Synthese aus Form und Funktion

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Synthese aus Form und Funktion
www.cad-cam.de
Nicht zur Verwendung in Intranet- und Internet-Angeboten sowie elektronischen Verteilern.
P R AX I S D E S I G N
w i e e i n H a m b u r g e r D e s i g n - S t u d i o m i t A l i a s S t u d i o To o l s i n n o v a t i v e
Designs zur Fertigungsreife bringt
Synthese aus Form und Funktion
© 2005 Carl Hanser Verlag, München
Bei der Gestaltung technischer Produkte tritt das Design häufig in den Hintergrund. Stattdessen begnügt man sich damit,
Funktionen nach dem Prinzip ›Form follows function‹ ergonomisch sinnvoll zu gestalten. Aber Benutzer ist nicht gleich Benutzer. Im Rahmen eines Wettbewerbs hat sich das Hamburger
Design-Studio Novakonzept darüber Gedanken gemacht, wie
die schnurlosen Telefone der Gigaset-Serie von Siemens aussehen müssten, um verschiedene Benutzergruppen gezielt anzusprechen. Zwei ihrer Konzeptstudien haben die Designer
mit der Alias-Software StudioTools bereits in marktfähige Produkte umgesetzt.
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KREATIV. Das Gigaset von Siemens
gehört zu den meistverkauften
schnurlosen Telefonen in Deutschland. Von der Farbe abgesehen,
unterschieden sich die einzelnen
Modelle bislang vor allem durch ihren Funktionsumfang voneinander.
Eine Differenzierung im Hinblick
auf die spezifischen Anforderungen
unterschiedlicher Benutzergruppen
gab es bislang nicht. Doch vielleicht
würden die Kunden Geräte bevorzugen, die auf ihre individuellen
Neigungen und ihr häusliches Umfeld zugeschnitten sind? Ausgehend
von dieser Fragestellung lud die Sie-
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Nicht zur Verwendung in Intranet- und Internet-Angeboten sowie elektronischen
Verteilern.
Foto Liebreich Medienproduktion
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Das Gigaset für den eher ›technikscheuen‹ Nutzer.
mens AG im Jahr 2003
das Hamburger DesignBüro Novakonzept zusammen mit weiteren
Büros dazu ein, verschiedene Design-Studien für
schnurlose Telefone der
Zukunft zu entwickeln.
Es war das erste Großprojekt für das junge DesignBüro. Die Aufgabenstellung bestand darin, eine
neue Generation von
schnurlosen Telefonen
für mehrere Zielgruppen
zu konzipieren, z.B. für
technikscheue Senioren,
spielorientierte
junge
Leute, weibliche Vieltelefonierer oder technikverliebte Power-User.
Entwurfszeichnung können entweder direkt
digital oder als Handzeichnung als Refenrenzebene der Imageplane hinterlegt werden, um
komplexe Kurvenverläufe – wie hier der Display- und Tastaturfugenverlauf – auf das 3-DModell zu projizieren, bevor einzelne Details
ausmodelliert werden.
Zielgruppengerechte
Gestaltung
Die verschiedenen Zielgruppen
sollten durch eine individuelle Gestaltung der Geräte angesprochen
werden. Gemäß dem Design-Verständnis von Novakonzept sollte
dies auch funktionale Aspekte einschließen. »Die gleiche Funktion
kann je nach Zielgruppe in verschiedenen Geräten unterschiedlich
gestaltet sein«, erläutert Designer
Björn Bersch, einer der drei Gründer von Novakonzept. Gleichzeitig
sollten alle Einzelgeräte anhand gemeinsamer Design-Elemente als
Gigasets erkennbar bleiben. Die
Hamburger Produkt-Designer entwickelten ein übergreifendes formales Konzept, das den neuen Möglichkeiten der Formgebung Rechnung trägt.
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Hybrides Arbeiten in 2D
und 3D
Die ersten Ideen brachte das Novakonzept-Team noch mit dem Stift
aufs Papier, um sich hinsichtlich Vision, Emotion und Atmosphäre frei
entfalten zu können – es hätte aber
auch ein elektronischer Skizzenblock sein können. »Wir versuchen,
die künstlerischen Aspekte des Designs zu betonen und es erst dann in
ein 3D-Modell umzusetzen, wenn
es ausgereift ist«, erklärt Gwendolyn
ren von organischen Flächen sehr
viele Möglichkeiten bietet. Das ist
auch beim Sport-Design, einem der
Schwerpunkte von Novakonzept,
sehr hilfreich, denn dort wird häufig
mit organischen Flächen gearbeitet.
»Bei der Gestaltung der Telefone bot
die Fähigkeit, mit organischen Flächen zu arbeiten, den Vorteil, dass wir
eine andere Formensprache wählen
konnten«, erzählt Sven Bertsch.
Alias StudioTools bietet eine ganze Reihe von hilfreichen Funktionen
Mittels Referenzebenen, die anhand von Flächendurchdringungen Formverläufe sichtbar machen,
können auch in sehr kleinteiligen Bereichen organische Flächen exakt kontrolliert werden. Hier z.B.
der Bedruckungsbereich auf einer Telefontaste,
der bei einer bestimmtem Wölbung einer vorgegebenen Größe entsprechen sollte.
Volk. Wann die Designer den Computer anwerfen, hängt auch von der
Art des Projektes und den Präferenzen des Kunden ab.
Die Handskizzen wurden als
›Image Planes‹ in StudioTools geladen und als Vorlage für den Aufbau
von Kurven und Flächen genutzt,
wobei die Designer immer wieder
zwischen 2D- und 3D-Modus hinund hersprangen. Die Alias-Software
bietet sehr komfortable Möglichkeiten für das hybride Arbeiten, wie
Sven Bersch sagt: »Man kann zum
Beispiel die Tastaturen erst mal in 2D
skizzieren und auf das Flächenmodell projizieren, um verschiedene Varianten auszuprobieren, ehe man die
Tasten ausmodelliert.«
Sven und Björn Bersch arbeiten
schon seit dem Studium mit der Alias-Software, weil sie beim Modellie-
für die Flächenmodellierung und
wird kontinuierlich weiterentwikkelt: So kann man im neuen Release
12 Flächen direkt in ein komplexes
Kurvengerüst spannen, ohne erst
ein Square zu erzeugen und mit der
Kontur zu verschneiden. Außerdem
lassen sich mehrere Einzelflächen
für übergreifende Operationen zu
einem Verbund zusammenfassen,
der wieder aufgelöst werden kann.
»Sensationell ist die Möglichkeit,
direkt auf der Fläche zu zeichnen
und die Linien dann als Basiskurven
zu nutzen«, sagt Sven Bersch.
Kontrolle der Flächenqualität
Die Designer bei Novakonzept reizen die Flächenfunktionen der Alias-Software voll aus. Die Qualität
der erzeugten Flächen lässt sich mit
Hilfe so genannter ›Diagnostic Sha-
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Foto: Insa Korth
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der‹ überprüfen. Sie stellen beispielsweise die Lichtverläufe auf der Oberfläche dar, ohne dass sie dafür gerendert werden muss, so dass man die
Modelle interaktiv drehen kann, um
die Reflexionskurven aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten.
»Man kann die Funktionen auch
wunderbar für die schnelle Kommunikation mit Marketing oder Management nutzen«, versichert Sven
Bersch. »Immer wenn es in den Meetings Verständnisprobleme mit den
Drahtmodellen gab, haben wir sie
einfach mit Shadern belegt.«
Für richtige Präsentationen ließen die Designer auf Basis der AliasDaten Konzeptmodelle aus Hartschaum fräsen und lackieren. Sie
nutzten aber auch die leistungsfähigen Rendering-Funktionen der Alias-Software, um verschiedene Texturen und Farben auszuprobieren.
»Man kann damit Materialien wie
Gummi absolut fotorealistisch darstellen, z.B. indem man sie einscannt
und auf das Modell projiziert«, erläutert Björn Bersch. Auch Lichtsitu-
weibliche Zielgruppe konzipierten Studie das neue Gigaset
C340/345. Die Design-Ideen
sind noch klar erkennbar, wie
Sven Bersch versichert, aber die
Geräte wurden deutlich größer,
um sie mit vorhandenen Bauteilen bestücken zu können.
Bei der Umsetzung der Konzeptstudien arbeitete Novakon- Die Funktion des Diagnostic-Shaders ist durch ihre
zept sehr eng mit dem Kunden räumliche Darstellung und freie Drehbarkeit im
zusammen. Zeitweise gingen die Raum ein sehr gutes Hilfsmittel bei der Klärung von
Daten zur Abstimmung mehr- technischen und gestalterischen Belangen. Mit ihrer
mals am Tag hin und her. Dabei Hilfe kann man Formverläufe, Bauteileinheiten und
hat sich die Kompatibilität von unterschiedliche Funktionen verständlich kommuniAlias zu konstruktionsorientier- zieren. Mit den leistungsfähigen Rendering-Funktioten CAD-Programmen wie Eu- nen der Alias-Software lassen sich die verschiedensclid oder Catia V5 sehr bewährt. ten Materialien fotorealistisch darstellen.
Konstruktions- und fertigungsrelevante Vorgaben wie die Entfor- konstrukteure sehr schnell die Quamungsebene wurden in den Studio- lität der Flächen beurteilen. Aber
Tools als Referenz hinterlegt, so dass auch für den Abstimmungsprozess
die Designer anhand der Funktionen mit den Spezialisten, beispielsweise
zur Kontrolle von Flächendurch- für Akustik, Elektronik oder Antendringungen jederzeit prüfen konn- nentechnik, war die 3D-Visualisieten, ob ihre Flächen noch den Ferti- rung sehr hilfreich: »Die Antennengungsvorgaben entsprachen.
techniker konnten auf einen Blick
Mit Hilfe dieser Technik konnten beurteilen, ab wann es zu Antennensie auch ein besonders kniffeli- interferenzen mit anderen Elemenges Problem lösen: Um sie zu- ten kommt«, erzählt Sven Bersch.
verlässig bedrucken zu könIm Zuge der Detaillierung erfuhnen, durfte die Wölbung der ren die ursprünglichen Entwürfe
Tasten in einem bestimmten zum Teil starke Veränderungen.
Bereich einen Höhenunter- Trotzdem konnten sie dank der
schied von wenigen Hundert- hochwertigen 2D-Skizzen und 3Dstelmillimetern nicht über- Flächendaten aus der Konzepthase
schreiten: »Wir haben entspre- relativ schnell in machbare Produkte
umgesetzt werden. Ohne die StudioDas Novakonzept-Team: Björn Bersch (links), Gwendolyn Volk chende Referenzebenen definiert und mit der Tastaturflä- Tools hätte das wesentlich länger geund Sven Bersch vereinen die Schwerpunkte Industrie-Deche verschnitten. Dann haben dauert. Gwendolyn Volk schätzt,
sign und Architektur. Die daraus resultierenden Synergieefwir die Schnittfläche an den dass man durch den Einsatz der mofekte in Verbindung mit der Inspiration aus Film, Kunst, KulKontrollpunkten so lange hin- dernen Software-Tools gegenüber
tur und Zukunftsforschung bieten die Möglichkeit einer begezogen, bis sie im grünen Be- der konventionellen Arbeitsweise bis
reichsübergreifenden qualitativen Gestaltung.
reich lag«, erläutert Sven zu 30 Prozent schneller ist, wobei der
ationen lassen sich in der Software Bersch. »Ich kenne keine andere An- Zeitvorteil umso größer ausfällt, je
wie in einem wirklichen Fotostudio wendung, mit der man Freiformflä- komplexer das Produkt ist. »Gerade
einstellen.
chen im Bereich von Zehntel- und die Entwurfsfindung wird durch das
Hundertstelmillimetern so genau hybride Arbeiten in 2D und 3D stark
Bewährte Technik
und effizient kontrollieren kann.«
beschleunigt, weil man nicht mehr
im neuen Design
jeden Lösungsvorschlag ausmodelDa die Konzeptstudien bei den Abstimmungsprozess
lieren muss.«
unterschiedlichen Zielgruppen auf vereinfacht
eine hohe Akzeptanz stießen, ent- In ihren Design-Besprechungen Michael Wendenburg
schloss sich Siemens, einige Vor- greifen die Industrie-Designer imschläge schon früher als ursprüng- mer wieder auf den Diagnostic Shalich geplant noch mit der vorhande- der zurück, um ihre Modelle zu vernen Technik umzusetzen. So wurde anschaulichen. Anhand der Reflewww.alias.com
www.Novakonzept.com
aus einer ursprünglich für eine rein xionslinien können die Werkzeug-
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