7. Entwicklung und Erziehung: Der Einfluss der Eltern

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7. Entwicklung und Erziehung: Der Einfluss der Eltern
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7. Entwicklung und Erziehung:
Der Einfluss der Eltern
Der folgende Text ist mit kleineren Veränderungen aus dem Lehrbuch
Zimbardo, P.G. & Gerrig, R.J. (1999). Psychologie. Berlin: Springer.
übernommen worden. Es handelt sich um die Abschnitte 15.2 und 15.3 aus dem
von mir verfassten Kapitel Erziehungsstile und Erziehungsprozesse.
Die pädagogische Beziehung, die Sie wahrscheinlich zuallererst mit dem Begriff
Erziehung
verbinden,
ist
die
Eltern-Kind-Beziehung,
und
der
Erziehungseinfluss, an den Sie zuerst denken, ist der Einfluss der Eltern auf das
Kind. Wer könnte Zweifel daran haben, dass es die Erziehung der Eltern ist, die
die Weichen für das ganze Leben eines jungen Menschen stellt?
Die Lebensbedingungen in unserer Gesellschaft werden häufig als pluralistisch
bezeichnet, und damit soll auch zum Ausdruck gebracht werden, dass jeder
einzelne von uns eine Vielzahl unterschiedlicher Lebensentwürfe kennenlernt,
und zwar nicht nur als distanzierter Beobachter des Lebens anderer Menschen keine Gesetze und immer weniger verbindliche Normen hindern ihn daran, diese
alternativen Lebensweisen in seine eigene Biographie aufzunehmen. Vor diesem
Hintergrund vielfältiger Sozialisationseinflüsse ist in Frage gestellt worden, dass
die Eltern tatsächlich noch immer die wichtigste „Erziehungsinstanz“ sind.
Wenn wir uns in diesem Abschnitt dennoch auf die elterliche Erziehung
beziehen, so steckt darin auch eine vorweggenommene Bejahung der Frage.
Damit wird aber keinesfalls ausgeschlossen, dass nicht auch andere Instanzen,
etwa Schule und Medien, maßgeblich an der Sozialisation beteiligt sind.
Können Sie sich vorstellen, dass die Art und Weise, wie Eltern ihre Kinder
erziehen, gar keinen oder nur einen vernachlässigbaren geringen Einfluss auf die
Entwicklung junger Menschen hat? Wahrscheinlich nicht, aber in der
wissenschaftliche Psychologie wird diese Auffassung ernsthaft und mit
gewichtigen Argumenten vertreten. Wir werden unsere Besprechung der
Erziehungsprozesse und -einflüsse damit beginnen, dass wir die Argumente für
diese provokative These, aber auch die Gegenargumente kennenlernen. Es sei
vorweggenommen, dass wir die Auffassung, dass die elterliche Erziehung
keinen Unterschied macht, nicht teilen.
Eltern loben oder tadeln ihre Kinder, sie zeigen oder erklären ihnen die Welt, sie
leiten sie an oder sie gehen nicht auf ihre Fragen ein, sie äußern verbal und
nonverbal Stolz oder Missachtung, sie sind zärtlich zu ihnen oder sie wenden
sich von ihnen ab - die Liste elterlicher Verhaltensweisen gegenüber Kindern
ließe sich noch lange fortsetzen. Eltern sind tolerant und großzügig, autoritär
und fordernd, abweisend und herzlich, emotional und sachlich, usw. - auch die
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Aufzählung elterlicher Erziehungshaltungen oder Erziehungsstile ließe sich
ohne weiteres verlängern. Wir werden uns im ersten Teil dieses Kapitels mit der
Frage befassen, welcher elterliche Erziehungsstil sich als besonders vorteilhaft
erwiesen hat.
Als nächstes betrachten wir das Elternverhalten in einer ausgewählten
Erziehungssituation, und wir werden sehen, dass es in der Tat eine Situation
gibt, die für die Übernahme von Normen und Regeln entscheidend zu sein
scheint: Es geht um die Reaktion der Eltern auf die Nichteinhaltung von Regeln
oder Vorschriften. Abermals zeigt sich, dass die Erziehung im Elternhaus von
großer Bedeutung ist.
7.1 Spielt die elterliche Erziehung eine Rolle?
Die Frage, ob die im Elternhaus erfahrene Erziehung überhaupt eine Rolle spielt
und die Frage, welche elterliche Erziehung die günstigste ist, sind eng
miteinander verknüpft.
Verschiedene psychologische Studien (Zwillingsstudien, Adoptionsstudien)
kennengelernt, die es erlauben, den Erblichkeitsanteil an der individuellen
Ausprägung von Persönlichkeitsmerkmalen abzuschätzen. Diese Studien haben
gezeigt, dass für viele Persönlichkeitsmerkmale das Ausmaß der Erblichkeit
individueller Unterschiede bis zu 60% betragen soll und dass daneben nur die
spezifische individuelle Umwelt des Kindes bedeutsam ist, nicht aber der geteilte
familiäre Einfluss, wie er sich etwa in der grundlegenden Erziehungshaltung von
Eltern gegenüber ihren Kindern zeigt. - Mit anderen Worten, Resultate zur
Erklärung der interindividuellen Varianz von Eigenschaften sind als Argument
für
die
Geringschätzung
des
Einflusses
der
familiären
Entwicklungsbedingungen angeführt worden.
Diese Position ist Gegenstand einer Kontroverse gewesen, die in der
Psychologie große Beachtung gefunden hat. Sandra Scarr (1992; 1993) hat
versucht, aus evolutionstheoretischer Perspektive eine Erklärung für den
geringen Einfluss der familiären Erziehung zu liefern, und Diana Baumrind
(1993) und Jacqueline Faye Jackson (1993) haben Denkfehler in Scarrs
Argumentation und Beobachtungen zum Familieneinfluss angeführt. Wir
werden in groben Zügen die Standpunkte von Scarr und Baumrind
nachzeichnen.
Nach Scarr ist es Teil der artspezifischen genetischen Ausstattung von
Menschen, dass Kinder sich an einen großen Bereich von Umweltbedingungen
gut anpassen können. Anders gesagt, Kinder brauchen, um sich gut entwickeln
zu können, nicht eine ganz bestimmte Umwelt - nicht dieses oder jenes
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Spielzeug und nicht diesen oder jenen elterlichen Erziehungsstil - sondern sie
sind genetisch darauf vorbereitet, mit einer ganzen Bandbreite von
Entwicklungserfahrungen zurechtzukommen, solange diese innerhalb eines
„normalen Bereiches“ liegen. Das ist so, weil Kinder (wie die Erwachsenen
auch!) nicht passiv der Umwelt ausgeliefert sind, sondern sich ihre
Erfahrungsräume auswählen, ihre Erfahrungen aktiv konstruieren und auf diese
Weise in die eigene Entwicklung gestaltend eingreifen.
In dieser Feststellung über einen breiten Bereich von Entwicklungsbedingungen,
die innerhalb dessen liegen, was Kinder aufgrund ihrer genetischen Anlage
brauchen, um gut aufwachsen zu können, stecken zwei auf den ersten Blick
konträre Feststellungen über die Bedeutung der Umwelt für die Entwicklung
von Heranwachsenden.
- Erstens: Die Umwelt ist bedeutsam für die menschliche Entwicklung. Wenn
bei Scarr von einer Bandbreite von „funktional gleichwertigen“
Entwicklungsbedingungen die Rede ist, so heißt das auch, dass
Lebensbedingungen außerhalb dieses Spielraums - und insbesondere auch die
familiären Bedingungen - einen erheblichen Einfluss haben können. Extreme
Armut oder Eltern, die ihre Kinder misshandeln, stehen für Umweltbedingungen
außerhalb des Normalbereichs.
- Zweitens: Innerhalb des normalen oder üblichen Rahmens spielt die Umwelt
keine Rolle. Insbesondere sind im normalen Rahmen „die genauen Details und
Spezifizierungen der Sozialisationserfahrungen“ für die gesunde oder
erfolgreiche Entwicklung der Kinder unerheblich (Scarr, 1992, S. 5).
Baumrinds Gegenposition bewegt sich auf zwei Ebenen, die miteinander
verbunden sind. Sie stellt zum einen in Frage, ob sich Konzepte wie „der übliche
Rahmen von Erfahrungen“ oder „die normale Bandbreite artspezifischer
Bedingungen“ sinnvoll definieren lassen. „Scarr sagt uns nicht, wie wir
feststellen können, was einen normalen (gesunden) Entwicklungsverlauf
ausmacht oder worin die normale Bandbreite normaler Umweltbedingungen
besteht. Sie liefert auch keine Beobachtungen dafür, dass innerhalb des
‘normalen’ oder ‘genügend guten’ Erfahrungsbereiches ‘funktional
gleichwertige’ Entwicklungsverläufe und -ergebnisse zustandekommen“ (1993,
S. 1300, Übersetzung von mir).
Zum anderen nennt Baumrind eine Vielzahl von Ergebnissen, die zeigen, dass
innerhalb des heute üblichen „Normalbereichs“ die elterliche Erziehung einen
Einfluss hat. Die Art und Weise, wie Eltern ihre Kinder erziehen, kann
ungünstige Entwicklungsbedingungen - etwa ungünstige genetische
Voraussetzungen - kompensieren, und sie kann, in Verbindung mit anderen
vorteilhaften Einflüssen Entwicklung optimieren.
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7.2. Erziehungsstile
Lange Zeit haben sich Versuche, Eltern als Erzieher zu beschreiben, weniger auf
einzelne Verhaltensweisen in ausgewählten Situationen, beispielsweise in
Konfliktsituationen, konzentriert, sondern den Blick auf allgemeinere Haltungen
oder Einstellungen gerichtet.
Als elterliche Erziehungsstile bezeichnet man Muster von elterlichen
Einstellungen, Handlungsweisen und nichtsprachlichen Ausdrucksweisen, die
die Art der Interaktion von Eltern mit ihrem Kind über eine Vielzahl von
Situationen kennzeichnen. (nach Darling & Steinberg, 1993).
In den sechziger Jahren traf die bereits oben erwähnte amerikanische
Psychologin Diana Baumrind eine Unterscheidung von drei Typen elterlicher
Erziehung, die - wenn auch mit Veränderungen - bis heute sowohl einen großen
Teil an Vielfalt elterlicher Erziehung treffend auf den Punkt bringt als auch
Unterschiede in den Wirkungen elterlicher Erziehung zu erklären vermag.
Baumrind nahm an, dass es in der westlichen Kultur im wesentlichen drei
Erziehungsstile gäbe: die autoritative, die autoritäre und die permissive
Erziehung.
- Autoritative Eltern stellen Anforderungen an ihre Kindern und verlangen von
ihnen die Einhaltung von Regeln. Aber sie akzeptieren die Kinder auch
gleichzeitig als ernstzunehmende Gesprächspartner - sie öffnen sich ihnen und
sind an ihnen interessiert. Beispielsweise begründen sie die Regeln und
Forderungen und erklären ihre Erziehungsmaßnahmen. Sie ermutigen die
Kinder zur Autonomie und zum Suchen nach einem eigenen Standpunkt
(innerhalb der geforderten Regeleinhaltung).
- Autoritäre Eltern fordern zwar auch die Einhaltung von Regeln, aber ihnen
geht es weniger darum, den Handlungen ihrer Kinder begründete (und zu
begründende) Grenzen zu setzen, als darum, strikten Gehorsam zu fordern.
Anders gesagt, die Befolgung von Regeln und Normen und die Achtung der
elterlichen Autorität wird von ihnen als ein eigenständiger Wert gesehen - es
geht ihnen also um eine psychologische Kontrolle (im Unterschied zur
Handlungskontrolle bei den autoritativen Eltern.) Der Forderung nach
Einhaltung von Vorschriften ohne Wenn und Aber entspricht die Neigung,
massiv und physisch zu strafen und ein geringes Interesse an den
Handlungsmotiven und Absichten des Kindes zu hegen. Beobachter beschreiben
das Klima autoritärer Erziehung als kalt und feindselig.
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- Permissive Eltern sind wenig lenkend und kontrollierend. Sie stellen wenig
Anforderungen an der Kind und erlauben - den Impulsen des Kindes
nachgebend - dass es sein Verhalten selbst steuert. Sie versuchen, so wenig wie
möglich zu reglementieren; zum Beispiel vermeiden sie Bestrafungen.
Maccoby (1992) hat aufgezeigt, dass Baumrinds Definition des autoritativen
Stils rückblickend als Versuch gesehen werden kann, die Defizite von Lewins
demokratischem Führungs- (und Erziehungs-) Stil zu überwinden. Baldwin, ein
Schüler Lewins, hatte nämlich das Konzept der demokratischen Führung auf
Eltern-Kind-Interaktionen angewendet und dabei festgestellt, dass die Kinder
demokratisch erziehender Eltern zwar in vielen Entwicklungsmerkmalen am
besten abschnitten, dass sie aber auch gegenüber Gleichaltrigen zu Dominanz
und Aggressivität tendierten. - Neben diesem sachlichen Anknüpfungspunkt gibt
es auch noch eine persönliche Verbindung, weil einer von Lewins Studenten,
Hubert Coffey, zu Baumrinds akademischen Lehrern gehörte.
Maccoby & Martin (1983) haben Baumrinds Typologie ergänzt, indem sie den
permissiven Erziehungsstil weiter differenziert haben. Dazu griffen sie auf
frühere Ergebnisse der Erziehungsstilforschung aus den fünfziger und sechziger
Jahren zurück. Verschiedene Autoren hatten damals übereinstimmend zwei
Grunddimensionen elterlicher Erziehung identifiziert: Liebe/Zuwendung vs.
Feindseligkeit/Ablehnung
und
Autonomie/Selbstständigkeit
vs.
Lenkung/Kontrolle (z.B. Sears et al. 1957; Schaefer, 1965). Durch
Kombination dieser beiden Dimensionen definierten Maccoby & Martin jene
vier Typen elterlicher Erziehung, die in Abbildung 7-1 dargestellt werden: neben
der autoritativen und der autoritären Erziehung sind das der nachgiebige
(indulgent) und der vernachlässigende (neglectful) Erziehungsstil.
- Eltern, die nachgiebig erziehen, sind tolerant, warmherzig und dem Kind
zugewandt, aber gleichzeitig üben sie auch wenig Lenkung und Strukturierung
aus und stellen wenig Forderungen an das Kind. Sie erlauben, dass es sein
Verhalten weitgehend selbst steuert.
- Bei der vernachlässigenden Erziehung sind die Eltern in jeder Hinsicht
unbeteiligt, vielleicht weil sie so sehr mit den eigenen Problemen beschäftigt
sind, dass sie sich aus ihrer Erziehungsaufgabe zurückgezogen haben. Weder
sind sie emotional dem Kind zugewandt, noch haben sie ein Interesse daran, das
Verhalten des Kindes zu bewerten und entsprechend zu lenken.
Die klare Definition von Konzepten ist eine Angelegenheit, die Umsetzung in
praktikable und aussagenkräftige Beobachtungsverfahren ist eine andere. Die
Erfassung des elterlichen Erziehungsstils ist eine messmethodisch bisher nicht
befriedigend gelöste Aufgabe. Es werden drei Möglichkeiten verwendet,
teilweise in Kombination miteinander:
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- Selbstbeurteilung: die Befragung der Eltern über den eigenen Erziehungsstil.
Probleme sind hierbei, dass die Eltern sich über die eigene Haltung
möglicherweise nicht im klaren sind und unwissentlich falsche Auskünfte geben
und dass Eltern aus Gründen der sozialen Erwünschtheit wissentlich falsche
Angaben machen können, um in einem besseren Licht dazustehen;
- Fremdbeurteilung: die Befragung der Kinder über den elterlichen
Erziehungsstil. Hier liegen die Schwierigkeiten, dass die Kinder den elterlichen
Erziehungsstil eventuell verfälscht wahrnehmen, weil zum Beispiel die Qualität
der Eltern-Kind-Beziehung beeinflusst, wie die Eltern wahrgenommen werden;
- die Beobachtung des Elternverhaltens in ausgewählten Situationen und die
Beurteilung dieser Beobachtungen hinsichtlich des darin sichtbar werdenden
Erziehungsstils. Subjektive Verfälschungstendenzen können hier zwar
weitgehend ausgeschlossen werden, es ist aber die Frage, wieweit die
Beobachtungen repräsentativ und typisch für das alltägliche Elternverhalten sind
(zumal wenn die Eltern wissen, dass sie beobachtet werden).
Einen konkreten Eindruck vom Vorgehen bei der Diagnose des elterlichen
Erziehungsstils erhalten Sie im nächsten Abschnitt, in dem wir ein Verfahren
beschreiben, das auf der Befragung der Kinder beruht.
Ein Verfahren zur Erfassung des elterlichen Erziehungsstils
Das Fragebogenverfahren von Lamborn et al. (1991) ist geeignet, um bei 1418jährigen Schülern den elterlichen Erziehungsstil zu erfragen. Ausgangspunkt
für den Fragebogen war die von Maccoby & Martin auf der Grundlage der
Dimensionen der Zuwendung/Wärme und der Lenkung/Kontrolle
vorgenommene Unterscheidung von vier Typen der elterlichen Erziehung: des
autoritativen, des autoritären, des nachgiebigen und des vernachlässigenden
Erziehungsstils (siehe oben). Unter der Dimension der Zuwendung/Wärme
(acceptance/involvement) verstehen Lamborn et al. das Ausmaß, in dem die
Jugendlichen die Eltern als liebevoll, an ihrem Leben anteilnehmend und
sensibel (responsiv) für ihre Probleme erleben. Lenkung/Kontrolle (strictness/
supervision) bezieht sich auf die Beaufsichtigung und Strukturierung der
Lebenswelt des Jugendlichen. (Es fällt auf, dass im Vergleich zu Definitionen
anderer Autoren hier die Formulierung von Anforderungen keine Rolle spielt.)
In Abbildung 7-2 sind die Fragen aufgeführt, die zur Messung dieser beiden
Dimensionen formuliert wurden. Dabei ist zu beachten, dass wir zum Zwecke
der übersichtlicheren Darstellung die Formulierung der Fragen meistens
verändert haben (der Inhalt wurde aber nicht verändert).
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Auf jeder der beiden Dimensionen wurden die insgesamt über 4.000
Versuchsteilnehmer in drei gleich große Gruppen eingeteilt: jeweils jenes Drittel
mit den höchsten, mit den mittleren und den niedrigsten Werten. Man spricht
auch von einer Einteilung in drei Terzile.
- Die Autoren sprechen dann davon, dass ein autoritativer Erziehungsstil
vorliegt, wenn die Beschreibung der elterlichen Erziehung auf beiden
Dimensionen im oberen Drittel (Terzil) liegt, also als zugewandt und lenkend
beschrieben wird.
- Vernachlässigende Erziehung wird dadurch „operational definiert“, dass die
Beschreibung auf beiden Dimensionen im unteren Drittel liegt, das heißt als
wenig zugewandt und wenig lenkend charakterisiert wird.
- Bei der autoritären Erziehung verbindet sich ein Rangplatz im oberen Drittel
auf der Skala Lenkung/Kontrolle mit einem Rangplatz im unteren Drittel der
Skala Zuwendung/Wärme; und
- bei der nachgiebigen Erziehung ist umgekehrt im Sinne der Terzilbildung ein
hohes Maß an Zuwendung mit einem geringen Maß an Kontrolle kombiniert.
Auswirkungen von Erziehungsstilen
Gleichgültig, ob man den autoritativen Erziehungsstil mit dem autoritären und
dem permissiven oder mit dem autoritären, dem nachgiebigen und dem
vernachlässigenden Erziehungsstil vergleicht, in einer Vielzahl von Studien mit
unterschiedlicher Beobachtungsmethodik hat sich für unsere Kultur
übereinstimmend die Überlegenheit des autoritativen Erziehungsstils gezeigt ein Resultat, dass eindeutig der zu Anfang beschriebenen These von Scarr über
die
„Vernachlässigbarkeit
des
elterlichen
Erziehungsstils
unter
Normalbedingungen“ widerspricht.
Abb. 7-3 gibt eine kurze Übersicht über Baumrinds eigene Befunde.
Entgegen der weit verbreiteten Auffassung über die „Ohnmacht“ der Eltern
gegenüber Jugendlichen sprechen die Untersuchungsergebnisse auch dafür, dass
der Elterneinfluss im Jugendalter nicht nachlässt. In der beschriebenen Studie
verglichen Lamborn et al. die Auswirkungen der vier Erziehungsstile in vier
Merkmalsbereichen:
- in dem Stand der psychosozialen Entwicklung, beispielsweise im ausgeprägten
Selbstvertrauen und im positiven Selbstkonzept;
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- im Schulerfolg, gemessen sowohl durch die Schulnoten als auch durch die
Selbsteinschätzung der Schulleistung;
- in „nach außen gerichteten Verhaltensproblemen“, erfasst durch Berichte der
Jugendlichen über Alkohol und Drogenmissbrauch, über Disziplinprobleme in
der Schule und über Straftaten (Delinquenz); und
- in „nach innen gerichteten Verhaltensproblemen“, die sich zum einen in
psychosomatischen Symptomen und zum anderen in psychologischen
Symptomen wie Angstgefühlen, Depressionen und Anspannungen zeigen.
Wir fassen die Resultate in zwei Punkten zusammen: Erstens zeigte sich in allen
vier Merkmalsbereichen ein bedeutsamer Einfluss der elterlichen Erziehung
Zweitens war der autoritative Erziehungsstil den anderen Erziehungsstilen
eindeutig überlegen: Jugendliche mit autoritativ erziehenden Eltern hatten die
wenigsten Verhaltensprobleme und den höchsten Entwicklungsstand in den
verschiedenen Maßen für psychosoziale Kompetenz.
Betrachtet man die Ergebnisse im Detail, so zeigt sich, dass es „jenseits“ der
globalen Überlegenheit der autoritativen Erziehung eine Vielzahl von Fakten
gibt, die nach einer differenzierteren Erklärung verlangen. Es erwies sich
nämlich, dass die vernachlässigend erzogenen Jugendlichen den autoritär oder
nachgiebig erzogenen Altersgenossen unterlegen waren, denn sie schnitten in
allen Merkmalsbereichen am schlechtesten ab. Die autoritär und nachgiebig
erzogenen Jugendlichen zeigten eine Mischung aus negativen und positiven
Merkmalen. Autoritäre Erziehung geht erwartungsgemäß mit Gehorsam und
Konformität einher; aber die so erzogenen Jugendlichen zeigen auch wenig nach
außen gerichtete Verhaltensprobleme (Drogen- und Alkoholmissbrauch und
Devianz) und sind, objektiv gesehen, gute Schüler. Der Preis, den sie zahlen
müssen, ist ein geringes Selbstvertrauen und eine Unterschätzung ihrer eigenen
schulischen und sozialen Möglichkeiten.
Nachgiebig erzogene Jugendliche sind relativ desinteressiert an der Schule, was
sich in schlechteren Schulleistungen zeigt. Sie haben auch Disziplinprobleme in
der Schule und neigen eher als die autoritativ und autoritär erzogenen
Altersgenossen zu Drogen- und Alkoholmissbrauch, unterscheiden sich von
ihnen aber nicht, was die Resistenz gegen schwerere Formen von Delinquenz
angeht. Sie haben ein hohes Maß an gerechtfertigtem Selbstvertrauen in ihre
sozialen Fähigkeiten, denn tatsächlich haben sie relativ große soziale
Kompetenzen.
In einer weiteren Studie teilten Steinberg et al. (1991) eine Stichprobe von etwa
10.000 US-amerikanischen Jugendlichen der Klassen 9-12 nach der ethnischen
Herkunft der Familien, dem sozioökonomischen Status und der Familienstruktur
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in insgesamt 16 Untergruppen ein. Die Überlegenheit der autoritativen
Erziehung erwies sich als „transkontextuell valide“: Weitgehend unabhängig
von den ethnischen, sozialen und familiären Bedingungen erzielten die
Jugendlichen mit autoritativ erziehenden Eltern bessere Schulleistungen, hatten
ein höheres Selbstvertrauen, begingen weniger Straftaten und neigten zu
weniger Angstgefühlen und Depressionen.
Warum ist die autoritative Erziehung überlegen?
Baumrind selbst hat die Überlegenheit des autoritativen Erziehungsstils damit
erklärt, dass die bestimmte, aber nicht restriktive Kontrolle den Kindern und
Jugendlichen Gelegenheit gibt, eine Balance zwischen der Notwendigkeit von
Regel- und Normbeachtungen und dem Bedürfnis nach Autonomie und der
Entfaltung des eigenen Denkens zu finden. Sie verweist auch darauf, dass die
Eltern dieser Kinder bereits sind, mehr in die Erziehung ihrer Kinder zu
investieren: Indem sie Situationen schaffen, in denen ihre Kinder sich selbst als
erfolgreich erleben können und indem sie ihnen positive Rückmeldungen geben,
tragen sie aktiv zum Aufbau der erlebten Selbstwirksamkeit und des
Selbstvertrauens bei. Sie geben den Kindern auch eine aktive Hilfestellung bei
der Entwicklung von Fertigkeiten und einer günstigen Einstellung zu den
Schulaufgaben - und hier könnte auch die Verbindung zu den überlegenen
Schulleistungen der autoritativ erzogenen Kinder liegen.
Ein anderer Erklärungsversuch nimmt die Tatsache, dass die autoritative
Erziehung zwar „transkontextuell“ (siehe oben), nicht aber „transkulturell“
überlegen ist, zum Ausgangspunkt. Wurden in US-amerikanischen Studien
verschiedene ethnische Gruppen verglichen - weiße US-Amerikaner mit
Angehörigen der afro-amerikanischen und der asiatisch-amerikanischen
Minderheiten, so hatte die autoritative Erziehung nur bei den weißen
Amerikanern zu bessere Schulleistungen zur Folge. Während autoritäre
Erziehung bei den Kindern weißer Amerikaner zu nach innen gerichteten
Verhaltensproblemen (Angstgefühlen, Depression) führt, stärkt sich bei
afroamerikanischen Mädchen die „innere Festigkeit“ (Assertivität).
Derartige Resultate führten Darling & Steinberg zu der Unterscheidung von
Erziehungsinhalt - den tatsächlichen Erziehungspraktiken - und
Erziehungskontext - dem Erziehungsstil.
- Erziehungspraktiken beziehen sich auf spezifische Inhalte und
Sozialisationsziele. Sie sind konkret: dem Kind einen Klaps geben, Interesse an
seiner Schulaufgabe zeigen, Fordern, dass eine bestimmte Pflicht erfüllt wird.
- Der Erziehungsstil dagegen bezieht sich auf inhaltsunabhängige
Verhaltensweisen. Er bestimmt das allgemeine emotionale Klima und äußert
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sich im Ton der Stimme, in der Körpersprache, in Gefühlsausbrüchen. Der Stil
vermittelt dem Kind, mit welchem Gefühl die Eltern nicht seinen einzelnen
Handlungen, sondern ihm als Person begegnen. Beispielsweise teilt der
autoritative Erziehungsstil dem Kind mit, dass die Eltern sich wohl fühlen, wenn
sie das Kind lenken können, dass sie die Individualität des Kinds akzeptieren
und dass sie offen für seine Wünsche und Bedürfnisse sind.
Erziehungspraktiken sind die Mechanismen, durch die Eltern ihren Kindern
unmittelbar helfen, ganz bestimmte Sozialisationsziele zu erreichen;
beispielsweise indem im Hinblick auf das Erreichen schulischer Leistungsziele
Hausaufgaben kontrollieren oder dem Kind weitere Lerngelegenheiten
(Nachhilfe) bieten. Erziehungsstile dagegen vermitteln (oder hemmen)
grundlegende Haltungen und allgemeine psychosoziale Kompetenzen.
Auffassungen darüber, ob elterliche Erziehung eine Rolle spielt, werden aber
nicht nur in Fachkreisen erwogen und sind nicht nur von akademischem
Interesse. Eltern haben ebenfalls Vorstellungen von Entwicklung und Erziehung
- man spricht hier von naiven Elterntheorien, um zum Ausdruck zu bringen, dass
diese Ideen häufig unreflektiert und implizit existieren.
Teil der impliziten Theorien von elterlicher Erziehung sind auch Vorstellungen
darüber, ob und wie Erziehung überhaupt etwas bewegen kann. Vertreten Eltern,
ähnlich wie Scarr, die Auffassung, dass ihre Erziehung kaum etwas bewegen
kann, so werden sie wenig Aufwand betreiben, verantwortlich und engagiert zu
erziehen - und sie werden hinterher die ungünstige Entwicklung ihrer Kinder
auch noch damit erklären können, dass sie nichts dafür können, weil die
Neigung zu Aggression, die fehlende Rücksichtnahme, usw. „in den Kindern
steckte“.
7.3. Erziehungseinflüsse auf die Internalisierung von Normen und Werten
Versetzen Sie sich einmal in die Rolle der Mutter oder des Vaters eines Kindes
im Kindergarten oder Schulalter. (Vielleicht sind Sie ohnehin in dieser Rolle umso besser).
- Stellen Sie sich nun folgendes Szenario vor: Gerade hat Ihre vierjährige
Tochter der ein Jahr jüngeren Schwester die Puppe entrissen und sie dabei zu
Boden gestoßen, weil sie das Spielzeug nicht freiwillig herausrücken wollte.
Wohlgemerkt: Die Puppe gehört der jüngeren Schwester.
- Betrachten Sie sich nun noch in eine zweite Situation: Bevor Ihr zwölfjähriger
Sohn nachmittags Spielen geht oder sich mit seinen Freunden trifft, fragen Sie
ihn, ob er seine Schulaufgaben erledigt hat. Sie bekommen zu hören, dass er die
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wenigen Aufgaben schon auf der Heimfahrt von der Schule erledigt hat oder
dass die Lehrer keine Aufgaben gestellt haben. Das geht eine Weile so; dann
erfahren Sie durch den besorgten Anruf der Klassenlehrerin, dass Ihr Sohn seit
ein paar Wochen die Hausaufgaben nicht mehr erledigt.
Begeben Sie sich in beiden Fällen in die knifflige Lage der Mutter oder des
Vaters: Wie also würden Sie reagieren (s. auch Abb. 7-4)?
Wir lernen in diesem Abschnitt eine Theorie kennen, die einer ganz bestimmten
Erziehungssituation und der Erziehungshandlung der Eltern in dieser Situation
eine entscheidende Rolle dabei einräumt, ob Kinder Regeln und Normen
wirklich verinnerlichen- man spricht von internalisieren - oder nicht. Der
amerikanische Erziehungspsychologe Martin Hoffman hat vor nunmehr dreißig
Jahren die These aufgestellt, dass für die Internalisierung von Normen
(moralischen Regeln) die Reaktionen der Eltern auf unerwünschte oder
unerlaubte Verhaltensweisen entscheidend sind. Diese Situation - ein Kind hat
aus der Sicht der Eltern ein „Fehlverhalten“ (misbehavior) gezeigt, die Eltern
haben das mitbekommen und reagieren darauf - bezeichnet Hoffman (1983, S.
248) als discipline encounter, die Erziehungspraktiken der Eltern in dieser
Situation als discipline techniques (methods). Beide Bezeichnungen sind nur
schwer treffend zu übersetzen, da die deutschen Begriffe Disziplinierung und
Reglementierung eine zu negative und der Begriff Erziehung eine zu neutrale
Konnotation aufweisen. Der Bereich der Entwicklung des Verstehens und
Beurteilens und der Übernahme von sozialen Regeln und Normen wird in der
Psychologie als Moralentwicklung bezeichnet; konzentriert man sich, wie
Hoffman, auf den Einfluss der elterlichen Erziehung, so geht es um
Moralerziehung.
Hoffmans Theorie der Einfluss der elterlichen Erziehung auf den Prozess
der Internalisierung
Prinzipiell haben Eltern sehr vielfältige Möglichkeiten, um auf
wahrgenommenes Fehlverhalten von Kindern zu reagieren. Überlegen Sie,
welche Wege Ihnen in den beiden Beispielszenarien offenständen. Nach
Hoffman lässt sich aber ein großer Teil elterlicher Reaktionen zu drei Gruppen
bündeln: Eltern können machtausübend, mit Liebesentzug oder induktiv
regieren.
- Liebesentzug bedeutet, dass die Eltern dem Kind eindeutig den Entzug ihrer
Zuneigung signalisieren. Sie demonstrieren Enttäuschung und Gekränktsein,
brechen den Kontakt ab, sind für das Kind nicht ansprechbar, bis hin zur
demonstrativen körperlichen Abwendung (dem Kind den Rücken zukehren).
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- Unter Machtausübung versteht man, dass die Eltern ihre Ablehnung des
kindlichen Fehlverhaltens und die Forderung nach zukünftiger Unterlassung
dieses Verhaltens aufgrund ihrer Machtposition durchsetzen. Sie reagieren mit
Härte - sie drohen und befehlen und strafen unter Umständen mit physischer
Gewalt. Bei Kindern löst diese Form von Zwang ein hohes Maß an emotionaler
Beteiligung und Angst aus; von Beobachtern wird sie als harsch und feindselig
erlebt.
- Die Bezeichnung Induktion soll bereits darauf verweisen, dass diese Form
elterlichen Handelns darauf ausgerichtet ist, bei dem Kind eine bestimmte
Sichtweise des vorhergegangenen Fehlverhaltens herbeizuführen (zu
induzieren). Induktionen sind Erziehungspraktiken, die Kinder auf die
Auswirkungen ihrer Handlungen für andere hinweisen. Je nach dem Alter des
Kindes sehen sie unterschiedlich aus.
Die frühesten Induktionen können einfache Feststellungen über die direkten
Auswirkungen enthalten: „Wenn Du sie weiterhin schubst, dann fällt sie hin und
fängt an zu weinen.“ Sind die Kinder etwas älter, erklären die Eltern vielleicht,
warum das Verhalten des Kindes nicht in Ordnung war, indem sie zum Beispiel
die Absichten der vorangegangenen Handlungen des „Opfers“ erläutern: „Brüll’
ihn nicht an - er wollte Dir doch nur helfen“. Wächst das Verständnis der Kinder
weiter, so weisen die Eltern vielleicht auf noch subtilere psychologische Effekte
hin. „Denk mal dran, wie schlecht er sich fühlen muss. Er war so stolz auf den
Turm, den er gebaut hatte. Und dann bist Du hergekommen und hast den Turm
umgestoßen.“ Häufig werden diese Hinweise auf die Folgen für das „Opfer“ des
Fehlverhaltens durch Vorschläge für die Wiedergutmachung ergänzt.“
(Hoffman, 1983, S. 246; Übersetzung von mir)
Zwar enthält nach Hoffman jede Form von elterlicher Reaktion, die dem Kind
die Unerwünschtheit seiner Handlung aufzeigt, auch Elemente von
Liebesentzug und von Machtausübung, aber diese Aspekte stehen bei der
induktiven Erziehung nicht im Vordergrund. Wenn bei der Reaktion auf Regeloder Normverletzungen („Fehlverhalten“) die Induktion dominiert, so
erleichtern die Eltern den Kindern die Internalisierung der jeweiligen Norm (s.
unten ausführlicher zum Konzept der Internalisierung).
Reagieren die Eltern mit Machtausübung, so mag zwar eine äußere Anpassung
aus Angst vor Strafe zu beobachten sein, aber es kommt zu keiner Einhaltung
der Regeln und Normen aus Überzeugung. Liegt die Betonung der Eltern auf
dem Liebesentzug, so mag das zwar nicht die Einhaltung der von den Eltern
gewünschten Normen und Regeln behindern. Die Begleiterscheinung ist aber
der Aufbau eines ängstlich-rigiden Normen- und Moralsystems, das zur
Vermeidung von Verantwortung und Angst vor jeglicher Kritik führen kann.
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Die besondere Attraktivität von Hoffmans Theorie liegt aber darin, dass sie nicht
bei
der
Behauptung
des
Zusammenhangs
zwischen
elterlichen
Erziehungspraktiken in discipline encounters und der Übernahme von Normen
und Regeln stehenbleibt, sondern dass sie eine psychologische Erklärung für
diesen Zusammenhang anbietet. Diese Erklärung werden wir im nächsten
Abschnitt unter die Lupe nehmen.
Wie trägt Induktion zur Internalisierung von Normen bei?
Wie lässt sich das Konzept der Internalisierung oder „Verinnerlichung“ von
Normen genauer fassen? Eine allgemeine Definition besagt, dass eine Norm
(oder allgemeiner eine Verhaltensregel) dann internalisiert ist, wenn die Person
eine Verpflichtung empfindet, sich auch dann an die Norm zu halten, wenn ihr
keine Strafe oder andere negative Konsequenzen drohen. Hoffmans Definition
(1983, S. 243-244) ist anspruchsvoller. Sie wirft auch Licht darauf, wie komplex
der Prozess der Moralentwicklung und Moralerziehung sein muss.
Die Internalisierung einer Norm hat eine affektiv-motivationale, eine kognitive
und eine „Erlebnisseite“.
- Die affektiv-motivationale Seite zeigt sich in Situationen, in denen die fragliche
Norm mit einem egoistischen Motiv in Konkurrenz steht. Solche Situationen
nennt Hoffman moral encounters. Ein 12jähriger Junge, der seinem kranken
Freund versprochen hat, ihn heute nachmittag im Krankenhaus zu besuchen, nun
aber von einem anderen Freund die Einladung zu einem attraktiven Kinobesuch
erhält, befindet sich in einem solchen moral encounter. Die Norm, dass man ein
Versprechen einhalten muss (und vielleicht auch die Norm, dass man sich um
einen Kranken kümmern muss) ist dann internalisiert, wenn sie mit dem
egoistischen Motiv des Kinobesuchs in Konkurrenz tritt. Die internalisierte
Norm hat eine motivierende Funktion: Sie motiviert den Jungen, nicht ins Kino
zu gehen, sondern den Krankenbesuch abzustatten. Ob sich dieses Motiv
durchsetzt, ist nicht entscheidend, denn auch wenn das egoistische Motiv
unterliegt, so kann die Internalisierung in den Gefühlen des Jungen - hier zum
Beispiel in Schuldgefühlen - sichtbar werden.
- Wie sich die kognitive Komponente äußert, ist vom Alter der Person abhängig.
Sie zeigt sich in Antizipationen der Konsequenzen der Nichteinhaltung und in
der Beurteilung und Begründung von Handlungen als „richtig“ oder „falsch“. Im
Beispiel antizipiert der Junge etwa, wie der Freund im Krankenhaus vergeblich
auf ihn wartet.
- Internalisierte moralische Normen werden als „aus mir selbst kommend“
erlebt. Das gilt für die Kognitionen genauso wie für die moralischen Affekte
(z.B. die Schuldgefühle). Die ursprüngliche Quelle der Norm, etwa die
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Sozialisationserfahrungen in der Kindheit, ist möglicherweise vergessen
worden.
Betrachten wir nun genauer die affektiven und kognitiven Prozesse in discipline
encounters. Ob die Eltern mit Machtausübung, mit Liebesentzug oder mit
Induktion auf ein unerwünschtes Verhalten des Kindes reagieren - sie haben in
jedem Falle das Ziel, das zukünftige Auftreten des Fehlverhaltens zu
unterbinden. Sie wollen verhindern, dass die große Schwester der kleinen nach
Belieben etwas wegnimmt oder dass sie von ihrem Sohn belogen werden.
Voraussetzung dafür, dass die Reaktionen der Eltern überhaupt etwas ausrichten
können, ist, dass sie vom Kind wahrgenommen werden. Mit anderen Worten,
die Erziehungspraktiken der Eltern müssen ein Mindestmaß an Aufmerksamkeit
(arousal) erwecken - sonst wird das Kind die Maßnahme der Eltern einfache
ignorieren.
Es kann aber auch ein Übermaß an Aufmerksamkeit oder Erregung geben.
Nehmen wir in unserem Beispiel an, dass die Mutter die Tochter anschreit oder
sogar schlägt. Zweifellos wird das nachdrücklich die Aufmerksamkeit des
Kindes aktivieren, nur wird sich diese auf die Art der mütterlichen Reaktion und
nicht auf den Inhalt der Botschaft richten (auch wenn die Mutter lautstark
erläutert hat, warum sie der kleineren Schwester die Puppe nicht einfach
wegnehmen darf). Für das Kind stehen die eindringliche, laute Stimme der
Mutter und der drohende Ton im Vordergrund. Seine Aufmerksamkeit richtet
sich auf die Gefühle der Mutter, nicht aber auch die „Erziehungsbotschaft“, und
möglicherweise auch auf die eigenen Gefühle - auf die Angst, die es erlebt, weil
es weiß, dass diese drohende, schreiende Stimme eine körperliche Strafe
ankündigt. In ähnlicher Weise kann man sich leicht ausmalen, wie die Betonung
des Liebesentzugs die Aufmerksamkeit des Kindes übermäßig aktiviert und nur
auf die Befindlichkeit der Mutter ausrichtet - „Meine Mutti zeigt mir, dass sie
mich gar nicht mag“.
Steht die Induktion im Vordergrund und ist sie mit Klarheit und Bestimmtheit
verbunden, so ist das Kind einerseits genügend aufmerksam für die Botschaft
der Eltern, andererseits aber wird es nicht zu sehr aktiviert, um von dem Inhalt
der Botschaft abgelenkt zu werden. Der Inhalt besteht aber gerade im Hinweis
auf die negativen Folgen des kindlichen Handelns, etwa für die kleinere
Schwester (im ersten Beispiel) oder für die belogenen Eltern selbst (im zweiten
Beispiel).
Die Wahrnehmung des Inhaltes der induktiven Erziehungsmaßnahmen hat eine
ganze Reihe von teilweise weitreichenden Wirkungen:
- Das Kind stellt auf der kognitiven Ebene eine ursächliche Beziehung zwischen
seinen Handlungen und deren Folgen (für andere Personen) her.
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- In Verbindung mit der Fähigkeit zum Mitfühlen (Empathie) mit anderen
Menschen, die schon bei kleinen Kindern vorhanden ist, entsteht ein Gefühl der
Besorgnis für andere Personen.
- Diese Verbindung von Einsicht in die Verursachung negativer Folgen für
andere und des empathischen Mitfühlens der bei anderen verursachten
Verletzungen oder Schädigungen führt zu der Erfahrungen von Schuldgefühlen
(empathic guilt). Das sind jene Schuldgefühle, die ein Kind später in
moralischen Konfliktsituationen erlebt, wenn es eine internalisierte Norm
verletzt.
- Die in der Induktion enthaltene Erklärung des elterlichen Verhaltens verringert
weiterhin die erlebte Willkürlichkeit und das bestrafende Moment im
Einschreiten der Eltern.
Nach Hoffman beeinflussen die Erfahrungen in discipline encounters deshalb
das spätere Handeln so nachdrücklich, weil diese Situationen den moral
encounters strukturell ähnlich sind: In beiden Situationen geht es um den
Konflikt zwischen egoistischen Motiven und Normen, durch die die egoistischen
Motive eingeschränkt werden sollen. In discipline encounters sind diese Normen
zunächst noch nicht internalisiert, sondern sie werden durch das Eingreifen der
Eltern realisiert, aber das Kind macht hier die Erfahrung, dass es seine
egoistischen Motive einschränken soll. Wie deutlich geworden sein sollte,
werden je nach elterlicher Erziehung dem Kind ganz unterschiedliche
Beweggründe für die Einhaltung der Norm nahegebracht - der Blick auf die
kognitiven und affektiven Folgen seines Tuns für das „Opfer“ im Falle der
induktiven Erziehung und der Blick auf die strafenden oder zurückweisenden
Reaktionen der Eltern im Falle der Machtausübung oder des Liebesentzugs.
Erweiterungen und Revisionen der Theorie: Warum ist die induktive
Erziehung überlegen?
Grusec & Goodnow (1994) stellen Hoffmans These über die Überlegenheit der
induktiven Erziehung bei der Internalisierung von Normen in Frage. Sie sind der
Ansicht, dass nicht Induktion - also der erklärende Hinweis der Eltern auf die
nachteiligen Folgen des unerwünschten Verhaltens für andere Personen - per se
die Wirkung ausmacht, sondern dass es darauf ankommt, wie Eltern diese
Erklärungen abgeben. Um verschiedene Faktoren, die sich als einflussreich
erwiesen haben, zusammenzufassen, wählen sie ein zweistufiges Modell, das
durch Abb. 7-5 veranschaulicht wird.
Die obere Hälfte der Abbildung zeigt die Einflüsse auf den ersten Schritt, die
Wahrnehmung der in der elterlichen Erziehungsmaßnahme enthaltene
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„Botschaft“. Was die Eltern mitteilen, kann vom Kind mehr oder weniger genau
wahrgenommen werden, zum Beispiel in Abhängigkeit davon, ob die Mitteilung
dem Verständnisniveau des Kindes entspricht und ob die Aufmerksamkeit des
Kindes geweckt wurde. Der zweite Schritt, dargestellt in der unteren Hälfte von
Abb. 7-5, betrifft die Akzeptanz der elterlichen Botschaft, nachdem sie
wahrgenommen worden ist. Die Akzeptanz hängt, grob gesagt, davon ab, ob die
elterliche Erziehungsmaßnahme als angemessen wahrgenommen wird, ob sie
das Kind motiviert und ob sie von ihm nur als mäßiger äußerer Druck erlebt
wird.
Warum sind elterliche Erziehungsmaßnahmen nicht erfolgreich? Das ist nach
Grusec & Goodnow unabhängig davon, ob sie pauschal als „machtausübend“
oder „induktiv“ charakterisiert werden können. Es kommt auf die Vielzahl der
im Rahmenmodell in Abb. 7-5 aufgewiesenen Einflüsse an. Möglicherweise
wäre das Kind durchaus bereit, die elterliche „Botschaft“ zu akzeptieren und zu
befolgen, aber es hat sie nicht klar verstanden. Oder aber die Botschaft der
elterlichen Erziehungsmaßnahme war für das Kind zwar sehr klar, aber nicht
akzeptabel, weil es sie als unangemessen wahrgenommen hat oder weil sie nicht
motivierend gewirkt hat.
Sehen Sie die Parallelen zwischen Darling & Steinberg’s Revision von
Baumrinds Konzept der Erziehungsstile und Grusec & Goodnow’s Alternative
zu Hoffmans Typisierung der Erziehungsmaßnahmen nach Fehlverhalten des
Kindes?
Die Vorschläge von Darling & Steinberg und Grusec & Goodnow haben
gemeinsam, dass sie das Was der Erziehungsmaßnahmen (den Inhalt) von dem
Wie (dem Kontext) trennen wollen.
7.4. Die Einordnung der elterlichen Erziehung in ein bidirektionales
Wirkungsmodell
Die Grenzen aller bisher vorgestellten Modelle über die Einflüsse elterlicher
Erziehung auf die Sozialisation des Kindes - gleichgültig, ob es sich um
Vorstellungen zur Wirkung von Erziehungsstilen oder um Theorien zu den
Konsequenzen von Erziehungstechniken handelte - liegt darin, dass sie ein
unidirektionales Wirkungsmodell enthalten. Kinder treffen auf Eltern, die über
einen kulturell vermittelten Bestand an Normen, Werten, Überzeugungen und
Einstellungen verfügen und diese Einstellungen vorsätzlich oder beiläufig im
Prozess der Erziehung an die Kinder weiterreichen. Erziehung ist also ein
Prozess in einer Richtung - ein Einfluss vom Erwachsenen auf das Kind. Auch
wenn prinzipiell anerkannt wird, dass Kinder aktiv ihre Lebenswelt gestalten,
dass sie Forderungen an Erwachsene stellen, dass sie die Erwachsenen zwingen,
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ihre Vorstellungen und Erziehungsmaßnahmen zu revidieren, so hat sich die
Forschungspraxis doch weitestgehend auf die Untersuchung von Einflüssen vom
Erwachsenen auf das Kind beschränkt.
Kuczynski, Marshall & Schell (1997) haben jüngst als theoretische Alternative
und als Bezugsrahmen für die Interpretation von Beobachtungen ein
„bidirektionales Sozialisationsmodell“ vorgeschlagen. Es ist zwar im Rahmen
von Überlegungen zur Werterziehung entstanden, ist aber so generell formuliert
worden, dass es für alle Erziehungs- und Sozialisationsprozesse gelten dürfte (s.
Abb. 7-6).
Das Modell verbindet den Gedanken wechselweiser Einflussprozesse zwischen
Eltern und Kind mit der ausdrücklichen Berücksichtigung des
Erziehungskontextes und der „naiven Theorien“, die Eltern und Kinder über sich
selbst und die Welt haben. Diese „subjektiven Theorien“ werden in Abb. 7-6 als
innere Repräsentationsmodelle bezeichnet.
Im bidirektionalen Erziehungsmodell ist Internalisierung ein fortwährender
Prozess, durch den Eltern und Kinder wechselweise auf ihre inneren
Repräsentationen von Überzeugungen, Einstellungen, Werten und Normen
Einfluss nehmen. Externalisierung ist sozusagen der komplementäre Prozess die Äußerung oder Manifestation der inneren Repräsentation. Da die
Externalisierung in die Eltern-Kind-Interaktion eingeht, beeinflusst sie
wiederum die Internalisierungsprozesse beim jeweils anderen Partner.
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