Wasser-Prawda.de

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Wasser-Prawda.de
Nr. 3/2014
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MEHR ALS NUR EINE
RANDNOTIZ:
WOMEN IN BLUES
Tim Lothar & Holger „Hobo“ Daub in Memphis
BoƩleneck John - Paul BaƩo - Bob Hite - Hands on Strings
Album des Monats: Ursula Ricks - My Street
Gedichte von Odile Endres
Vorabdruck „Der Krieg der Gurken“ von Buchmann & iwi
r
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d
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k
s
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u
l
B
t
i
M
Editorial
präsentiert das
23.
Blues
Festival
Schöppingen
Münsterland
live dabei:
Joe Louis Walker & Band (USA)
North Mississippi Allstars (USA)
Mike Zito & the Wheel (USA)
Delta Saints (USA)
Jonathon „Boogie“ Long &
The Blues Revolution (USA)
Mason Rack Band (AUS)
Mr. Sipp
„The Mississippi Blues Child“ (USA)
Lisa Doby (USA)
Frankie Chavez (PT)
Mountain Men
(F)
and more...
Sa 7. und So 8. Juni 2014
Das 2-Tagesticket (begrenztes Kontingent) wird im Vorverkauf nur
55,- € (inkl. Vvk-Gebühr) kosten. Es kann nur über die Homepage
„www.kulturring-schoeppingen.de“ gebucht werden.
2
© wasser-prawda
Editorial
E
Editorial
in Freund war letztens in Berlin beim Record Release
Konzert für das Doppelalbum „Live In Reitwein“. Auf
der Bühne eine Mixtur von alten Helden der DDR-Bluesszene und ein paar regionale Acts aus der Umgebung der
Kneipe in Reitwein, wo in den letzten Jahren 100 Konzerte schon
stattgefunden haben. Er erzählte mir folgende Bemerkung aus
dem Publikum: „Freygang klingen ja gar nicht mehr so wie damals 1978!“ Für mich ist das ein entlarvender Satz nicht nur über
die Erwartungen des Publikums im Osten Deutschlands sondern
leider auch zum Stand des Blues in den längst nicht mehr neuen
Bundesländern: Es herrscht Stillstand seit vielen Jahren. Stillstand
zumindest bei den Bands und Musikern, mit denen ich lange Jahre groß geworden bin als Bluesfan: Mir reicht es einfach nicht
mehr, immer wieder die alten Hits zu hören. Ich will neue Lieder,
Lieder, die ein Spiegel der heutigen Zeit sind. Ich kann einfach
nicht glauben, dass Musiker wie Bodag, Speiche, Jürgen Kerth
und andere sich eingerichtet haben im musikalischen Altersheim.
Aber genau das wurde in Berlin zelebriert. man feierte eine lang
vergangene Geschichte mit Liedern, die alle kennen und keinen
mehr ärgern können.
Wie man heute mit dem Blues aktuelle Geschichten erzählen
kann, ohne die Tradition zu verraten, das machen Musiker wie
Tim Lothar deutlich, der mit seinem deutschen Kollegen Holger
Daub in Memphis bis ins Halbfinale der IBC kam. Ein anderer
Bericht aus Memphis widmet sich speziell den Frauen im Blues.
Beim Showcase „Women In Blues“ präsentieren sich seit einigen
Jahren Bluesladies aus aller Welt. Und das ist genau das richtige
Thema für den März. Schließlich ist am 8. März der Internationale Frauentag. Aus dem Grund hab ich auch einige bemerkenswerte Neuerscheinungen von Bluesladies in einem Special
zusammengefasst. Denn unter all den Alben von Männern gehen
sie sonst viel zu leicht unter. Etwa das außerordentliche Debüt
„My Street“ von Ursula Ricks aus Baltimore oder der swingende
Rhythm & Blues von Adrianna Marie aus Kalifornien.
Gerade „My Street“ hat bei uns in der Redaktion einen derartigen Eindruck hinterlassen, dass wir es im März zum „Album des
Monats“ bestimmt haben. Es hat sich gegen die wirklich bemerkenswerten Scheiben von Billy Branch & The Sons of Blues und
von Joe Louis Walker durchgesetzt. Denn es sind die Songs von
Ricks, die diese Scheibe zu etwas ganz Besonderem machen: Hier
ist der Blues endlich mal wieder ein ganz aufmerksamer Kommentator der Gegenwart, besonders der Zustände in Baltimore.
Zwei Autorinnen können wir im März erstmals in der WasserPrawda begrüßen. Memphis Mini, Journalistin aus Hamburg
war mit Tim Lothar und Holger Daub unterwegs bei der IBC
in Memphis. Und die Künstlerin und Festivalorganisatorin Terri
Robbins hat über die zunächst von Michele Seidman gegründete
Initiative „Women In Blues“ und besonders deren Auftritte im
Rahmen der IBC berichtet.
Um noch mal auf Engerling zurück zu kommen. Die wollen
demnächst ihr 40jähriges Bestehen feiern. Ich bin der Meinung,
dass dies mit einem neuen Studioalbum passieren sollte. LiveAlben gab es schon zu den letzten Geburtstagen.
© wasser-prawda
3
Editorial
Inhalt
Impressum
Editorial
Die Wasser-Prawda ist ein Projekt des
Impressum
Computerservice Kaufeldt Greifswald. Das pdf-Magazin wird in Zusammenarbeit mit dem freiraumverlag Greifswald veröffentlicht und
erscheint in der Regel monatlich. Es
wird kostenlos an die registrierten
Leser des Online-Magazins www.
wasser-prawda.de verschickt.
Wasser-Prawda Nr. 01/2014
3
4
Auf Tour
Clubs
6
8
MUSIK
Women Sing the Blues in Memphis
10
Von Tischen und Tangas
14
Redaktionsschluss: 06.. März Auf zum Mississippi!
Gewinner der IBC 2014
2014
16
18
Freude am Blues: Ein Interview mit Bottleneck John
Redaktion:
Gitarrenwald imThüringer Wald
Chefredakteur: Raimund Nitz- Paul Batto und die „neue Auszeit“
sche (V.i.S.d.P.)
21
26
29
Redaktion: Mario Bollinger,
Bernd Kreikmann,
Lüder Bob Hite (1943-1981)
Kriete, Matthias Schneider, Blueskalender
Dave Watkins
Blueskalender
36
38
Album des Monats
Mitarbeiter dieser Ausgabe:
•
•
•
•
•
Gary Burnett
Memphis Mini
Terri Robbins
Torsten Rolfs
Darren Weale
Ursula Ricks - My Street
42
Frauen im Blues, Folk, Jazz und Soul
Adrianna Marie - Double Crossing Blues
Alexx & The Moonshiners - En Animation
Die nächste Ausgabe erscheint am 17. Christina Skjolberg - Come And Get It
Electric Blue - Born In Sin
April 2014.
Gisela Novais & The Blue Summers - The Perfect One
Adresse:
Heavy Chevy Band - Open Up
Redaktion Wasser-Prawda
JJ Thames - Tell You What I Know
c/o wirkstatt
Kerri Powers - Kerri Powers
Malaya Blue - Bourbon Street
Gützkower Str. 83
Naomi Wachira - Naomi Wachira
17489 Greifswald
Rachelle Coba - Mother Blues
Tel.: 03834/535664
Tangled Eye - Dream Wall
[email protected]
44
44
45
45
46
46
47
47
48
48
48
49
Rezensionen A bis Z
Anzeigenabteilung:
[email protected]
Gerne schicken wir Ihnen unsere aktuelle Anzeigenpreisliste und die Mediadaten für das Online-Magazin und
die pdf-Ausgabe der Wasser-Prawda
zu. Anzeigenschluss für das pdf-Magazin ist jeweils der 1. Werktag des
Erscheinungs-Monats.
4
Andy Twyman - Blues You Haven‘t Heard Before
Bad Temper Joe - Sometimes A Sinner
Billy Branch & The Sons Of Blues - Blues Shock
Jens Lysdal - Easy Heart
Joe Louis Walker - Hornet‘s Nest
John Lyons - Sing Me Another Song
Johnny Sansone - Once It Gets Started
Maik W. Garthe - Tight Corner
Pete Karnes Blues Band - I‘m Still Here
50
50
50
51
51
52
53
53
54
© wasser-prawda
Editorial
Rosco Levee & The Southern Slide - Get It While You Can
55
Kurz & knapp
Hanggai - Baifang
Kim Simmonds & Savoy Brown - Goin To The Delta
Paul Rodgers - The Royal Sessions
Wille and the Bandits - Grow
Yiruma - Blind Film
56
56
56
56
56
Wiederhören
Eric Bibb - Me To You
Morrissey - Your Arsenal
57
57
FEUILLETON
Koma-Glotzen: House of Cards. Season 2
58
Sprachraum
Odile Endres - Vier Gedichte
J. Buchmann & iwi - Der Krieg der Gurken (Vorabdruck)
Jürgen Landt: titelersparnis
60
63
67
Fortsetzungsroman
Robert Kraft - Die Vestalinnen
© wasser-prawda
70
5
Musik
Auf Tour
3 Dayz Whizkey
30.03. München, Rattlesnake
Saloon
07.04. Köln, JVA Köln
19.04. Mengen, Kultkneipe
5. Chemnitzer Blues &
More Festival
Black Kat & Kittens, Josa, Peters
„Dodge“ Schmidt Band, Keith
Dunn Band
10.05. Chemnitz, DAStietz,
Moritzstr. 20
Akkordeonale 2014
23.04. Karlsruhe Tollhaus
24.04. Reutlingen franz k
25.04. Jena Volkshaus
26.04. Greven Kulturzentrum GBS
27.04.Mülheim Ringlokschuppen
28.04. Bonn Harmonie
29.04. Kassel Adventskirche
30.04. Stuhr Gutsscheune
Varrel
01.05. Dresden Dreikönigskirche
Blue Note Blues Band
11.04. Hohenthann, Hinterholzer Bar
12.04. Bielefeld, Extra Blues
Bar
26.04. Burckmühl, Auszeit
10.05. Kaufbeuren, Blue Night
im Uncle Satchmo‘s
Danny Bryant
02.05. München, Garage Deluxe
03.05. Rutesheim, Uhlenspiegel
07.05. Eppstein, Wunderbar
Weite Welt
09.05. Torgau, Kulturbastion
10.05. Fritzlar, Kulturscheune
11.05. Kiel, Räucherei
Eddy „The Chief“ Clearwater
29.03. Amsterdam, North Sea
Jazz Club (NL)
6
04.04. Mühlheim, Hapa Haole
05.04. Bluezy Blues Festival
Ridderkerk (NL)
06.04. Hoogland, Cafe de
Noot (NL)
07.04. Ruiselede, Banana Pel
(BL)
Engerling
29.03. Lübbenau, Kulturhof
05.04. Singwitz, Kesselhauslager
12.04. Neustadt, Wotufa Saal
30.04. Dresden, Zeitgeist
01.05. Dresden, Bärenzwinger
02.05. Erfurt, Museumskeller
17.05. Wählitz, Erlebniskirche
GProject Blues Band
27.03. München, Theater
Drehleier
10.04. Nürnberg, Brown Sugar
17.05. München, Hide Out
Greyhound George
29.03. Bad Oeynhausen, AK
Bel Etage (m. Andy Grünert)
31.03. Bielefeld, Spökes
Hamburg Blues Band
21.03. Göttingen, Musa
22.03. Bordesholm, Savoy
28.03. Kirchheim/Teck, Bastion
29.03. Metzingen, Hirsch
30.03. Wien, Reigen
11.04. Hamburg, Fabrik
17.04. Marburg, KFZ
19.04. Kulturbastion
02.05. Wangen, Jazzpoint im
schwarzen Hasen
03.05. Habach, Village
20.03. Hannover, Kulturzentrum Faust
21.03. Bremen, Kulturzentrum
Lagerhaus
22.03. Hamburg, Grosse Freiheit 36
24.03. Salzburg, Rockhouse
25.03. Wien, Arena
27.03. Zürich, Moods
28.03. Solothurn, Kulturfabrik
Kofmehl
29.03. München, Freiheiz
03.04. Budapest, A38
IRISH SPRING - Festival
of Irish Folk Music 2014
20.03. Roth Kulturfabrik
21.03. Stuhr Gutsscheune
Varrel
22.03. Kerpen Erfthalle
Kerpen-Türnich
23.03. Marbach Stadthalle
24.03. Tübingen Sudhaus
25.03. Waldkraiburg Haus
der Kultur
26.03. Helmbrechts Bürgersaal
28.03. Gersthofen Stadthalle
29.03. Bebra Ellis Saal
30.03. Bensheim Parktheater
31.03. Hildesheim Bischofsmühle
01.04. Altenkirchen Stadthalle
02.04. Mainz Frankfurter Hof
03.04. Offenburg Reithalle
04.04. Lörrach Burghof
Henning Pertiet
22.03. Kiel, Alte Meierei
29.03. Bremen, Brödelpott
04.04. Minden, St. Simeonis
Kirche (Orgelimprovisationen)
11.04. Bremen-Habenhausen,
Simon Petrus Kirche
30.05. Isenrhagen, Kulturkaffe
Rautenkranz (Trio)
Jesper Munk
23.03. Dresden, Puschkin,
25.03. Hamburg, Rock Café
St.Pauli
26.03. Gera, Comma
27.03. Erfurt, Museumskeller
28.03. Nünberg, Stereo
04.04. Lübeck, Rider‘s Café
05.04. Berlin, Frannz
06.04. Hannover, Mephisto
08.04. Köln, die Werkstatt
09.04. Mannheim, Alte Seilerei
10.04. Konstanz, Kulturladen
11.04. Stuttart, Goldmark‘s
17.04. München, Ampere
Henrik Freischlader
Jessy Martens
© wasser-prawda
Musik
28.03. Berlin, Ratskeller Köpenick (Jessy Martens & Jan
Fischer‘s Blues Support)
29.03. Lehsten, Büdnerei (Jessy Martens & Jan Fischer‘s
Blues Support)
04.04. Koblenz, Cafe Hahn
05.04. Freudenburg, Ducsaal
11.04. Basel, Bluesfestival (unplugged feat. Jan Fischer)
19.04. Wedel, Theaterschiff
Batavia (Jessy Martens & Jan
Fischer‘s Blues Support)
24.04. Berlin, Maschinenhaus
25.04. Isernhagen, Bluesgarage
26.04. Hamburg, Fabrik
Layla Zoe
21.03. Eiscafe Temmler,
Chemnitz
22.03.. Seelow, Kreiskulturhaus (Blues-Rock-Fest)
26.03. Wien, Vienna Spring
Blues Festival
27.03. Velden (Österreich),
Bluesiana
Marius Tilly Band
05.04. Selm, Sunshine
12.04. Winterbach, Lehenbachhalle (Support Mick
Ralphs Bluesband)
02.05. Lüdenscheid, Panoptikum
03.05. Köln, Torburg
Mike Seeber
29.03. Berlin, Frannz-Club
05.04. Frohburg, Rockclub
20.04. Mühlhausen, Kulturfabrik
25.04. Torgau, Kulturbastion
26.04. Lübeck, Riders-Café
04.04. Luzern, Switzerland –
Tschuppis Wonderbar
05.04. Meidelstetten, Adler
06.04. Landshut, Jimmy’s
07.04. Wien, Austria – Bluesfestival
09.04. Rosenheim, Le Pirate
11.04. Dessau, Sonne koppe
Blues
13.04. Grobenbeeren, Bluesfestival
29.04. Kassel, Theaterstübchen
30.04. Twist, Heimathaus
Bluesfestival
Otis Taylor Band
02.04. Münster, Hot Jazz Club
03.04. Leverkusen, Scala Club
04.04. Hannover, Bluesgarage
Popa Chubby
28.03. Erfurt, Museumskeller
29.03. Baden, Baden Blues
Club
31.03. Wien, Reigen
03.04. Roth, Rother Bluestage
04.04. Aargau, Moonwalker
(CH)
05.04. Hannover, Bluesgarage
Sisa Feherova Quartett
25.04. Chemnitz, Eiscafé
Temmler
Speiches Monokel
05.04. Hoyerswerda, KuFa
20.04. Bohnsdorf, BuntzelRanch
THORBJØRN RISAGER
20.03. Lindenwerra, Gemeindesaal
21.03. Wolfsburg, Lindenhof
Nordsteimke
Mitch Kashmar
22.03. Minden, Jazz Club
26.03. Berlin, Yorckschlos- 23.03. Dirlos, Alte Piesel
schen
24.03. Weinheim, Muddy‘s
27.03. Miltenberg, Beavers
Club
29.03. Staudach, Musikbuhne 02.04. Hamburg, Downtown
30.03. Muhlethurnen, Switzer- Bluesclub
land – Alti Moschti
04.04. Bielefeld, Jazzclub
01.04. Emmendingen, Mehl- 05.04. Berlin, Quasimodo
sack
23.04. Bremen, Meisenfrei
02.04.. Kandern, ChaBah
24.04. Bonn, Rocktimes
03.04. Ulm, Charivari Bluesfe- 25.04. Hildesheim, Bischofsstival
mühle
© wasser-prawda
26.04. Isernhagen, Bluesgarage
Tim Kasher
19.04. Solingen, Wohnzimmer
20.04. Kiel, Hansa 48
23.04. Hamburg, Knust
24.04. Berlin, Ramones Museum
25.04. Braunschweig, Hansa
Kultur-Club w/ Al Burian
26.04. Gießen, Alte Kupferschmiede
27.04. Münster, FachWerk
08.05. Leipzig, Sxmxlde
09.05. Dresden, Beatpol
10.05. München - Feierwerk
11.05. Wiesbaden, Schlachthof
12.05. Berlin, Schokoladen
Todd Wolfe
24.04. Hamburg BeLaMi
25.04. Berlin, Kiste n Blues
26.04. Forst, Manitu Liveclub
27.04. Steyregg, Weissenwollf
28.04. Wien, Vienna Blues
Spring
29.04. Suhl, Gambrinus
30.04. Sömmerda, Piano
09.05. Oldenburg, Charly‘s
Musikkneipe
10.05. Dormagen, Streetlife
13.05. Braunschweig,
Barnaby‘s Blues Bar
14.05. Celle, Herzog Ernst
15.05. Wetzlar, Franzis
17.05. Gaildorf, Kulturkneipe
Häberlen
18.05. Straubing, Raven
23.05. Haiming, Gewölbe Eisching
29.05. Leverkusen, Topos
30.05. Wetter, Earth Music
Hall
Tommy Schneller Band
20.3.2014 Windeck
21.3.2014 Garbsen
22.3.2014 Berlin Wabe
27.3.2014 Oberkochen Jazz
Tage
28.3.2014 Krefeld Kulturrampe
29.3.2014 Köln Torburg
30.3.2014 Velbert „Alldie“
Kunsthaus Langenberg
12.4.2014 Greven
7
Musik
Clubs
Barnaby‘s Blues-Bar
(Braunschweig)
21.03.. Modern Earl
22.03.. Bluespower
27.03. Donald Kinsey Band
28.03. The Sharpees
05.04. Krissy Matthews
12.04. Good and dry
19.04. Elizabeth Lee & Cozmic Mojo
25.04. The Revolutionaires
30.04. Booze Band
Bischofsmühle
(Hildesheim)
20.03. Old Blind Dogs
28.03. The Outside Track
31.03. Irsish Spring Festival
10.04. Andrea Marcelli Trio
11.04. Henning Wolter Trio
25.04. Thorbjörn Risager &
The Black Tornado
02.05. Beoga
Blues im Bahnhof
Bahnhof Mannheim. Eintritt
frei.
28.03. Harriet Lewis & Gregor Hilden Band
11.04. Paul Lamb & The King
Snakes
16.05. Zydeco Annie & the
Swamp Cats
20.06. Norbert Schneider &
Winestreet Session
05.09. El Ville Blues Band
10.10. Black Cat Bone
07.11. Abi Wallenstein, Dave
Goodman, Oliver Spanuth,
Steve Baker
Bluesgarage
21.03. Classic Rock Road
Show 2014 (Marcus Bonfanti,
Dan Patlansky, Frankie Chavez)
22.03. Vanilla Fudge
27.03. Banned From Utopia
28.03. Gerry McAvos‘s Band
of Friends
29.03. The Black Cadillacs
04.04. Otis Taylor Band
05.04. Popa Chubby & Band
8
08.04. Tanita Tikaram
10.04. David Grissom & Band
11.04. King King
17.04. The Mick Ralphs Blues
Band
25.04.. Jessy Martens Band
26.04. Thorbjorn Risager &
The Black Tornado
02.05. JJ Grey & Mofro
Cafe Hahn Koblenz
24.03. Alexandra Lehmler
Quintett
31.03. American Songbirds
01.04. Gianmaria Testa
04.04. Jessy Martens Band
05.04. Frank Out!
24.04. Markus Krebs
26.04. Georg Schroeter &
Marc Breitfelder
04.04. Abi Wallenstein &
Blues Culture
09.04. Latin Quarter
11.04. Albert Lee & Hogans
Heroes
12.04. Layla Zoe
16.04. David Grissom
18.04. Bluespackage
23.04. Larry Garner & The
Norman Beaker Band
25.04. Man
Extra Blues Bar
Bielefeld
29.03. Baby Universal
05.04. Kris Pohlmann
12.04. Blue Note Blues Band
20.04. Michael van Merwyk
26.04. Mudcats Blues Trio
30.04. Pete Anthony Alderton
Chabah
79400 Kandern
26.03. Kris Pohlmann Band
02.04. Mitch Kashmar
09.04. BluesBones
16.04. T.Bo & The B.Boppers
23.04. The Tim Mitchell Band
30.04. Aynsley Lister
Frannz Club Berlin
21.03. The Ricochets
27.03. Livingstons
28.03. Michy Reincke
29.03. Mike Seeber Trio
03.04. Keziah Jones
04.04. DEKAdance
05.04. Jepser Munk
Cotton Club Hamburg
20.03. One Trick Pony
24.03. Billbrook Bluesband
27.03. Jelly Baker
31.03. Blue Silver
04.04. MaCajun
07.04. Paul Garner Band
10.04. Boogie Connection
14.04. Jo Bohnsack
17.04. Stupid White Men
20./21.04. 9. Cotton Club
Easter Blues Nights: Jimmy
Reiter Band, Wellbad, Kat Baloun, Jan Fischer
28.04. Eight To The Bar
29.04. B3
30.04. Stevie + The Hand Jive
Hirsch Nürnberg
20.03. Chi Coltrane
25.03. Albert Lee
03.04. Jon Flemming Olsen
04.04. Kellerkommando
08.04. Ton Steine Scherben
09.04. Monsters of Liedermaching
09.04. Die Happy und Gäste
13.04. Vandenberg‘s Moonkings
14.04. Junior Kelly & The
roots Hamonics Band
15.04. John Mayall
16.04. Luxuslärm
22.04. Julian Le Play
28.04. JJ Grey & Mofro
Downtown Bluesclub
Hamburg
22.03. Henrik Freischlader
28,03, TM Stevens Shocka
ZooLoo/Twin Dragons
29.03. Band of Friends
02.04. Thobjorn Risager
Kulturbastion Torgau
22.03. Kris Pohlmann & Band
29.03. DEKAdance
05.04. Elisabeth Lee & Cosmic Mojo
11.04. The Russian Doctors
19.04. Hamburg Blues Band
25.04. Mike Seeber & Band
© wasser-prawda
Musik
01.05. Wolf Maahn & Band
09.05. Danny Bryant & Band
Kulturspeicher
(Bergstraße, Ueckermünde)
22.03. Maximilian Wilhelm
& Band
06.04. Pianola
03.05. Thilo Martinho
31.05. Captain Crap und Band
Laboratorium
(Stuttgart)
20.03. Liv. & Band
27.03. Blues Company
28.03. Al Jones Blues Band
04.04. Paul Millns & Band
05.04. Julie et moi
10.04. Paul Lamb & The King
Snakes
11.04. Anne Wylie Quartett
13.04. Latin Quarter
27.04. Aynsley Lister
02.05. Ben Prestage
Late Night Blues
(Loev Hotel Binz/Rügen)
22.03. Tommy Harris & Band
Beginn jeweils 21 Uhr
Meisenfrei
(Bremen Hankenstr.)
26.03. Paunchy Lovers
28.03. Off Limits
01.04. Sonic Health Club
02.04. Albert Castiglia
03.04. Jane
08.04. Albert Lee
09.04. Jarome
11.04. Wild Black Jets/Stringtone Slingers
12.04. Rihm Shots
15.04. Delta Moon
16.04. Natalia Mateo & Band
17.04. Soul Funk Family
18.04. Hardbone
20.04. Backbeat
23.04. Thorbjorn Risager
25.04. Rob Tognoni
26.04. Cats TV
Museumskeller Erfurt
21.03. DeWolff
22.03. Ignatz
26.03. David Munyon
27.03. Jesper Munk
© wasser-prawda
28.03. Popa Chubby
30.03. Hans Söllner
03.04. John Mayall
06.04. UFO
09.04. Thomas Godoj
10.04. Sebastian Hackel &
Band
16.04. Tim Neuhaus Duo
17.04. Delta Moon
23.04. Katja Werker
25.04. Canned Heat
Music Hall Worpswede
20.03. Pohlmann
21.03. Stoppok plus Artgenossen
28.03. Adjiri Odametey Band
29.03. John Mayall
02.04. Bratsch
05.04. Barclay James Harvest
10.04. Pasadena Roof Orchestra
12.04. Wolf Maahn & Band
24.04. The Hooters
25.04. Merit Becker
26.04. Mokomba
30.04. Saga
22.03. Fred Wesley & The
New JBs
23.03. Classic Rock Roadshow
27.03. Hugh Cornwell
28.03. moe
29.03. Morblus
05.04. Thobjorn Risager
13.04. Roachford
17.04. Jesse Ballard Band
19.04. The Black Diamonds
25.04. Funk Deliscious
26.04. Schwarzkaffee
Räucherei Kiel
28.03. Ray Cooper
04.04. UFO
12.04. Soulfinger
Schwarzer Adler
(47495 Rheinberg)
22.03. Pigor & Eichhorn
04.04. Band of Friends
Tante JU Dresden
02.04.Oysterband (UK)
04.04.Monokel Kraftblues
05.04. UFO (UK)
06.04. Gazpacho (NOR)
11.04. TM Stevens (USA)
24.04. Poogie Bell Band
Musiktheater Piano
(Dortmund)
23.03. Bjorn Berge
28.03. Lake
30.03. Hugh Cornwell
04.04. Richard Bargel & Dead 26.04. Purple Schulz (D)
Yorkschlösschen
Slow Stampede
(Yorkstr. 15, Berlin)
27.04. Randy Hansen
21.03. The toughest Tenors
22.03 La Marche
Musiktheater Rex
(Bensheim)
26.03. Mitch Kashmar & Band
20.03. Albert Lee & Hoogans 28.03. Opera Chaotique
Heroes
Bruno de Sanctis & Jakkle!
21.03. The Shanes
30.03. Sltaim‘band
06.04. Roachford
02.04. Jan Hirte‘s Blue Ribbon
08.04. Stacie Collins Band
04.04. Roger & The Evolution
24.04. Lisa Doby & Band
05.04. Dizzybirds
25.04. RoxxBusters
06.04. Jo Trio
26.04. Klaus Major Heuser 09.04. Mike Green & Band
Band
11.04. Hattie St. John Band
12.04. The Boogie Blasters
O‘Man River
13.04. The Rock m Roll Trio
(Friedensstraße, Heringsdorf)
16.04. Kat Baloun
21.03. Gotte Gottschalk
17.04. Jay Hahn Swinging All28.03. Eric Lenz
stars
18.04. Lenard Streicher Band
Quasimodo Berlin
21.03. Guitar Crusher & Band
9
Musik
Einen herzlichen Dank
an all die talentierten
Frauen im Blues, die
mitgeholfen haben (in
überhaupt keiner Reihenfolge):
Shaun Murphy, Mandy Lemons, Carlene Perkins Thornton, Amy Hart, Eleanor Tsaig
with Ori Naftaly Band, Niecie
Blues, Gracie Curran, Tracy
K, Logan Layman, Debra Devi, Redd Velvet, Erica Brown,
Lauren Mitchell, Annie Mack,
Laura Cheadle, Pam Taylor,
Sunday Wilde, April Mae, Julia Cruz Magness, Cassie Taylor, Pat Pepin, Laurie Morvan,
Rhonda Robichaux, Janelle
Frost, Diedra the Blues Diva,
Juke Joint Judy, Hurricane
Ruth, Octavia Blues Harp,
Lady Rose, Bridgette Kelly,
Lucy Hammond, with surprise guests Markey Blues, Anna
Marie, Brick Fields, Annika
Chambers and Laura Chavez,
and more!
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Women Sing the Blues
in Memphis
National Women in Blues war die Idee von Gründerin und „Chief Bottle Washer“ (CBW) Michele
Seidman. Michele hatte beobachtet, dass Blueskünstlerinnen zu wenig wahrgenommen und oft
gar übersehen wurden und sah die Notwendigkeit, das Spielfeld für diese talentierten Frauen
zu verbessern. Das machte sie zu ihrer persönlichen Mission und ein paar Jahre später beschloss ich, ihr zu helfen. Von Terri Robbins.
2006 schuf sie mit der Hilfe einer Handvoll Menschen und
Sponsoren im schönen Wilmington (North Carolina) das „National Woman In Blues Festival“, dessen Einnahmen zur Unterstützung bedürftiger Bluesmusikerinnen und für Rechtsstreitigkeiten
verwendet wurden. 2007 sah ich, dass diese Frau etwas Hilfe benötigte und bot sie ihr an. Und wir wurden „Partner“, weil ein
passenderes Wort dafür fehlte. Das Festival wurde von 2006 bis
2008 veranstaltet, als sowohl Micheles als auch meine Gesundheit
für ein paar Jahre die Kontrolle über unsere Leben übernahmen.
Im Herbst 2012 war Michele in meinem Haus und wir unterhielten uns über die bevorstehende International Blues Challenge
in Memphis (Tennessee). Das ist das größte Zusammentreffen
von Bluesmusikerinnen und Bluesmusikern in der Welt! Ich half
den Organisatoren dieser monumentalen Veranstaltung, der Blues
Foundation, seit 2004. Und so meinte ich: „Michele, was könnte
es für eine bessere Zeit geben, um Frauen im Blues von überall auf
dem Planeten an einem Ort zusammen zu bekommen?“ Unsere
Augen begannen zu leuchten und Michele sagte: „Wir sollten eine
© wasser-prawda
Musik
Gracie Curran
Eleanor Tsaig
Logan Layman
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Musik
Titelseite: Mandy Lemons
Amy Hart & Tracy K
Redd Velvet
Debra Devi
Lucy Hammond & Mandy
Lemon
Tracy K & Bob Corritore
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Women In Blues Veranstaltung während der IBC haben!“ Damit
begann unser Kreuzzug, um die Operation bis nach Memphis auszudehnen.
Die Blues-Familie ist eng und meistenteils loyal. Da ich für fast
zehn Jahre bei der IBC ausgeholfen hatte, war alles was ich tun
musste (denn wir hatten mit buchstäblich nichts angefangen),
die Idee gegenüber von Michael Powers, Besitzer von Yellow Dog
Records, zu erwähnen und der Ball kam ins Rollen. Er empfahl,
Kontakt zu Judy Peiser vom „Center for Southern Folklore“ aufzunehmen, die uns den Veranstaltungsort zur Verfügung stellte. Die
gleichermaßen schöne und talentierte Cassie Taylor, Tochter von
Otis Taylor, hörte von der Veranstaltung und fragte, ob sie unsere
Zeremonienmeisterin sein könne.
Aber wir hatten keine Anlage, keinen Soundtechniker, weder Instrumente noch Geld, ... wirklich nichts, aber innerhalb von nur
zwei Wochen kamen meine Freundin Heidi Knochenhauer und
andere von der Memphis Blues Society und rollten die Ärmel hoch.
Präsident Brian Wells bot uns das Schlagzeug an. Der talentierte
Victor Wainwright lieh uns ein Keyboard. Eric Hughes und Xanadu Music and Books steuerten je einen Verstärker bei. Vinni Marini von „Music on the Couch“ gab uns jede Menge Zeit im Radio
für Werbung und promotete die Veranstaltungen. Tim Woitiwitz
von Carlene Perkins and the Juke Rockets Blues Band verdiente
sich sein erstes Paar „Ehreneierstöcke“ durch sein Angebot, unser
Toningenieur zu werden. All das kam so schnell auf uns zu und
brachte Micheles Kopf zum Rotieren, denn es war ihre Aufgabe,
dieses Event zu organisieren.
Wir hatten unseren ersten „WiB All-Star Jam“ im „Center for
Southern Folklore“ während der IBC 2013 und den „WiB Showcase“ während des Wettbewerbs 2014. Dutzende talentierter Frauen
haben unsere Bühnen beehrt, zu viele, um sie aufzuzählen. Und ich
will nicht eine herausgreifen, ohne alle anderen auch zu nennen.
Frauen im Blues haben geholfen, das Genre lebendig und gesund
zu erhalten. Jetzt arbeiten wir daran, mit Veranstaltungen wie diesen aber auch durch Medien und Airplay im Radio, die Frauen
in dieser Musik zu unterstützen, auszubilden und zu fördern. Zugleich versuchen wir, den Künstlerinnen wo immer möglich direkte Kontakte zu vermitteln. Durch die Hilfe und Unterstützung
unserer Freunde, die Frauen im Blues lieben, konnten wir Micheles
Traum am Leben erhalten und wir schauen in eine Zukunft mit
noch größeren und besseren Ereignissen.
Wer sich einen kleinen Eindruck vom „WiB Showcase“ im Jahr
2014 verschaffen will, sollte sich das Feature „Female Blues Singers
Shine In Memphis“ auf der Homepage von Voice of America anschauen.
© wasser-prawda
Musik
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Musik
Darren Weale’s . Brief aus dem Vereinigten
Königreich
Von Tischen und Tangas
Fotos
Erja Lyytinen
Tanga „Voracious Love“ aus
dem Merchandising-Angebot
der finnischen Gitarristin
Wˎ˕ˌ˘˖ˎ ˝˘ ˝ˑˎ Lˎ˝˝ˎ˛ ˏ˛˘˖ ˝ˑˎ U˗˒˝ˎˍ K˒˗ːˍ˘˖
Deutsche haben einen Ruf für ihre Effizienz. Ich hab dafür
einige Beweise gesehen in der Musik. Der beste Merchandising-Tisch, den ich jemals gesehen habe, gehörte dem deutschen Gitarristen Henrik Freischlader. Er war wundervoll.
Der Tisch selbst im Beaverwood Club in Chistlehurst in
South-East London ist nicht vielversprechend. Eine Holzbar in einer Ecke in der Nähe der Tür dicht bei ein paar
stählernen Catering-Regalen. Der Türsteher ist auch in der
Nähe und verkauft manchmal CDs für Bands, die sich
schon belästigt vorkämen, wenn man ihnen die Benutzung
des Merchandising-Tischs vorschlüge.
Oft sehe ich Bands mit bekannten Namen und guter Musik im
Beaverwood Club auftauchen und einen schmuddeligen Zettel
auf den Tisch packen, auf den jemand in Handschrift mit schwarzem Edding “CDs £10” geschrieben hat. Der Zettel landet direkt
neben einem schiefen Haufen dieser CDs. Dann verschwinden
die Musiker für den Rest der Nacht außer für die Zeit, wo sie auf
der Bühne stehen. Es scheint so, als ob sie ihre CDs nicht wirklich mögen würden oder es ihnen egal wäre, ob sie eine davon
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© wasser-prawda
Musik
verkauften. Und es scheint so, als ob sie das Publikum nicht sehen
wollten, das bezahlt hat, um sie auftreten zu sehen.
Hier gibt es natürlich Ausnahmen. Die charmante finnische
Slide-Gitarristin Erja Lyytinen hatte einen gut vorbereiteten
Tisch. In dessen Zentrum lag ein scharlachroter Tanga mit dem
Namen ihres damals neuen Albums drauf: „Voracious Love“. Ich
kaufte einen, aus Forschungsgründen natürlich. Schließlich verdiene ich tagsüber mein Geld im Marketing. Leider lieh ich den
Tanga einem britischen Bluesmusiker, den ich kenne. Damals
lachte er darüber. Aber heute behauptet er, ihn nie bekommen.
zu haben Trotz allem: Die Vorstellung, die Erja von ihrem Marketing hatte, war bestechend. Wenn ich sie wieder einmal sehe,
muss ich einen weiteren Tanga für Forschungszwecke kaufen.
Henrik freilich war eine ganz andere Klasse. Ein echter Mensch
stand die ganze Nacht hinter dem Tisch, um Dinge zu verkaufen.
Eine gute Decke bedeckte den Tisch, extra für diesen Anlass mitgebracht. Da gab es gedruckte Preisschilder. Es gab Tischlampen,
um das Angebot zu beleuchten. Es gab eine große Auswahl an
Artikeln zu kaufen und einige bedruckte Blätter Papier, die man
sich kostenlos signieren lassen konnte.
Hendrik verschwand nicht einfach nach seinem Auftritt (der
übrigens wundervoll war). Er kam geradewegs an, um sich mit
den Besuchern zu unterhalten und ihre Einkäufe zu signieren. Er
hatte auch eine Mailingliste, in die man sich eintragen konnte.
Kurz gesagt: Henriks Brillianz beim Marketing passte zu seinem
überragenden Gitarrenspiel. Ich bewundere seine deutsche Effizienz.
Als weiteren Beleg dafür, warum das wichtig ist, schaue ich
nach Amerika. Muddy Waters Sohn Mud Morganfield sagte mir
einmal auf die Frage, warum er sich für seine Bühnenauftritte so
elegant kleidet: „Die Leute zahlen nicht dafür, einen schlampigen
Typen zu sehen.“ Wenn eine Band ihren Merchandising-Tisch
schlampig behandeln, werden die Leute auch keine Lust haben,
für ihre Alben und anderen Dinge Geld auszugeben.
Bˎ ˙˛˘˜˙ˎ˛˘˞˜ ˊ˗ˍ ˎ˗˓˘ˢ ˢ˘˞˛ ˕˒˟ˎ
˖˞˜˒ˌ ˊ˗ˍ ˊ˕˕ ˝ˑˊ˝ ˒˜ Gˎ˛˖ˊ˗!
© wasser-prawda
Links
Alistair Cooke - www.bbc.
co.uk/programmes/b00f6hbp
Beaverwood Club and other
Pete Feenstra London venues
- www.feenstra.co.uk
Erja Lyytinen - www.erjalyytinen.com
Henrik Freischlader – www.
henrik-freischlader.de
Mud Morganfield - www.
mudmorganfieldblues.com
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Musik
Auf zum Mississippi!
Ein Deutsch-Dänisches Duo im Semifinale der
IBC in Memphis. Von Memphis Mini.
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Fotos:
Holger Daub & Tim Lothar am Mississippi
Ankunft in Memphis
Unterwegs zum Fluss
Lothar & Daub beim International Shocase
Treffen mit den Suitcase
Brothers aus Spanien
Was macht einen Solo-Act zum Duo? Wenn der andere auch
da ist... Dass Tim Lothar, hoch dekorierter dänischer Bluesgitarrist, am Ende einer mehrtägigen Zitterpartie „da“ war,
kostete ihn einiges an Nerven und Optimismus. Denn, ob
er – rechtzeitig oder überhaupt – zur Internationalen Blues
Challenge (IBC) in Memphis/Tennessee – gelangen konnte,
stand kurz vor Start in den Sternen.
D
er dänische Blues-Musiker, der vom Baltic Blues e.V. für
die Teilnahme an der IBC nominiert wurde und seinen
Duopartner Holger „HoBo“ Daub einlud, ihn zu begleiten, saß im Norden Dänemarks fest. Starker Schneefall in
Frederikshavn und Aalborg, gestrichene Zug- und Flugverbindungen wenige Tage vor Abflug und unklare Wettervorhersagen
zwangen ihn, umzudisponieren. Er buchte einen Flug Hamburg/
Amsterdam, schlug sich mit dem Zug so weit südlich durch, wie
er kam und wurde in Kolding abgeholt. Auf dem Hamburger
Flughafen wollte er sein Ticket dann aktualisieren lassen – trat
er doch die lang gebuchte USA-Reise nicht von Aalborg, sondern von Amsterdam an. Lapidare Information am Info-Schalter:
„Geht nicht.“ „Sorry?“ „Geht nicht.“ Eine Weiterreise nach Memphis sei nicht möglich. Reiseantritt ab Aalborg nicht bestätigt,
also Flug nach Memphis nicht zulässig. So seien die Regeln. Ergebnis: Ein fassungsloser Musiker und eine farblose, gleichgültige
© wasser-prawda
Musik
weibliche Person, die weder um Hilfestellung noch um Lösung
des Problems bemüht war. Erst die entzückende Angestellte beim
Check-in, bei der das Gepäck wartete, machte wieder Hoffnung:
„Fliegen Sie nach Amsterdam und gehen Sie da direkt zu KLM.
Schildern Sie ihr Problem. Das klappt schon...“
E
ineinhalb bange Stunden später: Sie sollte Recht behalten.
Tim Lothar durfte in den Flieger nach Minneapolis/Memphis und fand am Ende wieder bestätigt, was er zwischendurch
selber fast bezweifelt hatte: „It always works out.“ (Es klappt am
Ende doch irgendwie.) Nach insgesamt 40 durchwachten Stunden, aber keinerlei weiteren Problemen: glückliche Landung in
Memphis. Hier erstmal Füße hoch, Warten auf Holger Daub,
der kurze Zeit später mit einem anderen Flug eintraf. Tag eins
in Memphis: Einmal den Mississippi sehen, Finger eintauchen,
bei strahlendem Sonnenschein das Programm durchspielen und
sich vorbereiten auf den International Showcase im New Daisy
Theatre, der eineinhalb Tage später stattfinden sollte: Ausgewählte IBC-Nominierte durften sich hier Mitmusikern und Zuschauern schon einmal außerhalb der Challenge präsentieren.
D
as Teilnehmerfeld in diesem Jahr war groß: 255 Blues-Acts
aus der ganzen Welt waren für die IBC gemeldet; 125 unter
der Kategorie „Bands“ (2013: 124), 101 für „Solo/Duo“ (2013:
80), 29 Youngsters in der Kategorie „Youth Showcase“ und damit beim weltgrößten (Blues-)Musik-Wettbewerb dabei. Tim
© wasser-prawda
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Musik
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Nachts auf der Beale Street
Tim Lothar beim Viertelfinale im 152 Club
Lothars/Holger Daubs Auftritt im New Daisy begann mit zwei
Schrecksekunden – einmal, als Jay Sielemann, Geschäftsführer
der „Blues Foundation“, die beiden völlig überraschend auf Bühne
rief, obwohl noch eine Band vor ihnen spielen sollte. Die professionelle Planung der IBC sieht einen äußerst straffen Zeitplan vor:
fällt ein Act aus, rückt der folgende nach. Das hieß für die beiden:
Zack, zack – Instrumente greifen und rauf auf die Bühne. Zweiter Schreck: Holgers Harp-Amp machte Probleme, die aber gelöst
werden konnten, so dass der Auftritt als „stressful but went fine“
abgespeichert wurde. Überwältigend die Reaktion des Publikums
– es gab ehrliche Anerkennung: Von allen Seiten reckten sich Arme, schüttelten die beiden Hände, gratulierten ihnen Kollegen und
Bluesfans zum gelungenen Auftritt; Sitznachbarn stellten sich als
Fans aus Kanada, Musiker aus Australien (Chris O’Connor und
Familie) oder eben den USA (z.B. The Octavia Blues Band) vor.
D
Gewinner der IBC 2014
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Solo/Duo: Tim Williams
(Calgary Blues Music Association, Kanada)
Band: Mr. Sipp (Vicksburg Blues Society, Mississippi)
er erste Wettbewerbsauftritt für das Duo Lothar/Daub folgte
dann einen Tag später im Club 152 – natürlich ebenfalls auf
der Beale Street: Die Location – herrlich düster, das Publikum interessiert und aufmerksam, die Jury taufrisch, der Sound perfekt.
Mit in der Konkurrenz, die sich so aber gar nicht anfühlte, an
diesem Tag alte Bekannte von Tim Lothar: Die spanischen Suitcase Brothers (Foto vor Club 152 mit Gitarren), die in 2013 bei der
IBC Zweite wurden; Little G Weevil, Sieger des gleichen Jahres
oder Nico Wayne Toussaint & Michel Foizon aus Frankreich. So
zurückhaltend Tim Lothar im Umgang wirkt, so ausdrucksstark
ist er auf der Bühne: Als würde ein Schalter umgelegt, arbeitet er
sich mit seiner Gitarre, einer beeindruckenden, starken Stimme
und Einsatz des ganzen Körpers durch die sehr persönlichen Stükke. Immer meint er, was er singt, nie fehlen seiner Musik Seele
und Aufrichtigkeit. „HoBo“ Daubs, von Sonny Boy Williamson,
Little Walter oder Rod Piazza beeinflusstes, dynamisches und mitreißendes Mundharmonikaspiel, seine passgenauen Improvisationen und die songdienliche, emotionale Spielweise illustriert und
unterstreicht eloquent, was der Gitarrist da liefert. Tim Lothar
© wasser-prawda
Musik
und Holger Daub legten einen tollen Auftritt hin und bekamen
wieder eine Menge anerkennende Kommentare, die sie direkt zurückgeben konnten. Tim Lothar: „I want the Suitcase Brothers to
win. They are better than ever.“ Die Suitcase Brothers: „We want
Tim Lothar to win!“ Lothars Urteil über die Quarter Finals: „This
night was fun. The best acts were the Europeans – Spain and
France. Nice to meet all these guys again.“ Wie auch immer – am
Ende waren die beiden weiter. Tom Shakas Bruder (Swamp Shaka
Duo with Tony C) samt Familie stellte begeistert fest, dass mit
Holger ein Hamburger in Memphis dabei war, Buck Hoffmann
vom Duo Buck Hoffmann & Paul McQuade ließ Tim nach dem
Auftritt auf seiner Gibson L1 von 1945 spielen (Foto).
Sowohl im Hotel als auch hier wieder faszinierend zu sehen – die
Solidarität und Freundlichkeit zwischen den Musikern – ob vorher miteinander bekannt oder nicht. Da wurde sich im Fahrstuhl
kurz unterhalten (Joe Mauldin und Frau, Nico Wayne Toussaint,
diverse Bands) – am Ende traf man seine Hotelnachbarn auf dem
nächsten Auftritt wieder: Die hatten sich die Lothar/Daub-Auftritte herausgepickt und trotz des eigenen engen Zeitplans alles
daran gesetzt, rechtzeitig dabei zu sein. Ein Radiointerview bei
Vinny Bond Marini von „Music on the Couch“ (Foto) und ihr
großartiger, professioneller TV-Live-Auftritt bei Ditty TV (Foto)
komplettierten die unvergleichlichen musikalischen Erfahrungen
des Dänisch-Deutschen Duos hier in Memphis. Dann, schließlich, das Halbfinale: Ort der Semi-Finals am Freitag war das „12
bar“ im Jerry Lee Lewis. Hier war es sehr viel lauter, der übergewichtige junge Mann am Mischpult wirkte leicht desinteressiert,
die Jury von den anstrengenden Tagen zuvor durchaus ermüdet.
Startplatz: Letzter Solo/Duo-Act von acht Auftritten um 22.30
Uhr. Mit im Starterfeld so gute Leute wie Lucious Spiller, The
Suitcase Brothers oder Micah Kesselring, der das Semi-Finale
viermal hintereinander für unterschiedliche Blues Societies erreicht hat. Klar war: Von den acht starken Teilnehmern würden
an diesem Semi-Abend nur zwei weiter kommen...
© wasser-prawda
Zur Autorin
Memphis Mini, Journalistin
aus HH, im Norden der Republik regelmäßig unterwegs
für Tageszeitungen, Stadtreiseführer und Besseressermagazine.
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Musik
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Mike Seeber Trio im
Hardrock Cafe
Interview bei Music on
the Couch
Fernsehauftritt bei Ditty
TV
Buck Hoffmann lässt Tim
seine Gibson L1 aus dem
Jahre 1945 ausprobieren
S
pät abends dann die erlösende Info: Tim Lothar und Holger
Daub waren nicht mehr dabei – nun war Freizeit und Sightseeing angesagt! Von wegen. Tim wurde noch am selben Abend
krank, schlief zwei Tage lang. Holger jammte bis tief in die Nacht
zum wiederholten Male im New Daisy mit sämtlichen Bluesgrößen, die die IBC aufzubieten hatte; Tim verschlief auch das Finale
im prachtvollen Orpheum, das Tim Williams in der Kategorie Solo (zweiter Lucious Spiller) und Mr. Sipp mit Band gewann. Aber,
ganz mit sich im Reinen und überglücklich, konnte Tim sich ehrlich freuen über eine tolle Woche in Memphis und das persönliche
Semifinale: „Our concert went fine – perhaps our best one.“
© wasser-prawda
Musik
Freude am Blues: Ein
Interview mit Bottleneck John
Bottleneck John ist einer von Europas besten Vertreter des
Blues. Sein im letzten Jahr beim Opus Label veröffentlichtes Album „All Around Man“ ist eine wundervolle Sammlung traditioneller Blues-Songs und drei neuer Stücke. Es
ist ein Album mit einer Menge großartigem Spiel auf akustischen Gitarren, inklusive exzellentem Slide-Spiel auf alten und modernen Resonator-Gitarren. Insgesamt ein toll
produziertes und überzeugendes Blues-Fest! Interview von
Gary Burnett (zuerst veröffentlicht auf Down In The Crossroads). Übersetzung: Raimund Nitzsche
Johan, zuerst Glückwünsche zum neuen Album - es ist fantastisch. Bist Du zufrieden mit den Reaktionen, die es hervorgerufen hat?
Vielen Dank! Ja, das Album bekam rund um die Welt wunderbare Kritiken - und das ist für mich nicht weniger als ein Traum der
in Erfüllung ging! Es gab einfach so viele positive Dinge, die diese
Veröffentlichung ausgelöst hat, Menschen von überall suchen den
Kontakt, um mir zu sagen, was ihnen das Album bedeutet. Ich
bin gerührt und überwältigt, es ist eine Freude, die Musik mit
so vielen zu teilen. Und in den Musikmedien war es das Gleiche,
sowohl was die Soundqualität als auch was die Musik angeht. So
bin ich ein stolzer und glücklicher Mensch!
Wie kommt ein Typ aus Schweden dazu, Blues zu singen. Und
was ist es, was Dich bei den alten Blues-Songs berührt?
Das muss der gleiche Grund wie bei jedem Blues-Musiker irgendwo auf der Welt sein: Der Blues lässt mich etwas fühlen, was die
meisten anderen Musikstile nicht schaffen. Ich werde von alten
Blues, Gospel & Spirituals, Worksongs usw. berührt. Das ist die
einfache Antwort, aber warum und wie das der Fall ist, das kann
ich mit Worten nicht erklären. Der Blues kennt keine Grenzen
und kümmert sich nicht darum, wo Du her bist. Jeder, der Höhen
und Tiefen im Leben hatte, kann sich durch diese wundervolle
Musik ausdrücken. Es ist alles darin. Und das mag ich!
Mein Herz ist für immer verwurzelt hier in den Wäldern und
Bergen im Norden Schwedens. Meine Seele aber gehört eigentlich
ins Mississippi Delta. Wenn ich dort drüben bin, dann fühle ich
mich in spiritueller Hinsicht zu Hause, dürfte schwer zu erklären
sein, aber ich fühle es in meinen Knochen.
Die alten Blues-Aufnahmen, die wir auf 78er Platten hören, sind
so direkt, so unwahrscheinlich tief, von Herzen kommend und
wahr. Sie sind einfach einzigartig, Das ist das beste Wort, um zu
beschreiben, was ich beim Hören fühle.
Und wenn ich die alten Klassiker live auf der Bühne spiele, dann
klingen sie auf meine Weise, weil ich niemals die alten Bluesmu-
© wasser-prawda
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Musik
siker und ihre Lieder exakt nachspiele. Es fühlt
sich großartig an, in der Lage zu sein, ein OldSchool-Repertoire für heutige Bluesfans anzubieten. Wenn ich auftrete, dann singe ich normalerweise die originalen Texte, mache aber die
Musik ganz zu meiner eigenen, nutze das Original nur als Plattform für neue Ideen.
Du bist ein äußerst talentierter Gitarrist - erzähl uns über einige der Bluesgitarristen, die
dich beeinflusst haben, und von denen Du gelernt hast.
Da sind so viele, die Einfluss drauf hatten, wie
ich ans Gitarrespielen herangehe, nicht im Detail, aber vom Gesamtgefühl her. Alte Meister
wie Tampa Red, Blind Willie Johnson und Son
House natürlich. Ich glaub, der Typ, der dafür
verantwortlich war, dass ich mit dem SlideSpiel begann, war ein Schwede namens Göran
Wennerbrandt, der einige exzellente Sachen auf
paar Alben von Eric Bibb gespielt hat. Da gibt
es wunderbar geschmackvolle Sachen auf Bottleneck und Lapsteele! In den frühen Tagen meines Slide-Spiels hörte ich auch eine Menge von
Corey Harris, da gibt es auf seinen ersten Alben
wirklich feines Spiel zu hören.
Die Fähigkeiten von Blind Willie Johnson waren schlichtweg nicht von dieser Welt. Das ist
die einfache Wahrheit, wie er sein Instrument
beherrschte, war ehrfurchtgebietend. Auch
Robert Johnson brachte die Dinge auf ein neues
22
© wasser-prawda
Musik
Level, und das macht auch Derek Trucks heute. Sein Slide-Spiele
ist schlicht fantastisch!
Akustikblues ist äußerst lebendig zur Zeit - Leute wie Eric Bibb,
Keb Mo, Guy Davis und so weiter sind sehr populär. Welche der
heutigen Künstler hörst Du Dir gern an?
Natürlich die, die Du genannt hast. Aber ich höre auch sehr gern
Doug MacLeod, er ist einfach fantastisch! Die Carolina Chocolate Drops und Paul Rishell sind andere gute akustische Rootsmusiker momentan. Es ist immer die Stimme, die mein Interesse
zuerst erweckt, erst dann die Instrumente, die der Künstler spielt.
Ich glaub, Du hast eine interessante Sammlung von Gitarren.
Erzähl uns über einige Deiner Lieblinge.
Ich habe einige alte Gitarren, Mandolinen und Banjos. Die hab
ich in den letzten 15 Jahren oder so gesammelt. Angefangen hat
das Finden und Reparieren dieser alten Stücke als ein Hobby. Inzwischen ist nicht mehr genug Zeit vorhanden, um nur aus Spaß
zu Restaurieren. So repariere ich diejenigen, auf denen ich spiele.
Es ist cool, das selbst machen zu können, das reduziert einige der
Kosten, die es braucht, um ein Wrack wieder spielbar zu bekommen.
Was ich an diesen historischen Instrumenten mag, ist dass sie eine
„Seele“, oder meiner Meinung nach „Mojo“ haben. Wie auch immer Du es nennst: sie sprechen zu mir und durch mich ganz anders als es eine moderne Gitarre kann. Vielleicht passiert das nur
in meinem Kopf, aber so fühle ich es. Meine älteste spielbare Gitarre stammt ungefähr von 1840. Gebaut wurde sie in Deutschland. Durch die Jahre und die Gebrauchsspuren der Vergangen-
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Musik
heit, bekomme ich beim Spielen ein großartiges Feeling. Und sie
klingen natürlich auch perfekt für alten Blues.
Für das Album war es mein Ziel, den Hörern neben der guten Musik so viele verschiedene Gitarren wie möglich vorzustellen. Nicht,
weil es nötig gewesen wäre, sondern weil es Spaß machte!
Ich denke, es kommt nur sehr selten vor, dass eine solche Vielzahl
alter und neuer Resonator- und Akustikgitarren auf einem einzigen
Album aufgenommen werden. Und das kann man in der guten
Soundqualität hören, die das Markenzeichen von Opus 3 Records
ist.
Auf der CD hören wir 19 verschiedene Saiteninstrumente aus meiner Sammlung neben anderen Instrumenten wie Konzertflügel,
Tuba, Mundharmonika, Hammondorgel und Kontrabass.
Um hier ein paar Favoriten aufzuzählen: Da haben wir eine Dobro
von 1936 mit Metallkörper und Fiddle-Kante, eine wunderbare alte Gitarre. Eine 1914er Levin mit schönen Einlegearbeiten, eine
in Schweden gebaute Salon-Gitarre. Dann haben wir noch eine
National Duolian von 1933, die ultimative Resonator für Blues
nach Meinung vieler Musiker (mich eingeschlossen). Die gibt einen tiefen heulenden Ton von sich. Gespielt wird auf dem Album
auch eine 12-saitige Resonator, die ich selbst aus eine sechssaitigen
hergestellt haben. Selbst eine einsaitige Zigarren-Kisten-Gitarre,
ein Diddley-Bow kann man beim letzten Lied von „All Around
Man“ hören.
Da ich mich so sehr für alte Gitarren und Mandolinen interessiere,
wollte ich die Gelegenheit nutzen, diese Klänge mit Blues- und
Gitarrenfans überall zu teilen. Ich hoffe, Ihr steht auf diese Idee!
Wenn ich live spiele, wechsle ich die Instrumente häufig und verwende für verschiedene Auftritte verschiedene Modelle. Meine historischen Instrumente bring ich aber nur zu Konzerten mit, wenn
ich weiß, dass sie dort sicher sind. Manche Läden sind in der Beziehung etwas unsicherer und dort bringe ich dann neuere Versionen,
Klone der alten Nationals und Dobros mit.
Den Blues hat man oft „Musik des Teufels“ genannt. Aber daneben gibt es auch eine lange Geschichte von Gospel-Blues. Und
einige Lieder auf Deiner neuen Platte sind Gospel-Blues - offensichtlich fühlst Du dich mit diesen ebenso wohl wie mit Spirituals. Wie kommt das? Was ist an diesen Songs auch im 21. Jahrhundert noch relevant?
Des Herrn Antwort auf die Musik des Teufels! Das ist eine Weise,
die alten Gospel-Blues zu bezeichnen.
Es hat etwas von einem Zeitsprung, es ist berührend und großartig, diese frühen, tief religiösen Lieder zu singen. Und ich mach das
bei jedem Auftritt. Melodien und Texte erzählen von Arbeit, Mühen und Leiden, das die Menschen aushalten, aber auch von dem
warmen Mitgefühl und dem echten Glauben an Gott, der ihnen
Kraft zum Weitermachen gab.
Damals spielten Musiker am Samstag Blues in den Juke Joints und
am nächsten Morgen spielten die gleichen Musiker Gospelmusik
in der Kirche. Die Texte waren verschieden, aber die Musik blieb
die Gleiche.
Es ist keine religiöse Ursache, welhalb ich Gospel und alte Spirutals
singe sondern ich mach es aus dem wichtigen historischen Anteil,
den sie für diese Musik haben. Und sie verdienen es definitiv, wei-
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Musik
terhin gespielt zu werden. Ich will dabei helfen, die Tradition am
Leben zu halten.
Für mich ist es fast genauso wichtig, die Geschichte und die Hintergründe der Musik zu kennen und weiterzugeben wie die Musik
selbst zu spielen!
Was hält 2014 für Bottleneck John noch bereit?
Später im Jahr wird es hoffentlich ein neues Album geben, ich
freue mich sehr darauf, mit den Aufnahmen bei Opus 3 anzufangen. Tourneen und Gigs hier und da gibt es wie üblich. Das ist
überhaupt das Beste daran, ein reisender Musiker zu sein: neue
Orte zu besuchen und neue Zuhörer zu treffen!
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Musik
. Februar: Hands on Strings im Jazzclub
Eisenach
Gitarrenwald im
Thüringer Wald
Aus dem Thüringer Wald wurde auf der Bühne ein Gitarrenwald (O-Ton: Thomas Fellow) – Ibanez-E-Gitarre,
Konzertgitarren verschiedenster Korpus- und Saitenformen,
Tweed bezogene Duncan-Verstärker, eine kleine Effekt-Treter-Sammlung, zwei Stühle … Hands on Strings sind die
Gitarristen Thomas Fellow und Stephan Bormann. Gast
bei ihrer „Prometheus Tour“ war der Mandolinespieler und
Sänger Mike Marshall. Eine Konzertkritik von Torsten
Rolfs.
Am Anfang des gut besuchten Konzertabends stand das Titelstück der Tour der beiden Gitarristen. Thomas Fellow vermochte
in launigen Ansagen die Schwierigkeit des Findens von Titelbezeichnungen von Musikstücken zu erklären. So erfuhr das Publikum, dass das Titelstück nicht durch jahrelanges Studium der
griechischen Mythologie seinen Namen erhalten habe, sondern
einfach ein Katastrophenfilm im Kino den Titel entstehen ließ.
Sei es durch die Einführung zum Thema Film (stellenweise lang,
aber eben auch kurzweilig) oder der Wiedererkennungswert ein-
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Musik
zelner Töne – ein 3-Tonzitat kam mir in den Sinn Lalo Shiffrins
Mission Impossible-Thema). Das mehrfache Intonieren des Themas des Stückes, abwechselnd oder unisono gemeinsam gespielt,
gefolgt von intensiven Soloparts mit enormer Dynamik entzückte
dies gleich am Anfang das Publikum.
Der Titel „Offroad“ aus einem der vorhergehenden Programme
führte er mit den Worten ein, die Musiker und ihr Gast seien auf
den Spuren Bach´s in Eisenach gewandelt und sie hätten auch die
waldreiche Umgebung entdeckt. So passte es gut, sich das Wandeln auf waldreichen, steinigen Pfaden vorzustellen.
Die Kino- und Filmbegeisterung steigerte sich dann auch im
Stück Chewbaka (der geneigte Leser vermag sofort die passende
Filmtrilogie auf der Leinwand zu sehen). Thomas Fellow erzeugte
mit Hilfe gekonnt eingesetzter Effekte vom „R2D2“-Pedalboard
mit der Ibanez-Gitarre sphärische Klänge. Das Thema hatte fast
etwas von einem Kinderlied, das in einem Turnaround mit Chorus- und … effekten gipfelte, bis dann Bormann mit der Konzertgitarre das Thema aufnahm und in dem heiteren Turnaround
Fellow wieder übernahm und Bormann das Thema vocal unterstützte …
So vergingen die ersten 20 Minuten wie im Flug und einer guten Konzertdramaturgie folgend, spielten die beiden ein wunderschön besinnliches Stück und die Zuhörer hatten somit Gelegenheit zu entspannen, Luft zu holen.
Die virtuose Kraft der beiden Gitarristen zeigte sich auch im
nächsten Stück. Hier erzeugte bei mir die Ansage mit der Erklärung der Rhythmus- und Taktbesonderheiten (in einem geradlinigen Leben muss man auch mal ungerade Taktarten nutzen)
eine Vorfreude, die sich dann nicht bestätigt fand, wenngleich
das Stück einen enormen Fuss-Wipp-Charakter hatte. Zum Ende
des Sets gab es zwei Stücke, die die Zuhörer in der Alten Mälzerei besonders mit einbezogen. Zunächst einmal „Erkennen Sie
die Melodie“ mit einer Adaption des Popsongs „Somebody That I
Used To Know“ von Gotye und als letztes (auch hier wieder einer
perfekten Dramaturgie folgend) eine Komposition mit dem Namen „Loco“, bei der die Besucher aktiv mit einbezogen wurden.
Im 4/4 Takt den Männern die ersten drei Taktzeiten zum Klat-
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Musik
schen und den Frauen im Publikum die 4 in Achteln … (O-Ton
Bormann: zwei Schwierigkeitsgrade ein leichter für die Frauen und
einen sehr leichten für die Männer) Die Musiker auf der Bühne
konnten sich über ein rhythmus-sicheres Publikum freuen.
Das zweite Set stellte den grandiosen Gast Mike Marshall an der
Mandoline in den Mittelpunkt. Die drei Musiker verstanden sich
musikalisch blind auf der Bühne, wenngleich ihr Minenspiel in
besonderem Maße diese Verbindung deutlich machte. Ein Pophit,
Conga von Gloria Estefan bildete den rhythmisch virtuosen Anfang des Sets.
Bei The Gator Strut spielte Mike Marshall ein Mandoloncello,
das eine warme Basstonalität erzeugte und somit den Rhythmuscharakter des Stückes pointierte und die beiden Gitarristen ein
wahres Solistenfeuerwerk abfeuern konnten.
Mike Marshall war ganz beseelt vom Spirit der Stadt Eisenach
mit seinem großen Sohn – Johann Sebastian Bach – und Mike
Marshall vermochte diese Begeisterung in sein Spiel mit einzubeziehen. In einem Solo-Stück begann er mit einem Zitat Bach´scher
Barockmusik, um dann mit Bluegrass-Elementen in einem organischen Übergang fortzufahren. Im Gesangspart des Stückes lebte
die Roots-Music Tradition auf, um dann wieder in einer Phrase
klassischer Tonalität zu enden.
Nach zwei weiteren Stücken zum Ende des Sets ging in der von
begeistertem Applaus geforderten Zugabe so richtig die Post ab:
I´m sittin´on top of the world - der beliebte Bluesklassiker - erhielt
in dieser Instrumentierung ein ganz eigenes Gepräge. Auch in diesem Stück gefiel die Stimme von Mike Marshall mit rauchig warmem Timbre. Ein letztes Stück gab den drei Musikern noch einmal Gelegenheit, ihre virtuose Expressivität ausspielen zu können.
Mit ihren Instrumenten in der Hand und weiter spielend verließen
sie unter Beifall die Bühne.
Wie lässt sich diese Gitarrenmusik von Hands on strings schubladisieren? Ist das Jazz, weil es im Jazzclub stattfand, war es Klassik,
weil aus der klassischen Gitarrenschule kommend die Virtuosität
im Vordergrund steht? Ist es vielleicht doch auch PopMusik, weil
es Freude macht populäre Themen zu adaptieren? Bei dieser Musik
wird klar, dass es nicht um die vermarktungsgerechte Kategorisierung von Musik geht, sondern der Musiker mit seinem Instrument
die stilistische Diversität bestimmt. Auch wird deutlich, dass von
bestimmten Künstlern Hörgewohnheiten geprägt wurden, und der
Schreiber und ein weiterer Zuhörer sofort Assoziationen zu Al di
Meola, Pacco di Lucia und John McLaughlins Friday Night in San
Francisco hatten.
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Musik
Paul Batto und die
„neue Auszeit“
Paul Batto ist ein in Europa weitgereister Musiker, der seinen Ursprung in Südosteuropa hat. Geboren in Slowenien
lebt er heute in der Tschechischen Republik, von wo aus er
seiner Konzertreisen in Europa startet. Zum Konzert am
25. Januar 2014 in der Bruckmühler Auszeit gibt es zwei
Novitäten: Erstens ist die Auszeit als Restaurant und Musikbühne neu konzeptioniert und zum zweiten bringt Paul
Batto seine neue CD „Lonesome Road“ mit. Interview und
Fotos: Mario Bollinger.
D
ie Auszeit ist ursprünglich ein Eßlokal in Bruckmühl zwischen München und Rosenheim. Der
Betreiber Mario Oksas hat aber das Lokal Schritt
für Schritt in einen Laden mit Liveveranstaltungen
umgeprägt. Viele lokale und internationale Musiker haben hier
Konzerte gegeben. So haben hier schon Musiker wie „Sir“ Oliver
Mally aus Österreich, Bastian Semm mit seinem CASH – Singerof-Songs-Programm und die Kabarettisten Franziska Wanninger
und Helmut A. Binser ihr Programm gezeigt. Der neueste Coup
ist aber die optische Umgestaltung des Lokals und der Speisekarte. Der Look des Lokals ist moderner. Glas, Stein und blaues
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Musik
Licht prägen die Optik. Für die Musiker gibt es jetzt einen besser
ausgewiesenen Bühnenteil mit Bühnenlicht und einem schwarzen Vorhang als Hintergrund. Die Speisekarte ist fokussierter und
der neue Mann hinter der Theke Muhammer Gül ist an diesen
positiven Änderungen sehr beteiligt gewesen. Die Tische sind
kleiner geworden, locker in Gastraum verteilt und bieten für 4060 Personen Sitzplätze. Der Gastraum kann bei der Show jetzt
abgedunkelt werden, die alten UFO-Lampen sind verschwunden
und Muhammer besteht darauf, dass während der Show Ruhe
herrscht und selbst die Espressomaschine hat zu schweigen. Nach
wie vor lockt Mario Oksas mit freiem Eintritt zu den Konzerten
und Kabaretts, jeder Gast kann aber während der Show seine Anerkennung durch eine Spende in den Hut Ausdruck verleihen.
Paul Batto war bereits letztes Jahr Gast von Mario Oksas und als
er das Lokal betrat, sagte er spontan und begeistert: Das ist aber
nicht das Lokal, wo ich schon mal gespielt habe!
V
or der Show hatte ich Gelegenheit, mit Ondra Kriz (Ondřej
Kříž) zu sprechen, der Paul Batto auf vielen seiner Konzerte auf dem Klavier begleitet. Ondra Kriz ist mit seinen
26 Jahren bald halb so jung wie sein Partner Batto. Beide haben
sich in Ondras Heimatstadt Tabor südlich von Prag getroffen, als
Paul dort vor einigen Jahren hinzog. Neben Paul Batto begleitet
er noch den Bluesmusiker Rene Trossman und unterrichtet Kinder am Klavier. Sein Konservatoriumsstudium hat er zu Gunsten
eines frühen Musikerberufs aufgeben, was ihn aber nicht daran
hindert, sein Wissen und Können unkonventionell an Klavierschüler weiterzugeben und damit seinen Lebensunterhalt mitzuverdienen. Sie müssen natürlich das Basiswissen erlernen, aber das
nicht zwangsweise an den alten Komponisten wie Bach oder Mozart. Er erlaubt seinen Schülern zu spielen, was ihnen gefällt und
erhält hier auch die Unterstützung der Eltern. Daneben macht er
z.B. 120 Shows im Jahr mit Paul Batto oder Rene Trossman.
Die Musikszene in der Tschechischen Republik entwickelt sich
stetig, die wahre Musikszene spielt sich in den Theatern und Kulturhäusern ab, die es noch reichlich aus alten Zeiten gibt. Die Pubs
in Prag dagegen werden vornehmlich von Touristen frequentiert
und sind nicht das Ziel von Musikern wie Ondra Kriz oder Paul
Batto. Auf die Frage, ob sich Auftritte wie in der Auszeit mit einer
Anreise von 500km für Ondra rentieren, antwortet er: „Nun,
ich spiele nicht nur für das Geld, sondern auch für den Spaß“. Er
selber hat zwar Deutsch in der Schule gelernt, aber leider mittlerweile durch das wesentlich häufiger gebrauchte Englisch fast alles
wieder vergessen.
Paul Batto und Ondra Kriz brauchten kaum 30 Minuten zum
Aufbauen, dann ging das Konzert auch schon los. Paul Battos
eindringliche Stimme, eine Resogitarre, seine Stompbox und Ondras Klavier sorgen gleich für einen schnellen Opener der Show.
Anfänglich herrschte noch etwas Unruhe im Raum, aber als Paul
Batto einen sehr leisen Song mit spanischen Elementen anstimmte, herrschte sofort gespannte Ruhe im Publikum. Während Paul
Battos Wesen von Stimme und Spiel geprägt ist und er ansonsten ein sehr ruhiger Musiker auf der Bühne ist, lebt Ondra auch
körperlich in seiner Musik. Körperhaltung und Gestik unterstrei-
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Musik
chen seine Aussage: „Ich spiele
nicht nur für das Geld sondern auch für den Spaß“. Paul
Batto hat mir dann hinterher
erzählt, dass er auf der Bühne
nicht allzu viel von sich preisgibt. Bei dem Song „Garden
of Love“ erzählt er aber dann
doch von seiner neuen Heimatstadt in Südböhmen, einer
Kirche, eine Haus dahinter
und dem Garten dazu. Bei
einem Pianosolo von Ondra
läßt sich das Publikum dann
doch mal zu einem Szenenapplaus hinreisen. Paul Batto beschließt nach 2 Zugaben den
Abend mit Amazing Grace,
einem alten Kirchenlied, das
einen Sinneswandel eines ehemaligen Sklavenschiff kapitäns
beschreibt. Als allerletzte Zugabe geben Paul Batto und
Ondra Kriz ihre Version von
„Moon River“, was einmal
mehr die Bandbreite von Paul
Battos Gesang unterstreicht.
Einen besseren Schlussakkord
kann mit sich nach dem Musikprogramm der Beiden fast
nicht vorstellen.
Nach dem Konzert stand mir
auch Paul Batto zu einigen
Fragen für die Wasser-Prawda
zur Verfügung
WP: Woher kommst Du und wo geht es hin?
PAUL BATTO: Ich weiß es nicht. Ich betrachte das Ganze als
Tomatenpflanzen und -ernten. Ich bin jetzt 47 Jahre alt und plane nicht mal 6 Monate voraus. Ich bin Großvater geworden, ich
kümmere mich um meine Kinder und es macht mir viel Spaß. Ich
bin in Slowenien geboren, mache seit dem 18. Lebensjahr Musik,
begann zu singen und bediente mich der afrikanisch-amerikanischen Gospeltraditionen und der Art, wie in Kirchen zu singen.
Wurzeln habe ich keine. Ich bin nicht in einer musikalischen Familie aufgewachsen, es gab keine Schallplatten und ich hatte nur
das Radio als Quelle. Ich war lediglich einen Monat auf einer
Musikschule. Musik faszinierte mich schnell und ich kam dann
sozusagen über die Hintertür zur Musik. Ich habe Slowenien
mit 20 Jahre verlassen. Ich ging in die Schweiz, mache Spiritual
Music, Blues, spielte in einem Jazztrio, in Big Bands. Ich machte
viel verschiedene Musik und mache es noch, aber es sind immer
Schaffensperioden. Es gibt viele Musiker, die viele Stile spielen,
aber keinen Stil richtig rüberbringen. Ich mache das schon auch
und für ein offenes Publikum ist das eine abwechslungsreiche
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Musik
Präsentation. Ich richte mich aber nicht nach dem Anspruch des
jeweiligen Publikums, sondern mache einfach mein Ding. Und
ich mache das in Perioden. In erster Linie spiele ich erst mal für
mich. Die Bühne ist für mich immer noch ein sehr privater Bereich. Ich habe heute ein breites Spektrum und ich spiele das alles
gerne.
WP: Verfolgst Du auch andere Projekte?
PAUL BATTO: Eigentlich nein. Ich werde viel eingeladen, ich
kann mit Big Bands singen. Ich wurde auch für Musicals wie
Jesus Christ Superstar eingeladen zu singen, aber ich habe abgelehnt, da es Kraft kostet. Vor einem halben Jahr habe ich von
einem Philharmonischen Orchester die Einladung angenommen,
„Anatevka“ zu singen, aber im Wesentlichen habe ich nicht die
Zeit und die Kraft, sowas zu verfolgen. Ein Orchester erfordert
Proben und Aufwand, was ich nicht bereit bin aufzubringen, obwohl es immer eine gute Erfahrung ist. Ich habe daher gelernt,
Nein zu sagen, um mich nicht in Dinge zu verlieren, die mir
nichts bringen. Die meisten Leute mögen eigentlich die Musik,
die von mir stammt. Ich schreibe ca. 90% aller Songs selbst und
das ist für mich die ehrlichste Art und Weise, Musik nahezubringen. Ich kann mich hinsetzen, einen ganzen Abend Jazzstandards
singen. Das ist sicherlich nett und aber der Effekt ist nicht der
Gleiche, als wenn ich meine Songs singe.
WP: Deine letzte CD “aint but one way” ist aus dem Jahr 2010.
Deine neue CD heißt „Lonesome road” . Erzähl uns mehr darüber.
PAUL BATTO: Die CD ist eine reine solo CD und jetzt im Januar 2014 erschienen. Ich habe lediglich meine Stimme und meine
Gitarre aufgenommen. Die letzte CD war von den Mitmusikern
und Instrumente wie die Lapsteel Gitarre dominiert. Dieses Mal
wollte ich nur ein Mikrophon und sonst nichts.
WP: Welche Instrumente spielst Du?
PAUL BATTO: Ich spiele eine Republic Resonator Gitarre, ich
benutze eine custom made Archtop Gitarre und eine hundert
Jahre alte Parlor Gitarre. Sie ist auf dem Cover der neuen CD
abgebildet. Diese Gitarren sind fantastisch und haben ein unendliches Sustain. Sie sind einzigartig und immer mit einer eigenen
Stimme. Dann benutze ich noch eine Cole Clark aus Australien
und habe ein sehr schöne tschechische Furch Gitarre. Viele Instrumentenhersteller kommen aus der tschechischen Republik. In
der Gegend von Markneukirchen und aus der tschechischen Seite
kommen Firmen wie C.F. Martin ebenso Höfner und Framus.
Ich habe zwei Furch Gitarren und das sind Weltklasse Akustikgitarren.
WP: Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Ondra Kriz?
PAUL BATTO: Wir leben in der gleiche Stadt Tabor, in die ich
vor ca. 5 Jahren gezogen bin. Wir haben uns da getroffen und seit
dem spielen wir zusammen.
WP: Welche anderen Projekte verfolgst Du mit Ondra?
PAUL BATTO: Wir machen einiges zusammen, aber ich spiele
auch gerne alleine, weil ich dann ganz andere Dinge tun kann.
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Musik
Mein Publikum mag mich solo genau so gerne, weil sie meine
Stimme lieben und ich mich auf sowas konzentrieren möchte
WP: Wie posititionierst Du Dich und Deine Musik?
PAUL BATTO: Ich bin ein Singer/Songwriter, ich schreibe zu
90% meine Songs selber. Ich halte mich von Strömungen fern,
verkehre kaum mit Bluesmusikern, werde deshalb manchmal als
Musikanarchist bezeichnet und halte mich auch fern von Zirkeln.
Ich mache halt einfach mein Ding und fühle mich nicht als ein
Teil einer Szene. Manche Leute fühlen sich verwirrt, wenn ich
mal den Stil wechsle, ich möchte einfach keinem Stil zugehören.
Und ich liebe meine Freiheit.
WP: Hast Du eine Message, welche Du Deinem Publikum nahebringen möchtest?
PAUL BATTO: Ich möchte keine Message rüberbringen, da sie
politisch sein könnte und das möchte ich nicht. Ich halte es da wie
Randy Newman, der nie einen selbstbeobachtenden Song über
sich selbst schrieb. Alles was er geschrieben hat, hatte nichts mit
ihm zu tun. Ich erzähle nicht viel und erkläre auch nichts auf der
Bühne. Eine sehr introvertierte Art, Musik zu machen. Ich liebe
ein Publikum, das gerne zuhört und nicht viel fragt. Ich antworte
natürlich und man kann mit dem Publikum arbeiten, aber das
ist nicht meine Art. Am Ende des Tages bin ich es, der da auf der
Bühne ist und die Leute akzeptieren mich so.
WP: Wenn Du einen Wunsch hättest, mit jemanden ein Konzert zu machen – wen würdest Du Dir wünschen?
PAUL BATTO: Ich habe da keine Wünsche
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33
Musik
Paul Batto - Lonesome
Road
Paul Battos neue CD heißt
„Lonesome Road“ und enthält
11 Songs aus seiner Feder. Im
Gegensatz zur vorherigen CD
spielte er diese CD komplett
solo ein. Im Gespräch erwähnte er, dass die vorherige zu sehr
von den anderen Instrumenten wie einer Lapsteel dominiert war. Das wollte er hier
grundlegend ändern. Ein Mikrofon, eine alte Parlorgitarre
und seine eindringliche Stimme. Ein Konzept, das auch bei
vielen anderen Musikern im
Singer/Songwriter-Genre Anklang findet. Die Songs sind
bewusst kurz gehalten, um
unnötige Wiederholungen zu
vermeiden.
Da die Kombination Stimme/akustische Gitarre nicht
sehr viel Abwechslung bieten, klingen einige Songs sehr
ähnlich ohne eine Spannung
aufzubauen. Wesentlich interessanter sind die Stücke, in
den Paul Batto das Tempo erhöht oder abwechslungsreiche
Rhythmen spielt. Ein solcher
Titel ist “Hey, Hey here comes
a new day”. Auch ungewöhnliche Einflüsse wie spanische
Melodien lassen den Zuhörer
aufhorchen. In „Storm’s comin‘“ blitzt er dann wieder
durch, der Blues von Paul
Batto: Coole Stimme, tolles
Fingerpicking auf einer ungewöhnlichen Parlorgitarre. Im
Titelsong „Lonesome Road“
zeigt Paul Batto, dass er auch
ein Könner auf der Resogitarre ist. Trotzdem ist es kein
typischer Bluessong, bedient
sich lediglich an Fragmenten
des Blues und kombiniert sie
zu einem typischen Song dieser Solo-CD von Paul Batto.
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WP: Was weißt Du von München?
PAUL BATTO: (Schweigt) - Ist Paulaner aus München? Ich habe
ein oder zweimal im Hide Out gespielt. Ich kenne den ehemaligen
Music Shop, Aber ich gehe auch nicht auf Großveranstaltungen
wie Oktoberfest.
WP: Du bist oft in den Niederlanden?
PAUL BATTO: Ja, ich bin mehrmals in Jahr für 3 bis 4 Wochen
dort.
WP: Auf der Facebookseite sind sehr viele holländische Einträge.
PAUL BATTO: Ja, ich bin da sehr beliebt. Ich wollte erst gar nichts
auf Facebook machen, aber ich kann ja nicht mal meine eigene
Webseite pflegen, daher habe ich angefangen, mehr auf Facebook
zu machen, um schnell Dinge zu posten. Ja, Holland und Belgien
sind sehr interessant für mich. Als ich in die Tschechische Republik
gezogen bin, habe ich erst gar nicht viel da gemacht. Aber seit drei
Jahren machen wir immer eine schöne Tour durch die Republik.
Wir haben immer gute 100 Besucher in den Kulturhäusern und
Theater, die es hier immer noch gibt. Ich spiele nie in Pubs, sofern
mich keiner wirklich dazu einlädt. Es ist für den Künstler nicht
sehr einladend, wenn die Gäste eigentlich nur wegen der Getränke
aber nicht wegen des Künstlers kommen.
WP: Was möchtest Du gefragt werden?
PAUL BATTO: Hm, was möchte ich gefragt werden? Frag mich
das nächste Mal, ob wir zusammen Abendessen.
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Musik
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Musik
Bob Hite (1943-1981)
Einige werden sicher fragen Bob Wer? Die eingefleischten
Blueskenner wissen natürlich sofort, wer da gemeint ist.
Bob Hite – Gründungsmitglied von Canned Heat. Eine
Biographie von Matthias Schneider.
Literaturempfehlung
So ziemlich der letzte Überlebende der klassischen Besetzung von Canned Heat ist
Schlagzeuger Fito de la Parra
(seit 1970 dabei). seine Autobiographie „Living The Blues“
ist unbedingt empfehlensewrt.
Die deutsche Ausgabe erschien
bereits 2001.
Fito de la Parra: Living
The
Blues.
Canned
Heat‘s Story zwischen
Musik, Drogen, Tod, Sex
und Überleben
Big Beat Musikverlag Lindenwerra 2001
ISBN 3-00-007020-6
Wegen seines massigen Körpers nannte man ihn „The Bear“. Geboren wurde Bob Hite am 26. Februar 1945 im Stadtteil Torrance
von Los Angeles. Seine Mutter war Sängerin und sein Vater hatte
in einer Band in Pennsylvania gespielt. Schon mit neun Jahren
fing seine große Leidenschaft als Plattensammler an. Er sammelte
sämtliche Platten aus Jukeboxen, die er bekommen konnte. Später eröffnete er sogar einen eigenen Plattenladen und gab das Magazin „Rhythm & Blues Collector“ heraus. Bis 1973 hatte er über
70.000 Schallplatten gesammelt. Er soll oft in Plattenläden sämtliche Kopien einer Platte aufgekauft und sie bis auf ein Exemplar
vernichtet haben, um den Wert seiner Sammlung zu erhöhen.
Nach seinem Tod 1981 wurde die Sammlung zerschlagen, er hatte aber vorher schon aufgrund finanzieller Probleme große Teile
verkaufen müssen. Einen Großteil seiner Sammlung besitzen heute Fito DeLaParra und Walter De Paduwa. Dieser veröffentlichte
2007 in Zusammenarbeit mit Adolfo „Fito“ De La Parra einige
Aufnahmen aus der Sammlung auf dem Sampler Rarities From
The Bob Hite Vaults.“1
Die Leidenschaft für klassischen Blues und Rhythm & Blues
spielte auch eine große Rolle für sein Leben als Musiker. 1965
gründete Bob mit Alan Wilson und Henry Vestine Canned Heat.
Hite kam auf den Namen, da eine seiner Schallplatten aus dem
Jahr 1928 von Tommy Johnson einen gleichnamigen Bluessong
enthielt. Der Name ist eine Anspielung auf gelierten Brennspiritus, der in verdünnter Form oft als billiger Schnapsersatz missbraucht wurde. Zunächst wollte man eine traditionelle Jugband
sein, bei der Alan Wilson die Slide-Gitarre spielte. Bei Canned
Heat übernahm Hite neben Wilson den Gesang und spielte
ebensfalls Mundharmonika.
Gerade der Kontrast zwischen Hites tiefer und rauher Stimme
und Wilsons einzigartig hoher Gesang trugen zum Erfolg der
Band bei. Auch das Harpspiel der beiden war jeweils einzigartig
und führte zu reizvollen Kontrasten. Über die Kreise der Bluessammler hinaus wurde die Band vor allem durch ihre Auftritte
bei den beiden legendären Festivals in Montery und Woodstock
bekannt. Canned Heat war auch die Band, die damals unsere
Hymne „Going up the Country“ spielte, ein Titel entstanden
nach dem Bull Doze Blues von Henry Thomas , ein Titel der unseren Sehnsüchten in der damaligen DDR entsprach.
„I‘m going to leave the city got to get away
I ‚m going to leave the city got to get away
All this fussing and fighting
Man, you know I sure can‘t stay.
„Ich Werde die Stadt verlassen, ich muss hier fort
All diese Aufregung und dieser Kampf
Mensch, mir ist klar, dass ich mit Sicherheit nicht bleiben kann.“
1
36
http://fakten-uber.de/bob_hite
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Musik
„Neben seiner Rolle als Musiker (co-)produzierte Hite auch Alben
von Canned Heat und anderen Interpreten. Über seine Sammlerleidenschaft traf er 1969 Albert Collins und half ihm, seine
Karriere aufzuwerten. Collins widmete ihm daraufhin die Single
„Love Can Be Found Anywhere“, dessen Namen aus dem von
Hite geschriebenen Song „Fried Hockey Boogie“ stammt.
1968 war er Co-Produzent des Albums „Slim‘s Got His Thing
Going On“ von Sunnyland Slim, an dem er neben Alan Wilson
auch musikalisch mitwirkte. Als Gage erhielt er ein Piano, welches
bei dem Song „Turpentine Moan“ auf dem Album Boogie With
Canned Heat zu hören ist. Im selben Jahr produzierte er zusammen mit Skip Taylor das Album „Hooker ’n Heat“, das Canned
Heat mit ihrem großen Idol John Lee Hooker aufnahmen. Das
Album „Hooker ´n Heat“ ist sicherlich eines der wichtigsten und
besten Alben der Bluesgeschichte und Bob hatte einen riesigen
Anteil am Erfolg des Albums. Daneben wirkte und produzierte
er mit Musikern wie Little Richard, Clarence Gatemouth Brown,
Memphis Slim und Ronnie Barron.
Nach dem Tod seines Mitstreiters und Bandgründers Alan Wilson im September 1970 ließ der Erfolg der Gruppe rapide nach
und Hite verfiel mehr und mehr harten Drogen.
Canned Heat ist die Band, die wahrscheinlich die meisten Mitgliederwechsel zu verzeichnen hat, aber auch die meisten verstorbenen Bandmitglieder und das nicht wegen des hohen Alters. Sex
and Drugs and Rock and Roll gehörten genau so zu der Band
wie guter Blues. Sie hetzten nicht nur von Konzert zu Konzert
sondern auch von Vollrausch zu Vollrausch. Ein Wunder, dass da
überhaupt noch jemand lebt.2 Bob Hite hat es jedenfalls nicht geschaff t. Die Drogenexzesse verbunden mit Alkoholkonsum waren
wahrscheinlich die Ursache für Bobs Gesundheitszustand.
„Am 5. April 1981 spielten Canned Heat im Palmino Club in
Los Angeles unter anderem mit Henry Vestine einen laut ihrem
Schlagzeuger Adolfo „Fito“ De La Parra sehr guten Gig, was
zu dieser Zeit für die Band nicht selbstverständlich war, da sie
aufgrund enormer Drogenprobleme und oft wechselnden Besetzungen viele Reinfälle erlebte. In der Pause zwischen den beiden
Sets boten ein paar Junkies Hite Heroin an, welches dieser sofort komplett inhalierte. Von dem Heroin völlig weggetreten war
Hite nicht mehr in der Lage, das zweite Set zu singen. Um ihn
wieder auf die Beine zu bekommen, gaben ihm ein paar Roadies
der Band etwas Kokain, doch das knockte ihn völlig aus und die
Band musste ohne ihn weiter spielen. Sie kümmerte sich nicht
weiter um ihn, da sie so was öfters mit ihm erlebten. Während des
zweiten Sets brachten ihn Freunde nach Hause, wo er einen Herzanfall hatte. Als nach langer Wartezeit endlich der Krankenwagen
eintraf konnte er zwar noch einmal reanimiert werden doch der
stark übergewichtige Hite verstarb einige Minuten darauf. Seine
letzte Aufnahme war das Lied „Hell‘s just on down the line“ für
das Album „Kings of the Boogie“, das ohne ihn fertiggestellt wurde. Zu seinem Gedenken brachte der ehemalige Canned HeatBassist Tony De La Barreda ein 1980 aufgenommenes, auf Hites
ausdrücklichen Wunsch unveröffentlicht gebliebenes Album mit
dem Titel „In Memory of Bob „The Bear“ Hite - Don‘t forget to
boogie“ heraus. Bis dato hatte er jedes Konzert mit den Worten
„Don‘t forget to boogie“ beendet.“3
2
3
http://de.academic.ru/dic.nsf/dewiki/231218
http://de.wikipedia.org/wiki/Bob_Hite
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Musik
Blueskalender
1. April
1895: Alberta Hunter *
1897: Lucille Bogan *
1927: Amos Milburn *
2, April
1952: Alex Conti *
3. April
Lucille Bogan
1932:
1958:
1970:
2001:
Leopold von Knobelsdorff *
Adam Gussow *
Rusty Zinn *
Big Daddy Kinsey +
1896:
1913:
1913:
1929:
1952:
1960:
4. April
Marion Harris *
Cecil Gant *
Muddy Waters *
John Dee Holeman *
Gary Moore *
Sylvester Weaver +
5. April
1950: Paul Oscher *
6. April
Big Walter Horton
1919:
1955:
1960:
1981:
Big Walter Horton *
Blind Mississippi Morris *
Warren Haynes *
Bob Hite +
7. April
1915: Billie Holiday *
8. April
1908: Tommy McClennan *
1944: Keef Hartley *
1960: Andreas „Andi“ Hofmann *
9. April
1895: Mance Lipscomb *
1997: Yank Rachell +
10. April
Billie Holiday
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1922: John Brim *
1928: Rosco Gordon *
1936: Bobby Smith *
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Musik
1958: Chuck Willis +
1979: Shemekia Copeland *
2013: Jimmy Dawkins +
11. April
1936: Buddy Ace *
1939: Luther Johnson *
12. April
1915:
1921:
1945:
1945:
1954:
Shemekia Copeland
Hound Dog Taylor *
Shakey Jake Harris *
Miller Anderson *
Ann Rabson *
Pat Travers *
13. April
1944: Jack Casady *
2005: Johnnie Johnson +
14. April
1954: Lil Green +
1992: Sammy Price +
15. April
1894: Bessie Smith *
1936: Frank Frost *
1955: Tommy Castro
Hound Dog Taylor
16. April
1931: John Littlejohn *
1937: Artie „Blues Boy“ White *
1954: Texas Alexander +
17. April
1901: Clifford Gibson *
2003: Earl King +
18. April
1906: Little Brother Montgomery *
1924: Clarence Gatemouth Brown *
19. April
1898:
1928:
1985:
1994:
Peter Clayton *
Alexis Korner *
Willie Mabon +
Larry Davis +
Earl King
20. April
1958: Gary Primich *
1992: Johnny Shines +
2013: Artie „Blues Boy“ White +
© wasser-prawda
39
Musik
21. April
1943: Albert Lee *
1970: Earl Hooker +
2003: Nina Simone +
22. April
1919:
1922:
1950:
1975:
Bull Moose Jackson *
George „Harmonica“ Smith *
Peter Frampton *
Walter Vinson +
23. April
1894: Cow Cow Davenport *
1944: Marion Harris +
24. April
Nina Simone
1970: Otis Spann +
2013: Bob Brozman +
25. April
1913: Earl Bostic *
1923: Albert King *
1965: Pau Luboš Andršt l Lassey
26. April
1886:
1915:
1926:
1948:
Ma Rainey *
Johnny Shines *
J.B. Hutto *
Luboš Andršt *
27. April
28. April
Ma Rainey
1891:
1940:
1952:
1974:
Charley Patton *
Phil Guy *
Chuck Leavell *
Gary Pushkin (Igor Vedeneev) *
29. April
1927:
1935:
1935:
1937:
1967:
Big Jay McNeely *
Leroy Carr +
Otis Rush *
Lefty Dizz *
J.B. Lenoir +
30. April
1896: Gary Davis *
1931: Jimmie Lee Robinson *
1983: Muddy Waters +
40
© wasser-prawda
Musik
Leroy Carr
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41
Platte Des Monats
Ursula Ricks - My
Street
Ursula Ricks legt mit „My Street“ ein Debutalbum vor, das mich gleich beim ersten Hören gepackt hat. Ich haƩe bislang
nichts von oder über Ursula Ricks gehört
und dachte, es handele sich um eine
weitere talenƟerte Musikerin aus dem
scheinbar unerschöpflichen Topf guter
US-Musiker.
I
nzwischen höre ich die CD regelmäßig und bin überzeugt,
daß Ursula das Zeug hat, eine der anerkannt großen Bluessängerinnen zu werden – schade, dass es so lang gedauert hat, bis
sie sich mit einem Album gemeldet hat.
Ursula stammt aus Baltimore, ist glückliche Großmutter und
sagt, daß sie das Album im Gedenken an ihre vor neun Jahren
verstorbene Mutter Malagash Yemariamfere aufgenommen habe
– sie war als großartige Sängerin und Songschreiberin bekannt,
habe dies aber niemals nach Außen getragen. Malagash wird sich
freuen, daß ihre stimmgewaltige Tochter dies nun nachholt. Auf
dem Album finden sich acht Eigenkompositionen und zwei Coversongs.
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Platte Des Monats
Der Opener „Tobacco Road“ ist an Intensität schwer zu übertreffen, die übrigen Songs beschäftigen sich dezidiert mit den Zuständen in und auf Ursulas Straße. Der Text des Titelsongs beschreibt
eine durch Drogenhandel und Bandenkriminalität geprägte Straße, an deren Himmel die Polizei mit Hubschraubern patroulliert.
Da sie für sich und ihre Kinder keine Alternativen sieht, fühlt
sich eine Mutter gezwungen eine schmerzhafte Entscheidung zu
treffen und zurück in ihre angestammte Heimat zu fliehen. Sie
hoff t, dort das Überleben ihrer Familie sichern zu können. Es
lohnt sich, zuzuhören, was Ursula erzählt.
Das Album wurde mit der Severin Hausband (u.a. Johnny Moeller - Fabulous Thunderbirds) gekonnt eingespielt. Ursula Ricks
setzt ihre ausdrucksstarke Stimme in das rechte Licht – mal heiser, mal hart – eine echte Diva! Stilistisch bewegt sie sich zwischen
Blues, Soul, Funk, vielleicht auch ein wenig Reggae und Rap. Das
ist die Mischung ihrer Straße, die sie perfekt adaptiert.
Ich hoffe sehr, daß Ursula weitere Alben einspielen wird – besonders würde ich mich über einen Live-Mittschnitt aus einem
Club freuen. Vielleicht kommt sie ja auch einmal über den Teich
und wir haben das Glück, sie im Konzert zu erleben? (Severn/
in-akustik)
Bermd Kreikmann
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Platten
Frauen im Blues,
Folk, Jazz und Soul
„Hottest Blues Chick“, „Girls With Guitars“ - Stereotype
wie diese und und sexuell aufreizende Plattencover haben
die Künstlerinnen im Blues heutzutage eigentlich nicht nötig. Jedenfalls dann nicht, wenn es nur nach der künstlerischen Qualität ginge. Aber im Musikgeschäft zählen ja leider oft andere Maßstäbe. Aber warum eigentlich? Zwischen
Bluesrock und klassischem Rhythm & Blues, Country , Folk
und akustischer Musik reichen die Alben, die wir allein in
den letzten Wochen auf den Tisch bekamen.
Adrianna Marie - Double Crossing Blues
Wie eine Zeitreise in die Hochzeit des klassischen Rhythm &
Blues kommt einem das Debüt von Adrianna Marie vor. „Double
Crossing Blues“ erinnert an die späten 40er Jahre mehr als an die
Zeiten des elektrischen Blues etwa einer Koko Taylor.
Die Musik swingt, die Stimme erinnert an Dinah Washington oder Helen Humes - man könnte sich in einen verrauchten
Nachtclub irgendwann kurz nach dem Ende des zweiten Weltkriegs versetzt fühlen. Doch dann knallt einem eine Gitarrenlinie
in die Ohren, die eindeutig vom späteren Albert King inspiriert
ist. Adrianna Marie und ihre Groovecutters haben sich für das
Album eindeutig an den Sounds der späten Bigbands orientiert.
Doch auch wenn sie Klassiker von Helen Humes, Louis Jordan
oder Big Maybelle interpretieren, kommen sie nicht umhin ihre eigenen Biographien in den Sound einzubringen. Und so hört
man Anklänge an Rockabilly und Country ebenso wie an den
elektrischen Blues der 50er in Chicagoer Clubs, eine deftig röhrende Bluesharp inklusive.
Als Sängerin ist Adrianna Marie heutzutage allerdings ziemlich
einzigartig: Statt sich wie viele um die Nachfolge von Koko Taylor zu bemühen, ist sie in jedem Moment elegant, sophisticated
und reserviert. Ebenso wie man es von einer eleganten Nachtclubsängerin in den 40er Jahren erwarten würde. So ist „Double
Crossing Blues“ eine wunderbar tanzbare musikalische Zeitreise
geworden. Die Nominierung für einen Blues Music Award für
das beste Debüt 2014 ist absolut verständlich.
Raimund Nitzsche
Alexx & The Mooonshiners - En AnimaƟon
Eine Live-DVD der besonderen Art haben Alexx & The Moonshiners aus Frankreich veröffentlicht. Mitgeschnitten wurde dafür ein Auftritt der Bluesrocker beim Festival Grésiblues. Dabei
spielen die drei Moonshiners und ihre wie ein Wirbelwind agierende Sängerin nicht nur Songs von ihrem letzten Studioalbum
Mooonset, Mooonrise sondern auch Stücke von AC/DC, den Sex
Pistols und Willie Dixon. Das macht riesigen Spaß und selbst
„Anarchy In The UK“ ist eigentlich Bluesrock! Alexx ist eine Entertainerin par excellence - in Deutschland würde man hier wohl
am besten Jessy Martens als Vergleich heranziehen. (Das betriff t
natürlich nicht die jeweiligen Stimmen - hier sind die beiden Sän44
© wasser-prawda
Platten
gerinnen ziemlich verschieden.) Und wenn Alexx dann zeitweise
eine riesige Puppe ansingt, wird es noch unterhaltsamer als die
großartig dahinstürmende Musik allein es schaffen könnte.
Das Besondere an dieser Veröffentlichung? Die DVD wird nicht
verkauft, sondern an die Käufer anderer Alben der Band als Geschenk verschickt. Eine gute PR-Aktion - wer aber die Scheibe unbedingt haben will, dafür werde man schon eine Entschuldigung
finden, meint die Band auf ihrer Homepage. Aber eigentlich kann
man nur empfehlen, eines der anderen vier Alben der Truppe zu
bestellen und sich auf eine gute Live-DVD als Geschenk zu freuen.
Nathan Nörgel
ChrisƟna Skjolberg - Come And Get It
Zur Zeit ist die norwegische Gitarristin Christina Skjolberg weltweit mit Rufs Blues Caravan unterwegs, teilt sich die Bühne unter
anderem mit Albert Castiglia. Ruf Records kündigt sie als „Norwegens am besten gehütetes Geheimnis“ an. „Come And Get It“
ist ihr erstes Studioalbum beim rührigen Label von Thomas Ruf.
Los gehts funky - und das nicht zu knapp: Trockene Gitarrenakkorde, dezente Keyboarduntermalung und eine druckvolle Rhythmusgruppe bilden die Grundlage für den Titelsong. Jetzt würde
nur noch eine richtig soulige Stimme fehlen. Doch genau das ist
die Schwäche von Skjolberg. Ihre Gitarre spielt sie auch in den Solos sehr gut. Doch als Sängerin ist sie noch zu jung oder zu wenig
trainiert, wirkt daher zu bemüht. Und das betrifft leider nicht nur
den Opener sondern zieht sich für meine Ohren durch das ansonsten wirklich hörenswerte Album.
Musikalisch bleibts nicht nur funkig, meist wird recht amtlich
gerockt. Und hier macht sich die Besetzung der Band positiv bemerkbar: zwischen Gitarre und Keyboards ergeben sich so immer
wieder reizvolle Kontraste. Ich warte mal ab, was in den nächsten
Jahren von dieser Musikerin noch weiter zu hören sein wird.
Raimund Nitzsche
Electric Blue - Born In Sin
In Israel hätte man jede Menge Grund, den Blues zu singen, meinte Eleanor Tsaig, Sängerin und Songwriterin der Ori Naftaly Band
letztens. Und es ist nicht zu überhören, dass von dort immer mehr
guter Blues bis nach Europa dringt. Neuestes Beispiel ist Electric
Blue mit ihrem Album „Born In Sin“.
Mancherorts wird schon von der besten Bluesband Israels gesprochen - das liegt vielleicht auch daran, dass Ori Naftaly und Eleanor
Tsaig mittlerweile einen großen Teil des Jahres auf Tour in den
USA verbringen. Electric Blue könnte da in Israel die Lücke füllen,
hat die Band doch mit Noa Hellinger eine großartige Sängerin und
Mor Benda spielt eine tolle Gitarre zwischen klassischem Blues und
treibendem Bluesrock. Hinzu kommt eine prägnante Harp von
Ofir Venrura und eine immer präzise und druckvolle Rhythmusgruppe (Itai Rosenzweig - b, Ofer „Soli“ Solomon - dr).
Schon der Titelsong, mit dem das Album beginnt, haut voll rein:
Die Stimme von Noa Hellinger packt einen von Anfang an, der
Bass sorgt mit melodischen Läufen dafür, dass der Rhythmus
gleich ins Blut geht. Und die Harp von Ofir Ventura (die auch
schon mit der Band von Ori Naftaly zu hören war), ist das gewisse
Extra, was aus der Nummer einen echten Bluesohrwurm macht.
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Platten
Mit „Texas Steel“ folgt der erste von einigen längeren Jams des
Albums: fast acht Minuten geben sowohl Gitarre als auch Harp
genügend Zeit für einprägsame Solos.
„Black Joe“ ist punkiger Girl-Group-Blues (wenn es denn so ein
Genre überhaupt gibt). Man könnte auch sagen; Hier wird rotzig losgerockt und die Band klingt mehr nach den Blackhearts
als nach den Fabulous Thunderbirds. Rotzig, frech - und ziemlich einzigartig. Auch bei „Color Blue“ geht es wieder in Richtung
des harten Bluesrock: ein erbarmungsloses Riff irgendwo zwischen
den frühen Black Sabbath und Led Zeppelin treibt die Sängerin
vor sich her. Und wenn die verzertte Gitarre dann zu ihrem Solo
ansetzt, ist man vollkommen im Bluesrock der frühen 70er Jahre
gelandet. Nur dass damals nur ganz wenige Frauen in der Ecke zu
hören waren.
Andere Songs des Albums sind da wesentlich traditioneller - leider
auch manchmal zu lang um zu überzeugen. Aber das ist der einzige
Schwachpunkt eines ansonsten toll rockenden Bluesalbums. Und
eines ist klar: Die Ori Naftaly Band hat wirklich ernstzunehmende
Konkurrenz in ihrer Heimat!
Raimund Nitzsche
Gisela Novais & The Blue Summers - The Perfect One
Elegant und spritzig, geeignet für Cocktail-Parties ebenso wie für‘s
Jazzfestival, für James-Bond-Soundtracks wie für Tanzbars mit
Stil: Gisela Novais & The Blue Summers sind Retro-Soul in italienischer Eleganz. In der Stimme von Sängerin Novais und den
Instrumenten hört man immer auch die Liebe zu den swingenden
Rhythm&Blues-Sounds der 40er und 50er Jahre.
Es dauert eine Weile, bis diese Musik wirklich mal sämtliche Handbremsen löst. Aber spätestens beim heftig dahin rockenden „Don‘t
Wanna Hear“ sind die letzten Hemmungen auch beim kritischen
Hörer gefallen. „The Perfect One“ ist zeitweise so verdammt schön
und makellos, dass man unwillkürlich nach der Made sucht. Aber
genau das ist die falsche Einstellung zu dieser retroseligen Mixtur
aus Soul, Jazz, Rock&Roll und Blues.
Die Band empfiehlt ihre Musik als Untermalung zu Serien wie
„Mad Men“. Und ein Kritiker meinte, das wäre Musik wie ein
trockener Martini. Beides stimmt so ziemlich. Hier ist kein Dreck
zu finden. Der Glanz der Produktion gehört hier ebenso her wie
das Fehlen irgendwelcher präpubertärer Rockfantasien. Die große
Kunst ist es, dass dabei noch so viel echter Soul in dieser Musik
steckt: „The Perfect One“ ist wirklich verdammt nah dran an einem perfekten Album. Ich suche jetzt noch ne Bar, wo eine solche
Band zum Tanz aufspielt.
Nathan Nörgel
Heavy Chevy Band - Open Up
Eine Sängerin irgendwo zwischen Etta James und Adele, ein Saxophon wie aus den besten Zeiten von Clarence Clemmons und dazu
eine Gitarre, die Texasbluesrock a la Stevie Ray Vaughan ebenso
spielt wie rockenden Chicagoblues oder Motown-Funk. Die Heavy
Chevy Band aus Eugene (Oregon) liefern auf ihrem Album „Open
Up“ eine wilde Stilmixtur zwischen Soulblues und Bluegrass, Zydeco und Delta Blues ab und bieten damit den Soundtrack für eine
wilde Party.
Den Anfang macht dabei der deftige Funk von „Secrets“. „Little
Miss Lonely“ ist im Anfang ein wundervoller langsamer Blues, der
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Platten
ganz von Darcy Lee‘s Stimme und der singenden Slide-Gitarre von
Brian Chevallier lebt, bis dann Drums und auch das Saxohpon
sich melden und sich der Song in immer heftigere Spannung hineinsteigert. Ganz und gar Old-School-Blues ist dagegen „Lonesome Cry“ mit Waschbrett, Harp und akustischer Slide-Gitarre. So
geht es weiter über Rock & Roll mit Anklängen an die Riffs der
frühen Stones, Texas-Shuffle (Borrow Another Dollar mit einer an
Johnny Winter erinnernden Gitarre) bis hin zur Soul-Blues-Ballade
„Weep“. Beim Titelsong zum Schluss kommen dann fast alle Zutaten nochmals zusammen.
Äußerst unterhaltsam und abwechslungsreich wie wenige Bluesalben in den letzten Wochen! (cdbaby)
Nathan Nörgel
JJ Thames - Tell You What I Know
Ehrlich, entwaffnend und voller Soul: Zwischen Southern Soul,
Gospel, Blues und Funk spielt die Musik von JJ Thames.
Gospel, Anklänge an afrikanische Gesangsstile, nur eine Trommel
untermalt die Sängerin: „Souled Out“ wird von JJ Thames gepredigt mit der Intensität des Gottesdienstes und der Dringlichkeit
einer gequälten Seele: Ich muss diese Geschichte einfach erzählen,
bevor ich sterbe. Ein Lied, das in zweieinhalb Minuten all das rüberbringt, worum es im Blues eigentlich geht.
Bei „Hey You“ ist man mitten drin im Country Blues - doch auch
hier die Sängerin fernab von den heut üblichen Klischees. Sie fordert den Respekt ein, der ihr als Frau gebührt in einer Welt, wo
sich selbst die Priester nicht zu schade sind, sich wie Zuhälter aufzuführen.
Weiter geht das Album mit Funk, Balladen, mit Ausflügen nach
Memphis, New York und zurück zum Mississippi. Aber immer
sind es die Lieder einer starken Frau, die sich weigert den üblichen
Klischees zu entsprechen, die Liebe dort findet, wo man nicht nach
dem Äußeren entscheidet, die Sympathie eher mit den Arbeitern
als den Glamourgrößen hat.
Begonnen hat Thames in den 90ern mit Kollegen wie Bobby Blue
Bland, Willie Clayton und anderen. Später gehörte sie auch noch
als Backgroundsängerin zur Reggae-Rock-Band Outlaw Nation. So
tourte sie mit Bands wie Fishbone oder The Beat, den Bad Brains
oder Slightly Stoopid durch die Welt. Jetzt ist sie aber wieder ganz
bei ihrer ersten Liebe, dem Blues und Soul angekommen.
Ein umwerfend gutes Album von einer faszinierenden Sängerin. So
geht Blues heute!
Raimund Nitzsche
Kerri Powers - Kerri Powers
Eine rauchige Stimme, zugleich verletzlich und voller Kraft - viel
mehr braucht es eigentlich nicht, um die Lieder von Songwriterin
Kerri Powers zum Leben zu erwecken. Ihr selbst betiteltes Album
erinnert zeitweise an Neil Young, ist Country, Blues und manchmal traumhafter Folk.
In letzter Zeit haben es Songwriterinnen und Songwriter immer
schwerer, zu mir durchzudringen. Viele Geschichten, die da erzählt werden, plätschern mit ihren Gitarren an mir vorbei. Kerri
Powers‘ Lieder hingegen packen mich komischerweise sofort. Oder
vielleicht gar nicht so komischerweise. Denn die Songs werden
klanglich so abwechslungsreich dargeboten, wie es die Geschichten
© wasser-prawda
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Platten
brauchen: Mundharmonikas spielen, die Steel-Gitarre singt, der
Rhythmus bleibt immer dezent.
Ihre Geschichte über ein altes Hemd geht ins Ohr - und auch wenn
sie an alten Neil Young erinnert ist sie völlig eigenständig. Und
der Opener der Scheibe „Tallulah Send a Car for Me“ ist einfach
großartig - manche fühlten sich dabei gar an Lieder von Lucinda
Williams erinnert. Das Herz blutet bei „Train in The Night“, doch
von aufgeben ist keine Spur zu hören, auch nicht von Selbstmitleid.
Das sind wirklich Lieder, denen man endlos zuhören könnte. Und
„Buttercup“ ist das Beste in der Sammlung.
Raimund Nitzsche
Malaya Blue - Bourbon Street
Malaya Blue kommt eigentlich vom Gospel her. Doch auf ihrem
aktuellen Album „Bourbon Street“ vermischt die Songwriterin
Blues, Jazz und Popsounds der 60er zu Popsounds, die auch Fans
von Katie Melua oder Jamie Cullum gefallen können.
Das britische Label Mad Ears Production hat in den letzten Jahren
solch bemerkenswerte Acts wie Mockingbird Hill und Mick Simpson veröffentlicht. Bei ersteren hatte man Malaya Blue auch schon
als Backgroundsängerin hören können. Doch bei dem von Andy
Littlewood produzierten eigenen Album geht es weniger rootsmäßig zur Sache sondern immer soulful und popaffin: Stücke wie der
jazzige Titelsong oder der 60s Pop von „Bitter Moon“ sind der richtige Rahmen für ihre (man verzeihe mir die Phrase) schöne Stimme. Insgesamt fehlt mir auf Albumlänge ein wenig Biss, könnte ich
etwas weniger Politur vertragen. Aber insgesamt ist das ein Album
so richtig für ruhige Stunden beim Rotwein.
Nathan Nörgel
Naomi Wachira - Naomi Wachira
In der Musik von Naomi Wachira triff t der amerikanische Folk
und Blues auf die Musik Kenias. Beim Hören ihres selbstbetitelten
Debüts kann man sich sowohl an Tracy Chapman als auch an Miriam Makeba erinnert fühlen.
Ich weiß nicht, wann ein aktuelles Folkalbum mich in der letzten
Zeit von der ersten Note an so gefangenen genommen hat: Eine
Stimme voller Wärme und Zuversicht, begleitet von Bass, Cello,
Schlagzeug und Percussion. Hinzu kommen ab und zu noch unterstützende oder antwortende Chöre. Naomi Wachira schreibt
Lieder, die zwar die gesellschaftlichen Realitäten reflektieren und
kritisieren. Doch tut sie das nie mit einer vordergründig revolutionären Pose sondern mit der Intensität einer Predigerin, mit der
Liebe, die das Gegenüber überzeugen will. Hier singt eine starke
Frau, die es doch niemals nötig hat, als kratzbürstige Emanze ihre
innere Schönheit zu verstecken.
Die Pfarrerstochter, geboren in Kenia und schon als Kind mit der
Familienband unterwegs, ist inzwischen in Seattle heimisch geworden. 2013 wurde sie zu Seattles bester Folksängerin gewählt. Ihr
von Damien Jurad produziertes Album zählt schon jetzt zu den
schönsten Folkalben 2014.
Raimund Nitzsche
Rachelle Coba - Mother Blues
Als Teenager brachte Buddy Guy sie zum Blues. Und auch wenn
Gitarristin und Sängerin Rachelle Coba schon einige Jahre in der
Bluesszene der Vereinigten Staaten unterwegs ist, hat sie doch erst
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Platten
jetzt mit „Mother Blues“ ihr Debütalbum als Solistin veröffentlicht.
Was sind heute noch Themen für neue Bluessongs? Rachelle Coba
singt vom Loch in ihrer Seele, dass dadurch vorhanden ist, weil
sie es noch nie geschaff t hat, nach Memphis zu kommen. Sie singt
davon, dass ihr einfach die Zeit fehlt, sich in den Mann, der sie anbetet, zu verlieben. Sie ist desillusioniert davon, das Chicago doch
nicht das vielbesungene „Sweet Home“ ist - jedenfalls nicht für sie.
Doch wo auch immer die Probleme liegen: Der Blues ist die große
Mutter, die niemals stirbt. Nein, sie lässt sich nicht aufhalten.
Als Gitarristin hat Rachelle Coba schon diverse Jobs gehabt: als
Bandleaderin etwa für Matt „Guitar“ Murphy. Jetzt hat sie die
Chance ergriffen, ihre eigene Stimme als Sängerin und auch mit
ihrem ganz eigenen Gitarrenstil zu suchen. „Mother Blues“ ist ein
verheißungsvoller Start - ein hörenswertes Album mit guten Songs.
Und wenn Manager behaupten würden, hier fehlte der ganz große
Hit: Diese ruhige Scheibe schleicht sich langsam aber sicher in die
Gehörgänge.
Nathan Nörgel
Tangled Eye - Dream Wall
Rauh und heftig kommt der Bluesrock von Tangled Eye aus den
Niederlanden daher. Und immer wieder ist der Sound des Trios
(Dede Priest - voc,v, Jan Mittendorp - g, Jasper Mortier - dr) überraschend. Es passiert selten, dass wie im Blues elektrische Gitarre
und Violine aufeinandertreffen.
Jan Mittendorp kennt man als Bluesfan bislang aus zwei Kontexten. Einerseits ist er Chef des Labels Black + Tan. Und außerdem
veröffentlicht er selbst unter dem Künstlernamen MiXendop eigene Remixe von Bluestiteln, die den rauhen Juke Joint Blues mit aktuellen elektronischen Dancegrooves vereinen. Beim Trio Tangled
Eye ist er Gitarrist und spielt dabei Basslinien, Riffs und Melodie
gleichzeitig.
Dede Priest, studierte Philosophin und ausgebildete klassische Geigerin, stand schon mit Leuten wie Harry Belafonte, Tommy Shannon oder Clarence Gatemouth Brown auf der Bühne. Doch erst
jetzt fand sie die Möglichkeit, Geige und Stimme gleichzeitig einzusetzen. Und Jasper Mortier war seit Jahren eigentlich als Bassist
für zahllose in Europa tourende Musiker unterwegs, bevor er sich
für Tangled Eye ans Schlagzeug setzte. Volles Risiko könnte man
das nennen, was die drei Musikerinnen hier eingehen.
Das Ergebnis ist absolut empfehlenswert. Blues und Rock treffen
hier gleichberechtigt aufeinander. Spannungsbögen bauen sich in
den Songs auf, die an die frühen Zeiten der Psychedelic erinnern.
Und der Gesang von Priest bringt noch Gospel und Soul in die
Mixtur, die die komplett von der Band selbst verfassten Songs auszeichnet.
Eine echte Neuentdeckung ist diese Band, die im Sommer auch
beim Bluewave Festival auf der Insel Rügen auftreten wird. (Black
+ Tan Records)
Raimund Nitzsche
© wasser-prawda
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Platten
Rezensionen A bis Z
Andy Twyman - Blues You Haven‘t Heard Before
Als One Man Band hat Andy Twyman in seiner britischen Heimat in den letzten Monaten einen hohen Bekanntheitsgrad erreicht. Seine Mixtur aus klassischem Blues und heftigem Rock
kann man auf seinem aktuellen Album „Blues You Haven‘t Heard
Before“ kennenlernen.
Um Essen, Trinken, Drogen und ähnliches ging es beim Blues
schon immer. Hier allerdings spielen nicht die Gerichte der Südstaaten eine Rolle, sondern Instant-Nudeln. Oder auch Kokain,
das heute bei den hippen Clubbesuchern angesagt ist und nicht
der gute alte Joint oder gar der schwarzgebrannte Schnaps: Andy
Twymans Lieder sind klassischer Blues durch und durch. Seine
Geschichten aber spielen in den Pubs und Kneipen von London
und Umgebung. Und genau das macht sie zu etwas Bemerkenswertem: Er singt davon, gerne Captain Kirk von der Enterprise zu
sein, von Frauen, die sich immer für zu fett halten oder auch von
politischen Themen wie der Informationsfreiheit.
Dazu stampfen in guter alter One-Man-Band-Tradition die
Rhythmen, seine Gitarre klingt wahlweise stoisch wie bei John
Lee Hooker oder groovt wie bei Bo Diddley. Und in der Deftigkeit kann man verstehen, wieso manche sich auch an Songs
von The Clash erinnert fühlen: Das ist heftiger Kneipenblues, der
keine Gefangenen macht. Unbedingt mal reinhören!
Nathan Nörgel
Bad Temper Joe - SomeƟmes A Sinner
Songs über Glauben, Sünde, Frauen und geistige Getränke: Man
hört Bad Temper Joe nicht an, dass er aus Ostwestfalen, genauer:
aus Bielefeld stammt. Seine Begleitungen auf Lap-Slide-Gitarre
und Bluesharp ergänzen die eindrücklich knarzende Stimme des
erst 22jährigen Songwriters.
Ähnlich wie Hessen (siehe Lüder Krietes Rezension von Maik W.
Garthe in diesem Magazin) ist auch Ostwestfalen ein interessanter Brennpunkt der deutschen Bluesentwicklung. Da gibt es den
kabarettistischen Brakenbergblues von Mr. Blues und die teils
melancholischen, teils humorvollen aber immer klischeefreien
Stücke von Greyhound George. Und jetzt muss man auch noch
Bad Temper Joe mit auf die Liste nehmen. Denn hier hört man
ein wirkliches Talent: Die Slide-Gitarre nimmt Anleihen bei den
Ahnen von Blind Willie Johnson bis zu Robert Johnson. Und die
Texte - hier beginnt die eigentliche Überraschung des Rezensenten. Hier singt ein junger Mann mit einer Reife vom Glauben
und Leiden, von der Suche nach Heimat und der Bösartigkeit der
Liebe, dass man aus dem Staunen nicht herauskommt.
Wie meinte Greyhound George, als ich ihn nach seinem Kollegen
fragte: Das wir einmal ein Großer! Beim Anhören von „Sometimes A Sinner“ kann ich mich der Einschätzung nur anschließen.
(Timezone)
Raimund Nitzsche
Billy Branch & The Sons Of Blues - Blues Shock
Die Sons of Blues hatten ihren ersten Auftritt irgendwann in den
70er Jahren. 1969 hatte Willie Dixon den Bluesharpspieler Billy
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Platten
Branch entdeckt. Seit zehn Jahren ist von Branch kein Studioalbum mehr erschienen. Doch alt scheinen weder er noch seine
Kollegen geworden zu sein, wenn man ihr neues Album „Blues
Shock“ anhört.
Der Sound der Harp von Branch ist so typisch Chicago, wie
überhaupt nur denkbar. Doch was die Sons of Blues hier angerichtet haben, ist ein äußerst abwechslungsreiches Menü. Da hat
man funkige Bluesnummern mit Hornsection (etwa der Opener
„Sons of the Blues“), klassisch swingende Shuffles, klassischen
Soul („Function at the Junction“), Jazz („Song for my Mother“)
und losrockende Tanznummern wie das wundervolle „Baby Let
Me Butter Your Corn“. Thematisch geht es natürlich um das Leben der Musiker und Fans in den Clubs, um‘s andere Geschlecht
(„Dog House“, „Slow Me“) oder auch um die Geschichte des
Blues in Chicago selbst. Wunderbar, wie in „Going To See Miss
Gerri One More Time“ der langjährigen Nachtclubchefin Gerri
Oliver ein musikalisches Denkmal setzt.
Schockierend ist diese Scheibe nicht, wie der Titel verspricht.
Aber äußerst unterhaltsam und absolut hochklassig gespielt. Eine
Empfehlung vor allem für die Fans der Bluesharp. (Blind Pig)
Raimund Nitzsche
Jens Lysdal - Easy Heart
Leichtfüßig, locker und gutgelaunt sind die meisten Stücke auf
dem sechsten Album des Dänischen Songwriters Jens Lysdal.
„Easy Heart“ ist eine feine Sammlung eingängiger AmericanaSongs, bei denen unter anderem Musiker wie Tim O‘Brien, Greg
Leisz mit seiner Pedal-Steel und Schlagzeuger Danny Frankel
mitwirkten.
Bin ich froh, dass das hier kein typisch skandinavisches Songwriter-Album ist. Denn diese ganze Schwermut wäre mir zur Zeit
echt zu heftig. Nein, bei Lysdal entstehen aus Folk, Country, Blues
und Ragtime meist wohlgelaunte Lieder voller Anmut. Sie geben
Lysdal den Raum, seine Virtuosität auf akustischen und elektrischen Gitarren zu zelebrieren und mit seiner einschmeichelnden Stimme ohne Umweg direkt aufs Herz der Hörer zu zielen.
Highlights der Scheibe sind neben dem Titelsong und dem tollen
Gitarren-Duell des „Congress Rag“ (mit Tim O‘Brien) der melancholische Walzer „I Should Have Danced“ und „It Happens To
Me Sometimes“. Und für die Freunde großartiger Slide-Gitarren
sei auch noch der letzte der neun Songs, das Instrumental „Sliding (in and out of reality)“ erwähnt, das von der Atmosphäre her
dann sogar noch an Ry Cooder gemahnt.
„Easy Heart“ ist mehr als ein Geheimtipp für Freunde guten
Songwritings.
Nathan Nörgel
Joe Louis Walker - Hornet‘s Nest
Ein Hornissennest ist wirklich nicht angenehm, wenn man hineingreift oder ihm versehentlich zu nahe kommt. Bei Joe Louis
Walker wird das Hornissennest zu einem Bild einer von Eifersucht zerstörten Liebesbeziehung. Und seine Gitarre singt nicht,
sie schreit die Qualen förmlich heraus zu bombastischen Rhythmen und treibenden Bläsern. Joe Louis Walker setzt mit dem
Titelsong ungefähr dort fort, wo er mit seinem letzten Album
„Hellfire“ 2012 aufgehört hatte.
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Platten
Mit „Hellfire“ und der längs überfälligen Aufnahme in die Blues
Hall of Fame gelang es Joe Louis Walker endlich, den Status als
ewiger Kritikerliebling und Geheimtipp loszuwerden. Endlich
nahm man den Gitarristen wahr als das, was er seit Jahren schon
ist: einer der innovativsten und kreativsten Gitarristen, die die
Bluesszene zur Zeit kennt.
„Hornet‘s Nest“ wurde wieder in Nashville aufgenommen mit
Produzent/Songwriter Tam Hambridge und der gleichen Studioband wie der Vorgänger. Und wie der knallt auch dieses Album
von der ersten Note an voll rein. Nicht nur der Titelsong sondern auch die anderen elf Songs spielen auf allerhöchstem Niveau.
Mal werden sie etwas poppiger wie „All I Wanted To Do“, mal
wird ein wenig dem Swamp Blues gehuldigt („As The Sun Goes
Down“). Mit dem von Tom Hambridge geschriebenen „Ramblin
Soul“ macht Walker deutlich, wie seiner Meinung nach Bluesrock
zu klingen hat - absolut wunderbare Nummer! Und bei „Don‘t
Let Go“ lässt er sowohl den Rockabilly des Originals von Carl
Perkins anklingen als auch die Soulvarianten, die später Roy Hamilton und Isaac Hayes abgeliefert haben.
Immer wieder haben sich Bluesmusiker wie Walker den Songs der
Rolling Stones angenommen. Diesmal musste „Ride On, Baby“
sich die Taufe im Mississippi gefallen lassen. Wobei: eigentlich
bringt Walker die jugendliche Unbekümmertheit dieses Klassikers ziemlich unverstellt rüber, so dass selbst Die-Hard-Fans der
Briten sich nicht beschweren dürften.
„Hornet‘s Nest“ ist kurz gesagt ein großartiges Bluesalbum zwischen rockigen und souligen Klängen. Und Joe Louis Walker ist
noch immer der einzige ernstzunehmende Konkurrent, den Buddy Guy heutzutage hat. (Alligator/in-akustik).
Raimund Nitzsche
John Lyons - Sing Me Another Song
Er kommt eigentlich aus Michigan, lebt aber seit 2001 in der
Schweiz. Und dort entstand auch das aktuelle Album des Sängers & Gitarristen John Lyons. „Sing Me Another Song“ ist eine
Sammlung eingängiger aber niemals belangloser Lieder zwischen
Soulblus und Pop.
Es ist etwas an diesem Album, was mir schon vom ersten Hören an bekannt vorkam: Diese Wärme und unaufgeregte Leidenschaft in den Liedern! Etwas, das mich auch bei Musikern
wie Philipp Fankhauser oder Greg Nagy sofort begeistert und
gefangen nimmt. Hier sind Stücke eines Songwriters, dem die
Stilgrenzen eigentlich vollkommen egal sind. Ob man das Ganze
nun als Blues, Pop, Soul oder was auch immer verkauft: Er singt
seine Geschichten über den Glauben an das Gute, über gebrochene Herzen, das Warten auf den entscheidenden Wink im Auge
des Gegenübers, die Bereitschaft, auf das Glück auch lange zu
warten.
Als Sänger hat Lyons etwas einschmeichelndes. Aber seine Gitarre
kann zuweilen dazu ganz schön heftige Kontraste setzen. Begleitet
wird Lyons, der zuweilen neben der Gitarre auch noch die Bluesharp spielt, von Mattew Savnik (Hammond, p), Simon Britschgi
(dr) und Gabriel Spahni (b, back-voc). Ach ja: Marco Jencarelli
(Gitarrist und Produzent von Fankhauser) ist für den Mix des
Albums zuständig. Und das war genau der richtige Mann. Denn
im Geiste sind Fankhauser und Lyons ziemlich eng miteinander
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Platten
verwandt, was ihre Art des musikalischen Geschichtenerzählens
betriff t.
Nathan Nörgel
Johnny Sansone - Once It Gets Started
Eigentlich hatte Bluesharpspieler Johnny Sansone mal mit ganz
traditionellem Chicago-Blues begonnen. Spätestens aber mit seinem aktuellen, von Anders Osborne produzierten Album „Once
It Gets Started“ ist er ebenso auch im aktuellen Groove von New
Orleans angekommen.
Johnny Sansone und Anders Osborne haben in den letzten Jahren
immer wieder zusammengearbeitet, etwa auf Osbornes „Three
Free Amigos“-EP. So ist es kein Wunder, wenn der Gitarrist jetzt
nicht nur auf dem Produzentenstuhl Platz nahm, sondern auch
seine typischen Gitarrensounds für das neue Album des Harpspielers beigesteuert hat. Manchmal spielt er auch noch das Klavier - wenn nicht gerade der 88 jährige Henry Gray seine typischen Boogielinien in die Tasten hämmert.
Die Stücke auf „Once It Gets Started“ sind eine bunte Mischung
aus ganz traditionellen Klängen zwischen Blues, Swamp-Americana und düster dahinrockenden Songs, in denen man sogar Einflüsse aus dem Hiphop zu erkennen glaubt. Schon der Titelsong
zu Beginn des Albums ist dafür ein eindrückliches Beispiel. Auch
könnte die Songwriter-Kunst von Osborne Pate gestanden haben.
Der hat sich in den letzten Jahren ja immer weiter vom traditionellen Bluesrock hin zu einer faszinierend modernen Version einer
echt amerikanischen Rockmusik hin entwickelt, in der allein das
Thema der erzählten Geschichte die musikalische Richtung bestimmt.
Sansone etwa erzählt nicht nur von den klassischen Bluesthemen
sondern schildert das Leben in den miesen Ecken von New Orleans („9th Ward Landlord“) ebenso wie vom ruhelosen Umherziehen („Sang With The Gypsies“), vom Anwachsen der Sorgen
bis hin zur Schilderung einer Nacht, in der die Kuchenfabrik
niederbrannte. Das ist musikalisch und textlich spannend und
immer wieder überraschend. Allerdings sollte man die GenreScheuklappen vor dem Hören unbedingt ablegen. (cdbaby)
Raimund Nitzsche
Maik W. Garthe - Tight Corner
Einmal mehr gelangen wir zu der Überzeugung, dass der Blues
in Deutschland in Hessen seine Heimat hat, ja eigentlich von hier
seinen Siegeszug um die Welt angetreten hat. Okay, wer‘s nicht
glaubt, kann dennoch frohen Mutes bleiben. Argumentationshilfe dafür kommt z.B. in Form dieses erstklassigen Silberlings,
dem Debüt, von Maik W. Garthe. Dieser wiederum lebt (noch)
in Ellershausen und das liegt eben nun mal in Hessen. Mit ‚Tight
Corner‘ hat er einen unbedingt beachtenswerten Erstling zum Leben erweckt.
Maik hat gegenüber so manch einem anderen Debütanten nach
unserer Meinung einen ganz entscheidenden Vorteil – er ist schon
jenseits des 30. Lebensjahres! Und das hört man. Es liegt einfach ein deutliches Pfund mehr an Lebenserfahrung, Musikalität
und persönlicher Reife in seinen 12 Songs, als bei vielen anderen,
jüngeren Musikanten. - Blues kann ja formal einfach und leicht
zu erlernen sein, aber für‘s richtige feeling braucht es doch etwas
© wasser-prawda
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Platten
mehr als nur technisches know-how. Und genau das bringt der
Gute mit.
Im Pressetext beschreibt er seine Umwelt als „Einöde in der nordhessischen Bergwelt zwischen leerstehenden Gehöften und Nationalparkidylle, Funklöchern, Hochleistungskühen, dörflicher
Gemächlichkeit und Kleinstadt-Hektik“. Und so erzählen seine
Lieder dann auch von „Hinterlandtrinkern, provinziellen Castingshow-Opfern“ und ähnlichen Themen; von Liebe natürlich
auch. Aber das tun viele andere Songschreiber auch und doch
fehlt denen eben so oft diese persönliche Lebenserfahrung, die
einen Song so gut machen kann.
Das kann jeder Hörer überprüfen, wenn er sich einfach mal ‚Black
lemon‘ anhört. Hier swingt der Blues, unterstützt von einem famos
virtuosem Hi-Hat. Die Saiten werden gezupft und der Gesang hat
eine angenehme Süffisance. Oder wer mal die Linie Blues-Punk
erleben möchte der lässt sich mal für 2:43 von ‚Shirley MacLaine‘
auf den Zahn fühlen. Gitarre mit voller Dröhnung, stampfend,
dampfendes Drumherum – einfach nur stark gespielt, Leute. Und
dann wieder ganz bodenständig und traditionell ‚These old boots‘.
Feines Fingerpicking, dazu die Harp vom Ripphan – der Blues
kommt aus Hessen, ich sag‘s Euch!
Ach ja, neben den Hochleistungskühen und Hinterlandtrinkern
gibt es da auch noch den ‚Old dog‘ der einfach nicht vom Fleck
kommt, aber mächtig mit dem Schwanz wackelt. So‘n wenig slide
über die Saiten macht wohl nicht nur uns Spaß.
Diese CD wird angepriesen als Solo-Debüt. Dagegen haben
wir nichts, wollen aber doch erwähnen, dass es neben Maik W.
Garthe mit Vocals, Guitars und Harp im zweiten Titel auch die
Herren Jan Hampicke am Bass, Organ (3), Harmonium (12) und
Backings (10), James Schmidt an den Drums, Tambourine (2, 3,
6 und 11) und ebenfalls Backings im Titel 10 und der Mann aus
dem analoghaus, Tom Ripphan persönlich, mit Harp (8), harmonium (8) Organ (11) und Tambourine (5) mit von der (Land-)
Partie sind. Wir sind uns ziemlich sicher, dass dieser Mann bald
aus seiner engen Ecke herausgeholt wird und dem geneigten Publikum überall im Lande zu kurzweiliger Unterhaltung aufspielt,
gleich ob solo oder mit ein wenig Personal. Und so manch einer
wird diese CD in seine Sammlung stellen und sich freuen, einen
Neuen entdeckt zu haben.
Lüder Kriete
Pete Karnes Blues Band - I‘m SƟll Here
Pete Karnes ist Bluesharpspieler, dem Chicago Blues verpflichtet, Mitglied der Blues Hall of Fame und seit ewigen Zeiten im
Geschäft. Geboren in Pigget (Arkansas), aufgewachsen in Ann
Arbor (Michigan) kam er als Teenager nach Detroit. Er stammt
aus einer bluesaffinen Familie und startete seine Profikarriere als
Musiker in den 60ern.
Lightning Slim, Carey Bell und Big Walter Horten förderten ihn.
Er spielte mit B.B. King, Big Walter Horton, Willie Dixon, John
Lee Hooker, Robert Lockwood, J.B. Hutto, Lightning Slim und
Charlie Musselwhite sowie vielen anderen Bluesgrößen. Mitte der
achtziger Jahre beendete er seine Musikerkarriere um sich der Familie zu widmen. Ende der Neunziger erkrankte er ernsthaft, ist
aber seit 2006 wieder aktiv.
Jetzt hat er mit „I’m still here“ ein neues Album herausgebracht.
Es gehört zu den Alben, die man gern anhört, ein zweites Mal
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Platten
hört und plötzlich merkt, daß es oft auf dem Plattenteller liegt.
Das ist möglich, wenn ein Musiker in der Gewißheit spielt, daß er
es wirklich kann und niemandem mehr etwas beweisen muß. Pete Karnes benötigt keine zwanzig Harps, ich nehme an, daß er die
Stücke überwiegend mit einem Instrument gespielt hat. Da gibt
es keine Demonstration elektronischen Overkills – ein Musiker,
seine Harp, ein Mikrophon und seine Stimme müssen genügen –
und das tun sie auch voll und ganz. Seine warme, sonore Stimme
paßt hervorragend zu den Songs.
Gleiches gilt für die Band. Erfahrene Musiker spielen den Blues
ohne Schnickschnack klar, geradeaus und mit vollem Einsatz.
Pete Karnes und die Band harmonieren, man merkt, sie spielen
schon lange zusammen.
Die Songs wurden allesamt von Pete Karnes geschrieben und führen durch einige Stilarten des Blues mit Schwerpunk Chicago.
Der Opener „I love my Baby“ geht prima ab, Pete Karnes möchte
danach auch gern „Play with your Poodle“ (was er damit wohl
meint?). „South of the Boarder“ ist ein toll gespieltes Instrumental (klingt ein wenig wie „La Cucaracha“), das die Hüften der
Senoritas kreisen läßt, „Boogie Time“ geht auch dem anderen Geschlecht in die Beine.
Das Album ist abwechslungsreich und zeitlos. Ich schließe mich
da der Meinung eines Mannes an, der ganz bestimmt viel über
den Blues sagen kann: „So, if you like straight ahead, no-nonsense, blue-collar, low down harp blues you‘ll enjoy Pete‘s harp
and vocals on this recording like I do. … the latin instrumental
reminded me a lot of Big Walter.“ - Charlie Musselwhite
Dicker Kauftipp für alle, die ein zeitloses, schnörkelloses Bluesalbum mögen! (cdbaby)
Bernd Kreikmann
Rosco Levee & The Southern Slide - Get It While
You Can
Manche Kritiker im Vereinigten Königreich sind sich jetzt schon
ziemlich sicher: Sie halten „Get It While You Can“ für eines der
Alben 2014. Wenn man die Euphorie abzieht, dann bleibt zu vermelden: Rosco Levee & the Southern Slide haben ein verdammt
gutes Album zwischen Southern Rock und Americana vorgelegt.
Ok, Kent ist eigentlich weit entfernt von den ehemaligen Kolonien Großbritanniens. Aber Gitarrist Rosco Levee hat mit seiner
Band die Atmosphäre der Südstaaten zwischen Southern Rock,
Blues und Country hervorragend eingefangen. Und auf „Get It
While You Can“ wird keine dürftige Schonkost serviert sondern
die ganze volle Palette dieser Musik. Levees treibende Slide wird
unterstützt von fetten Bläsern, Hammond-Orgeln, Boogie-Pianos
und vollen Background-Chören. Und vor allem ist nicht zu überhören, dass hier ohne Zwischenstufen die Musik direkt aufs Band
gebannt wurde.
Man braucht keines der Lieder wirklich herauszupicken für die
Rezension: „Get It While You Can“ ist von vorn bis hinten gelungen, mitreißend und großartig! Jetzt kann ich verstehen, warum
Levee im Interview mit der Wasser-Prawda meinte, an Kent sei
seine Band das, was am ehesten Rock & Roll.
Nathan Nörgel
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Platten
Kurz & knapp
Hanggai - Baifang
Mongolische Folklore triff t auf europäische
Rockmusik: Die 2004 gegründete Band Hanggai aus der Inneren Mongolei ist mit ihrer Mixtur
in den letzten Jahren auf Festivals in der ganzen
Welt unterwegs gewesen. Jetzt erscheint beim
niederländischen Label Harlem Recordings das
dritte Album „Baifang“ (übersetzt: Back To You)
der Chinesen.
Psychedelische Rockmusik vor allem der späten 60er Jahre hatte in ihrer Eindringlichkeit
immer etwas Hypnotisches. Da ist der Weg zu
mongolischem Kehlgesang nicht weit. Doch
bei den Liedern von Hanggai werden auch Anklänge an aktuelle Mittelalterrocker wach oder
auch an manch theatralisches Metalwerk. Und
bei Liedern wie der Ballade „Miss Daughter“ ist
die Band dann bei traditionellen chinesischen
Melodien angekommen. „Baifang“ ist in all der
stilistischen Vielseitigkeit dennoch ein Album
wie aus einem Guss: Hanggai ist eine Band, die
es schaff t, daraus vollkommen eigene Musik zu
machen. Dass diese sich immer wieder den gängigen Rockklischees entzieht, ist ein echter Vorteil des Albums. Faszinierend und immer wieder
überraschend!
Nathan Nörgel
Kim Simmonds & Savoy Brown - Goin
To The Delta
widmen sie sich nicht mehr dem American
Songbook, sondern dem klassischen Soul der
60er. Jetzt also auch Bluesrocker Paul Rodgers.
Wobei „The Royal Sessions“ einen wirklichen
Vorteil haben: Hier wurde eine Band im Studio
versammelt, die genau diese Musik zu atmen
scheint. Und da macht es dann auch nichts, dass
eigentlich niemand neue Coverversionen von „I
Thank You“, „I Can‘t Stand The Rain“ oder gar
„Wonderful World“ mehr braucht. Rodgers singt
hier fast altersweise - und das passt eigentlich
nun wirklich nicht zu Stücken wie „Shake“. Aber
das ist die Meinung eines notorischen Nörglers.
Die Plattenkäufer sind da anderer Meinung.
Nathan Nörgel
Wille and the Bandits - Grow
Ihren Ruf haben Willie and the Bandits im Vereinigten Königreich vor allem durch ihre mitreißenden Live-Shows errungen. Auf ihrem aktuellen Studio-Album „Grow“ ist diese Energie gut
eingefangen.
Rauhe treibende Riffs, eine verrauchte Stimme
und treibende Rhythmen: schon beim Opener „Got to Do Better“ wird klar, dass das hier
keine Scheibe für Feingeister ist. Es wird abgerockt im Geiste des Blues. Man vergisst schnell,
dass hier lediglich drei Musiker am Werke sind:
Slide-Gitarrist Wille Edwards, Matthew Brooks
am Bass und Schlagzeuger Andrew Naumann
haben einen extrem fetten und dichten Bandsound gefunden. Und Wille ist mit seiner Intensität als Sänger eine absolute Überraschung in
der heutigen Rockwelt. Manche meinen sogar,
in ihm den neuen Seasick Steve zu vernehmen.
Doch wer lediglich auf Bluesrock von der Stange
lauert, dürfte häufig überrascht werden. Denn
immer wieder kommen Ausflüge in andere Gefilde: zum Folk (naheliegend) und gar in den
Latin-Rock. Immer aber - ob nun in deftig losrockenden Stücken oder den langsamen Nummern ist eine unwahrscheinliche Spannung drin,
eine Steigerung, die nach der großen Erlösung
schreit. „Grow“ ist eine echte Empfehlung!
Raimund Nitzsche
Es gibt Bands, die sind schon so lange dabei,
dass sie schon zum Inventar der Szene gehören.
Savoy Brown gehört dazu. Nach dem 2011 erschienenen „Voodoo Moon“ ist jetzt ebenfalls
bei Ruf Records der Nachfolger „Goin To The
Delta“ herausgekommen. Die zwölf Songs versteht die Truppe um Sänger Kim Simmonds als
Liebeserklärung an die Heimat des Blues.
Ich selbst halte die Scheibe für extrem langweilig
und sehe mich kaum in der Lage, wirkliche Höhepunkte zu entdecken. Das ist Bluesrock für ne
Bikerkneipe, wo das Publikum schon erheblich
unter dem Einfluss von Alkohol steht.
Nathan Nörgel Yiruma - Blind Film
Klaviermusik zwischen Klassik und Easy ListePaul Rodgers - The Royal Sessions
ning, sanfte Streicher dazu - das Album „Blind
Für sein neues Album hatte sich Paul Rodgers Film“ des südkoreanischen Pianisten ist Entin den Royal Studios in Memphis eingemietet. spannungsmusik pur. Wer spannende KompoHerausgekommen ist eine Sammlung klassi- sitionen, aufregende Entwicklungen usw. sucht,
scher Blues- und Soulnummern zwischen Albert ist hier fehl am Platz. Wer das für moderne KlasKing, Otis Redding und Isaac Hayes.
sik hält, hat wenig Ahnung von MusikgeschichMan könnte böse sein, und folgende Frage stel- te. Das sind romantische Klangtapeten, vom
len: Was machen alternde Rockstars, denen Musiker gewidmet den traurigen Menschen dienichts mehr Neues einfällt? Seit einiger Zeit ser Welt.
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Platten
Wiederveröffentlichungen, Klassiker, Vergessenes
Wiederhören
Eric Bibb - Me To You
Eric Bibb hatte seine ersten Alben schon als Jugendlicher veröffentlicht. Doch wirklich bekannt wurde er in der Bluesszene erst
in den 90er Jahren, als er etwa 1996 beim London Blues Festival den Opener für Keb Mo, Gatemouth Brown und James Carr
machen durfte. Die begeisterte Aufnahme des Musikers führte
dazu, dass Produzent Mike Vernon ihn für sein Code Blue Label
unter Vertrag nahm. Das Album „Me To You“, was aus dieser
Zusammenarbeit hervorging, ist jetzt als CD wiederveröffentlicht
worden.
Eric Bibb war seinerzeit wohl kein ganz einfacher Klient: 44 Musiker aus Schweden, Großbritannien und den USA wurden eingeladen zu den verschiedenen Sessions. Studios in Stockholm, Portsmouth, London, New York, Chicago und San Francisco wurden
gebucht. Aber das Ergebnis ist für mich eine echte Entdeckung:
Zwischen funkigem Soulblues und Akustikblues spielt die Musik.
Und gemeinsam mit Gästen wie Taj Mahal oder Mavis & Pops
Staples spielte Bibb mit einer Intensität und Virtuosität, die manche seiner späteren Alben bei Weitem nicht mehr erreichten. Ein
absoluter Pflichtkauf! (Hatman)
Nathan Nörgel
Morrissey - Your Arsenal
Weg vom Pop, hin zu Glamrock und Rockabilly - mit seinem
vierten Studioalbum „Your Arsenal“ hatte Morrissey 1992 sein
bis dahin überzeugendstes Album seit dem Ende von The Smiths
herausgebracht. Die jetzt herausgebrachte „Definitive Master“Edition enthält statt üblicher Bonustracks den Mitschnitt eines
bislang unveröffentlichten Konzerts von 1991 auf DVD.
Manchmal muss man sich großartige Songs einfach mal wieder
in Erinnerung rufen. „We Hate It When Our Friends Become
Successful“ etwa oder den tollen Walzer „You‘re Gonna Need Someone On Your Side“. Plötzlich wird einem klar: Die 90er waren
doch nicht ganz ein verlorenes Jahrzehnt, was gute Musik angeht. Morrissey hatte hier mal wieder gezeigt, wie großartig er
sein kann, wenn er denn in der richtigen Laune ist und sich auch
auf seine Band verlassen kann.
Für „Your Arsenal“ und seinen Sound zwischen Rock, Glam und
Rockabilly war Produzent Mick Ronson (früher Gitarrist für David Bowie) unverzichtbar. Er bringt die Erinnerungen an T.Rex
und Bowies Ziggy Stardust-Zeiten in den Sound. Alain Whyte
und Boz Boorer bringen mit ihren Gitarren Morrissey zum Rokken wie lange nicht. Und die Rhythmusgruppe (Gary Day - bg,
Spencer Cobrin - dr) treibt den Sound fast zum Stadionrock. Das
ist ein noch immer wichtiges und nich verstaubtes Album.
Was man von der beiliegenden Konzert-DVD kaum behaupten
kann. Klar: das ist die Vorgängerband. Aber ehrlich: Wer braucht
wirklich so dringend einen Mitschnitt in VHS-Qualität? Zwingend ist dieser Bonus nicht. Aber als kostenlose Dreingabe ist das
ok.
Raimund Nitzsche
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Feuilleton
Koma-Glotzen: House of
Cards. Season 2
Vor einigen Jahren veröffentlichte eine Kieler Studentenzeitschrift einmal eine bemerkenswerte Reportage. Geschildert
wurde der Selbstversuch einer Gruppe, sämtliche Folgen von
Monty Pythons Flying Circus nonstop ohne Pause zu sehen.
Heute sind viele technische Schwierigkeiten, mit denen sich
diese Pioniere des Binge-Watching konfrontiert sahen, bestenfalls noch für historisch Interssierte nachzuvollziehen.
Etwa die verzweifelte Suche für den heldenhaft dahingeschiedenen Video-Recorder mitten in der Nacht. Die Sucht
danach, Serien am Stück zu genießen hat seither massiv zugenommen. Schuld sind der Verkauf von DVD-Boxen oder
die Möglichkeit, komplette Staffeln in Online-Videotheken
zu sehen. Wer braucht da noch Programmzeitschriften,
wenn man sämtliche Folgen der neuen Staffel von House of
Cards ohne wochenlange Wartezeiten genießen kann? Ein
Selbstversuch.
I
ch bin ein Politik- und Nachrichten-Junkie. Und wenn es nicht
Nachrichten gäbe, könnte ich eigentlich gerne auf das komplette deutsche Fernsehen verzichten. Hierzulande sind Serienschreiber offenbar nicht in der Lage, aktuelle Themen in spannende und unterhaltsame Drehbücher zu übersetzen. Voller Wehmut
denke ich an Glanzlichter wie die wöchentlichen Kommentare zur
amerikanischen Politik, die die Helden am Ende jeder Folge von
„Boston Legal“ von sich gaben. Oder aber an die großartige erste
Staffel von The News Room mit seiner Auseinandersetzung nicht
nur mit der Qualitätät der täglichen Nachrichten sondern auch
mit einer Abrechnung mit dem noch immer vorhandenen und be-
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© wasser-prawda
Feuilleton
lächelten Phänomen der Tea Party. „House of Cards“ geht da noch
einen ganzen Schritt weiter. Zum Glück muss man hier sagen: Die
völlige Amoralität der „Helden“ um Francis Underwood (Kevin
Spacey) fand sich schon in der wundervollen Vorlage, die die BBC
in der Zeit nach dem Ende von Maggie Thatcher auf den Bildschirm brachte.
S
ofort fühle ich mich zu Hause, als die erste Folge der zweiten
Staffel zu laufen beginnt. Kevin Spacey/Francis Underwood
hatte es in den ersten dreizehn Folgen geschaff t, die komplette Regierung seiner eigenen Partei zu destabilisieren. Schließlich
wurde er zum Vizepräsidenten gekürt. Auf der Strecke blieben ein
Abgeordneter, der angeblich Selbstmord beging. Und auch die der
Story nachhechelnden Journalistinnen und Journalisten sind der
Skrupellosigkeit dieses Arschlochs nicht gewachsen. Jetzt also gilt
es, die neue Position zu festigen und gleichzeitig dem ungeliebten Präsidenten die eigenen Ideen unterzujubeln. Die in der ersten
Staffel noch mit Informationen gefütterte Journalistin Zoe Barnes stört mit ihren Fragen nur. Folglich endet sie als Leiche auf
U-Bahn-Gleisen. Neuer Gegenspieler wird der Industrielle Raymond Tusk, der nach Underwoods Meinung zu viel Einfluss auf
den Präsidenten hat. Es folgen eine Handelskrise mit China, Geheimverhandlungen, und immer wieder die familiären Rituale der
Underwoods. Überhaupt könnte man Staffel zwei auch als „Bilder
einer Ehe“ betrachten. Bis hin zum möglichen Sex der beiden mit
dem Leibwächter.
E
s ist irgendwann zwischen drei und vier Uhr morgens. Ich
schrecke hoch, bekomme die Augen mit Mühe geöffnet. Auf
dem Bildschirm ist Doug Stamper dabei, mal wieder das
Callgirl, in das er heimlich verliebt ist, das er aber aus dem Licht
der Öffentlichkeit hat verschwinden lassen müssen, zu belästigen
mit seinen Forderungen. Irgendwas hab ich verpasst. Die Folge
werde ich noch mal starten müssen. Jetzt gleich? Oder sollte ich der
gewaltigen Verlockung einer Schlafpause nachgeben? Ich starte sie
gleich neu. Doch Minuten später fallen die Augen wieder zu. Für
drei Stunden bin ich im Land der Träume versackt. Was bin ich
für ein Weichei!
Doch sofort nach dem Aufwachen geht der Marathon weiter. Es
ist eigentlich Zeit fürs Frühstück. Doch die Brötchen sind alle.
Müsli muss ausreichen. Es liegen noch drei oder vier Stunden vor
mir. Stunden, in denen Kevin Spacey oftmals an der Grenze zur
Demaskierung steht. Doch seiner Skrupellosigkeit ist eigentlich
niemand gewachsen, nicht einmal Tusk mit seinem LobbyistenHelfer. Von den Journalisten ganz zu schweigen. Letztlich ist Underwood am Ziel: Er zieht ins Weiße Haus als neuer Präsident.
Und nur Doug Stamper bleibt tot auf der Strecke. Er hätte das
Callgirl nicht immer auf‘s Neue reizen sollen.
F
azit: Dreizehn Folge a 40 Minuten feinste Unterhaltung mit
großartigen Schauspielern. Politik, Macht, Skrupellosigkeit,
Zynismus. House of Cards ist eines der Beispiele für völlige
Antihelden, denen man dennoch fasziniert folgt. Ich allerdings bin
als Komaglotzer hier eindeutig an meine Grenzen gestoßen. Ohne
Schlafpause war ich dieser Serie nicht gewachsen.
Raimund Nitzsche
© wasser-prawda
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Sprachraum
Odile Endres - Vier Gedichte
herzsemantik
du stiehlst dich in meine texte
plötzlich sitzt du auf einer der
bänke im hörsaal über den ich
schreibe du wirst zur zeile in
meinen gedichten du wirst zu
allen versen du tauchst auf in
der textsortenforschung doch
deine typisierung scheitert du
passt in keine klassifikation
du stürzt dich over head und
herz in meine folien du flirrst in
jedem bit meines usb-sticks du
irrlichterst im dickicht all meiner
schreibprozessphasen du findest
dich im code all meiner dateien
du stehst als unlösbare frage
in jeder von mir entworfenen
vorlesung und schriftklausur
du begleitest als subtext jeden
haupt und nebensatz den ich
schreibe du erscheinst als neuer
eintrag in meinem lebenslexikon
du bist obligatorische ergänzung
im gefüge meiner alltagssyntax
bist das schlüsselwort in meinem
gefühlstextkorpus du füllst alle
leerstellen meiner herzsemantik
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© wasser-prawda
Sprachraum
doch du entziehst dich meiner
textanalyse und verschwindest
in einer dunklen satzfuge
wo du verloren bist für mich die
ich nichts kann als wortblüten
treiben und tauge zu nichts als
künstlichen geflechten in denen
die wirklichkeit sich verheddert
aber deine erdige liebe nicht
Odile Endres
window.close()
wird es irgendwann
heißen vielleicht schon
bald
dann wird das
fenster zur erde
geschlossen
werden
hoffen wir dass
dann ein neues
aufgeht:
window.universe.open()
vorpommern vermutlich
schwarzpulver
wie blind in maulfwurfsgängen
umherirren ohne ziel
um das ziel zu verschleiern
auf das wir zutreiben
wir wollen ihm nicht
so einfach in die arme
laufen
ein paar finten wären
nicht schlecht
Odile Endres studierte an den
Universitäten Aix-en-Provence
und Heidelberg. Literarisch
debütierte sie 1995 mit Rendezvous mit Künzle. Seither
widmet sie sich der Sprache in
vielen Facetten: Prosa, Poesie,
Word-Art, Linguistik, Internet-Literatur.
Seit 2005 ist sie Dozentin für
Schriftkompetenz an der Universität Greifswald.
2008 wurde ihr bei der 11.
Lyrikmeisterschaft des Landes
Mecklenburg-Vorpommern
der 2. Preis der Jury zugesprochen, 2009 erhielt sie bei der
12. Lyrikmeisterschaft den
Publikumspreis. Im Juni 2009
gründete sie gemeinsam mit
Silke Peters und Irmgard Senf
in Stralsund die Lesebühne
tEXTRAbatt, eine Plattform
für Poesie-Performance.
von bussen und
büffeln
freiraum-verlag 2014
76 Seiten; 14,95 EUR (D)
ISBN: 978-3-943672-23-7
(Auch als E-Book erhältlich.)
vermeintliche lichtspuren:
gefallene glühwürmchen
ein schwarzer raum
durch und durch
keine assoziationsketten
an denen wir uns entlang
hangeln könnten
the missing link
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Sprachraum
wir waren am ende
der welt
angelangt aber das schicksal
der erde bekümmerte uns wenig
uns war das eigene abhanden
gekommen
wir hörten die stecknadeln fallen
ihre köpfe schimmerten meerblau
vielleicht waren sie daran schuld
dass wir nicht mehr wegkommen
würden
von jenem ufer der langsamkeit
wo die fische mit ihren goldaugen
uns zuflüsterten wenn wir versuchten
die zeichen von wasser und sand zu
verstehen
als die pipelines das haar der meerjungfraun
durchschnitten und ihr methanblut am
strand verströmten wachten wir auf
und merkten dass wir zu lange
geträumt hatten
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Sprachraum
E
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Sprachraum
Jürgen Landt:
titelersparnis
es war ohnehin schon ein lauer abend. die kneipe lau. unsere stimmung lau.
„dann laß uns zu der lyrikerin gehen. die ist ziemlich bekannt. sie liest heute abend. ich glaub zwar nicht, daß das
besser wird als hier, aber vielleicht ein bißchen anders. eigentlich wollte ich zu keiner lyriklesung mehr gehen, ich
hab’s mir bei der letzen schon geschworen, der lyriker hat
mich fertig gemacht, der war so was von eingenommen
von seinen zeilen, das spottet jeder beschreibung, immer
wieder dasselbe, ich meine diese leute, die lyriker, die sind
eine spezies für sich, wie sie sich geben und überzeugt davon sind, etwas ganz einzigartiges zu sein, ist ja auch jeder mensch, aber die stellen in den raum, daß alle anderen
auch so sehen und empfinden müssen, sehen sich so unglaublich einzigartig in ihrem schmieden von gefühlsworten, ist ja auch nichts schlechtes, aber warum nur sind sie
so krankhaft überzeugt von ihrem tun als wär’s das non
plus ultra im vorhandensein, das nervt, da wird mir immer
ganz krampfig und schlecht im bauch und es ist für mich
kaum aushaltbar, ach, scheiß drauf, laß uns gehen.“
„zahlen.“ sagte daniel.
„ich zahle.“ sagte ich.
„ist das weit?“ fragte er mich.
„fünf minuten. und wenn das wieder nichts ist, sie sich
auch so gibt, wie all die anderen lyriker, dann gehen wir
nach fünf minuten wieder.“
„und das eintrittsgeld?“ fragte er.
„da kommen wir so rein.“
„ihr wollt schon gehen?“ fragte uns die schwarzhaaraufgetürmte schönheit hinterm tresen.
„sind bestimmt gleich wieder da.“ antwortete ich.
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Sprachraum
„dann könnt ihr auch nachher zahlen, ich laß euren zettel
hier oben liegen.“ deutete sie auf’s brett unterm schnapsregal.
„nein, ist schon gut, herr sorgenich, gehen sie mal durch.“
„drei euro.“ hörte ich sie zu daniel sagen.
„ich bin student.“ erwiderte daniel.
„haben sie den studentenausweis dabei?“
ich drehte mich um und sagte: „das ist mein bruder.“
„ich denk, sie haben nur eine schwester?“
„meine mutter hatte später noch was mit einem anderen
kerl. daher kommt er hier, der stramme bursche, jura macht
er, bin stolz auf ihn.“ und dann setzten wir uns auf zwei
plätze nahe dem ausgang.
es war wie immer. pathetisch mit brust- und stimmenanschwellen.
zwei frauen waren dennoch während der leicht wechselnden pathetik im monotonen, berechenbaren gleichklangwechsel des daherschlürfenden lyrikvortragens eingeschlafen, ließen ihre köpfe hängen. die ältere von beiden
schnarchte leise, neigte immer wieder dazu in einer gefährlichen körperschräglage jeden moment vom stuhl zu kippen, doch ein inneres hin und wieder aufschrecken innerhalb der raumfüllenden konzentrierten stille schreckte sie
ab und an hoch und sie rückte sich zurecht um erneut den
kopf langsam nach vorne sacken zu lassen, manchmal auch
zur seite, und wenn er ihr nach hinten fiel, wachte sie sofort
kurz wieder auf.
stille. kein applaudieren zwischen den texten. wenn die lyrikerin neu ansetzte, erschrak man sich regelrecht vor ihrer wieder einsetzenden vortragenden innbrunst. und das,
obwohl man damit rechnete, ja wußte, daß sie jeden moment fortfahren würde. und sie fand kein ende. hörte einfach nicht auf. bei jedem text dachte ich: nun ist aber gleich
schluß, das muß der letzte sein.
stille. ein neues beginnen und ein erneutes erschrecken.
stille. dann furzte daniel laut. kein lacher aus dem publikum, nur der abgesackte kopf der ständig einnickenden
frau kam hoch, schaute sich orientierungssuchend um und
sackte gleich wieder ab. dann lachte ich kurz auf. die lyrikerin hielt inne, schaute ernst ins publikum, und daniel
rutschte unruhig auf seinem stuhl hin und her. war es ihm
peinlich? ein nächster lyrischer vortrag setzte ein.
ich stand gebückt auf, klopfte daniel auf die schulter, auch
er erhob sich gebückt, furzte in seinem gebückten vorwärtskommen nocheinmal und folgte mir.
der kassiererinnentisch am eingang war abgebaut.
„hat ja doch ein bißchen länger gedauert als euer angekündigtes gleich. gleich nochmal dasselbe?“ begrüßte uns die
schwarzhaaraufgetürmte.
ich schaute auf ihre lackierten fingernägel, dann auf ihren
gelacken mund, nickte und sagte: „gieß ein.“
weiter hinten saß ein tisch voller mädels, sie lachten und
alberten rum und daniel nahm sein bier vom tresen und
ging zu ihnen.
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Sprachraum
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Sprachraum
R˘ˋˎ˛˝ K˛ˊˏ˝ - D˒ˎ
Vˎ˜˝ˊ˕˒˗˗ˎ˗
Eine Reise um die Erde. Abenteuer zu
Wasser und zu Lande. Erzählt nach eigenen Erlebnissen. Band 1.
9. Das Verhör der Sklavinnen.
Der Türke knirschte vor Wut mit den Zähnen, als die befreiten
Mädchen an ihm vorbeigeführt wurden, und der griechische Kapitän fuhr, als das Boot der ›Vesta‹ zum ersten Male an dem seinen
vorbeikam, mit der Hand nach der im Gürtel steckenden Pistole;
doch während der Bewegung hörte er das mahnende Zischen eines Matrosen, und schnell griff er, anstatt nach der Pistole, nach
seinem Ohr, von welchem noch immer das Blut sickerte.
»Der ›Amor‹ ist in Sicht,« wurde Ellen an Bord gemeldet, und
wirklich tauchten eben hinter dem letzten Inselchen des griechischen Archipels die Masten der Brigg auf. Eine Rauchwolke
schwebte über dem Schiffe, also kam es angedampft und mußte
bald den Schauplatz erreicht haben.
»Desto besser,« meinte Ellen, »so können die englischen Herren
doch sehen, wie gut wir die frühe Morgenstunde ausgenutzt haben, und unsere That bewundern. Doch jetzt schnell wieder auf
die ›Undine‹ zurück, die übrigen Mädchen zu befreien.«
Als das Boot zum dritten Male mit den letzten der Sklavinnen
die ›Vesta‹ erreichte, war die Brigg dicht in der Nähe, fast zwischen der ›Vesta‹ und der Bark.
»Guten Morgen, meine Damen,« lachte der lustige Charles zuerst hinüber. »Sie nehmen wohl Passagiere an Bord? Oder rauben
Sie ein Schiff aus?«
»Das erstere ist wohl das richtige,« gab Miß Jessy zurück, »wir
passen den Sklavenhändlern scharf auf die Finger und nehmen
ihnen unerbittlich ihre Ware weg. Mit solchen Geschäften lassen
Sie sich also nicht ein, wir würden auch Sie nicht schonen.«
Mit Genugthuung und Stolz nahmen die Vestalinnen die Lobpreisungen und Schmeicheleien der Herren dankbar lächelnd an.
»Alle Wetter!« flüsterte Edgar Hendricks seinem Freunde ins
Ohr. »Sehen Sie nur diese Prachtmädels da, die Sklavinnen. Schade, daß wir sie dem Händler nicht abnehmen konnten.«
»Wahrhaftig,« entgegnete Williams, »es ist jammerschade! Alle
Schattierungen sind vertreten, vom Schneeweiß bis zum tiefsten
Schwarz. Sehen Sie da die große Negerin, ihre Augen funkeln,
wie die eines Raubtieres. Die möchte ich nicht anfassen; ich glaube, die beißt in die Finger.«
Und laut rief er nach der ›Vesta‹ hinüber, auf welcher die Damen
die Sklavinnen auszufragen schienen:
»Wenn Sie nicht genügend Platz drüben haben, so geben Sie uns
nur einige ab. Ich schwöre Ihnen hoch und heilig, Miß Petersen,
daß es die Mädchen hier gut haben sollen.«
»Unsinn,« brummte Lord Hastings, der sich bisher mit der Besatzung der beiden Boote beschäftigt hatte, welche noch immer
dicht zur Seite der ›Vesta‹ lagen.
»Unsinn, weiter fehlte nichts. Wir wollen hier keinen Damensalon einrichten.«
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Sprachraum
»Seien Sie nicht ängstlich,« sagte Ellen, deren scharfe Ohren
das Gebrumm verstanden hatten, »die ›Vesta‹ giebt keinen ihrer
Schützlinge heraus.«
Dann wandte sie sich an den griechischen Kapitän, dem Williams eben die Vorzüge des englischen Heftpflasters anpries, weil es
besonders zerschossene Ohrläppchen riesig schnell heile.
»Fahren Sie an Bord zurück,« sagte sie, »und versuchen Sie
nicht, irgend etwas zur Wiedererlangung der Mädchen zu unternehmen. Sie haben jetzt gesehen, daß wir Ihnen überlegen sind
und nicht mit uns spaßen lassen.«
Unverzüglich begab sich die Besatzung auf die ›Undine‹ zurück, wo die Matrosen eine Vorrichtung zimmerten, welche das
zerschossene Steuerrad ersetzen mußte, während der Kapitän finster brütend in der Kajüte saß und stillschweigend die Schmähreden des Türken über sich ergehen ließ.
Sein einziger Gedanke war Rache, furchtbare Rache an diesen
Weibern, welche ihn, den schlauen Seemann, so überlistet, gedemütigt und gezüchtigt hatten.
Unterdessen fand draußen eine Unterredung zwischen Lord
Harrlington und Miß Petersen statt.
»Warum haben Sie uns nicht von Ihrem gefährlichen Unternehmen benachrichtigt?« fragte Harrlington in vorwurfsvollem Tone
die Kapitänin. »Wie leicht hätte es unglücklich für Sie ablaufen
können; Sie hätten uns wenigstens auffordern sollen, in Ihrer Nähe zu bleiben.«
Der Lord mußte aber doch etwas von der Absicht der Vestalinnen gehört haben, denn in der Nacht bereits war auf seinen Befehl
der ›Amor‹ segelfertig gemacht worden und der ›Vesta‹ gefolgt und
lag seit dem frühesten Morgen immer unter Dampf hinter jener
Insel versteckt. Von der äußersten Spitze des Eilandes hatte Harrlington mit seinem ausgezeichneten Fernrohr die beiden Schiffe
beobachtet, aber alle Fragen der Herren ausweichend beantwortet
und sie auf später vertröstet.
»Lord Harrlington,« entgegnete Ellen, »an Bord der ›Vesta‹ droht
uns keine Gefahr. Wir fühlen uns auf ihr so sicher, als wären wir
in einem Ballsaal in New-York und nicht auf dem Meere.«
»Aber erinnern Sie sich doch Ihres Versprechens! Sie wollten
nach der Befreiung aus den Händen der Straßenräuber unsere
Begleitung annehmen.«
»Wohl haben wir nichts dagegen, wenn uns der ›Amor‹ folgt,«
entgegnete das Mädchen, »aber dazu auffordern werden wir ihn
niemals. Dagegen bleibt die Verabredung betreffs der Landausflüge bestehen.«
»Hurrah,« schrie Charles, »Miß Nikkerson, ich stelle Ihnen meinen Regenschirm zur Verfügung.«
»Sie werden bald Gelegenheit finden, uns Ritterdienste zu leisten,« fuhr Ellen fort, »denn wir haben die Absicht, jedes einzelne
der Mädchen persönlich in seine Heimat zu begleiten, und sie
stammen aus aller Herren Länder. Wir vernehmen die befreiten
Sklavinnen jetzt, und deshalb, Lord, muß ich das Gespräch abbrechen.«
»Wollen Sie mir nicht den Namen des nächsten Hafens mitteilen?« bat Harrlington.
»Nein, dies würde gegen unsere Gesetze verstoßen. Suchen Sie
uns nicht zu verlieren, das ist alles, was ich Ihnen raten kann.
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Ueberdies wissen wir selbst noch nicht, welches unser nächstes
Ziel sein wird.«
Sie ging wieder zu der Gruppe der Mädchen und sah nicht, wie
Lord Harrlington ihr lächelnd nachblickte.
Vorläufig lagen die beiden befreundeten Schiffe noch Seite an
Seite still, während die Matrosen der ›Undine‹ eigenmächtig Segel
setzten, denn weder der Kapitän, noch der Türke ließen sich an
Deck sehen.
Die Engländer aber traten zusammen und tauschten Bemerkungen über die Sklavinnen ans. Leider konnten sie, so sehr sie
sich auch anstrengten, von der Unterhaltung zwischen diesen und
den Vestalinnen nichts vernehmen.
»Zwei von ihnen sind offenbar Negerinnen,« erklärte Lord Stevenson, der ebenso wie Harrlington schon viel gereist war, »zwei
andere wahrscheinlich Araberinnen, die dort mit dem roten Jäckchen ist eine Indierin. Einige der Mädchen haben Gesichtszüge,
wie man sie unter der Bevölkerung an der Westküste Asiens triff t.
Aber diese da mit den gelben Gesichtern und runden Augen kann
ich nicht klassifizieren. Harrlington, Sie Weltumsegler, wissen Sie
nicht, wo deren Wiege gestanden haben mag?«
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»In einer kultivierten Gegend jedenfalls nicht,« warf Edgar
Hendricks dazwischen.
»Warum nicht,« antwortete aber Harrlington lächelnd. »Allem
Anscheine nach sind es südamerikanische Kreolinnen oder Abkömmlinge von Indianern und Weißen.«
»Chaushilm,« sagte Charles zu dem jungen Herzog, der als
großer Frauenverehrer bekannt war, »Sie lieben ja Damen mit
üppigem, schwarzen Haar, daher empfehle ich Ihnen, sich um
die Gunst jenes Mädchens dort zu bewerben. Haare hat sie wenigstens für drei auf dem Kopfe, und ihre Lippen sind wie zum
Küssen geschaffen.«
Er deutete dabei auf eine Gestalt mit aufgebauschtem Haarwulst und aufgeworfenen Lippen.
»Wahrscheinlich eine Südseeinsulanerin,« meinte Harrlington.
»Doch still! Miß Petersen will etwas fragen!«
Die Vestalinnen hatten sich inzwischen nach den Schicksalen
ihrer Schützlinge erkundigt. Es war ihnen dies nicht so schwer geworden, als man bei der Verschiedenheit der Nationalitäten hätte
vermuten sollen; die in Asien geborenen verstanden fast alle arabisch, und bei diesen diente die französisch sprechende Sulima als
Dolmetscherin, die übrigen aber hatten während ihrer Gefangenschaft so viel Türkisch gelernt, um sich verständigen zu können,
und so ging die Aufklärung ohne Schwierigkeit vor sich.
Nur Sulima selbst hatte ihr Schicksal noch nicht erzählt, ebenso
nicht jene Negerin, deren wildes Aussehen dem lustigen Charles
Gelegenheit zu dem Witze gegeben.
Sie war eine hohe, schlanke Gestalt, mit einem mehr knabenhaften Gesicht, das nicht hübsch zu nennen war, aber neben
Kühnheit und Stolz eine nicht zu bändigende Wildheit verriet.
Die pechschwarzen Augen, welche unstät von einem der Mädchen zum anderen wanderten, schienen wirklich den Blick eines
Panthers annehmen zu können, ein solcher Blitz schoß ab und zu
aus ihnen, obgleich das Mädchen sich möglichst bemühte, den
Vestalinnen, welche sich auch nicht durch Sulima mit ihr verständigen konnten, freundlich entgegenzukommen.
Das lose Gewand hatte die Negerin so um ihren Körper geschlungen, daß die Arme freiblieben, und seltsam war es, was für
Muskeln diese zeigten. Jeder Nerv, jede Ader trat an ihnen wie aus
Marmor gemeißelt hervor, und dennoch zeugten die schlanken,
wohlgepflegten Hände von keiner schweren Arbeit. Desgleichen
verriet jede Bewegung des Körpers, was für eine katzenartige Gewandtheit ihm innewohnte.
Die Damen versuchten vergeblich in allerlei Sprachen, mit dieser Negerin eine Unterredung zu ermöglichen.
»Es ist nicht möglich,« sagte Sulima. »Während der sechs Monate, welche wir zusammen in Konstantinopel gefangen waren,
hat sie sich nie mit uns unterhalten und gab überhaupt nie einen
Laut von sich.«
»Wie war ihr Benehmen im übrigen?« fragte Ellen.
»Sie verhielt sich finster, zurückhaltend und stolz, besonders den
Wärtern gegenüber, welche uns das Essen brachten und uns sonst
bedienten. Näherte sich ihr einer der Leute, so schaute sie ihn mit
so unbeschreiblich wilden Blicken an, daß er scheu zurückwich.
Ich sah einmal zufällig, wie sie aus ihren dichten Haarflechten
einen kleinen Dolch hervorzog und ihn aufmerksam betrachtete.
Als sie bemerkte, daß ich ihr Geheimnis erkundet hatte, rief sie
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mir in ihrer fremden, sonderbaren Sprache einige drohende Worte zu; aber sie wußte, daß sie von mir am allerwenigsten Verrat zu
fürchten brauchte; ich ging ja selbst mit verwegenen Fluchtplänen
um, besprach mich darüber mit meinen Leidensgenossinnen und
machte auch ihr meine Absichten begreiflich.«
Wieder war es Johanna Lind, welche in dieser schwierigen Lage
einen Ausweg wußte.
»Ich habe gehört,« sagte sie, »Lord Harrlington soll einen alten
Diener bei sich haben, einen Neger, der, wie so viele Schwarze,
ausgedehnte Sprachkenntnisse besitzt, und den er darum mit auf
diese Reise genommen hat. Es ist leicht möglich, daß derselbe
dieses Mädchen versteht.«
»Ich werde den Lord fragen,« entgegnete Ellen und näherte sich
der Bordwand des ›Amor‹, welcher vom Wind dicht an das Vollschiff getrieben wurden war.
»Lord Harrlington, Sie haben einen Neger als Diener mit, welcher sehr viele Dialekte spricht, auch afrikanische?« »Ja, Miß, meinen Hannibal.«
»Wir können eines der Mädchen nicht verstehen, vielleicht kann
Hannibal uns als Dolmetscher dienen.«
»Sofort werde ich ihn rufen,« erklärte Harrlington bereitwilligst,
»das heißt,« fuhr er lächelnd fort, »er wird wohl keine Zeit haben.«
Er ging nach der Luke, in die er mehrmals den Namen des Dieners hinabrief.
»Was soll das heißen, daß ein Neger keine Zeit hat?« fragte Ellen
erstaunt die anderen Herren.
»Hannibal hat nie Zeit,« beteuerte Charles ernsthaft, »der arme
Bursche ist immer mit Arbeit überhäuft. Doch Sie werden gleich
selbst hören.«
»Hannibal, Hannibal, komm‘ herauf!« rief Harrlington hinab.
»Ich habe keine Zeit!« klang es nach einer Weile in ärgerlichem
Tone zurück.
»Komm einmal herauf, Damen möchten dich sprechen.«
»Zum Kuckuck mit den Damen, Hannibal hat keine Zeit, Hannibal ordnet die Bibliothek!« klang es wieder von unten zurück.
»Wie? Der Neger ordnet die Bibliothek?« riefen die Damen
zweifelnd.
»Es ist so,« versicherte Charles, »sein Herr hat ihm aufgetragen,
die verkehrt stehenden Bücher umzukehren. Nun kann Hannibal
zwar weder lesen, noch schreiben, aber er weiß doch, ob die Buchstaben auf dem Kopfe stehen oder nicht.«
»Aber Hannibal, du wirst notwendig gebraucht,« lockte Harrlington wieder und betonte dabei das Wort ›notwendig‹. Im Nu
erschien ein mächtiger, pfeffergrauer, wolliger Kopf über der Luke, dem gleich darauf die Gestalt eines alten Negers mit verwitterten und runzeligen Gesichtszügen folgte.
Hannibal hatte ein bewegtes, abenteuerliches Leben hinter sich,
über dessen erstem Teil ein geheimnisvolles Dunkel lag. Man
sprach davon, daß er in seiner Jugend an der Westküste Afrikas
einen Schmuggelhandel mit Spirituosen betrieben habe, bis er
einmal erwischt und sehr hart bestraft wurde, wahrscheinlich mit
Peitschenhieben, denn noch jetzt wies sein Rücken tiefe Narben
auf; doch war dies nur eine Vermutung. Dann hatte Hannibal,
welchen Namen er aber erst vom jetzigen Herrn bekommen, sich
in der ganzen Welt herumgetrieben und zwar meist in Gesellschaft von Artisten, bei denen er als Clown fungierte. Später pro-
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duzierte er sich in größeren Hafenstädten als Bauchredner, und als
solcher traf ihn Harrlington einst in einem Hafen Südamerikas.
Der Lord brauchte damals gerade einen Diener, und er fand
an dem etwa fünfzigjährigen Neger, dessen ungeheueres Sprachentalent er bald entdeckte, ein solches Wohlgefallen, daß er ihn
aufforderte, ihn zu begleiten. Der Schwarze war gerade in einer
schlechten Lage, das Bauchreden wollte ihn nicht recht ernähren,
und so nahm er ohne Besinnen das neue Engagement an. Das war
vor fünf Jahren gewesen.
Herr und Diener hatten sich seitdem so aneinander gewöhnt,
daß sie, wenigstens für längere Zeit, unzertrennbar schienen, obgleich sie eigentlich in einem sehr sonderbaren Verhältnisse standen.
Viele Neger besitzen ein beispielloses Talent zum Erlernen von
Sprachen, sodaß sie sich bald vollkommen in derselben unterhalten können. Jeder Satz, den sie hören, haftet in ihrem Gedächtnis,
und ein einmal gesprochenes Wort vergessen sie nie wieder, sie
wissen mit nur wenigen Vokabeln so geschickt umzugehen, daß
sie alles ausdrücken können.
Dieses Talent besaß auch Hannibal. Außerdem konnte er jede
einmal gehörte Tierstimme, jeden Menschenlaut oder jedes vernommene Geräusch auf das täuschendste nachahmen, wie er ja
auch Bauchredner war.
Lord Harrlington beschäftigte sich viel mit dem Studium fremder Völker, und hierbei leistete Hannibal ihm unschätzbare Dienste. Er brauchte nur einen Fuß, einen Finger, eine Fährte zu sehen,
so konnte er sofort sagen, zu welcher Rasse der Eigentümer gehörte, wie alt er oder ob er Mann oder Weib sei.
Hannibal hatte bald bemerkt, wie viel der Lord und dessen
Freunde auf seine Eigenschaften hielten, und er gefiel sich nach
und nach darin, den Gelehrten zu spielen. Obgleich er nicht lesen
und schreiben konnte, saß er oft stundenlang vor einem offenen
Buche, eine Brille auf der Nase, und that, als ob er lese.
Da sein Herr ihm alles nachsah, ihn überhaupt eigentlich nur
zur Unterhaltung und zum Zeitvertreib hielt, so glaubte sich
Hannibal dazu berechtigt, sich jede Störung in seinem Studium,
wie er sagte, zu verbitten. Wurde er gerufen, so antwortete er einfach, er habe keine Zeit, und ließ sich durchaus nicht stören, selbst
nicht von Lord Harrlington, welcher daran seinen Spaß fand. Im
übrigen wäre Hannibal für seinen Herrn durchs Feuer gegangen.
Nur der Aufforderung, daß er ›notwendig‹ gebraucht werde, leistete er Folge, denn er versäumte nie eine Gelegenheit, bei der er
seine Kenntnisse zeigen konnte, auf die er sehr stolz war.
So kam er denn auch jetzt die steile Treppe eiligst heraufgestiegen und freute sich ungemein, als er erfuhr, daß alle Damen
und Herren sich vergeblich abmühten, eine Negerin verstehen zu
können.
Ellen winkte der Schwarzen, an die Bordwand des Schiffes zu
kommen, doch kaum standen jene und Hannibal sich gegenüber,
so geschah etwas Seltsames.
Hannibals Züge nahmen mit einem Male einen erst erschrokkenen, dann freudigen Ausdruck an. Mit weit ausgebreiteten Armen stürzte er nach der Bordwand, welche ihn von der Schwarzen
trennte, fiel auf die Kniee und stammelte unzusammenhängende
Worte, die niemand der Zuhörer verstand. Sie wurden in ebensol-
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chen Gurgellauten gesprochen, wie man sie vorhin von dem Mädchen gehört hatte.
Dieses selbst blickte den Knieenden erst mit unverkennbaren
Zeichen des Erstaunens an, ward aber dann aufmerksamer, wies
bei dem Namen ›Yamyhla‹ mit dem Finger stolz auf die Brust, darauf antwortete sie, was Hannibal mit Entzücken zu erfüllen schien.
Kaum aber war ihm das Wort ›Kebabo‹ entschlüpft, das er mit
sichtlichem Zögern aussprach, so entstellte plötzlich ein Ausdruck
grimmer Wut die Züge der Negerin; sie duckte sich zusammen,
und ehe jemand ahnte, was sie vorhatte, schnellte sie mit einem
Satze über die Bordwand und stand vor dem Knieenden. Ein Griff
in ihr dichtes Haar, und sie hielt einen kleinen Dolch hoch in der
Hand, um ihn Hannibal in das Herz zu stoßen.
Lord Harrlington war der einzige, der so viel Fassung bewahrte, hinzuzuspringen, um einen Mord an seinem Diener zu verhindern. Aber wunderbarerweise stieß ihn dieser selbst zurück, riß
sein Hemd auf und erwartete, ohne mit den Wimpern zu zucken,
den tödlichen Stoß. Nur einige kurze Worte sagte er.
Da ließ die Negerin die erhobene Waffe sinken, und wieder
entspann sich zwischen beiden ein aufregendes Gespräch, in dem
fortwährend die Namen Yamyhla, Kebabo, Bahadung, Gheso,
Abeokuta und andere mehr vorkamen.
»Was war das?« fragte Ellen erstaunt. »Wie ist mir denn, habe
ich den Namen Yamyhla nicht schon irgend einmal gelesen oder
gehört?«
»Allerdings,« entgegnete Miß Nikkerson, »an einem Abend wurde in unserem Klub die Geschichte vorgelesen, wie vor Jahren die
5000 Amazonen von Dahomeh im Kampfe fast völlig vernichtet
wurden. Die Anführerin derselben hieß Yamyhla.«
»Ja, und wir jubelten damals noch über die Bravour, mit welcher
sich die Mädchen gegen den zehnfach stärkeren Feind geschlagen
hatten,« sagte eine andere.
»Nun weiß ich auch, was alle diese Namen bedeuten,« meinte
eine dritte.
»Bahadung war der König von Dahomeh, welcher sich immer
eine Leibgarde von 5000 in den Waffen geübten Mädchen hielt.
Gheso war sein Vater, und bei der Stadt Abeokuta haben die Amazonen gekämpft.«
»Sollte jene Yamyhla deren Führerin gewesen sein?« fragte Ellen.
»Das ist nicht möglich, höchstens ist sie die Tochter oder Enkelin derselben,« antwortete eine Vestalin, »jetzt aber kann ich mir
wenigstens erklären, woher dieses Mädchen eine solche Kraft und
Gewandtheit besitzt. Ohne Zweifel ist sie eine jener Kriegerinnen,
welche sich unausgesetzt in Kampfspielen üben.«
»Dann wäre sie würdig für die ›Vesta‹« riefen fast alle Mädchen.
»O, wenn wir sie für uns gewinnen könnten, diese Amazone!«
»Wir wollen sehen, was sich thun läßt,« entgegnete Ellen, »Hannibal scheint sie genauer zu kennen. Jetzt kommt sie auf unser
Schiff zurück; wir werden gleich alles von dem Dolmetscher erfahren.«
Die beiden hatten sich unterdes lebhaft unterhalten, das Weib
zeigte wiederholt nach der Sonne, erzählte dem Neger etwas unter
Gestikulationen und legte zum Schluß bedeutungsvoll den Finger
auf den Mund. Hannibal, auf dessen Gesicht sich während dieser
Rede bald Freude, bald Entsetzen abgespiegelt hatte, rutschte jetzt
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auf den Knieen zu der Negerin, küßte den Saum ihres Gewandes
und that, als ob er vor Entzücken außer sich wäre.
Darauf schritt das Mädchen wieder an die Bordwand und
schwang sich mit einer Leichtigkeit und Grazie über dieselbe, um
die sie jeder Cirkuskünstler beneidet hätte. Stumm schritt sie an
den Damen vorüber und gesellte sich zu der Gruppe der Mädchen.
»Nun, sage uns, was sie dir erzählt hat,« verlangte Ellen von Hannibal. Doch dieser schüttelte mit dem Kopfe.
»Ich darf nichts verraten,« entgegnete er; sein früheres Selbstbewußtsein hatte er mit einem Male ganz verloren. »Meine Zunge ist
mit tausend Eiden gebunden.«
»Wie? So sollen wir nicht erfahren, wen wir befreit haben?«
»Doch, das dürfen Sie, Miß. Es ist die Enkelin jener Yamyhla,
welche im heldenmütigen Kampfe gegen die Neger von Weidah
fiel.«
»Sagte ich es nicht?« rief Miß Nikkerson. »Sie ist eine Amazone
von Dahomeh.«
»Wie kommt sie in die Sklaverei? Hat sie dir dies gesagt?« fragte
Ellen weiter.
»Das ist es eben, was ich nicht verraten darf. Dagegen hat Yamyhla eine Bitte an Sie, die Kapitänin des Damenschiffes. Sie darf
erst nach 21 Monaten in ihre Heimat zurückkehren, um dort ihr
Recht zu suchen, und fragt, ob sie während dieser Zeit auf der
›Vesta‹ verweilen kann. Ich habe ihr erklärt, daß sie dann arbeiten
müsse, und Yamyhla hat sich bereit erklärt, gern die niedrigsten
Dienste zu verrichten, wenn sie nur bei ihresgleichen sein kann.
Yamyhla stammt aus einem der vornehmsten Geschlechter Dahomehs.«
Ellen blickte sich im Kreise ihrer Gefährtinnen um; überall begegnete sie freudigen Gesichtern.
»Natürlich,« stimmten die Vestalinnen bei, »Yamyhla ist eine der
Unsrigen!«
»Du hörst es, Hannibal,« redete Ellen diesen wieder an. »Teile
es Yamyhla mit und sage ihr auch, daß wir sie nach Ablauf der
gesetzten Frist selbst in ihre Heimat bringen werden, und, hat sie
wirklich Ansprüche zu machen, so werden wir sie dabei mit aller
unserer Kraft unterstützen. Auch die Herren des ›Amor‹ werden
sich nicht davon ausschließen. Nicht wahr, Lord Harrlington?«
»Wohin Sie gehen, dahin folgen wir Ihnen,« versicherte dieser
abermals.
»Ach, hat es so eine Negerin gut,« seufzte Charles in komischer
Verzweiflung. »Warum bin ich keine Dahomeh geworden!«
Ellen winkte dem Mädchen und ließ ihm den Entschluß durch
Hannibal übersetzen. Yamyhla zeigte außerordentliche Freude
darüber und drückte durch allerhand Gebärden ihre grenzenlose Dankbarkeit aus. Von den übrigen Vestalinnen wurde sie mit
Herzlichkeit als Genossin begrüßt.
Da über ihrem Schicksal ein Geheimnis zu ruhen schien, so wurde ausgemacht, sie nicht über dasselbe zu befragen, bis sie es selbst
mitteilte. Yamyhla sollte dieselbe Arbeit verrichten und dieselben
Rechte besitzen, wie jede andere Vestalin; doch sollte man sich
möglichst viel mit ihr abgeben, um ihr bald einige Begriffe der
englischen Sprache beizubringen.
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ERSCHEINUNGSDATUM:
10.03.2014
UWE SAEGER: FAUST JUNIOR
Justus verlässt die mütterliche Wohnung, um sich
auf die Suche nach seinem Vater zu begeben. Er begegnet drei Gesellen, die ihn nach einem anständigen Saufgelage in eine von seinem vermeintlichen
Erzeuger geführte Irrenanstalt entführen. Eine an
ein Gehirn erinnernde Architektur und absurde
Vorkommnisse verhindern jede Orientierung. Er
findet einen Freund, irgendetwas entwickelt sich
zwischen ihm und Wagner und eine Idee reift in
ihm: Er will Superstar werden. Doch das bedeutet
nicht nur anspruchsvolle Prüfungen zu bestehen
und den eigenen Charakter zu formen.
Er trifft Heiner Hohlen und tötet Goethe.
HARDCOVER, CA. 550 SEITEN
PREIS: 24,95 EUR (D)
ISBN: 978-3-943672-35-0
Uwe Saegers Faust junior ist verstörend, widerspenstig, brutal und zuweilen obszön. Eine Abrechnung mit dem Irrsinn der Mediengesellschaft und
ihren fragwürdigen Protagonisten, die verschiebt,
demontiert, zerstückelt und sprachlos zurücklässt.
PAULINA SCHULZ: DAS EILAND
John verbringt die Sommerferien mit seinen Eltern
in einem Ferienhaus auf einem Eiland mit romantischen Sandstränden und ausgedehnten Wäldern.
Er unternimmt lange Streifzüge über die Insel und
hält seine Eindrücke mit seiner Kamera fest; nach
einigen Tagen begegnet er den Zwillingen Milan
und Milena. Einer gemeinsamen Nacht, in der
John seine ersten sexuellen Erfahrungen macht,
folgt eine verstörende Entdeckung. Als er Milena
Jahre später zufällig trifft, scheint sich der Kreis zu
schließen.
Diese Erzählung fesselt, sie reißt mit, ist wie ein
Fluss, der sich unaufhaltsam seinen Weg bahnt und
dennoch gleichmäßig schön vor sich hinströmt.
Paulina Schulz schreibt über das Erwachsenwerden
und das Gefühlschaos, das beinahe jeder erlebt hat,
über Liebe, Schmerz und unerträgliche Sehnsucht.
www.freiraum-verlag.de
Gestaltet von Maximilian-Leonard Wienold
SOFTCOVER, CA. 120 SEITEN
PREIS: 12,95 EUR (D)
ISBN: 978-3-943672-32-9