Das Werkzeug zählt beim Hochleistungsstanzen

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Das Werkzeug zählt beim Hochleistungsstanzen
© 2006 Carl Hanser Verlag, München
www.metall-infocenter.de/BIF
Nicht zur Verwendung in Intranet- und Internet-Angeboten sowie elektronischen Verteilern.
Werkstoffe
BLECHPRAXIS
STANZTECHNIK
Das Werkzeug zählt
beim Hochleistungsstanzen
Angesichts der Forderung nach immer höherer Geschwindigkeit beim
Stanzen stellt sich die Frage, warum das schnelle Rotationsverfahren
nicht häufiger das klassische Hubstanzen ersetzt. Schließlich sind die
meisten Fragen zu dieser ›drehenden‹ Variante des
Stanzens beantwortet. Die jüngste betrifft den richtigen Werkzeugwerkstoff für das jeweilige Blech. Beantwortet wird sie vom utg der TU München und ihren
Partnern, hergeleitet aus Untersuchungen im Rahmen
eines Forschungsprojektes.
Anforderungen beim Erzeugen von
Massenartikeln wie Stanzteilen nur
dann gewachsen, wenn sie gegenüber Billiglohnländern in der Lage
sind, einen Technologievorsprung
zu erzielen. Nur wenn man mit hohem Automatisierungsgrad innovative Verfahren und Werkstoffe
nutzt, lässt sich in Hochlohnländern der wirtschaftliche Konkurrenzkampf bestehen.
Foto: Bruderer
Die Frage nach einer Produktivitätssteigerung beim Verarbeiten
Der Maßstab: Zeitgemäßer Bruderer Stanzautomat ›BSTA 125‹ als Vergleichsobjekt für die Gevon Blechteilen kann mithilfe neuer
genüberstellung von klassischem Hubstanzen
Fertigungsverfahren sowie innovaund Rotationsstanzen
tiver Werkzeug- und Produktwerkstoffe beeinflusst werden. Bisher
verwendet man zum Schneiden von
Blechen überwiegend mechanische
IM LAUFE der vergangenen Jahre
oder hydraulische Pressen mit einer
hat der Druck auf die produzierenden
translatorischen Arbeitsbewegung.
Unternehmen stetig zugenommen, hat
Die Produktivität wird dabei von den
die Globalisierung der Wirtschaftsphysikalischen Grenzen und vom inmärkte die Konkurrenzsituation vertermittierenden, translatorischen Beschärft. In den Märkten steigt die
wegungsablauf eingeschränkt. Das
Nachfrage nach kostengünstigen ProRotationsschneiden überwindet die
dukten mit einer hohen Verfügbarkeit
verfahrensbedingten Grenzen des
bei gleich bleibender beziehungsweise
Hubschneidens hinsichtlich der Bandverbesserter Qualität. Vor allem Länlaufgeschwindigkeit. Die erzielbare
der mit hohen Lohnkosten sind diesen
BLECH InForm 3/2006
Verarbeitungsgeschwindigkeit macht
das Rotationsschneiden zu einem interessanten und zukunftsweisenden
Verfahren für die Stanzindustrie.
Rotationsschneiden oft vereint
mit Walzprofilieranlagen
Versuche zu diesem Verfahren werden
am Lehrstuhl für Umformtechnik und
Gießereiwesen (utg) der TU Mün-
Institute
Lehrstuhl für Umformtechnik
und Gießereiwesen (utg), TU München
85747 Garching
Tel. 0 89/28 91 37 91
Fax 0 89/28 91 37 38
www.utg.de
Forschungsvereinigung
Werkzeugmaschinen
und Fertigungstechnik e.V. (FWF)
60325 Frankfurt/Main
Tel. 0 69/75 60 81-0
Fax 0 69/75 60 81-11
www.vdw.de
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Werkstoffe
chen (www.utg.de) auf einer Versuchsanlage von Baust Werkzeugtechnik, Langenfeld (www.baust.de), vorgenommen. Bei den Tests führt man
ein Blechband durch die Rotationsschneidanlage, locht es dort und
wickelt es mit einer Haspel wieder zu
einem Coil auf. In Industrieanlagen
sind solche Rotationsschneidanlagen
meist mit mindestens einem weiteren
Verarbeitungsschritt gekoppelt. So
nutzt man sie oft in Kombination mit
Walzprofilieranlagen. In diesem Anwendungsfall lassen sich die Vorteile
des rotativen Verfahrensprinzips wie
kontinuierlicher Bewegungsablauf
und hohe Blechbandgeschwindigkeit
voll ausschöpfen.
Mit 200 m/min Bandspeed
rotatorisch stanzen
Unter industriellen Bedingungen sind
mit Rotationsschneidanlagen Werte
für die Bandlaufgeschwindigkeit von
maximal 200 m/min erreichbar.
Hauptelemente für den Aufbau einer
Rotationsschneidanlage sind die Stempel- und die Matrizenwalze mit den
Werkzeugaktivelementen Stempel und
Matrize.
Das Walzenpaar ist über ein Getriebe
mechanisch synchronisiert, um das Ineinandergreifen von Stempel und Matrize zu ermöglichen. Das Blechband
wird zwischen die beiden Walzen geführt und von Stempel und Matrizen
gelocht. Die Funktion des Niederhalters übernehmen Andrückwalzen, die
das Blechband an die Matrizenwalze
anlegen. Diese Konstellation führt zu
einer Umschlingung des Blechs im
Der Herausforderer: Rotationsschneidanlage von Baust
Stempel-Eingriffbereich während des
Schneidvorgangs.
Für das noch wenig erforschte Verfahren Rotationsschneiden verwendete
man bisher die vom Hubschneiden
her bekannten Werkzeugwerkstoffe,
zum Beispiel den Schnellarbeitsstahl
1.3343. Als Blechwerkstoffe kommen
meist Güten mit niedriger und mittlerer Zugfestigkeit (Werte von 200 bis
350 N/mm2) in Frage. Anders als
beim klassischen Hubschneiden gibt
es für das Rotationsschneiden noch
keine speziell entwickelten Werkzeugwerkstoffe. Was die zu bearbeitenden
Blechwerkstoffe betrifft, so ist hier der
Trend hin zu hoch- und höherfesten
Blechwerkstoffen zu beachten.
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Baust-Rotationsschneidanlage und auf
der im Aufmacherbild gezeigten
Schnellläuferpresse von Bruderer,
Frasnacht/Schweiz (www.brudererpresses.com). Um die Vergleichbarkeit
der einzelnen Versuchsreihen sicherzustellen, wählte man für beide Verfah-
Stanzvergleich bezog sich
auf hochfesten Stahl
Um die Eignung unterschiedlicher
Werkzeugwerkstoffe für das Rotationsschneiden zu ermitteln, untersuchte man am utg die ›Verbesserung der
Teilequalität und Werkzeugstandmenge beim Rotationsschneiden aufgrund
des Einsatzes neuer Werkzeugwerkstoffe‹ (AiF 13645) im Rahmen eines
Forschungsvorhabens.
Das Projekt wurde aus Haushaltsmitteln des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit (BMWA) über die
Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen ›Otto von Guericke‹ e.V. (AiF) gefördert und auf institutseigenen Anlagen durchgeführt,
unter anderem auf der erwähnten
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BLECHPRAXIS
Die Möglichkeiten: Groß ist die Vielfalt der mittels Rotationsschneiden herstellbaren Bauteile
ren eine einheitliche Schnittliniengeometrie, und zwar einen Schneidstempel mit 8 mm Durchmesser. Was die
geometrische Ausgestaltung der Stempel betrifft, so wurden unter Berücksichtigung neuester Erkenntnisse zum
Rotationsschneidverfahren außer kon-
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Werkstoffe
ventionell gestalteten Stempeln solche
mit einem Freiwinkel verwendet.
Wie erwähnt ging man bei der Auswahl der Werkstoffe für die Aktivelemente von den zum Hubschneiden
häufig verwendeten Werkzeugwerkstoffen aus. Es handelte sich dabei um
den Schnellarbeitsstahl 1.3343, den
Kaltarbeitsstahl CPOH, den pulvermetallurgisch hergestellten Stahl PMD
M4 und das Hartmetall G30. Zusätzlich zu diesen von den konventionellen Schneidverfahren her bekannten
Werkstoffen fiel die Wahl mit ZrO2
auf eine Keramiksorte. Außerdem war
sowohl beim Rotationsschneiden als
auch beim Hubschneiden eine Titannitrid-Beschichtung Gegenstand der
Untersuchungen.
Als Werkstückstoff wurden im Hinblick auf die zunehmende Anwendung
von Blech mit hoher Zugfestigkeit
und zum Ermitteln der Verfahrensgrenzen des Rotationsschneidens
hochfeste und höherfeste Stahlsorten
ausgewählt, und zwar DP500,
Trip700 und CP800.
ließen sich ähnliche Ergebnisse wie
beim Hubschneiden beobachten. Eine
dem Hubschneiden entsprechende
Qualität der Schnittflächen in Blechlaufrichtung lässt sich erzielen, indem
man die Stempelgeometrie (Freiwinkel) anpasst.
Für die Praxis sind die Ausbildung des
Schnittgrats und der Traganteil der
Schnittfläche von besonderer Bedeutung. In Bezug auf die Gratbildung
konnte kein Unterschied zwischen den
Keramik und Hartmetall
nicht geeignet zur ›Rotation‹
beiden Verfahren nachgewiesen werden. Allerdings gibt es beim Rotationsschneiden eine Beeinträchtigung
des Traganteils der Schnittfläche.
Grund hierfür sind die Verdrückungen
der Schnittfläche. Dieser Nachteil
lässt sich jedoch ausgleichen, indem
man die Stempelgeometrie entsprechend anpasst.
In den Versuchsreihen konnte nachgewiesen werden, dass sich Keramik
und Hartmetall für das Rotations-
Zuerst wurden Schnittteilequalität
und Bauteilegeometrie analysiert. Wie
erwartet ließ sich beim Rotationsschneiden eine Abhängigkeit der
Schnittflächenkenngrößen vom Bewegungsablauf feststellen. So kam es an
den Schnittflächen, an denen der
Stempel ein- beziehungsweise austaucht, zu Verdrückungen. An den
Schnittflächen der Stempelseiten
BLECHPRAXIS
schneiden nicht eignen. Das ist mit
der Biegefestigkeit und der Bruchzähigkeit dieser beiden Werkzeugwerkstoffe begründbar. Die hohe
Zugfestigkeit der zu bearbeitenden
Blechwerkstoffe überlastet den
Schneidstempel, vor allem an der vorderen Schneidkante. Diese große
punktuelle Belastung erhöht sich weiter aufgrund der besonderen Kinematik des Rotationsschneidens, der hohen Prozessgeschwindigkeit und der
Die ›Geometrie‹: Profil einer Schnittfläche in hochfestem Blech nach dem Hubschneiden (links) und nach dem Rotationsschneiden (Einlaufseite)
verwendeten Stempelgeometrie. Ein
Werkzeugbruch ist die Folge. Ein solcher Stempelbruch tritt immer an der
Stelle der Schneidkante auf, die zuerst
auf den zu schneidenden Blechwerkstoff auftrifft. Bei Keramik und Hartmetall sind die Stempelbrüche schon
in der Einarbeitungsphase, das heißt
nach wenigen Umdrehungen (je nach
Blechwerkstoff 10 bis 500 Lochungen) festzustellen. Keramik und Hartmetall zeigen ein vergleichbares
Werkstoffe
Bruchbild, das bei Hartmetall von
schalenförmigen Ausbrüchen dominiert wird.
Ähnliche Werkzeugbrüche sind auch
bei anderen Schneidverfahren zu beobachten, vor allem dann, wenn die
Schnittlinie nur von einer verhältnismäßig kleinen Stempelfläche unterstützt wird, zum Beispiel beim Schneiden kleiner Zahnräder.
Im Verlauf von Tests zum etablierten
Hubschneiden ließ sich anhand vergleichender Versuchsreihen nachweisen, dass eine Werkstofftrennung bei
Blechen aus hochfestem und höherfestem Stahl mit wirtschaftlicher Standmenge möglich ist. Eine Ausnahme
sind Keramikstempel, wenn sie für die
Bearbeitung von Trip700 und CP800
verwendet werden sollen.
Reduzierte Härtewerte
wirken Stempelbruch entgegen
Das unten stehende Bild fasst die im
Forschungsvorhaben erarbeiteten Ergebnisse als Vervollständigung schon
bekannter Resultate vorangegangener
Forschungsarbeiten zusammen. Die
grün hinterlegte Fläche kennzeichnet
den Sektor, in dem das Rotationsschneiden wirtschaftlich praktiziert
werden kann. Voraussetzung ist, dass
die gegenüber dem Hubschneiden hohe Geschwindigkeit im Anschnitt und
die Belastung der Schneidstempel beachtet werden.
Wichtig ist auch die der Fertigungsaufgabe angepasste Gestaltung der
Die Grenzerfahrung: Bruchbild eines Stempels aus der Keramik ZrO2 nach dem Rotationsschneiden. Rechts ein unbeschädigtes Werkzeug
Werkzeugaktivelemente beziehungsweise der Schneidstempel. Wie das
Bild verdeutlicht, spielt bei den
Schneidstempeln die Größe des Anschnittbereichs eine entscheidende
Rolle für die Prozessstabilität. Ebenfalls zu beachten ist Folgendes: Für
das Hubschneiden sind vorrangig
Werkzeugwerkstoffe mit Härtewerten
von 60 bis 64 HRC im Einsatz. Beim
Rotationsschneiden lassen sich frühzeitige Schneidkantenausbrüche an
den Stempeln vermeiden, indem man
niedrigere Härtewerte von 55 bis 60
HRC verwendet.
Mit der Formulierung dieser Restrik-
tionen hat die Institutsforschung die
Informationsgesamtheit zum Thema
Rotationsstanzen vervollständigen
und in einem hinreichenden Grad verwertbar machen können. Weitere Untersuchungen müssen nun die Besonderheiten spezifischer Anwendungsfälle aus der Praxis noch genauer als
bisher berücksichtigen. Dafür ist es
notwendig, dass sich noch mehr
industrielle Partner diesem Verfahren
zuwenden und bereit sind, mit ihren
Erfahrungen die zukünftige Institutsarbeit zu bereichern. ■
Dipl.-Ing. (FH) CHRISTOPH HEIN und
Dipl.-Ing. HANSJÖRG SCHILP
Lehrstuhl für Umformtechnik und
Gießereiwesen (utg) der TU München
www.utg.de
Hersteller
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Baust GmbH
Werkzeugtechnik
40764 Langenfeld
Tel. 0 21 73/4 09 96-0
Fax 0 21 73/4 09 96-20
www.baust.de
Das Ergebnis: Anwendungsmöglichkeit des Rotationsschneidens unter Beachtung
der Werkzeuggestaltung und des zu bearbeitenden Blechs
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Bruderer AG
CH-9320 Frasnacht
Tel. 00 41/71/4 47 75 00
Fax 00 41/71/4 47 77 80
www.bruderer-presses.com
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