dressur für westernpferde

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dressur für westernpferde
TRAINING
DRESSUR FÜR
WESTERNPFERDE
TEXT//HARDY OELKE
Jedes Pferd profitiert
von klassisch gutem Reiten
Sabine Anders, die Besitzerin der Stute, um die es
geht, hatte als Kind in einem konventionellen Schulbetrieb Reiten gelernt, wo die Schulpferde allerdings nie
auf der Koppel frei laufen durften. Weil sie die Haltung nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren konnte,
wechselte sie zu einem Betrieb mit Offenstallhaltung,
wo sie auf die Klassische Reitkunst aufmerksam gemacht wurde. Allerdings waren ihr spanische/
portugiesische Pferde als nervös und explosiv beschrieben worden. Da sie eine eher ängstliche Reiterin ist, suchte sie nach verlässlichen, ruhigen Pferderassen. Sie promovierte an der Uni Augsburg in amerikanischer Literatur über das Western-Genre und
hatte darum die Americana besucht, wo sie sich in
Quarter Horses verliebt hatte. Auch schien Westernreiten ihrem Ideal näher zu kommen als die „englische“ Reitweise. Sie beschloss darum, ein Quarter
Horse zu kaufen, wollte aber keins, das bereits mit
zwei Jahren eingeritten worden war.
„Also kaufte ich ‘Jacy’, als sie zwei war“, berichtet
sie. „Und ich hatte mit dem Züchter vereinbart, dass
sie erst mit drei Jahren eingeritten würde.“
WESTERN HORSE FEBRUAR 2015
Best Jacy, eine 1,50 m große
reining-gezogene Quarter
Horse-Stute, piaffiert locker
und aufmerksam. Anja Beran
unterstützt Katja Baldauf
behutsam mit der Peitsche
WEIL SIE KEIN
NERVÖSES,
SONDERN EIN
RUHIGES PFERD
WOLLTE, KAUFTE
SIE EIN QUARTER
HORSE
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FOTOS//MADER UND
LORENZ
Auf Anraten des Züchters gab sie die Stute dann
vier Monate ins Bodenarbeitstraining.
„Ich fand das von der Trainingsmethode her total
okay, aber es war für mich als Besitzerin nicht wirklich
nachmachbar“, erzählt sie. „Von April bis Oktober
2009 war Jacy dann bei dem Trainer, dem der Züchter damals alle seine Jungpferde zur Ausbildung
brachte. Von diesem Trainer weiß ich nur, dass er in
Polen arbeitet. Im November 2009 kam Jacy dann zu
einem Reining Trainer in Deutschland. Ich weiß nicht,
was der polnische Trainer gemacht hat, aber als Jacy
zu dem Reining Trainer in Deutschland kam, ging sie
immerhin noch vorwärts.“
BEIM REINING TRAINER FING DAS ELEND
AN
Bei dem Reining Trainer – der ein sehr renommierter und erfolgreicher Mann ist –, war sie ein halbes
Jahr. Sabine Anders hatte ihm klar gesagt, dass sie
kein Interesse an Turnieren hat, dass es ihr egal ist,
wie lange die Ausbildung dauert, dass es ihr nur
wichtig ist, dass die Stute gesund und motiviert bleibt
und eine solide Grundausbildung bekommt. Wie das
vielfach üblich ist, wurde die Stute von einem Co-Trainer geritten. Dieser hat nur immer Stops und Spins
und fliegende Wechsel geübt, wenn Sabine Anders
dort war, um ihre Stute zu besuchen. Seine Hilfengebung sei eher grob gewesen. Nach einiger Zeit ritt er
mit einer Art selbstgebastelter Schlaufzügel. Nach etwa drei Monaten entzog sich die Stute immer mehr
durch Rückwärtsgehen, obwohl sie vorwärts gehen
sollte, selbst wenn sie schon mit der Kruppe an der
Wand stand. Sie wurde dann mit einem zusammengerollten Rope geschlagen, damit sie wieder vorwärts
ging.
„Einmal habe ich gesehen, wie Jacy im Round Pen
trainiert wurde“, berichtet Sabine Anders. „Die Zügel
waren vom Trensenring zwischen den Vorderbeinen
durch und auf jeder Seite am Sattel nach oben geführt und am Horn festgeknotet, und zwar so kurz,
dass Jacy hinter der Senkrechten war. Mit dieser Verschnürung wurde sie im im Round Pen herumgetrieben, so dass sie sich bei jedem Schritt, wenn ihr Vorderbein zurückschwang, auf der Seite einen Ruck ins
Maul versetzt hat. Das war der Punkt, wo ich gesagt
habe: Jetzt ist Schluss! Aber ich konnte sie nicht sofort
dort wegholen. Es dauerte noch eine Weile, bis ich
woanders einen freien Stallplatz fand.“
Jacy ging dann in einen Aktivstall in der Nähe von
Augsburg. Sabine Anders hat sie viel spazierengeführt und longiert (ohne Hilfszügel, nur am Kappzaum) und sie gelegentlich nur im Schritt und ein wenig im Trab geritten, immer am durchhängenden Zügel.
„So wie man eine Verbindung mit den Zügeln herstellte, ging sie rückwärts“, sagt sie, „teilweise schon
vor dem Aufsteigen (auch bei dem Trainer tat sie das
schon beim Aufsteigen). Vorwärts ging sie nur, wenn
man die Zügel komplett durchhängen ließ. Am Anfang konnte sie keinen Schritt an der Longe gehen,
sondern ist wie verrrückt um einen herum galoppiert
und dabei fast umgefallen. Ein Bekannter meinte, ob
mir bewusst sei, dass das Pferd Schmerzen hat und
davonläuft – was mir natürlich bewusst war.
Bei dem Trainer waren die Pferde im Round Pen
immer nur im Trab und Galopp unterwegs. Auch im
Winter wurde dort nie länger als drei Minuten Schritt
geritten, obwohl die Pferde direkt aus der Box kamen,
das fiel mir auch negativ auf. Ich hatte Jacy dort nur
zwei- oder dreimal geritten und fand sie praktisch unreitbar. Sie war extrem verspannt, ging rückwärts, so-
„ICH HATTE DIE
HOFFNUNG
SCHON AUFGEGEBEN, SIE
JEMALS REITEN
ZU KÖNNEN“
Sabine Anders und ihre Jacy
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bald man die Zügel aufnahm, und im Galopp rannte sie immer so schnell wie
sie konnte.“ EIN NEUANFANG
Nach der Lektüre von
Anja Berans Buch „Aus Respekt“ hatte Sabine Anders
dann die Idee, ihre Jacy zu
ihr ins Training zu geben.
Leider hatte Anja Beran keinen Stall für sie frei. Über
Anja Berans Website wurde
sie auf eine Schülerin von
ihr aufmerksam, Katja Baldauf.
„Als ich Jacy zu Katja
brachte, hatte ich die Hoffnung schon aufgegeben, sie
jemals reiten zu können. Sie
zu verkaufen, kam aber für
mich nicht in Frage, weil ich
mich für sie verantwortlich
fühle und ihr ein möglichst
Jacy zeigt eine schöne Versammlung in der
glückliches Leben ermögliPiaffe. Sie ist aufmerksam, ernsthaft bei der
chen möchte. Notfalls wäre
Arbeit, ohne gestresst zu wirken
ich sie nur noch im Schritt
geritten oder hätte Katja
einfach nur zugeschaut“, bekennt sie.
Anja Berans Einschätzung:
„Die Quarter-Stute war völlig verdorben zu meiner
Schülerin Katja Baldauf gekommen. Sie war extrem
verspannt, verdorben bezüglich der Anlehnung, frontlastig, kannte keine Schenkelhilfe und rannte nur noch
rückwärts. Der Trainer selber habe gesagt: Wenn sie
einen schlechten Charakter hätte, würde sie steigen…!“
Welch ein Armutszeugnis! Der Trainer bescheinigt
dem Pferd indirekt, dass es einen guten Charakter
hat, ist aber nicht in der Lage, aus ihm ein passables
Reitpferd zu machen, das die Besitzerin nachreiten
kann! – Als ich das hörte, war ich überzeugt, dass es
sich um einen Möchtegern-Trainer handeln würde,
von dem ich noch nie gehört hatte. Doch tatsächlich
war es ein bekannter und sehr erfolgreicher. Was ei-
DER TRAINER BESCHEINIGT DEM PFERD
EINEN GUTEN CHARAKTER, IST ABER NICHT IN
DER LAGE, EIN BRAVES REITPFERD AUS IHM ZU
MACHEN!
nem solchen Leidensweg eines Pferdes zugrunde
liegt, ist vermutlich nicht die Unfähigkeit des Trainers,
ein braves Pferd auszubilden, das der Besitzerin problemlose Reiterfreuden zu schenken imstande ist,
sondern dass es ihm einfach nicht genug war. Er sah
sich auf dieser Stute vermutlich schon auf einer Futurity glänzen (sie ist von Jac O Rima, aus einer Doc
O’Lena-gezogenen Stute). Mit anderen Worten: Obwohl von der Besitzerin ausdrücklich informiert, dass
es kein Turnierpferd werden sollte, dürfte einmal
mehr der Ehrgeiz ein Pferd zugrundegerichtet haben…
„Natürlich war anfangs völlig ungewiss, wie sich
die Stute nach dem schwierigen Anfang entwickeln
WESTERN HORSE FEBRUAR 2015
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würde“, sagt Katja Baldauf, die unter gelegentlicher
Mithilfe von Anja Beran den Hauptteil der Korrektur
und Ausbildung geleistet hat. „Jacy kam sehr verspannt, verhalten und introvertiert zu mir. Ihre Rükken- und Hinterhandmuskulatur war so fest, dass es
dem Hufschmied kaum möglich war, die Hinterfüße
aufzuheben. Unter dem Sattel wollte sie nicht vorwärtsgehen. Sobald ich die Zügel aufnahm, blieb sie
stehen oder rannte rückwärts. Ich hab anfangs sehr
deutlich die Einwirkungen getrennt: Bein ohne Hand
= vorwärts, Hand ohne Bein = langsamer oder halten. Parallel habe ich mit Übungen wie Schulterherein
und Übertreten an der Hand begonnen, um die Muskulatur zu lösen. Das kannte sie nicht, da war sie deshalb unbelastet. Nach einiger Zeit hatte sie sich entspannt und auch verstanden, was sie bei Bein, Sitz
und Zügeleinwirkung tun soll. Lange Zeit hatte sie
kein Vertrauen zur Hand und hat sich entweder auf
den Zügel gelegt oder sich verkrochen. Viel Arbeit im
Schritt, Seitengänge und Reprisen am langen Zügel
waren hier die Lösung.
Bei der Verbesserung der Balance hat sehr der
spanische Schritt geholfen, den sie sehr gerne macht,
und auch das Anpassagieren und die Piaffe haben
die Koordination sehr verbessert. Mittlerweile ist aus
Jacy ein sehr fleißiges, interessiertes Pferd geworden.
Die Bewegungen sind elastisch und locker. Auch ihre
Besitzerin kann bereits schwierige Lektionen wie Galoppwechsel auf ihr reiten.“
Was hat ihrer Meinung nach den Durchbruch gebracht?
„Das etwas Bestimmtes den Durchbruch bewirkt
hat, könnte ich gar nicht sagen“, meint sie.“ Ich denke, dass hauptsächlich Geduld zum Erfolg geführt
hat.“
Jacy geht jetzt schön die Seitengänge, piaffiert
und passagiert, geht Außengalopp und schöne fliegende Wechsel und spanischen Schritt und auch
schon ein wenig Pirouetten. Insgesamt bewegt sie
sich viel lockerer und sieht auch zufriedener aus. Das
bestätigen auch die Fotos, die ein aufmerksames und
trotz der schwierigen Lektionen zufriedenes Pferd zeigen.
„Jacy ist eigentlich ein sehr unerschrockenes und
sehr lernbereites Pferd“, so Katja Baldauf. „Sie hat einen tollen Charakter und ist von Natur aus klar im
Kopf. Meiner Meinung nach hat sie keinerlei Schwächen. Ich denke, es wurde einfach zu schnell zu viel
von ihr verlangt und nur auf Lektionen gedrillt, ohne
dass sie systematisch und langsam psychisch und
physisch vorbereitet worden war.“
Eine Leidensgeschichte, der ein Happy End beschieden war! Die Geschichte eines Pferdes, welches
durchs Raster gefallen wäre, wie dies jedes Jahr vielen im Sport passiert, die nicht so glücklich sind, wie
Best Jacy.