krank sein kann teuer werden

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krank sein kann teuer werden
Daten zu Selbstbehalten und selbst bezahlten Gesundheitsleistungen
im österreichischen Gesundheitssystem
KRANK SEIN KANN TEUER WERDEN
M
it den beiden Gesundheitsreformen der Jahre 2000 und 2005 wurden die Selbstbehalte für Gesundheitsleistungen massiv angehoben. Besonders bei Brillen und
Spitalaufenthalten müssen Betroffene tief in die Tasche greifen. Allein der Selbstbehalt bei Brillen stieg seit 2000 um + 248 Prozent von unter 21 auf über 70 Euro
an. Auch der Spitalkostenbeitrag erhöhte sich für ASVG-Versicherte um beachtliche 88 Prozent auf insgesamt zehn Euro pro Tag.
Mit dem Budgetbegleitgesetz 2003 wurde sogar die gesetzliche Grundlage geschaffen, bereits ab 2007 einen generellen Selbstbehalt von 20 Prozent für Arztbesuche, Zahnbehandlungen und für ärztliche Behandlungen an einer Spitalsambulanz einzuführen. Besonders ältere Menschen und chronisch Kranke würd e n
damit finanziell schwer belastet werden.
Der von der Bundesregierung eingeschlagene Weg entfernt sich immer weiter von
einem solidarischen Gesundheitssystem. Die Arbeiterkammer setzt sich daher für
einen freien Zugang zu Gesundheitsleistungen für alle Menschen, unabhängig von
ihrer Herkunft, vom Einkommen, vom Alter oder dem Geschlecht ein.
Dr. Johann Kalliauer
Präsident der Arbeiterkammer für Oberösterreich
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Dr. Josef Peischer
Direktor der Arbeiterkammer für Oberösterreich
FÜR DIE BEIBEHALTUNG DER SOLIDARISCHEN
KRANKENVERSICHERUNG
reier Zugang zu Gesundheitsleistungen für alle Menschen, unabhängig vom Einkommen, vom Alter
oder dem Geschlecht – das ist das
Prinzip der Solidarischen Krankenversicherung, die sowohl von Arbeitnehmer- als auch von Arbeitgeberbeiträgen getragen wird. Für bestimmte Gesundheitsleistungen müssen die Betroffenen aber selbst aufkommen. Das
F
ist nichts Neues. Seit den Gesundh e i t s re f o rmen der Jahre 2000 und
2005, müssen die Ve r s i c h e rten innerhalb dieses solidarischen Systems
aber immer mehr Kosten selbst tragen.
Was die Formen privater Kostenbeteiligungen anbelangt, ist zwischen Selbstbehalten und selbst bezahlten Gesundheitsleistungen zu unterscheiden.
Formen privater Kostenbeteiligungen im österreichischen Gesundheitssystem
Gesundheitsleistungen mit
Selbstbehalt
Eigenleistung in Form eines festgelegten Betrages oder eines prozentuellen
Anteils; den Differenzbetrag zu den
gesamten Behandlungskosten
übernimmt die Krankenkasse
Rezeptgebühr, Spitalkostenbeitrag,
Brillen, Heilbehelfe
Selbst bezahlte Gesundheitsleistungen
Eigenleistung erfolgt zur Gänze oder
die Krankenkasse gewährt einen
Zuschuss
Medikamente wie Aspirin oder etwa
Zahnkronen und Implantate sind von
den Patienten/-innen zur Gänze
selbst zu bezahlen
Die OÖGKK gewährt einen
Zuschuss u.a. bei Akupunktur,
festsitzender Kieferregulierung und
bei Wahlärzt/-innen
Quelle: AK-OÖ
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MASSIVE STEIGERUNGSRATEN EINZELNER
SELBSTBEHALTE
ie Entwicklung der Selbstbehalte im Zeitraum von 1995 bis 1999 und von
2000 bis 2005 ist besonders gut an der Rezeptgebühr, den Spitalkostenbeiträgen für ASVG-Versicherte und Kinder und am Selbstbehalt bei Brillen nachvollziehbar:
D
Realnettolöhne
+2%
pro Kopf
+2%
+17%
Spitalkostenbeitrag
pro Kind
+15%
+36%
Rezeptgebühr
+30%
+88%
Spitalkostenbeitrag
ASVG-Versicherte
+9%
+248%
Brillen
+2%
0
50
100
150
200
250
1995-1999
300
2000-2005
Quellen: OÖGKK; WIFO
Die Daten zum Selbstbehalt bei Brillen konnten nur für den Zeitraum 1998-2005 zur Ve rfügung gestellt werden; der Spitalkostenbeitrag für
ASVG-Versicherte und für Kinder gilt für das AKH-Linz; bei den Selbstbehalten gilt als Erhebungsstichtag jeweils der 31. Dezember
ie Selbstbehalte sind in der Periode von 2000 bis 2005 in einem
stärkeren Ausmaß angestiegen als das
noch in den Jahren 1995 bis 1999 der
Fall war. Insbesondere für Brillen und
Spitalaufenthalte werden die Betroff enen verstärkt zur Kasse gebeten. So
wurde der Selbstbehalt bei Brillen seit
dem Jahr 2000 um 248 Prozent von
unter 21 auf über 70 Euro angehoben.
Auch der Spitalkostenbeitrag erh ö h t e
sich für ASVG-Versicherte vom Jahr
2000 auf 2005 um satte 88 Prozent auf
insgesamt zehn Euro pro Tag für max.
25 Tage im Jahr.
Nicht so stark sind die Unterschiede
bei der Rezeptgebühr und beim Spitalkostenbeitrag für Kinder ausgefallen. In
den Jahren 1995 bis 1999 mussten die
Patienten/-innen auch höhere Steigerungsraten hinnehmen: Rezeptgebühr
+ 30 % (2000-2005: + 36 %), Spital-
D
4
kostenbeitrag Kind + 15 % (20002005: + 17 %). Die stärkste Erhöhung
der Rezeptgebühr in nur einem Jahr ist
a l l e rdings im gesamten Beobachtungszeitraum im Jahre 2000 eingetreten:
+ 25 % bzw. von € 3,20 auf insgesamt € 4,-.
Die höheren Steigerungsraten einzelner Selbstbehalte im Zeitraum von
2000 bis 2005 im Vergleich zur Vorperiode sind im Wesentlichen auf die von
der Bundesre g i e rung beschlossenen
Gesundheitsreformen 2000 und 2005
zurück zu führen. Beide Reformen zusammen bewirken eine stärkere Ausrichtung der Finanzierung auf Selbstbehalte. Das gilt insbesondere für den
Spitalkostenbeitrag für ASVG-Versicherte und für den Selbstbehalt bei
Brillen. Demnach haben Patienten/-innen heute bei kaum wachsenden Real-
nettolöhnen im Durchschnitt einen wesentlich höheren Einkommensanteil für
Selbstbehalte aufzubringen als noch
im Jahre 2000.
Mit dem Budget-Begleitgesetz von
2003 wurde zudem die gesetzliche
Grundlage für die Einführung eines gen e rellen Selbstbehaltes geschaff e n .
Auf ASVG-Ve r s i c h e rte könnten somit
bereits ab 2007 weitere Kosten durch
die Einführung eines generellen Selbstbehalts von etwa 20 Prozent für Arztbesuche, Zahnbehandlungen oder als
Gebühr für die Behandlung in einer
Spitalsambulanz zukommen. Besonders ältere Menschen, die einer medizinischen Ve r s o rgung am meisten bedürfen, und chronisch Kranke würden
damit finanziell schwer belastet.
SELBSTBEHALTE TREFFEN PRIMÄR
EINKOMMENSSCHWÄCHERE
D
as Österreichische Bundesinstitut
für Gesundheitsplanung (ÖBIG)
hat im Auftrag des Bundesministeriums für soziale Sicherheit und Generationen den Zusammenhang Einkommen und Gesundheit für das österreichische Gesundheitssystem eingehend untersucht. Die Untersuchung
kommt zum Ergebnis, dass zwischen
der Einkommenshöhe und dem jeweiligen Gesundheitszustand ein dire k t e r
Zusammenhang besteht. Als wesentliche Ursachen für das erhöhte Gesundheitsrisiko bei geringeren Einkommensbeziehern/-innen werden stärkere Belastungen am Arbeitsplatz und
die schlechtere Wohnsituation genannt.
Darüber hinaus wird in der ÖBIG-Studie für diese Bevölkerungsgruppe der
allgemein ungünstigere Zugang zum
Gesundheitssystem (kein Internetanschluss, fehlende Mobilität) und die generell seltenere Inanspruchnahme von
medizinischen Gesundheitsleistungen
nachgewiesen.
Nach aktuellen Zahlen der Statistik
Austria fallen allein in Österreich 13
Prozent, das sind über eine Million
Menschen, unter die Arm u t s g e f ä h rdungsschwelle, d.h. sie verfügen über
weniger als 850 Euro im Monat. In welchem Ausmaß Selbstbehalte und
selbst bezahlte Gesundheitsleistungen
bei diesen geringeren Einkommensbe-
ziehern/-innen zur Belastung werd e n ,
sieht man an folgenden zwei Beispielen:
Beispiel 1: Eine 48-jährige alleinstehende Angestellte musste im Jahre
2005 wegen chronischen Ve n e n l e idens und Kre u z s c h m e rzen 862 Euro
für Selbstbehalte und für selbst bezahlte Gesundheitsleistungen aufbringen. Zum Vergleich: Nach der für
Österreich errechneten Lohnsteuerstatistik 2004 betrug der durchschnittliche
Jahresnettobezug bei Frauen in einem
A n g e s t e l l t e n v e rhältnis rund 20.770
E u ro (ganzjährige Vollzeitbeschäftigung).
E-Card für Arztbesuche (anstelle der Krankenscheingebühr)
€ 10
Rezeptgebühr
€ 37
Selbst bezahlte Medikamente (u.a. gegen Kopf- und Halsschmerzen)
€ 45
Zahnkrone
€ 770
Summe
€ 862
Quellen: OÖGKK, AK-OÖ
5
Die bei der Patientin angefallenen Arztkosten sind derzeit noch über die gesetzliche Krankenversicherung und
über die E-Card abgedeckt. Wird allerdings, wie oben bereits erwähnt, ein
genereller Selbstbehalt von 20 Prozent
für Arztbesuche etc. eingeführt, müsste diese Frau zusätzlich mindestens
einen Privatanteil im Ausmaß von 153
Euro übernehmen.
Beispiel 2: Einer Familie mit zwei Kindern wurden im Jahre 2005 eine private Kostenbeteiligung an den Gesundheitsleistungen im Ausmaß von
2.026 Euro angelastet. Folgende
Krankheiten wurden behandelt: Mutter
mit akuten Rückenschmerzen (40
Jahre), Vater mit Bluthochdruck und
erhöhten Blutfettwerten (42 Jahre) und
die Kinder (8 und 13 Jahre) mit den üblichen Kinderkrankheiten wie Angina
und Darminfektion sowie ein verstauchter Knöchel.
Das durchschnittliche Jahre s n e t t o e i nkommen solch einer Familie bei
ganzjähriger Beschäftigung beider Erwachsener sah in Österreich im Jahre
2004 nach der Lohnsteuerstatistik folg e n d e rmaßen aus: Vater, Arbeiter mit
Vollzeitbeschäftigung: 19.715 Euro/
Jahr; Mutter, teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmerin: 11.093 Euro/Jahr.
E-Cards für Arztbesuche (anstelle der Krankenscheingebühr)
€ 20
Rezeptgebühr
€ 179
Spitalkostenbeitrag Kind mit Begleitung
€ 119
Brille für Tochter
€ 249
Festsitzende Kieferregulierung für Sohn
Selbst bezahlte Medikamente (u.a. Nasentropfen, Hustensaft, Salben)
Summe
€ 1.356
€ 103
€ 2.026
Quellen: OÖGKK, AK-OÖ
Anm.: Bei Kindern fällt keine E-Card Gebühr an. Kosten der festsitzenden Kieferre g u l i e rung für 1 Jahr; Behandlungsdauer im Regelfall 3 Jahre; der OÖGKK-Zuschuss in der Höhe von € 294,40.- ist bereits berücksichtigt
In diesem Beispiel sind die Arztkosten
noch nicht enthalten. Bei einem generellen Selbstbehalt von 20 Pro z e n t
w ü rden die Selbstbehalte um weitere
163 Euro ansteigen.
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SELBSTBEHALTE TREFFEN ÜBERWIEGEND
CHRONISCH KRANKE UND ÄLTERE
ie nachfolgende Abbildung zeigt
die angefallenen durc h s c h n i t t l ichen Gesundheitskosten der OÖ-Gebietskrankenkasse für Arz t b e s u c h e
und für Medikamente nach Alter:
D
Durchschnittliche Gesundheitskosten der OÖGKK je Anspruchsberechtigten
nach Alter, in EURO, 2 0 0 5
900
800
700
600
500
400
300
200
100
0
0-10
159
32
11-20
140
42
21-30
200
72
31-40
228
113
41-50
267
174
51-60
340
300
Quelle: OÖGKK (Foko-Daten)
Anspru c h s b e rechtigte(r): Versicherte einschl. mitversicherte Angehörige; Die Kosten für Arz t b esuche beziehen sich auf Ve rtrags- und Wahlärzt/-innen
In der Altersgruppe 41-50 Jahren fallen
allein bei den Medikamenten die Gesundheitskosten um rund 50 Prozent
höher aus als in der Gruppe der 31-40jährigen. Bei den Arztkosten ist eine
61-70
398
444
71-80
437
643
81-90
475
829
91358
612
Arztbesuch
Medikamente
ähnliche altersbedingte Pro g re s s i o n
feststellbar. Daraus können Rückschlüsse auf die Belastung der Haushalte mit Selbstbehalten im zunehmenden Alter gezogen werden.
7
B
eispiel für angefallene Selbstbehalte eines 67-jährigen Pensionisten mit folgenden Diagnosen: mangelnde Sehschärfe, Darmkrebs, regelmäßige Kopfschmerzen und eine Fraktur im linken Fersenbein.
Rezeptgebühr
€ 244
Spitalkostenbeitrag
€ 224
Heilbehelfe (u.a. ein Bauchmieder)
€ 186
Brille-Bifokalgläser inkl. Fassung
€ 448
€ 1.102
Summe
Quellen: OÖGKK, AK-OÖ
Anm.: Bei Pensionisten/-innen fällt keine E-Card Gebühr an.
D
as durchschnittliche Jahre s n e ttoeinkommen eines männlichen
Pensionisten (ohne Beamten in Rente)
in Österreich machte im Jahre 2004
auf Basis der Lohnsteuerstatistik bei
ganzjährigen Bezügen 14.912 Euro
aus. Der 67-jährige Pensionist musste
allein im Jahr 2005 Selbstbehalte in der
Höhe von 1.102 Euro bezahlen. Die
darüber hinaus noch selbst zu bezahlenden rezeptfreien Medikamente sind
in dieser Summe noch gar nicht enthalten. Gerade hier mussten Kranke gewaltige Preissteigerungen der Apothe-
8
ken hinnehmen (2001/2006): Aspirin +
C Brausetabletten + 32 Prozent, Neo
Angin Lutschtabletten + 77 Pro z e n t ,
Thomapyrin + 40 Prozent.
Selbstbehalte als Zuzahlung zu den
Gesundheitsleistungen sind aus gesundheits- und verteilungspolitischer
Sicht problematisch. Die Behandlungskosten werden nicht mehr von
der Gesellschaft sondern zunehmend
von dem von Krankheit betro ffenen
Menschen selbst getragen.
ÖSTERREICH HAT EINEN IM INTERNATIONALEN
VERGLEICH HOHEN PRIVATANTEIL AN DEN
GESUNDHEITSKOSTEN
W
ie die nachfolgende Abbildung
zeigt, liegt Österreich bei den privaten Gesundheitsausgaben bezogen
auf das Bruttoinlandsprodukt (Gesundheitsquote) bereits im Jahre 2004 mit
2,8 Prozent im internationalen Ver-
gleich sehr hoch. Die weitere Erhöhung
einzelner Selbstbehalte mit der Gesundheitsreform 2005 ist in dieser Berechnung noch gar nicht berücksichtigt.
Öffentliche und private Gesundheitsausgaben insgesamt
in Prozent des BIP, 2 0 0 4
Öff.
Priv.
Ges.
Österreich
6,8
2,8
9,6
USA
6,9
8,5
15,4
Schweden
7,7
1,4
9,1
EU (15)
6,6
2,4
9,0
OECD
6,3
2,6
8,9
Quellen: OECD, Statistik Austria
EU- und OECD-Daten aus dem Jahre 2003
Private Gesundheitsausgaben: Private Krankenversicherung, selbstbezahlte Gesundheitsleistungen und
Selbstbehalte
E
in Ve rgleich Österreichs mit den
USA verdeutlicht die Problematik
von Selbstbeteilungen an den Gesundheitskosten. Die Gesundheitsquote der
USA (2004: 15,4 Prozent; im Vergleich
Ö s t e rreich: 9,6 Prozent) ist nur durch
eine extrem hohe private Kostenbeteiligungsquote (rund 9 Prozent) zu erreichen. Das US-Gesundheitssystem
sieht nämlich kein solidarisches Krankenversicherungssystem vor. Es dominieren private Versicherungen, die den
Zugang zum Gesundheitssystem für
kranke Menschen mit niedriger Kaufkraft erschweren bzw. bei fehlender
Zahlungsbereitschaft sogar unmöglich
machen. Das führt in den USA dazu,
dass 45 Millionen Menschen (oder 15
Prozent der Gesamtbevölkeru n g ! )
ohne Krankenversicherung auskom-
men müssen (Financial Times
Deutschland). Die unzureichende Gesundheitsversorgung speziell in dieser
B e v ö l k e ru n g s g ruppe hat nun Massachusetts als ersten US-Bundesstaat
veranlasst, für sämtliche Bürger/-innen
eine solidarische Krankenversicherung
aus Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträgen einzuführen (Die Presse vom
6.4.2006).
OECD-Daten zeigen außerdem auf,
dass in jenen Gesundheitssystemen, in
denen der Staat den Zugang zu Gesundheitsleistungen möglichst frei von
finanziellen Beschränkungen hält, die
private Kostenbeteiligung entsprechend niedriger ausfällt (etwa Schweden mit einer privaten Kostenbeteiligungsquote von 1,4 Prozent).
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SELBSTBEHALTE HABEN KEINERLEI WIRKUNGEN AUF
DIE NACHFRAGE NACH GESUNDHEITSLEISTUNGEN
mmer wieder hört man das Argument, dass sich Selbstbehalte neben dem Beitrag zur Finanzierung des
Gesundheitssystems auch als Instrument der Kostendämpfung einsetzen
ließen. Von den Patienten/-innen wird
also eine geringere Inanspru c h n a h m e
medizinischer Leistungen erwartet. Die
Patienten/-innen können aber aufgrund der Dominanz der Leistungserbringer (Spitäler, niederg e l a s s e n e
Ä rzte/-innen) nur schwer Einfluss auf
Art und Umfang der einzelnen Krankenbehandlungen nehmen. Die Gesundheitsausgaben werden daher
stark von den Leistungserbringern
selbst bestimmt. Auf der Nachfrageseite – also auf Seite der Patienten/-innen – angesetzte Selbstbehalte werden deshalb den gewünschten Steuerungseffekt nicht erbringen können.
I
Das bestätigt auch ein Evaluierungsbericht des Bundesministeriums für soziale Sicherheit und Generationen über
die im Jahre 2001 eingeführte und wegen Ve rfassungswidrigkeit im Jahre
2002 wieder aufgehobene Ambulanzgebühr. Die Ambulanzgebühr wurd e
mit dem Steuerungsziel eingeführt, die
Zahl der Ambulanzbesuche zu reduzieren. Die Patienten/-innen sollten stärker zu den kostengünstigeren Arztpraxen gelenkt werden. Laut Studie blieb
der gewünschte Lenkungseffekt aber
aus. Bei mehr als drei Viertel der Fälle
hatten die Patienten/-innen keine
Wahlmöglichkeit zwischen der Spitalsambulanz und einem niedergelassenen
Arzt.
10
Dass Selbstbehalte nicht zur gewünschten Kosteneindämmung beitragen können, ist auch bei den Medikamentenausgaben anhand der Rezeptgebühr nachvollziehbar:
Reales jährliches Wachstum der Medikamentenausgaben in Prozent,
1997-2003
Österreich
5,3
Schweden
4,9
USA
9,5
Quelle: OECD
Basierend auf Daten der OECD konnte
für Österreich in der Periode von 1997
bis 2003 sogar trotz massiver Erhöhung der Rezeptgebühr (von 3,05
E u ro im Jahre 1997 auf 4,25 Euro
2003) ein anhaltendes Ausgabenwachstum bei Medikamenten errechnet werden (jährlich real um + 5,3 Prozent).
Der mit den Selbstbehalten erw a rtete
Nachfragerückgang nach Gesundheitsleistungen ist nachweislich nicht
e i n g e t reten. Steueru n g s i n s t rumente
sind vielmehr auf Ebene der Leistungserbringer und zwar den Spitälern und
den niedergelassenen Ärz t e n / - i n n e n
anzusetzen.
AK-FORDERUNGEN FÜR EIN SOLIDARISCHES UND
GERECHTES GESUNDHEITSSYSTEM
Beibehaltung der Pflichtversicherung
in der Krankenversicherung:
● Verankerung der Pflichtversicherung in der Verfassung
Nachhaltige Sicherstellung
der solidarischen Finanzierung des Gesundheitssystems:
● Erweiterung der Beitragsgrundlage auf der Arbeitgeberseite nach der
gesamten Wertschöpfung (Gewinne, Dividenden, Zinsen und Miete/Pacht)
eines Unternehmens
● Anhebung der Höchstbeitragsgrundlage
● Verwendung der Einnahmen aus der Tabaksteuer für Gesundheitsprävention
und Gesundheitsvorsorge
Freier Zugang zum Gesundheitssystem
unabhängig von Einkommen und Gesundheitszustand:
● Keine Selbstbehalte für Arztbesuch und Spitalaufenthalt
● Bei regelmäßig durchgeführter Gesundenuntersuchung entfällt generell die
Rezeptgebühr (Gesundheitsbonus)
● Generell niedrigere Rezeptgebühr bei Generika
● Keine weiteren Selbstbehalte bei einem monatlichen Nettoeinkommen von bis
zu 1000 Euro; darüber sozial gestaffelte Selbstbehalte
Öffentliche Maßnahmen bei selbst zu
bezahlenden Gesundheitsleistungen:
● Kostenübernahme wichtiger gesundheitserhaltender Maßnahmen auf
„Krankenschein“ (z.B. festsitzende Kieferregulierung, Zahnkrone,
Mundhygiene)
● Möglichkeit der Inanspruchnahme spezieller Therapien (z.B. Verabreichung
eines bestimmten Medikamentes) sowie alternativer Behandlungsmethoden
(etwa Akupunktur) im Einzelfall ohne privaten Kostenanteil
11
I n f o rmationsblatt der Kammer für Arbeiter und Angestellte für OÖ, Nr. 132/2006
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