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lifestyle
POHL
POSITION
USCHA POHL SPÜRT IN IHREN «VERY STYLEGUI-
DES» DIE JEWEILS NEUSTEN IN-PLACES DER MODEMETROPOLEN AUF. UND IST SO SELBST ZUR TRENDSETTERIN GEWORDEN.
Text: Andrea Bornhauser
Foto: Sarah Shatz
Uscha Pohl überragt alle Gäste in der
kleinen Galerie im Londoner East End.
Braune Locken umrahmen das mädchenhafte Gesicht der gross gewachsenen
Frau. Im Trägerkleid, das aus alten AdidasTrainerhosen zusammengeschneidert ist,
schlendert sie mit einem Bier in der Hand
durch die Menge der fachsimpelnden
Mode- und Kunststudenten, Künstlerinnen und Journalisten: alles Szeneleute
in Birkenstock-Schuhen und abgewetzten Vintage-Jeans. Hier umarmt sie
Freunde, dort stellt sie sich mit einem
«Hallo, ich bin die Uscha» vor. Sie spricht
schnell, mal Englisch, mal Bayrisch mit
einem leichten US-Akzent.
Das 38-jährige Multitalent mit deutschen Wurzeln hat in die Galerie an der
Redchurch Street geladen, wo sie in einer
Ecke ihren kleinen Shop, den Very Microstore, eröffnet. Den Hauptsitz ihres Kunstund Modeimperiums Very UP & Co. hat
sie in New York, hier in London will sie
sich nun ein neues Standbein aufbauen.
Und die ganze In-Szene ist gekommen.
Denn die Frau, die sich selbst als Redaktorin,Verlegerin, Designerin und Künstlerin bezeichnet, steht derzeit hoch im
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Kurs. «Fashion Multitasker», «It-Girl»,
«Trendsetterin» und «Botschafterin der
avantgardistischen Kunst- und Modeszene» nennen sie die Medien. Dieser
Lobhudelei kann Uscha Pohl wenig abgewinnen. «Klar lasse ich mir gern den
Bauch pinseln. Aber meine Rechnungen
bezahlen sich dadurch nicht.Ausserdem ist
heute doch jede ein It-Girl, die an einer
Party ihr Höschen unter dem Minijupe
hervorblitzen lässt.»
An ihrer Party gehts denn auch nicht
ums Sehen und Gesehenwerden – zumindest nicht in erster Linie.Vielmehr wollen die Leute, die sich in der Galerie drängeln, einen Blick auf Uscha Pohls neuen
Shop erhaschen. Dort gibts T-Shirts und
Unterwäsche, die sie zusammen mit befreundeten Künstlerinnen und Künstlern
entworfen hat. Und vor allem stehen da
«Ich glaube,
gerade weil ich
mich nicht um
Trends schere,
kann ich Trend-
die beliebten «Very Styleguides», die Uscha
Pohl bei Modeleuten auf der ganzen Welt
bekannt gemacht haben.
Zweimal jährlich erscheinen die im Jahr
2000 lancierten Führer mit den Adressen
der angesagtesten Clubs, Restaurants, Boutiquen und Galerien. Bislang gibt es sie für
London, Paris und New York. Und sie
haben Erfolg: Seit der britische Designer
John Galliano die erste Ausgabe bei seiner Modeshow als Goodie auf die Sitze
des Publikums gelegt hat, findet man die
kleinen Bücher in der Handtasche jedes
Fashionvictims.Von der «Vogue»-Redaktorin, die wissen will, wo die Szene nach
einer Show isst, tanzt und shoppt, bis zur
Modestudentin, die in den Guides die
Telefonnummern der wichtigsten Designer, Showrooms und Foto- und Modelagenturen findet: Alle wollen die «Styleguides». Die Auflage ist inzwischen auf
50 000 Stück pro Stadtausgabe gestiegen.
«Es ist schon lustig, dass man mir in
Sachen In-Spots eine so grosse Kompetenz
attestiert. Dabei esse und feiere ich immer
noch am liebsten zu Hause», kokettiert
Uscha Pohl. «Ich habe einfach viele kreative Freunde, die mich auf dem Laufenden
halten.» Dabei handelt es sich vor allem um
Designerinnen, Künstler, DJs und Fotografinnen, die für die Guides ihre Lieblingsorte bekannt geben. «Ich selbst bin ja bei
Cityguides immer skeptisch. Die Tipps von
Starker Auftritt,
starkes Outfit: Wo
sich Uscha Pohl
zeigt, steht sie im
Rampenlicht
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VERY – LIFESTYLE HAT VIELE FACETTEN
1 Uscha Pohls aktuelle «Very Styleguides» für London, New York
und Paris 2 Im neu eröffnetem Very Microstore in London gibts
hippe T-Shirts zu kaufen 3 Eingang zur Galerie mit dem Microstore 4 Vernissage: Run aufs Very 5 «Very» – das Kunstmagazin
drei Uhr morgens. Oft klingelten drei Telefone gleichzeitig. Ein Alptraum.»
Dass sie 1994 – nach zwei Jahren beim
japanischen Designer Koji Tatsuno – der
Modewelt den Rücken kehrt, hat jedoch
mit der Mentalität und den hierarchischen Strukturen zu tun. «In einer Modefirma mit einer starken Persönlichkeit an
der Spitze kommt nur weiter, wer bereit
ist, seine eigenen Ideen aufzugeben. Ich
wäre mit meinen romantischen SeventiesIdealen in so einem Umfeld langfristig zu
Grunde gegangen. Mir ist es wichtig, dass
in einer Firma – zum Beispiel meiner eigenen – jede einzelne Person mit ihren Ideen
etwas bewirken kann.»
Es folgen eine Auszeit mit einer Freundin im Urwald Brasiliens und – wieder
zurück in London – eine arbeitslose, aber
glückliche Zeit. Uscha Pohl hält sich mit
Gelegenheitsjobs über Wasser; die Partys
in ihrem Apartment, wo sie auch eigene
Fotografien ausstellt, werden in der kreativen Szene zur Institution.
1996 beschliesst sie, in die USA auszuwandern. Im New Yorker Viertel Tribeca findet sie einen Loft, den sie nicht
nur als Wohn-, sondern auch als Ausstellungsraum nutzt. Als Erste in New York
stellt sie hier junge englische Künstler aus.
Die Werke lassen sich jedoch kaum verkaufen. Deshalb gründet Uscha Pohl das
vierteljährlich erscheinende Kunstmagazin «Very» und präsentiert darin ihre
Schützlinge in Wort und Bild. Auch mit
der Mode beginnt sie wieder zu liebäugeln, für «Very» inszeniert sie konzeptuelle
Fotostrecken, sie entwirft avantgardisti-
Fotos: Fotostudio annabelle (3)
Insidern wirken einfach authentischer.» Insgesamt sind heute weltweit rund hundert
Korrespondenten und fünf Fotografen
unterwegs, um für die «Styleguides» neue
Adressen aufzuspüren. In Uscha Pohls New
Yorker Büro arbeiten drei Leute, und in
London sind es schon drei Teilzeitangestellte. Die wertvollen Tipps der Korrespondenten finden ihren Weg fast ausschliesslich per E-Mail zu ihr. Und wann
immer ihr Terminkalender es erlaubt, macht
sie sich vor Ort ihr eigenes Bild.
Ein Kunstprojekt in Amsterdam,eineVernissage in Berlin, zur Stippvisite nach New
York, die Off-Modeshows der Londoner
Fashion Week: Uscha Pohl ist viel unterwegs, ständig zwischen ihren beiden Leidenschaften, Mode und Kunst, pendelnd.
Dabei waren die Weichen zunächst für eine
Karriere in der Modebranche gestellt.
Nach ihrer Schulzeit in Düsseldorf
beginnt Uscha Pohl 1986 am renommierten Londoner Central Saint Martins College of Art and Design ein Studium, das
sie vier Jahre später mit einem Diplom in
Mode und Marketing abschliesst. Einen
Tag nach der Diplomfeier begegnet sie an
der Londoner Carnaby Street zufällig der
Modedesignerin Vivienne Westwood.
Uscha Pohl trägt einen selbst genähten
Regenmantel mit blauem Karomuster und
ein Béret in Rot-Gold. «Wahrscheinlich
dachte sich Vivienne: Hey, da gibts eine,
die ist noch verrückter angezogen als ich.»
Die beiden kommen ins Gespräch, und
zwei Wochen später fängt Uscha Pohl in
Vivienne Westwoods Atelier an. Zunächst
arbeitet sie an der Herrenkollektion, dann
wird sie die persönliche Assistentin ihrer
Chefin und ihr Béret Bestandteil einer
Westwood-Kollektion.
In den folgenden zwei Jahren organisiert Uscha Pohl für Vivienne Westwood
Modeschauen in London, Paris und Tokio,
zeichnet Entwürfe, näht vor Shows hinter
der Bühne Kleider um, betreut Lizenznehmer und überwacht Lieferungen. «Die
Tage dauerten von acht Uhr morgens bis
sche Kleider und lässt in ihrem
Loft den deutschen Designer Dirk
Schönberger den New Yorkern
seine erste Damenkollektion vorstellen. Ihre Wohngalerie wird
zum Mittelpunkt des Ende der
Neunzigerjahre aufkommenden
Crossover Movement – der Bewegung, die Modedesign und
Kunst verbindet. Als deren Vorreiterin wird sie 1998 an die Berliner Biennale eingeladen.
Uscha Pohl, die Trendsetterin.
Das ist eigentlich erstaunlich,
denn die Frau mit dem richtigen
Riecher kann mit dem ganzen
«What’s hot, what’s not» nicht viel
anfangen. «Ich glaube, gerade weil
ich mich nicht um Trends schere,
kann ich Trendsetterin sein», sagt
sie. Wenn etwas trendig wird, sei
sie bereits zwei Schritte weiter. «Ausserdem bleibe ich gern unabhängig.» Aus diesem Grund hat Uscha Pohl bis heute wohl
auch alle Anfragen als Beraterin grosser
Unternehmen abgelehnt und unterstützt
lieber kleinere Buch- und Kunstprojekte.
Nebenbei unterrichtet sie als Gastdozentin am Londoner Royal College of Art
Studierende in den Fächern Trendsuche
und Kreative Selbstfindung.
Am Morgen nach der Ladeneröffnungsparty sitzt Uscha Pohl mit einer Tasse
Tee am Küchentisch ihres Apartments.
Sie sieht blass aus. «War wohl ein Wodka
Lemon zu viel letzte Nacht», sagt sie.
Manchmal, da habe sie auch genug von all
den Partys und wünsche sich einfach mehr
Ruhe. Doch der geplante Segeltörn auf
den Bahamas ist noch weit weg. Dafür
steht am Nachmittag bereits der nächste
Termin an: ein Treffen mit den Verantwortlichen einer Modeausstellung. Uscha
Pohl greift nach dem Handy und verdreht
die Augen. «Fünf verpasste Anrufe. Dabei
wissen die Leute doch, dass man mich am
besten per E-Mail erreicht.»
Die «Very Styleguides» für die Städte New
York, Paris, London und ab September
zum ersten Mal für Rio de Janeiro, São Paolo
und Berlin gibts für 13.50 Franken bei Scalo
in Zürich. Uscha Pohls neustes Projekt
«Very Eye2Eye», ein Magazin, das sich auf
Kunst- und Lifestyleaccessoires spezialisiert,
wird ebenfalls im September lanciert.
www.upandco.com
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Avantgardistischer
Streifenlook:
Uscha Pohl an der
Eröffnung ihres
Microstore in
einem Trägerkleid
aus AdidasTrainerhosen
«WOHIN ICH AM LIEBSTEN
ESSEN UND TRINKEN
GEHE»
USCHA
POHLS
HOTSPOTS
«WO ICH AM BESTEN
NEUE ENERGIE
TANKEN KANN»
The Wallace Collection: Die Bilder,
das Porzellan und die Möbel aus
dem 18. Jahrhundert im georgianischen Landhaus der Wallace Collection beamen mich in vergangene
Zeiten. The Wallace Collection,
Manchester Square, Hertford House,
London, www.wallacecollection.org
Serpentine Gallery: Ein Teepavillon
mitten in den Kensington Gardens
mit moderner und zeitgenössischer
Kunst und Architektur. Fern vom
Rummel Londons. Serpentine
Gallery, Kensington Gardens, London,
www.serpentinegallery.org
Ladies Pond: Der Teich in der Londoner Grünanlage Hampstead
Heath ist eine Oase mitten in der
Stadt. Am liebsten im Frühjahr
oder Herbst, wenn nicht so viele
Leute da sind. Ladies Pond,
Hampstead Heath, London; U-Bahn:
Golders Green oder Hampstead
Station (Northern Line)
«Bubby’s»: Der beste Ort für einen
Sonntagsbrunch in Tribeca liegt
gleich um die Ecke von meinem
Loft. Gut möglich, dass man dort
auf Harvey Keitel und Robert De
Niro trifft. Bubby’s, 120 Hudson
Street,Tribeca, New York
Redchurch Café: Einen Katzensprung von meiner Londoner Basis
entfernt kann man mittags gut und
günstig essen und die Zeit
vergessen. The Redchurch Café,
107 Redchurch Street, London
Café Gitane: Ein süsses marokkanisch-französisches Café, ideal, um
nachmittags Kaffee zu trinken oder
zu brunchen. Café Gitane,
242 Mott Street,Tribeca, New York
«WO ICH
AM LIEBSTEN
SHOPPE»
Anikalenaskärström:Tragbare und
elegante Mode für Leute mit aktivem Leben wie mich gibts bei
Anika. Sie macht jetzt auch Accessoires und Männermode. Go and
have a look! Anikalenaskärström,
16, rue du Pont aux Choux, Paris,
www.anikalenaskarstrom.com
Zero: Der Laden der chilenischen
Designerin Maria Cornejo ist so
elegant und clean wie ihre Mode.
Treffpunkt der Avantgarde, die sich
dort eine Pause gönnt und die Bilder von Fotograf Mark Borthwick
anschaut. Zero by Maria Cornejo,
225 Mott Street, New York,
www.mariacornejo.com
Anthias: Meine Mailänder Anlaufstelle. Dort suche ich Schmuck aus
und schmiede mit den beiden
Ladys, inzwischen gute Freundinnen, neue Pläne und Projekte.
Anthias Snc Laboratorio di Monica
Castiglioni e Natsuko Toyofuku,Via
G. Fara 33, Mailand