Neues von Unterwegs - bei der Kinder

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Neues von Unterwegs - bei der Kinder
Kinder- und Jugendhilfe
Hünenburg
Ev.-luth. Stiftung Hünenburg
Melle - Riemsloh
Neues von Unterwegs
Von uns – mit uns – über uns
Ausgabe No. 25 ● Sommer 2016
„Der Jugend gehört die Zukunft,
den Alten die Vergangenheit,
dem Weisen der Augenblick."
Editorial
3
Brücken schlagen
• T. Brodhuhn
(Stephan Sarek)
Phönix
5
Ein Neustart für junge Flüchtlinge und die Hünenburg
• J. Komnick & S. Richter
Wie Mustafa nach Melle kam
7
"Alle hatten Angst"
• M. Hengehold
Alle gut gestimmt?
9
Das Stimmungsbarometer der MWG "Sonnenblick"
• T. Kees
Wohnformen einer alternden Gesellschaft 10
Impressum
Herausgeber:
Kinder- und Jugendhilfe Hünenburg
Ev.-luth. Stiftung Hünenburg
Seite 2
Redaktion & Layout:
Thomas Brodhuhn
Fotos im Heft:
Thomas Brodhuhn, Knut Eichhorn,
Tabitha Kees, Norbert Wiegand,
privat & fotolia.com
Burglogo: Heiko Heise-Grunwald
In die Zukunft geblickt
• H. Gawlik
Inhalt
5 Jahre Wohngruppe Noah
Neue Autorität
Druck:
Gemeindebriefdruckerei
Martin-Luther-Weg 1
29393 Groß Oesingen
20
Stärke statt Macht
• G. Wallenhorst
"Chilliges" Grillen als Abschied
Nr. 25 Sommer 2016
© Hünenburg 2016
Schulabschluss an der Ferdinand-Rohde-Schule
• K. Eichhorn
Die nächste Ausgabe erscheint
im Sommer 2017
Macht als nutzvolle Chance...?
Den Rundbrief als download finden Sie
unter www.huenenburg.com
18
Ein Rückblick
• C. Schimmel & Team der WG Noah
22
23
Zur Auseinandersetzung mit Gewalt und Aggressionen
• H. Otto
Willkommen in einer etwas anderen Welt 26
Spendenkonto:
Sparkasse Melle
Kto.-Nr. 501 197
BLZ 265 522 86
Musikboxen und Straßenkreuzer
• B. Hilgenhöner
Geschafft!
Achtung verdient, wer vollbringt, was er vermag
• C. Semmelhaack
Kinder- und Jugendhilfe Hünenburg
•
Neues von Unterwegs – 25/2016
27
aus dem Inhalt
Die Wohngruppe
PHÖNIX
5
Ein Neustart für Flüchtlinge
und die Hünenburg
Wohnformen einer
alternden Gesellschaft
In die Zukunft geblickt
10
Seite 3
Neue Autorität
Stärke statt Macht
20
Willkommen in einer
etwas anderen Welt
Musikboxen und
Straßenkreuzer
26
Editorial
Brücken schlagen
Sehr geehrte Leserinnen und Leser,
liebe Freunde der Hünenburg,
Seite 4
kennen Sie das auch? Das Gefühl über eine
Brücke zu gehen und anschließend zu meinen, etwas geschafft, etwas überwunden zu
haben und an einem ganz anderen Ort zu sein? Sicherlich ist es nicht die Brücke, die man
jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit – inzwischen mehr oder weniger achtlos – mit dem
Rad überquert oder über die man mit dem Auto rast, doch ist es zum Beispiel eine Brücke im
Urlaub, die einen über eine tiefe Schlucht oder einen reißenden Wildbach trägt. Mag die Brücke auch nur kurz und unscheinbar sein, vermittelt sie und doch den Eindruck, etwas Erstmaliges, einen bisher unbekannten Platz erreicht zu haben. Wie kaum ein anderes Bauwerk
symbolisieren Brücken die Überwindung von Hindernissen, einen Weg zu etwas Spannendem, Herausfordernden, Neuen. Daneben bieten sie die Möglichkeit, den bisherigen Platz
aus einer völlig neuen, unbelasteten Warte heraus zu betrachten und ihn so neu einzuordnen.
So ist auch das Engagement der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kinder- und Jugendhilfe Hünenburg ein tägliches Brücken bauen, das Bemühen, den uns anvertrauten Kindern
und Jugendlichen und deren Eltern Möglichkeiten zu eröffnen, das bisherige Leben aus einer
anderen Perspektive zu betrachten, um auf neuen Wegen zu neuen Zielen zu finden.
Auch mit dem Ihnen hiermit vorliegenden Rundbrief der Hünenburg möchten wir Brücken
schlagen: Eine Brücke von uns zu Ihnen, um zu zeigen, was wir tun; eine Brücke zu denen,
die zu uns kamen, sei es aus der Nähe oder von fern aus krisengeschüttelten Regionen der
Welt – auch dieser Brückenschlag zwischen den Kulturen wird eine stets Herausforderung
von Jugendhilfe sein und bleiben – und nicht zuletzt eine Brücke zwischen Themen, die uns
bewegten und noch bewegen und die doch auf den ersten Blick nichts miteinander oder dem
Thema Jugendhilfe zu tun haben: Warum ein Artikel über Wohnen im Alter? Warum ein
Bericht über alte Autos und Musikboxen? Warum Zeilen über den Schulabschluss – ein
Sprungbrett in einen neuen Lebensabschnitt? Weil all dies dazu dient, uns und unser Tun als
Teil eines gemeinsamen Weges zu begreifen, der uns in seiner Vielseitigkeit wie eine Brücke
mit den Ideen Vieler über Hindernisse und hin zu etwas Neuem führt.
Den Kindern und Jugendlichen der Hünenburg wünsche ich eine tolle Zeit in den Ferienfreizeiten der einzelnen Wohngruppen – wohin auch immer die Reise gehen mag - und den
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und selbstverständlich auch Ihnen einen erholsamen
Sommer mit vielen schönen Momenten und spannenden Begegnungen.
Mit den besten Grüßen,
Ihr
Thomas Brodhuhn
Geschäftsführer
Kinder- und Jugendhilfe Hünenburg
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Neues von Unterwegs – 25/2016
Phönix
Ein Neustart für junge Flüchtlinge und auch die Hünenburg
Zum 01.01.2016 eröffnete die Kinderund Jugendhilfe Hünenburg auf dem
Hauptgelände der Einrichtung eine
neue Wohngruppe: Die Wohngruppe
Phönix bietet nun Platz für acht
unbegleitete minderjährige Asylbewerber ab 14 Jahren, die von einem
Team von insgesamt 6 Pädagogen und
Pädagoginnen betreut und unterstützt
werden. Dieser Ort soll jungen Menschen, die vor Terror und Gewalt aus
ihren Heimatländern geflohen sind,
einen Schon- und Schutzraum sowie
ein neues Zuhause bieten. Der Name
der Wohngruppe steht als Metapher für den Neustart, welchen die Jugendlichen nach ihrer
Flucht in der Hünenburg beginnen können. Bereits im Vorfeld der Eröffnung der Wohngruppe konnten seit Herbst letzten Jahres einzelne minderjährige Flüchtlinge durch sogenannte
eingestreute Plätze in den bestehenden Wohngruppen der Hünenburg aufgenommen werden.
Seite 5
Im Januar zogen ein Sudanese, zwei Albaner
und fünf Afghanen in die Wohngruppe ein.
Trotz der sprachlichen Barrieren haben sich
alle gut einfinden können und wussten das
neue Zuhause zu schätzen. Bevor die minderjährigen Jugendlichen in den Schulen
untergebracht werden konnten, hat die
Wohngruppe Deutschunterricht angeboten,
an denen alle Bewohner teilgenommen
haben. Es stellte sich schnell heraus, dass die
Jugendlichen sehr wissbegierig sind. Sie sind
interessiert und gewillt, schnell die deutsche
Sprache zu erlernen und sich selbständig in
der neuen Heimat zurechtzufinden. Die
Arbeit mit diesen jungen Menschen stellt die
PädagogInnen vor neue Herausforderungen
und unbekannte Thematiken. Vor Aufnahme
in unserem Haus haben die meisten Jungen
eine Zeit lang in einer Inobhutnahmestelle
verbracht, bis durch das Jugendamt ein
passender Platz für sie gefunden werden
konnte. Viele Dinge sind bis dahin nicht
bekannt und noch unklar; Informationen zur
Schulbildung, zur Familie oder zur Gesundheit werden in sogenannten Erstinterviews
erhoben. Hier gilt es nun nachzuarbeiten
und das Profil eines jeden Jugendlichen zu
schärfen. Oberste Priorität in der Arbeit des
Teams hat sicherlich die Unterstützung und
Förderung des Spracherwerbs. Das Erlernen
der deutschen Sprache ist die Basis einer
gelingenden Integration und sollte somit so
zeitnah und so intensiv wie möglich geschehen.
Eine weitere Aufgabe im Kontext von Integration stellt sicherlich die Suche nach geeigneten
Freizeitmöglichkeiten für die jungen Menschen da, die über das interne Angebot der Einrichtung hinausgehen. Wir sind davon überzeugt, dass das Agieren und der Austausch mit
Gleichaltrigen insgesamt die besten Lernfortschritte mit sich bringen. Im Laufe der ersten
Monate konnten die Jungen erfolgreich in das Vereinsleben in Melle angebunden werden.
Kinder- und Jugendhilfe Hünenburg
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Neues von Unterwegs – 25/2016
Ob beim Fußballspielen, beim Schach
oder beim Turnen, wir haben die
Erfahrung machen können, dass alle
Jungen mit offenen Armen und mit
viel Hilfsbereitschaft in den jeweiligen Systemen aufgenommen worden
sind und möchte für diese Haltung
gerne Danke sagen.
Im Alltag erleben wir junge Menschen, die bestrebt sind, eigenständig
zu werden und die sich mit viel Eifer
den Herausforderungen stellen. Trotz
der in der Regel schlimmen und
traumatischen Erfahrungen, die die Jungen in sich tragen und zu verarbeiten haben, bringen
sie eine positive und motivierte Grundhaltung mit. Sie versuchen, ihren Anliegen weitestgehend selbstständig zu begegnen, vertrauen dabei aber auf die Unterstützung und Erfahrung
der Fachkräfte. Die Anpassungsleistung, die die jungen Menschen in diesem Kontext zu
leisten haben, ist umso höher zu bewerten, wenn man bedenkt, dass vieles, aber eben nicht
alles (selbst unter Hinzuziehung eines Dolmetschers) mit sprachlichen Mitteln zu erläutern ist.
Abschließend können wir sagen, dass
wir als Einrichtung auch für uns selbst
einen mutigen und großen Schritt
getan haben, indem wir unsere Angebotspalette durch die Arbeit mit den
jungen Flüchtlingen erweitert haben.
Die Arbeit in den ersten Monaten
hinterlässt viele neue Eindrücke und
Erfahrungen. Wir durften jungen
Menschen begegnen, die ihr eigenes
Leben aktiv in die Hand nehmen
wollen und freuen uns, sie noch ein
weiteres Stück ihres Weges begleiten
und unterstützen zu dürfen.
Seite 6
Wir möchten an dieser Stelle den Raum nutzen, um all denen Personen unseren Dank auszurichten, die uns in unserer Arbeit ein Stück weit unterstützt haben. Integration geht weit über
den Rahmen der Arbeit einer Wohngruppe hinaus und bedarf einer offenen Grundhaltung
anderer Systeme des regionalen Lebens. Wir begrüßen es außerordentlich, diese Haltung in
Melle vorzufinden!
Autorinnen: Jennifer Komnick & Simone Richter
für die Wohngruppe "Phönix"
Kinder- und Jugendhilfe Hünenburg
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Neues von Unterwegs – 25/2016
Wie Mustafa
nach Melle kam
"Alle hatten Angst"
"Gute Frage!", sagt Mustafa
und lächelt. Warum er
überhaupt aus Afghanistan
geflohen sei, will der Reporter von dem 16-Jährigen wissen, der in der
Hünenburg in Riemsloh lebt. Das Lächeln schwindet. "Immer Krieg",
sagt er, "warum Krieg?"
von Michael Hengehold
Warum Krieg? Warum
muss ein 16-Jähriger sich
5000 Kilometer von Afghanistan
bis
nach
Deutschland durchschlagen? Begleitet nicht etwa
von seiner Familie nebst
Eltern. Sondern mit seinen Cousins Hamed und
Mahmoud, 16 und 14 (!)
Jahre alt. Drei Teenager,
die teils nur zu Fuß reisen können. In Mustafas
Fall sogar ohne Schuhe.
"Durch die Berge. Barfuß", erzählt Mustafa, der
seit vier Monaten in
Deutschland ist, aber
schon über einen recht
bemerkenswerten Wortschatz verfügt.
"Kein Bus, keine Straße"
In seiner Heimat haben
die Taliban die Familie
auf dem Kieker. Zwei
von Mustafas Brüdern
sind Polizisten, Grund
genug für die selbsternannten Gotteskrieger,
Mustafas Familie als
Feinde zu betrachten.
Einer der beiden Brüder
wird inzwischen vermisst. Außerdem ist
Mustafas Familie schiitischen Glaubens, das ist
für
die
sunnitischen
Taliban nur wenig besser
als ungläubig. Den Weg
zu Mustafas Schule kontrollieren sie inzwischen,
weshalb der Junge die
fünf Kilometer zur Schule ("Kein Bus, keine Straße, ich gehe barfuß")
schon seit einem Jahr
nicht mehr bewältigen
konnte. In der Zeit hat er
der Familie zu Hause auf
dem Bauernhof geholfen.
Kinder- und Jugendhilfe Hünenburg
•
Ackerbau, Kühe, Schafe,
ein Esel. "Taliban mögen
keine Gesetze!", sagt er,
"und keine Schulen".
Natürlich wäre gerne die
ganze Familie der täglichen Gefahr in dem
kleinen Dorf entflohen,
aber dafür reichte das
Geld bei Weitem nicht.
3000 Dollar hat Mustafa
zahlen
müssen.
Die
Summe wurde in Afghanistan übergeben, nachdem Mustafa sich aus
der Türkei zu Hause
gemeldet hatte.
Über Pakistan und Iran
hatte er mit seinen Cousins die Türkei erreicht,
dann ging es weiter über
Griechenland, Mazedonien, Serbien, Kroatien
und Österreich.
Neues von Unterwegs – 25/2016
Seite 7
"Alle hatten Angst", erzählt der Teenager und schlägt im Google-Übersetzer
zwei Worte nach: "Plündern" lautet das
eine, "Kidnapping" das andere. "Ganz
viel Kidnapping" sagt er. Doch Mustafa
hatte Glück, wurde weder gefangen
genommen noch ausgeraubt.
teten minderjährigen Flüchtlingen gibt.
Mit den anderen Jungs kommt er gut
zurecht. Aber natürlich vermisst ein 16Jähriger seine Familie, das macht es
manchmal schwierig. Wenn das Heimweh kommt. "Die Jungen sind alle sehr
nett. Die Betreuer auch", sagt Mustafa.
Auch wenn Mustafa und seine Gefährten weite Teile der Strecke per Bus oder
Boot absolvieren konnten, war die Reise
doch alles andere als eine Urlaubsfahrt.
Im Iran und in Pakistan musste das Trio
sich vor der Polizei verstecken. In der
Türkei machten ihnen schlechtes Wetter
und die Kälte zu schaffen.
Mechaniker werden
Seite 8
Auf der Überfahrt von der Türkei nach
Griechenland kenterte das Boot, und
Mustafa musste eine Nacht in völlig
durchnässter Kleidung durchfrieren,
bevor in eine andere Schaluppe zurück
in die Türkei brachte. 50 Tage war der
Junge alles in allem unterwegs.
Nun lebt er in der Kinder- und Jugendhilfe Hünenburg in Riemsloh, wo es
eine achtköpfige Gruppe von unbegleiKinder- und Jugendhilfe Hünenburg
Er möchte einfach nur zur Schule gehen
können, damit er sich seinen Berufswunsch erfüllen kann: Mechaniker.
Doch sein größter Wunsch ist, dass
seine Familie nach Deutschland kommen kann. Einen wichtigen Unterschied zwischen seinem Heimatland und Deutschland
hat er den Daheimgebliebenen schon erzählt:
"In Deutschland hilft
die Polizei. In Afghanistan nicht", hat er seinen
Lieben berichtet. Vor
einer Woche hatte er
zuletzt Kontakt per
Handy Kontakt mit der
Familie. Die wohnt weiter im kleinen
Dorf, und da ist die Verbindung nicht
immer stabil. Vergangene Woche war
sie es. "Alles okay da", berichtet Mustafa. Aber wenn das so wäre, wäre Mustafa jetzt nicht in Deutschland.
Dieser Artikel erschien am 10.03.16 im "Meller
Kreisblatt" (Foto Überschrift: Norbert Wiegand).
Wir danken der Zeitung für die freundliche
Genehmigung der Veröffentlichung.
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Neues von Unterwegs – 25/2016
Alle gut gestimmt?
Das Stimmungsbarometer der MWG "Sonnenblick"
Ich wohne nun seit gut drei Jahren in der Mädchenwohngruppe
"Sonnenblick" und habe natürlich
schon einiges mitbekommen. Mal
ziehen Mädchen aus und neue
ein, mal stellt jemand etwas an,
manchmal herrscht einfach ein
Stimmungstief.
In solchen Situationen ist es nicht
immer leicht, Verständnis für
andere zu entwickeln und nett zu
sein. Daher haben wir Mädchen
in Zusammenarbeit mit den Betreuerinnen ein Stimmungsbarometer entwickelt,
um anderen gegenüber nachsichtiger sein zu können.
Bevor wir mit dem eigentlichen Barometer angefangen haben, setzten wir uns an
einem Abend zusammen. Jedes Mädchen sollte Fotos machen und mitbringen, die
ihre Stimmung repräsentieren sollten und die anderen haben dann die Stimmung
erraten. Dies hat schon einmal die Fähigkeit gefördert, sich in andere hineinzuversetzen. Dann begann die Arbeit am richtigen Barometer. Wir haben uns für ein Rad
entschieden, auf dem jeder Abschnitt mit einem Emoji versehen wurde, sodass er
eine Stimmung darstellt. Jedes Mädchen bekam zwei kleine Wäscheklammern, die
es individuell gestalten konnte. Als Regelung wurde vereinbart, dass wir jeden
Montag beim Gruppenabend unsere Stimmung „aktualisieren“ und die Wäscheklammern an den Feldern befestigen, die unsere Stimmung zeigen. Anschließend
erklärt jedes Mädchen, warum es diese Emojis ausgewählt hat.
Bei all den Veränderungen, die die MWG „Sonnenblick“ vor allem im letzten halben Jahr erlebt hat, bin ich mir sicher, dass so ein Stimmungsbarometer hilfreich ist,
um mehr Rücksicht aufeinander nehmen zu können. Wenn wir sehen, wie bei jemandem die Stimmung ist, wissen wir schon im Vorfeld, wie wir mit der Person
am besten umgehen sollten und Streit wird vorgebeugt. Meiner Meinung nach ist
es eine Bereicherung für den Gruppenalltag, da es eine wichtige Botschaft transportiert, dabei aber auch nicht zeitaufwändig ist.
Autorin: Tabitha Kees
Mädchenwohngruppe "Sonnenblick"
Kinder- und Jugendhilfe Hünenburg
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Neues von Unterwegs – 25/2016
Seite 9
Wohnformen einer alternden Gesellschaft
In die Zukunft geblickt
Etliche Medien behandeln wiederkehrend das Thema „demografischer Wandel“ und seine Folgen, oftmals wird
dabei der Fokus auf die Rente und
Pflege gelegt. Neben diesen wirft der
demografische Wandel die Frage auf:
Wie werden wir wohnen? Dieser Beitrag stellt eine kurze Beschreibung und
Bestandsaufnahme dar, zudem werden
einigen Lösungskonzepte skizziert.
Kernbereich dabei ist das „Wohnen im
Alter“.
Lebensabschnitt „Alter“
Seite 10
Ausgehend von der subjektiven Wirklichkeitskonstruktion stellt sich zunächst eine zentrale Frage, nämlich
nach der Bedeutung von „Alter“, bzw.
„Altern“. Michael Winkler beschreibt
dies als mehrdeutigen Begriff, zwischen
chronologischem Ablauf eines Lebens
in unterschiedlichen Abschnitten und
dem Ausdruck einer Differenzierung
zwischen den jungen Jahren und der
späteren Lebensphase, Alter (vgl.
Schweppe 2005, S. 10). Das Verständnis
von Alter unterscheidet sich in den
Kulturen und verändert sich im Laufe
der Epochen. Somit stellt Alter keine
Konstante dar, sondern eine dynamische und soziale Konstruktion innerhalb einer Gesellschaft (ebd., S. 32).
„So gibt es nicht-industrielle Gesellschaften (z.B.
Jäger- und Sammlergesellschaften bei zentralafrikanischen und südamerikanischen Wildbeutern
Kinder- und Jugendhilfe Hünenburg
und Eskimogruppen), in denen Alter nicht wie
bei uns an chronologische Lebensalter geknüpft
ist, sondern an körperliche Fähigkeiten: Wer
nicht mehr zu großen Anstrengungen in der
Lage ist, gilt als alt. Dies betrifft zum Beispiel
Menschen, die keine Grundnahrungsmittel mehr
sammeln oder Kleinkinder versorgen können. In
anderen nicht-industriellen Gesellschaften hängt
Alter, insbesondere bei Frauen, mit der jeweiligen
Position im Reproduktionszyklus zusammen. Ob
eine Frau jung oder alt ist, hängt davon ab, ob sie
heiratsfähig, verheiratet, Mutter, geschieden,
Schwiegermutter oder Witwe ist. Unverheiratete
oder kinderlose alte Frauen oder Männer können
in diesen Gesellschaften nie zu den Alten gehören.“ (ebd.)
Beiden Annahmen sehen im „Alter“
bzw. „Altern“ einen Prozess zeitlichen
Ablaufs,
die
Überlegungen
von
Schweppe werden darüber hinaus
durch den sozilogischen Vergleich
zwischen den Kulturen und Gesellschaften erweitert.
Demografischer Wandel
Seit Jahren sind besonders in den westlichen Industrieländern Veränderungen
in der Altersstruktur der Bevölkerung
auszumachen (vgl. Berliner Institut für
Bevölkerung und Entwicklung 2011, S.
14). Diese Entwicklung hinsichtlich des
Alters und der zahlenmäßigen Zunahme älterer Menschen haben folgende
Ursachen: Beginnend mit der veränderten Rolle der Frau in der modernen
Industriegesellschaft, müssen Frauen
sich oftmals zwischen dem Kinderkrie•
Neues von Unterwegs – 25/2016
gen und beruflicher Karriere entscheiden. Zudem führt eine Entscheidung
für die Familie bzw. Kinder, bei Frauen
häufig zu wirtschaftlichen Nachteilen.
Ebenso nicht außer Acht zu lassen ist
die mangelnde gesellschaftliche Anerkennung für Mütter und ihre Leistungen, besonders während der intensiven
Betreuungszeit von Kleinkindern.
„Gerade in Westdeutschland prallte die
gesellschaftliche Modernisierung – ausgedrückt
in einer besseren Ausbildung und der
Emanzipation von Frauen – auf ein politisches
gefördertes Familienmodel, das auf einen
männlichen Haupternährer und eine bestenfalls
zuverdienende Ehfrau gesetzt hatte. Ganztägige
Kinderbetreuung oder Ganztagsschulen fanden
in dieser Politik keinen Platz, wurden gar als
Entmündigung von Eltern empfunden. Für eine
zunehmende
Zahl
von
Paaren,
deren
Lebensentwürfe auf der beruflichen Entfaltung
beider Partner und einem DoppelverdienerWohlstand aufbauten, aber auch für wachsende
Zahl Alleinstehender, wurde Kinderkriegen zum
Berufs- und Armutsrisiko.“ (ebd., S. 14).
Diese anhaltende Entwicklung trägt
allerdings nur einerseits zur relativen
Durchalterung der Bevölkerung bei.
Andererseits ist der Anstieg der Lebenserwartung und Verschiebung körperlicher Beeinträchtigungen in höheres
Alter zu erwähnen. Somit wird es zunehmend zu einer Normalbiografie,
hochbetagt im Vergleich zu vorherigen
Generationen im Alter, eine aktive
Lebensführung zu erleben (vgl. Woog
2006, S. 17).
Die Zunahme älterer Menschen stellt
veränderte Anforderungen an die Gesellschaft, in der sie einen immer größeKinder- und Jugendhilfe Hünenburg
ren Anteil ausmachen. Durch die zahlenmäßige Zunahme beeinflussen sie
zunehmend Bereiche wie Politik, Wissenschaft, Bildung und insbesondere
Soziales. Diese sich verändernde Ausgangssituation muss zudem den aufkommenden
volkswirtschaftlichen
Anforderungen gerecht werden.
In der Fachliteratur ist die Rede von
„jungen Alten“ den „hochaltrigen“ und
der „vierten Lebensphase“. Menschen
zwischen 60 - 80 werden demnach als
junge Alte bezeichnet, über 80 jährige
als Hochaltrige. Die vierte Lebensphase
meint hingegen eine Erweiterung des
Alters, gegenüber der früher üblichen
„dritten Lebensphase“, bedingt durch
die allgemein gestiegene Lebenserwartung.
Seite 11
Beide Altersgruppen werden in Zukunft deutlich zunehmen, so wird die
Zahl der heute über 80jährigen von
etwa 3 Mio. im Jahr 2020 auf über 5.
Mio. und im Jahr 2050 letztlich auf circa
8 Mio. ansteigen. Aus dieser ersten
Gruppe der Hochaltrigen ergibt sich
eine wesentliche Anforderung an die
Altenhilfe und Altenpflege (das Risiko
der Pflegebedürftigkeit bei den über
80jährigen liegt bei 25 %, bei den 60 –
80jährigen sind es dagegen nur 3% (vgl.
ebd., S. 6). Diese bevorstehende Schieflage wird durch Rückgang der Großfamilien hin zu Ein-Personen-Haushalten
verstärkt. Die Familien stellt in der
Pflege alter Menschen eine natürliche
Ressource dar, etwa 80 % der Pflegeleistungen werden heutzutage von der
Familie geleistet.
•
Neues von Unterwegs – 25/2016
Eine Verringerung dieser Leistungen
wird sich mit erheblichen Konsequenzen auf die Alten- und Pflegeeinrichtungen auswirken. Die Gruppe der 60 –
80jährigen wird noch stärker wachsen,
von etwa 10 Mio. auf über 12 Mio. im
Jahr 2020 und im Jahr 2030 auf den
zunächst höchsten Stand von circa 15
Mio., ehe diese Gruppe bis zum Jahr
2050 wieder auf 12 Mio. abnimmt. Aus
der zweiten Gruppe ergeben sich besonders Anforderungen an Wohnkonzepte.
Seite 12
Beide Gruppen bedürfen schwerpunktmäßig verschiedener Rahmenbedingungen, einerseits die der Pflege
andererseits die angemessene Antwort
auf Wohnformen. Diese sich aufdrängenden Fragen werden auch der Sozialen Arbeit gestellt, unter anderem,
wenn die Arbeitsfelder der Kindheit
und Jugend nicht mehr genügend Bedarf äußern. Arbeit für und mit alten
Menschen könnte wie folgt aussehen:
„Soziale Altenarbeit unterstützt ältere Menschen
und ihre Angehörigen bei der Organisation von
Hilfe- und Unterstützungsprozessen, wenn die
Betroffenen dazu selbst nicht mehr in der Lage
sind. Sie bietet Beratung an und vermittelt auf
Wunsch entsprechende Dienste des ambulanten
und stationären Bereichs, und bleibt Ansprechpartnerin bei möglichen Beschwerden über die
vermittelten Dienste.“ (Woog 2006, S. 15).
Auf diese veränderten Erfordernisse
und Wünsche müssen sich sowohl die
Wohnungspolitik, Kommunalplanung,
Gesundheitswesen sowie Pflege- und
Betreuungseinrichtungen einstellen, explizit müssen die zuständigen Akteure
Kinder- und Jugendhilfe Hünenburg
Veränderungen erkennen und angemessene Weichenstellungen vornehmen.
Wohnen im Alter – neue Wohnformen
Wohnen im Allgemeinen besitzt für
zunächst alle Menschen eine hohe Bedeutung. Die Wohnung dient nicht nur
als Obdach, sondern auch als Begegnungsstätte mit sozialen Kontakten
sowie als intimer Rückzugsbereich,
welcher der Regeneration und Erholung dient. Hierbei ist zu beachten, dass
die Wohnsituation durch die ökonomische Situation des Bewohners beeinflusst wird (vgl. Backes, S. 233). Finanziell gut situierte Menschen können
folglich (positiven) Einfluss auf ihre
Wohnverhältnisse nehmen. Mit zunehmendem Alter nimmt die Wohnung
bzw. der Privathaushalt an Bedeutung
zu. Er dient nicht mehr nur als Ort des
Rückzuges, sondern rückt zunehmend
in den Lebensmittelpunkt (vgl. ebd., S.
254). Dies liegt u. a. an der wachsenden
Herausforderung der Bewältigung des
Alltags, insbesondere bei allein stehenden Menschen. Personen, die alleinstehend in Mietwohnungen wohnen, verfügen über geringere Hilfsoptionen als
jene, die weiterhin in ein familiäres
Gefüge eingegliedert sind. Ist dieses
nicht vorhanden, bzw. kann auf dieses
nur über eine räumliche Distanz zurückgegriffen werden, kann eine erschwerte Wohnsituation eintreten, falls
ein regelmäßiger Hilfebedarf besteht
und dieser durch ambulante Hilfen
nicht mehr gedeckt werden kann.
•
Neues von Unterwegs – 25/2016
Hier besteht die Option, in ein Altersoder Pflegeheim umzuziehen.
Betreutes Wohnen/Service-Wohnen und
gemeinschaftliche Wohnformen.
Mit zunehmendem Alter verbringen
Menschen einen höheren Anteil ihrer
Zeit in ihrer Wohnung als jüngere Menschen. Das Feld der Aktivitäten und
sozialen Beziehungen reduziert sich auf
einen kleinen Aktionsradius. Vorwiegend werden alltägliche Kontakte in
der unmittelbaren Umgebung gesucht
und geknüpft. Das Alter bedingt eine
Umstellung auf einen neuen Lebensabschnitt sowie eine neue Lebens- und
Wohnsituation. Aus den bereits geschilderten Veränderungen resultieren
neue häusliche Bedürfnisse und Erwartungen an die Wohnverhältnisse. Nach
Heinze lassen sich diese Wohnbedürfnisse in unterschiedlichen Dimensionen
(Wohnstandard und Wohnqualität,
Wohnform und –gemeinschaft, ökonomische und wohnrechtliche Dimension,
Selbständigkeit, regionale Dimension,
Wohnumweltbedingungen, soziale und
gesellschaftsbezogene Dimension, Gefährdungs- und Risikodimension) darstellen (vgl. Heinze, S. 23 f.). Diese unterschiedlichen
Dimensionen
der
Wohnbedürfnisse
nehmen folglich
Bezug auf grundlegende Aspekte wie
die Wohnbedingungen, die Wohnkosten, die Wohnlage, räumliche Gegebenheiten sowie soziale Kontakte.
Altenheim
Im weiteren Verlauf werden unterschiedliche Wohnformen des Alters
vorgestellt. Dazu zählen das Wohnen
im Altenheim sowie alternative Wohnformen wie das barrierefreie Wohnen,
Kinder- und Jugendhilfe Hünenburg
Mehr als 5% der über 60jährigen lebte
2005 in einem Altenheim. Mit zunehmendem Alter erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, in ein Altenheim umzuziehen. So liegt der Anteil der 8084jährigen schon bei 8%. Dennoch ist
insgesamt ein Rückgang der Personenzahl zu verzeichnen, die in ein Altenheim umzieht, was u. a. durch alternative und neue Formen des Wohnens im
Alter bedingt ist. Durch die Entstehung
neuer Wohnformen greifen ältere Menschen, wenn möglich, auf diese zurück,
da ihr Bild von Altenheimen häufig
negativ behaftet ist und sie sich Risiken
wie Vereinsamung, Langeweile und
Bevormundung durch das Personal
ausgesetzt sehen. Folglich kann ein
Umzug in ein Altenheim einen großen
persönlichen Umbruch bedeuten, der
mit den o.g. Ängsten einhergeht. Dieser
Umbruch in einen neuen Lebensabschnitt kann den Betroffenen psychisch
besonders stark belasten, so dass anstehende Umzüge meist mit Konflikt- und
Krisensituationen verbunden sind.
Die Gründe für einen Umzug in ein
Altenheim sind vorwiegend der
Gesundheitszustand, ein mangelhaftes
soziales Netzwerk sowie eine unzureichende Wohnsituation (vgl. Backes, S.
252). Besonders gesundheitliche Gründe werden als Begründung für einen
Heimaufenthalt herangezogen.
•
Neues von Unterwegs – 25/2016
Seite 13
D.h., dass durch die gesundheitliche
und körperliche Verfassung des Betroffenen ein Verbleib in der eigenen Wohnung unmöglich und ein Heimaufenthalt somit unumgänglich geworden ist.
Seite 14
Durch die institutionellen Vorgaben
und Regelungen im Altenheim wird
einerseits eine geordnete Struktur geschaffen, die sich aus den normierten
und handlungsspezifischen Handlungsstrukturen der Einrichtung entwickelt, jedoch zu Folge hat, dass die
Bewohner sich dieser Struktur anpassen
und ihre gewohnten Handlungsmuster
innerhalb der hierarchischen Struktur
einer Institution unterordnen müssen.
Die Möglichkeit zur Erzeugung eines
privaten Raumes stellt dabei eine
grundlegende
Voraussetzung
zur
Schaffung eines Arrangements mit
anderen Bewohnern sowie der Herstellung neuer Beziehungen. Vor allem in
neueren Altenheimen wird diese wichtige Möglichkeit sowohl baulich als
auch konzeptionell stärker berücksichtigt.
Alternative und neue Formen
des Wohnens im Alter
Neben dem traditionellen Aufenthalt
im Altenheim gibt es inzwischen etliche
alternative Formen des Wohnens im
Alter, auf die im Folgenden eingegangen werden soll.
Barrierefreies Wohnen
Die selbstständige Bewältigung des
Alltags setzt in viele Fällen des hohen
Kinder- und Jugendhilfe Hünenburg
Alters geeignete Umbaumaßnahmen
innerhalb der Wohnung voraus.
Besonders im Bereich technischer
Hilfsmittel existieren vielfältige Möglichkeiten, den Lebensalltag zu erleichtern. Zu den bekanntesten zählen u. a.
Treppen- und Badewannenlifte. Neben
den technischen Hilfsmitteln können
weitere Veränderungen an den Wohnungsgegebenheiten sowie dem Inventar vorgenommen werden. Dazu zählen
z.B. die Schaffung eines barrierefreien
Balkons oder aber die Verwendung
spezieller Armaturen und Haltegriffe.
Darüber hinaus kann das Wohnen
durch zusätzliche Leistungen ergänzt
werden, sofern keine Möglichkeit der
kontinuierlichen Betreuung und Unterstützung durch Angehörige oder
Freunde besteht. Diese zeichnen sich
durch Servicewohnungen, Betreutes
Wohnen und wohnbegleitende Dienstleistungen aus, die eine alternative zum
Altenheim darstellen (vgl. Backes, S.
244).
Betreutes Wohnen/Service-Wohnen
Als weiteres alternatives Wohnangebot
hat sich das Betreute Wohnen in den
vergangenen Jahren etabliert. Es zeichnet sich dadurch aus, dass den Senioren
die Möglichkeit der selbstständigen
Lebensführung im Rahmen eines Privathaushaltes, in Verbindung mit bedarfsorientierten Hilfeangeboten wie
Versorgungs-, Pflege- und Serviceleistungen, geboten wird. Seit den 90er
Jahren des vergangenen Jahrhunderts
ist die Zahl der Personen in betreuten
Wohnverhältnissen erheblich angestie•
Neues von Unterwegs – 25/2016
gen. Die damit verbundenen Wohnungserrichtungen haben sich bis zum
Jahr 2000 verdoppelt (vgl. Bert, S.72).
Betreutes Wohnen bietet den Bewohnern die Möglichkeit, innerhalb ihrer
altersgerechten Wohnungen auf Hilfen
aus unmittelbarer Nähe zurückgreifen
zu können (z.B. durch den Hausmeister) und diese durch Freizeitprogramme ergänzen zu können. Betreutes
Wohnen sichert die Bereitstellung einer
Dauerbetreuung, so dass die Wohnung
weiterhin genutzt werden kann. Da die
Begriffe des „Service-Wohnens“ und
„Betreuten Wohnens“ gesetzlich nicht
abgesichert sind, können die Inhalte der
Angebote variieren (vgl. Brosch, S.15),
grundsätzlich sind diese jedoch durch
einen Miet- oder Kaufvertrag und einen
Betreuungsvertrag
gekennzeichnet.
Durch den Abschluss des Betreuungsvertrages erlangt der Bewohner ein
Wahlrecht. Dieses Wahlrecht grenzt die
Form des betreuten Wohnen deutlich
von einem Altenheim ab mit der Konsequenz, dass Personen des Betreuten
Wohnen nicht unter dem gleichen bzw.
im eingeschränkten Schutz des Heimgesetzes stehen, wie es in einem Altenheim der Fall ist, da Altenheime den
Vorschriften der Heimgesetzte von
Bund und Ländern unterliegen. Wohnbegleitende Dienstleistungen werden
vor allem dann in Anspruch genommen, wenn durch ein hohes Alter die
gesundheitlichen Einschränkungen und
Behinderungen zunehmen (vgl. Backes,
S. 244).
Grundsätzlich gilt, dass lediglich Personen in Wohnprojekte des Betreuten
Kinder- und Jugendhilfe Hünenburg
Wohnens einziehen können, sofern sie
noch zur Haushaltsführung fähig sind.
Ausgeschlossen sind somit Personen
mit hoher Pflegebedürftigkeit, kognitiven Störungen, Desorientierung, Abhängigkeit von anderen Personen, Bewegungsdrang und aggressiven Handlungen (vgl. Bert, S. 76). An Demenz
erkrankte Personen können in den
meisten Fällen das Betreute Wohnen
weiterhin beanspruchen, sofern keine
Selbst-, Fremd-, und Weglaufgefährdung besteht. Der Verbleib innerhalb
der Wohneinrichtung hängt also stark
von dem Schweregrad der Demenz ab.
Demenziell typische Merkmale wie
Gedächtnis- und Verständigungsprobleme gefährden den Aufenthalt nicht
(vgl. ebd.).
Die Vielfältigkeit der Betreuungsmodelle beinhaltet demnach diverse Formen
im Umgang mit der Demenzerkrankung innerhalb des Betreuten Wohnens.
Zahlreiche Wohneinrichtungen verfügen über unterschiedlich ausgereifte
Demenz-Konzepte. Einige Einrichtungen legen ihr Konzept bereits im Vorfeld so aus, dass im Fall einer DemenzErkrankung der Betroffene trotz dieser
in das Betreute Wohnen integriert werden kann, unabhängig davon, ob die
Erkrankung im Laufe der Zeit an
Schwere zunimmt. Dazu gehören auch
eine gezielte Tages- und Nachtbetreuung. Viele Einrichtungen verfügen
nicht über ein solch prophylaktisches
Konzept im Umgang mit Demenz,
sondern versuchen, aus der Situation
heraus nach Lösungsansätzen und
Hilfeoptionen zu suchen, die aus dem
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Aktionsradius der Wohneinrichtung
herangezogen werden können.
·
·
Gemeinschaftliche Wohnprojekte
Anders als die Formen des Betreuten
Wohnens und des Wohnen im Altenheim wird das Gemeinschaftliche Wohnen vollkommen selbst verwaltet und
organisiert. Die Selbstorganisation umfasst nicht nur die Strukturierung des
Alltags, sondern auch die konzeptionelle Umsetzung des Projektes. Innerhalb
des Gemeinschaftlichen Wohnens kann
in drei verschiedene Wohnformen unterschieden werden (vgl. Brosch, S. 28):
Siedlungsgemeinschaft, Hausgemeinschaft und Wohngemeinschaft.
Seite 16
Siedlungsgemeinschaften
umfassen
Personen, die in einem räumlichen
Wohngebiet zusammenleben.
Hausgemeinschaften sind selbstständig
organisierte Hausprojekte, meist in
Form von Mehrfamilienhäusern, die
mehrere Mietparteien einbeziehen.
Wohngemeinschaften dienen dem Zusammenschluss mehrerer Personen in
einem Haushalt. Die verschiedenen
Konstellationen in Wohngemeinschaften können zwischen Gleichaltrigkeit
und Generationsunterschieden variieren. Besonders letztere Konstellation
wurde in den vergangenen Jahren zum
Ansatz gemeinschaftlichen Zusammenlebens. Grundsätzlich weist das gemeinschaftliche
Wohnen
folgende
Strukturmerkmale auf (vgl. ebd., S. 29):
Kinder- und Jugendhilfe Hünenburg
·
·
·
Bewohner sind an der Konzeptentwicklung beteiligt
Bewohner organisieren das Gemeinschaftsleben
Hilfeleistungen werden von den
Bewohnern untereinander erbracht,
u. a. durch die Schaffung sozialer
Netzwerke
Selbstständigkeit der Bewohner soll
bewahrt werden. Vereinsamung soll
durch gemeinschaftliches Zusammenleben vermieden werden
Physische und psychische Gesundheit soll durch gemeinschaftliches
Zusammenleben gestärkt werden.
Heimunterbringung soll (möglichst
lang) vermieden werden
Durch den bewussten Zusammenschluss der Bewohner zu einer Wohngemeinschaft, kann diese Form des
Wohnens auch als Wahlgemeinschaft
bezeichnet werden, da das Prinzip der
Freiwilligkeit im Vordergrund steht.
Ein Zufallsprinzip, wie es in anderen
Wohnformen vorzufinden ist, wird
durch die „Wahlfreiheit“ ausgeschlossen. Die Gründung einer Wohngemeinschaft geht vor allem mit dem Motiv
einher, die Lebensqualität im Rahmen
gemeinsamer Aktivitäten und Unterstützungen zu erhöhen und gleichzeitig
einen autonomen Handlungsspielraum
der einzelnen Bewohner zu wahren.
Besonders „jüngere Alte“ greifen auf
gemeinschaftliche Wohnformen zurück.
Dies ist mit dem altersspezifischen
Rückgang von zwei wichtigen sozialen
Kontakten – dem familienorientierten
Zusammenleben sowie dem Berufsleben - zu begründen (vgl. Bert, S. 55).
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Neues von Unterwegs – 25/2016
Anders als in anderen Wohnformen, ist
in gemeinschaftlichen Wohnprojekten
kein Betreuungskonzept vorzufinden.
Alltägliche Hilfeleistungen sollen primär durch die Mitbewohner erbracht
werden. Zusätzlich können bei Bedarf
ambulante Dienste herangezogen werden. Die Hilfeleistungen aus dem direkten Umfeld tragen folglich dazu bei,
eine „normale“ Wohnsituation mit
familiärem Charakter zu schaffen. Inwiefern sich die gegenseitige Hilfeleistung gestaltet, lässt sich anhand von
drei Modellformen darstellen (vgl. ebd.,
S. 61): „Normales“ Wohnen, selbst
organisierte professionelle Hilfe und
Altenhilfe/Betreutes Wohnen.
Das Modell des „Normalen“ Wohnens
sieht vor, dass alltägliche Hilfeleistun-
gen auf freiwilliger Basis erfolgen. Die
Wohnkonstellation kann hierbei z.B.
durch Mitbewohner mit pflegerischer
Ausbildung ergänzt werden. Bei Bedarf
können zusätzlich ambulante Dienste
herangezogen werden, welche als weitere Ergänzung fungieren. Diese agieren weiterhin unabhängig, können
jedoch räumlich in das Wohnprojekt
eingegliedert sein und kontinuierlich
genutzt werden. Das Modell der Altenhilfe/des Betreuten Wohnens wird vorwiegend dann genutzt, wenn die Trägerschaft der Wohngemeinschaft einem
Wohlfahrtsverband oder einer Altenhilfeorganisation obliegt. Diese verwaltet
und organisiert die angebotenen Hilfeleistungen durch professionelle Einrichtungen, die ebenfalls in den Wohnraum
untergebracht sein können.
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Literaturangaben:
BACKES, Gertrud M., CLEMENS, Wolfgang (2008): Lebensphase Alter. Eine Einführung in die sozialwissenschaftliche Alternsforschung. Weinheim und München: Juventa Verlag
BERLIN INSTITUT FÜR BEVÖLKERUNG UND ENTWICKLUNG (Hg.) (2011): Die demografische Lage der
Nation. Berlin.
BERTELSMANN STIFTUNG, GÜTERSLOH & KURATORIUM DEUTSCHE ALTERSHILFE (KDA) (Hg.),
(2003): Neue Wohnkonzepte für das Alter und praktische Erfahrungen bei der Umsetzung – eine Bestandsanalyse –.
Köln: Kuratorium Deutsche Altershilfe
BUNDESARBEITSGEMEINSCHAFT DER SENIOREN-ORGANISATIONEN E.V. (Hg.) (2011): Wohnen im
Alter. München: Verlag C. H. Beck
DEUTSCHES ZENTRUM FÜR ALTERSFRAGEN (Hg.) (1998): Wohnformen älterer Menschen im Wandel.
Frankfurt/Main: Campus Verlag GmbH
HEINZE, Rolf G., EICHENER, Volker, NAEGELE, Gerhard, BUCKSTEEG, Mathias, SCHAUERTE, Martin
(1997): Neue Wohnformen auch im Alter. Folgerungen aus dem demographischen Wandel für Wohnungspolitik und
Wohnungswirtschaft. Darmstadt: Schader-Stiftung
MENNING, Sonja (2007): Haushalte, familiale Lebensform und Wohnsituation älterer Menschen, GeroStat Report
Altersdaten 02/2007. Berlin: Deutsches Zentrum für Altersfragen
SCHWEPPE, Cornelia (Hrsg.) (2005): Alter und Soziale Arbeit. Theoretische Zusammenhänge, Aufgaben- und
Arbeitsfelder. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren
WOOG, Astrid (2006): Einführung in die Soziale Altenarbeit. Theorie und Praxis. Weinheim und München: Juventa
Verlag
Autor: Heinrich Gawlik
Gruppenleiter der Jungenwohngruppe "Südhaus"
Kinder- und Jugendhilfe Hünenburg
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Neues von Unterwegs – 25/2016
5 Jahre Wohngruppe NOAH
Ein Rückblick
Am 01.05.2011 trat am Hünenburgweg 64 eine große Veränderung ein. Die FWG
Janke verwandelte sich in die WG NOAH. Seitdem ist viel geschehen, Carsten
Schimmel übernahm als Nachfolger von Jochen Janke die Gruppenleitung. 24 Klienten wohnten und lebten in dieser Wohngruppe auf dem Hauptgelände der Einrichtung. Größtenteils erfolgreich konnten diese in die Selbständigkeit oder in die
Ursprungsfamilie zugeführt werden. Durch die familiäre Vertrauensbasis und den
offenen Umgang miteinander, entsteht für alle im Prozess beteiligten Familienmitglieder die Möglichkeit, das Wort NOAH in seinem Stammwort nach zu leben und
zu gebrauchen: Die hebräische Herkunft des Wortes bedeutet übersetzt so viel wie:
Pausieren, ruhen oder ausruhen. Und genau dieser Aspekt dient als Grundlage in
der bisher fünfjährigen Geschichte der WG NOAH. Sich lösen können aus alten
und festgesetzten Verhaltens- und Beziehungsmuster dient hierbei als Neustart für
den pädagogischen Prozess in der stationären Maßnahme.
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Im Laufe der Zeit genießt neben dem gruppen- und klientenbezogenen pädagogischen Repertoire der freizeitliche Aspekt - das Miteinander in Freizeiten, Urlauben
oder Tagesausflügen - einen hohen Stellenwert. Denn hierbei lässt sich abseits von
Schulstress und Alltag in einer unbeschwerten Phase eine völlig neue Beziehungsgrundlage gestalten. Für die uns anvertrauten Kinder (ab 9 Jahren) spielt Wasser
eine riesengroße Rolle. Dadurch inspiriert führten uns die Gruppenfreizeiten auch
immer wieder in diese Richtung.
2011 Usedom
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Neues von Unterwegs – 25/2016
2012 Tropical Island
2013 & 2014 Center Park Zandvoort
& 2015 Center Park Bispinger Heide
Dazu kamen Abenteuerfahrten.
Zwei, die allen Beteiligten in Erinnerung geblieben sind, sind ein
Wochenende in Berlin und die
Einladung der Tabaluga-Stiftung
von Peter Maffay nach Siebenbürgen in Rumänien 2012 (Foto links).
Neben vielen Tagesfahrten und
kleineren Ausflügen genießen die
Kinder dann im Kontrastprogramm
die Ruhe und Zurückgezogenheit in
der Wohngruppe, was ebenfalls eine
hohe Wichtigkeit hat. Im Laufe der 5 Jahre gab es viele schöne und erinnerungswerte Menschen, Situationen und Augenblicke, die unvergessen bleiben. Aus diesem
Grund haben wir uns am 04.06.2016 mit allen ehemaligen und aktuellen Klienten,
Eltern, Großeltern und anderen Personen zu Kaffe & Kuchen getroffen, um miteinander nochmal ein paar dieser Erinnerungen aufleben zu lassen.
An dieser Stelle möchte ich mich mit meinem Team zusammen ganz herzlich bei all
den Menschen bedanken, die wir in diesen 5 sehr intensiven Jahren kennenlernen
durften und die uns einige dieser unvergessenen Momente und zwischenmenschlichen Augenblicke beschert haben. Danke schön!!
Autoren: Carsten Schimmel & Team
für die Wohngruppe "Noah"
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Neues von Unterwegs – 25/2016
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Neue Autorität
Stärke statt Macht
"Macht brauchst Du nur, wenn Du etwas Böses vorhast.
Für alles andere reicht Liebe, um es zu erreichen."
(Charlie Chaplin)
Seit einiger Zeit beschäftigen wir uns im Team der Mädchenwohngruppe Libellen
mit dem Thema „ Neue Autorität - Stärke statt Macht“. Bei diesem Thema handelt
es sich um die Beziehung zwischen Kind und Eltern bzw. Betreuern und Klient.
Nicht durch Macht (bzw. missbräuchliche Machtausübung, die die eigene vermeintliche Überlegenheit betont) soll man ans Ziel kommen, sondern durch Durchhaltevermögen und eine positive Beziehung. Wir strafen nicht im Sinne eines alten
Autoritätsmodells, das dazu neigt, überzuregulieren und einen Automatismus an
Konsequenzen zu beinhalten, sondern arbeiten mit Wiedergutmachungen. „Die
Verbindung zweier Konzepte unter dem Titel 'Öffentlichkeit und Wiedergutmachung' soll deren zentrale Rolle im Wiederherstellen der gestörten gemeinschaftlichen Beziehungen betonen“ (Omer/v. Schlippe 2010, S. 266).
Seite 20
Wir haben unser Augenmerk auf das Thema "Öffentlichkeit und Wiedergutmachung" gerichtet. Auf diese Methode kamen wir, da es vermehrt zu Respektlosigkeiten und Regelverstößen in der Gruppe kam. Hält sich ein Mädchen nicht an
zuvor verabredete Regeln oder beleidigt eine Betreuerin massiv, so macht die betroffene Betreuerin einen Aushang an der Bürotür. Dort wird die empfundene Verletzung öffentlich gemacht, also aufgeschrieben, was vorgefallen ist, welche Beleidigung bzw. welcher Regelbruch vorkam und wie sich die Betreuerin gefühlt hat.
Dies passiert alles ohne Namensnennung, es sei denn, die Betreuerin unterschreibt
den Aushang. Dieser bleibt ca. zwei Wochen an der Tür hängen, damit das betroffene Mädchen und alle anderen sehen können, was vorgefallen ist. Dieses Vorgehen
soll dazu dienen, das betroffene Mädchen immer wieder an ihr Verhalten zu erinnern, ohne dass die Betreuerinnen in die direkte Konfrontation gehen müssen.
In diesen zwei Wochen hat das Mädchen Zeit, eine wie auch immer geartete Wiedergutmachung für die Betreuerin umzusetzen. Dies kann ein gedeckter Tisch sein,
Unterstützung im Haus oder auch ein gemütlicher, vom Mädchen organisierter
TV-Abend. Auch die Betreuerin kann Wünsche äußern, denen aber das Mädchen
nicht nachkommen muss. Durch die Entwicklung und Durchführung der Wiedergutmachung kommt das betroffene Mädchen ins Handeln und kann noch einmal
über das Geschehene nachdenken. Jede Wiedergutmachung muss für das Mädchen
nachvollziehbar sein und darf keine Erniedrigung darstellen!
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Neues von Unterwegs – 25/2016
Blick in die Diele, den
gemütlichen Wohnbereich der "Libellen", die in einem
liebevoll restaurierten
Fachwerkhaus leben
Wenn beispielsweise die entwickelte Aktion
der Wiedergutmachung ein gemeinsames
Tee trinken ist, kann sich in diesem Rahmen
ein Gespräch entwickeln, in dem noch einmal gemeinsam reflektiert wird, was vorgefallen ist und wie sich solche oder ähnliche
Situationen künftig vermeiden lassen. Nach
einem solchen Gespräch ist das Ziel, dass für
beide Parteien das Thema nachhaltig erledigt
ist und zusammen wieder ein normaler
Umgang gepflegt werden kann. Sollte in den
zwei Wochen nichts passieren, wird der
Zettel seitens der betroffenen Betreuerin
abgenommen und sie kann sich überlegen,
was ihr gut tut. Sollte ein Aushang von der
Tür abgerissen werden, so wird er erneuert
und es folgt zusätzlich ein neuer, weiterer.
Warum wir uns gerade dieses Vorgehen
ausgesucht haben? Wir empfanden die
Arbeit mit Strafen und Konsequenzen als
nicht förderlich oder angenehm für den
Gruppenalltag. Entweder befolgten die
Mädchen letztlich gesetzte Sanktionen eh
nicht - wodurch man zusätzlich in die Auseinandersetzung gehen musste, was häufig
ein gemeinsames "Wettrüsten" nach sich zog
- oder die formulierte Konsequenz wurde
zwar umgesetzt, brachte aber nicht den
erhofften (nachhaltigen) Erfolg.
„Das Ziel der Wiedergutmachung liegt
darin, die Verinnerlichung der Wertvorstellungen gegen Gewalt zu fördern“ (ebd.,
S.268).
Literaturangabe: Omer, H/von Schlippe, A.: Stärke statt Macht Neue Autorität in Familie, Schule und Gemeinde.
Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht.
Autorin: Grit Wallenhorst
für die Mädchenwohngruppe "Libellen"
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Neues von Unterwegs – 25/2016
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"Chilliges" Grillen als Abschied
Schulabschluss an der Ferdinand-Rohde-Schule
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Eine Woche vor der offiziellen Verabschiedung der 9.
Klasse haben sich die Schüler der Grund- und
Hauptschule von ihren bald ehemaligen Mitschülern
verabschiedet. Am Tag zuvor wurde die Pausenhalle, in der das Grillen stattfand, mit Hochdruckreinigern auf Hochglanz gebracht. Geradezu passend war
der Tag regnerisch und es war den helfenden Schülern nahezu egal, ob sie durch den Hochdruckreiniger von unten oder von Petrus von oben nass wurden. Bange Blicke gingen am Mittag, als man sich
verabschiedete gen Himmel, wie denn wohl das
Wetter am folgenden Tag sein würde. Und siehe da,
der Himmel hatte ein Einsehen. Da Donnerstags
ohnehin AG’s stattfinden (zur Zeit: Holz, Küche,
Informatik), bereitete die Küchen-AG, unterstützt
von den meisten anderen Hauptschülern, die Grillfete vor. Größere Mengen an verschiedenen leckeren
Salaten und mariniertes Grillgut wurde von der AG
zum Teil schon am Vortag vorbereitet, während andere fleißige Helfer die Bierzeltgarnituren
und den Grill aufbauten. All dies geschah mit erstaunlich viel Ruhe und Überblick – perfekt
begleitet und angeleitet von der Schulsozialpädagogin Dagmar Feller und der Klassenlehrerin
und Leiterin der Küchen-AG Larissa Lisnick. Etwas eher als die übliche Mittagszeit ließen es
sich dennoch alle
kräftig
schmecken
und lobten die Köche.
Dass es den gesamten Vormittag nicht
nur trocken war,
sondern sich sogar
die Sonne zeigte, war
„total krass“, wie
einer der Schüler
bemerkte. Und dass
der
anschließende
Abbau der Veranstaltung ebenso reibungslos und mit viel Hilfe ablief, fand der Autor dieser Zeilen, der erst seit kurzer Zeit an
der Ferdinand-Rohde-Schule unterrichtet, einfach „mega-krass“!
Autor: Knut Eichhorn
Lehrer an der Ferdinand-Rohde-Schule
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Neues von Unterwegs – 25/2016
Macht als nutzvolle Chance
oder Ausdruck verzweifelnder Vernunft?
Zur Auseinandersetzung mit Gewalt und Aggressionen
Häufig begegnen uns in unserer Arbeit mit Kindern und Jugendlichen Gewalt und
Aggressionen. Manchmal in sehr eindeutiger und offener Form wie z.B. in körperlichen Auseinandersetzungen und verbalen Beschimpfungen, manchmal aber auch,
oft deutlich schwieriger zu erkennen, in verdeckter Machtausübung. Nicht jeder
Moment der Aggression ist als negativ zu bewerten und gehört reglementiert. Zur
Verdeutlichung ein kurzes Beispiel:
In Melle spielt heute Abend eine angesagte Band. Die Veranstaltung ist bereits seit vielen Wochen
ausverkauft. Da für dieses Konzert freie Platzwahl besteht, tummeln sich bereits lange vor Einlass viele
Menschen auf dem Vorplatz. Als dann zu gegebener Zeit die Türen zum Veranstaltungssaal geöffnet
werden, bildet sich direkt davor eine Menschentraube, da jeder bestrebt ist, möglichst schnell den Saal
zu betreten, um sich einen Platz in einer der vorderen Reihen zu sichern. Der Einlass erfolgt ohne
besondere Vorkommnisse, heißt, es gibt zwar etwas Geschiebe, aber keine offenen Auseinandersetzungen
oder Rangeleien. Dennoch könnte man ein wenig ketzerisch anmerken, dass die Personen, die die vorderen Reihen einnehmen wollen, evtl. etwas aggressiver beim Einlass waren, als die aus den hinteren
Reihen.
Ist auch die traditionelle Machtdefinition Webers, nach der Macht jede Chance ist,
innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstand
durchzusetzen, inzwischen sicherlich überholt, haben Aggressionen u.a. auch etwas
mit Selbstbehauptung zu tun und helfen uns, in unserem Leben voranzukommen,
für uns und unsere Interessen einzustehen und uns ggf. gegen andere durchzusetzen. Dabei bleibt nicht immer aus, dass andere Menschen hierdurch einen Nachteil
erfahren. Aggression ist also sehr vielschichtig und bis zu einem gewissen Maße
gesellschaftlich akzeptiert und notwendig. Im Alltag der Jugendhilfe stehen die
Mitarbeiter also immer wieder im Spannungsfeld und müssen entscheiden, welches
Verhalten sie zulassen und wann es eines korrigierenden Einschreitens bedarf.
Um aggressives Verhalten zu erkennen und angemessen intervenieren zu können,
unterscheidet Dutschmann (2000) in seinem Aggressionsbewältigungsprogramm
drei Typen von Aggression.
"Typ A: instrumentelle Aggression
…ist der Versuch, gezielt und/ oder geplant andere Menschen zur Erlangung eines persönlichen Vorteiles Schaden zuzufügen." Dieser kann auch über das ständige Erzielen von Aufmerk-
samkeit und Zuwendung erzeugt werden. Dieser Aggressionstyp zeichnet sich
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durch ein dauerhaftes Vorteils- und Machtbestreben aus. Nicht selten bezeichnet
man sein Verhalten als manipulativ. Er/Sie ist beispielsweise in der Lage, Streit
zwischen anderen zu provozieren, Unruhe in der gesamten Gruppe zu erzeugen
oder diese bei Abwesenheit der Mitarbeiter zu kontrollieren.
"Typ B: Emotionstyp
…ist ein durch Erregung bzw. Emotionen hervorgerufenes oder begleitetes Verhalten zum Abbau von
Spannungen und zur Abwehr als bedrohlich wahrgenommener Reize. Echte emotionale Erregung und
Reizbarkeit ist hier häufig die Folge negativer Gefühle und Ängste. Vor dem Hintergrund einer erhöhten Reizbarkeit und Empfindlichkeit erhöht sich die Bereitschaft aggressiv zu reagieren, wobei die
Schädigung der Anderen in Kauf genommen wird." Diesem Aggressionstyp fällt es schwer,
seine Gefühle bewusst wahrzunehmen, einzuordnen und zum Ausdruck zu bringen. Dies verursacht innere Spannungen deren Abbau häufig zu Gewalt gegen
Gegenstände, Personen oder sich selbst führt.
"Typ C: Erregungstyp
…ist ein durch hohe Erregung hervorgerufenes weitgehend ungesteuertes Verhalten mit schwerer
Gefährdung von Menschen und Sachen. Gewalt läuft hier unter höchster Erregung ab- es besteht keine
Steuerungsfähigkeit.“ Bei diesem Aggressionstyp kommt es bei unbefriedigt gelösten
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Konflikten häufig zu blindwütigen, unüberlegten Handlungen (z.B. wild um sich
oder auf jemanden einschlagen). Es handelt sich hier um das Entladen von Spannungen, also um keinen Konflikt mehr. Der Höhepunkt der Erregung ist explosionsartig erreicht (für Außenstehende von 0 auf 100) und eine wechselseitige Kommunikation ist nicht mehr möglich.
Die Darstellung dieser drei Aggressionstypen von Dutschmann zeigen, wie unterschiedlich Aggressionen und Gewalt sein können. Daher bedarf es auch je nach
Aggressionstyp unterschiedlichen Verhaltens der Mitarbeiter, um auf die Situation
deeskalierend einwirken zu können.
Bei Typ A können folgende Maßnahmen hilfreich sein, um eine Eskalation zu vermeiden:
· Körperliche Nähe; diese hat eine stark verhaltenssteuernde Wirkung
· Aufmerksamkeit auf die eigene Person ziehen, um von anderen abzulenken
· Ignorieren des Verhaltens (Bühne entziehen), die Gruppe zum Ignorieren auffordern
· Dosierte Aktivierung motorischer Aktivitäten, um Spannungen abzubauen
· Ich- statt Du-Botschaften
Folgende Strategien können bei Typ B deeskalierend wirken:
· Aktives Herbeiführen von Entspannung
· Anregen und Aufrechterhalten von Kommunikation
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Neues von Unterwegs – 25/2016
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Gefühle zulassen (rausschreien, weinen)
kontrolliertes motorisches Ausagieren
beruhigende Reize (körperliche Nähe, Anwesenheit anderer Kinder, Ortswechsel)
Um bei Typ C eine Eskalation zu verhindern, bedarf es bereits im Vorfeld einer
präzisen Beobachtung der Situation, da die Erregung hier sprungartig ansteigt.
Folgende Merkmale können u.a. Anhaltspunkte für eine bereits hohe Erregung
sein:
· angespannter Körper
· geballte Fäuste
· Hin- und Herlaufen
· Schwitzen, schneller Puls, schnelle Atmung
· hastiges gepresstes Sprechen
· aggressive Stimmlage
Außerdem kann es bei Typ C helfen, durch eigenes Auftreten der Erregung Ruhe
entgegen zu setzten. Dies kann durch eine ruhige Sprache und das Ankündigen
dessen, was nun getan wird, herbeigeführt werden. Das Entfernen von Reizen
durch z.B. andere Kinder und die Vermeidung von Drohung und Provokation
durch Körpersprache können die Situation regulieren.
Grundsätzlich gehören Aggressionen zum menschlichen Gefühlsrepertoire dazu
und haben ihre Berechtigung und ihren Nutzen. Für die Mitarbeiter in der Jugendhilfe ist es manches Mal eine Herausforderung, diese in einen gesellschaftlich akzeptierten Rahmen zu lenken und in positive Energien umzuleiten.
Literaturangabe: Handout
der Fortbildungsreihe "Professionelles Handeln in aggressiven Situationen in
Einrichtungen der Jugendhilfe"
Autorin:
Hannah Otto
Gruppenleiterin des
"Haus Nordblick"
Foto links: Der großzügige
Essbereich mit angrenzender
Küche im "Haus Nordblick"
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Neues von Unterwegs – 25/2016
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Willkommen in einer etwas anderen Welt
Besuch des Musikbox- und Straßenkreuzer-Festivals
Die Welt der 1950er und 1960er Jahre ist
eine Welt, die weit weg liegt für die
Jugendlichen von heute. Einen kleinen
Einblick in diese Zeit kann man durch
Museen erhalten oder auf Veranstaltungen, wie das „the Jukin'50s“ in VerlKaunitz. Es ist ein Eintauchen in die
Lebensart und die schönen Dinge dieser
Zeit. Die Autos, die Musik und Klei-
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dung oder die „Spielekonsolen“ der
damaligen Zeit sind aufbereitet oder
auch in die heutige Zeit abgewandelt zu
erleben. In Kaunitz werden die Besucher Teil dieser Welt. Die Besitzer der
Autos und auch die Händler originaler
Ware geben Einblicke, Tipps und Erklärungen für jeden Interessierten.
Die Liebe zu den Autos der heutigen Zeit ist für viele
Jugendliche auch verbunden mit dem Interesse an Autos
aus früheren Zeiten. Dieses Interesse einiger Jungen der
Jungenwohngruppe Oldendorf war der Anstoß zu dem
Ausflug nach Kaunitz. Einen ganzen Tag lag konnten
Fotos gemacht, Träume geträumt, Zukunftswünsche
geplant und Fragen an die Händler und Besitzer gestellt
werden.
Auf dem Außengelände der Ostwestfalenhalle in Kaunitz
bekamen die Jugendlichen die Möglichkeit, Autos der
damaligen Zeiten, aber auch einige „Traumautos“ der heutigen Zeit ganz nah zu erleben. Es
wurde über technische Details, Karosserien, Motorleistungen, Restauration und Ästhetik
gesprochen. Im Hintergrund wurden auf einer Bühne Rock'n'Roll und Swing von Bands zum
Besten gegeben. Menschen, gekleidet wie
zu damaligen Zeiten, waren allgegenwärtig. In der Halle selbst befanden sich Händler mit originaler Ware und die Ausstellung der Jukeboxen. Die „Spielekonsolen“
der damaligen Zeit, die Flipper, bekamen
besondere Aufmerksamkeit. So war es
möglich, sie kostenfrei auszuprobieren und
mit den Händlern über den Umbau und
Instandhaltung zu diskutieren.
Ein Gefühl für den Wert dieser Dinge entstand und Pläne für die Zukunft wurden geschmiedet. Realistische Fragen und Gespräche über die Ermöglichung dieser Träume und Wünsche
und die dafür nötigen Voraussetzungen folgten. Neue Ziele wurden geboren.
Autorin: Birte Hilgenhöner
für die Jungenwohngruppe Oldendorf
Kinder- und Jugendhilfe Hünenburg
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Neues von Unterwegs – 25/2016
Geschafft!
Verabschiedung der Abschlussklasse der Ferdinand-Rohde-Schule
"Achtung verdient, wer vollbringt, was er vermag." (Sophokles)
Als ich im Frühjahr die Abschlussklasse wegen der Erkrankung eines Kollegen übernahm,
geschah dies mit
einem lachenden und einem weinenden Auge. Einige der Schüler hatten
bereits bei mir Unterricht gehabt und
ich freute mich, mit ihnen arbeiten zu
dürfen. Andererseits fehlt uns der
erfahrene Kollege sehr und wir vermissen seine humorvolle und gütige
Art und Weise, mit der er jahrelang
liebevoll die Schüler zum Abschluss
führte. Es gibt Lücken, die beim besten
Willen nicht zu füllen sind. Die Schüler
und ich waren uns bewusst, dass die
vor uns liegende Zeit arbeitsreich und
anstrengend werden würde, doch sie
gaben ihr Bestes und unterstützten
mich in meinem Bemühen, sie gut auf
die Abschlussprüfungen vorzubereiten. Und es hat sich gelohnt! So spiegelte sich der Stolz derjenigen, die
einen guten Hauptschulabschluss
erreichten, bei der Abschlussfeier in
vielen glücklichen Gesichtern. Dass es
uns gelungen ist, alle Schüler an weiterführende Schulen weiterzugeben, ist ein Ausrufungszeichen wert! Der Großteil dieses
Erfolges gebührt der gelungenen Arbeit der Schulsozialpädagogik, die über die Belastungsgrenzen hinaus Erfahrung und Einsatz in die Waagschale warf und ein Umfeld für Schüler
und Lehrer schuf, in dem ein störungsfreies Lernen möglich wurde.
Der Weg unserer nun ehemaligen Schüler führt sie nun in die Oberschule oder Berufsschule,
in Berufsprojekte oder zur Lernwerkstatt und so in Ausbildung und Berufstätigkeit. Ich entlasse diese Schüler in dem Bewusstsein, das ihr Weg mit den Bausteinen eines sozialen Bewusstseins und Gemeinschaftssinns gepflastert sein wird, die sie hier an unserer Schule gelegt
haben. Und wenn man als Lehrkraft miterleben darf, wie aus trotzigen Einzelkämpfern in
wenigen Jahren lernwillige, verantwortungsvolle und sozial starke Jugendliche werden, dann
erfährt man den Geist einer besonderen Schule.
Autor: Claas Semmelhaack
Lehrer an der Ferdinand-Rohde-Schule
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Neues von Unterwegs – 25/2016
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Kinder- und Jugendhilfe Hünenburg
Ev.-luth. Stiftung Hünenburg
mit Förderschule für emotionale und soziale Entwicklung
Leitung und Verwaltung
Geschäftsführer:
Thomas Brodhuhn
Stellvertreter:
Christian Janke
Fachbereichsleitung:
Sabine Stratmann-Gerdes
Sabine Eicker
Hünenburgweg 64
49328 Melle
Tel.: 05226 / 98 61 – 0
Fax.: 05226 / 98 61 - 11
Email: [email protected]
www.huenenburg.com
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Jungenwohngruppe
Südhaus
Hünenburgweg 64
49328 Melle
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Jungenwohngruppe
Oldendorf
Osnabrücker Straße 153
49324 Melle
[email protected]
Mädchenwohngruppe
Libellen
Kampingring 2
49328 Melle
[email protected]
Mädchenwohngruppe
Sonnenblick
Meller Berg 33
49324 Melle
[email protected]
Wohngruppe
Phönix
Hünenburgweg 64
49328 Melle
[email protected]
Außenwohngruppe
Logo
Engelgarten 33
49324 Melle
[email protected]
Haus Nordblick
Hünenburgweg 64
49328 Melle
[email protected]
diverse
Standorte
[email protected]
Hünenburgweg 64
49328 Melle
[email protected]
Hünenburgweg 64
49328 Melle
[email protected]
Mobile Betreuung
Ferdinand-Rohde-Schule
für emotionale und soziale Entwicklung
Therapeutischer Dienst
Tel.: 05226 / 98 61 – 34
Tel.: 05226 / 98 61 – 33
Tel.: 05422 / 75 26
Tel.: 05427 / 66 15
Tel.: 05422 / 9 289 161
Tel.: 05226 / 98 61 - 32
Tel.: 05422 / 53 31
Tel.: 05226 / 98 61 - 43
Tel. 05226 / 98 61 - 12
Tel.: 05226 / 98 61 – 36
Tel.: 05226 / 98 61 - 0