Versorgungsevaluation - Kassenärztliche Vereinigung Bayerns (KVB)

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Versorgungsevaluation - Kassenärztliche Vereinigung Bayerns (KVB)
Versorgungsevaluation
Ausgabe 1:
Qualitätsgesicherte Versorgungskonzepte
Koloskopie
Reihenband der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns
München, November 2007
Wir gestalten Versorgung.
Seit mehreren Jahren entwickelt und organisiert
die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns (KVB)
bereits regionale Versorgungskonzepte für die
ambulante Versorgung. Diese zielen zum einen
darauf ab, bereits bestehende Leistungen in
höherer Qualität anzubieten und zum anderen, neue Versorgungsleistungen einzuführen.
Neben Qualitätssicherung, Fortbildung der teilnehmenden Ärzte und Psychotherapeuten sowie
einer validen, elektronischen Dokumentation
medizinischer Daten liegt ein wesentlicher Fokus
der KVB auf der Evaluation der durchgeführten
Maßnahmen.
2
Für die Bewertung der Versorgungsprogramme
kooperiert die KVB dabei stets mit externen,
unabhängigen wissenschaftlichen Instituten. Die
kritische Auseinandersetzung mit den Ergebnissen
– positiven wie negativen – ist dabei unverzichtbarer Teil der „Qualitätskultur“ der KVB. Neben
dem wachsenden Netzwerk wissenschaftlicher
Institutionen hat die KVB ein eigenes bundesweit
einzigartiges Datenmanagement aufgebaut. Verschiedene Unternehmensbereiche nutzen diese
Struktur, um Versorgung zu analysieren, Handlungsbedarf zu identifizieren und Lösungsansätze zu entwickeln. Aus dem regelmäßigen Erfahrungs- und Wissensaustausch dieser Bereiche
entstammt die Idee, die gemeinsamen Erfahrungen, Erkenntnisse und Ergebnisse verschiedener
Versorgungsprojekte der KVB zu bündeln und sie
in Form eines Reihenbandes einem interessierten
Publikum zu präsentieren. Diese Bände werden in
Zukunft jedes Jahr erscheinen.
Die Erstauflage des neuen Reihenbandes widmet
sich dem Thema Koloskopie, da die elektronische
Dokumentation aller ambulant in Bayern durchgeführten Koloskopien und die Ergebnisse der
sich daran anschließenden wissenschaftlichen
Evaluation speziell in diesem Jahr international
beachtliche Resonanz fanden.
Wir wünschen unseren Lesen viel Spaß mit dem
neuen Reihenband!
Inhalt
Das Bayerische Modell
______________________________________ 4
Versorgungsangebot Koloskopie in Bayern _______________________ 7
Hohe Auszeichnung: Felix Burda Award 2007 ___________________ 8
International positive Resonanz auf der Digestive Disease Week ____ 9
Kooperation der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU)
und der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB):
Webbasiertes Dokumentationsportal für ambulante
Koloskopien in Bayern ___________________________________10
Einfluss von Alter, Geschlecht und Region auf die Akzeptanz
der präventiven Koloskopie in Bayern _______________________12
Prozessqualität in einer Serie von 230.756 ambulanten
Koloskopien ____________________________________________14
Inzidenz und Determinanten von Akutkomplikationen in einer
Serie von 230.756 ambulanten Koloskopien _______________16
Heterogenität der Epidemiologie kolorektaler Adenome
ein internationaler Vergleich _______________________________18
Projekte der Zukunft:
Einladungswesen Darmkrebsfrüherkennung _________________20
Epigenetic Screening for Colorectal Adenoma and
Preneoplasia-(ESCAPE-)Studie _____________________________21
Veröffentlichungsliste und Glossar _____________________________22
Impressum _________________________________________________23
3
Im Überblick
Das Bayerische Modell
Umfassende digitale Dokumentation aller Koloskopien
Deutschland hat mit rund 71.000 neuen Fällen
pro Jahr eine der höchsten Darmkrebs-Neuerkrankungsraten der Welt. Im europäischen Vergleich
liegen damit Frauen an erster und Männer an
vierter Stelle. Bundesweit sterben um die 30.000
Patienten jährlich an der Erkrankung.
4
rücksichtigt.
Erschwerend kam die Dokumentation der präventiven Koloskopien mittels Papierbögen bis 2007
hinzu. Wie sich zeigte, brachte eine anschließende
Digitalisierung der eingereichten Unterlagen keine
ausreichende Datenqualität für die Evaluation und
Versorgungsforschung.
Diese Zahlen sind erschreckend, vor allem auf
Grund der Tatsache, dass mehr als 90 Prozent
Eine flächendeckende Teilnahme möglichst aller
der Darmkrebsfälle durch Früherkennung verhinBerechtigten sowie die digitale Dokumentation und
dert oder geheilt werden
Auswertung aller Kokönnten.
loskopien bilden für die
Ziele der KVB:
Bei keiner anderen KrebsKassenärztliche Vereini Elektronische Dokumentation aller in
art bietet die Frühergung Bayerns (KVB) das
Bayern durchgeführten präventiven und
kennung derart große
Fundament der Darmkurativen Koloskopien
Chancen. Weltweit war
krebsfrüherkennung.
Deutschland 2002 das
 Schaffung einer einmaligen, validen
Das bayerische Modell
erste Land, das DarmDatenbasis für Versorgungsforschung
reicht weit über den bunspiegelungen (Koloskopi Stärkung und Sicherung der Qualität
desweiten Standard hinen) als Früherkennungsdurch Vorgaben, die über die bundesaus.
programm für Darmkrebs
weiten
Schon seit 1. Januar 2006
eingeführt hat.
Vorgaben hinausgehen:
besteht daher im Rahmen
Versicherte ab 55 Jahre
 Elektronische anonymisierte Dokudes bayerischen Strukturhaben Anspruch auf zwei
mentation aller Koloskopien
vertrages die digitale Do(vom Arzt dokumentierte)
 Hygienezertifkat der KVB
kumentationspflicht aller
Koloskopien im Abstand
teilnehmenden Ärzte.
 Erfüllung der Qualitätssicherungsvon zehn Jahren. In den
vereinbarung zur Koloskopie mit
Die Kassenärztliche Verersten drei Jahren haben
zusätzlichen Anforderungen
einigung Bayerns hat
rund neun Prozent der
 Elektronische anonymisierte Erfassung
ein Internetportal entberechtigten Versicherten
von Patienten mit familiärem und
wickelt, das die sichere
an diesem sogenannten
hereditärem Darmkrebsrisiko
Übertragung aller KoScreening teilgenommen.
loskopie-DokumentatiBayernweit führen rund
onen vom Arzt zur KVB
530 Gastroenterologen
gewährleistet. Das Portal wird sehr gut akzepund Chirurgen im ambulanten Bereich circa
tiert und der Erfolg kann sich sehen lassen: Im
250.000 Koloskopien pro Jahr durch. Davon sind
Jahr 2006 haben die derzeit 420 teilnehmenden
knapp 80 Prozent kurative Koloskopien zur AbkläÄrzte mehr als 58.000 präventive und 187.000
rung eines konkreten Verdachtsfalls. Die restlichen
kurative Koloskopien darüber dokumentiert.
20 Prozent umfassen präventive Koloskopien, also
Den genauen Verlauf der Nutzung veranschaulicht
Darmspiegelungen zur Früherkennung bei Patiendie Grafik.
ten ohne Beschwerden.
Die Krebsfrüherkennungsrichtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses für Ärzte und Krankenkassen sehen eine Dokumentationspflicht für alle
präventiven Koloskopien vor und lassen somit 80
Prozent – alle kurativen Darmspiegelungen – unbe-
Die elektronische Dokumentation
Anzahl
Dokumentationen
Eingereichte Dokumentationen pro Woche
Summe 2006
7.000
6.000
187.064
5.000
4.000
kurativ
3.000
58.199
2.000
1.000
präventiv
0
1
4
7
10
13
16
19
22
25
28
31
34
37
40
43
46
49
Kalenderwochen
Im Portal dokumentierende Ärzte: 420
Der von der KVB entwickelte Dokumentationsbogen
erfasst die wesentlichen Inhalte der Behandlung wie
anonymisierte Patientendaten, den Untersuchungsverlauf und eventuell damit verbundene Komplikationen. Makroskopische und histologische Befunde
sowie die Diagnose werden ebenso dokumentiert
wie die Angaben zu Größe und Lokalisation entdeckter Polypen, die Polypenabtragung und Biopsie. Die Angaben zum familiären und hereditären
Risiko des Patienten fehlen bei den Mindestanforderungen nach der Krebsfrüherkennungsrichtlinie. In
Bayern werden auch diese Informationen erhoben.
Im Zusammenhang mit den dokumentierten kurativen Darmspiegelungen bietet sich damit die einmalige Gelegenheit, die Epidemiologie dieser Gruppe
in Vergleich mit der Screeningpopulation zu setzen.
So lässt sich die Zahl der diagnostizierten Adenome und Karzinome bei Risikopatienten mit der von
Früherkennungspatienten vergleichen und wissenschaftlich untersuchen.
Dokumentiert ist im KVB-Portal auch eine aus der
Koloskopie resultierende Operation. Das steigerte
die Quote erfasster Karzinomstadien von etwa
5 auf 70 Prozent, also um 65 Prozentpunkte.
Plausibilitätsprüfungen garantieren, dass die eingereichten Dokumentationen korrekt sind.
Das Benchmarking für die teilnehmenden Ärzte
läuft über die Feedback-Berichte. Quartalsweise
und zeitnah erhalten die dokumentierenden Ärzte
online aktualisierte Auswertungen. Die grafische
Aufbereitung und prozentuale Angaben ermöglichen anschaulich und aussagekräftig den Vergleich
mit bayerischen Kollegen. Dargestellt werden beispielsweise Antworten auf die Fragen:
 Wie häufig wurden Polypen entdeckt und
abgetragen?
 In welchem Stadium wurden Karzinome
entdeckt?
 Wie war die Häufigkeitsverteilung der
Diagnosen?
5
Die elektronische Dokumentation
6
Die Dokumentation sieht neben dem quantitativen auch ein qualitatives Wachstum vor. Das System ist so
angelegt, dass weitere Themen unkompliziert digital ergänzt werden können. Zahlreiche Anregungen seitens
der Ärzte unterstützen diese qualitative Entwicklung.
Zur wissenschaftlichen Auswertung hat die KVB eine Kooperation mit dem Institut für Medizinische Informationsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie (IBE) der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU)
geschlossen - mehr dazu ab Seite 10.
Erste Ergebnisse:
 Die hohe Sicherheit der Koloskopie wird bestätigt.
 Es bestehen enorme regionale Unterschiede bei der Akzeptanz der Früherkennungskoloskopie; diese Information kann für gezielte Maßnahmen (z. B. Einladungswesen) verwendet werden.
 Die Epidemiologie der bayerischen Bevölkerung weist zum Teil erhebliche Unterschiede zu den Ergebnissen anderer Studien auf; diese Tatsache spricht für die Notwendigkeit regionalspezifischer Versorgungsprogramme.
Versorgungsangebot
Koloskopie in Bayern
7
Anzahl koloskopierender Ärzte je 100.000 Einwohner
bis 3
4 bis 6
über 6
Standort von Ärzten mit Genehmigung Koloskopie
Stand: 08/2007
Quelle: KVB, Landesamt für Statistik
Die Koloskopie in Bayern befindet sich im Spannungsfeld zwischen einem hohen Qualitätsanspruch und einer
wohnortnahen Versorgung. Um die hohe Qualität der Koloskopie gewährleisten zu können, findet eine Spezialisierung statt, die im Widerspruch mit einem wohnortnahen Angebot von Leistungen stehen kann.
Hohe Auszeichnung
Felix Burda Award 2007 für das KVB-Projekt
„Elektronische Dokumentation der Koloskopie“
Die Felix Burda Stiftung verlieh zum fünften Mal ihre Auszeichnung an Menschen und Institutionen, die sich
mit innovativen medizinischen und wissenschaftlichen Projekten zur Förderung der Darmkrebsfrüherkennung
verdient gemacht haben. Dr. Axel Munte erhielt in der Kategorie „Medical Prevention“ für das KVB-Projekt
„Elektronische Dokumentation der Koloskopie“ den mit 10.000 Euro dotierten Preis, den er sich mit Prof. Tim
Greten von der Medizinischen Hochschule Hannover teilt. Dr. Munte erhielt vor mehr als 300 Gästen aus
Politik, Wirtschaft und Showbusiness den jährlich verliehenen Felix Burda Award nach 2003 bereits zum zweiten Mal. Anlässlich der Preisverleihung wurde mit Dr. Munte folgendes Interview geführt:
8
Preisträger Dr. med. Axel Munte
Moderator Dr. med. E. von Hirschhausen
Preisträger Dr. med. Axel Munte
Herr Dr. Munte, Sie sind für herausragendes Engagement im Kampf gegen Darmkrebs mit dem
Felix Burda Award ausgezeichnet worden - schon
zum zweiten Mal. Was ist beziehungsweise war
Ihre Motivation, sich gerade bei diesem Thema zu
engagieren?
Ich habe in meiner langjährigen Tätigkeit als
Gastroenterologe zu häufig die menschlichen
Tragödien erlebt, die eine Darmkrebserkrankung
mit sich bringt. Eine rechtzeitige Koloskopie hätte
diese verhindert. Dazu kommt, dass sich der Anspruch nach einer qualitativ hochwertigen medizinischen Versorgung durch die Tätigkeit im Vorstand
der KV Bayerns mit engagierten Kollegen und Mitarbeitern auf ein wesentlich breiteres Fundament
stellen und auch umsetzen lässt.
An dieser Stelle möchte ich auch noch einmal ganz
ausdrücklich dem KVB-Entwicklungsteam danken,
das sich sehr stark in diesem Projekt „Elektronische
Dokumentation der Koloskopie“ engagiert hat und
weiterhin engagiert.
Der Felix Burda Award wird in dem glanzvollen Rahmen einer Gala und mit ziemlich viel
Prominenz verliehen - ist Showbusiness hilfreich bei
diesem Thema?
Laudator Prof. Friedrich Hagenmüller
Was hilft ein wissenschaftlicher Round-Table, wo
sich Spezialisten hinter verschlossenen Türen über
die Vor- und Nachteile der präventiven Koloskopie
auslassen?
Das Thema muss in die Öffentlichkeit, weil es die
Menschen draußen auf der Straße interessiert. Und
wir leben eben nun einmal in einer Event-Kultur.
Da ist es so, dass ein glamouröser Rahmen und
Prominenz auf rotem Teppich oder Stars im Fernsehen in der Bevölkerung mehr Aufmerksamkeit
erhalten und die Botschaft „kümmert Euch um
Euren Darm, geht zur Vorsorge“ dann auch wahrgenommen wird. Und nur darum geht es. Denn
plötzlich findet sich der ganz normale Bürger mit
den gleichen Problemen konfrontiert wie der Filmstar oder ein Industriemanager.
Bayern hat, lange vor einer bundesweiten Initiative,
auf elektronische Dokumentation gesetzt, und zwar
nicht nur bei der präventiven, sondern auch der kurativen Koloskopie, und verfügt mittlerweile über ein
beachtliches Datenmaterial. Ergebnisse sollen noch
in diesem Jahr auf wissenschaftlichen Kongressen
veröffentlicht werden. Können Sie uns schon heute
einige markante Erkenntnisse verraten?
International positive Resonanz
Was ich an dieser Stelle schon verraten kann, ist,
dass die hohe Sicherheit der Koloskopie bestätigt
wird. Aber auch, dass es enorme regionale Unterschiede bei der Akzeptanz der Früherkennungskoloskopie gibt. Diese Information müssen wir für
gezielte Maßnahmen, wie etwa dem Einladungswesen, nutzen!
Was mich persönlich stark interessiert: Die Epidemiologie der bayerischen Bevölkerung scheint zum
Teil erhebliche Unterschiede zu den Ergebnissen
anderer Studien aufzuweisen, was natürlich für die
Notwendigkeit regionalspezifischer Versorgungsprogramme spricht.
Sie bewegen - auch international in Fachkreisen einiges durch Ihr Engagement - wie halten Sie es
selbst mit der Vorsorge?
Welche Frage! Ich erwarte nichts von anderen, was
ich nicht auch selbst bereit bin für meine Gesundheit zu tun. Ich treibe Sport, ernähre mich vernünftig
und halte meine Vorsorgetermine selbstverständlich
ein. Dazu gehört auch die Darmspiegelung, die ich
erst vor 3 Monaten erneut habe durchführen lassen,
– im übrigen eine ganz unspektakuläre und völlig
schmerzfreie Angelegenheit. Man kann mit wenig
Aufwand „außer Verantwortungsbewusstsein“ für
den eigenen Körper sehr viel dazu beitragen, dass
man bis ins Alter fit und gesund bleibt.
Anerkennung für das KVB-Versorgungsprogamm
zur Koloskopie
Artikel aus dem Bayerisches Ärzteblatt | Ausgabe 07/2007
Zur Digestive Disease Week (DDW), dem weltweit
bedeutendsten Kongress auf dem Gebiet der Gastroenterologie, kamen dieses Jahr vom 19. bis 24.
Mai knapp 17.000 Teilnehmer ins Convention Center nach Washington D.C. Neben Wissenschaftlern,
Ärzten und politischen Entscheidungsträgern aus
aller Welt war auch die Kassenärztliche Vereinigung
Bayerns (KVB) mit ihrem Versorgungsprogramm zur
Koloskopie vertreten.
Seit Januar 2006 dokumentieren niedergelassene
Gastroenterologen und Chirurgen ihre Koloskopien über ein von der KVB entwickeltes System. Die
Entwicklung eines online-Portals, in dem sowohl
präventive als auch kurative Koloskopien erfasst
werden, zählt für seinen Initiator Dr. Axel Munte,
KVB-Vorstandsvorsitzender, zu den bedeutendsten
Projekten der KVB. Die Inhalte gehen über die bundesweit geforderte Dokumentation der Früherkennungskoloskopie hinaus: so wird beispielsweise das
familiäre Darmkrebsrisiko der Patienten erhoben.
„Auf Basis dieser umfassenden und validen Daten
können die Ärzte familiär bedingten Darmkrebs
früher entdecken und damit viele Menschenleben
retten“, erklärt der KVB-Chef.
Für die Evaluation der gewonnenen Daten konnte
Munte das renommierte Institut für medizinische
Informationsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie (IBE) der Ludwig-Maximilians-Universität
München gewinnen.
Es wertete die mehr als 230.000 Dokumentationen,
die allein im Jahr 2006 eingereicht wurden, aus
und erstellte so genannte abstracts zu sechs Themen: Datenerhebung, Akzeptanz der Früherkennung, Epidemiologie, Risikoprofile, Prozessqualität
und Komplikationen.
Alle abstracts wurden für die DDW angenommen
– eine Quote, die allein schon auf die Bedeutung
der Daten hinweist. Dr. Berndt Birkner, niedergelassener Gastroenterologe aus München und Mitglied
der Vorstandskommission Koloskopie, stellte zudem
das Thema Risikoprofile in einer Vortragsreihe und
das Thema Prozessqualität bei der Pressekonferenz
der DDW vor. Anhand eines Posters erläuterte KVBProjektleiter Volker Augustin darüber hinaus die
Methodik der Datenerhebung. Sowohl die Ergebnisse als auch die Durchführung der Dokumentation erhielten vor Ort internationalen Respekt. Amerikanische, kanadische, dänische, französische und
norwegische Experten bezeichneten das Dokumentationssystem als beispielhaft, was wieder einmal
die Bedeutung regionaler Versorgungsprogramme
bestätigt. Dr. Axel Munte, der Vorstandsvorsitzende
der KVB, wurde damit für sein langjähriges Engagement für mehr Transparenz durch elektronische
Dokumentation belohnt.
9
Kooperation der LMU und KVB
Webbasiertes Dokumentationsportal für ambulante
Koloskopien in Bayern:
Ein Beispiel für Qualitätssicherung und Versorgungsforschung
Volker Augustin(3), Uta Ferrari(3), Stefan Sickel(3), Axel Munte(3), Berndt Birkner, FASGE, AGAF(²), Ulrich Mansmann(1)
In Deutschland werden seit Oktober 2002 ambulante Früherkennungskoloskopien in Papierform dokumentiert. Die für die Evaluation zur Verfügung stehende Datenqualität ist nicht zufriedenstellend, da die Fehlerquote bei der Digitalisierung relativ hoch ist. Darüber hinaus sind gerade die Stadien diagnostizierter Karzinome nur in wenigen Fällen dokumentiert, da diese dem behandelnden Arzt erst nach mehreren Wochen
oder sogar Monaten vorliegen (Operation im Krankenhaus). Daten zu kurativen Koloskopien (80% aller
Koloskopien) liegen nicht vor.
Die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns (KVB) hat daher Anfang 2006 eine webbasierte elektronische
Dokumentation für präventive und kurative Koloskopien eingeführt.
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Aufbau
Ergebnisse
Die Dokumentation erfolgt über ein
mit Login und SSL-Verschlüsselung
gesichertes Webportal, aus Datenschutzgründen in pseudonymisierter
Form. Die Inhalte der deutschlandweit bestehenden Dokumentation
wurden weitgehend übernommen
und für die Kuration um Angaben
zur Indikation ergänzt.
Aktuell dokumentieren 430 Ärzte über das Portal. Dadurch sind
81% der ambulanten Koloskopien in einer Bevölkerung von 12 Millionen Menschen abgedeckt. Im Jahr 2006 wurden 187.000 Dokumentationen zu kurativen und 58.000 zu präventiven Koloskopien
eingereicht. Die Datenqualität wurde im Vergleich zur papiergebundenen Dokumentation entscheidend verbessert. Die Quote erfasster
Karzinomstadien konnte z. B. von zuvor 5-10 % auf 70 % gesteigert
werden (Werte ohne weitere telefonische Nacherhebung).
Die Datenbank der KVB umfasst
demografische Angaben, Indikatoren für die Prozessqualität, makroskopische und histologische Befunde, Diagnosen, Angaben zu akuten
Komplikationen und empfohlenen
weiteren Maßnahmen.
Die Vorteile einer elektronischen
Dokumentation werden gezielt
genutzt: So wird etwa das Karzinomstadium auf einem getrennten
Bogen erfasst, der nach einer entsprechenden Diagnose automatisch angelegt wird, und später mit
den Untersuchungsdaten zusammengeführt. Die dokumentierenden Ärzte erhalten online im Portal
Feedbackberichte zu ihren Koloskopien im Vergleich zum Durchschnitt
aller bayerischen Ärzte.
Eine Evaluation der gewonnenen
Daten erlaubt die Untersuchung
von Fragen der Versorgungsforschung.
Screenshot aus dem Dokumentationsportal. Gezeigt ist eine Übersicht über die Anzahl
dokumentierter Patienten nach Alter und Geschlecht für kurative (links) und präventive
(rechts) Koloskopien. Die Achsen beider Grafiken sind nach Altersklassen unterteilt; die
Anzahl dokumentierter Frauen ist links, die der Männer rechts angetragen. Orange
sind die Durchschnittswerte aller dokumentierenden Ärzte, blau die des aktuell angemeldeten Arztes dargestellt.
Screenshot aus dem Dokumentationsportal.
Die Grafik zeigt die Anzahl aufgetretener
Komplikationen bei 1.000 Koloskopien.
Links sind therapeutische, rechts diagnostische Komplikationen dargestellt. Es werden
folgende Arten unterschieden: Kardiopulmonale Komplikationen, Blutungen und
Perforationen.
Screenshot aus dem Dokumentationsportal.
Dargestellt ist ein Ausschnitt aus dem Dokumentationsbogen: Makroskopischer Befund,
Angaben zu Polypen/Adenomen und Komplikationen
Diese Arbeit wurde im Rahmen der
LMUinnovativ-Initiative „Münchner
Zentrum für Gesundheitswissenschaften“ durchgeführt.
Literatur
Dr B-T Karsh. Beyond usability: designing effective technology implementation systems to promote patient safety. Qual. Saf. Health Care
2004;13;388-394 doi:10.1136/
qshc.2004.010322
www.cori.org
Schlussfolgerungen
Die Online-Dokumentation über das Portal hat sich als technisch umsetzbar, sicher und praktikabel erwiesen. Der Datenschutz ist durch die pseudonyme Erfassung gewährleistet. Die Feedback-Berichte mit
ihrem infomativen und edukativen Ansatz werden von den teilnehmenden Ärzten gut angenommen.
Das Portal bietet neben dem Benchmarking auch eine verläßliche Basis für Versorgungsforschung.
Kontakt
Volker Augustin, Projektmanager, Stabsstelle Hausärztliche Versorgung und Strategie
E-Mail: [email protected]
(1) Institut für Medizinische Informationsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie (IBE), Ludwig-Maximilians-Universität München
(2) Gastroenterologische Praxis, München
(3) Kassenärztliche Vereinigung Bayerns, München
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Kooperation der LMU und KVB
Einfluss von Alter, Geschlecht und Region auf die
Akzeptanz der präventiven Koloskopie in Bayern:
Volkmar Henschel(1), Berndt Birkner, FASGE, AGAF(2), Simon Rückinger(1,3), Ulrich Mansmann(1), Axel Munte(3)
Die Effektivität der Screening-Koloskopie zur Prävention eines kolorektalen Karzinoms hängt von deren
Akzeptanz in der Zielpopulation ab. Unsere Ziele waren:
 detaillierte Daten zu Alter- und Geschlechtseffekten und zu regionalen Unterschieden in alters- und
geschlechtsadjustierten Teilnehmerraten zu bestimmen
 Pilotdaten für gezielte Kampagnen und Interventionen im Bereich der öffentlichen Gesundheit zur Verbesserung der Teilnahme an Programmen zur Prävention des kolorektalen Karzinoms bereitzustellen
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Materialien und Methoden
Ergebnisse
 Andauernde elektronische Dokumentation in Bayern
 Ambulante Koloskopien bei
Personen mit gesetzlicher Krankenversicherung im Jahr 2006
 Alter, Geschlecht und Wohnort
(erste 3 Stellen der Postleitzahl)
dokumentiert
 Behördliche regionale altersund
geschlechtsstratifizierte
Einwohnerzahlen zur Adjustierung benutzt
Akzeptanzraten - nicht adjustiert für regionale Heterogenität
Statistische Analyse
 Poissonmodell
 Geschlecht und Altersgruppen
sowie deren Wechselwirkung
als feste Effekte
 Zufällige Effekte für die 79
identifizierten Regionen, welche die adjustierten regionalen
Akzeptanzraten beschreiben
 Stratumsspezifische Population
als Offset
 Farbkodierte Repräsentation der
regionalen Effekte in Bayern
Für Akzeptanzraten, adjustiert für regionale Heterogenität, s. Abb. 1.
Regionale Effekte sind in Abb. 2 dargestellt.
Akzeptanz der präventiven Koloskopie
 ist am höchsten bei Personen zwischen 55 und 65 Jahren
 nimmt mit zunehmendem Alter ab
- bei Männern zwischen 65 und 75 Jahren um 5,3 %
- bei Männern älter als 75 Jahre um 59,3 %
 Wechselwirkungseffekt zwischen Alter und Geschlecht:Akzeptanz
bei Frauen im Vergleich zu Männern:
- 34,1 % höher in der Altersgruppe zwischen 55 bis 65 Jahren
- nahezu auf dem selben Niveau zwischen 65 und 75 Jahren
(2,4 % höher)
- 32,3 % niedriger in der Altersgruppe über 75 Jahren
 Ausgeprägte regionale Effekte:
Präventive Koloskopie
- weniger akzeptiert in ländlichen Regionen
- besser akzeptiert im „Speckgürtel“ großer Städte
Die Akzeptanz variiert zwischen den Regionen mit den geringsten
10 % und den Regionen mit den höchsten 10 % adjustierten Teilnehmerraten um den Faktor 2,6.
Diese Arbeit wurde im Rahmen der
LMUinnovativ-Initiative „Münchner
Zentrum für Gesundheitswissenschaften“ durchgeführt.
Literatur:
Yoong KK, Heymann T. Colonoscopy in the very old: why bother?
Postgrad Med J. 2005;81:196-7.
Lin OS et al. Screening Colonoscopy in Very Elderly Patients.
JAMA 2006;295:2357-65
13
Abb. 1: Vorhergesagte Akzeptanzraten mit 95 % Konfidenzintervallen
Schlussfolgerungen
 Die Daten stellen eine nahezu komplette Bestandsaufnahme der
präventiven Koloskopien bei Personen mit gesetzlicher Krankenversicherung in Bayern dar (Population von 12 Millionen).
 Es wurde nachgewiesen, dass die Akzeptanz der präventiven
Koloskopie mit steigendem Alter abnimmt. Diese Abnahme ist
bei Frauen deutlicher ausgeprägt.
 Die geringe Inanspruchnahme der präventiven Koloskopie von
über 75 Jahre alten Menschen steht im Widerspruch zur hohen
Inzidenz des kolorektalen Karzinoms. Ob die Akzeptanzrate
in dieser Altersgruppe erhöht werden sollte, wird gegenwärtig
diskutiert.
 Es gibt deutliche regionale Unterschiede der Teilnehmerraten.
Diese Information kann dazu beitragen, die Aufklärung über
Präventionsprogramme zielgerichteter zu führen.
 Die Teilnehmerraten sind möglicherweise von der Verfügbarkeit
von Koloskopien in den Regionen abhängig.
niedrig
hoch
Akzeptanzrate
Abb. 2: Zufällige Effekte der bayerischen
Regionen
Kontakt
Dr. Volkmar Henschel
E-Mail: [email protected]
(1) Institut für Medizinische Informationsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie (IBE), Ludwig-Maximilians-Universität München
(2) Gastroenterologische Praxis, München
(3) Kassenärztliche Vereinigung Bayerns, München
Kooperation der LMU und KVB
Prozessqualität in einer Serie von 230.756
ambulanten Koloskopien
Alexander Crispin(1), Berndt Birkner, FASGE, AGAF(2), Ulrich Mansmann(1), Axel Munte(3)
Die Bedeutung der Koloskopie in der Sekundärprävention kolorektaler Karzinome nimmt zu. Durch Einhaltung international anerkannter Standards, z. B. der 2006 von der ASGE publizierten Qualitätsindikatoren
(Rex, 2006), lässt sich ein Maximum an Effektivität und Patientensicherheit gewährleisten.
Ziele der hier vorgestellten Analysen waren die Bewertung der Prozessqualität von Koloskopien in einem
großen Kollektiv ambulanter Patienten, die Identifikation von Risikofaktoren für Untersuchungen mangelhafter
Qualität sowie die Bereitstellung eines belastbaren Maßstabs für internationale Vergleiche.
Patienten und Methoden
Elektronische
Koloskopie-Dokumentation der KVB
14
Seit Januar 2006 werden Koloskopien im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung in einer zentralen
Datenbank der Kassenärztlichen
Vereinigung Bayerns (KVB) dokumentiert. Die Dateneingabe erfolgt
gesichert via Login und SSL-Verschlüsselung über ein Webportal.
Die Datenbank umfasst demographische Merkmale, Indikationen
zur Koloskopie, Indikatoren der
Prozessqualität,
makroskopische
und histologische Befunde, Diagnose, akute Komplikationen sowie
Empfehlungen zur weiteren Diagnostik und Therapie. Im Falle einer
Krebsdiagnose mit anschließender
Operation während eines stationären Aufenthalts werden Informationen zum Tumorstadium ergänzt,
sobald die Ergebnisse der histologischen Untersuchung vorliegen.
Patienten
Im Jahr 2006 wurden 230.756
volljährige Patienten mindestens
einmal koloskopiert (176.265 kurativ oder Tumornachsorge, 54.491
Screening).
Statistische Verfahren
Daten zu soziodemographischen
Merkmalen
und
Indikatoren
der Prozessqualität wurden anhand skalenadäquater Lage- und
Streuungsmaße beschrieben. Die Exploration von Risikofaktoren für
unvollständige Koloskopien erfolgte anhand eines multiplen logistischen Regressionsmodells mit Vorwärtsselektion auf einem AlphaNiveau von 0,05.
Ergebnisse
Indikatoren der Prozessqualität
Gründe für unvollständige Koloskopien (n = 5.922)
Merkmale von Patienten mit einem erhöhten Risiko einer
unvollständigen Koloskopie
Modell-Fit: prädizierte und beobachtete Wahrscheinlichkeiten unvollständiger Koloskopien
Diese Arbeit wurde im Rahmen der
LMUinnovativ-Initiative „Münchner
Zentrum für Gesundheitswissenschaften“ durchgeführt.
Literatur
Rex, D. K. (2006). Maximizing Detection of Adenomas and Cancers
During Colonoscopy. Am J Gastroenterol, 101, 2866–2877.
Schlussfolgerungen
Kontakt
Unsere Ergebnisse für eine Vielzahl von Indikatoren der Prozessqualität für ambulante Koloskopien können als Maßstab für internationale Vergleiche mit anderen Programmen dienen.
Dr. med. Alexander Crispin, MPH
E-Mail:
[email protected]
Sedierung und gründliche Darmreinigung sind modifizierbare
Faktoren, die die Vollständigkeit der Koloskopie begünstigen.
(1) Institut für Medizinische Informationsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie (IBE), Ludwig-Maximilians-Universität München
(2) Gastroenterologische Praxis, München
(3) Kassenärztliche Vereinigung Bayerns, München
15
Kooperation der LMU und KVB
Inzidenz und Determinanten von Akutkomplikationen
in einer Serie von 230.756 ambulanten Koloskopien
Alexander Crispin(1), Berndt Birkner, FASGE, AGAF(2), Ulrich Mansmann(1), Axel Munte(3)
Ziel der vorliegenden Untersuchung waren die Messung des Risikos von Akutkomplikationen in einem großen
Patientenkollektiv mit ambulanten Koloskopien und die Identifikation von Patientenmerkmalen, die mit einer
höheren Komplikationsrate einhergehen. In den Jahren seit 2000 wurden nur wenige prospektive Studien
publiziert, die sich mit dem Risiko von Akutkomplikationen bei Screening- und kurativen Koloskopien befassen. Besonders dürftig ist die Datenlage zum Blutungsrisiko (Becker et al., 2007; Heldwein et al, 2005).
Patienten und Methoden
Ergebnisse
Elektronische
Koloskopie-Dokumentation der KVB
16
Seit Januar 2006 werden Koloskopien
im Rahmen der kassenärztlichen
Versorgung in einer zentralen
Datenbank der Kassenärztlichen
Vereinigung Bayerns (KVB) dokumentiert. Die Dateneingabe erfolgt
gesichert via Login und SSL-Verschlüsselung über ein Webportal.
Die Datenbank umfasst demographische Merkmale, Indikationen zur
Koloskopie, Indikatoren der Prozessqualität, makroskopische und
histologische Befunde, Diagnose,
akute Komplikationen sowie Empfehlungen zur weiteren Diagnostik
und Therapie.
Patienten
Inzidenz von Akutkomplikationen
Risikoindikatoren für Blutungen
Im Jahr 2006 wurden 230.756
volljährige Patienten mindestens
einmal koloskopiert (176.265 kurativ oder Tumornachsorge, 54.491
Screening).
Statistische Verfahren
Daten zu soziodemographischen
Merkmalen und Indikatoren der
Prozessqualität wurden anhand
skalenadäquater Lage- und Streuungsmaße beschrieben. Die Exploration von Risikofaktoren für Komplikationen erfolgte anhand eines
multiplen logistischen Regressionsmodells mit Vorwärtsselektion auf
einem Alpha-Niveau von 0,05.
Risikoindikatoren für Perforationen
Risikoindikatoren für kardiorespiratorische Komplikationen
Mit Blutungen assoziierte Endoskopiebefunde (nur Patienten mit Polypen oder Adenomen, n = 73.032)
Literatur
Mit Perforationen assoziierte Endoskopiebefunde (nur
Patienten mit Polypen oder Adenomen, n = 73.032)
Becker et al. (2007). Follow-up
after
colorectal
polypectomy:
a benefit-risk analysis of German
surveillance recommendations. Int
J Colorectal Dis (Epub vor dem
Druck).
Heldwein et al. ( 2005). The Munich
Polypectomy Study (MUPS): Prospective Analysis of Complications
and Risk Factors in 4000 Colonic
Snare Polypectomies. Endoscopy
37(11):1116-1222.
Levin et al. (2006). Complications
of Colonoscopy in an Integrated
Health Care Delivery System. Ann
Intern Med 145:880-886.
Schlussfolgerungen
Die hier vorgestellten Ergebnisse belegen die niedrige Inzidenz von Akutkomplikationen und damit die hohe
Sicherheit von Koloskopien in der Routine der ambulanten Versorgung. In einer neueren Metaanalyse von
Becker et al. (2007) fand sich eine ähnliche Rate von Blutungen (0,32 %, 95 %-KI: 0,00 – 2,4) bei diagnostischen Koloskopien, Perforationen schienen jedoch etwas häufiger zu sein (0,073 %, 95 % KI: 0,036 – 0,13).
Aufgrund der geringen Anzahl von Komplikationen gestatten die meisten Studien keine multivariate Risikomodellierung (Levin et al., 2006). Die hier vorgestellten multivariaten Modelle belegen spezifische Risikoprofile seitens der Patienten bzw. ihrer Adenome. Patienten mit Läsionen, die eine Biopsie oder Polypektomie
erfordern, haben ein erhöhtes Risiko für Blutungen und Perforationen. Die gilt insbesondere für Patienten mit
großen Läsionen.
Kontakt
Dr. med. Alexander Crispin, MPH
E-Mail: [email protected]
Diese Arbeit wurde im Rahmen der LMUinnovativInitiative „Münchner Zentrum für Gesundheitswissenschaften“ durchgeführt.
(1) Institut für Medizinische Informationsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie (IBE), Ludwig-Maximilians-Universität München
(2) Gastroenterologische Praxis, München
(3) Kassenärztliche Vereinigung Bayerns, München
17
Kooperation der LMU und KVB
Heterogenität der Epidemiologie kolorektaler
Adenome: ein internationaler Vergleich
Christine Adrion(1), Berndt Birkner, FASGE, AGAF(2), Ulrich Mansmann(1), Axel Munte(3)
Die Koloskopie gilt als bevorzugtes Verfahren zur Untersuchung des Kolons bei asymptomatischen Erwachsenen oder Patienten mit klinischen Indikationen wie z. B. positivem FOBT, Hämatochezie, Diarrhoe, Eisenmangelanämie, Gewichtsverlust, veränderten Stuhlgewohnheiten, oder bei vorangegangener Polypektomie,
Karzinom- bzw. Adenomnachsorge.
Genaue Kenntnisse über kolorektale Adenome in großen Populationen sind für ein besseres Verständnis
der Adenomepidemiologie und zur Entwicklung effektiver Präventionsstrategien zur Reduktion der Inzidenz
kolorektaler Karzinome von essentieller Bedeutung.
Das Ziel der hier vorliegenden Untersuchung bestand darin, die Adenomepidemiologie in unterschiedlichen
Populationen zu untersuchen und als Möglichkeit dafür zu nutzen, unterschiedliche Screening- und Nachsorgestrategien in Einklang zu bringen.
Material und Methoden
18
Sechs Populationen wurden hinsichtlich Adenomprävalenz und der Verteilung von Geschlecht, Alter,
Größe, Anzahl und histologischem Typ der Adenome verglichen:
 BS – Bayerische Patienten mit ScreeningKoloskopie (n = 54.491);
 BD – Bayerische Patienten mit diagnostischer
Koloskopie (n = 175.611);
 PS – Polnische Screening-Population1
(n = 43.042);
 ZI – offizieller deutscher Bericht2 zur Screening-Koloskopie 2006 (n = 506.519).
Die Datensätze BS und BD entsprechen einer
bevölkerungsbasierten Stichprobe von etwa 12 Millionen Bayern auf Grundlage einer gegenwärtig
durchgeführten Online-Dokumentation (Januar bis
Dezember 2006) von Koloskopien (n = 230.756)
bei ambulanten Patienten mit gesetzlicher Krankenversicherung.
Einschlusskriterien: Screeningpopulation: Alter
≥ 55 Jahre, kurative Population: Alter ≥ 18 Jahre
Auch in der National Polyp Study3 (NPS, USA,
n = 1867) und der Funen-Study4 (FU, Dänemark,
n = 841) finden sich Berichte zu Patienten mit
Adenomen.
Ergebnisse
Das Durchschnittsalter (±Standardabweichung) in
der BS- [BD-] Population beträgt 64,9 Jahre (±6,8)
[57,3 (±14,6)] bei Männern und 64,3 Jahre (±6,8)
[56,3 (±15,3)] bei Frauen.
Für die einzelnen Populationen wurden verschiedene
Anteile berechnet (siehe Tabelle 1). Die Differenz
der Adenomprävalenz zwischen BS und BD lässt
sich möglicherweise durch eine größere Anzahl von
jüngeren Patienten (Alter unter 55) mit Colon Irritabile in der Population BD erklären.
Tabelle 1: Prävalenz von primären Ergebnisparametern in verschiedenen Studien mit Screening- oder
kurativer Population. Berücksichtigt wurde stets der schwerwiegendste Befund.
* Durchmesser ≥ 10 mm, hochgradige Dysplasie oder villöse oder tubulovillöse histologische Charakteristika oder
beliebige Kombination hieraus
In Subpopulationen mit Adenomträgern lassen sich folgende Anteile berichten (Tabelle 2):
Tabelle 2: Charakteristika von Patienten mit diagnostizierten
Adenomen (histologisch gesichert)
Schlussfolgerungen
Literatur
 In internationalen Vergleichen zwischen Europa und den USA
zeigen sich deutliche Differenzen in Schlüsselparametern (Risikofaktoren für CRC) der Adenomepidemiologie und in demographischen Eigenschaften sowohl bei Screeningpopulationen
als auch Populationen mit Adenomträgern:
- geringere Prävalenz diagnostizierter Adenome und
invasiver Karzinome in Polen,
- höhere Prävalenz fortgeschrittener Adenome in Dänemark
(% Größe ≥ 1 cm),
- geringerer Anteil tubulärer Adenome in den USA.
 Somit lassen sich Screeningmodelle nicht unkritisch zwischen
unterschiedlichen Gesundheitssystemen übertragen.
 In den einzelnen Populationen ist die Number Needed to Screen,
d.h. die Anzahl an Personen, die gescreent werden müssen, um
eine zusätzliche fortgeschrittene Neoplasie im Dickdarm frühzeitig zu diagnostizieren, ebenfalls unterschiedlich, z.B.:
PS 17 (95 % KI 16 – 18),
BS 12 (95 % KI 11 – 13), BD 14 (95 % KI 13 – 15)
1. Regula J, et al. Colonoscopy
in Colorectal-Cancer Screening for Detection of Advanced Neoplasia. N Engl J Med
2006;355(18):1863–1872.
2. Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in der
Bundesrepublik Deutschland:
wissenschaftliche
Begleitung
von Früherkennungs- Koloskopien in Deutschland, Berichtszeitraum 2005 – 3. Jahresbericht.
3. Winawer S, et al. The National
Polyp Study - Design, Methods,
and Characteristics of Patients
with Newly Diagnosed Polyps.
Cancer 1992;70(5)
Suppl.:1236–1245.
4. Jørgensen OD, et al. The Funen
Adenoma Follow-up Study.
Incidence and death from
colorectal carcinoma in an
adenoma surveillance program. Scand J Gastroenterol.
1993;28(10):869–74.
Kontakt
Christine Adrion, MPH
E-Mail: [email protected]
Diese Arbeit wurde im Rahmen der LMUinnovativ-Initiative
„Münchner Zentrum für Gesundheitswissenschaften“ durchgeführt.
(1) Institut für Medizinische Informationsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie (IBE), Ludwig-Maximilians-Universität München
(2) Gastroenterologische Praxis, München
(3) Kassenärztliche Vereinigung Bayerns, München
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Projekte der Zukunft
Einladungswesen Darmkrebsfrüherkennung
Projektzeitraum 01.08.2007 bis 31.12.2008
Ziele
Langfristig wird die Einführung eines wirtschaftlichen Einladungswesens zur Darmkrebsfrüherkennung nach
Vorbild des Mammographie-Screenings angestrebt.
Für dieses Ziel müssen die Krebsfrüherkennungsrichtlinien auf Bundesebene um drei Aspekte ergänzt werden:
 Erweiterung der Anspruchsberechtigten um Risikogruppen
 Erweiterung um ein flächendeckendes Einladungswesen
 Einführung einer zentralen und standardisierten Auswertung des FOBT (Test auf okkultes Blut im Stuhl)
Dieses Pilotprojekt soll dafür die geeigneten Argumente liefern.
Kurzbeschreibung
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In diesem Pilotprojekt soll die Wirksamkeit verschiedener Maßnahmen zur Steigerung der Teilnahmequote
an der Darmkrebsfrüherkennung ermittelt werden. In einer cluster-randomisierten Studie werden die unterschiedlichen Varianten in räumlich getrennten Regionen ausgetestet und anschließend miteinander verglichen.
Die wirkungsvollste Variante soll flächendeckend umgesetzt werden.
Folgende Faktoren stehen dabei im Mittelpunkt:
 Steigerung der Teilnahmequote an der Darmkrebsfrüherkennung
 Steigerung der Qualität und der Effizienz der Beratung
 Einführung einer zentralen Auswertung des FOBT
Status/Ergebnisse
 In der Konzeption
 Erste Kontakte mit Kassen und weiteren Partnern
Partner
 Felix-Burda-Stiftung
 Netzwerk gegen Darmkrebs
Kontakte zu weiteren Partnern sind hergestellt
Ansprechpartner: Tobias Krug ([email protected])
Epigenetic Screening for Colorectal Adenoma and
Preneoplasia-(ESCAPE-)Studie
Projektzeitraum 01.03.2008 bis 01.03.2011
Ziele
 Validierung eines blutbasierten „Marker Sets“ zur Früherkennung von Darmkrebspatienten
 Erkennung und Risikostratifizierung von Patienten mit diagnostizierten Polypen
 Frühzeitige Diagnose und Risikostratifizierung kolorektaler Präneoplasie als neues Konzept molekularer
Früherkennung und zur Verhinderung der Darmkrebsentstehung
 Nutzung der elektronischen Datenbasis der KVB für aktive Versorgungsforschung
Kurzbeschreibung
 Bis heute werden die meisten Fälle des Darmkrebses in bereits fortgeschrittenen Stadien entdeckt. Die
Entdeckung von Darmkrebs in früheren Stadien würde die Behandlung wesentlich verbessern. Die Teilnahmerate der zur Früherkennungs-Koloskopie berechtigten Personengruppe ist jedoch u.a. aufgrund
einer geringen Akzeptanz der Koloskopie niedrig. Blutbasierte Marker zur frühzeitigen Darmkrebserkennung sind bislang nicht auf dem Markt erhältlich.
 Im Rahmen des Projekts soll eine neue Methodik eines blutbasierten Marker Sets zur Darmkrebsfrüherkennung in der ambulanten Versorgungsrealität erprobt und validiert werden. Weiterhin soll das Marker Set
zur Risikoabschätzung der Rezidivbildung von Adenomen genutzt werden.
 Diese beiden Verfahren reduzieren potentiell die Kosten im Gesundheitswesen, indem diejenigen Personen identifiziert werden, bei denen ein konkreter Verdacht auf die Entwicklung eines Darmkrebses besteht
oder die ein erhöhtes Risiko tragen, präneoplastische oder neoplastische kolorektale Läsionen erneut zu
bilden. Primär sollen dadurch Darmkrebserkrankungen verhindert werden.
 Im Rahmen der Studie sollen Patienten, bei denen eine ambulante präventive oder kurative Koloskopie
durchgeführt wird, zur freiwilligen Teilnahme an der Studie motiviert werden. Ergänzend zur Koloskopie
wird dann eine Blut- bzw. Gewebeprobe entnommen und zentral ausgewertet.
 Die KVB übernimmt im Rahmen der ESCAPE Studie die Logistik zur Entnahme und zentrale Auswertung
der Gewebe- und Blutproben durch die bayerischen koloskopierenden Ärzte. Weiter stellt sie mittels ihres
Dokumentationsportals die elektronische Datenbasis zur Verfügung, um einen Abgleich zwischen dem Ergebnis der Blut- und Gewebeprobenuntersuchung und dem Diagnoseergebnis bei der Durchführung der
Koloskopie zu ermöglichen. Aufgrund der Anbindung an die elektronische Dokumentation ist es möglich,
eine hohe Anzahl an Patienten in die Studie zu integrieren, außerdem wird eine hohe Datenqualität und
Datenvalidität erzielt.
Status
 Antrag zur Finanzierung des Projektes an das BMBF in Arbeit
 Umfrage zur Teilnahmerate mit guter Resonanz der koloskopierenden Ärzte abgeschlossen
 Entscheidung über Bewilligung der Finanzierung im März 2008
Partner
 II. Medizinische Klinik und Poliklinik - Klinikum rechts der Isar, Technische Universität München (Prof. Ebert)
 Charité Universitätsmedizin Berlin, Institut für Pathologie (Prof. Röcken)
 Epigenomics AG (Ph.D. Berlin), Berlin
Projektleitung: Prof. Ebert ([email protected]), Ansprechpartner: Stefan Sickel ([email protected])
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Veröffentlichungsliste | Glossar
Veröffentlichungsliste:
A. Crispin, B. Birkner, U. Mansmann, A. Munte. Incidence and Determinants of Acute Complications in a
Series of 145,401 Outpatient Colonoscopies. Gastroenterology 2007;132, Suppl 2: A-642
C. Adrion , B. Birkner, U. Mansmann , A. Munte. Do individuals with suspected hiher risk for colorectal cancer
show different risk profiles in colonoscopy ? Gastroenterology 2007,132, Suppl 2: A-149
C. Adrion, B. Birkner, U. Mansmann, A. Munte. Heterogeneity of colorectal adenoma epidemiology: an international comparison. Gastroenterology 2007;132, Suppl 2: A-314
V. Henschel , B. Birkner, U. Mansmann, A. Munte. Impact of sex, age, and region on acceptance of screening
colonoscopy in Bavaria (Germany). Gastroenterology 2007;132, Suppl 2: A-316
V. Augustin, U. Ferrari, B. Birkner, U. Mansmann, A. Munte. Web-Based Documentation Portal for Outpatient
Colonoscopies in Bavaria (Germany) A Tool for Quality Assurance and Health Care Services Research.
Gastrointestinal Endoscopy April 2007 (Vol. 65, Issue 5, Page AB367)
A. Crispin, B. Birkner, U. Mansmann, A. Munte. Process Quality Indicators in a Series of 145, 401 Outpatient
Colonoscopies. Gastrointestinal Endoscopy April 2007 (Vol. 65, Issue 5, Page AB311)
22
Glossar (in alphabetischer Reihung)
Adenom:
gutartige Geschwulst aus Schleimhaut im Magen-Darm-Trakt
Benchmarking:
vergleichende Analyse mit festgelegten Referenzwerten
Biometrie:
Entwicklung und Anwendung statistischer Methoden im Rahmen empirischer
Untersuchungen an Lebewesen
Biopsie:
Entnahme und Untersuchung von Gewebe
Epidemiologie:
Wissenschaft zur Untersuchung von Faktoren, die zur Gesundheit und Krankheit
von Individuen und Populationen beitragen
Evaluation:
wissenschaftliche Auswertung
Gastroenterologie:
Teilgebiet der Inneren Medizin, das sich mit der Diagnostik und Prävention von
Erkrankungen des Magen-Darm-Traktes befasst
Histologischer Befund:
Dokumentation der Gewebeprobe nach erfolgter Biopsie
Karzinom:
Krebserkrankung/Tumor
Makroskopischer Befund: Erstbefund nach durchgeführter Koloskopie
Polyp:
makroskopisch sichtbare Ausstülpung (Geschwulst) im Dickdarm
Screening:
hier Vorsorgekoloskopie (auch bei Intervention; ohne Indikation)
Screeningpopulation:
Population, die sich einer Vorsorgekoloskopie unterzieht
Impressum
Herausgeber:
Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns
Elsenheimerstraße 39 | 80687 München | www.kvb.de
Schlussredaktion:
Stabsstelle Kommunikation
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Redaktion, Grafik und Layout:
CITYteam | www.cityteam.de
Hinweis:
Die Inhalte dieser Broschüre sprechen Frauen und Männer gleichermaßen an. Zur besseren Lesbarkeit wird nur
die männliche Sprachform (z. B. Arzt, Ärzte) verwendet.
Stand: November 2007
Wir gestalten Versorgung.