Skript der Vorlesung - Fakultät Wirtschafts

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Skript der Vorlesung - Fakultät Wirtschafts
1
Universität Hamburg
Institut für Politische Wissenschaft
Prof. Dr. Cord Jakobeit
Wintersemester 2008/2009
Sprechstunde: Di, 14-16
IPW, R 207
22-122.10: Regieren in inter- und transnationalen Institutionen
Mo, 16-18 Uhr, VMP5, Hörsaal A
Skript der Vorlesung
1. Vorlesung (20.10.) – Einführung und Semesterplan
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Definitionen und zentrale Begriffe
Regieren im globalen Mehrebenensystem
Außenpolitik – Internationale Politik – Int. Beziehungen
Zur Geschichte der Internationalen Beziehungen
Forschungsfelder der Internationalen Beziehungen
Die Module „Regieren in inter- und transnationalen Institutionen“ (AM 1 und VM 2)
Termine und Themen (Vorgehensweise und Wochenplan)
Funktionen von Theorien
Zusammenfassung: Drei Erkenntnisse
Definitionen und zentrale Begriffe:
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1.
2.
3.
4.
Zentral ist der Begriff des „Regierens“ bzw. der „Governance“:
Governance ist „das Gesamt aller nebeneinander bestehenden Formen der
kollektiven Regelung gesellschaftlicher Sachverhalte: von der institutionalisierten
zivilgesellschaftlichen Selbstregelung über verschiedene Formen des
Zusammenwirkens staatlicher und privater Akteure bis hin zu hoheitlichem Handeln
staatlicher Akteure” (Mayntz 2004: 66).
International: Das grenzüberschreitende Handeln zwischen den Staaten
Transnational: Das grenzüberschreitende Handeln zwischen privaten Akteuren
(Beispiel: TNC, Terroristen, Mafia - transnationale Kriminalität) bzw. zwischen
privaten Akteuren und Staat (Beispiel: Public-Private-Partnerships)
(Internat.) Institutionen: „persistent and connected sets of rules (formal and informal)
and bureaucratic entities that prescribe behaviorial rules, constrain activity and shape
behavior“ (Keohane 1989: 3).
Akteure: Staaten, IGO, NGO, TNC - Die Interaktionen von staatlichen,
nichtstaatlichen und privaten Akteuren
Strukturen: Z.B. internationale Regime - Die von den Akteuren geschaffenen,
beeinflussten, genutzten, aufrechterhaltenen, geänderten oder zerstörten Beziehungsmuster
Prozesse: Z.B. Entscheidungsabläufe im UN-Sicherheitsrat - Die Phasen politischer
Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse, die Problemwahrnehmung,
Willensbildung, Entscheidungsfindung zwischen den Akteuren (Politics)
Formen: Z.B. die vertraglichen Grundlagen der EU (Polity)
Regieren im globalen Mehrebenensystem:
Governance by
Governments
Intergouvernementale Kooperation
IGOs
2
Governance with
Government(s)
Global Policy Networks, PPPs
Staaten, IGOs, NGOs, TNCs
Governance without
Government(s)
Transnationale Netzwerke
ICAN, Lex mercatoria, Schiedsgerichte
Außenpolitik – Internationale Politik – Int. Bez.:
Aktionsformen
Akteure
Beispiele
Außenpolitik
Regierungen
Dtsch. Afrika-Politik
Internationale
Politik
IGOs, Staatengruppen, Bündnisse
UNO, Weltbank, G-8,
NATO
Supranat. Politik
und Verfahren
Supranat. Einrichtungen
EU-policies (Agrar,
Außenhandel), WTO
Streitschlichtung, IStGH
Transstaatliche
Politik
Einzelressorts, substaatl. Verwaltungseinheiten
EU-Fachministerräte, Städtepartnerschaften
Transnationale
Politik
Parteien, Kirchen,
NGOs
Sozialist. Internationale, Weltkirchenrat, Greenpeace, AI
Außenpolit. Einflußnahme
Verbände, NGOs
Friedensbewegung,
ATTAC
Zur Geschichte der Internat. Beziehungen:
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Vorgänger: Völkerrecht, Politische Theorie, Geschichte der Diplomatie
„Kind des Ersten Weltkrieges“ – Verständigung zwischen britischen und USamerikanischen Delegierten bei den Versailler Friedensverhandlungen,
wissenschaftliche Institute zur Erforschung der internationalen Beziehungen zu
gründen
Entwicklungslinien: Idealismus, Realismus, Liberalismus, Kritische Theorie,
Konstruktivismus, Postmoderne
Koexistenz unterschiedlicher theoretischer und methodologischer „Schulen“
Forschungsfelder der Internat. Beziehungen:
Ziele der internat. Politik: Sicherheit – Wohlfahrt – Recht/Partizipation (Kultur, Umwelt etc.)
•
Friedens- und Konfliktforschung sowie Sicherheitspolitik
•
Außenpolitikanalyse
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Theorien der Internationalen Beziehungen
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Internationale Wirtschaftsbeziehungen
•
Entwicklungstheorien Nord-Süd-Beziehungen und Ent-wicklungspolitik
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Regionale Integration
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Internationale Umweltpolitik
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Internationale Organisationen
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Globalisierung und ‚Global Governance‘
3
•
Transnationale Politik
Die Module „Regieren in inter- und transnat. Institutionen“ (AM 1 und VM 2
bzw. EM 2):
1.
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2.
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3.
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Globalisierung und Global Governance
Theorien der Globalisierung
Konzepte von Global Governance
Form und Funktionswandel des Nationalstaats
Konfliktursachen und -bearbeitung
Krieg und Frieden
Die Erklärung gewaltsamer Konflikte und ihrer Ursachen
Konfliktprävention, Konfliktmanagement, Konfliktbearbeitung, PostKonfliktbearbeitung
Menschenrechte, Demokratie und Entwicklung
Grundlagen der Menschenrechte
Transformation und Transition
Entwicklungspolitik, Entwicklungstheorien und Nord-Süd-Beziehungen
Termine und Themen:
1) 20.10.:
2) 27.10.:
3) 03.11.:
4) 10.11.:
5) 17.11.:
6) 24.11.:
7) 01.12.:
8) 08.12.:
9) 15.12.:
10) 05.01.:
Einführung und Überblick
Theorien I: Die beiden „Großtheorien“
Wie argumentieren, woraus bestehen und wie
bewertet man Neorealismus und Liberalismus/
Idealismus?
Theorien II: Neuere Theoriedebatten in den IB
Kritische Theorie, Konstruktivismus, Postmoderne –
wider die großtheoretische Dominanz
Akteure und Akteursgruppen
Nationalstaaten, IGOs, TNCs, NGOs – wer hat
welche Steuerungsmöglichkeiten und mit welchen
Mitteln welche Art von Einfluss?
Globalisierung und Global Governance I:
Was sind und wozu führen Globalisierungsprozesse
und wie reagiert internationale/transnationale Politik
darauf?
Globalisierung und Global Governance II:
Befunde, Theorien, Methoden – der Streit über die
Globalisierung
Globalisierung und Global Governance III:
Global Governance und Governance im globalen
Mehrebenensystem – kann globales Regieren
gelingen?
Konfliktursachen und -bearbeitung I:
Neue Kriege – alte Probleme? Krieg und Frieden oder
was erklärt die Kontinuität von Gewalt und Krieg in der
Weltgesellschaft?
Konfliktursachen und -bearbeitung II:
Friedens- und Konfliktforschung und der Versuch,
Sicherheit und Frieden international/transnational zu
organisieren
Konfliktursachen und -bearbeitung III:
Wie verhindert man Gewalt und Krieg, wie sind
4
11) 12.01.:
12) 19.01.:
13) 26.01.:
14) 02.02.:
Gewalt und Krieg zu beenden und was kommt nach
dem Ende der Gewalt?
Menschenrechte, Demokratie und Entwicklung I:
Die Menschenrechtsdebatte, Stand der Menschenrechtsentwicklung und Universalität vs. Partikularität
der Menschenrechte
Menschenrechte, Demokratie und Entwicklung II:
Demokratietheorien, Stand der Transition und lässt sich die Demokratie mit
Gewalt durchsetzen?
Menschenrechte, Demokratie und Entwicklung III:
Von Armut und Reichtum der Nationen oder wie löst
man das Armutsproblem?
Abschlussklausur
BA: 90-minütige Klausur; 8 Fragen insgesamt, davon 2
Multiple-Choice-Fragen, 4 Wissensfragen und 2 Essayfragen; 60 Punkte insgesamt, mindestens 30 für das
Bestehen
MA: 90-minütige Klausur, 10 Fragen insgesamt, davon 2
Multiple-Choice-Fragen, 5 Wissensfragen und 3 Essayfragen; 80 Punkte insgesamt, mindestens 40 für das
Bestehen
Materialien/Skript jeweils nach der Vorlesung unter:
http://www.sozialwiss.uni-hamburg.de/Ipw/personal/jakob.html#lehre
2. Vorlesung (27.10.) – Theorien I: Die beiden „Großtheorien“
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Funktionen von Theorien
Warum überhaupt Theorien?
Großtheorien vs. Theorien mittlerer Reichweite
Gemeinsamkeiten des realistischen Denkens
Varianten des realistischen Denkens
Gemeinsamkeiten des liberalen/idealistischen Denkens
Grundlagen des liberalen/idealistischen Denkens
Varianten des liberalen/idealistischen Denkens
Absolute versus relative Gewinne
Zusammenfassung: Drei Erkenntnisse
Funktionen von Theorien:
Theorien liefern:
•
Begriffe und Definitionen
•
Diagnosen und Eingrenzungen (Parsimonität)
•
Erklärungen und Verständnis sowie
•
Prognosen
Warum überhaupt Theorien?
•
Die Parabel von den drei Blinden und dem Elefanten oder 'beauty lies in the eyes of
the beholder'
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Die Einsicht der Kritischen Theorien: „theory is always for someone or something“ Theorie ist nicht neutral, sondern immer auch politisch und historisch determiniert
Sozialwissenschaftliche Theorien bilden nicht „die Wahrheit“ ab, sondern erlauben
eine Annäherung an Erklärungen aus unterschiedlichen Perspektiven
Großtheorien zeichnen sich dagegen dadurch aus, dass deren bornierte Vertreter
behaupten, „ihre“ Theorie erkläre „die Wahrheit“, während die andere Großtheorie
dummes Zeug sei
Großtheorien versus Theorien mittlerer Reichweite:
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Großtheorien arbeiten mit Absolutheitsanspruch und wollen mit vergleichsweise
wenigen Variablen alles erklären (Bsp.: Realismus sowie Liberalismus/Idealismus)
Theorien mittlerer Reichweite haben nur begrenzten Erklärungsanspruch, sind
spezieller bzw. partieller zugeschnitten und wollen mit einer begrenzten Zahl von
Variablen einen eingegrenzten Bereich erklären (Bsp.: Theorien der europäischen
Integration – Integrationstheorien
Tendenz zur Abwendung von Großtheorien und zur Proliferation von Theorien
mittlerer Reichweite, die aber häufig von Großtheorien abgeleitet sind (Bsp: EU)
Gemeinsamkeiten des realistischen Denkens:
1.
2.
3.
4.
Pessimistische Annahmen über die Natur des Menschen – Unsicherheit und das
Fehlen von Vertrauen
Internationale Beziehungen sind konfliktreich und inter-nationale Konflikte letztlich nur
durch Krieg zu lösen
Hohe Wertschätzung für nationale Sicherheit und das Überleben des Staates in der
internationalen Anarchie – offensive militärische Fähigkeiten (Sicherheitsdilemma)
und möglichst große Machtpotentiale sind gefragt
Skeptische Sicht auf mögliche Fortschritte in der internationalen Politik, ad hoc
Koordination möglich, dauerhafte Kooperation eher nicht
Varianten des realistischen Denkens:
Klassischer
Realismus
Struktureller
Realismus
Offensiver
Realismus
Warum streiten Staaten
um Macht?
Machtstreben
ist Staaten inhärent
Struktur des
Systems Anarchie
Struktur des
Systems Anarchie
Wie viel
Macht wollen die
Staaten?
Maximierung
Machtgleichrelativer Macht gewicht
(Hegemonie
als letztes Ziel)
Maximierung
relativer Macht
(Hegemonie
als letztes Ziel)
Gemeinsamkeiten des liberalen/idealistischen Denkens:
1.
2.
3.
Die positive Bewertung der Natur des Menschen und der Mensch als zentrale
Analyseeinheit
Die Überzeugung, dass die internationalen Beziehungen kooperativ und nichtkonflikthaft gestaltet werden können
Der Glaube an den Fortschritt, eine optimistische Grundhaltung
6
4.
Das Ziel einer stabilen internationalen Friedensordnung mit der Steigerung von
Sicherheit, Wohlfahrt und Recht/Partizipation für alle, dauerhafte Kooperation in
internationalen Regierungsorganisationen, absolute Gewinne durch Kooperation
Grundlagen des liberalen/idealistischen Denkens:
1.
2.
3.
4.
5.
Die Selbstbestimmungsfähigkeit der Individuen
Die individuellen Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger gegenüber dem Staat
Die Bändigung politischer Herrschaft durch die Verfassung, politische Teilhaberechte
Die weitgehende Selbstregulierung der Ökonomie durch den Markt
Der evolutionäre Charakter geschichtlichen Fortschritts
Varianten des liberalen/idealistischen Denkens:
Utopischer Liberalismus/Idealismus
Woodrow Wilson (1856-1924); „The world must be made safe for democracy.“ 14-PunkteProgramm von 1918 (Förderung der Demokratie, Ende der Geheimdiplomatie, Freihandel,
Abrüstung, Selbstbestimmungsrecht der Völker, Völkerbund). Durch eine rational und
intelligent geschaffene Internationale Organisation muss es möglich sein, den Krieg zu
beenden und einen permanenten Frieden zu schaffen.
Soziologischer Liberalismus
Karl W. Deutsch (1912-1992); Transaktionismus: dichte transnationale Beziehungen
zwischen Gesellschaften führen zu einer „Sicherheitsgemeinschaft“, in der die Menschen zu
der Überzeugung gelangt sind, dass ihre Konflikte und Probleme ohne den Rekurs auf
kriegerische Mittel gelöst werden
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Interdependenztheoretischer Liberalismus
während in der Vergangenheit der Besitz von Land und von natürlichen Ressourcen
wichtig für Sicherheit und Wohlstand waren, kommt es heute mehr auf
hochqualifizierte Arbeitskräfte sowie auf ungehinderten Zugang zu Informationen und
zu Kapital an
die „Handelsstaaten“ erhöhen durch eine starke Arbeitsteilung die gegenseitige
Abhängigkeit und reduzieren damit den kriegerischen Konfliktaustrag
„komplexe Interdependenz“, in der auch die internationale Politik immer mehr zur
Innenpolitik wird; transnationale Akteure verfolgen mit und neben den Staaten ihre
eigenen Ziele; ‚low politics‘ und Wohlfahrtsziele werden immer wichtiger; die
Bedeutung internationaler Organisationen nimmt zu (gleichwohl bleibt bei Fragen von
„Leben und Tod“ der Nationalstaat wichtig)
Institutionalistischer Liberalismus (Regimetheorie)
Internationale Institutionen sind völkerrechtliche Vereinbarungen,
intergouvernementale internationale Organisationen, internationale Regime
(Prinzipien, Normen, Regeln, Verfahrensweisen - ihr Entstehen, ihr Wandel, ihre
Wirkung)
Institutionen erleichtern die Beschaffung von Informationen, ermöglichen
Erwartungsverlässlichkeit, erlauben die Überwachung von Vereinbarungen, schaffen
ein Verhandlungsforum und senken die Transaktionskosten
Republikanischer Liberalismus (Theorem vom „demokratischen Frieden“)
Demokratien führen untereinander keine Kriege, weil demokratische Normen auf
friedlichen Konfliktaustrag angelegt sind, weil Demokratien auf gemeinsamen
moralischen Werten und Überzeugungen (u.a. Meinungs- und Pressefreiheit)
7
•
beruhen, die im Umgang miteinander auf Friedfertigkeit angelegt sind, und weil unter
ihnen die ökonomische Interdependenz hoch ist
außenpolitische Konsequenz: die Ausbreitung und Stärkung von Demokratien
weltweit (auch mit militärischen Mitteln?)
Absolute versus relative Gewinne:
Absolute Gewinne:
So lange es uns gut geht, stört es nicht, wenn es anderen noch besser geht – beide
profitieren
Beispiel: Die US-Wirtschaft wächst im kommenden Jahrzehnt um 25 Prozent, die der EU um
75 Prozent.
Relative Gewinne:
Wir werden unser bestes geben, aber unser zentrales Ziel bleibt es, dass uns die anderen
nicht überflügeln.
Beispiel: Die US-Wirtschaft wächst im kommenden Jahrzehnt um 10 Prozent, die der EU um
10,3 Prozent.
Einer US-Regierung, die sich am zweiten Szenario orientiert, geht es um die Beachtung
relativer Gewinne.
(Zero-Sum-Game vs. Positive-Sum-Game)
Zusammenfassung:
1.
2.
3.
Zentrale Parameter des Realismus: Anarchie, Skeptizismus/Pessimismus, Streben
nach relativen Gewinnen, Sicherheitsdilemma, sporadische Koordination – drei
Realismen
Zentrale Parameter des Liberalismus/Idealismus: Individuen,
Optimismus/Fortschrittsglaube, Streben nach absoluten Gewinnen, internationale
Rechtsordnung, dauerhafte Kooperation – fünf Liberalismen
Zentrales Problem der Neorealisten ist die Staatsfixierung, zentrales Problem der
Idealisten/Liberalen ist die Machtvergessenheit
Zusammenfassung der ersten Sitzung als Nachtrag:
1.
2.
3.
Politisches Entscheiden und Regieren jenseits des Nationalstaates tritt in drei
verschiedenen Formen auf: Governance by/with/and without Governments
Die internationalen Beziehungen sind eine relativ junge Disziplin, die in der
angelsächsischen Welt eigenständig ist, bei uns aber als Teil der Politikwissenschaft
behandelt wird
Theorien liefern Begriffe und Definitionen, Diagnosen und Eingrenzungen und sie
sollen in erster Linie erklären. Die Prognosefähigkeiten von sozialwissenschaftlichen
Theorien sind notorisch begrenzt
3. Vorlesung (03.11.) – Theorien II: Neuere Theoriedebatten in den IB
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Die vier Debatten in den IB
Beiträge der „Großtheorien“ zum Regieren in inter- und transnationalen Institutionen
Grundzüge der Kritischen Theorie
Kritische Theorie am Beispiel der europäischen Integration
Stärken und Schwächen der „kritischen Integrationstheorie“
Grundzüge des Konstruktivismus
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Konstruktivismus am Beispiel der europäischen Integration
Stärken und Schwächen des Konstruktivismus
Grundzüge von Positivismus und Postmoderne
Stärken und Schwächen der Postmoderne
Zusammenfassung: Drei Erkenntnisse
Die vier Debatten in den Internationalen Beziehungen:
1.
2.
3.
4.
1940er und 1950er Jahre: Realismus versus Liberalismus/Idealismus
1960er Jahre: Klassischer Realismus versus Szientizismus
1970er und 1980er Jahre: Strukturelle Neorealisten versus (liberale)
Neoinstitutionalisten
1990er Jahre bis heute: Positivisten (Neorealismus und Neoinstitutionalismus) versus
Post-Positivisten (z. T. Konstruktivisten und Poststrukturalisten)
Beiträge der „Großtheorien“ zum Regieren in inter- und transnationalen Institutionen:
Neorealismus:
●
Zentrales Problem ist die Staatsfixierung – der autonome Handlungscharakter
anderer Akteure (TNC, IGO, NGO) wird negiert
●
Transnationale Herausforderungen, wie z.B. der Terrorismus, werden zu einem
Problem, das sich staatlich fixieren lässt (Afghanistan, Irak)
●
Die Vielfalt der bestehenden internationalen Regime und Institutionen wird nicht als
dauerhaft angesehen („brittle stalks“)
●
Insbesondere der offensive Realismus offeriert Erklärungen z.B. für das
außenpolitische Verhalten der USA (Wahrung bzw. Ausbau der erreichten
Hegemonialposition – Gegenallianzbildung der anderen)
Idealismus/Liberalismus:
Steigende Interdependenz, Bedeutung innergesellschaftlicher Akteure, die
transnational agieren, Zunahme von internationalen Regimen und Institutionen,
Ausbreitung der Demokratie (3. Welle) – viele Gegenwartsphänomene sind mit den
Varianten des Liberalismus erklärbar, wenn auch nicht immer sehr präzise
●
Das außenpolitische Verhalten der USA ist jedoch nur schwer mit diesem Ansatz zu
verstehen, allenfalls in Teilen (NSS 2002 und 2006) – die Ansätze leiden unter
Machtvergessenheit
●
Grundzüge der Kritischen Theorie:
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Wissen ist nie neutral, sondern historisch und politisch determiniert („theory is always
for someone or something“)
Ziel ist die Veränderung der Welt, nicht ihre Interpretation („emancipation and
empowerment“)
Unterscheidung zwischen Problemlösungstheorien (die Welt wie sie ist – status quo)
und kritischen Theorien (die Welt wie sie sein sollte – Veränderung)
Aufdecken der existierenden sozialen und politischen Ungleichheiten und
Ungerechtigkeiten als Programm
Kritische Theorie am Beispiel der europäischen Integration:
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Regulationstheorie, Staatstheorie und neo-gram-scianische Analyse der
europäischen Integration
Abgrenzung zur postmodernen Integrationstheorie: Kognitive Unerschließbarkeit der
Welt – kulturelle und diskursive Perspektive im Vordergrund
Analyse der spezifischen historischen, politischen und materiellen Konfiguration, die
Integration ermöglicht, antreibt oder behindert
Machtstrukturen und Herrschaftsmechanismen
Ausloten einer alternativen europäischen Ordnungs- und Governance-Struktur –
wider die neoliberale Hegemonie
Analyse der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse und der diesen zugrunde liegenden
Akkumulations- und Krisendynamik
Europäische Konfiguration als Widerspruch von Marktintegration und politischer
Integration
Stabiler Machtblock aus weltmarktorientierten Kapitalfraktionen (Banken,
Versicherungen, TNK), anderen Akteuren (Zentralbanken, Arbeitgeberverbänden,
Regierungen) setzt mit dem Binnenmarktprogramm neoliberalen Basiskonsens
gesetzlich um (Flexibilisierung, Deregulierung, Privatisierung, Monetarismus) - „new
constitutionalism“ (S. Gill)
Analyse der Wirtschafts- und Währungsunion: Austeritätspolitische Vorgaben
schränken den sozial- und fiskalpolitischen Handlungskorridor der Nationalstaaten
ein: Strukturanpassung nach innen durchsetzen, um „fit“ für den Weltmarkt zu werden
– credibility, consistency, confidence
„Post-Maastricht-Krise“: Legitimationsproblem, da Konsens zwischen maßgeblichen
sozialen und politischen Kräften und weiten Teilen der Bevölkerung erodiert
Hegemonialer Neoliberalismus bedient sich immer stärkerer Zwangsmaßnahmen
Stärken und Schwächen der “kritischen Integrationstheorie”:
Stärken:
•
Gegenentwurf – Demaskierung von Herrschaftsinteressen
•
Berücksichtigung von transnationalen Akteuren (TNCs stärker als NGOS)
•
Erklärungsansatz für gegenwärtige Ernüchterung mit dem vorwiegend
marktintegrativen Integrationsprojekt
Schwächen:
•
Verengung der Perspektive auf ökonomische Zwänge (Verwertungsinteressen des
Kapitals)
•
Ausblenden von Lernprozessen, Ideen, Kommunikation, Diskursen
•
Rolle der Politik und Veränderbarkeit von Politik in viele Richtungen bleiben
unterdimensioniert
•
Verkürztes Demokratieverständnis
•
Undeutlichkeit der Konturen des „emanzipativen Gegenentwurfs“
Grundzüge des Konstruktivismus:
1.
2.
3.
Ideen, Werte, Normen, Kontexte und soziale Identitäten als zentrale Analyseeinheit
Die Überzeugung, dass Ideen, Werte und Normen die internationalen Beziehungen
stark beeinflussen und Wandel daher möglich ist
Der Glaube an Lernprozesse, strukturierten Wandel und an die Möglichkeiten des
Kommunikationsprozesses
10
4.
Das Ziel bleibt die dauerhafte Verbannung des Krieges, aber das Ergebnis der
Bemühungen ist offen
Konstruktivismus am Beispiel der europäischen Integration:
●
●
●
●
Integration wird als graduelle Angleichung der Werte und Normen der beteiligten
Staaten begriffen
Beispiel Osterweiterung: Was erklärt die Aufnahme neuer Staaten, wenn auch eine
Zollunion der marktintegrativen Logik genügt hätte?
Die EU hatte sich vor 1989/90 bereits als Wertegemeinschaft definiert und das mit
den „Kopenhagener Kriterien“ 1993 bekräftigt: Demokratie, Marktwirtschaft und
'acquis communautaire'
Die EU-internen Gegner der Osterweiterung konnten kaum hinter die formulierten
Kriterien zurück, nachdem die Bedingungen sich geändert hatten
Stärken und Schwächen des Konstruktivismus:
Stärken:
●
Über längere Zeiträume können Veränderungsprozesse in der Wahrnehmung der
Akteure erfasst werden
●
Rationales Handeln ist nur eine Seite der Medaille – Kommunikation, integratives (vs.
distributives) Bargaining und die Logik der Angemessenheit müssen berücksichtigt
werden
●
Die Präferenzen der Akteure sind im Verhandlungsprozess veränderbar
Schwächen:
●
Problem des Nachweises – methodisch nur schwer umsetzbar (teilnehmende
Beobachtung, Interpretation, Textanalyse)
●
Es gibt Interessen und daraus abgeleitete Präferenzen, die „nicht verhandelbar“ sind
●
Gefahr der Machtvergessenheit – die Akteure sind nicht gleich
●
Rationales Handeln wird nicht aufgehoben – Kommunikation vermag nicht alles
Grundzüge von Positivismus und Postmoderne:
Positivismus:
•
die Realität existiert außerhalb des subjektiven Bewusstseins
•
Aufgabe der Wissenschaft ist es, die Welt mit rationalen Methoden zu erfassen, zu
beherrschen und zu verändern
•
die Rationalität ist die einzig akzeptierte Autorität - dagegen sind Tradition, Moral und
Vorurteile in das Reich des Unwissenschaftlichen zu verbannen
•
die Kernfunktion der Wissenschaft besteht in der Prüfung von Aussagen auf ihren
Wahrheitsgehalt
•
Wissenschaft ist neutral gegenüber den in der Gesellschaft existierenden Interessen
und einzig an Wahrheit und dem Allgemeinwohl interessiert
Kritik am Positivismus:
•
der Positivismus wird zu einer Art der Wirklichkeitskonstruktion, die bestehende
Interessenunterschiede und gesellschaftliche Spaltungen nicht nur ausblendet,
sondern z.T. sogar begründet
•
Wissenschaft wird zur Ersatzreligion, ohne die eigene Rolle zu reflektieren und die
tief liegenden Hierarchien und Hegemonialstrukturen zu kritisieren
11
•
Der Positivismus blendet die historische und soziale Eingebundenheit der Subjekte
fälschlicherweise aus
Postmoderne:
•
niemand kann im Besitz „der“ Wahrheit sein; es liegt am Individuum, wie es die Welt
ordnet; dieses Denken produziert durch seine Ordnungsleistung Wirklichkeit;
Wahrheit gibt es nicht und Wirklichkeit ist konstruiert
•
die Postmoderne fordert Vielfalt, ein friedliches Nebeneinander unterschiedlicher
Theorien, Weltsichten, moralischer Standards und Kulturen (Kontextualisierung)
•
die politische und ethische Absicht hinter dem Großteil postmoderner Forschung ist
es, individuelle Besonderheiten als wichtig festzuhalten und gegen die
Vereinheitlichung im Rahmen einer großen umfassenden Theorie aufzutreten
Stärken und Schwächen der Postmoderne:
Stärken:
•
Realität ist immer kontextabhängig – alle „Wahrheiten“ müssen hinterfragt werden –
das ist mühsam, aber einfacher geht es leider nicht
•
Anknüpfung an kritische Theorie – Wer will was mit einer bestimmten Theorie (oder
einer bewussten Theorielosigkeit) erreichen?
•
Neue methodische Zugänge: Diskurse, Gouvernementalität (statt governance) etc.
Schwächen:
•
wenn allein das Individuum zur bestimmenden Einheit im Erkenntnisprozess und in
der Bewertung von Handlungen wird, dann gibt es keine objektive
Beurteilungsinstanz mehr, dann sind verschiedene individuelle Entscheidungen und
Handlungen gleichermaßen gültig, d.h. gar nicht vergleich- und bewertbar – Gefahr
der Relativierung und Orientierungslosigkeit
•
die politische Folge ist oft der Relativismus, dass Verlieben in das Detail, dass
„anything goes“, was dann paradoxerweise zur Gleichgültigkeit gegenüber den
verschiedenen individuellen Sichtweisen und Lebensstilen führen kann – der
konsistente Gegenentwurf fehlt
Zusammenfassung:
1.
2.
3.
Die kritische Theorie demaskiert Herrschaftsmechanismen, bleibt aber im
„Gegenentwurf“ vage.
Der Konstruktivismus hilft beim Verständnis von Lern- und Anpassungsprozessen, ist
aber nur schwer zu operationalisieren.
Postmoderne Ansätze stellen scheinbare Wahrheiten in Frage, machen das Leben
für das Individuum aber nicht leichter, weil die Orientierung und Sinnhaftigkeit selbst
erschlossen werden muss.
4. Vorlesung (10.11.) – Akteure und Akteursgruppen
•
•
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•
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Literaturempfehlungen Theorie
Zur Begrifflichkeit der Akteursdimension
Akteure und Zuordnungen
Exkurs: Über die Besonderheit des Akteurs EU
Der Staat: Weiter im Zentrum der Analyse?
Internationale Regierungsorganisationen (IGOs): Instrumente der Staaten oder
mehr?
Transnationale Konzerne (TNKs): Wider die Dominanz staatlicher Souveränität?
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•
•
•
Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs): Wie regiert die Zivilgesellschaft?
Drei Formen der Governance
Zusammenfassung: Drei Erkenntnisse
Literaturempfehlungen Theorie:
Schieder, Siegfried und Spindler, Manuela (Hrsg.) (2006): Theorien der Internationalen
Beziehungen, 2. Aufl., Stuttgart: UTB. € 19,90.
Menzel, Ulrich (2001): Zwischen Idealismus und Realismus, Frankfurt/Main: Suhrkamp. €
11,00.
List, Martin (2006): Internationale Politik studieren. Eine Einführung, Wiesbaden: VS Verlag.
€ 29,90.
Dunne, Tim et al. (Hrsg.), (2007): International Relations Theory. Discipline and Diversity,
Oxford und New York: Oxford University Press. € 36,95.
Zur Begrifflichkeit der Akteursdimension:
•
•
•
•
•
Akteursvielfalt: Shell, Greenpeace, Bill Gates, der UN-Generalsekretär, Malawi, der
IWF, die EU-Kommission …
Akteur als analytischer Konkurrenzbegriff zum Staat (Struktur)
In den IB ist die Staatszentriertheit immer mehr unter Druck geraten – gemischte
Akteursmodelle treten zunehmend an deren Stelle (aber: Neorealismus)
Der Akteursbegriff umfasst die Vielzahl an Personen, Institutionen und
Organisationen, die am Prozess des Regierens direkt oder indirekt beteiligt sind
Begriffspräzisierungen anhand von weiteren Kriterien wie Aufgaben, Grad der
Autonomie, Einflussmöglichkeiten, Ressourcen und Potenziale, Interessen und
Präferenzen etc. der Akteure sind notwendig
Akteure und Zuordnungen:
•
Subnational -
•
•
•
•
National Regional International Supranational -
•
Transnational -
(kommunale, föderale (Länder-)
Einheiten, NGOs)
(Staaten)
(Regionale Integration von Staaten)
(Staatliche Außenpolitik und IGOs)
(Institutionen sui generis
das Beispiel EU)
TNKs, INGOs, Privatpersonen
Exkurs: Über die Besonderheit des Akteurs EU:
Die EU ist kein internationales Regime, weil anders als bei „normalen“ internationalen
Regimen
•
die Kommission über eine Vertragswächter- und Integrationsmotorfunktion verfügt,
•
es in der EU eine eigenständige, übergeordnete Rechtsordnung gibt,
•
die EU über eigene Einnahmequellen verfügt und weil
•
in bestimmten Bereichen Mehrheitsentscheidungen möglich sind
Die EU ist keine Föderation, weil
•
die genaue Kompetenzverteilung zwischen den Institutionen immer noch umstritten
ist,
•
die redistributive Ebene begrenzt bleibt und weil
•
der Legitimationsmangel bei der Bevölkerung fortbesteht.
13
⇒
Die EU als Institution sui generis, die mehr ist als eine IGO
Drei Formen von Governance in der EU:
1. Hierarchisch: EUGH, Kommission als “Wächter der Verträge” und über
Mehrheitsentscheidungen im Ministerrat in der 1. Säule und in Teilen der 3. Säule
(Terrorismusbekämpfung)
2. Verhandelt: Intergouvernementale Entscheidungen in der GASP (2. Säule) und in
weiten Teilen der 3. Säule (open method of coordination)
3. Im Wettbewerb über den Markt: Steuerstandortwett-bewerb (Renten-, Gesundheits-,
Arbeitsmarkt-, Sozial-, Bildungspolitik)
Der Staat: Weiter im Zentrum der Analyse?
These 1: Der Staat unterliegt einem Wandlungsprozess, aber er bleibt von zentraler
Bedeutung
•
Die Zunahme in der Zahl von IGOs ist Ausdruck staatlicher Wandlungs- und
Anpassungsfähigkeiten (Institutionalismus, Fusionsthese)
•
In allen IGOs behalten die Staaten das letzte Wort (auch in der EU, wenngleich hier
die Einschränkungen am größten sind)
•
Die Identitätsmuster und Wahrnehmungen bleiben weitgehend nationalstaatlich
geprägt
•
Auch für den Bereich der Wirtschaft gilt, dass Staaten weiterhin Steuern erheben und
wichtige Lebensbereiche (Arbeit, Bildung, Gesundheit) nationalstaatlich regulieren
•
Recht und Sicherheit gelten in erster Linie in nationalen Grenzen (auch wenn im EUMehrebenensystem zunehmende Überlappungen festzustellen sind)
•
Auch wenn der Staat im Zuge von Deregulierung und Privatisierung zurückgedrängt
wird, so bleibt sein Einfluss bei der Setzung und Überwachung der Rahmenbedingungen zentral (neue Regulierungsbehörden, Wettbewerbskontrolle)
•
Demokratische Legitimität bleibt an den Nationalstaat gekoppelt
These 2: Insbesondere in (welt)wirtschaftlichen Fragen entgleitet dem Staat zunehmend die
Kontrolle
•
Die Zahl der Staaten wächst (heute: rund 200), aber ihr Einfluss schrumpft
(Paradoxon der Globalisierung)
•
Entgrenzung, Denationalisierung oder Globalisierung mögen in den Einzelschritten
unintendiert erfolgt sein, die Folgen der Summe dieser Schritte entziehen den
Staaten Kontrolle und Handlungsautonomie
•
Das Gesetz des Handelns ist auf private bzw. transnationale Akteure übergegangen
– der Staat reagiert nur noch
•
Staatliches Handeln ist ohne den Einfluss nicht-staatlicher Akteure konzeptionell nicht
mehr zu erfassen
•
Private Akteure müssen auf weltwirtschaftliche Änderungen sofort reagieren, Staaten
brauchen dafür zu lange
These 3: In der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise zeigt sich die ungebrochene
Dominanz des Staates
• Ohne die staatlichen Rettungs- und Garantiepakete wäre der globale Kapitalismus
(=Neo-Liberalismus) grandios gescheitert – ohne den Staat geht es nicht
(Rezentrierung, Ausweitung der Staatszone)
• Aber: Handlungsfähigkeit sollte nicht mit Effektivität verwechselt werden (der Staat
wird zum Mittäter, wenn er – koste es, was es wolle, jede größere Bank retten muss)
• Die notwendige restriktive Regulierung dämpft die Dynamik der Kapitalmärkte und
verlangsamt die Wirtschaftsentwicklung
14
•
Der Staat bleibt vom Kapitalismus abhängig und wird ihn daher kaum wirksam
einhegen können
Internationale Regierungsorganisationen (IGOs): Instrumente der Staaten oder
mehr?
Definitionen:
•
Eine internationale Organisation umfasst eine Institution mit festgelegten Regeln und
Verfahrensweisen, der Mitglieder aus mindestens drei Staaten angehören (zwei:
bilateral)
•
Eine internationale Regierungsorganisation ist eine Institution, der nur Staaten
angehören können und in der Entscheidungen von den Vertretern der Staaten
getroffen werden
•
Zahl: Stetige Zunahme nach 1945 – heute 350 (UN, WTO, IWF, NATO,
Klimarahmenkonvention) basierend auf völkerrechtlichen Verträgen
•
Tagungen der IGOs werden zu Zentren der politischen Kommunikation (Bsp.: WTOMinisterratstagungen in Seattle und Cancun; Frühjahrs- und Herbsttagungen von IWF
und Weltbank), zu focal points für andere Akteure
•
Unterschied zwischen G7/G8 (Club) und IGOs: Festes vertragliches Regelwerk,
Sekretariate, feste Mitarbeiter, Geschichte von Entscheidungen, die zukünftige Politik
prägen und Sozialisationswirkung auf neue Mitglieder:
IGOs können (nicht: müssen) mehr sein als Instrumente der Staaten, aber sie bleiben
durch Staaten kontrolliert und legitimiert
•
Institutionalistisch-konstruktivistische Interpretation vs. Neorealistische
Transnationale Konzerne (TNKs): Wider die Dominanz staatlicher
Souveränität?
Definitionen:
•
Generell jede Firma, die ihren Sitz in einem Land hat und Beziehungen mit der
Gesellschaft oder Regierung eines anderen Landes unterhält (Gewinnorientierung)
•
Speziell jede Firma, die Tochterfirmen (Zweigstellen des Mutterunternehmens,
rechtlich unabh. Joint Ventures mit signifikanter Beteiligung) in einem anderen Land
unterhält
•
Zahl: Rasante Zunahme in den letzten Jahrzehnten - heute rund 40.000 TNCs mit
mehreren 100.000 Tochterfirmen – die Top 100 weisen Umsätze aus, die das BIP
von mittleren OECD-Ländern übersteigen
TNKs und Staaten:
Lobbyarbeit
1.
Indirekt - TNK bittet die eigene Regierung, die andere Regierung unter Druck zu
setzen
2.
Indirekt – TNK stellt das Problem in einer internationalen Organisation zur Diskussion
3.
Direkt – TNK wird in der Botschaft des anderen Staates vorstellig
4.
Direkt – TNK sucht den Dialog mit den Fachministerien der Regierung des anderen
Staates
Wie TNKs der Kontrolle von Staaten ausweichen können:
1.
Transfer pricing – der Handel zwischen Tochterfirmen operiert mit Preisen, die nicht
den Marktpreisen entsprechen
2.
Triangulation – der Handel zwischen Firmen wird indirekt über ein Drittland (das
gegebenenfalls andere Bestimmungen hat) abgewickelt
3.
Regulatory arbitrage – Produktion, Handel und Verkauf von Produkten unter
Ausnutzung unterschiedlicher Bestimmungen (Standortwettbewerb)
4.
Extraterritoriality – ein Land versucht, die eigene Bestimmungen auf dem Territorium
eines anderen Landes durchzusetzen (USA)
15
Zusammenfassung:
Drei Erkenntnisse:
1.
“Der Staat ist obsolet, aber unentbehrlich.”
2.
Internationale Regierungsorganisationen senken die Transaktionskosten und werden
zunehmend zu Foren für nicht-staatliche Akteure.
3.
Der Wandel von der inter- zur transnationalen Politik scheint unaufhaltsam – trotz
oder wegen der Finanzkrise?
5. Vorlesung (17.11.) – Globalisierung und Global Governance I
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs): Wie regiert die Zivilgesellschaft?
Die Globalisierungsdiskussion – Definitionsversuch
Ursachen, Akteure und Konsequenzen von Globalisierungsprozessen
Die drei Schulen in der Globalisierungsdebatte
Regieren im globalen Mehrebenensystem
Regionale Integration in Europa
Integrationstheorien für Europa
Die vergleichende Perspektive regionaler Integration
Zusammenfassung: Drei Erkenntnisse
Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs): Wie regiert die Zivilgesellschaft?
Definitionen:
•
NGO - Generell jede Institution, die ohne Gewinnorientierung agiert, um bestimmte
Ziele zu erreichen
•
INGO - Speziell jede Institution, die ohne Gewinnorientierung grenzüberschreitend
(transnational) agiert, um bestimmte Ziele zu erreichen
•
Zahl: Rasante Zunahme in den letzten Jahrzehnten: Zehntausende national und
tausende international (Amnesty International, Greenpeace, IKRK etc.)
•
Ziele: Umwelt, Menschenrechte, Gesundheit, Entwicklung etc. (low politics)
INGOs und Staaten:
•
Information, Mobilisierung, Expertise, Aktion, Teilhabe
•
Zielgruppen: Öffentlichkeit, TNKs, Staaten
•
INGOs sind zu unentbehrlichen Bereitstellern von Information geworden, um auf ihre
Ziele aufmerksam zu machen (Korruptionsperzeptionsindex von Transparency
International)
•
Mobilisierung: INGOs nutzen die regelmäßigen Treffen zwischen Staaten (G-7/G-8)
oder die Tagungen von IGOs, um für die eigenen Ziele zu demonstrieren
•
Expertise: INGOs bieten die eigene Expertise in den eigenen Tätigkeitsfeldern an, um
Regierungen zu beraten (Klimapolitik)
INGOs und Staaten:
•
Aktion: Einzelne INGOs nutzen spektakuläre, z.T. außergesetzliche Aktionen
(Greenpeace), um auf die eigenen Ziele aufmerksam zu machen
•
Teilhabe: INGOs arbeiten in Regierungsdelegationen und in den Bürokratien von
IGOs mit und suchen das Bündnis mit TNKs
•
Als advocacy coalitions erzielen sie Wirkung (Normdiffusion), aber sie sind kein
Ersatz für demokratisch legitimiertes Handeln (naming and shaming)
16
Die Globalisierungsdiskussion – Definitionsversuch:
Definition
•
Globalisierung ist nicht als Zustand zu begreifen, sondern darunter ist der Prozess
der Ausweitung, Vertiefung und Beschleunigung von grenzüberschreitenden
Transaktionen (inter- und transnational) zu verstehen, der sich gleichermaßen in der
Ökonomie, der Ökologie, den Medien, der Kultur und der Sozialstruktur von
ursprünglich weit stärker territorial verfassten Staaten nachweisen lässt.
Globalisierung begann als unintendierte Konsequenz einzelner intendierter Schritte
staatlicher Maßnahmen. Sie läuft vor dem Hintergrund rascher Innovationen im
Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie ab.
Ursachen, Akteure und Konsequenzen:
Ursachen
•
Technologische Innovationen, Verschiebung der Wachstumsdynamik in den tertiären
Sektor, Krise des Wohlfahrtsstaates unter den Bedingungen der Weltmarktkonkurrenz (globaler Standortwettbewerb), weitere, politisch bewusste Deregulierung
(das „neoliberale“ Projekt): Ausrichtung der Produktion auf den Export, Öffnung für
ausländische Direktinvestitionen und Produkte, Verkleinerung des Staatsapparates
und Privatisierung des öffentlichen Sektors – massive Verschiebungen zu Lasten
des Staates und zu Gunsten des Marktes
Akteure
•
Staaten, Internationale Regierungsorganisationen (IGOs), transnationale Konzerne
(TNCs), Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs - Zivilgesellschaft)
Konsequenzen
1. Die Entgrenzungsprozesse führen auch zu schrittweisen Kompetenz- und
Souveränitätsverlusten der klassischen Nationalstaaten.
2.
Durch die Globalisierung wandelt sich die klassische Welt der Nationalstaaten
in
eine Gesellschaftswelt (Czempiel)
eine Weltgesellschaft (Beck)
eine „postnationale Konstellation“ (Habermas)
3.
Der schleichende Verlust nationalstaatlicher Kompetenz stellt die
demokratische Legitimierung von Entschei-dungen in Frage, da die Demokratie
bisher territorial gebunden war. Das führt zu Debatten über eine
kosmopolitische Demokratie (Held)
Weltbürgergesellschaft (Beck)
erneute Stärkung des klassischen Nationalstaats
(Scharpf, Streeck)
Stärkung des regionalen Regierens (regional
governance)
subsidiäres Entscheidens im globalen
Mehrebenensystem, zum „Regieren jenseits des
Nationalstaates“ (Global Governance)
Die drei Schulen in der Debatte:
1.Hyperglobalisierer
Befund:
Der globale Markt ist Realität und bestimmt alles
17
Perspektive: Ende aller national verfassten Systeme, globale
Zivilisation im globalen Markt
Zuordnung: viele Ökonomen, Marxisten, (Postmoderne)
Vertreter:
Ohmae/Fukuyama
2.Globalisierungsskeptiker
Befund:
Heterogen, keine neue Qualität der grenzüberschreitenden Transaktionen
Perspektive: Der Nationalstaat ist und bleibt zentral; national
statt global governance; wachsende Konflikte
Zuordnung: Neorealisten und Keynesianer
Vertreter:
Hirst/Thompson, Krasner (Scharpf), (Grande)
3.
Transformationalisten
Befund:
Heterogen, aber neue Qualität
Perspektive: Global Governance – Regieren im globalen
Mehrebenensystem
Zuordnung: Neoinstitutionalisten, Neoliberale Politikwissenschaftler, Konstruktivisten
Vertreter:
Giddens, Held, Albrow, Beck (Messner/Nuscheler, Zürn)
Regieren im globalen Mehrebenensystem:
Die sechs Säulen im Global Governance-Konzept:
Weltregieren bzw. Weltordnungspolitik in sechs zentralen inter- nationalen Politikfeldern:
1.
Welthandelsordnung
2.
Internationale Wettbewerbsordnung
3.
Weltwährungsordnung
4.
Weltsozialordnung
5.
Weltumweltordnung
6.
Weltfriedensordnung
6. Vorlesung (24.11.) – Globalisierung und Global Governance II
•
•
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•
•
•
•
•
•
•
•
Regieren im globalen Mehrebenesystem
Regionale Integration in Europa
Integrationstheorien für Europa
Die vergleichende Perspektive regionaler Integration
Globales Regieren durch die UNO
Die Policy-Bereiche und Ziele der UNO
Problemfeld Globale Sicherheit: Der Sicherheitsrat
UN-Friedensmissionen 2007
Zur Reformdiskussion über den Sicherheitsrat
Deutschlands Position
Konkurrierende Erklärungen für das Scheitern der Reform
Zusammenfassung: Drei Erkenntnisse
Erhoffte Auswirkungen von Global Governance:
•
Angleichung (nicht: Gleichschaltung) von Normen und Ideen sowie Dialog der
Kulturen
18
•
•
•
Universalisierung der vier zivilisatorischen „Essentials“: Rechtsstaat, Marktwirtschaft,
Demokratie, Menschenrechte
Zivilisatorisches Hexagon (Senghaas): Gewaltmonopol des Staates,
Rechtsstaatlichkeit, Interdependenz und Affektkontrolle, demokratische Partizipation,
soziale Gerechtigkeit, Konfliktkultur
Geteilte Souveränitäten, Global Compact, weltbürgerliche Orientierung
Regionale Integration in Europa:
Stufen der Integration (in Anlehnung an B. Balassa):
Sektorale Kooperation
Preferential Trade Agreement
Freihandelszone
Zollunion
Binnenmarkt
Wirtschafts- und Währungsunion
Politische Union
Integrationstheorien für Europa:
Was erklärt die schrittweise Aufgabe staatlicher Souveränität (zunächst und vor allem im
Bereich der Wirtschaft)?
Eher Neorealistische Erklärungsansätze: Intergouvernementalismus, Liberaler
Institutionalismus in neorealistischer Tradition
Liberale Erkärungsansätze: Funktionalismus, (Neo)-Föderalismus, dialektischer
Funktionalismus, Fusionsthese, Supranationalismus etc.
Die vergleichende Perspektive regionaler Integration:
Graphik: Rasante Zunahme der regionalen Handelsabkommen, die bei GATT/WTO
registriert sind.
Erste, zweite und dritte Welle regionaler Integration:
Erste Welle: Anfang der 1960er Jahre: Vorbild Europa – weitgehendes Scheitern
Zweite Welle: Ende der 1980er Jahre – begrenzter, aber auch realistischer Integrationswille
(drohendes Scheitern der Uruguay-Runde), Hegemoniale Blöcke
Dritte Welle: Ende der 1990er Jahre – direkte Freihandelsabkommen der großen Akteure mit
einzelnen Ländern (USA-Malaysia) oder Regionen (EU-EPA)
Intraregionale Warenexporte, 1970-2004
Tabelle: EU, Mercosur, NAFTA, ECOWAS, SADC, ASEAN, APEC
Globales Regieren durch die UNO:
19
•
•
•
•
•
•
Das Organisationszentrum des institutionalisierten Multilateralismus; das
„Weltgewissen“
„Wenn es sie nicht gäbe, müsste sie erfunden werden …“
192 Staaten müssen sich auf bestandsfähige Reformen und Maßnahmen einigen,
was nur auf Basis des „kleinsten gemeinsamen Nenners“ möglich ist
Wichtige Zäsuren in der Entwicklung: „Kalter Krieg“, Dekolonialisierung, NWWO,
Ende des Ost-West-Konflikts, 11. September 2001
Neuere Entwicklungen: Mehr Transparenz, Zusammenarbeit mit TNCs und NGOs,
Global Compact und Global Governance
Die gescheiterte Reform zum 60. Geburtstag und der neue Generalsekretär
Die Policy-Bereiche und Ziele der UNO:
1)
2)
3)
4)
•
•
•
Erhaltung und gegebenenfalls Wiederherstellung des Weltfriedens (völkerrechtliches
Gewaltverbot)
Förderung der internationalen Zusammenarbeit und Entwicklung
Schutz der Menschenrechte und der Grundfreiheiten (aber: Interventionsverbot)
Neue Themen im Wandel der Zeit: Umwelt, Terrorismus, Drogenmissbrauch,
HIV/Aids, Wüstenausbreitung etc.
Insgesamt 19 IGOs: die UNO (mit fünf Hauptorganen: Sicherheitsrat,
Generalversammlung, ECOSOC, Sekretariat, Internationaler Gerichtshof, dem
aufgelösten Treuhandrat), 16 Sonderorganisationen und zwei Organisationen mit
bes. Status (Internationale Atomenergie-Organisation und Internationaler
Strafgerichtshof)
Produkt der Verhandlungen der „Großen Drei“ – USA, SU und GB in der Endphase
des Zweiten Weltkriegs
UN-Charta mit 111 Artikeln in 19 Kapiteln – Änderung der Charta setzt 2/3-Mehrheit
in der Generalversammlung und Ratifizierung in 2/3 der Mitgliedstaaten voraus (auch
alle Vetomächte müssen zustimmen)
Problemfeld Globale Sicherheit: Der Sicherheitsrat:
Grundstruktur:
•
Fünf ständige und zehn nicht-ständige Mitglieder, deren Mandat auf zwei Jahre
begrenzt bleibt
•
Handeln durch die Verabschiedung von Resolutionen und Erklärungen des
Ratspräsidenten
•
Mehrheit von neun Stimmen bei Verfahrensfragen, bei allen substantiellen Fragen
müssen auch die fünf ständigen Mitglieder zur Mehrheit zählen
•
Die ständigen Mitglieder können jede Frage zu einer „substanziellen“ erklären
Aufgaben:
•
Wahrung von Weltfrieden und internationaler Sicherheit
•
Untersuchung von Streitigkeiten und Empfehlungen zur friedlichen Konfliktbeilegung
•
Feststellung einer Bedrohung der internationalen Sicherheit, eines Friedensbruches
oder einer Angriffshandlung und Einleitung von Gegenmaßnahmen
•
Beschluss über Maßnahmen unter Ausschluss von Gewaltanwendung sowie
militärische Maßnahmen
•
Erarbeitung von Plänen zur Rüstungsregelung
•
Wahl der Richter des Internationalen Gerichtshofes
•
Vorschlag eines Kandidaten für das Amt des Generalsekretärs an die
Generalversammlung
Zusammenfassung:
20
1) Die UNO ist seit Ende des Zweiten Weltkriegs die zentrale internationale
Regierungsorganisation, in der „globales Regieren“ versucht wird – bei steigendem
Reformbedarf.
2) Der Sicherheitsrat der UNO käme im Bereich der Friedens- und Sicherheitspolitik
einer “Weltregierung“ am nächsten, seine Reform ist gleichwohl überfällig.
3) Die Reform des Sicherheitsrates scheitert am offenen und/oder versteckten Unwillen
der „Permanent 5“ und an der Unfähigkeit der 187 anderen Staaten, sich auf ein
Konsensmodell zu einigen.
7. Vorlesung (01.12.) – Globalisierung und Global Governance III
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Problemfeld Globale Sicherheit: Der Sicherheitsrat
UN-Friedensmissionen 2007
Zur Reformdiskussion über den Sicherheitsrat
Deutschlands Position
Konkurrierende Erklärungen für das Scheitern der Reform
Ebenen und Formen von Global Governance
Theorien und Global Governance
Good Governance und globale Strukturpolitik
Weltordnungsmodelle
Das Weltordnungskonzept von Robert Cooper
Konfliktursachen und –bearbeitung I:
Interpretationen zum Kriegsgeschehen der Gegenwart
Begriffliche und definitorische Grundlagen
Zusammenfassung: Drei Erkenntnisse
Problemfeld Globale Sicherheit: Der Sicherheitsrat:
Die veränderte Rechtslage und die „humanitäre Intervention“:
ab den 1990er Jahren wird dem Sicherheitsrat zunehmend das Recht zugebilligt,
selbst zu entscheiden, was ein Friedensbruch bzw. eine Friedensbedrohung ist und
„alle erforderlichen Mittel“ einzusetzen – Aushöhlung des Interventionsverbots und
Akzeptanz eines erweiterten Sicherheitsbegriffs, z.B. bei der Resolution zum Schutz
der Kurden im Irak 1991 (Flüchtlingsströme), zu Somalia (Arbeit der humanitären
Hilfsorganisationen), zu Ruanda (Völkermord an den Tutsi) und zu Haiti
(Menschenrechtsverstöße durch Militärregierung)
• ‚Humanitäre Interventionen‘, die der Sicherheitsrat billigt, sind rechtmäßig – ohne
seine Billigung sind sie völ-kerrechtswidrig – Aushöhlung durch die USA und die
NATO
Zur Arbeitsweise:
• Texte verhandeln und verabschieden
• Texte sind Resolutionen (Beschlüsse) oder Erklärungen: Empfehlungen, Appelle,
Anordnungen, Ermutigungen, Verurteilungen
• Autorität hängt ab von freiwilliger Unterstützung der Mitgliedsstaaten, von der
Transparenz der Entschei-dungsfindung sowie von der Qualität und Unparteilichkeit
der Beschlüsse
• Das Erteilen von Mandaten (= der Auftrag und die Ermächtigung für eine bestimmte
Maßnahme oder Politik einschließlich der Bedingungen, unter denen sie umge-setzt
wird) z.B. für Friedensmissionen oder Sanktionen
• Problem: Die häufige Uneindeutigkeit eines Mandats
• Tagung in Permanenz an fast jedem Arbeitstag (und bei Krisen auch darüber hinaus)
• Tagesordnung wird täglich veröffentlicht (heute:
es dominiert das Prinzip der „Wiedervorlage“
• Formelle Sitzungen im Saal sind eher die Ausnahme
21
•
•
•
Tägliche Arbeit: „Informelle Konsultationen“ im kleinen Nebenraum (Diskussion über
Berichte des GV, Abstimmung über neue Resolutionen etc.)
Transparenz der informellen Konsultationen: Vertraulichkeit aber rasche Verbreitung
erwünscht
Zunehmende Praxis der „offenen Sitzungen“: Alle 192 Staaten können das Wort
ergreifen, aber es werden keine Beschlüsse gefällt
Zur Reformdiskussion über den Sicherheitsrat:
Gründe für die Forderungen nach Reform:
• Repräsentativität, Legitimität, Autorität: Wie können Repräsentativität, Legitimität und
Autorität des Sicherheitsrates erhalten bzw. gesteigert werden? Daher zählt das
Gegenargument der möglichen Ineffektivität nicht
• Reform von 1963/1965: Erweiterung von 11 auf 15 Sitze (vier zusätzliche Sitze für
nicht-ständige Mitglieder)
• Anpassung an neue Realitäten, da der Sicherheitsrat nicht länger die Situation von
1945 bzw. 1963 widerspiegelt
• Diskriminierung des Südens: Staaten des Nordens auf ständigen Sitzen entscheiden
über den Umgang mit Krisen und Kriegen im Süden
Die Reformmodelle im Überblick:
mit Veto ohne Veto nicht-ständig ohne Veto
Status quo: 5
0
10
High Level
Panel A:
5
6
13
High Level
Panel B:
5
0
19*
G4:
5
6**
14
AU:
11*
0
15
Geeint
Für KonSens:
5
0
20
*: davon 8 semipermanente, erneuerbare Sitze auf 4 Jahre
**: darunter zwei afrikanische Staaten
Deutschlands Position:
•
•
Koalitionsvereinbarung der großen Koalition vom November 2005: „Deutschland
bleibt bereit, auch mit der Übernahme eines ständigen Sicherheitsratssitzes mehr
Verantwortung zu übernehmen. In der Perspektive streben wir weiterhin einen
ständigen Sitz für die EU an.“
Nach dem Scheitern des ursprünglichen Zeitplans auf das Prinzip der
„Wiedervorlage“ setzen
Konkurrierende Erklärungen für das Scheitern der Reform:
•
•
•
•
•
Die Haltung der „Permanent 5“:
USA möchte Japan, ist aber eher gegen Deutschland.
China will unbedingt Japan verhindern.
Russland war Deutschland durchaus wohlgesonnen (Putin und Schröder).
Frankreich und Großbritannien haben die Kandidatur Deutschlands offiziell
unterstützt, halten aber beide einen gemeinsamen Sitz der EU auf absehbare Zeit für
nicht realisierbar (IGOs sind nicht Mitglied der UNO).
Konkurrierende Erklärungen für das Scheitern der Reform:
22
1.
Neorealismus: Angst vor relativen Gewinnen der neuen ständigen Mitglieder
2.
Liberalismus: Fehlende innergesellschaftliche Unterstützerinteressen für die Reform
3.
Pro-Modell B bzw. Geeint für Konsens: distributives vs. konsensorientiertes
Verhandeln
Ebenen und Formen von Global Governance:
•
•
•
•
•
Lokales Regieren (unter Berücksichtigung grenzüber-schreitender bzw.
transnationaler Wirkungen und Vernetzungen)
Nationales Regieren (der Staat als Schnittstellenmanager, Agent und Katalysator der
internationalen Problembear-beitung bzw. –lösung)
Regieren in regionalen Mehrebenensystemen (regionale Integrationsabkommen:
Sicherheit, Wohlfahrt, Recht/Partizipation
Globales Regieren (internationale Institutionen = Regime und internationale
Regierungsorganisationen, PPP, Global Compact)
Transnationales Regieren (Regelungen und Vereinbarungen privater Akteure
untereinander)
Theorien und Global Governance:
•
•
•
•
GG als heuristisch-normatives Konzept:
Liberalismus, Institutionalismus, Konstruktivismus
GG als Vision/Utopie:
Neorealismus
GG als Ablenkung:
Kritische Theorie, Neo-Gramscianische Ansätze
GG als Tarnung:
Post-strukturalistische Ansätze
Good Governance und globale Strukturpolitik:
Good Governance:
• Respektierung der Menschenrechte
• Unabhängige Justiz/Rechtsprechung
• Transparenz und Rechenschaftspflicht staatlicher Institutionen
(Korruptionsbekämpfung)
• Demokratie
• Marktwirtschaft
Globale Strukturpolitik als Begleitung von Globalisierungs-prozessen:
• Marktzugang (Abbau von Subventionen und tarifären sowie nicht-tarifären
Handelshemmnissen)
• Partizipation und Ownership bei den Entscheidungen der großen internationalen
Regierungsorganisationen
• Koordination der gesamten Entwicklungszusammen-arbeit
Weltordnungsmodelle:
Konventionelle Weltordnungsmodelle:
Bis zum Ende der Ost-West-Konfrontation:
1. Welt = Kapitalistische Industrieländer
2. Welt = Sozialistische Industrieländer
3. Welt = Alle Entwicklungsländer
Nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation:
1. Welt = Kapitalist. Industrieländer (OECD-Welt), DRIS
23
2. Welt = Schwellenländer, NICs, BEMs etc.
3. Welt = Marktenge, wenig dynamische Entwicklungsländer
4. Welt = ‚Failing States‘ Von Staatszerfall und Bürgerkrie-gen gekennzeichnete und
arme Entwicklungsländer
5. Welt = ‚Failed States‘, zerfallene Staaten (Somalia)
Das Weltordnungskonzept von Robert Cooper:
Unterscheidung in prämoderne, moderne und postmoderne Staaten:
Prämoderne Staaten:
• Krieg aller gegen alle, Staatszerfall, Sobels
• Das Gewaltmonopol des Staates existiert nicht (mehr)
• Chaos ist die Norm und Krieg die Regel („neue Kriege“)
• Regierungen (so es sie noch gibt) unterscheiden sich kaum noch von der
organisierten Kriminalität
• Rückzugsmöglichkeiten für nicht-staatliche Akteure (Kriminelle, Terroristen etc.)
• Beispiele: Somalia, Tschetschenien, die wichtigen drogenproduzierenden Gebiete in
Südamerika (Kolumbien) und in Asien (Afghanistan)
Moderne Staaten:
• Modern im „traditionellen Sinne“: Staatsraum, Staatsvolk, Staatsgewalt – äußere und
innere Souveränität
• Interesse, Macht und Staatserhalt stehen im Mittelpunkt
• Atomare Bewaffnung als wichtiges Ziel
• Beispiele: Pakistan, Indien, VR China, Iran
Postmoderne Staaten:
• Postimperiale Staaten mit hoher Interdependenz und ohne Territorialansprüche oder
konventionelle Sicherheitsbefürchtungen
• EU als hochentwickeltes Mehrebenensystem
• Zone des „demokratischen Friedens“: Krieg untereinander ist nicht mehr vorstellbar
• Untereinander wird nach den Regeln der kooperativen Interdependenz und der
Gesetzmäßigkeit operiert – nach außen werden dagegen militärische Gewalt,
Machtprojektion und präventive Eingriffe akzeptiert
Zusammenfassung:
1) Die Reform des Sicherheitsrates scheitert am offenen und/oder versteckten Unwillen
der „Permanent 5“ und an der Unfähigkeit der 187 anderen Staaten, sich auf ein
Konsensmodell zu einigen.
2) Die Weltordnungsmodelle versuchen, der Komplexität der internationalen (weniger:
der transnationalen) Entwicklung und Veränderung gerecht zu werden.
3) Das bezeichnende Phänomen des Kriegsgeschehens der Gegenwart ist die
Zunahme der innnerstaatlichen Kriege.
8. Vorlesung (08.12.) – Konfliktursachen und -bearbeitung I:
Interpretationen zum Kriegsgeschehen der Gegenwart:
•
•
•
•
•
•
•
Literaturhinweise zum Themenfeld: Globalisierung und Global Governance
Theoretische Interpretationen zum Kriegsgeschehen der Gegenwart
Begriffliche und definitorische Grundlagen zum Kriegsgeschehen
Der Krieg als historisches Phänomen: Die Entwicklung des Staatenkrieges
Kontinuitäten und Brüche im Kriegsgeschehen
Was ist das Neue an den „Neuen Kriegen“?
Wandel oder Kontinuität des Krieges?
24
•
•
Neue Akteurskonstellationen im Kriegsgeschehen – Warlords, Kindersoldaten, PMCs,
Terroristen
Zusammenfassung: Drei Erkenntnisse
Literaturhinweise zum Themenfeld: Globalisierung und Global Governance:
David Held et al. (1999): Global Transformations, € 25,95
Stefan A. Schirm (Hrgs.) (2006): Globalisierung, € 19,90
Maria Behrens (2005): Globalisierung als politische Herausforderung, € 32,90
Hans-Jürgen Bieling (2007): Internationale Politische Ökonomie, € 24,90
Theoretische Interpretationen zum Kriegsgeschehen der Gegenwart:
Warum gibt es nur noch wenige zwischenstaatliche Kriege?
Realistische Antworten:
• Die disziplinierende Wirkung des Ost-West-Konflikts bzw. die hegemoniale Stellung
der USA
• Die Existenz von atomaren, biologischen und chemischen
Massenvernichtungswaffen – die „mutually assured destruction“
Liberale Antworten:
• Die Dysfunktionalität des Krieges in der „Friedenszone“
• Die Ausbreitung neuer Normen und Ideen sowie das dichtere Netz internationaler
Institutionen
Warum gibt es vor allem innerstaatliche Kriege?
Realistische Antworten:
• Staatszerfall, „Failed States“, erweitertes Sicherheits-problem für die Erste Welt (z.B.
Rückzugsräume für Terroristen) – Neo-Protektionismus, Präventivkrieg
Liberale Antworten:
• Anstrengungen zur Integration der Entwicklungs- und Tranformationsländer waren
und sind zu gering – mehr Handel und Entwicklungszusammenarbeit, Konfliktprävention und robustes internationales Peacebuilding sowie Weiterentwicklung des
Völkerrechts (responsibility to protect)
Begriffliche und definitorische Grundlagen zum Kriegsgeschehen:
•
•
•
•
•
Konflikte = Positionsdifferenzen zwischen zwei oder mehr Akteuren, die von diesen
als unvereinbar wahrgenom-men werden (E. O. Czempiel)
Konflikte = Interessengegensätze (Positionsdifferenzen) um nationale Werte
(Territorium, Unabhängigkeit, Selbstbestimmung, Autonomie, Ideologie, Macht, Ressourcen) von einiger Dauer und Reichweite zwischen mindestens zwei Parteien
(Staaten, Staatengruppen, Staatenorganisationen, organisierte Gruppen), die entschlossen sind, sie zu ihren Gunsten zu entscheiden. Dabei muss auf mindestens
einer Seite die organisierte Staatsmacht involviert sein (HIIK)
Konfliktaustrag kann zwischen den Polen Kooperation und Konfrontation erfolgen
(von Verhandlungen bis zu Kriegen)
Gewalt ist das asymmetrische Verhältnis von Handlungs-macht und Erleiden. Gewalt
neigt zur Verselbständigung und Steigerung
Kampf setzt ein Minimum von Symmetrie der Kämpfenden voraus (sonst ist es
Massaker, Genozid, Abschlachten)
Die AKUF definiert „Krieg“ in Anlehnung an den ungarischen Friedensforscher István Kende
als einen gewaltsamen Massenkonflikt, der alle folgenden Merkmale aufweist:
• an den Kämpfen sind zwei oder mehr bewaffnete Streitkräfte beteiligt, bei denen es
sich mindestens auf einer Seite um reguläre Streitkräfte (Militär, parami-litärische
Verbände, Polizeieinheiten) der Regierung handelt,
25
•
•
auf beiden Seiten muss ein Mindestmaß an zentral- gelenkter Organisation der
Kriegführenden und des Kampfes gegeben sein, selbst wenn es nicht mehr bedeutet
als organisierte bewaffnete Verteidigung oder strategisch-taktisch planmäßige
Überfälle (Guerilla- operationen, Partisanenkrieg etc.),
die bewaffneten Operationen ereignen sich mit einer ge- wissen Kontinuierlichkeit
und nicht nur als gelegent- liche, spontane Zusammenstöße, d.h. beide Seiten
operieren nach einer planmäßigen Strategie, gleichgültig ob die Kämpfe auf dem
Gebiet eines oder mehrerer Gesellschaften stattfinden und wie lange sie dauern.
Der Krieg als historisches Phänomen: Die Entwicklung des Staatenkrieges:
Ausgangspunkt der neuzeitlichen Entwicklung ist der Dreißigjährige Krieg:
Zwischenstaatliche Regeln/“Westfälisches System“:
1. Souveränität und Unabhängigkeit der Staaten ohne über-staatliche Instanz oder
Autorität
2. Rechtlich sind alle Staaten gleich (Machtunterschiede sind rechtlich irrelevant)
3. Konfliktaustrag mittels Machtpolitik, notfalls unter Einsatz militärischer Mittel
4. Militärische Gewalt und Krieg sind legitim, aber zunehmend Regeln unterworfen
Limitierung und Legitimierung des Krieges
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Die Kriegsführung von Staaten kann weit weniger gewaltförmig und grausam sein als
diejenige nicht-staatlicher Gemeinschaften
Der Staatenkrieg wurde seit 1648 zunehmend eingehegt durch die Entwicklung des
Völkerrechtes sowie in den Bestimmungen der Haager Landkriegsordnung
Aber: Entgrenzung der Gewalt mit der Möglichkeit der atomaren Selbstvernichtung
und das 20. Jahrhundert als das Jahrhundert der Vernichtung und des entfesselten
Staatenkrieges: Übersteigerter Nationalismus, ideologischer Hass und
militärtechnologische Entgrenzung
Kontinuitäten und Brüche im Kriegsgeschehen:
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Die idealtypische Fiktion des Staatenkrieges: Kriegserklärung, militärische
Auseinandersetzung regulärer Streitkräfte, eine (oder mehrere) Entscheidungsschlacht(en), Waffenstillstand, Friedensvertrag
Bruch oder Kontinuität? Französische Revolution, Erster und Zweiter Weltkrieg,
„Kalter Krieg“, “neue Kriege”
Völkerrechtliche Entwicklung: Vom Recht auf Krieg zur Ächtung des Angriffskrieges
bis zur Re-Legitimierung des Präventivkrieges
Was ist das „Neue“ an den „neuen Kriegen?
1) Privatisierung (nicht-staatliche Akteure – neue Akteurskonstellationen – 'Sobels',
Kindersoldaten, neue Terroristen)
2) Ökonomisierung (Gewalt wird zur lukrativen Ware, lange Dauer und Schwierigkeit der
Konfliktlösung, Einbindung in Weltmarktzusammenhänge)
3) Zunahme der Asymmetrien (Rekrutierung, Ausrüstung, Strategie)
4) Entmilitarisierung und Enthegung („irreguläre“ Kriegsführung zur Auflösung sozialer
Strukturen, zum Schaffen sozialer Anomie, und Unterlaufen der Regeln und Normen
des Völkerrechts)
Wandel oder Kontinuität des Krieges?
•
Beschränken sich die Paralleln auf die Zeit vor 1648? Was bringt die Historisierung
an Erkenntnissen?
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Ist die Privatisierung des Krieges ein neues Phänomen?
Sind Enthegung und Entmilitarisierung des Krieges wirklich neu?
Verknüpfung zur Globalisierungsdiskussion: Wann und womit beginnt die
Globalisierung?
Wie hängen die beiden „neuen“ Formen des Krieges – RIM und (wieder)erstarkte
Staatlichkeit im Zentrum und Entstaatlichung in der Peripherie – zusammen?
Wer den Krieg als Konflikt zwischen Tradition und Moderne sieht, spricht allenfalls
vom Wandel des Kriegsgeschehens, nicht von „neuen Kriegen“
Neue Akteurskonstellationen im Kriegsgeschehen:
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Regierungssoldaten, Sobels, Warlords, Rebellenchefs, Milizenführer:
Verschwimmen der Grenze zwischen Regierungssol-daten und Rebellen
„Soldiers by day, Rebels by night“ – das „Lumpenmilitariat“ (Anatole Ayissi)
Neue Kriegsherren – private Bereicherungs- und per-sönliche Machtbestrebungen,
eigene Herrschafts- und Ausbeutungsinteressen, Vermischung von kriegerischer
Gewalt und organisiertem Verbrechen
Transnationale Verbindungsnetzwerke: Diaspora, Weltmarkt, Geldwäsche, Drogen
Kindersoldaten:
Weltweit sind in den („neuen“) Kriegen ca. 300.000 Kindersoldaten im Einsatz – in
staatlichen Armeen und bei Rebellenverbänden
Zwangsrekrutierung und Zwang zur Beteiligung an Kämpfen (Entführung, Gewalt,
Angst, Drogen, „Ent-fremdung“) – Einschüchterung, Erzwingung absoluten
Gehorsams und Abstumpfung gegen Grausamkeit
Eskalationshypothese: Je länger der Krieg dauert, desto mehr Kinder werden
rekrutiert. Je mehr Kinder rekrutiert werden, um so jünger werden die Opfer dieser
Praxis.
Gegenmaßnahmen: Zusatzprotokoll zur UN-Kinder-rechtskonvention, Internationaler
Strafgerichtshof sowie NGO-Netzwerk „International Coalition to Stop the Use of
Child Soldiers“
Söldner und private Sicherheitsfirmen (PMCs):
1960er Jahre: Söldner, „Hunde des Krieges“, in den post-kolonialen und/oder
neokolonialen Konflikten in der „Dritten Welt“
1990er Jahre: Südafrikanische Firmen (Executive Out-comes, Sandline) und
osteuropäische Söldner in den Kriegen in Afrika; Söldner in den Kriegen im
ehemaligen Jugoslawien
Ende 1990er Jahre: PMCs weltweit (90 PMCs in 110 Ländern 2002) mit privatem
Personal aus aller Welt und Umsätzen von ca. 100 Mrd. US-$ pro Jahr
Privatisierung in den Streitkräften der OECD-Länder: Wartung, Logistik, Schutz- und
Sicherheitsdienste etc.
Probleme: Unterminierung der demokratischen Kontrolle des Militärs,
Menschenrechte, Rechenschaftspflicht, Kombattantenstatus
Zusammenfassung:
1.
2.
3.
Von „neuen Kriegen“ kann nicht gesprochen werden, wenn man die
Wandlungsfähigkeit des Phänomens Krieg unterstellt und Konflikte als Zuspitzung
von Gegensätzen zwischen Tradition und Moderne begreift.
Neu sind dagegen Aspekte in der Akteurskonstellation des Kriegsgeschehens, wie
z.B. die Zunahme von PMCs und die „neuen“ Terroristen.
Das scheinbar stabile System des völkerrechtlich kodifizierten “Staatenkrieges” hat
sich im Verlauf seiner Geschichte und verstärkt nach der Zeitenwende von 1989/91
als äußerst instabil erwiesen. Der Krieg bleibt ein Chamäleon.
27
9. Vorlesung (15.12.) – Konfliktursachen und -bearbeitung II:
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Neue Akteurskonstellationen: Terrorismus
Nuklearproliferation und Nuklearkontrolle
Der Atomwaffensperrvertrag (NPT) von 1968
Die Krisenfälle Iran und Nordkorea
Grundlagen der Friedenskonsolidierung
Maßnahmen der Friedenskonsolidierung
Verständnis der Friedenskonsolidierung
Vier Herausforderungen der Friedenskonsolidierung
Zwei Ansätze der Friedenskonsolidierung
Die Rolle externer Akteure
Vom Mythos des Marshall-Plans
Spannungsfelder der Friedenskonsolidierung
Zusammenfassung: Drei Erkenntnisse
Neue Akteurskonstellationen: Terrorismus
Neuer Terrorismus:
• „Alter“ Terrorismus der 1970er und 1980er Jahre: Regional und national (RAF, IRA,
ETA etc.)
• „Neuer“ Terrorismus der Gegenwart: Transnationales, globales Gefährdungspotenzial
(Al-Qaida Netzwerk)
Das „Neue“ des transnationalen Terrorismus:
1. Kriegsähnliches Zerstörungspotenzial
2. Medial vermittelter globaler Schockeffekt
3. Komplexe Operationsstrukturen – globale Netzwerke
4. Anschlag auf dem Territorium der USA (Überraschungsmoment)
Def.: Terrorismus ist Gewaltstrategie nicht-staatlicher Akteure, die damit nach eigener
Aussage politische Ziele durchsetzen wollen (nicht: Staatsterror), die aber kriminell agieren
(Mord, Raub, räub. Erpressung)
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•
•
Def.: Terroristen sind jene Individuen/Gruppen, die sich primär terroristischer Mittel
und Strategien bedienen (die sich ändern können), um psychische Effekte zu erzielen
(Panik, Schock) und Sympathisanten und Unterstützer zu radikalisieren
Selbstverständnis: Avantgarde, die sich für die „Unterdrückten“ einsetzt –
Bewusstsein moralischer Überlegenheit
Terrorismus als Kommunikationsstrategie für Freund und Feind
Attentate und Anschläge sollen den Gegner zu unverhältnismäßigen
Gegenreaktionen (ver)führen, die ihn als „eigentlichen Aggressor“ entlarven und
entlegitimieren (Anti-Reaktions-Spirale)
Klar kriminelle (Beschaffungs-)Aktivitäten, die die Unterstützer abschreckt und in
„strategische Sackgasse“ münden kann
Säkularer Terrorismus: Ideologische oder nationalistische Ziele - enger,
staatszentrierter Feindbegriff
Religiöser Terrorismus: Fundamentalistisch-religiöse Ziele (Gottesstaat, Einführung
best. Gebote) und/oder starker Jenseits-Bezug (Eingang ins „Paradies“ Selbstmordanschläge) – weiter, diffuser Feindbegriff (alle „Ungläubigen“)
Terroristen und Massenvernichtungswaffen:
• Seit Anfang der 1990er Jahre gibt es einen Schwarz-markt für Atomtechnik –
weitgehend unbemerkt von den Kontrolleuren der IAEA
28
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•
•
•
Die Programme von Nordkorea, Libyen und Iran sind mit Hilfe dieses
Schwarzmarktes vorangetrieben worden
Es gibt keinen Hinweis, dass al-Qaida derzeit über Nuklearstoffe verfügt
Dennoch Gefahr der Produktion und Detonation einer „schmutzigen Bombe“, d.h.
konventioneller Sprengstoff, der mit radioaktiven Abfällen ummantelt ist
TNT und radioaktiven Substanzen (Cäsium, Strontium, Kobalt oder Americanum) sind
vergleichsweise leicht zu beschaffen
Gefahr auch bei biologischen und/oder chemischen Bomben
Nuklearproliferation und Nuklearkontrolle:
Gründe für die Proliferation:
• Diffusion von fortgeschrittenen Technologien, Waffenhandel, Wissen und Material
• Attraktivität des Erwerbs von MVW und dafür notwendigen Herstellungsverfahren und
Substanzen
Vertikale Proliferation: Die Weiterentwicklung und Verbesserung vorhandener Kapazitäten
durch militärische Forschung und Entwicklung
Horizontale Proliferation: Staaten oder nicht-staatliche Akteure, die vorher über diese Waffen
nicht verfügt haben, entwickeln und/oder beschaffen sie sich
Strategien zur Proliferationskontrolle:
• Rüstungsexportkontrolle zur Verhinderung der Weitervergabe von waffenfähigem
Material
• Sicherungsmaßnahmen gegen Diebstahl oder illegale Weitergabe
• Abrüstung, um existierende Kapazitäten irreversibel und umweltgerecht zu
reduzieren – finanzielle und technische Abrüstungshilfe
• Verifikation eingegangener Verpflichtungen durch unabhängige Experten
• Diplomatische Maßnahmen bis hin zu Sanktionen, um Staaten zur Aufgabe von
Waffenprogrammen zu überzeugen oder vertrauensbildende Rüstungskontrollmaßnahmen zu etablieren
Der Atomwaffensperrvertrag (NPT) von 1968:
Der NVV (NPT) wurde 1968 verabschiedet und trat 1970 in Kraft – fast universelle
Mitgliedschaft (ca. 190 Staaten), ohne Israel, Indien und Pakistan; Nordkorea hat 2003
seinen Austritt erklärt.
Die drei Säulen des NVV:
1. Kernwaffenbesitz ist nur den fünf Nuklearstaaten erlaubt (USA, F, GB, VR China und
Russland), alle anderen Vertragsstaaten verzichten darauf
2. Alle Staaten haben das Recht, Kernenergie für friedliche Zwecke zu erforschen und
zu nutzen
3. Die fünf Nuklearstaaten verpflichten sich, „in redlicher Absicht“ über eine Ende des
Wettrüstens und eine vollständige Abrüstung zu verhandeln
Die Krisenfälle Iran und Nordkorea:
Gründe für das Kernwaffenprogramm im Iran:
• Sicherheit: Umzingelung durch die feindselige Super-macht USA, die Iran zur „Achse
des Bösen“ zählt; vor den USA ist nur sicher, wer über eigene Atomwaffen verfügt
• Doppel-Standards der USA: So lange Israel Atomwaffen hat, gibt es keine Sicherheit
für den Iran
• Energiesicherheit: Eigene Ölproduktion wird ab ca. 2015 komplett für den heimischen
Markt benötigt
• Wirtschaft: Ölförderung kann wegen der US-Wirtschafts-sanktionen nicht modernisiert
werden (Investitionsstau von 30 Mrd. US-Dollar)
29
Gründe für das Kernwaffenprogramm in Nordkorea:
• Sicherheit: Umzingelung durch USA, Japan und Südkorea; Trauma der Zerstörung im
Korea-Krieg
• Furcht von den „Neocons“ in Washington, die gewaltsamen Regimewechsel in
„Schurkenstaaten“ als Option betreiben
• Wirtschaft: Das Land ist ökonomisch am Ende und dringend auf Hilfe von außen
angewiesen
• Kernwaffen als letzte Überlebenschance des Regimes: Zur Abschreckung und als
Mittel, um wirtschaftliche Hilfe zu erpressen
Wie sollte mit Iran und Nordkorea verfahren werden?
• Kombination von Sanktionsdrohungen, Sicherheitsgarantien und ökonomischen
Kooperationsangeboten („Wandel durch Annäherung“)
• Wenn solche ernstgemeinten Angebote abgelehnt werden, ist der UN-Sicherheitsrat
gefragt
• Voraussetzung ist ein robustes Nuklearwaffenkontrollregime: Nur wenn die
Kernwaffenstaaten ihren Abrüstungsverpflichtungen nachkommen, haben sie das
Recht, von anderen die Respektierung der Nichtverbreitungsverpflichtung
einzufordern versus Aktivitäten vor allem der USA bei der Entwicklung neuer,
„einsatzfähiger“ Kernwaffen („mini-nukes“ etc.)
Grundlagen der Friedenskonsolidierung:
Post-conflict-peace-building: Vom brüchigen Waffenstillstand zum stabilen Friedensprozess.
Bewältigung von Kriegsfolgen und Absicherung von Friedensprozessen =
Friedenskonsolidierung
Definition von Friedenskonsolidierung: Ein Bündel von „Maßnahmen zur Bestimmung und
Förderung von Strukturen, die geeignet sind, den Frieden zu festigen und zu konsolidieren,
um das Wiederaufleben des Konfliktes zu verhindern.“ (Agenda für den Frieden, 1992: 30).
Akteure: UN, UNRISD („War Torn Societies Project“), Post Conflict Unit der Weltbank,
zahlreiche weitere Forschungsprojekte
Maßnahmen der Friedenskonsolidierung:
Maßnahmen:
• Entwaffnung und Demobilisierung der Konfliktparteien
• Wiederherstellung der Ordnung
• Vertrauensbildung
• Repatriierung von Flüchtlingen
• Neuformierung von Sicherheitskräften
• Abhaltung und Überwachung von Wahlen
• Unterstützung beim Schutz der Menschenrechte
• Bildung neuer Institutionen
• Förderung von demokratischer Beteiligung
• Aufbau von Infrastruktur und Wirtschaftsstrukturen
• Juristische Aufarbeitung der Kriegsgräuel
• Psychologische Betreuung
• Etc.
Verständnis der Friedenskonsolidierung:
1)
Koordinierungsprojekt:
Friedenskonsolidierung als technokratisches Projekt der materiellen Versorgung und des
materiellen Wiederaufbaus kriegsgeschädigter Gesellschaften und Staaten. Zentrale
Herausforderung besteht darin, die Kapazitäten und Methoden externer Akteure und
30
internationaler Organisationen möglichst effizient an die operativen Bedürfnisse vor Ort
anzupassen
2)
Perspektive: Politisches Projekt
Friedenskonsolidierung ist weniger ein technokratisches Problem, sondern ein komplexer,
mehrdimensionaler, aber im Kern politischer Prozess der Transformation vom Krieg zum
Frieden, der Elemente der Rehabilitation, der Rekonstruktion und der Erneuerung beinhaltet.
Ziel ist nicht der Status quo ante, sondern die Behebung der Defizite, die zum Krieg geführt
haben
Vier Herausforderungen der Friedenskonsolidierung:
1)
Sicherheitspolitik – Demilitarisierung durch Einziehung und Kontrolle von Waffen;
Demobilisierung und Reintegration von Kombattanten; Neuformierung bzw. Reformierung
von Sicherheitskräften; Neubestimmung der zivil-militärischen Beziehungen mit dem Ziel der
(Wieder-)Herstellung eines legitimierten und effektiven staatlichen Gewaltmonopols
2)
Politisch-rechtliche Dimension – Schaffung funktionsfähiger Staatlichkeit bzw.
eines neuen „Gesellschaftsvertrages“; Wiederaufbau staatlich-administrativer Institutionen,
des Rechtswesens und der sozialen Dienste; Umgang mit Kriegsverbrechen
(nationale/internationale Tribunale, Amnestien, Wahrheitskommissionen – Schuld, Recht,
Gerechtigkeit, Vertrauen, Sühne und Aussöhnung)
3)
Soziale und psychologische Dimension – Rehabilitation und Reintegration von
Kriegsopfern und kriegstraumatisierten Menschen; die Wiederherstellung sozialer Netzwerke
und nachbarschaftlichen Vertrauens
4)
Ökonomische Dimension – Wiederaufbau, Wiederherstellung bzw. Schaffung von
Infrastruktur, Umwandlung der Raub- und Plünderungsökonomie des Krieges in eine
wohlfahrtsorientierte Friedensökonomie
Kombinierte und kumulative Wirkung von Fortschritten in allen vier Dimensionen notwendig
Zwei Ansätze der Friedenskonsolidierung:
Mit welcher Sequenz und mit welchen Prioritäten soll vorgegangen werden?
1)
Staatszentrierter Ansatz – „Staatsbildung zuerst“, (Re)Konstruktion des Staates und
seines Gewaltmono-pols; Vorrang der Bearbeitung von Sicherheitsherausforderungen – aber
kann die (Wieder-)Herstellung von Staatlichkeit allein alle Probleme des vorangegangenen
Staatszerfalls und Bürgerkrieges lösen?
2)
Institutionalistisch-prozessualer Ansatz – Gesamtrahmen für Entfaltung eines
politischen Prozesses schaffen, der durch Dialog, Partizipation und die Schaffung öffentlicher
Sicherheit zunehmend an gesamtgesellschaftlicher Autorität und Legitimität gewinnt und der
sich mit vereinbarten Regeln, Normen und Mechanismen zum friedlichen Streitaustrag
institutionalisiert
Die Rolle externer Akteure:
Akteure: Militärs, Politiker, Diplomaten, humanitäre Helfer, entwicklungspolitische Experten,
Verwaltungs-, Rechts- und Wirtschaftsfachleute, private Investoren, Journalisten
Sequenz der externen Hilfsaktionen:
1)
Not und Überlebenshilfe (anfänglich, kurzfristig)
2)
Rehabilitationshilfe (mittelfristig)
3)
Konsolidierungshilfe (langfristig)
Kontinuum von relief-rehabilitation-development
Komplexer Prozess, in dem verschiedene Akteure und Instrumente möglichst arbeitsteilig
und koordiniert im Rahmen eines kohärenten Gesamtkonzeptes wirksam werden
31
Vom Mythos des Marshall-Plans:
Nach dem Zweiten Weltkrieg: Die USA als einzelnes hegemoniales Geberland mit
strategischen Interessen engagieren sich durch militärische Absicherung mittels der
Finanzierung dringend benötigter Importe in den zwar kriegsgeschädigten, aber bereits vor
dem Krieg hoch entwickelten kapitalistischen westeuropäischen Industrieländern – Finanzstatt Kapazitätsproblem
Gegenwart: Eine heterogene internationale Gebergemeinschaft wird in kriegszerstörten
Staaten und Gesellschaften tätig, die in der Regel schon vor ihren langjährigen
Gewaltkonflikten eine nur schwache und krisengeschüttelte Ökonomie aufwiesen – Finanzund Kapazitätsproblem
Spannungsfelder der Friedenskonsolidierung:
1)
Unkenntnis der „Situation vor Ort“ – bei der Schaffung einer Nachkriegsordnung
geht es immer um kritische Fragen der machtpolitischen Beteiligung und ökonomischen
Ressourcenverteilung. Jeder Krieg, jede externe Intervention produziert Gewinner und
Verlierer. Daher braucht man eine detaillierte Kenntnis der Makro-, der Meso- und der MikroEbene (Staat, Region, Kleinstädte, Dörfer) vor, während und nach dem Krieg
2)
Bedeutung von Wahlen – Formal-demokratische Vorgehensweisen und allgemeine
Wahlen nach dem Modell konsolidierter Demokratien sind nicht immer und überall das beste
Mittel, um stabile Nachkriegsordnungen zu schaffen. Wahlen schaffen oft neue Minderheiten.
Sinnvoller kann es sein, Normen und Prinzipien von Demokratie zu fördern (Toleranz,
Herrschaft des Rechts, Gewaltfreiheit)
3)
Schwierige Entscheidungen – Spannungen zwischen politisch-militärischen
Sicherheitserwägungen und Forderungen nach Rechtsstaatlichkeit und Ahndung von
Kriegsverbrechen oder zwischen der Neugestaltung wirtschaftlicher Strukturen (rascher
Wiederaufbau) und dem Wunsch nach sozialem Ausgleich
4)
Friedensprozess von oben vs. Friedensprozess von unten – tendenzielle
Präferenz für die staatszentrierte Ebene bei Vernachlässigung der Förderung zivilgesellschaftlicher Strukturen und Kräfte „on the ground“; Fokus bei den vorzeigbaren,
evaluierbaren, sichtbaren und medial vermittelbaren Projekten und Programmen des
materiellen Wiederaufbaus vs. Vernachlässigung der Vertrauensbildung und der
Mobilisierung des sozialen Kapitals
5)
Arbeitsteilung und effektive/effiziente Koordination vs. „InteressensphärenFriedenskonsolidierung“ – in der Praxis dominieren oft Durch- und Nebeneinander statt
der erhofften koordinierten Vorgehensweise und des entwicklungspolitischen „Kontinuums“.
Tendenz zu bürokratisierenden Treuhänder-, Vormundschafts- und Protektoratsmodellen
und vornehmlich militärisch gestützter interventionistischer Gewaltausübung oder gar des
Besatzungsregimes (Irak)
Zusammenfassung:
1) Alten wie neuen Terroristen geht es mit ihren diversen kriminellen Handlungen, die
sie selbst aber als politisch darstellen, um den psychischen Effekt (Schock, Panik),
um Sympathisanten zu binden, zu gewinnen und zu radikalisieren. Terroristen dürfen
nicht mit Staaten gleichgesetzt werden. Sie sind Kriminelle, die strafrechtlich (nicht:
militärisch) verfolgt werden müssen.
2) Die Nuklearkontrolle kann nur funktionieren, wenn insbesondere die USA ihren
Abrüstungs- und Kontrollverpflichtungen wieder nachkommen und „Wandel durch
Annäherung“ als Chance begriffen wird.
3) Wie Friendenskonsolidierung gelingen kann, welche Sequenz von Maßnahmen
richtig ist und was wann und wie getan werden sollte, ist äußerst umstritten. Sie sollte
aber in erster Linie als politisches Projekt begriffen werden.
32
10. Vorlesung (05.01.) – Menschenrechtspolitik:
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Klausurvorbereitung
Literaturempfehlungen zum Thema Konfliktursachen und -bearbeitung
Definition von Menschenrechtspolitik und Gründe für die Aufwertung nach 1945
Meilensteine der Menschenrechtspolitik
Akteure der Menschenrechtspolitik
Generationen der Menschenrechtspolitik
Strategien der Menschenrechtspolitik
Die liberale, universalistische Haltung in der Menschenrechtspolitik
Die relativistische, multikulturalistische Haltung in der Menschenrechtspolitik
Die verschiedenen Lager in der Kontroverse
Herausforderungen der Menschenrechtspolitik
Zusammenfassung: Drei Erkenntnisse
Klausurvorbereitung:
90-minütige Klausur; BA: 8 Fragen insgesamt, davon 2 Multiple-Choice-Fragen, 4
Wissensfragen und 2 Essayfragen; 60 Punkte insgesamt, 30 für das Bestehen notwendig
• Beispiel für Multiple-Choice-Frage:
1. Multiple-Choice-Frage (1. Sitzung): Was versteht man in den Internationalen
Beziehungen unter “governance by governments”? (5 Min., 5 Punkte)
a) Dabei wird von Regierungen mittels internationaler
Regierungsorganisationen kooperiert.
b) Dabei wird durch Regierungen und andere nichtstaatliche Akteure regiert.
c) Dabei regieren nicht-staatliche Akteure ohne Staaten.
90-minütige Klausur; MA: 10 Fragen insgesamt, davon 2 Multiple-Choice-Fragen, 5
Wissensfragen und 3 Essayfragen; 80 Punkte insgesamt, 40 für das Bestehen notwendig
• Beispiel für Wissensfrage:
1. Wissensfrage (2. Sitzung): Was sollen Theorien leisten? (5 Min., 5 Punkte)
• Beispiel für Essayfrage:
Steht der Staat weiter im Zentrum der Analyse des Regierens in inter- und
transnationalen Institutionen?
Literaturempfehlungen zum Thema Konfliktursachen und -bearbeitung:
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Müller, Harald und Schörnig, Niklas (2006): Rüstungs-dynamik und
Rüstungskontrolle. Eine exemplarische Einführung in die Internationalen
Beziehungen, Baden-Baden: Nomos. (EURO 27,00)
Ferdowsi, Mir A. und Matthies, Volker (Hrsg.) (2005): Den Frieden gewinnen, Bonn:
Dietz. (EURO 12,70)
Bakonyi, Jutta et al. (Hrsg.): Gewaltordnungen bewaffneter Gruppen. Ökonomie und
Herrschaft nichtstaatlicher Akteure in der Kriegen der Gegenwart, Baden-Baden:
Nomos. (EURO 59,00)
Zangl, Bernhard und Zürn, Michael (2003): Frieden und Krieg, Frankfurt/Main:
Suhrkamp. (EURO 13,00).
Etzersdorfer, Irene (2007): Krieg. Eine Einführung in die Theorien bewaffneter
Konflikte, Wien: UTB. (EURO 19,90)
Definition von Menschenrechtspolitik und Gründe für die Aufwertung nach 1945:
Definition:
33
Unter Menschenrechtspolitik versteht man die gezielte Förderung und Durchsetzung von
internationalen Menschenrechtsnormen. Sie ist damit Thema des Regierens in inter- und
transnationalen Institutionen.
Vier Gründe für die Aufwertung der Menschenrechtspolitik nach 1945:
1. Aufgrund wachsender transnationaler Mobilität gerät das Individuum als Akteur
stärker in das Blickfeld
2. Bereits nach dem 1. Weltkrieg gab es zahlreiche Probleme bei der Anerkennung und
Durchsetzung von menschenrechtlich begründeten Ansprüchen auf nationale
Selbstbestimmung
3.
Eine zunehmende faktische und später auch rechtliche Internationalisierung der
sozialen Frage (z.B. Durch die ILO)
4.
Die verheerenden Auswirkungen einer menschenverachtenden rassistischen
Vernichtungspolitik (Holocaust) sowie die verschiedenen Formen rassistischer Politik
(Apartheid) haben das Bewusstsein für die Notwendigkeit eines international
verantworteten Menschenrechtsschutzes geweckt
Meilensteine der Menschenrechtspolitik:
1945 - Charta der UN (Verpflichtung der Mitgliedstaaten
zur Achtung der Menschenrechte)
1948 – Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948
1958 – Konvention über das Verbot der Diskriminierung in
Beschäftigung und Beruf
1960 – Konvention über das Verbot der Diskriminierung im
Erziehungswesen
1966 – Pakte der UN über bürgerliche und politische sowie
über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte
1966 – Konvention über das Verbot der Rassendiskriminierung
1970 – Konvention über das Verbot der Diskriminierung der
Frau
1984 – Konvention gegen Folter und andere grausame,
unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder
Strafe
1989 – Konvention zum Schutz der Rechte des Kindes
Regional:
1950 – Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK)
1969 – Amerikanische Menschenrechtskonvetion
1981 – Afrikanische Charta der Menschenrechte und Rechte
der Völker (Banjul-Charta)
1981 – Allgemeine Islamische Menschenrechtserklärung
1990 – Neue Islamische Menschenrechtserklärung von Kairo
Akteure der Menschenrechtspolitik:
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Internationale Organisationen (UN-Menschenrechts-kommission bzw.
Menschenrechtsrat – humanitäre Intervention bzw. 'responsibility to protect' (R2P),
EMRK-Europarat-EMRGH, ILO, UNESCO etc., IStGH)
Nicht-Regierungsorganisationen (Amnesty International, Human Rights Watch)
Staatliche Außenpolitik (Hinweis auf Menschenrechtsver-letzungen,
Menschenrechtsdialog, Sanktionen bzw. Vorteile bei Wohlverhalten - “Good
Governance”)
Spannungsfeld zwischen Normdurchsetzung und Interventionsverbot
Generationen der Menschenrechtspolitik:
34
1)
Generation:
Die klassischen individuellen Freiheitsrechte des Westens, wie z.B. Rede-,
Versammlungs- und Religionsfreiheit
Generation:
Ökonomische und soziale Rechte, wie z.B. das Recht
auf einen angemessenen Lebensstandard oder das
Recht auf Erziehung und Ausbildung
Generation:
Rechte der Völker bzw. ethnischen Gruppen, wie z.B. das Recht zur Bewahrung der
eigenen Kultur und Sprache oder des Lebensraums und der Umwelt
2)
3)
Strategien der Menschenrechtspolitik:
Zentrale Herausforderung: Normeinhaltung und Durchsetzung
•
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•
Menschenrechtsdialog mit anderen Kulturen, Appelle und Hinweise
Sanktionen (smart sanctions)
Humanitäre Interventionen
Völkerrechtliche Durchsetzung der Norm von der ‘responsibility to protect’
‘Naming and shaming’
Klagen vor internationalen Gerichten
Länderberichte in Kommissionen
Die liberale, universalistische Haltung in der Menschenrechtspolitik:
Zwei Grundannahmen:
1) Alle Menschen besitzen bestimmte unveräußerliche Rechte auf Leben, Freheit,
Privateigentum, Redefreiheit etc. Der einzig akzeptable Grund, diese Rechte
einzuschränken, besteht darin, dass auch die Rechte anderer gewahrt bleiben
müssen
2) Die zentrale Funktion von Regierungen ist es, diese Rechte zu schützen. Politische
Institutionen und das Regieren müssen diesem Ziel gerecht werden. Das politische
Leben basiert daher auf einem impliziten bzw. zunehmend expliziten Abkommen
zwischen den Bürgerinnen und Bürgern und dem Staat über die Bedeutung der
Menschenrechte
Die relativistische, mulitkulturalistische Haltung in der Menschenrechtspolitik:
Zwei Grundannahmen:
1) Die liberale Ansicht verkennt oder unterschätzt die formative Rolle der Gesellschaft
bei der Konstituierung von Individualität. Erst die Gesellschaft verleiht den Individuen
bestimmte Rechte oder auch nicht. Die Rechte des Individuums dürfen nicht
notwendigerweise die Rechte der Gemeinschaft überschreiben
2) Es gibt daher viele Wege, wie Menschen ein sinnvolles und erfülltes Leben führen
können. Es entspricht einer westlichen Sicht der Dinge, wenn davon ausgegangen
wird, dass das Individuum bereits unveräußerliche Rechte besitzt. Politische
nationale und internationale Ordnungen sollten nicht eine bestimmte Sichtweise
präjudizieren
Die verschiedenen Lager in der Kontroverse:
Universalisten: Der „Westen“, die OECD-Welt, die konsolidierten, westlichen
Demokratien, in denen die Menschenrechte als Individualrechte gegen den Staat
durchgesetzt wurden
35
Relativisten: Staaten aus Asien ('Asian values'), die autoritäre politische Systeme
aufweisen, die kaum oder weniger vom Kolonialismus betroffen waren und deren
jüngster rasanter ökonomischer Aufstieg für sehr viel Selbstvertrauen gesorgt hat
(China, Singapur, Malaysia, Indonesien, Vietnam etc.)
Relativisten: Autoritäre, vom Islam(ismus) geprägte Staaten der arabischen Welt
(Iran, Lybien, Syrien, Saudi-Arabien)
Relativisten: Einige lateinamerikanische Staaten (Kuba, Kolumbien, Mexiko,
Venezuela)
Der Westen gegen den Rest ('the west vs. the rest') oder der Zusammenstoß der
Kulturen ('clash of civilizations')
Die Relativisten haben nur wenige der zentralen Menschenrechtskonventionen
ratifiziert (Ausnahme z.B. die Konvention über die Rechte von Kindern)
Mit der Iranischen Revolution wird die westliche Trennung von religiöser und
weltlicher Autorität (Gottesstaat) sowie die Gleichberechtigung der Geschlechter in
Frage gestellt
Die „Schurkenstaaten“ wehren sich gegen die Menschenrechte als weiteres
Instrument westlicher Hegemonie
Der Streit spiegelt sich u.a. in der Abschlusserklärung der Wiener
Menschenrechtskonvention von 1993 wider
Die 'asiatischen Werte':
Die chinesische Regierung verwahrt sich gegen westliche Vorwürfe wg.
Menschenrechtsverletzungen mit folgenden Argumenten:
Die Gemeinschaftsorientierung des Konfuzianismus steht im Widerspruch zum
individualistischen Menschenrechtsverständnis des Westens – der Einzelne hat
Pflichten gegenüber der Gemeinschaft (nicht umgekehrt)
China ist ein Entwicklungsland mit begrenzten Ressourcen
Kollektive Rechte auf Entwicklung und Subsistenz haben Vorrang vor individuellen
Rechten, die zu sozialen Unruhen führen könnten
Verweis auf das völkerrechtliche Verbot der Einmischung in innere Angelegenheiten
Konturen eines globalen Menschenrechtsdiskurses:
Voraussetzungen und Prinzipien des interkulturellen Menschenrechtsdiskurses:
Alle Stimmen müssen Gehör finden
Alle Beteiligten müssen bereit sein, sich durch die Argumente anderer überzeugen zu
lassen
Der „übergreifende Konsens“ zwischen den unterschiedlichen kulturellen Traditionen
kann sich zu einer „gemeinsamen Sprache der Menschheit“ entwickeln
Hoher normativer oder sogar idealistischer Anspruch, der die Ambivalenz der
Menschenrechte nicht notwendigerweise überwinden kann
Herausforderungen der Menschenrechtspolitik:
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Mangelnde Regeleinhaltung und –durchsetzung
Feministische Kritik an der patriarchalen Grundstruktur der westlichen
Menschenrechte
Gefahr der Aushöhlung bereits erreichter Standards (Transnationaler Terrorismus:
Folterverbot, Verhalten der USA in Guantanamo)
Streit der Kulturen und der Haltungen zur Universalität der Menschenrechte
Grundlage für möglichen Konsens: Einigung auf Minimalstandards (Ächtung von Genozid,
Genitalverstümmelung etc.). Das Leben der Menschen ist weit sicherer und angenehmer,
wenn bestimmte Rechte anerkannt werden, als wenn dies nicht der Fall ist
36
Zusammenfassung:
1) Die Menschenrechtspolitik ist vorrangig ein Phänomen des 20. Jahrhunderts und hat sich
seit 1945 in drei “Generationen” entwickelt.
2) Eine liberale, universalistische Haltung steht einer relativistischen, multikulturalistischen
Haltung gegenüber.
3) Die Vermeidung von zentralen Menschenrechtsverletzungen (‘human wrongs’) könnte
Grundlage für einen Konsens bilden, aber der Streit der beiden Haltungen ist ungelöst
und die Menschenrechtspolitik steht weiter vor großen Herausforderungen.
11. Vorlesung (12.01.) – Demokratie und Entwicklung I:
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•
Klausurvorbereitung
Typen politischer Systeme
Zentrale Begriffe der Transitionsforschung
Drei Phasen der Transition
Vier Wellen der Demokratisierung
Entwicklung der Demokratisierung
Entwicklung der Demokratisierung – das Beispiel Afrika
Zentrale Herausforderungen der Konsolidierung
Transformationstheorien
Methoden der Transitionsforschung
Akteure und Strategien der Demokratisierung
Chancen der Demokratisierung
Demokratieförderung USA und EU im Vergleich
Zusammenfassung: Drei Erkenntnisse
Klausurvorbereitung:
90-minütige Klausur; 8 Fragen insgesamt, davon 2 Multiple-Choice-Fragen, 4 Wissensfragen
und 2 Essayfragen; 60 Punkte insgesamt, 30 für das Bestehen notwendig
• Beispiel für Multiple-Choice-Frage:
1. Multiple-Choice-Frage (3. Sitzung): Wie lautet ein Kernsatz der kritischen Theorie?
(5 Min., 5 Punkte)
a) Nichts ist gut, alles muss kritisiert werden.
b) Ziel ist die Veränderung der Welt, nicht ihre
Interpretation.
c) Alles ist ungerecht, da muss was gemacht werden.
90-minütige Klausur; MA: 10 Fragen insgesamt, davon 2 Multiple-Choice-Fragen, 5
Wissensfragen und 3 Essayfragen; 80 Punkte insgesamt, 40 für das Bestehen notwendig
• Beispiel für Wissensfrage:
1. Wissensfrage (3. Sitzung): Nennen Sie die Grundzüge des Konstruktivismus. (5
Min., 5 Punkte)
• Beispiel für Essayfrage:
Inwieweit kann das Global Governance-Konzept als Antwort auf die
Herausforderungen des globalen Regierens verstanden werden?
Typen politischer Systeme:
Ideale Demokratie
vs.
Perfektes totalitäres System
Kontinuum politischer Systeme
Demokratie Autoritäre Systeme
Totalitäre Systeme
37
Vollkommene Demokratie
Polyarchie
Defekte Demokratie
Realtypen:
Mehrheitsdemokratie
Konsensdemokratie
Typen politischer Systeme:
Autoritäre Systeme:
Semiautoritäre Systeme
Autoritäre Systeme
Prätotalitäre/Posttotalitäre Systeme
Realtypen:
Kommunistisch-autoritäre Regime
Faschistisch-autoritäre Regime
Militärregime
Korporatistisch-autoritäre Regime
Rassistisch-autoritäre Regime
Autoritäre Modernisierungsregime
Theokratisch-autoritäre Regime
Dynastisch-autoritäre Regime
Zentrale Begriffe der Transitionsforschung:
1.
2.
3.
4.
Systemwandel (evolutionärer Wandlungsprozess)
Systemwechsel (Entstehung eines anderen Systemtypus)
Transition (Wandlungsprozess in Richtung Demokratie)
Doppelte Transition (Übergang zur Demokratie und von der sozialistischen
Planwirtschaft zur kapitalistischen Marktwirtschaft)
5. Transformation (Oberbegriff für alle Formen und Aspekte des Systemwandels und
des Systemwechsels)
Drei Phasen der Transition:
1. Ende des autoritären Regimes und Beginn der Liberalisierung (Mehrparteiensystem,
Anerkenntnis der Menschenrechte der ersten Generation)
2. Institutionalisierung der Demokratie durch Verfassungskonferenz und freie
Wahlen/Gründungswahlen (= Transition im engeren Sinne)
3. Konsolidierung der Demokratie (Nach zweiten erfolgreichen Wahlen? Nach
zweimaligem Regierungswechsel? Nach Erstarken der Zivilgesellschaft?)
Vier Wellen der Demokratisierung:
Erste Welle: 1828-1922 (19. Jahrhundert bis Ende des Ersten Weltkriegs)
Zweite Welle: 1943-1962 (Ende des Zweiten Weltkriegs bis Ende der ersten Phase der
Entkolonialisierung)
Dritte Welle: 1974-(1993) (Transition in Südeuropa bis Ende der Euphorie nach Ende des
Ost-West-Konflikts)
[Vierte Welle: ab Mitte der 1990er Jahre (Überwindung der defekten Demokratien)]
38
Entwicklung der Demokratisierung:
Graphik: 121 elektorale Demokratien 2006 (von 193 Staaten)
2008 (weltweit)
Zahl
der Länder (in %)
Bevölkerung
(in Mrd.)
(in %)
Frei
90
47
3,0
46
Teilw. Frei
60
31
1,2
18
Unfrei
43
22
2,4
36
Quelle: Freedom House Index
Der globale Trend
Jahr
Frei Teilw. Frei Unfrei
1977
1987
1997
2007
43
58
81
90
48
58
57
60
64
51
53
43
Quelle: Freedom House Index
Entwicklung der Demokratisierung – das Beispiel Afrika:
Entwicklung der politischen und bürgerlichen Freiheitsrechte, Anzahl der Länder
85/86 80/91 95/96
Frei
99/00 2003 2004 2005 2006
2
4
9
8
11
11
11
11
13
15
19
24
22
21
23
22
Unfrei 31
28
20
16
15
16
14
15
Teilw.
Frei
Quelle: Freedom House Index
Liberale (oder freie Regime) und elektorale Demokratien
Liberale Demokratien
Benin, Botswana, Ghana
Kap Verde, Lesotho, Mali,
Mauritius, Namibia, Sao
Tomé, Senegal, Südafrika
,
= 11
Elektorale Demokratien
Burundi, Guinea-Bissau,
Kenia, Komoren, Liberia,
Madagaskar, Malawi,
Niger, Sambia, Seychellen,
= 13
Quelle: Freedom House Index
39
Einstellung zur Demokratie in zwölf afrikanischen Ländern, 2000-2005 (in Prozent)
Unterstützung für Demokratie
Ablehnung von Militärherrschaft
Ablehnung von Ein-Partei-Herrsch.
Ablehnung von Ein-Mann-Herrsch.
„Wunsch“ nach Demokratie
Politische Geduld mit Demokratie
Zufriedenheit mit Demokratie
um 2000 um 2002 um 2003
69
62
61
82
78
73
69
66
70
80
78
78
44
37
46
46
56
56
58
52
46
Quelle: Afrobarometer
Zentrale Herausforderungen der Konsolidierung:
Ursprungsannahme der Transition: Entweder rasches Durchlaufen der Phasen bis zur
Konsolidierung oder Rückfall in autoritäre Strukturen
Befund: Zahlreiche Staaten befinden sich im “Weder-Noch-Zustand”, sind dauerhaft weder
autoritär noch konsolidierte Demokratien
Breite Debatte um defekte, hybride, illiberale, unvollständige, problematische, kontrollierte,
restriktive, oligarchische, Fassaden-, Grauzonen- etc. Demokratien – Mehrparteiensysteme
mit Wahlen, die aber häufig nicht frei und fair sind.
Entweder eigenständiger Typ (hybride Regime) oder Autokratie oder Demokratie – Debatte
hält an.
Methoden der Transitionsforschung:
Konkordanzmethode (MSSD – most similar systems design):
Auswahlkriterien:
• Ähnlichkeit bei Kontextvariablen
• Differenz in der Ausprägung der operativen Variablen (AV/UV)
Vorteile:
• Isolierung von Kausalbeziehungen
• Generierung und Modifizierung von Hypothesen
Nachteile:
• Entsprechende Bedingungen liegen sehr selten vor
Beispiel: Vergleich im frankophonen Afrika von Ländern, deren Kontext ähnlich ist, die aber
bei Parteiensystem (UV) und Demokratieentwicklung (AV) Unterschiede aufweisen
Differenzmethode (MDSD – most different systems design):
Auswahlkriterien:
• Ähnlichkeit bei den operativen Variablen (AV/UV)
• Differenz bei Kontextvariablen
• Suche nach weiteren erklärenden Gemeinsamkeiten
Vorteile:
• Gewisse Fähigkeit zur Isolierung von Kausalbeziehungen
• Generierung und Modifizierung von Hypothesen
• Bedingungen liegen häufiger vor als bei MSSD
Nachteile:
• Wie der Name sagt – geeignet nur für Ausnahmen
• Entsprechende Bedingungen liegen selten vor
Beispiel: Frankophone, anglophone und lusophone Staaten Afrikas, die einen
unterschiedlichen Kontext haben, die aber hinsichtlich der schwachen wirtschaftlichen
40
Entwicklung (AV) und der dafür geltend gemachten Erklärungen wie Lage in den Tropen,
ethnische Heterogenität etc. (UV) ähnlich sind
Schlussfolgerungen aus den Überlegungen zur Vergleichsmethode:
• Es gibt kein universales „best design“
• Nur Annäherungen an die beiden Ideale sind möglich
• Das Forschungsdesign muss der Fragestellung und der empirischen Lage angepasst
werden
• Verschiedene Forschungsstrategien haben verschiedene Vor- und Nachteile
• „Für einen Hammer sind alle Probleme Nägel.“
Kombinationen verschiedener Strategien im Forschungsprozess (dabei zahlreiche Varianten)
möglich und sinnvoll
12. Vorlesung (19.01.) – Demokratie und Entwicklung II:
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•
•
•
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Klausurvorbereitung
Auswertung der Evaluierung
Akteure und Strategien der Demokratisierung
Chancen der Demokratisierung
Demokratieförderung USA und EU im Vergleich
Literaturhinweise zu Menschenrechten
Literaturhinweise zu Demokratisierung
Phasen der entwicklungstheoretischen Diskussion
Wachstums- und Modernisierungstheorien
Grundbedürfnisorientierung und dependencia
Strukturanpassungspolitik und ‘Washington Consensus’
Good Governance und globale Strukturpolitik
Millenniumsziele und Armutsbekämpfung
Zeitenwende: Rückkehr des Keynesianismus?
Zusammenfassung: Drei Erkenntnisse
Klausurvorbereitung:
90-minütige Klausur; 8 Fragen insgesamt, davon 2 Multiple-Choice-Fragen, 4 Wissensfragen
und 2 Essayfragen; 60 Punkte insgesamt, 30 für das Bestehen notwendig
• Beispiel für Multiple-Choice-Frage:
1. Multiple-Choice-Frage (3. Sitzung): Was ist mit den Stufen der regionalen
Integration in Europa gemeint? (5 Min., 5 Punkte)
a) Die Stufen der Erweiterung der EU von zunächst sechs
auf inzwischen 27 Mitglieder.
b) Die Stufen auf dem Weg zum Sitz des Europäischen
Parlaments in Straßburg.
c) Die Abfolge immer tieferer ökonomischer Integration
von sektoraler Kooperation bis hin zur Politischen
Union.
90-minütige Klausur; MA: 10 Fragen insgesamt, davon 2 Multiple-Choice-Fragen, 5
Wissensfragen und 3 Essayfragen; 80 Punkte insgesamt, 40 für das Bestehen notwendig
• Beispiel für Wissensfrage:
1. Wissensfrage (5. Sitzung): Skizzieren Sie kurz die drei Schulen in der
Globalisierungsdebatte. (5 Min., 5 Punkte)
• Beispiel für Essayfrage:
Was ist, was treibt und wohin führt die Globalisierung?
Auswertung der Evaluierung:
41
Allgemeineinschätzung: 5,6 (von 7)
Mein Durchschnitt in diesem Semester: 6,05 (bei 4 Veranst.)
Note der Veranstaltung: 2,4 (im Durchschnitt: 2,1)
Lehrkompetenz: 5,9
Stärken: Struktur, Skript, Fachwissen des Dozenten, Beispiele, Bezug zu aktuellen Fragen
Schwächen: Zu hohes Tempo, Unpünktlichkeit des Dozenten, zu hoher Umfang/zu viel Stoff,
zu viele Nachträge zur letzten Sitzung (Organisationsdefizite), monotone Sprechweise, kein
Raum für Diskussionen, Mikrophon-Probleme, z.T. überladene Folien, Reader wäre
wünschenswert bzw. Handapparat
Transitionstheorien:
•
•
•
•
•
•
•
Systemtheorien (Talcott Parsons, Niklas Luhmann)
Modernisierungstheorien (S. M. Lipset)
Strukturtheorien (neomarxistische, Barrington Moore)
Kulturtheorien (S. Huntington: „Clash of Civilizations“, P. Bourdieu: „Soziales
Kapital“)
Akteurstheorien: Ansatzpunkt auf der Mikroebene der handelnden Akteure, zwei
Hauptströmungen
deskriptiv-empirische: Die Liberalisierung ist Resultat rationaler Kostenkalküle
seitens der Regierung (O´Donnell/Schmitter)
rational-choice Ansätze: Transition entsteht nicht allein aufgrund von Interessen
und Strategien der Akteure, sondern als eine Abfolge strategischer Situationen;
Demokratie ist kontingentes Ergebnis politischer Konflikte (Przeworski)
Akteure und Strategien der Demokratisierung:
Akteure:
IGOs (z.B. Good Governance-Forderungen der Weltbank für die Kreditvergabe oder
Wahlhilfe der EU und OECD)
NGOs (z.B. Stiftungen der polit. Parteien und deren Arbeit in Entwicklungsländern oder die
‘Open Society’ von George Soros)
Staaten (bilaterale Konditionalität und Unterstützungsmaßnahmen wie z.B. Wahlhilfe,
Institutionenbildung und –stärkung, Unterstüzung beim Aufbau des Rechtssystems/unabh.
Justiz)
Unterscheidung in positive und negative Konditionalität: Langfristaufgabe, die nur in
Umbruchsituationen direkt wirken kann
Chancen der Demokratisierung:
Die Diskussion um die Lipset-These (1960): “The more well-to-do a nation, the greater the
chances that it will sustain democracy.”
Sechs begünstigende Faktoren, die gleichzeitig die Voraussetzungen für umfassende
Konsolidierung markieren:
1. Hohes Niveau sozío-ökonomischer Entwicklung
2. Große und wachsende Mittelschicht, sozial abgefederte Unterschicht
3. Offene Klassenstruktur und vielfältige Aufstiegschancen
4. Hohe Bürgerbeteiligung an Entscheidungen in Parteien, Verbänden und Vereinen
(nicht: “Bowling alone”)
5. Relativ hoher Ausbildungsstand
6. Relativ egalitäres System von Werten
42
Die aktuelle Debatte:
Die VR China vs. Indien: Setzt wirtschaftliches Wachstum Demokratie voraus oder nicht?
•
•
Die VR China als attraktives Modell für viele autoritäre Staaten in der
Entwicklungsländerweilt – Einparteienherrschaft und wirtschaftlicher Erfolg
(Entwicklungsdiktatur)
Indien als „alte“ Demokratie, bei der Massenarmut und wirtschaftlicher Erfolg
nebeneinander existieren
Demokratieförderung USA und EU im Vergleich:
Demokratieförderung der USA in der arabischen Welt basierend auf drei Annahmen:
1)
Die Menschen im Nahen Osten bevorzugen eine demokratische Regierungsform
2)
Wahlen in der arabischen Welt bringen westlich orientierte Regierungen hervor
3)
Demokratie ist vor allem das Ergebnis einer dynamischen Zivilgesellschaft
Annahmen, die sich in der Vergangenheit nicht erfüllt haben. Außerdem setzen in den USA
weite Teile auf eine ‘League of Democracies’, weil in der UNO zu viele undemokratische
Staaten vertreten sind.
Demokratieförderung der EU im 'near abroad', dem erweiterten Kreis der EU-Beitrittsstaaten:
1)
Im Mittelpunkt steht der Aufbau funktionierender Institutionen
2) EU-Erweiterungspolitik dient dazu, die Führungsebenen zur Übernahme
europäischen Rechts und zur Konsolidierung demokratischer Prozesse zu bewegen
Kopenhagener Kriterien: Demokratie, Marktwirtschaft und ‘acquis communautaire’
Die EU setzt zu sehr auf die Erweiterungspolitik und dient eher der Stabilisierung
demokratischer Länder als der Herbeiführung eines Systemwechsels in nichtdemokratischen Staaten
Literaturhinweise zu Menschenrechten:
Fritsche, K. Peter (2004): Menschenrechte. Eine Einführung mit Dokumenten, Paderborn:
UTB.
König, Matthias et al. (2005): Menschenrechte, Frankfurt/Main und New York: Campus.
Literaturhinweise zu Demokratisierung:
Merkel, Wolfgang (2007): Systemtransformation, 2. Aufl., Stuttgart: UTB.
Merkel, Wolfgang et al. (2003): Defekte Demokratien, Bd. 1, Theorien und Probleme,
Wiesbaden: VS Verlag.
Phasen der entwicklungstheoretischen Diskussion:
Dominante Diskurse in den
• 1950er und 1960er Jahren:
Wachstumstheorien, Modernisierungstheorien
[Europäischer und japanischer Wiederaufbau, Entwicklung nach der
Entkolonialisierung]
•
1970er Jahren:
Grundbedürfnisstrategie und Dependencia
[Ende des Vietnam-Krieges; Forderungen nach neuer Weltwirtschaftsordnung]
43
•
1980er Jahren:
Strukturanpassungspolitik
[Verschuldungskrise der Entwicklungsländer]
•
1990er Jahren:
Good Governance
[Ende des Ost-West-Konflikts]
•
2000er Jahre bis 2007:
Halbierung der Armut bis 2015 (Millenniumsziele und globale Strukturpolitik
[Armutsreduzierungsstrategiepapiere (PRSP), Aufstockung der ODA, Budgethilfe]
ab 2008:
Rückkehr des Keynesianismus – 'deficit spending', um mit
der Finanz- und Weltwirtschaftskrise umgehen zu können
Wachstums- und Modernisierungstheorien:
Die Modernsisierungstheorien postulieren, dass die Entwicklungsländer nur dem Vorbild der
heutigen Industrieländer folgen müssen, um sich von einer traditionalen Gesellschaft in allen
Bereichen (Wirtschaft, Politik, Sozialordnung, Kultur) zu einer modernen Gesellschaft zu
„entwickeln“ (leap-frogging)
Wichtige ökonomische Modernisierungsfaktoren:
• Eine Marktwirtschaft ohne politische Einmischung (Neoliberalismus)
• Steigende Investitionsquoten
• Steigende ausländische Direktinvestitionen (FDI)
Fünf-Stadien-Modell von Walt W. Rostow:
1. Traditionale Gesellschaft
2. Schaffung der Voraussetzungen des take-off
3. Take-off-Phase
4. Weg zur wirtschaftlichen Reife
5. Zeitalter des Massenkonsums
Drei Bedingungen:
1. Anstieg produktiver Investitionen von 5 % oder weniger auf 10 % oder mehr des
Volkseinkommens
2. Entwicklung eines (oder mehrerer) wesentlicher industrieller Sektoren mit hoher
Wachstumsrate
3. Vorhandensein oder schnelles Entstehen eine politischen, sozialen und
institutionellen Rahmens
Zusammenfassung:
1) Zentrales Problem der Transition ist die hohe Zahl der defekten Demokratien, bei
denen Institutionalisierung und Konsolidierung der Demokratie nicht gelingen.
2) Zahlreiche Akteure sind um externe Hilfe für die Demokratisierung bemüht, die jedoch
– mit wenigen Ausnahmen – nur mittel- bis langfristig Erfolge vorweisen kann. Bis zur
umfassenden Konsolidierung ist der Weg sehr lang, militärisch ist er nicht zu
erreichen.
3) Die entwicklungstheoretische Diskussion seit Anfang der 1950er Jahre hat pro
Jahrzehnt neue Schwerpunkte gesetzt, ohne dass man dem Ziel – Entwicklung für
alle - wirklich substantiell und überall näher gekommen wäre.
44
13. Vorlesung (26.01.) – Demokratie und Entwicklung III:
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Klausurvorbereitung
Grundbedürfnisorientierung und dependencia
Strukturanpassungspolitik und ‘Washington Consensus’
Good Governance und globale Strukturpolitik
Millenniumsziele und Armutsbekämpfung
Afrika in der Dauerkrise?
Vom ‘Post-Washington Consensus’ zum ‘Beijing Consensus’?
Der aktuelle Streit: Jeffrey Sachs vs. William Easterly
Zeitenwende: Rückkehr des Keynesianismus?
Zusammenfassung: Drei Erkenntnisse
Klausurvorbereitung:
90-minütige Klausur; 8 Fragen insgesamt, davon 2 Multiple-Choice-Fragen, 4 Wissensfragen
und 2 Essayfragen; 60 Punkte insgesamt, 30 für das Bestehen notwendig
• Beispiel für Multiple-Choice-Frage:
1. Multiple-Choice-Frage (7. Sitzung): Welche drei Gründe werden für die Reform des
UN-Sicherheitsrates in der wiss. Diskussion angegeben? (5 Min., 5 Punkte)
a) Der Sicherheitsrat ist zu langsam, zu klein und zu
uneinig.
b) Der Sicherheitsrat tagt zu selten, zu kurz und er ist zu
unentschlossen.
c) Es fehlt dem Sicherheitsrat an Repräsentativität,
Legitimität und Autorität
90-minütige Klausur; MA: 10 Fragen insgesamt, davon 2 Multiple-Choice-Fragen, 5
Wissensfragen und 3 Essayfragen; 80 Punkte insgesamt, 40 für das Bestehen notwendig
• Beispiel für Wissensfrage:
1. Wissensfrage (7. Sitzung): Skizzieren Sie kurz das Weltordnungskonzept von
Robert Cooper. (5 Min., 5 Punkte)
• Beispiel für Essayfrage:
Warum sollte der UN-Sicherheitsrat reformiert werden, welche Reformvorschläge gibt
es und warum ist die Reform bisher gescheitert?
Grundbedürfnisorientierung und dependencia:
Für die größtmögliche Zahl von Menschen sollen innerhalb eines politisch akzeptablen
Zeithorizonts Entwicklungsstrategien implementiert werden, die drei wesentliche
Komponenten umfassen:
1. Die Gewährleistung einer Mindestausstattung mit Gütern des privaten Verbrauchs,
vor allem angemessene Ernährung, Kleidung und Wohnung sowie bestimmte
Haushaltsgegenstände und Möbel
2. Die Bereitstellung grundlegender öffentlicher Dienstleistungen wie
Trinkwasserversorgung, sanitäre Entsorgung, Transport, Gesundheitsdienste und
Bildungseinrichtungen
3. Die zielgruppenorientierte Partizipation der betroffenen Personengruppen.
Dependencia entsteht bereits in den 1950er Jahren in der CEPAL
• Prebish-Singer-These: Säkular sinkende terms of trade der Entwicklungsländer
• Die Industrieländer haben kein Interesse am wirtschaftlichen Aufstieg der
Entwicklungsländer – im Gegenteil, sie halten sie in Abhängigkeit (als Rohstofflieferanten, mit Entwicklungsrhetorik, durch die Dominanz weltwirtschaftlicher
Strukturen und Institutionen)
45
•
Galtung: Die Entwicklungsländer sind strukturell abhängig – die Zentren dominieren
die Peripherien und auch die Peripherien im Zentrum und die Zentren in der
Peripherie sind daran beteiligt (Zentrum-Peripherie-Modell)
Entwicklungsländer erheben ab Anfang der 1970er Jahre in der UNO Forderungen (GV,
UNCTAD) nach einer Neuen Weltwirtschaftsordnung (NWWO):
• Industrieländer müssen bereit sein, für die Schäden der Kolonialisierung und des
Neokolonialismus aufzukommen
• Indexierung der Rohstoffpreise
• Umbau der Abstimmungsverhältnisse in den Bretton Woods Institutionen (von ‘one
dollar – one vote’ zu ‘one country – one vote”)
• 0,7 Prozent-Ziel und garantierte Finanz- und Technologietransfers
Strukturanpassungspolitik und ‘Washington Consensus’:
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
Öffnung der Wirtschaft zum Weltmarkt (Exportpromotion statt Importsubstitution)
Öffnung für ausländische Investoren
Abbau des öffentlichen Haushaltsdefizits
Abbau von Stellen im öffentlichen Dienst
Subventionsabbau
Privatisierung
Deregulierung
Marktwirtschaftliche Orientierung
Hintergrund: Verschuldungskrise vieler Schwellen- und Entwicklungsländer ab 1982
Good Governance und globale Strukturpolitik:
Good Governance:
• Respektierung der Menschenrechte
• Unabhängige Justiz/Rechtsprechung
• Transparenz und Rechenschaftspflicht staatlicher Institutionen
(Korruptionsbekämpfung)
• Demokratie
• Marktwirtschaft
Globale Strukturpolitik:
• Marktzugang (Abbau von Subventionen und tarifären sowie nicht-tarifären
Handelshemmnissen)
• Partizipation und 'ownership' bei den Entscheidungen der großen internationalen
Regierungsorganisationen
• Koordination der gesamten Entwicklungszusammen-arbeit
• Kohärenz privater und staatlicher Maßnahmen
Millenniumsziele und Armutsbekämpfung:
1.
2.
3.
4.
5.
6.
Seit 1969 (Bericht der Pearson-Kommission): Die OECD-Staaten sollen 0,7-ProzentZiel ihres BIP für die ODA aufwenden – häufig wiederholt und feierlich beschworen,
aber völkerrechtlich nie verbindlich festgelegt oder umfassend erreicht
UNO-Generalversammlung September 2000: Die acht Millenniumsziele (MDGs) –
Halbierung der Armut bis 2015
Den Anteil der Weltbevölkerung unter extremer Armut halbieren
Grundschulausbildung für alle Kinder ermöglichen
Gleichstellung der Geschlechter fördern und die Rechte von Frauen stärken
Kindersterblichkeit verringern
Gesundheit der Mütter verbessern
HIV-Aids, Malaria und andere übertragbare Krankheiten bekämpfen
46
7.
8.
Schutz der Umwelt verbessern (Nachhaltigkeit)
Weltweite Entwicklungspartnerschaft aufbauen
•
18 konkrete Teilziele und 48 konkrete Indikatoren
Graphik: Im Vergleich zu allen anderen Entwicklungsregionen ist Afrika noch weit von der
Erreichung der Millenniumsziele entfernt – „kein Fortschritt oder Umkehr“ ist zu verzeichnen.
Afrika in der Dauerkrise?
Statistik: Afrika ist sein ca. fünf Jahren nicht mehr die Region mit dem schwächsten
Wirtschaftswachstum. Aber das dürfte sich ab 2008 wieder ändern.
Vom ‘Post-Washington Consensus' zum 'Beijing-Consensus'?
Der neue Wettlauf um Afrika:
Probleme der Trias aus Staatsversagen, Staatsverfall und Staatszerfall
Migrationsdruck und neue Bedrohungswahrnehmungen (NSS, ESS – Armut =
Terrorismus?)
Das geostrategische Rohstoffinteresse an Afrika
Die VR China und andere Schwellenländer als Konkurrenten des Westens auf den
Märkten Afrikas
Neue Nachfrage nach afrikanischen Produkten, neue Nachfrager und Anbieter,
Probleme der Konditionalität des Westens – bis zur nächsten Krise der
Weltwirtschaft?
Der aktuelle Streit: Sachs vs. Easterly:
Jeffrey Sachs: Das Ende der Armut
vs.
William Easterly: Wir retten die Welt zu Tode
Jeffrey Sachs:
Afrika braucht einen 'big push', weil die bisherige Hilfe zu gering war und zu leicht
versickert ist
In „Millenniumsdörfern“ soll gezeigt werden, dass mit massiven Investitionen auch in
Afrika die Millenniumsziele erreicht werden können – massive Hilfe bei Bildung,
Gesundheit, Agrarproduktion, Infrastruktur etc.
Eine Kombination aus Wachstums- und Modernisierungstheorie sowie
Grundbedürfnisorientierung
William Easterly:
Große Skepsis gegenüber den bisherigen Ergebnissen der rund 500 Mrd. US-Dollar,
die in den letzten Jahrzehnten nach Afrika geflossen sind
Der Ansatz von Sachs steht in der Tradition der „Planer“ wie in der Vergangenheit –
gebraucht würde aber eine Unterstützung der „Sucher“, der eigenen Initiative, die
gegebenenfalls gezielt von außen unterstützt werden könnte
Marktorientierte Skepsis mit einigen Reformvorschlägen (unabhängige Evaluierung,
größere Bescheidenheit, Stärkung individueller Initiative, Voucher-Systeme etc.)
Zeitenwende – Rückkehr des Keynesianismus?
47
Etliche Schwellen- und Entwicklungsländer sind direkt von der Finanz- und
Weltwirtschaftskrise betroffen:
•
Der IWF, der schon als ‘Türkischer Währungsfonds’ verspottet wurde, hat inzwischen
wieder große Strukturanpassungskredite vergeben, auch an OECD-Staaten: Island,
Ungarn, Estland, Weißrußland
•
Der rapide Verfall fast aller Rohstoffpreise trifft viele Entwicklungsländer hart – das
wird durch die fallenden Erdöl- und Nahrungsmittelpreise nur z.T. kompensiert
•
Der ost- und südostasiatische Raum zeigt sich zunächst resistenter – wie lange
noch?
•
Je länger die Krise dauert, desto schwieriger wird die Lage für viele Schwellen- und
Entwicklungsländer
Zunächst noch entwicklungspolitische Kontinuität:
•
‘Paris Declaration’ der OECD-Staaten von 2005 mit vier zentralen Richtlinien für die
Armutsbekämpfung:
Partnerkoordinierung
Geberharmonisierung
Partizipation
Ownership (und zunehmender Budgethilfe)
•
Krugman: Beginn einer zweiten Großen Depression?
•
Negativwachstum in den Industrieländern, starker Rückgang des Wachstums in den
Schwellenländern (Rückgang des Wachstums in China von 12 auf 6 % wäre harte
Landung; in Brasilien und Südkorea auf 3 % auch)
Zusammenfassung:
1)
2)
3)
Seit mindestens dreißig Jahren wird die Entwicklungspolitik von den beiden Bretton
Woods-Institutionen, IWF und Weltbank, dominiert, deren Rolle aber zuletzt durch
den Aufstieg neuer Mächte zurückgedrängt wurde.
Afrikas dauerhafte Probleme bilden den Kern der entwicklungspolitischen
Auseinandersetzung der Gegenwart, ohne dass echte Neuerungen zu erkennen
wären.
Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat auch die Schwellen- und Entwicklungsländer
erfasst, denn schon die Halbierung der bisherigen Wachstumsraten schafft enorme
Probleme.