"Die Lust auf Blut" von Anton Tschochner - Albertus

Transcription

"Die Lust auf Blut" von Anton Tschochner - Albertus
Albertus-Magnus-Gymnasium
Regensburg
Abiturjahrgang
2011-2013
SEMINARARBEIT
Rahmenthema des Wissenschaftspropädeutischen Seminars:
Luxus und Dekadenz
Leitfach: Latein
Thema der Arbeit:
Die Lust auf Blut: Die Dekadenz der Masse bei römischen Spielen
Verfasser/in:
Kursleiter/in:
Anton Tschochner
OStRin Kemmeter
Abgabetermin:
6. November 2012
Bewertung
Note
Notenstufe in Worten
Punkte
schriftliche Arbeit
32
befriedigend
gut
7
10
Abschlusspräsentation
Punkte
x3
x1
Summe:
Gesamtleistung nach § 61 (7) GSO = Summe:2 (gerundet)
Datum und Unterschrift der Kursleiterin bzw. des Kursleiters
21
10
31
16
Inhaltsverzeichnis
1.
Vom natürlichen Überlebenskampf zum inszenierten Spektakel
bei den römischen Spielen
S. 3
2.
Gladiatorenkämpfe
S. 4
2.1
Ursprung der Kämpfe
S. 4
2.2
Ausbildung der Gladiatoren
S. 6
2.3
Ablauf der Kämpfe
S. 7
2.4
Gladiatorengattungen:
Kampfkunst am Beispiel von retiarius und secutor
S. 9
3.
Tierhetzen
S. 10
4.
Funktionen der Spiele
S. 12
4.1
Politischer Zweck
S. 12
4.2
Unterhaltung der Bevölkerung:
S. 14
Stellenwert moralischer und ethischer Prinzipien
5.
Ähnlichkeit der römischen Spiele mit modernen Wettkämpfen
S. 17
6.
Der Mensch zwischen Vernunft und „grausamer Bestie“
S. 18
Literaturverzeichnis
S. 19
Abbildungsverzeichnis
S. 20
Erklärung
S. 21
2
1. Vom natürlichen Überlebenskampf zum inszenierten Spektakel bei den
römischen Spielen
Schon die
Vorfahren
des
Menschen mussten sich
in einem
ständigem
Überlebenskampf gegenüber wilden Tieren und auch anderen Stämmen behaupten.
So spricht Charles Darwin in seiner Evolutionstheorie von der natürlichen Selektion,
vom „Survival of the fittest“, also dem Überleben des am besten Angepassten. Nur
der Schnellste, Stärkste oder Schlauste setzt sich im Kampf um das Überleben
gegenüber seinen Konkurrenten durch, es entwickelte sich ein Wettbewerb. Mit dem
Entstehen menschlicher sozialer Gemeinschaften und vor allem der modernen
Zivilisationen gab es diesen direkten Überlebenskampf für das Individuum der
Gesellschaft immer weniger, doch die Tradition des Wettkampfs setzte sich fort: Im
antiken Griechenland erlangte das olympische Kräftemessen große Bedeutung, bei
dem die Athleten ihre Überlegenheit gegenüber den sportlichen Gegnern durch den
Sieg in verschiedenen Sportarten demonstrieren wollten. Dagegen wurde im alten
Rom der Überlebenskampf von Mensch und Tier in den Amphitheatern und Arenen
in
Form
der
römischen
Spiele
fortgeführt.
Diese
etablierten
sich
als
Unterhaltungsindustrie für die breite Masse Roms, die sich am blutigen Spektakel der
Inszenierungen erfreute. Aus heutiger Sicht ist die Begeisterung der Römer für die
Spiele kaum verständlich, ja die römische Kultur bleibt heute fast nirgendwo so
fragwürdig wie in der Betrachtung der Spiele auf Leben und Tod. Die offensichtliche
Lust auf Blut wird oftmals als Gradmesser für die Dekadenz der römischen Masse
herangezogen und als Argument benutzt, dass sittliche und moralische Tugenden im
antiken Rom keinen Stellenwert hatten.
In der folgenden Arbeit soll ein Überblick über die Entstehung, den Ablauf und das
Wesen der römischen Gladiatorenspiele, sowie allgemeine Fakten über die Tierhetzen
präsentiert werden. Besonderes thematisiert wird dabei die Möglichkeit der
politischen Einflussnahme für Kaiser und Bevölkerung durch die Spiele. Zudem wird
versucht, anhand verschiedener Stellungnahmen zeitgenössischer Schriftsteller und
Philosophen die Art und Bedeutung der Spiele in Zusammenhang mit dem damaligen
Moral und Ethikverständnis der römischen Gesellschaft zu diskutieren. Ein kritischer
Blick auf Wettkampfarten heutiger Tage soll beleuchten inwieweit sich das Moral und
Ethikverständnis der Moderne im Vergleich zum antiken Rom verändert hat.
3
2. Gladiatorenkämpfe
2.1 Ursprung der Kämpfe
Aus welcher Tradition sich die Gladiatorenkämpfe entwickelt haben, ist historisch
umstritten. Der erste dokumentierte Hinweis auf einen Gladiatorenkampf bezieht sich
auf ein prunkvolles Leichenbegräbnis des Decimus Junius Pero im Jahr 264 vor
Christus1 Angeblich kämpften dabei drei Gladiatorenpaare gegeneinander, die aus 22
Sklaven ausgewählt wurden. In der Folgezeit stieg die Zahl der Gladiatoren, sodass
im Jahr 183 vor Christus bereits 60 Gladiatorenpaare bei der Bestattung des Publius
Licinius gegeneinander antraten.2 Verschiedene schriftliche Quellen berichten von
zahlreichen Gladiatorenkämpfen,
die
zu
einer
„ständigen Einrichtung
bei
Bestattungsfeierlichkeiten bedeutender Bürger“ wurden.3 Sicher ist, dass der
Totenkult in irgendeiner Verbindung mit dem Ursprung der Gladiatorenkämpfe
stand.4 Ob dabei der Totenkult der Etrusker mit den sogenannten Phersu-Kämpfern
als Vorlage für diese besondere Art von Bestattungsfeierlichkeiten diente, ist nicht
eindeutig belegbar. Umstritten ist auch die ursprüngliche Bedeutung dieser frühen
Gladiatorenkämpfe. Tertullian, ein christlicher Philosoph aus dem zweiten
Jahrhundert nach Christus erklärt sie mit der Verpflichtung, dass das Blut des
Begrabenen mit dem der Lebenden versöhnt werden sollte. Dass man an dieser
Tradition festhielt, begründet Tertullian damit, dass das Töten eine Art von
Vergnügung darstellte und somit über den Tod des Begrabenen hinwegtröstete. 5
Dagegen folgert Servius im vierten Jahrhundert nach Christus, dass durch die Kämpfe
von der Grundidee des Menschenopfers abgewichen wurde, da es möglich wurde,
sich durch die Überlegenheit im Kampf der Opferung zu entziehen. 6 Jedenfalls war
die Bestattung und die Begegnung mit dem Tod angesichts einer relativ kurzen
Lebenserwartung und den vielen kriegerischen Auseinandersetzungen ein wichtiges
Element im römischen Alltag. Entsprechend war die Bestattung eines einflussreichen
römischen Bürgers den Hinterbliebenen eine Möglichkeit zur Demonstration der
eigenen Macht und des Wohlstands. Dies drückte sich zunächst in einem Trauerzug
mit Musikern aus und einer laudatio funebris (Trauerrede), die der Erstgeborene an
1
Vgl. Köhne (2000), S. 16.
Ebd. S.17.
3
Ebd. S.16.
4
Junkelmann (2000b), S. 36.
5
Ebd. S. 33.
6
Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Gladiator (03.11.2012)
2
4
den Rostra des Forum Romanum zur Ehre des Verstorbenen hielt.7 Die Einführung
von Gladiatorenkämpfen sollten in diesem Zusammenhang wohl ursprünglich als
Sinnbild für römische Militärtugenden, wie Mut, Tapferkeit, Standhaftigkeit und
Siegeswillen des Verstorbenen stehen. 8 Oft hatte der Hinterbliebene im Testament
auch die Ausrichtung einer Bestattung mit Gladiatorenkampf verfügt, sodass für die
Nachkommen oder Erben die Erfüllung dieses Teils eine wichtige Pflicht (munus)
war.9 Die Verweigerung der gewünschten Bestattung wäre eine Schande für die
Ausrichter gewesen und wäre in der römischen Gesellschaft kaum akzeptiert worden.
Schon bald erkannten römische Politiker die Popularität dieser Kämpfe bei der
Bevölkerung
und
versuchten
über
entsprechende
Veranstaltungen
sich
Aufmerksamkeit und Anerkennung bei den Bürgern zu sichern. 10 Anfangs fanden die
blutigen Darbietungen meist auf dem Forum Romanum statt. Die Bühne für die
Kämpfe wechselte aber nach der Errichtung von Sitztribünen und schließlich nach
dem Bau der Amphitheater. Auch damit entwickelte sich die Tradition des
Blutvergießens am Grab mehr und mehr zum öffentlichen Spektakel für die Massen
Roms. Bis 44 vor Christus war die Veranstaltung von Gladiatorenkämpfen
ausschließlich privat organisiert, die sogenannten munera. Dies änderte sich aber mit
der Ermordung Cäsars, als der Senat beschloss, erstmals öffentlich finanzierte
Gladiatorenspiele als ludi cereales abzuhalten. 11 Hintergrund dafür war wohl,
angesichts der Staatskrise, die Bevölkerung durch aufwändig inszenierte Spektaktel
zu unterhalten und damit zufrieden zu stellen. Dieses Prinzip wurde ab dieser Zeit
beibehalten und die Durchführung von Gladiatorenkämpfen wurde unter der
Herrschaft der Kaiser zu einem kostspieligen, kaiserlichen Privileg. Kaiserkult und
Gladiatorenkampf war in der Folgezeit eng miteinander verknüpft, eine Tradition, die
bis zum Ende der Kämpfe im fünften Jahrhundert nach Christus fortbestand. Deshalb
war auch Kritik an den blutigen Kämpfen schwer möglich, weil diese gleichzeitig
einen Angriff auf die absolutistische Stellung des Kaisers bedeutete.
7
Vgl. http://www.geocities.ws/films4/massenspektakel.html (03.11.2012)
Vgl. Cic. Tusk. 2, 32-34.
9
Vgl. Köhne (2000), S. 16.
10
Vgl. Junkelmann (2000b), S. 37.
11
Ebd. S. 39.
8
5
2.2 Ausbildung der Gladiatoren
Da die Kampfvorführungen mit der Zeit immer größere Dimensionen annahmen und
sich zu öffentlich massenwirksamen Spielen (ludi) entwickelten, wurde ein immer
größer werdender organisatorischer Aufwand notwendig. Daraus resultierte auch die
zunehmende Professionalisierung der Gladiatorenkämpfe und damit die Entstehung
von Gladiatorenschulen Bei den ersten Kämpfern handelte es sich um
Kriegsgefangene, Sklaven oder verurteilte Verbrecher (damnatio ad ludum
gladiatorum).12 Auch später wurden in erster Linie Kriegsgefangene und Sklaven zu
Gladiatoren ausgebildet. Aber auch römische Bürger meldeten sich als auctorati, die
dann als Gladiatoren ihre Freiheit aufgeben mussten. Durch die Ablegung eines Eids
gaben sie ihre Freiheit auf, um daraufhin während den Kämpfen in der Arena
„[g]ebrannt, gebunden und mit dem Schwert getötet“ zu werden, überliefert Seneca in
seinen Briefen.13 Im gesamten römischen Reich gab es mehr als 100
Gladiatorenschulen, die berühmtesten waren in Capua, Ravenna oder Pompeji. 14 Die
Schulen wurden von lanistae (Gladiatorenmeistern) geleitet, die meist auch die
Besitzer der Schulen waren und ihre Gladiatoren an die Veranstalter von
Gladiatorenkämpfen
vermieteten.
Doctores
und
magistri,
meist
ehemalige
Gladiatoren, leiteten die Kampfausbildung der Schüler, denen sie strenge Regeln und
Ordnungen vorgaben. 15 Ziel der Ausbildung war, den Kampf nach genau
vorgegebenen Regeln bestreiten zu können und ein Höchstmaß an körperlicher
Fitness zu erreichen. 16 Trainiert wurde beispielsweise mit hölzernen Waffen, die
schwerer waren, als die, die in der Arena zum Einsatz kamen. Die für die
Waffengattung typischen Bewegungsabläufe als auch Kampftechniken wurden
zunächst an hölzernen Pfählen und später gegen andere Gladiatoren trainiert. 17 Durch
die Einrichtung der Schulen und die professionelle Ausbildung und Betreuung der
Gladiatoren wurde es möglich, dass sich eine regelrechte Vergnügungsindustrie
entwickeln konnte.
Aus der
gesicherten Versorgungslage und der
guten
medizinischen Betreuung der Gladiatoren erklärt sich auch, warum gegen Ende der
römischen Republik fast die Hälfte aller Gladiatoren ehemals freie römische Bürger
waren. Andererseits kosteten die Ausbildung und die Abhaltung der Gladiatorenspiele
12
Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Gladiator (03.11.2012)
Sen. Epist. 37, 1.
14
Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Gladiator (03.11.2012)
15
Vgl. Junkelmann (2000a), S. 40f.
16
Ebd. S.41.
17
Ebd.
13
6
den Staat einen großen Teil seiner Finanzen. Alternativ hätten mit entsprechenden
Summen Projekte für das Allgemeinwohl vorangetrieben oder die arme Bevölkerung
besser unterstützt werden können. Offensichtlich waren die Investitionen in das
Gladiatorenwesen
und
damit
für
das
Konzept
Brot
und
Spiele
aber
erfolgversprechender für den Staat, wie es sich anhand der immerhin über 500 Jahre
andauernden Geschichte der Gladiatorenkämpfe mitverfolgen läßt.
2.3. Ablauf der Kämpfe
Die Gladiatorenkämpfe stellten den Hauptprogrammpunkt der ludi dar und fanden
somit nach Tierhetzen, Hinrichtungen, athletischen Wettbewerben oder komischen
Einlagen als abschließender Höhepunkt am Nachmittag statt.18 Der Auftakt, das
Vorspiel (prolusio), diente der Einstimmung des Publikums und der Aufwärmung der
Athleten, die mit hölzernen Waffen (rudes) gegeneinander fochten. 19 Danach begann
der eigentliche Kampf mit den todbringenden scharfen Waffen. Dabei war die
kriegerische Auseinandersetzung zwischen einem Gladiatorenpaar ursprünglich
keineswegs ein „wildes Handgemenge“, sondern „ein zwar höchst brutaler, doch
höchst differenzierter, genauen Regeln unterworfener Kampfsport.“20 Um die
Einhaltung der leges pugnandi zu gewährleisten, gab es zwei Schiedsrichter, den
summa rudis und den secunda rudis, sowie Bodenlinien aus weißem Kalk (lineae
albae), die die Bewegungsabläufe der Gladiatoren bestimmten. 21 Diese Vorschriften
für das Gefecht erhöhten die Chancengleichheit zwischen den Gladiatoren mit dem
Ziel, den Zuschauern einen möglichst spannenden Kampf bieten zu können. Die
kriegerische Auseinandersetzung wurde dadurch in die Länge gezogen und besonders
zelebriert bis zum Schluss das meist blutige Ende den Höhepunkt für die Besucher
darstellte: Die Entscheidung über Leben und Tod des Besiegten. Der Veranstalter der
Kämpfe (editor) hatte dabei die Entscheidungsmacht, wobei er sich jedoch in der
Regel nach der Stimmung im Zuschauerraum richtete.22 Hatte der Besiegte ein
tapferes, spannendes und faires Schauspiel präsentiert, so zeigte die Masse ihre Gunst
durch das Schwenken ihrer Togen und Tücher und die Ausrufe „missum!“, „mitte!“
18
Vgl. Junkelmann (2000a), S.71.
Ebd. S.72.
20
Junkelmann (2000b), S.134.
21
Vgl. Junkelmann (2000a), S.73.
22
Ebd. S.74.
19
7
und der Gladiator wurde daraufhin lebend aus der Arena entlassen. 23 Wurde dem
Unterlegenen allerdings die missio nicht gestattet, wurde der Todgeweihte vom
siegreichen Gladiator nach einem bestimmten Ritual hingerichtet, wobei der Verlierer
seine virtus wenigstens im Tod beweisen sollte.24 Das Publikum gab dem editor das
Signal durch den Ruf „iugula!“ (stich
ihn
ab)
und
das
Signal
des
umgedrehten Daumens (pollice verso),
wie es auch im berühmten Gemälde
Jean-Leon Gérômes zu sehen ist.25
26
Allerdings liegt in letzterer Geste wohl
ein Irrtum vor, da der Künstler Gérôme
fälschlicherweise annahm, „dass das
Abb. 1: Das berühmte Gemälde „pollice verso“ von
Jean-Leon Gérôme
lateinische „pollice verso“ nach unten
gedreht bedeutete.“27 Richtig übersetzt heißt pollice
verso der nach oben gestreckte Daumen, der als
Zeichen für ein gezogenes Schwert den Tod des
Besiegten
symbolisierte.28
Gnade
mit
dem
Unterlegenen versprach dagegen das Zeichen pollice
compresso favor indicabatur, also der Daumen, der
gegen die geschlossene Faust gepresst wird, so wie
es auf einem römischen Medaillon aus dem zweiten
Jahrhundert nach Christus zu sehen ist.29 30
Die Wandlung der Gefechte vom „kunstvollen Duell“
zum „Menschenschlachten“ beklagt der Philosoph
Abb. 2: Das römische Medaillon
zeigt einen Gladiatorenkampf, bei
dem der Verlierer die missio
erkämpft hat.
Seneca in seinen Briefen an Lucilius: Der Gelehrte kritisiert das blutige Spektakel,
das er bei einem mittäglichen Besuch eines Amphitheaters erlebt. „Regeln und
Techniken werden mittlerweile missachtet und „Das Ende für die Kämpfer ist der
23
Vgl. Junkelmann (2000a), S.73.
Ebd. S.74.
25
Ebd.
26
Vgl. Abb. 1.
27
http://www.pm-magazin.de/r/gute-frage/war-%C2%BBdaumen-runter%C2%AB-fr%C3%BCher-dastodesurteil (03.11.2012)
28
Ebd.
29
Ebd.
30
Vgl. Abb. 2.
24
8
Tod.“31 Die Lust auf Blut des Publikums führt dazu, dass der Tod für die Gladiatoren
das unausweichliche Resultat ist. Ausrufe aus der Masse wie „Schlage, peitsche,
brenn ihn!“, „Warum stirbt er so lustlos?“, „Warum rennt er so lustlos ins Messer?“
verdeutlichen dies und zeigen die Ausartung der munera und der ludi in bestimmten
Jahrhunderten der
römischen Geschichte
deutlich. 32
Insgesamt
waren die
Überlebenschancen eines Gladiators in den verschiedenen Epochen der römischen
Geschichte daher höchst verschieden und schwankten zwischen 50% bis 80%
Überlebenswahrscheinlichkeit für den Besiegten. 33
2.4 Gladiatorengattungen: Kampfkunst am Beispiel von retiarius und secutor
Zur Ritualisierung und dem Regelwerk der Gladiatorenkämpfe gehörte auch, dass die
Gladiatoren als unterschiedliche aber vorschriftsgemäß ausgerüstete Kämpfer
paarweise aufeinander trafen. Das Kampfpaar retiarius (Netzkämpfer) gegen secutor
(Verfolger) hebt sich dabei von den anderen Gladiatorenpaaren ab. So kann man die
Kampfausrüstung des Netzkämpfers kaum mit der von anderen Gladiatorentypen
vergleichen. Er ist leicht daran zu identifizieren, dass er weder Helm, noch Schild,
noch Beinschienen trägt.34 Seine Kampfausrüstung bestand
aus einer mannshohen dreizackigen Gabel (fuscina), einem
Wurfnetz (iaculum) und einem langen Dolch (pugio).35
Sein spezieller
Kampfpartner war normalerweise der
secutor, der sich in der Kampfausrüstung deutlich vom
retiarius abhebte: Er war im Gegensatz zum Netzkämpfer,
der von seiner Schnelligkeit lebte, mit 15-18 kg schwerer
Gesamtausrüstung
bewaffnet
und
dadurch
oft
schwerfällig. 36 Das Kurzschwert (gladius), das Schild der
römischen Legionäre (scutum), der Armschutz (manica)
und die Beinscheine (ocrea) verliehen dem Secutor ein
militärisches Erscheinungsbild.37
38
Eine Besonderheit war,
Abb. 3: Bronzestatue eines
secutor mit aufgeklappten
typischen Helm,
Kurzschwert, Schild,
Armschutz und Beinschiene
31
Sen. Epist. 7, 4.
Sen. Epist. 7, 5.
33
Vgl. Junkelmann (2000a), S.76.
34
Ebd. S.64.
35
Ebd. S.65.
36
Vgl. Junkelmann (2000b), S.110.
37
Ebd.
38
Vgl. Abb.3.
32
9
dass der Helm rundgeformt war, um dem Wurfnetz des retiarius keine Angriffsfläche
zu bieten. Außerdem hatte der Helm in der Regel nur sehr kleine Sichtlöcher, die das
Sichtfeld des Kämpfers stark einschränkten. Dass sich ein Kampfpaar aus zwei
extrem verschiedenartigen Gegnern zusammensetzt, entspricht einem Prinzip, das in
der kaiserlichen Gladiatur allgemein verbreitet war und versprach offensichtlich
besonders
unterhaltsame
Kämpfe.
Durch
die
Gegenüberstellung
des
schwerbewaffneten secutor und des retiarius mit seiner „Fischerausrüstung“,
„steigerte man dieses System auf gerade zu bizarre Weise“, natürlich immer mit dem
Ziel, Chancengleichheit herzustellen, den Kampf möglichst aufregend und spannend
zu inszenieren und dem Publikum dadurch ein Spektakel zu bieten. 39
Doch die Schilderungen des Philosophen Seneca in den Briefen an Lucilius, zeigen
wiederum wie sehr sich die Kämpfe im Laufe der Geschichte des römischen
Imperiums zeitweise von den ursprünglichen Regeln entfernten. Die Zelebration des
Kampfes ist der Lust nach Blut gewichen. Auf sarkastische Art und Weise spiegelt
der Philosoph die Gesinnung im Volk wieder: „Nicht Helm, nicht Schild wehrt das
Schwert ab. Wozu Schutzwaffen? Wozu Technik? All das hält den Tod nur auf!“ 40
Zudem
wurden
die
Regeln
der
Ausrüstung
für
die
ursprünglichen
Gladiatorengattungen vernachlässigt, „die meisten ziehen die normalen, nach Wunsch
zustande gekommenen Paarungen vor.“41 Ohne die festgelegten Kampfpaarungen und
Gefechtsausrüstung glich der Gladiatorenkampf, der als brutaler Kampfsport
ursprünglich festen Regeln gehorchte, damit zeitweise eher einem wilden blutigen
Schlagabtausch.
3. Tierhetzen
Die Tierhetzen (venationes) nahmen wohl mit den Punischen Kriegen gegen Karthago
ihren Anfang, da erstmals exotische Tiere wie Elefanten erbeutet und im Rahmen der
Triumphzüge zur Schau gestellt wurden. 42 Fielen sie in größerer Zahl an, entledigte
man sich der Tiere eben durch die Tierhetzen, die venationes (Jagden), die eine ganze
Reihe von Arenadarbietungen umfassten, natürlich immer mit dem Zweck die
Zuschauer bestmöglich zu unterhalten.
39
Junkelmann (2000a), S.64.
Sen. Epist. 7, 4.
41
Ebd.
42
Vgl. Junkelmann (2000a), S.77.
40
10
Viele Darbietungen der venationes werden
auf
einem
Mosaik,
welches
im
archäologischen Museum von Tripolis zu
finden ist, dargestellt.
Zum Beispiel
konnten die venatores ihre Jagdfertigkeit
bei der Verfolgung von ungefährlichen
Wildtieren, wie Rehen, Wildeseln oder
Abb. 4: Ausschnitt aus dem Mosaik im
archäologischen Museum von Tripolis:
Jagd auf ein Wildtier
Straußen mit Wurfspeeren oder Spießen
demonstrieren.43
Der Kampf von Tier gegen Tier wurde
ebenfalls als Disziplin in der Arena
präsentiert. Dabei fanden die Römer vor
allem Gefallen an der Gegenüberstellung
von großen und gefährlichen Tieren.
44
Auf
dem Mosaik ist zu erkennen, dass ein Bär
Abb. 5: Ausschnitt aus dem Mosaik im
archäologischen Museum von Tripolis: Kampf
zwischen einem Bär und einem Stier, die
zusammengekettet wurden..
und ein Stier sogar zusammengekettet wurden, um diese zum Kampf miteinander zu
zwingen. 45 Doch die in den Massen beliebteste Variante der venatio war zweifelsohne
die Blutigste: Die Kämpfer mussten zu Fuß meist mit einem beidhändig geführten
Spieß gegen gefährliche Raubtiere, meist Tiger, Leoparden, Bären oder Löwen bis zur
Entlassung aus der Arena durch das Publikum kämpfen. 46 Um dem Zuschauer ein
möglichst blutiges Spektakel zu bieten,
mussten die Wildtiere bis zum Kampf
hungern, sodass sie im Kampf aggressiv
und blutrünstig waren. Zudem wurden die
Raubtiere während des Kampfes durch
bestiarii (Gehilfen) mit Peitschen und
Fackeln aufgestachelt.
47
Im Mosaik treibt
der bestiarii einen verurteilten Verbrecher
Abb. 6: Ausschnitt aus dem Mosaik im
archäologischen Museum von Tripolis: Ein
bestiarii treibt den Verurteilten auf einen
Löwen zu.
sogar selbst durch Peitschenschläge auf einen Löwen zu. 48
43
Vgl. Abb. 4.
Vgl. Junkelmann(2000a), S.78.
45
Vgl. Abb. 5.
46
Vgl. Junkelmann(2000a), S.78.
47
Ebd. S.77.
48
Vgl. Abb. 6.
44
11
Darüber hinaus wurden Verbrecher, die ad bestias
verurteilt wurden, also zum Tod in der Arena, fast
nackt, ohne Waffen und teilweise gefesselt den
wilden Tieren vorgeführt.49
50
Die Grausamkeit wie
die Verbrecher in der Arena hingerichtet werden, ist
aus
heutiger
Sicht
nicht
hinnehmbar.
Für
Staatsoberhäupter und Kaiser diente diese Art der
Todesstrafe für Kriminelle, die vor zehntausenden in
den Arenen des römischen Reichs hingerichtet
wurden, neben dem blutigen Spektakel für das Volk
Abb. 7: Ausschnitt aus dem
Mosaik im archäologischen
Museum von Tripolis:
Gefesseltes Opfer wird Raubtier
vorgeführt
auch zur Abschreckung zukünftiger Straftäter.
4. Funktionen der Spiele
4.1 Politischer Zweck
Neben dem bloßen Interesse an den Kämpfen in den Arenen und dem damit
verbundenen Unterhaltungswert für das Volk nahmen die römischen Spiele auch
politische Dimensionen an und wurden als Machtinstrument benutzt. So kritisiert der
römische Dichter Juvenal in seinen Satiren die Einstellung des römischen Volkes zur
Politik. Er schreibt, dass sich die römischen Bürger zurückgezogen und ängstlich von
jeglichem politischen Mitbestimmungsrecht oder Interesse entfernen und sich nur
„panem et circenses“, also Brot und Spiele wünschen. 51 Dieser Ausdruck steht heute
noch für die Manipulation der Bevölkerung durch politische oder wirtschaftliche
Machthaber, die die Massen beispielsweise durch Steuersenkungen, Wahlgeschenke
oder eben aufwändig inszenierte Großveranstaltungen von den wirklichen politischen
oder sozialen Missständen ablenken wollen.
52
Der Rhetoriker Fronto berichtet über
die Unschlüssigkeit des Kaisers Trajan, ob er seine Untertanen am besten mit
Getreidespenden, Geldgeschenken oder den ludi zufrieden stellen könne. Dabei
kommt er zu dem Schluss, dass allein durch die Spiele alle Bevölkerungsschichten der
römischen Masse auf seine Seite gebracht werden könnten. 53 In den epistulae ad
Caesarem, rät der Historiker Sueton Caesar, er solle die Bevölkerung durch die
49
Vgl. Abb. 6.
Vgl. Abb. 7.
51
Vgl. http://www-gewi.uni-graz.at/spectatores/entry?id=296&action=detail (03.11.2012)
52
Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Panem_et_circenses (03.11.2012)
53
Vgl. http://www-gewi.uni-graz.at/spectatores/entry?id=633&action=detail (03.11.2012)
50
12
Ausrichtung von ludi beschäftigen, um die Einmischung der Masse in politische
Angelegenheiten zu verhindern. 54 Die Echtheit der Briefe ist allerdings umstritten.
Doch nicht nur die Machthaber konnten die ludi nutzen, um politischen Einfluss
auszuüben, auch das Volk nutzte diese
öffentlichen Veranstaltungen als
Machtinstrument. Neben der Entscheidungsmacht für das Volk hinsichtlich der Frage
auf Leben und Tod für die Gladiatoren, konnte die versammelte Menschenmenge
ihren gemeinsamen Forderungen in Anwesenheit des Kaisers Ausdruck verleihen und
somit die Machthaber des Imperiums unter Druck setzten. Es wird unter anderem
davon berichtet, dass die Lieblinge Cäsars in der Arena ausgepfiffen oder mit
Schweigen bedacht wurden, da sich Caesar im Volk zu dieser Zeit keiner großen
Beliebtheit erfreute.55 Sueton erzählt in seiner Kaiserbibliographie über Caligula von
Zuschauern, die öffentlich in der Arena Steuersenkungen forderten. Als Reaktion ließ
der Kaiser diese öffentlich in der Arena hinrichten, was dann wohl ein Hauptmotiv für
Caligulas Gegner war, eine Verschwörung gegen ihn zu anzuzetteln. 56
Außerdem war die Popularität des Staatsoberhaupts auch eng damit verknüpft, ob
dieser
die erfolgreiche
Ausrichtung der
ludi
gewährleistete.
Beträchtliche
Geldmengen zum Beispiel für Gladiatorenschulen oder die Restauration und
Erbauung von Amphitheatern investierten die Kaiser, um sich beim Volk beliebt zu
machen. Doch die Erwartungen der römischen Masse an einen guten Kaiser gingen
noch darüber hinaus. Beispielsweise wurde die Anwesenheit des Staatsoberhaupts bei
den Spielen in der Hauptstadt erwartet, wenn er sich in Rom aufhielt. 57 Außerdem
hatte sich der Gebieter während der Darbietungen ausschließlich auf das Geschehen
in der Arena zu konzentrieren.58 Zeigte der Herrscher in den Augen der Masse jedoch
nicht das richtige Maß an Interesse für die Spiele, konnte das Staatsoberhaupt schnell
in Ungnade in der Bevölkerung fallen. Sowohl Kaiser Tiberius, der kaum Interesse an
öffentlichen Veranstaltungen zeigte und sogar das Ausmaß der ludi durch begrenzte
Prämien für Gladiatoren und Tierkämpfer einzuschränken versuchte, als auch
Caligula, der aus Sicht des Volks zu viel Begeisterung für die Spiele empfand,
machten sich durch ihr Auftreten unbeliebt.59 Die Beliebtheit des Machthabers beim
Volk war ja schließlich wichtig, um möglichen Revolten vorzubeugen, Kritiken
54
Vgl. Wiedemann (1992), S. 169.
Ebd. S.167.
56
Vgl. Cassius Dio 59,28, 11.
57
Vgl. Wiedemann (1992), S.172.
58
Ebd. S.173
59
Wiedemann (1992), S.173.
55
13
sowohl von Beratern, als auch von Feinden zu entkräften uns so eventuelle Zugriffe
auf den Kaiserthron aussichtslos zu machen.
Das Machtverhältnis zwischen Publikum und Kaiser lässt sich insgesamt als ein
ausgewogenes Wechselspiel beschreiben. „In der Arena als dem Ort, an dem die
Macht des Kaisers mit der des römischen Volks in Konflikt geriet, waren Kaiser und
Volk gleichermaßen exponiert.“60 Jedes Großereignis stellte damit das komplexe
Verhältnis zur Schau, wie die Macht zwischen Volk und dem Staatsoberhaupt oder
einflussreichen Personen verteilt war.
4.2 Unterhaltung der Bevölkerung: Stellenwert moralischer und ethischer
Prinzipien
„Die Würde des Menschen ist unantastbar“ und "Jeder hat das Recht auf Leben und
körperliche Unversehrtheit" heißt es in den Artikeln 1(1) und 2(2) des deutschen
Grundgesetzes.61 Auch in den meisten anderen Ländern der Welt ist dieser Gedanke
elementar für die Rechte der einzelnen Person in einer Nation geworden. Im alten
Rom jedoch, das in vielen anderen Bereichen von Wissenschaftlern als
hochentwickelt und modern eingestuft wird, wurde dieser Grundsatz der
Menschenwürde und das Recht auf Leben durch die Ausrichtung der grausamen ludi
mit Füßen getreten. „Bei weitem die widerlichste Art von blutigem Sport, die je
erfunden worden ist“, so beurteilt der Altphilologe und Autor Michael Grant das
Wesen
der
römischen
Spiele. 62
Jegliche
Unterhaltungsspektakel
wie
Massenhinrichtungen, Tierhetzen und vor allem die Gladiatorenkämpfe werfen heute
einen Schatten auf die römische Kulturnation. Die Menschenverachtung gegenüber
Unfreien und Sklaven und das erschreckende blutige Ausmaß der Spiele, die über
Jahrhunderte hinweg einen wichtigen Teil der römischen Kultur darstellten, kann
nicht mit unseren heutigen Moralvorstellungen in Einklang gebracht werden.
Während heutzutage jeder das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit
unabhängig von Geschlecht, Abstammung, Rasse, Sprache, Heimat und Herkunft,
Glaube und religiösen oder politischen Anschauungen haben sollte, galt dieser
Grundsatz im alten Rom nur für Bürger des Reichs. 63 Römische Philosophen wie
Cicero, Seneca und Epiktet sprachen zwar von der Idee der natürlichen Gleichheit des
60
Wiedemann (1992), S.178.
http://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_1.html (03.11.2012)
62
Junkelmann (2000b), S.5.
63
Vgl. http://www.gesetze-im-internet.de/gg/BJNR000010949.html art3,3 (03.11.2012)
61
14
Menschen und legten damit den Grundstein für den Corpus Iuris Civilis, des
römischen Rechtskatalogs, doch Sklaven, Nichtrömern und Gladiatoren standen die
Menschenrechte nicht zu.64 Gladiatoren waren aus der römischen Gesellschaft
ausgeschlossen, sie waren infamis vor dem römischen Gesetz, die als Personen im
alltäglichen Leben verachtet wurden. Dies lag schon daran, dass, wie bereits oben
erwähnt, Kriegsgefangene und Verbrecher hauptsächlich im Gladiatorenwesen
kämpften. Mitleid gegenüber den Verbrechern der Gesellschaft empfand die Masse
des Publikums nicht, obwohl diese teils auf grausame und perfide Art hingerichtet
wurden. Insgesamt wurden anscheinend die Grausamkeiten gegenüber den
Ausgestoßenen akzeptiert, ja sie waren erwünscht, damit die Ausrichtung der blutigen
Unterhaltungsindustrie gewährleistet werden konnte. Es galt sogar, dass „die
Fähigkeit, dem Blutvergießen in der Arena zuzuschauen, als wichtiger Teil des
römischen Charakters angesehen wurde.“65 Öffentliches Blutvergießen nicht mit
anschauen zu können, wurde als moralische Schwäche interpretiert und sogar als
kindlich betrachtet.
Gleichzeitig wurden die Gladiatoren allerdings auch wegen ihrer Leistungen als
Helden von den Massen verehrt, sodass einige Ruhm und Anerkennung erlangten. 66 67
Marcus Tullius Cicero ächtet in seinen Gesprächen im Tuskulum die Gladiatoren
einerseits als „verkommene Menschen und Barbaren“, doch er erkennt andererseits,
dass diese als Vorbild für wahre Mannhaftigkeit für die Bürger Roms gelten sollten. 68
Er bewundert die virtus, die Tapferkeit der Kämpfer, wie sie Schmerzen und sogar
den Tod ohne Klagen hinnehmen. 69 Dieses exemplum virtutis, das der Unterlegene
dem Publikum im Tod beweisen musste, stellte so zum Beispiel für Cicero und auch
Seneca den Höhepunkt und auch die Faszination des Gladiatorenwesens da. „Erst auf
diese Weise wurde aus einer bloßen Unterhaltung, einer reinen Demonstration
agonistischer Geschicklichkeit ein Drama von tieferer Bedeutung.“70
Augenscheinlich sahen viele gebildete Personen in den Kämpfen eine hohe Schule der
Selbsterziehung, die eine körperliche Ertüchtigung fördern sollte. Vermutlich diente
64
Vgl. http://www.global-ethic-now.de/gen-deu/0c_weltethos-und-politik/0c-02-menschenrechte/0c02-112-rom.php (03.11.2012)
65
Wiedemann (1992), S.141.
66
Ebd. S.133.
67
Vgl. Junkelmann (2000b), S.133.
68
Cic. Tusk.
69
Ebd.
70
Junkelmann (2000b), S.22.
15
so eine Einstellung aber eher als Schutzbehauptung zur Rechtfertigung der grausamen
Kämpfe. Für die große Masse bedeuteten die Spiele bloße Unterhaltung, die durch
die Spannung des Kampfes gewährleistet wurde, insbesondere durch „das Erleben
von Gefahr, Wunden, spektakulärem Tod und nicht minder spektakulärem
Überleben“ 71 Wie sehr der Wunsch nach einem spannend inszenierten Kampf zu der
primitiven Lust nach Blut ausartet, kritisiert Seneca in den erwähnten Briefen an
Lucilius.72 Auch von anderen „bestimmte[n] Gruppen oder Personen in besonderen
Zusammenhängen“ wurde immer wieder starke Kritik an den Gladiatorenspielen,
Tierhetzen und Massenhinrichtungen an sich ausgeübt. 73 Später waren insbesondere
die römischen Christen und Juden vehemente Gegner der blutigen Darbietungen, eine
Tatsache die schließlich im fünften Jahrhundert nach Christus zu einem Verbot der
ludi führte. Der jüdische Historiker Josephus verurteilt die Spiele in ihrem Kern: Es
ist „reine Gottlosigkeit, Menschen den wilden Tieren vorzuwerfen, um den
Zuschauern Freude zu bereiten.“74
Interessanterweise
können
Schriften
einiger
antiker
Philosophen
und
Geschichtsschreiber, sowie bestimmter Bevölkerungsgruppen nicht belegen, dass im
Volk „ eine allgemeine, weit verbreitete Abneigung gegen die Unmenschlichkeit der
Spiele“ im alten Rom zu erkennen war. 75 Dies bezieht sich auch auf die Aussagen
Ciceros, der in den Gesprächen im Tuskulum anführt, dass zwar „manchem eine
Gladiatorenvorstellung [als grausam] und unmenschlich erscheint“, er bezieht sich
dabei aber nicht auf die Verbrecher und von der Gesellschaft ausgeschlossenen,
sondern lediglich auf die auctorati, also ehemals freie Bürger Roms. 76 Oft kritisieren
Philosophen durch ihre Aussagen nicht die ludi an sich, sondern vielmehr bestimmte
Teilaspekte. Cicero wiederum tadelt die Spiele nicht aus moralisch-ethischen
Gründen, sondern er kritisiert, dass die hohen finanziellen Mittel für die Spiele als
Freizeitbeschäftigung für die Massen Roms keine andere, besser geeignete
Verwendung finden.77 Zusammenfassend gesehen, hatten die römischen Spiele
offensichtlich für lange Zeit, ungeachtet der moralischen Bedenken einiger weniger,
einen sehr hohen Stellenwert in allen Gesellschaftsschichten.
71
Junkelmann (2000b), S.23.
Vgl. Sen. Epist. 7, 3-5.
73
Wiedemann(1992), S.132.
74
Ebd. S.149.
75
Ebd. S.132.
76
Cic. Tusk. 110.
77
Vgl. Wiedemann(1992), S. 140.
72
16
5. Ähnlichkeit der römischen Spiele mit modernen Wettkämpfen
Betrachtet man die imposanten Arenen
der römischen Antike, allen voran das
amphitheatrum
flavium,
das
Kolosseum in Rom, so drängen sich
Vergleiche mit modernen Sport und
Unterhaltungsveranstaltungen
gerade
zu auf. 50‘000 Zuschauer, die durch 80
verschiedene Eingänge den Weg in das
Stadion finden konnten, fasste das
Stadion und kann damit in seiner
Größe
mit
heutigen
Schauplätzen verglichen werden. 78
modernen
sportlichen
Abb. 8: Modell des amphitheatrum flavium
sportlichen
79
Auch die Wettbewerbe können manchen
Großveranstaltungen
zugeordnet
werden:
Dem
Gladiatorenkampf kommen Kampfsportarten wie Boxen, Kickboxen, Karate etc. noch
am nächsten, wobei die Gemeinsamkeit darin besteht, dass ein gewaltsamer
Wettkampf als Spektakel für die Zuschauer präsentiert wird. Dies wird wie im alten
Rom dadurch ermöglicht, dass es immer einen Sieger gibt und die Boxer körperlich
beziehungsweise durch die Einhaltung bestimmter Regeln möglichst keinen
eindeutigen Vorteil gegenüber ihrem Gegner haben. Letztendlich kann der Boxsport
aber nicht mit der Gladiatur verglichen werden, war doch der Tod im Kampf Mann
gegen Mann die Regel des Unterlegenen. Im Gegensatz dazu entspricht der iberische
Stierkampf, der erst ab Anfang dieses Jahres offiziell in Katalonien verboten wurde,
angesichts des tödlichen Ende des Schauspiels den antiken venationes.80 Nur den
entschiedenen Protesten von Tierschutzorganisationen ist es zu verdanken, dass ein
Gesetz zum Verbot des Stierkampfes letztendlich gegenüber den Anhängern
durchgesetzt werden konnte, die den Stierkampf als wichtiges Kulturgut verteidigten..
Doch auch außerhalb von organisierten Großveranstaltungen, bei denen besonders
spektakuläre und am besten noch nie dagewesene Unterhaltung geboten werden soll,
78
Vgl. Abb 3.
Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/kolosseum (03.11.2012)
80
Vgl. http://www.spiegel.de/panorama/corrida-verbot-in-katalonien-tod-dem-stierkampf-a708886.html (03.11.2012)
79
17
finden sich Elemente der römischen Spiele im modernen Leben wieder. Zerstörung
und Blut haben nach wie vor eine beträchtliche Anziehungskraft, wie sich anhand von
Katastrophen-Tourismus oder den vielen Schaulustigen bei Verkehrsunfällen
verfolgen lässt. Darüber hinaus berichten Medien und Presse oft von öffentlichen
Hinrichtungen, oder Folterungen zum Beispiel in China, im Iran, oder in anderen
Ländern. Dennoch lässt sich zusammenfassend sagen, dass die römischen Spiele in
ihrer Grausamkeit einzigartig waren, da die blutige Gewalt zur öffentlichen
Unterhaltung der Allgemeinheit diente.
6. Der Mensch zwischen Vernunft und „grausamer Bestie"
In der Menschheitsgeschichte waren und sind Grausamkeiten gegen die eigene Art an
der Tagesordnung, worin sich der Mensch wesentlich von den meisten anderen
Lebewesen unterscheidet. Dichter wie Friedrich Schiller bezeichnen den Menschen
im Gegensatz zu den Tieren als schrecklich. "Gefährlich ist´s den Leu zu wecken,
verderblich ist des Tigers Zahn; doch der größte aller Schrecken, ist der Mensch in
seinem Wahn.“ 81 Friedrich Nietzsche geht in seinem Werk „Also sprach Zarathustra“
noch ein Stück weiter als er behauptet: „Der Mensch nämlich ist das grausamste Tier.
Bei Trauerspielen, Stierkämpfen und Kreuzigungen ist es ihm bisher am wohlsten
geworden auf Erden; und als er sich die Hölle erfand, siehe, da war das sein Himmel
auf Erden.“82 Trotz aller Regeln, die der menschlichen Vernunft entspringen, trotz
aller religiöser Gebote und staatlicher Gesetze, die das menschliche Zusammenleben
„human“ gestalten sollen, gelingt es bis heute nicht Gewalt von Menschen gegen
Menschen und Grausamkeiten auszuschließen.
81
82
http://meister.igl.uni-freiburg.de/gedichte/sch_fv04.html (03.11.2012)
Nietzsche ZA. 464.
18
Literaturverzeichnis
Primärliteratur:
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Juvenal, Satiren, hg. u. übers. v. J. Admietz in: http://wwwgewi.uni-graz.at/spectatores/entryßid=296&action=detail
(03.11.2012).
Fink (2007)
Seneca, Epistulae morales ad Lucilium. Briefe an Lucilius,
Band 1, lateinisch-deutsch, hg. u. übers. v. G. Fink, Düsseldorf
2007.
Hoenn (1952)
Marcus Tullius Cicero, Gespräche im Tuskulum, eingeleitet
und neu übertragen von Karl Büchner, hg. v. K. Hoenn, Zürich
1952.
Schlechta (1954)
Friedrich Nietzsche, Werke in drei Bänden, Band 2, hg. v. K.
Schlechta, München 1954.
Sekundärliteratur:
Köhne (2000)
E. Köhne, Brot und Spiele. Die Politik der Unterhaltung, in:
E. Köhne, M. Junkelmann, W. Stroh, C. Ewigleben, V.
Albers, Gladiatoren und Caesaren. Die Macht der
Unterhaltung im antiken Rom, hg. v. E. Köhne, Hamburg
2000, S.13-38.
Junkelmann (2000a)
M. Junkelmann, Familia Gladiatoria. Die Helden des
Amphitheaters, in: E. Köhne, M. Junkelmann, W. Stroh, C.
Ewigleben, V. Albers, Gladiatoren und Caesaren. Die Macht
der Unterhaltung im antiken Rom, hg. v. E. Köhne, Hamburg
2000, S. 39-80.
Junkelmann (2000b)
M. Junkelmann, Das Spiel mit dem Tod. So kämpften Roms
Gladiatoren, Mainz am Rhein 2000.
Wiedemann (1992)
T. Wiedemann, Kaiser und Gladiatoren. Die Macht der
Spiele im antiken Rom, Darmstadt 1992.
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Friedrich Schiller/ Das Lied von der Glocke:
http://meister.igl.uni-freiburg.de/gedichte/sch_fv04.html (03.11.2012)
19
Fronto/Princ. hist. 17:
http://www-gewi.uni-graz.at/spectatores/entry?id=633&action=detail (03.11.2012)
Gesetze im Internet/Art.3:
http://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_3.html (03.11.2012)
Gesetze im Internet/Art.1:
http://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_1.html (03.11.2012)
Global-ethic:
http://www.global-ethic-now.de/gen-deu/0c_weltethos-und-politik/0c-02menschenrechte/0c- 02-112-rom.php (03.11.2012)
P.M. Magazin:
http://www.pm-magazin.de/r/gute-frage/war-%C2%BBdaumen-runter%C2%ABfr%C3%BCher-das-todesurteil (03.11.2012)
Schipp:
http://www.geocities.ws/films4/massenspektakel.html (03.11.2012)
Spiegelonline:
http://www.spiegel.de/panorama/corrida-verbot-in-katalonien-tod-dem-stierkampf-a708886.html (03.11.2011)
Wikipedia/Gladiator:
http://de.wikipedia.org/wiki/Gladiator (03.11.2012)
Wikipedia/Kolloseum:
http://de.wikipedia.org/wiki/kolosseum (03.11.2012)
Wikipedia/Panem et circenses:
http://de.wikipedia.org/wiki/Panem_et_circenses (03.11.2012)
Abbildungsverzeichnis:
Abb.1:http://gallery-allart.do.am/Art_1/JeanLeon_Gerome/Gladiator/0140.jpeg
Abb.2:www.class.ulg.ac.be/images2/medaillon.jpg
Abb.3:http://www.utexas.edu/courses/introtogreece/gladiators/img25secutor.
Abb4.Abb7:http://www.livius.org/a/libya/zliten/dar_buc_ammera_gladiators_tripoli_
mus12.jpg
Abb5.Abb.6:http://www.livius.org/a/libya/zliten/dar_buc_ammera_gladiators_tripoli
_mus05.JPG
Abb.8:http://subject.jccssyl.edu.hk/subjects/history/subhtml/library/images/Rome/CO
LOSSEUM.jpg
20
Erklärung zur Seminararbeit
Hiermit erkläre ich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne fremde
Hilfe verfasst und keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel verwendet habe.
Insbesondere versichere ich, dass ich alle wörtlichen und sinngemäßen Übernahmen
aus anderen Werken als solche kenntlich gemacht habe.
Regensburg den .........................
...........................................
Unterschrift
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