei Menschen zu wohnen, um dort zu lehren und diese Menschen haAen sich ihm gegenüber dann sehr seltsam benommen. Zuerst, am Telefon, hieß es immer “Ach, Rinpoche, ach, Rinpoche!“ – dann kommt er dorthin und sie geben ihm seltsame Dinge zu essen und behandeln ihn gar nicht freundlich.
Am Anfang, als er aus Indien kam, haAe er nicht viel Geld und fühlte sich dann ein bisschen in der Falle; er versuchte, diesen Menschen zu helfen und erkannte plötzlich: “Oh-­‐oh! Du James Low © www.simplybeing.co.uk 137
gehst hinein, du gehst wieder hinaus!” Wenn es nicht gut da drinnen ist, schau, dass du wieder herauskommst.
Das ist sehr, sehr wich@g. Natürlich – wenn die wirtschaFliche Situa@on sich ändert und es schwieriger wird, Jobs zu finden, kann man sich leicht in der Falle fühlen. Deshalb sollten wir uns zumindest darüber im Klaren sein, was die vertragliche Abmachung in jeder Art von Situa@on ist, in die wir uns hineinbegeben. Der Vertrag muss immer klar sein – warum tue ich das? Wofür mache ich es? Und warum machen sie es? Sodass sich beide Seiten im Klaren sind, warum sie es tun. Dabei kann es sich um etwas ganz Wich@ges oder um etwas Unwich@ges handeln; aber wir sollten zumindest wissen, warum wir es tun. Wenn man also zur Arbeit geht, muss man wissen, warum man es tut. Macht man es für‘s Geld, den Status, oder weil man Freunde haben will, oder weil man wirklich an das Projekt glaubt? Warum auch immer. Wunschvorstellungen, selbst gute Wünsche, wie der Vorsatz, anderen Menschen zu helfen, werden ganz schnell zur AnhaFung, die uns in die Welt hinaus führt, in der wir dann in der Falle sitzen.
Wie ich anderntags bereits sagte: die bösar@gsten Auseinandersetzungen finden innerhalb der linken Poli@k staA. Die meisten dieser Menschen würden vermutlich sagen: “Wir wollen die GesellschaF verändern, um den Menschen zu helfen.” Aber dann geraten sie sich in die Haare, ununterbrochen. Das Gleiche gilt für alterna@ve Gruppierungen und radikale Gruppen – da kommt es ganz leicht zu Abspaltungen, weil die Menschen den Grund aus den Augen verlieren, weshalb sie da sind. Die Fünf GiFe beginnen aufzukochen. Zu Anfang ist alles ganz altruis@sch und mit großzügigem Fokus – und dann sind alle plötzlich ganz besessen von Macht und Status.
GRENZEN SETZEN
Was offensichtlich auch sehr wich@g ist, ist die Fähigkeit, Grenzen zu setzen. Wenn einige von euch die Große Rigdzin-­‐Praxis oder andere tantrische Prak@ken üben, ist eines der ersten Dinge, die man am Anfang tut, eine Grenze setzen. Man visualisiert eine Wand von Vajras um sich herum – manchmal ist das eine sehr hohe Mauer und dazu noch Wände aus Feuer. Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten, das zu tun, aber jedenfalls stellt man sich vor, dass der Ort, an dem man medi@ert, abgetrennt und vor anderen geschützt ist und dass niemand diese Grenze überschreiten kann. Es ist sehr wich@g, eine Vorstellung davon zu haben, wo man selbst auyört und der andere beginnt. Wir haben gestern darüber gesprochen, wie wir auf einer offeneren Ebene miteinander verschmelzen und voneinander abhängen. Aber auf unserer alltäglichen sozialen Ebene müssen wir Grenzen setzen.
Wenn Menschen uns daran hindern, Grenzen zu setzen, sind diese Menschen gegen uns. Wenn sie gegen uns sind, sind sie unsere Feinde. Es fällt manchen Menschen sehr schwer, zu erkennen, dass sie Feinde haben. Menschen, die in unser Leben eindringen, die uns herumkommandieren, uns kontrollieren und uns nicht respek@eren sind unsere Feinde. Es macht Angst, zu erkennen, dass man Feinde hat; dass es tatsächlich Menschen gibt, die uns Böses wollen. Vielleicht tun sie das ganz unbewusst, aber wenn jemand alle Macht an sich reißt, dann bleibt keine mehr für andere. Menschen, die uns die Macht und die Freiheit nehmen wollen, sind unsere Feinde. Der Dharma beschreibt viele Methoden, wie man mit Feinden umgeht. In all den Prak@ken der zornvollen GoAheiten geht es um einen starken Schutz der eigenen Grenzen und wie man den Raum füllt.
Beim Üben dieser starken GoAheits-­‐Prak@ken verwendet man sehr oF den Buchstaben Hung. James Low © www.simplybeing.co.uk 138
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HUNG
Wenn wir ein Hung aussenden – Hung! Hung! Hung! – dann ist das etwas sehr Ak@ves. Wenn man anderen keinen TriA in den Hintern versetzen kann, wird man selbst getreten. Kommentar: So, wie ich es sehe, sind Menschen so was wie ein Mosaik, das sich aus feindlichen und freundlichen Ak@onen zusammensetzt. Ob bewusst oder nicht, ich bin genauso. Ich übertrete manchmal die Grenzen der anderen, manchmal respek@ere ich sie, manchmal mache ich ihnen sogar mehr Platz, als sie haben, haben möchten oder verdienen. Es ist nicht so, dass ein Mensch mein Feind ist, jetzt und für immerdar; es geht immer nur um den gegenwär@gen Augenblick, in dem ich mich niederlassen muss...
James: Ja, absolut. Es heißt also, sehr flexibel zu sein. Das Wich@gste ist, zu lernen, wie man wütend sein kann, ohne zu hassen; und wie man wütend sein kann, ohne ängstlich zu werden. Mit „wütend“ meine ich hier diese KraF der Durchsetzungsfähigkeit, eine aggressive KraF, eine KraF, die nach außen gerichtet ist. Sodass man jemanden, der Ärger macht, zurück schieben kann. Und wenn sie einmal weg sind, entspannt man sich einfach. Man versucht nicht, sie auszulöschen oder sie zu töten; man sagt nur: “Oh-­‐oh! Dort nach hinten!” Wenn sie einmal dort hinten sind, dann ist es okay, und man macht einfach weiter. Wir sagen nicht: “Von jetzt an werde ich nie mehr mit dir sprechen!” Deshalb ist es hilfreich, eine große Anzahl unterschiedlicher Medita@onsformen zu erlernen. SCHNEIDE DAS SUBJEKT AB, DANN IST DAS OBJEKT BEFREIT. SCHNEIDE DAS OBJEKT AB, DANN IST DAS SUBJEKT BEFREIT.
Eine der Funk@onen von Machig Labdron ist, dass sie mit der Praxis des Ego-­‐Abschneidens in Verbindung gesetzt wird. Das ist eine gute Methode, mit Stolz umzugehen. Chöd ist in erster Linie eine Praxis gegen die AnhaFung an den Körper und an den Stolz. Von den vier Dämonen, um die es da geht, sind zwei von ihnen Dämonen des Stolzes. Wenn man es mit feindlichen Menschen zu tun hat, ist Chöd allerdings keine wirklich geeignete Praxis. Chöd begegnet unserer Angst vor Feinden, indem es die Basis des Selbst abschneidet, das sich fürchtet.
Das ist eine ganz andere Herangehensweise als zum Beispiel die Praxis des Vajrakilaya, einer zornvollen GoAheit, in der man sich ak@v aufmacht, den anderen zu erdolchen. Beim Chöd s@cht man auf sich selbst ein. Wenn wir das Subjekt abschneiden, ist das Objekt frei. Wenn wir das Objekt abschneiden, ist das Subjekt frei. Wir müssen beide Methoden für unterschiedliche Situa@onen lernen. Manchmal muss man mit seiner Aggression nach außen gehen. Zu anderen Zeiten müssen wir einen größeren Raum in unserem Inneren öffnen. UNSERE VERPFLICHTUNG, NICHT ZUZULASSEN, DASS ANDERE MENSCHEN LEID VERURSACHEN Meine Klienten sind manchmal sehr beleidigend und aggressiv mir gegenüber und das scheint mir oF sehr gesund zu sein. Vielleicht waren sie noch nie in der Lage, sich so zu verhalten und ich bin der erste Fokus für ihre angespannten Gefühle. Das ist okay für mich; das gehört zu meinem Job. Aber wenn jemand einfach seine Scheiße bei mir ablädt, werde ich das nicht zulassen und vielleicht antworten: “Hey, komm’ schon! Das hier ist ein Spital. Was glaubst du denn? Ich arbeite zwar hier, aber ich akzep@ere die Art nicht, wie du mich James Low © www.simplybeing.co.uk 139
behandelst! Wage es nicht, so mit mir zu sprechen!” Das ist auch wich@g, weil es bedeutet, dass ich exis@ere. Ich bin ein Mensch. Wie kannst du es wagen, so mit mir zu sprechen?
Man muss in der Lage sein, diese Posi@onen einzunehmen und sie auch wieder aufzugeben. Wenn wir von Anfang an in einer bes@mmten Posi@on verhaFet sind, sitzen wir in der Falle. Wenn wir eine bes@mmte Posi@on einnehmen, sind die vielen, vielen Posi@onen anderer Menschen nicht mit der unsrigen kompa@bel. Es hilF, wenn wir uns entspannen und uns der eigenen Absicht dem anderen gegenüber bewusst sind. Unsere Haltung dem anderen gegenüber ist der zentrale Punkt. Wenn es darum geht, ihm zu helfen, muss ich bei unserer Interak@on beurteilen, ob sie wirklich hilfreich ist. Jemandem zu gestaAen, ein immer wiederkehrendes Verhaltensmuster uns gegenüber zu wiederholen, ist vermutlich nicht sehr hilfreich – obwohl der gegenwär@ge Augenblick vielleicht nicht der beste Moment ist, das zu stoppen.
Unserem Gegenüber fehlt es vielleicht an der Fähigkeit zur Erkenntnis, also muss man es möglicherweise ziemlich derb einbremsen. Wenn sie die Fähigkeit zur Einsicht haben, kann man sie viel sanFer unterbrechen. Das hängt immer von unserer eigenen Situa@on ab; der Situa@on des anderen und, als driAem Faktor, von den Methoden, die wir kennen. Wie wir die Situa@on des anderen beurteilen, wie wir die eigene Situa@on beurteilen und was für Techniken uns zur Verfügung stehen – das ist das Wich@ge. Kommentar: Willst du damit sagen, dass es gut ist, eine zornvolle Praxis zu kennen und sie manchmal anzuwenden?
James: Ja.
Kommentar: Ich habe das noch nie gemacht; ich habe immer gedacht, das sei...
James: Eine sehr einfache Möglichkeit ist es, die drei Aa zu rezi@eren und dann, aus diesem sehr entspannten Zustand heraus, Fontänen von „Hung!“ zu visualisieren, die aufsteigen, nach außen gehen und den Raum frei machen. Das klingt ein bisschen so wie der Rasenmäher, der da draußen gerade das Gras schneidet... Huuuuuunnnnngggg.
Kommentar: Das ist sehr hilfreich. Ich mache das beinahe jeden Morgen, wenn ich nicht vergesse, bevor ich das Schulgebäude betrete und insbesondere, wenn ich in den Raum komme, wo die Lehrer sich versammeln. Ich springe da nicht hinein, sondern ich warte ein bisschen. Hier bin ich. Das ist wirklich sehr hilfreich. James: Als Buddhisten verpflichten wir uns zu dem Versuch, für uns und andere Erleuchtung zu erlangen. Das bedeutet, dass wir uns zu vorsätzlichen Handlungen verpflichten und uns bewusst sind, dass Karma und alle diese Gewohnheiten sich wie große Wellen auFürmen und durch uns hindurchbewegen. Manchmal gelingt es in der Medita@on, diese Wellen einfach durch uns durchrollen zu lassen, aber wenn man aus so einer Welle heraus reagiert, geht man vermutlich in die Falle. Also müssen wir lernen, vorsätzlich zu handeln. Einen Vorsatz zu fassen. Mein Vorsatz ist erstens, niemandem ein Leid zuzufügen und zweitens, Gutes zu tun.
Das ist die Grundvorstellung im Hinayana, aber weil wir Mahayana prak@zieren, liegt ein Aspekt unserer Verpflichtung darin, nicht zuzulassen, dass andere Menschen Leid verursachen. Wenn Menschen uns Leid zufügen, bringen sie sich selbst in eine schlechte Situa@on. Es kann also wich@g sein, zu ihnen zu sagen: “Du tust mir weh. Hör biAe auf. Warum redest du so mit mir?”
Kommentar: Und es wirklich zu meinen...
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James: Ja; das ist ernst gemeint. Es ist einfach inakzeptabel, so mit mir zu sprechen. Viele Menschen haben in ihrer Kindheit die Eltern als sehr kri@sch erlebt, oder wurden von ihnen beschämt und deshalb sprechen sie jetzt auf dieselbe Weise mit anderen. Manchmal müssen wir Menschen, um sie aufzuwecken, ein bisschen knuffen, aber im Allgemeinen sollten wir respektvoll und höflich sein. Wenn Menschen sich uns gegenüber aber nicht so verhalten, müssen wir sie stoppen. Das bedeutet, zu wissen, wo unsere Grenzen sind.
Wenn wir denken: “Na ja, vielleicht habe ich kein Recht, das zu tun” haben wir vielleicht große Zweifel und weichen zurück. Aber wenn man die Sache umdreht und denkt: “Diese Person ist außer Kontrolle. Sie ist verloren. Sie wird wütend und lädt dieses ganze Zeug bei mir ab. Das sollte sie nicht tun. Das ist nicht gut – denn wenn sie das bei mir macht, tut sie es wahrscheinlich auch bei anderen Leuten. Ich habe den Vorteil, dass ich einigermaßen geübt bin im Medi@eren und im Rücksichtnehmen – wenn ich mich nicht dagegen wehre, wer soll es sonst tun?”
Bekanntlich stellte Primo Levi die Frage: “Wenn nicht ich, wer dann? Wenn nicht jetzt, wann sonst?” Wer wird sich gegen den Rüpel zur Wehr setzen? Das ist immer die Frage. Die Welt ist voller Rau|olde. Es ist sehr schwer, sich gegen sie zur Wehr zu setzen. Wir müssen es selbst tun.
VIER AKTIVITÄTEN [Abbildung 14] James Low © www.simplybeing.co.uk 141
In den Mandalas gibt es die vier Ak@vitäten, die sehr, sehr wich@g sind. Sie lauten: Frieden s@Fen, vermehren, einschüchtern/überwäl@gen und zerstören. Auf @be@sch heißen die großen Puja-­‐Texte trin le. Trin le heißt soviel wie Ak@vität. Der Grund, warum man diese Pujas veranstaltet, liegt darin, dass man sie als Ak@vität sieht, die zugunsten der Welt durchgeführt werden. Die Tibeter glauben, dass der Effekt dieser Medita@onen nicht nur ihnen selbst zugute kommt, sondern dass er auch anderen Menschen hilF. Sie glauben, weil der Geist wich@g ist und keine wirkliche Grenze hat, dass wir auf Grund seiner Größe auch die Welt verändern können.
Die erste Ak@vität, Frieden s@Fen, heißt, dass Krankheiten, Hungersnot, Missernten, Hagelkörner – alle diese Dinge befriedet werden sollen. Das ist auch etwas, was wir als Menschen tun müssen. Ein Baby weint, wir heben es auf. Jemand ist aus der Fassung, wir fragen: “Was ist los mit dir?” Wir tun diese Dinge, oder? Wir wissen, wie man beruhigend wirken kann.
Die zweite Ak@vität, vermehren, bedeutet: die Dinge wachsen und sich entwickeln lassen. Man hat einen Garten und setzt Blumen ein. Oder man gibt eine Party und hilF den Menschen, sich besser zu fühlen. Auf solche Weisen lassen wir gute Dinge geschehen. Ein anderes Beispiel wäre ein Lehrer, der Wissen verbreitet und Menschen hilF, ihr Leben weiterzuentwickeln, sodass sie sich, anstaA eingeschränkt zu sein, zu öffnen beginnen. Alles das ist mit „vermehren“ gemeint.
Diese beiden Ak@vitäten können auch Haltungen sein, die wir der Welt gegenüber einnehmen: Ich möchte befrieden, was schwierig ist; ich möchte vermehren, was gut ist. Also entspricht das Befrieden dem Vorsatz „nichts Böses zu tun“, die bösen Dinge zu reduzieren; und Vermehren ist der Versuch, Gutes zu tun: gute Dinge hervorzubringen.
Einschüchtern bzw. überwäl@gen, die driAe Ak@vität, bezieht sich auf Ehrfurcht/Scheu – eine EigenschaF im Zusammenhang mit Erhabenheit/Herrlichkeit oder Pracht. Man kann das oF in den Bildern von Guru Rinpoche sehen. Er sieht sehr stolz aus, wie ein altmodischer König, der prachtvolle Gewänder trägt und man kann sich vorstellen, dass Fanfaren ertönen und die Menschen denken: “Ah, der König!” Dann verneigen sie sich ein bisschen. Die Vorstellung ist, dass angesichts dieser Erhabenheit oder Majestät oder Präsenz alle anderen ein bisschen geringer wirken.Wenn man Ärger mit seinen Kollegen in der Arbeit hat, ist eine Möglichkeit, sich sehr groß zu machen – dann braucht man sonst nicht mehr viel zu tun.
Seht euch doch die Lamas an. C. R. Lama kann das sehr gut. Manchmal sieht er den anderen einfach nur an... Vielleicht könnt ihr euch daran erinnern, wie es in der Volksschule war – vielleicht haAet ihr eine Lehrerin, die euch einfach nur angeschaut hat. Wir wollen, dass die Lehrer uns mögen und fühlen uns schlecht, wenn sie böse schauen. Wenn ein Mensch diese Art von Macht hat, ist das eine sehr wirksame Art von Kontrolle, aber es hat auch etwas sehr Weiches, findet ihr nicht? Weil irgendwie passen wir uns an.
Ohne, dass der andere etwas unternehmen muss, nur, indem er er selbst ist, kommt man irgendwie in diese Lage. Es ist eine Adap@on, die sich einfach ergibt. Wenn wir uns innerlich schwach, dumm und machtlos fühlen, also das Gegenteil von einschüchternd, sind wir ver-­‐
schüchtert und das lädt andere Menschen ein, sich uns gegenüber obenauf zu fühlen. Das ist nicht sehr hilfreich, denn wenn sie das tun, gewinnen sie die Oberhand mit den Fünf GiFen.
Den eigenen Raum auszufüllen, in seiner eigenen Haut zu leben, voll man selbst zu sein. Man dringt nicht in den Raum der anderen ein, aber man hat auch keine Angst davor, seinen eigenen Raum zu füllen. Man bewohnt einfach seinen eigenen Raum. Das große Pech ist: leider sind die meisten menschlichen Wesen nicht wirklich Menschen. Wir sind eher wie James Low © www.simplybeing.co.uk 142
verschreckte Geister.
Kommentar: Dieses Einschüchtern… Ehrfurcht einflössen, okay; aber einschüchtern...?
Andere Menschen „einzuschüchtern“ bedeutet, dass deine Ehrfurcht sie überkommt und sie niederdrückt. Im Tibe@schen sagt man dazu wang du dud pa, was soviel heißt wie „unter die eigene Macht bringen“, unterwerfen. Manchmal ist Magie mit im Spiel, indem Menschen mit Zaubersprüchen verhext werden, solche Sachen.
Das Wich@ge daran ist, dass man das nur tun kann, wenn man Macht hat. Erinnert euch an die @be@schen Worte wang du dud pa – wortwörtlich „unter eurer Macht“. Wenn ihr keine Macht habt, worunter wollt ihr sie dann tun? Als erstes muss man Macht haben und diese Macht die ganze Zeit mit sich führen und sie nicht hergeben. Mit Macht meinen wir hier in erster Linie Selbst-­‐Respekt. Wenn wir uns selbst respek@eren, haben wir keine Angst. Wenn wir keine Angst haben, sind wir intelligent. Wenn wir intelligent sind, erinnern wir uns daran, wer wir sind und haben Zugang zu allen unseren guten EigenschaFen. Aber wenn wir uns in eine Situa@on begeben, in der wir von jemandem beschämt werden, schrumpfen wir und werden dumm und vergessen alles, was wir wissen. Habt ihr das schon einmal erlebt? Nicht zu wissen, wer ihr seid? Sich Macht zu nehmen heißt, an sich selbst dranzubleiben, Zugang zu allen eigenen Ressourcen zu haben, denn dann kann man die Medita@onsmethoden einsetzen, die man braucht, um anderen zu helfen. Wenn andere Menschen uns Angst einjagen, kann man diese Methoden nicht einsetzen.
Ein Beispiel wäre: jemand marschiert in eure Heimat ein und ihr flieht, werdet Flüchtlinge. Dann wollt ihr Gewehre kaufen, um die Invasoren zu bekämpfen, aber jetzt habt ihr kein Geld, weil ihr alles zu Hause zurücklassen musstet. Euer Feind ist jetzt im Besitze eures Geldes. Das ist für viele Flüchtlinge die Realität. Wenn wir ein psychologischer Flüchtling werden, wenn wir unser eigenes Selbst verlassen und uns ängstlich woanders hin zurückziehen, lassen wir alle diese Werkzeuge, diese Methoden, die wir kennen, zurück. Wir können uns nicht verteidigen. Dann muss man abwarten, bis der Feind sich zurückzieht – und das kann lange dauern. Das kann passieren, wenn Menschen in destruk@ven Beziehungen festsitzen. Sie können sie nicht verlassen, weil die andere Person sich ihrer Ressourcen bemäch@gt hat. Die Freunde fragen vielleicht: “Warum lässt du zu, dass er oder sie so mit dir redet? Ich würde mir das nicht gefallen lassen.” Aber wer einmal in so eine Situa@on geraten ist, hat keinen Platz zum Stehen mehr. Ihre Füße sind abgeschniAen und sie finden sich jetzt in dieser Situa@on wieder. Es kann uns allen passieren, dass wir so verschreckt werden, dass wir unser Selbst „verlassen“. Deshalb sind Respekt und Macht sehr wesentliche EigenschaFen. Zerstören, die vierte Ak@vität, beschreibt den Vorgang, wenn wir unsere Macht einsetzen um etwas schon im Ansatz zu ers@cken. Wenn Pflanzen wachsen und die ersten winzigen Knospen austreiben und man die einfach abschneidet, kann man die Pflanze ganz leicht töten. Wenn man erkennt, dass böse Dinge im Anmarsch sind, ist es am besten, sie bereits im Keim zu ers@cken. Wenn man wartet, bis die volle Schlacht ausgebrochen ist, werden viele Menschen sterben und man wird rich@ggehend verbrannt. Es geht darum, aufmerksam zu sein – das ist genau der Punkt, es geht ums Verstehen – denn wenn man versteht, weiß man, wann man handeln muss.
Den rich@gen Zeitpunkt zu finden, ist immer sehr wich@g. Wenn man die Menschen zu groß werden lässt – das ist genau das, was in Jugoslawien geschehen ist. Es hat jede Menge Warnsignale gegeben, es hat Reportagen gegeben, die ich in bri@schen Zeitungen vor James Low © www.simplybeing.co.uk 143
Ausbruch des Krieges gelesen habe, aber niemand hat etwas unternommen. Später wird es natürlich sehr schwierig. Aber wenn jemand von Anfang an gesagt häAe: “Hört auf damit!” wären heute wahrscheinlich viele Menschen noch am Leben.
Zerstören heißt, dem Unfug ein Ende bereiten, sobald er beginnt. Jemand redet einen komisch an und man fragt: “Hey, was soll das?” Kommentar: Das ist normalerweise schwierig, aber es ist der rich@ge Weg?
James: Es ist der rich@ge Weg.
Kommentar: Gleich beim ersten Mal?
James: Gleich beim ersten Mal. Sonst muss man in die Sache hinein gehen. Je größer das Problem wird, desto größer muss man sich selbst machen. Dann muss man sich in diese große Praxis der zornvollen GoAheit begeben, und die Symbole, die damit einher gehen, sind sehr blu@g und mörderisch. Das wird dann recht schwierig. Wenn man eine Praxis einsetzt – wir sprechen jetzt von anderen Individuen – wenn man die Praxis zum Wohle aller Wesen anwendet, gibt es klarerweise viele böse Menschen, denen Einhalt geboten werden muss. Also kann man versuchen, eine Praxis anzuwenden, um sie zu stoppen.
Aber was einen selbst betrifft, geht es einfach darum, die Grenzen zu bewachen. Natürlich – es ist die eigene Grenze; wenn man sich also nicht selbst beobachtet, wird man die Schwingung nicht spüren. Sehr oF gehen wir eine Beziehung zu anderen Menschen ein, indem wir von einer eigenen Leerstelle ausgehen – wir sind so glücklich, ihnen zu begegnen, dass wir nicht merken, wer sie sind. Dann sagen wir vielleicht “Hallo!” zu jemandem, der in Wirklichkeit gefährlich ist. Aber wir haben nun schon einmal “Hallo!” gesagt – und deshalb sitzen wir in der Falle. Es gibt dafür ein gutes Beispiel aus einem Roman von Terry Southern, “Candy”, der in den 1960er Jahren geschrieben wurde. Es ist ein eher dummer Roman, aber es kommt darin ein ganz gutes Beispiel vor: es geht um ein sehr schönes junges Mädchen, circa 18 Jahre alt, das auf der Straße einem buckeligen Mann begegnet. Sie lädt ihn zu sich nach Hause ein und er beläs@gt sie ein bisschen, aber sie hat Mitleid mit ihm und offeriert ihm eine Tasse Tee. Danach fragt er sie nach einem Buch, das er ganz oben in ihrem Bücherregal gesehen hat; also steigt sie auf einen Stuhl und reicht hinauf, um das Buch zu holen. Plötzlich wird ihr klar: “Oh mein GoP! Was sieht er da?”, denn es sieht sehr aufreizend aus und als sie sich umdreht, bemerkt sie, wie seine Augen ein bisschen rötlich zu leuchten beginnen. Darauf denkt sie: “Mein GoP, was habe ich getan? Dieser arme Mann, ich habe ihn in Versuchung geführt“ – und damit kriegt er sie natürlich. Weil sie denkt: “Das habe ich getan!” Sie beschuldigt sich selbst.
Solche Dinge passieren. Man macht eine Geste und glaubt dann, dass man selbst Schuld sei, weil man diese Geste gemacht hat. Die Abmachung war nicht klar. Es gab keinen Vertrag, also hat er die Grenzen überschriAen und sie ist aus Schuldbewusstsein zurückgewichen. Das passiert sehr oF im Leben – sexuell, finanziell, in vielen verschiedenen Bereichen.
Allgemein gesprochen müssen wir üben, klare Vorsätze zu haben und damit verbunden die Fähigkeit, diese vier verschiedenen Arten von Ak@vität einzusetzen. Das ist die Methode des Tantra, wo es darum geht, Situa@onen zu transformieren, indem wir bes@mmte Posi@onen einnehmen.
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Im Dzogchen ist das alles viel entspannter – wir sind der Situa@on gegenüber viel toleranter, aber man kann das nur dann sein, wenn man nichts beschützt. Deshalb gibt es im System der Nyingmas eine Vermischung von Tantra und Dzogchen. Klöster sind Situa@onen von absoluter Macht; sie sind Schreine von absoluter patriarchaler Autorität, also herrscht dort klarerweise großes Interesse an Macht.
Im Dzogchen – das sagen die Texte ganz klar – kommen die Dinge, die kommen. Am Arbeitsplatz sieht das, was kommt, vielleicht so aus, dass alle Kollegen uns hassen und auslachen, wenn man hereinkommt und uns Kaffee über unsere Papiere schüAen – na ja, das ist das, was geschieht. Und wenn man darunter leidet, dann bleibt man einfach an demjenigen dran, der leidet. Und wenn man auf die Straße geworfen wird, bleibt man auch da dran.
Die wenigsten Menschen wünschen sich das. Aber wenn man diesen Weg beschreiten will, der ein sehr machtvoller Weg ist, um AnhaFungen zu erkennen, an welchem Punkt wird man dann sagen: “Hey!” und was bedeutet dieses “Hey!” dann? Wenn man das wirklich so durchziehen will, muss man sich dieser Praxis auf sehr @efe Weise verpflichten, sie sehr profund studieren und sich vor allem zunächst die Frage stellen: “Wo ruht der Geist? Wo befindet er sich? Wohin geht er?” Denn wenn man sich nicht völlig darüber im Klaren ist, dass der Geist leer ist, wird man immer weiter und weiter gedehnt, je großzügiger man ist und eines Tages reißt man dann. Bang! Das passiert, mit absoluter Sicherheit. Wenn man großzügig ist, so wie Jesus Christus, dann reißt man doch im letzten Augenblick und fragt: “Oh GoA, Vater, willst du mir das wirklich antun?”
Man muss loslassen, bevor man großzügig sein kann. Wenn man versucht, loszulassen, nachdem man großzügig war, ist das sehr schwierig. Seid nicht so wie die Leute, die bei sich zu Hause eine Party veranstalten und dann herumgehen und ständig sagen: “Passt auf den Teppich auf! Achtung, du wirst das zerbrechen! Oh GoP!” NOCH ETWAS ZU PHAT!
Ich möchte nochmals kurz auf das Phat! zurückkommen.
Im Phat! steckt die Vorstellung, dass man etwas abschneidet. Wie wenn man einen Baumstamm zerhackt, führt man die Axt mit seinem vollen Körpergewicht. Wenn man also Phat! ruF, sollte man ganz drinnen sein; der Klang soll wirklich der KraF Ausdruck verleihen, die man da hineinsteckt. Auf diese Weise ist das auch eine gute Gelegenheit, Macht auszuüben und die eigene Energie hochkommen zu lassen.
Wenn man sich leer und niedergedrückt fühlt, sollte man Phat! anwenden, bevor man ausgeht. Es ist schwer, das am Arbeitsplatz zu prak@zieren, aber man kann es zu Hause machen, bevor man fortgeht. Habt wirklich das Gefühl, eure Energie hochkommen zu lassen, wenn ihr es macht. Es kommt ganz aus dem Bauch, wo das Energie-­‐Zentrum sitzt.
PHAT!: siehe auch Anhang 18
Lasst uns zuerst üben, dieses Phat!-­‐Geräusch zu machen und dann können wir damit medi@eren.
Noch einmal: beobachtet eure Energie, wenn ihr es aussprecht. Wenn ihr feststellt, dass ihr ein bisschen ängstlich werdet oder eure S@mme nur schwach herauskommt, hört damit auf, macht ein paar Atemzüge, öffnet eure Schultern und lasst es einfach herauskommen. Eine Möglichkeit, sich da hineinzuversetzen, ist vielleicht, sich vorzustellen, jemand würde uns angreifen und wir rufen: “Hoy! Phat!”, um sie wegzuschieben.
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Versetzt euch in das Gefühl, dass es um Leben und Tod geht. Wirklich – Medita@on ist Leben und Tod. Wir können weiterschlafen, abgelenkt werden und uns verlieren und auch auf diese Weise haben wir eine Art Leben, aber es ist halb tot. Oder wir können wirklich versuchen, aufzuwachen und viel lebendiger zu sein. Wenn wir mit dieser Art von Energie medi@eren, können wir wirklich eine Verbindung zu uns selbst herstellen. Es ist ganz egal, was andere Menschen tun – konzentriert euch auf eure eigene Erfahrung.
[Phat!-­‐Übung]
Gut. Ihr wollt euch durch einen Schock aus der Kon@nuität eurer Denkmuster befreien.
Ich höre, dass manche von euch das Phat! immer noch aus dem oberen Brustkorb heraus machen; also passt auf, dass es wirklich von unten her kommt. Ihr solltet wirklich spüren, wie euer Körper sich bewegt. Der ganze Körper hebt sich ein bisschen. Wenn ihr es aus dem Brustbereich heraus macht, strengt euch das auch zu sehr an – und ihr entwickelt nicht diese Art von KraF.
Wir machen jetzt nochmals die drei Aa und sitzen dann noch ein wenig mit Phat! Nur für kurze Zeit.
Wir nutzen Phat!, um den Raum zu öffnen, wann immer wir uns in Gedanken verheddern oder von Gefühlen und Empfindungen zugedeckt werden.
Je intoleranter ihr gegenüber jeglicher Art von Verwirrung werdet, die euch zudeckt, desto besser könnt ihr erkennen, wenn andere Menschen euch mit Verwirrtheit zudecken wollen. Wir können in Schwierigkeiten geraten, wenn uns die Fünf GiFe anderer Menschen zudecken. Unsere eigene Verwirrtheit deckt uns auch zu. Bevor wir nicht in der Lage sind, diese Schichten in unserem eigenen Inneren loszuwerden, haben wir große Schwierigkeiten, sie im Zusammenhang mit anderen Menschen auszuräumen. Also ist diese Praxis des Phat! sehr, sehr hilfreich.
Aber seid euch dessen bewusst, dass diese Art von Prak@ken euch sehr weit öffnen, also solltet ihr sie, wenn möglich, ausreichend üben, bevor ihr euch in eine Situa@on hineinbegebt.
Wir kommen jetzt ans Ende. Wir werden jetzt Dorje Sempa und Machig Labdron machen; auch deshalb, weil beide Prak@ken gut dabei helfen, sich zu konzentrieren. Am Ende machen wir eine kleine Auflösungs-­‐Übung, aber in der Hauptsache konzentrieren wir unsere Energie mit Hilfe des Klangs, das wird uns wieder ein bisschen erden.
Es ist keine gute Idee, dieses Phat! laufend zu prak@zierten, uns zu öffnen und uns dann ins Auto zu setzen und heimzufahren. Wenn man sich mit konkreteren Ebenen der Realität auseinandersetzen muss, mit der Welt, wie sie ist, muss man sich in einer Posi@on befinden, von der aus man seine Energien mobilisieren kann.
Benützt Prak@ken wie Phat!, die der Öffnung dienen, um euch innerlich aufzulockern und macht dann fokussierendere Übungen, um euch mit interak@ver Energie auseinanderzusetzen. Wir müssen uns immer vor Augen halten: in Tibet gab’s keine Autobahnen, nicht einmal Autos, die meisten Menschen haAen nicht einmal einen Karren. Genau genommen gab’s prak@sch keine Vehikel mit Rädern in Tibet. Wenn man also ganz viel Phat! prak@ziert hat und dann hinausgegangen ist, war das Schlimmste, was einem passieren konnte, dass ein Yak in einen hineinlief. Hier ist das ganz anders.
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Abbildungen 1 -­ 14
PRAKTIKEN, DIE WÄHREND DES RETREATS GELEHRT WURDEN:
Anhang 1: ATMEN IN NEUN RUNDEN
Wir üben jetzt das Atmen in Neun Runden, um den Körper zu entspannen und ihn ein bisschen zu öffnen. Bei dem, was wir jetzt machen, müsst ihr nichts visualisieren, sondern euch einfach nur entspannen. Die Frauen beginnen mit dem linken Arm, die Männer mit dem rechten. Für die Frauen geht es also links-­‐rechts-­‐links-­‐rechts und für die Männer anders herum. Diese Art des Atmens geht immer durch die Nase. Der Grund dafür ist, dass die LuF, wenn sie durch die Nase ein-­‐ und ausgeatmet wird, sich in den Nebenhöhlen erwärmt; das hilF auch, sie zu reinigen. Sie hat also eine gute Temperatur für den Körper.
Wenn man durch den Mund atmet, speziell wenn es draußen kalt ist, verändert sich die Körpertemperatur sehr rasch; das verursacht eine Art Kälte-­‐Schock, der im Körper Spannung erzeugt. Es ist besser, die LuF langsam durch die Nasenatmung zu temperieren.
Wir beginnen mit dem Einatmen – die Frauen nehmen dazu den linken, die Männer den rechten Arm. Diese weit ausladende Geste öffnet den Brustraum. Dann führt eure Hand zum Gesicht und benützt den MiAelfinger, um das Nasenloch auf derselben Seite zuzuhalten und atmet durch das andere Nasenloch aus. Beim Ausatmen senkt ihr den Arm, um den Druck auf dieser Seite zu erhöhen. Dann lasst die Hand sinken und beginnt mit dem nächsten Atemzug, diesmal mit dem anderen Arm. Wir machen das abwechselnd, drei Mal auf jeder Seite. Danach atmen wir ein, beugen uns vor und hinunter, so weit es geht, indem wir den Druck auf das Zwerchfell dazu benützen, die LuF aus dem Körper herauszupressen. Wir machen das ganz langsam, jeder in seinem Tempo. Es gibt dazu keine speziellen Visualisierungen.
Anhang 2: ATMEN UND ATEM ANHALTEN
Wir beginnen wieder mit dem Atmen in neun Runden. Dann fahren wir fort mit dem Ein-­‐ und Ausatmen, aber wir verlängern die Zeitspanne der einzelnen Atmungsphasen. Zuerst atmen wir ein, indem wir bis vier zählen, und atmen aus, indem wir bis vier zählen. Jede Zahl hat etwa die Dauer einer Sekunde. Man kann es auch mit Hilfe des Pulsschlags machen, der ist ein wenig schneller. Und man kann es auch langsamer angehen.
Unser Atem ist wie ein Muskel-­‐System, also müssen wir mit der Übung langsam beginnen, respektvoll und sanF. Je besser das gelingt, desto mehr werden wir in der Lage sein, den Atem anzuhalten.
Wir atmen einfach ein und zählen dabei bis vier, und aus… bis vier, ein – vier, aus – vier, ein – vier, aus – vier.
Sobald sich das eingependelt hat, kann man den Atem zwei Schläge lang anhalten. Also: einatmen auf vier, zwei halten, ausatmen auf vier. Später macht man dann einatmen auf vier, halten auf vier, ausatmen auf vier; und noch später einatmen auf sechs, halten auf vier, ausatmen auf vier.
Man kann den Atem auch nach dem Ausatmen anhalten, aber ich glaube, dass es am Anfang besser ist, das nur nach dem Einatmen zu tun. Normalerweise atmet man länger ein und schneller aus. Diesem System folgend kann man auch auf acht – vier – vier und dann acht – sechs – vier atmen.
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Jeder steigert das nach eigenem Ermessen – normalerweise ist der Einatem um zwei Schläge länger als der angehaltene Atem; und der wiederum kann gleich lang sein mit dem Ausatem, oder zwei Schläge länger. Also kann man auf zehn – acht – sechs atmen.
Einatmen auf zehn, acht halten, ausatmen auf sechs. Jeder übt das für sich, indem ihr es langsam au|aut, beispielsweise
EIN HALTEN AUS
4 -­‐ 4
4 2 4
4 4 4 6 4 4
8 4 4
8 6 4
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An Anfang, wenn man es noch nicht gewohnt ist, ist es besser, diese Art des Atmens nicht zu lange zu machen. Dem @be@schen System zufolge ist unsere Energie sehr fein und sehr eng mit unseren mentalen Funk@onen verknüpF. Wenn man das also viel macht, wird man sehen, dass die eigene S@mmung sich verändert. Vielleicht fühlt man sich sehr glücklich, oder auch traurig. Es hat oF einen psychologischen Effekt.
Das ist eine Art Reinigung, aber es gibt Zeiten, wo dieser Effekt nicht erwünscht ist. Wenn wir wie hier auf einem Retreat sind, ist das kein schlechter Ort, um ein bisschen durchzuknallen; aber macht diese Art von Übung nicht, wenn ihr gerade Auto fahrt oder etwas dergleichen tut. Autofahren ist eine Funk@on des Egos und diese Übung dient dazu, das Ego zu eliminieren, also sollte man sie nur machen, wenn man sich in einigermaßen sicheren Umständen befindet.
Kommentar: Ich würde gerne wissen, warum wir versuchen, den Einatem länger als den Ausatem zu machen, weil ich viel darüber gelernt habe, wie man den Ausatem verlängert.
James: Ja, das werden wir später auch machen. Aber zuerst konzentrieren wir uns einfach auf den Atem, weil viele Menschen nur ganz flach aus dem oberen Brustkorb heraus atmen; also ist es hilfreich, sich einfach einmal an einen langsamen Einatem und die Konzentra@on darauf zu gewöhnen. Später, wenn sich das einmal eingespielt hat, verlangsamen wir auch den Ausatem.
Generell wird Gesundheit in den buddhis@schen und Hindu-­‐Tradi@onen mit einem sehr langen, langsamen, gleichmäßigen Ausatem in Verbindung gebracht; aber das erfordert zunächst einen @efen Einatem. Das ist der Grund.
Anhang 3: ATMEN MIT MUSKELKONTROLLE: KUMBAKA
Wir bedienen uns der Muskeln unseres Körpers, um den Atem anzuhalten.
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Wir atmen ein, dann ziehen wir die Sphinkter-­‐Muskeln zusammen, sodass wir die Po-­‐Backen zusammenpressen. Wir spüren, wie unser Po sich anspannt und wir spannen auch die Muskeln des Zwerchfells an und versuchen, die LuF im Inneren „einzusperren“. Also wir atmen ein und schließen ab. Wir atmen ein, ganz entspannt und dann, wenn wir den Atem anhalten wollen, spannen wir die Muskeln an, immer stärker, damit wir den steigenden und fallenden Druck spüren – und das halten wir dann.
Man kann dazu bis vier zählen und dann die Muskeln wieder entspannen und ausatmen.
Kommentar: Soll ich den Atem herauspressen, oder lasse ich ihn einfach gehen?
James: Es geht um den Wechsel von Anspannung und Entspannung; und wenn du dich entspannst, entweicht der Atem von selbst. Der Körper möchte atmen. Man kann keine frische LuF einatmen, wenn man schon voller LuF ist, insbesondere, wenn man einen @efen Atemzug gemacht hat. Also entweicht die LuF von selbst.
Anhang 4: MALEN: DER KÖRPER IN BEWEGUNG
Wir werden jetzt mit dem Malen beginnen. Wir konzentrieren uns auf den Körper in Ak@on, um ein Gefühl für ihn als Energie und Bewegung zu bekommen.
Wir beginnen mit einer kurzen Phase s@llen Sitzens, indem wir uns auf den Atem konzentrieren; und aus diesem entspannten Raum heraus beginnen wir, auf dem Papier zu zeichnen. Während ihr das tut, bleibt mit eurer Aufmerksamkeit im Körper. Wenn ihr anfangt zu denken, kehrt zu eurem Atem zurück, aber versucht, mit der Aufmerksamkeit wirklich bei den Empfindungen eurer Muskeln im Körper zu bleiben. Wir sind nicht so sehr auf das Bild da draußen fokussiert, sondern wir benützen den Vorgang des Malens, um auf einfache Weise unseren Körper in Bewegung zu verspüren.
Aber natürlich haben wir auch Augen, also sehen wir, was wir da erschaffen. Werdet euch bewusst, wie die Wahrnehmung dessen, was da entsteht, euren Körper verändert; die Art der Bewegungen, die ihr macht. Ihr beobachtet die Ak@vität und ihr Resultat und auch die Feedback-­‐Schleife zwischen den beiden – alles in einem medita@ven Zustand.
Wenn ihr mit dem Malen fer@g seid, bleibt noch eine oder zwei Minuten lang s@ll sitzen und erlebt einfach die physische Präsenz des Bildes. ÜberprüF, ob es für euch die eigene Körperenergie enthält, mit der ihr es gemalt habt; die kinästhe@sche Energie, die von euch in das Bild geflossen ist. Reflek@ert damit den Prozess der Entstehung des Bildes. Wart ihr euch eures Körpers bewusst? Wann habt ihr dieses Bewusstsein verloren? Wann habt ihr euch in der Ak@on „verfangen“?
Überlegt euch das eine oder zwei Minuten lang und dann besprecht es mit einem Partner.
Anhang 5: MALEN – ETWAS ERSCHAFFEN UND ES ZERSTÖREN
Wir sitzen im Kreis und beginnen mit einer Atem-­‐Medita@on und anschließend, nur ein, zwei Minuten lang, lassen wir einige Striche aus unserem Körper heraus entstehen; etwas, das sich posi@v anfühlt. Lasst uns sehen, ob wir etwas Posi@ves aus unserem Körper aufs Papier bringen können.
[Medita@ons-­‐ und Mal-­‐Phase]
Reicht euer Bild jetzt an die Person weiter, die zu eurer Rechten sitzt. Hat jeder ein Bild? Gut.
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Ihr habt jetzt eine Minute Zeit, um aus diesem Bild vor euch etwas ganz Schreckliches zu machen. So schrecklich wie nö@g. Das ist der Moment der zornvollen GoAheit.
[Malen]
Sitzt jetzt einen Augenblick damit, fühlt die Wirkung. Dann reicht es der Person zu eurer Rechten weiter.
Ok, jetzt versucht ihr das, was ihr vor euch habt, zu verbessern.
[Malen] Fahrt mit diesem Prozess des Verbesserns und Zerstörens fort, bis ihr wieder euer ursprüngliches Bild vor euch habt.
Sitzt jetzt damit eine Minute lang und dann tut euch paarweise zusammen und besprecht, wie das war – sowohl wie es sich anfühlt, euer eigenes Bild zurückzubekommen, als auch diese Änderungen vorzunehmen.
[Kontempla@on und Diskussion]
Anhang 6: ZUFLUCHT: REZITATION IN UNTERSCHIEDLICHEN RHYTHMEN Also, wollen wir einfach das Zufluchts-­‐Gebet rezi@eren? Wie wir sehen, lassen die Verse neun mögliche Betonungen zu.
Lasst uns damit beginnen, sie drei Mal mehr oder weniger in Lesegeschwindigkeit zu sprechen. [Rezita@on drei Mal, rela@v rasch]
Wie fühlt ihr euch jetzt? Euer Atem geht ein bisschen schneller, weil ihr nicht so @ef habt LuF holen können, denn wenn man in dieser Geschwindigkeit rezi@ert, atmet man aus dem oberen Teil der Brust. Es holt die Energie herauf. Lasst sie uns jetzt etwas langsamer sprechen.
[Rezita@on drei Mal, langsamer]
Ich bin sicher, das erzeugt ein anderes Gefühl. Für mich ist es ein bisschen wie in einem Panzer zu sitzen oder so; man stellt sich vor, dass man über alles drüberfahren könnte. Das ist ziemlich stark, sehr machtvoll, ziemlich unerbiAlich. Diese Art von Melodie ist also gut, wenn wir uns kräFigen wollen. Man hat das Gefühl, überall durchzukommen. Das ist sehr machtvoll.
Lasst es uns jetzt noch langsamer machen, wie heute VormiAag.
[Rezita@on 3 Mal, noch langsamer]
Das fühlt sich wiederum anders an. Jeder von euch wird das anders empfinden.
Wir können natürlich mehrere solcher Melodien lernen, aber ich glaube, das Wesentliche – speziell aus der Sicht des Dzogchen – ist, dass man die Melodie dazu benützt, sich mit seiner S@mmung in Einklang zu bringen, sie zu verstärken oder zu verändern.
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Aus der Sicht des Tantra haben die Pujas einen speziellen, vorgegebenen Rhythmus. Menschen kommen zusammen und gemeinsam vollziehen sie es in diesem Rhythmus; das ist eine Art von Abstammungslinien-­‐Melodie. Es vermiAelt ein Gefühl der Zusammengehörigkeit und dass das die rich@ge Art ist, die Dinge zu tun.
Am Abend werden wir noch andere Arten von Gesang und Chanten ausprobieren, und klatschen und uns bewegen – das ist alles ein Versuch, Klang und Energie zu integrieren. Anhang 7: DORJE SEMPA PRAKTIK
[Ausführlichere Kommentare und Erklärungen finden sich in Being Guru Rinpoche; James Low, Traffords, 2006] Auf Seite 168 finden sich einige Gebete; wir gehen jetzt hier direkt zur Dorje Sempa-­‐Praxis über.
HRI RANG GI CHI TSUG PAD DA JA OD LONG
LA MA DOR SEM DORJE DRIL DZIN KAR
LONG KUI GYEN DZOG THUG KAR DA TENG HUNG
YIG GYE KOR WAR DUD TSII GYUN BAB NAE
TSANG BUG NAE ZHUG DIG DRIB DAB PAR SAM
Hri. Umgeben von Regenbogenlicht, auf einem Lotus und Mond auf dem Scheitel meines Hauptes, ist mein Guru in der Form von Dorje Sempa, der weiße Farbe hat, einen Vajra und eine Glocke hält. Er trägt alle Ornamente des Sambhogakaya, und in seinem Herzen auf einer Mond-­‐Scheibe ist der Buchstabe Hung, um den das Mantra der Hundert Silben sich dreht. Ein Strom von Amrita sprudelt aus ihm; ich visualisiere, wie er in die Öffnung meines Schädels hineinläuF und meine Sünden und jegliche SichArübung völlig reinigt.
An der höchsten Stelle deines Kopfes sitzt Dorje Sempa. Es gibt ein kleines Bild von ihm im Praxis-­‐Text. Er ist weiß, er hält einen Vajra in der rechten und eine Glocke in der linken Hand. Er trägt die Sambhogakaya-­‐Ornamente: auf dem Haupt die Tiara, große Ohrringe, Armbänder, Reifen ums Handgelenk, eine HalskeAe, KeAen um die HüFen und ein Tuch. In der MiAe seines Herzens ist der Buchstabe HUNG !ྂ sichtbar und rund um dieses HUNG dreht sich das Mantra der Hundert Silben in einer Spirale. Die Spirale dreht sich um die Außenseite dieses Herz-­‐Mantras; sie kommt oben heraus, geht unten hinein und steigt im Inneren auf.
Man sollte versuchen, das Ganze auf einmal zu visualisieren. Die Hauptsache dabei ist das Gefühl. Das Gefühl öffnet das Herz und es ist das Herz, das gesegnet wird. Man könnte vollkommen klar sein, kalt und emo@onslos, aber das würde uns nicht helfen, weil es fern wäre. Wir wollen aber ein ganz nahes Gefühl; also selbst wenn die Visualisierung nicht ganz klar ist, versucht ein Gefühl zu entwickeln, dass das eure lebendige Erfahrung ist. Während das Mantra sich um den Buchstaben HUNG dreht, tropF Nektar aus ihm herab und füllt seinen Körper. Sein Körper wird immer voller, bis der Nektar schließlich aus seiner rechten Zehe rinnt und auf unseren Kopf tropF; und so wird unser Körper vom Nektar erfüllt.
Man kann sich das vorstellen wie eine weiße Flüssigkeit, die durch die Schädeldecke rinnt. Während sie durch unseren Körper fließt, stellen wir uns vor, dass alle schlechten Dinge, alle Nega@vität, die wir – auf welche Weise auch immer – angesammelt haben, langsam nach unten gedrückt wird, während immer neue reine Substanz nachkommt. Es rinnt durch unseren Anus in die Erde, die au|richt. Tief am Grunde sitzt ein großer Dämon mit offenem Mund, der alles verschluckt. Er ist sehr glücklich, weil er etwas bekommt, was er mag – und wir werden von allen Sünden befreit. Dann stellen wir uns vor, dass unser Körper klar und durchscheinend ist wie Kristall. Während wir auf diese Weise medi@eren, rezi@eren wir das James Low © www.simplybeing.co.uk 151
Mantra der Hundert Silben.
Sobald die Rezita@on des Mantras endet, wird Dorje Sempas Körper zu einer Kugel aus Licht – er schmilzt von unten hinauf und von oben herunter. Der Körper bewegt sich auf die MiAe zu und wird glänzend – wie eine Quecksilberkugel. Diese Kugel sinkt durch unsere Schädeldecke, bis sie in unserem Herzen erstrahlt. Wir sind wie aus Kristall, mit dieser strahlenden Kugel in unserem Herzen; und dann bewegt sich unser Körper herein und löst sich in dieser Kugel auf. Zu diesem Zeitpunkt gibt es nichts anderes mehr – da ist nur diese Kugel; sonst nichts. Diese Kugel wird immer kleiner – bis auch sie verschwunden ist. Dann bleiben wir einfach ganz s@ll sitzen.
Wenn in diesem Zustand dann Gedanken auFauchen, lassen wir sie kommen und gehen. Versucht nicht, die Dinge zu kontrollieren; heißt eure Gedanken nicht willkommen. Wenn Gedanken oder Gefühle auFauchen, schiebt sie nicht weg; erlaubt ihnen einfach, da zu sein. Wir sind keine private Person mehr, die ihren kleinen Garten beschützt. Wir sind jetzt quasi im „öffentlichen Bereich“. Das ist das unendliche Dharmadatu, es gehört uns nicht – es gehört niemandem; jeder, der will, kann es durchwandern; es ist nicht mehr unser Privateigentum. Das Ego wird trotzdem versuchen, zu beschützen, herumzuspielen, Form zu geben – aber es ist nicht mehr unser Territorium. Wenn das Ego versucht, es zu seinem HerrschaFsbereich zu machen, ist es mit der Medita@on vorbei – wir sind dann wieder in unseren alltäglichen Gedanken. Wir werden die Dringlichkeit des Besitzanspruches spüren – aber wir entspannen uns einfach wieder. Immer wieder entspannen wir uns.
Wenn wir die Medita@on beenden, erkennen wir, dass alles, was uns da begegnet ist – wir selbst mit eingeschlossen – die Beschaffenheit von Dorje Sempa hat.
Bei dieser Praxis benützen wir Visualisierung als ein „GegengiF“ zu den „GiFen“, den Sünden, die wir mit uns herumtragen. Wir machen von der reinigenden KraF von Dorje Sempa Gebrauch, um uns von den schlechten Dingen in uns zu befreien – als wären wir krank, gingen mit einer VergiFung zum Arzt und er gäbe uns eine Medizin, die die Schadstoffe austreibt. Das ist das grundlegende Prinzip. Es ist ganz einfach.
Auf einer rela@ven Ebene entspricht die Reinigung durch Dorje Sempa dem Ersetzen der GiFstoffe durch Nektar. Die absolute Wahrheit, also die Reinigung, liegt in der Praxis der Auflösung. Diese Auflösung ist außerordentlich wich@g.
Anhang 8: WAS IST DORJE SEMPA? Dorje Sempa ist Tibe@sch und VajrasaAva ist Sanskrit. Vajra heißt „unzerstörbar“ und saPva bedeutet „Wesen“, also ist VajrasaAva das unzerstörbare Wesen. Was ist das unzerstörbare Wesen? Gewahrsein. Gewahrsein und Leere vereint ist Dorje Sempa.
Dorje Sempa ist in Worten nicht auszudrücken. Dorje Sempa ist die Beschaffenheit unseres eigenen Geistes. Wir benützen die Form von Dorje Sempa, um unseren eigenen Geist zu erkennen. Wenn wir durch das Medi@eren einen Zustand erlangen, wo wir uns entspannen und unser Geist sich nicht verändert – die Gedanken bewegen sich durch ihn hindurch, aber wir werden von ihnen nicht abgelenkt und bleiben völlig offen – das ist die unzerstörbare Beschaffenheit unseres Geistes. Das ist VajrasaAva. In dieser VajrasaAva-­‐Beschaffenheit ist alles rein. Wenn der Geist unbeweglich bleibt, bewegt sich alles andere. Dann sind der Geist und seine Erzeugnisse voneinander getrennt. Im Augenblick befinden wir uns innerhalb dieser Erzeugnisse des Geistes, wir iden@fizieren uns mit dem Vorgang ihrer Erzeugung durch den Geist und weil sie sowohl gut als auch schlecht und ständig in Bewegung sind, machen wir die Erfahrung von Samsara.
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Wenn wir mit Hilfe der Medita@on zur Ruhe kommen und die Gedanken kommen und gehen, wird dieser Zustand des Geistes – der manchmal auch rigpa oder Gewahrsein genannt wird, oder das Verschmelzen des Geistes im Dharmadhatu oder Dharmata – auch Dorje Sempa genannt. Dorje Sempa ist völlig rein, weil keiner der durchgehenden Gedanken ihn berühren kann. Die Gedanken ziehen einfach durch und hinterlassen keinerlei Spur.
Diese Natur des Geistes ist unzerstörbar, weil sie mit keinem Selbst in Berührung kommt. Es gibt keinerlei Reibung, weil nichts exis@ert, womit etwas kollidieren könnte. Man kann kein Graffi@ in die LuF malen; man kann seinen Namen nicht kreuz und quer auf Dorje Sempa schreiben, weil das einfach durch Dorje Sempa hindurchgeht. Er kann weder befleckt noch berührt werden und bleibt deshalb völlig rein. Das ist das Wesen von Dorje Sempa. Weil es völlig rein ist, kann es auch alles andere reinigen.
Weil im Stadium der Auflösung in der Medita@on alles in diese Natur eingeht, erkennen wir auch, dass alles aus dieser Natur entsteht. Dadurch offenbart das Ende von Samsara uns das Nirvana und zeigt uns gleichzei@g die Beschaffenheit von Samsara. Es ist nicht so, dass die Gedanken aus Samsara entstehen, sich durch dieses kleine Fenster von Nirvana bewegen und dann ins Samsara zurückkehren. Wenn ein Gedanke aus der Natur von Dorje Sempa entsteht und man ihn für real hält, zieht man diesen Gedanken ins Samsara. Wenn man den Gedanken sein lässt und er sich selbst befreit, bleibt er im Nirvana. Wir reinigen alles, wenn wir den Zustand von Dorje Sempa aufrecht erhalten.
Wenn wir also beten: “Dorje Sempa, biAe reinige mich”, meinen wir damit, dass wir uns mit Hilfe der Macht der Medita@on – symbolisch mit Strahlen von Licht – so weit öffnen, dass wir, wenn wir die Auflösungs-­‐Praxis machen, mit dieser reinen Beschaffenheit verschmelzen. Wenn wir in dieser reinen Beschaffenheit verbleiben, ziehen unsere Gedanken und Gefühle einfach nur durch uns hindurch, ohne uns in Ak@vitäten zu verwickeln. Darin liegt die Reinigung von jeglichem Karma. Das ist die Entsagung von aller schlechten Ak@vität und so werden alle unsere Sünden gereinigt.
Anhang 9: DAS AA ERLKINGEN LASSEN
Seid ganz entspannt in eurem Körper, mit geradem Rücken. Wir lassen den Klang des Aa ertönen und halten ihn in einem andauernden Strom aufrecht, während wir aus dem Bauch atmen. Manche machen das laut, andere leise. Probiert aus, was für euch passt. Während diese Klangschwingung in euch entsteht, verbindet euch einfach mit dem Klang selbst. Wir versuchen das jetzt einmal und werden es eine Zeitlang üben. Euer Blick ruht im Raum vor euch, nicht auf der gegenüberliegenden Wand, sondern einfach in dem Raum vor euch. Während wir das Aa erklingen lassen, fühlen wir die Vereinigung des Aa im Herzen mit dem Aa im Raum. Fühlt, dass der Klang des Aa der elementare Grundklang des Universums ist. Aa ist der Klang der Leere, die Basis von allem.
Anhang 10: AA UND TONGLEN
BiAe steht auf und sucht euch einen Platz, wo ihr eure Arme frei bewegen könnt. Wir machen also diesen fortdauernden Aa-­‐Klang, weil er das Wesen der Leere ausdrückt. Wir können dieses Gefühl des Aa in unserem Herzen bewahren, während wir das tun. Zunächst legen wir in der Geste eines Gebetes die Hände auf unser Herz. Dann strecken wir die Arme gerade vor uns aus und schwingen sie in einem großen Kreis, bis wir wieder zu unserem Herzen zurückkommen. Während wir das tun, stellen wir uns unser ganzes Glück vor, all unseren Verdienst und all die guten Dinge, die wir besitzen, wie sie von dem Aa in unserem Herzen zu allen fühlenden Wesen hinaus fließen, sie ganz erfüllen und all ihren Schmerz und ihre Sorgen besei@gen. James Low © www.simplybeing.co.uk 153
Dann verändern wir die Geste – wir bewegen unsere Hände vom Herzen weg zu beiden Seiten und dann nach vor und holen alles zurück ins Herz. Auf diese Weise nehmen wir alles Leid sämtlicher Wesen der Sechs Bereiche in uns auf, damit es sich im Aa in unserem Herzen auflöst.
Dann kehren wir wieder dazu zurück, unser Glück mit allen zu teilen. Wechselt diese Bewegungen ab, so lange ihr wollt und endet mit dem Teilen des Glücks.
Das Aa in unserem Herzen ist unendlich. Es hat die unbegrenzte Fähigkeit, Licht, Liebe und alle guten Dinge entstehen zu lassen – und auch die unbegrenzte Fähigkeit, Sorgen, Schwierigkeiten und Schmerz in sich aufzunehmen. Das Wich@ge dran ist das Aa, weil das Aa die Leere ist und Leere ist uneingeschränkter Schutz. Wenn man einfach nur die Probleme aller anderen auf sich nimmt, wird man sehr rasch untergehen. Wir entwickeln also ein Gefühl dafür, weit offen zu sein, durchsich@g – wie die GöAer, die gleichzei@g Form und Leere sind – ein Gefühl, einfach sehr leicht und lichtvoll zu sein und so spielt sich dieser ganze Vorgang ab, als wäre es ein Traum.
Kommentar: Warum machen wir das im Stehen?
James: Damit wir diese Bewegung ausführen können. Wenn ihr vorzieht, es im Sitzen zu machen, könnt ihr das auch tun, wenn sich das besser anfühlt.
[Übung]
Jetzt lassen wir drei Mal das Aa erklingen, im Bewusstsein des Raumes vor uns; wir entspannen uns in den Raum hinein, bevor wir zum Abendessen gehen. Nehmt den Raum der Medita@on mit, sodass wir dieses Gefühl auch in unser Zusammensein, ins Essen und Reden einfließen lassen können. Wenn ihr euch verliert, kehrt in die Medita@on zurück. Ganz sanF.
Anhang 11: DIE DREI Aa
Aa steht für die Leere, es repräsen@ert ka dag, die ursprüngliche Reinheit. Alles entsteht daraus und kehrt dorthin zurück. Das gesamte Universum entsteht aus dem Aa und geht wieder dahin zurück.
Wenn wir das Aa drei Mal rezi@eren, erlauben wir der Offenheit des Herzens und der Offenheit des Raumes vor uns, sich in ihrer Nicht-­‐Unterschiedlichkeit zu offenbaren. Wir medi@eren mit offenen Augen, nicht weit offen und starrend, sondern mit einem Blick, der einfach sanF in einer miAleren Distanz im Raum ruht.
In diesem Zustand lassen wir alle Gedanken, die aufsteigen, einfach kommen und gehen. Was immer auch kommt, Dinge, die hier oder da auFauchen: trennt nicht Subjekt vom Objekt, trennt nicht das Selbst vom Raum. Was auch immer kommt, lasst es kommen und dann auch wieder gehen. Es ist ganz egal, was da auFaucht. Das Wich@gste ist, sich soweit zu entspannen, dass es auch wieder gehen kann. Wenn gute Gedanken auFauchen, bleibt nicht an ihnen haFen; wenn schlechte Gedanken auFauchen, versucht nicht, sie wegzuschieben. Alles wird sich letzten Endes selbst befreien.
[Medita@on]
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Anhang 12: PHAT!
Wir üben jetzt wieder mit den drei Aa, aber diesmal wenden wir auch das Phat! an.
Phat! ist eine Silbe, mit deren Hilfe wir Gedanken abschneiden, die uns vernebeln und verwirren. Wir benützen die drei Aa, um uns zu entspannen und versuchen danach, dieses offene, sonnengleiche Gewahrsein beizubehalten. Es ist, als würde unser Geist den Sonnenstrahlen gleichen, die in alle Richtungen strahlen und alles ist ganz klar. Dann werden wir in unsere Gedanken hineingezogen und dadurch werden sie wie Wolken, die die Sonne verdecken und wir werden ganz dumpf und stumpf. Wenn wir spüren, dass das beginnt, rufen wir einfach Phat! Versucht, diesen Klang von einem Punkt knapp unterhalb eures Nabels ganz gerade aufsteigen und an eurem Scheitel herauskommen zu lassen. Der Klang sollte laut und intensiv sein, damit wir uns durch den Schock in die Aufmerksamkeit katapul@eren. Wir zerstören alles und entspannen uns dann wieder. Wir rufen Phat! und alles befreit sich von selbst. Verwickelt euch nicht in das Phat! Das hilF nichts. Schafft euch einfach selbst beiseite. Dann bleibt weiterhin entspannt und offen.
Wenn ihr abschaltet, ruF einfach Phat! Es soll kurz, scharf und klar klingen; deshalb bewegt sich euer Körper dabei ein bisschen. Man muss darüber nicht nachdenken. Es braucht vielleicht ein wenig Zeit, sich daran zu gewöhnen, aber wenn man einmal damit vertraut ist, kommt der Klang ganz von selbst heraus – als würdet ihr niesen.
[Medita@on]
Entspannt euch ein paar Minuten und dann machen wir es noch einmal. Bei dieser Art von Praxis ist es gut, eine kleine Pause zu machen, wenn man müde wird. Das ist für den Geist eine ganz ungewohnte Art des Daseins; wir sind normalerweise nicht in so einem Zustand, also übt es fünf oder zehn Minuten lang, macht eine kurze Pause und versucht es erneut. Forciert es nicht. Wenn ihr forciert, seid ihr nicht in der Praxis, sondern verstärkt bloß die Dualität.
[Medita@on]
Wenn ihr einmal einen Geschmack von der Erfahrung habt, könnt ihr euch einfach in den Aus-­‐Atem hinein entspannen. Diese Art der Praxis ist ganz einfach. Man kann das jederzeit tun. Man muss weder das Aa laut sagen, noch Phat! benutzen. Man atmet einfach aus – niemand muss wissen, was ihr gerade macht. Man kann das in jeder Art von Raum üben, bei der Arbeit oder in einer Bar – wo immer man mag.
Es wird einem dann nie mehr langweilig sein, weil man immer etwas zu tun hat. Für mich ist das bei Dharma-­‐Events immer sehr interessant zu beobachten: wenn beispielsweise Lamas daran teilnehmen, wirkt es immer so, als würden sie sich verspäten. Die Menschen stehen herum und warten darauf, dass “der Dharma” beginnt; sie schauen ein bisschen gelangweilt drein und denken: “Das ist nicht Dharma”. In jeder Situa@on, in der wir das Gefühl haben, dass gerade nichts passiert, sollten wir an diesem „Nichts“, das gerade geschieht, interessiert sein, denn für Buddhas ist „Nichts“ besser als „Etwas“! Wir müssen niemals mehr die Zeit totschlagen.
Wenn das Leben gerade etwas langweilig oder deprimierend ist, kann man sich einfach mit dem Aa entspannen und die eigene Erfahrung in den Raum einbeziehen. Man muss sie nicht James Low © www.simplybeing.co.uk 155
wegschieben, man kann einfach mit ihr anwesend sein.
Wir machen diese Medita@on mit geöffneten Augen, hier, in diesem Raum, völlig entspannt. Wir trennen die Medita@on nicht vom Raum, wir medi@eren hier im Raum, mit dem Raum. Der Raum ist Teil der Medita@on; die anderen Menschen sind Teil der Medita@on.
Versucht, am Ende der Medita@on, wenn wir zu anderen Ak@vitäten übergehen, diesen Geschmack beizubehalten – egal, was wir tun.
[Medita@on]
Anhang 13: DREI Aa: AN DER ERFAHRUNG DRAN BLEIBEN
Wir beginnen wieder mit den drei Aa und wann immer ein Gedanke oder ein Gefühl auFaucht, bleiben wir einfach bei demjenigen, der diese Erfahrung macht. Wir werden das nicht allzu lange versuchen, weil das ziemlich ermüdend sein kann; es ist recht schwierig, ein Gefühl dafür zu bekommen.
Während alles neu Entstehende sich manifes@ert, muss es eine Art noe@scher Präsenz geben, eine Art von gegenwär@gem Gewahrsein, damit wir diese Erfahrung überhaupt machen können. Das fühlt sich oF so an, als säße diese Präsenz im Inneren des Gedankens, der gerade auFaucht – was bedeuten würde, dass sie irgendwie in jeden Gedanken eingefügt wird, wie eine Cocktail-­‐Olive mit einem kleinen Stück Piment im Inneren. Wir müssen dieses Piment-­‐Stück herausziehen und beiseite legen. Man braucht dazu einen guten Zahnstocher.
Wir haben uns also entspannt, wir sitzen in der Medita@on, ein Gedanke taucht auf und wir werden sofort da hineingezogen, aber staAdessen machen wir einen SchriA zurück und entspannen uns in die Offenheit des Geistes. Die Tendenz, zu verschmelzen, ist da, aber wir entspannen uns einfach und bleiben präsent. Bleibt bei demjenigen, der gewahr ist.
Derjenige, der gewahr ist und dasjenige, dessen er gewahr ist, liegen sehr, sehr nahe beisammen, aber sie sind nicht das Selbe. Derjenige, der gewahr ist und schaut, ist kein gewöhnliches Subjekt, kein Konzept. Wenn man denjenigen, der schaut oder weiß oder denkt als Konzept wahrnimmt, fällt man wiederum in ein Konzept. Und ein Konzept unterhält sich mit einem anderen! Das Gewahrsein spricht zu niemandem. Das Gewahrsein, der Geist selbst, ist von Anfang an nackt, einzeln, allein. Es ist in nichts verwickelt. Es versucht nicht, irgendetwas herzustellen oder zu zerstören. Es ist einfach für sich. Anhang 14: MEDITATIONSHALTUNGEN
Setzt euch gerade hin. Wir können die drei Aas in aufrechter Haltung machen, aber wenn ihr euch lieber hinlegt, geht das auch, solange ihr gewahr bleibt. Wenn ihr einschlaF oder schlafen wollt, ist das auch in Ordnung. Der Buddha hat das auch getan. Kennt ihr diese Bilder und Statuen des Buddha, als es ans Sterben ging? Er liegt so da, den Arm hier und er hält seinen Daumen hier an den Hals, genau hier. Das ist also auch keine schlechte Posi@on zum Medi@eren. Es ist sehr friedlich und hilF euch, mit der Verlockung des Einschlafens zu arbeiten – ohne dass ihr dabei einschlaF. Das ist eine gute Balance für die Nerven, man kann auch in dieser Posi@on prak@zieren. Oder man kann sich an die Wand anlehnen und die Arme so ausstrecken, das ist auch eine gute Balance. Es verhindert, dass eure Schultern runterfallen, der Brustkorb ist immer noch James Low © www.simplybeing.co.uk 156
offen. Mit dem Hinterkopf lehnt ihr an der Wand.
Kommentar: Zuerst versuchen wir es im Liegen?
James: Vielleicht ist es auch gut, wenn ihr ein paar Minuten aufsteht und euch bewegt.
Anhang 15: WO KOMMT DER GEIST HER? Das ist eine kurze Praxis der Fragestellung, mit der man das Wesen des Geistes erforschen kann – wo er ist, wo er herkommt, wohin er geht. Diese Art von Fragen können sehr hilfreich sein, wenn unser Geist mit großer Geschwindigkeit unterwegs ist, wenn man sehr wach ist und in der S@mmung, etwas zu tun. Wenn man den Drang verspürt, etwas zu tun, ist der Versuch, sich zu entspannen und offen zu sein nicht sehr hilfreich. Wir gehen gegen unsere Energie. Vielleicht könnt ihr euch, wenn ihr von der Arbeit nach Hause kommt und ziemlich aufgedreht seid, auf diese Art von Fragen konzentrieren und die Energie, die ihr aufgebaut habt, dazu benützen, in diese Richtung weiterzumachen. Es gibt vielerlei Wege in diese Medita@on. Man kann mit Visualisierung und Auflösung beginnen oder mit den drei Aa.
Wenn man sich dann ein wenig entspannter und offener fühlt, erlaubt man der Frage ganz sanF, in sich aufzusteigen. “Wo kommt der Geist her?” Lasst das dann einfach so stehen und beobachtet, was passiert. Oder fragt euch: “Wo ist mein Geist?” “Worauf ruht er? Ruht er auf irgendetwas?” “Was ist die Basis meines Geistes?” Beim Sitzen beobachtet ihr: “Worauf ruht mein Geist? Ruht er auf meinem Körper? Oder befindet sich mein Körper in meinem Geist?” Erforscht das, nicht allzu kri@sch, aber auf eine freundliche und zarte Weise, als würdet ihr einem Liebhaber eine Massage verabreichen. Ihr folgt einfach den Konturen eures Geistes und erforscht ihn.
Okay -­‐ sollen wir das einmal versuchen?
[Medita@on]
Lasst uns nun in Zweiergesprächen überprüfen, wie es euch bis jetzt mit all dem ergangen ist, was euch klar ist und wo ihr noch Fragen habt; und was eure Erfahrung in der Medita@on ist. Lasst uns eine Art Überblick darüber versuchen, wie ihr vorankommt und sehen, ob sich daraus noch Fragen ergeben.
[Zweiergespräche]
Jetzt machen wir noch schweigend eine letzte gemeinsame Medita@on und dann die Widmung des Verdienstes.
Anhang 16: MACHIG LABRDON PRAXIS
Wenn wir zu Machig Labdron beten, ist eines der Dinge, um das wir speziell biAen können, der Segen des Verständnisses von Leere. Im Gebet sagen wir OM MA CHIG MA LA SOL WA DEP und wir stellen sie uns in Form der Dakini vor, die hier vor uns tanzt. Selbst wenn ihr sie nicht sehr deutlich seht, könnt ihr euch eine Vielzahl von Regenbogen am Himmel vorstellen und diese wunderschöne tanzende Frau, ganz frei und glücklich.
In der MiAe ihrer S@rne ist der weiße Buchstabe Om. Es macht nichts, wenn ihr nicht wisst, wie der @be@sche Buchstabe genau aussieht. An ihrem Hals hat sie den roten Buchstaben Aa und in ihrem Herzen den blauen Buchstaben Hung.
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Wenn wir es aussprechen: OM MA CHIG MA LA SOL WA DEP, beten wir zu Machig Labdron mit diesem weißen Om auf der S@rne. Wenn wir sagen: AA MA CHIG MA LA SOL WA DEP, beten wir zu ihr mit dem Aa an ihrem Hals. Und wenn wir sagen HUNG MA CHIG MA LA SOL WA DEP, beten wir zu ihr mit dem Hung im Herzen. Om, Aa, Hung steht für die drei Kayas, das weiße Om repräsen@ert das Nirmanakaya, das rote Aa das Sambhogakaya und das blaue Hung das Dharmakaya. Das heißt: des Buddhas Körper, Rede und Geist. Im @be@schen System sitzen der Körper im Kopf, die Rede und die S@mme im Hals und der Geist im Herzen.
Wenn wir sagen KAR PO OM GYI JING GYI LOB, stellen wir uns vor, wie von dem weißen Om an ihrer S@rne Strahlen weißen Lichts ausgehen und in unsere S@rne eindringen. Das weiße Licht strömt in unseren Körper und reinigt uns von allen Sünden des Körpers, es erfüllt unseren ganzen Körper mit weißem Licht. Wenn wir sagen: MAR PO AA GYI JING GYI LOB, kommen rote Lichtstrahlen aus dem roten Aa an ihrem Hals und strömen in unseren Hals; sie erfüllen unseren Körper und reinigen uns von allen unseren Sünden der Rede. Wenn wir sagen: NGONG PO HUNG GYI JING GYI LOB entspringen blaue Lichtstrahlen dem Hung in ihrem Herzen und erfüllen unser Herz und unseren Körper mit blauem Licht, das reinigt uns von allen Sünden des Geistes.
Mit dieser einen Praxis reinigen wir uns von allen Sünden; das ist also eine sehr machtvolle, kurze Übung.
Mit OM AA HUNG erhalten wir unsere ersten drei Einweihungen und dann, in der siebten Zeile, wo es darum geht, dass alle Segnungen zusammenkommen, bedeutet das, dass aus dem Om, dem Aa und dem Hung gleichzei@g Licht ausstrahlt und in uns einströmt und so alle Verunreinigungen von Körper, Rede und Geist reinwäscht. Daraus entsteht die Basis des Svabhavikakaya, das ist die Integra@on der drei Kayas.
In dieser einen Verszeile erhalten wir vier Ini@a@onen; und die vier Ini@a@onen sind die Basis des Tantra. Es ist ziemlich kompliziert, das zu erklären, aber es heißt, dass man ohne die vier Ini@a@onen nicht Tantra prak@zieren kann. Also ist es sehr hilfreich, eine Ini@a@on in diese Praxis zu erlangen, wenn möglich von einem Lama, der sie gut kennt – in dieser Abstammungslinie ist das vor allem C. R. Lama. Wenn das nicht geht, erlangt ihr schon durch das Gebet alleine Segen, weil es sich dabei um ein öffentliches Gebet handelt.
Das ist der eigentliche Grund, warum wir prak@zieren – um die Vereinigung zwischen der Gö„n und uns selbst zu erlangen, weil ihre Natur gleichzei@g Form und Leere ist, Klang und Leere, Gewahrsein und Leere und wenn wir mit ihr verschmelzen, erlangen wir dieselben EigenschaFen.
Wir können diesen Segen allezeit aufrecht erhalten. Dazu gibt es zwei Möglichkeiten. Die eine ist der allgemeine tantrische Weg: man stellt sich alles, was man im Außen sieht, als eine EigenschaF von Machig Labdrons Körper vor, alles, was man hört als die EigenschaF ihrer Rede und alles, was man denkt als das Wesen ihres Geistes.
Man kann das aber auch einfach mit dem Atem machen. Wir atmen mit dem Om ein, halten den Atem mit dem Aa an und atmen mit dem Hung aus. Auf diese Weise findet ständig das Om Aa Hung staA und man integriert mühelos die drei Kayas des Buddha auf einer energe@schen Ebene. Sobald man dieses Gewahrsein erlangt hat, reinigt man sich unablässig. Anhang 17: DIE DREI AAs
Sollen wir ein wenig prak@zieren? Wenn wir mit den drei Aa beginnen und dann eine kleine Weile einfach sitzen, sehr offen, mit offenen Augen und vor uns in den Raum in der MiAe James Low © www.simplybeing.co.uk 158
dieses Zimmers schauen, werden wir der Wände gewahr und der Menschen um uns herum. Das behindert die Medita@on nicht. Nehmt das alles in die Medita@on mit hinein, aber iden@fiziert die Menschen, die ihr seht, nicht ausdrücklich; denkt nicht: “Ah, sie trägt heute gelb, oder grün, oder rot, oder was auch immer”. Wenn dieser Gedanke auFaucht, bleibt einfach an ihm dran – geht nicht in ihn hinein, beschäFigt euch nicht damit, sondern seid einfach ganz entspannt – und ihr werdet bemerken, dass sich das, was ihr seht, allmählich verwandelt.
Anhang 18: PHAT!
Lasst uns zuerst üben, dieses Phat!-­‐Geräusch zu machen und dann können wir damit medi@eren.
Noch einmal: beobachtet eure Energie, wenn ihr es aussprecht. Wenn ihr feststellt, dass ihr ein bisschen ängstlich werdet oder eure S@mme nur schwach herauskommt, hört damit auf, macht ein paar Atemzüge, öffnet eure Schultern und lasst es einfach herauskommen. Eine Möglichkeit, sich da hineinzuversetzen, ist vielleicht, sich vorzustellen, jemand würde uns angreifen und wir rufen: “Hoy! Phat!”, um sie wegzuschieben.
Versetzt euch in das Gefühl, dass es um Leben und Tod geht. Wirklich – Medita@on ist Leben und Tod. Wir können weiterschlafen, abgelenkt werden und uns verlieren und auch auf diese Weise haben wir eine Art Leben, aber es ist halb tot. Oder wir können wirklich versuchen, aufzuwachen und viel lebendiger zu sein. Wenn wir mit dieser Art von Energie medi@eren, können wir wirklich eine Verbindung zu uns selbst herstellen. Es ist ganz egal, was andere Menschen tun – konzentriert euch auf eure eigene Erfahrung.
[Phat!-­‐Übung]
Gut. Ihr wollt euch durch einen Schock aus der Kon@nuität eurer Denkmuster befreien.
Ich höre, dass manche von euch das Phat! immer noch aus dem oberen Brustkorb heraus machen; also passt auf, dass es wirklich von unten her kommt. Ihr solltet wirklich spüren, wie euer Körper sich bewegt. Der ganze Körper hebt sich ein bisschen. Wenn ihr es aus dem Brustbereich heraus macht, strengt euch das auch zu sehr an – und ihr entwickelt nicht diese Art von KraF.
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