Die Subkultur der Nazis - Offener Runder Tisch Zeitz

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Die Subkultur der Nazis - Offener Runder Tisch Zeitz
public warning
»Ja, es gibt rechtsradikale Ausdrücke von manchen Schülern. Sie sind rechts aus Langeweile.«
VORWORT
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vorwort
Hallo liebe Schüler_innen, liebe Leser_innen,
mit der Broschüre Public Warning haltet ihr ein Heft in der Hand, mit dem wir versuchen, euch auf den nächsten 55 Seiten mit der Problematik des Rechtsextremismus im Allgemeinen und im Besonderen in Plauen und im Vogtland vertraut
zu machen. Wir, die Verfasser dieser Broschüre, sind eine Gruppe von Leuten, die sich seit mehreren Jahren in verschiedener Weise ehrenamtlich gegen Aktivitäten von Neonazis und gegen rassistisches Denken und Handeln in unserer
Gesellschaft engagieren. So konnten wir bei der Erarbeitung dieses Heftes, welches von der Stadt Plauen in Auftrag gegeben wurde, auf unsere eigenen Erfahrungen aufbauen, aber auch selbst Neues lernen. Allen, die uns bei dieser Arbeit
unterstützt haben, sei an dieser Stelle recht herzlich gedankt.
Da dieses Heft vor allem an junge Leute gerichtet ist, war es uns wichtig, euch in die Recherchearbeit mit einzubeziehen.
So haben wir an Schulen in Plauen und Umland, an öffentlichen Plätzen und in Jugend- und Sozialprojekten Interviews
geführt, viele nützliche Informationen aus erster Hand gesammelt und in die Broschüre einfließen lassen. Sie lebt also
von euren und den Erfahrungen anderer, die für eine gründlichere Auseinandersetzung mit dem Thema Rechtsextremismus notwendig sind. Zudem haben wir zusätzliche Informationen aus anderen Broschüren, Büchern und aus dem
Internet gesammelt, durch eigene Beobachtungen ergänzt und hier für euch zusammengefasst. Die Broschüre soll vor
allem allgemein aufklären und kann daher in den einzelnen Schwerpunkten nicht so tief vordringen, wie wir uns das
selbst gewünscht hätten. Andere wichtige Aspekte mussten wir wegen Platzmangel ganz herauslassen. Die ein oder
andere Ergänzung und interessante Tipps zum Weiterlesen findet ihr auf der Website www.public-warning.de, die wir
mit der Broschüre zusammen erstellt haben. Um uns eure Kritik und Anmerkungen mitzuteilen, könnt ihr die Kontaktadresse [email protected] nutzen. Wir hoffen, euch zumindest einen kleinen Einblick zu verschaffen und für euren
Unterricht einiges interessantes Material zusammengestellt zu haben.
Und nun viel Spaß beim Lesen, Grübeln und Diskutieren.
Einige Hinweise, die euch das
Lesen vereinfachen sollen:
Da bereits über Sprach- und
Schreibformen Ausgrenzung
von Menschen stattfindet (z. B.
die von Frauen, indem nur
männliche Formen wie »Schüler« gebraucht werden), haben
wir versucht, eine Schreibweise zu benutzen, die männliche und weibliche Formen,
sowie alle, die sich keinem
Geschlecht zuordnen wollen,
zu berücksichtigen wie beim
Wort »Schüler_innen«. Oder
wir haben Begriffe benutzt,
die keinerlei Unterscheidung
notwendig machen, z. B. beim
Wort »Mensch«.
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»Ich würde mir viel mehr Aufklärungsarbeit wünschen,
von den Schulen und von den Lehrern«
INHALTSVERZEICHNIS
Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
allgemeiner Teil
Alltagsrassismus in Deutschland. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
Motive von Ausgrenzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
Grundlagen unserer Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
Wichtige Kennzeichen der Naziideologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
Organisationsformen von Rechtsextremen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
Dresscodes, Subkultur, Lifestyle, Symbole. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
Symbole mit nationalsozialistischem Bezug. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
Embleme und Logos extrem rechter Organisationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
Jugendkulturelle Codes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
Die Subkultur der Nazis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
Ursachen rechter Einstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
spezieller Teil
Rechte Strukturen im Vogtland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Was geht in Plauen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Zur Situation an den Schulen in Plauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Und was geht im Vogtland? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Rassismus und rechte Gewalt aus der Opferperspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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30
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Gegenstrategien
Allgemeine Handlungshinweise und Gegenstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Argumentationshilfen gegen typische rechte Parolen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Was kannst du an deiner Schule tun? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Projekte gegen Rechtsextremismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Ein Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
5
inhalt
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EINLEITUNG
public warning
Einleitung
Bevor wir euch nun einladen, diese Broschüre zu lesen,
möchten wir euch kurz erklären, wie sie aufgebaut ist und
worum es in den einzelnen Abschnitten geht. Das Heft ist
in drei große Abschnitte gegliedert. Am Ende findet ihr
eine kurze Zusammenfassung, Adressen, Literaturhinweise und Tipps für weitere Informationen zum Thema.
Der allgemeine Teil soll euch eine Einführung zum Thema
Rechtsextremismus geben und zu allen anderen wichtigen Begriffen, die auf irgendeine Weise damit zusammenhängen. Viele von euch sind sicherlich über Wörter wie Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus
oder Fremdenfeindlichkeit gestolpert oder können über
„rechte“ Gewalt berichten. Vielleicht habt ihr schon öfter
Bemerkungen gehört wie „Die Ausländer nehmen uns
Deutschen die Arbeitsplätze weg und kommen nur hierher, um von unseren Sozialleistungen zu leben.“ oder „Die
müssen sich unserer deutschen Kultur anpassen, wenn
sie hier leben wollen.“ Manch eine_r mag diese Auffassungen sogar teilen, ohne sich darüber weiter Gedanken
gemacht zu haben. Um ein kompliziertes Phänomen wie
Rechtsextremismus jedoch zu verstehen, ist es wichtig,
sich mit diesen Ängsten und feindlichen Einstellungen
gegenüber Menschen anderer Herkunft oder gegenüber
Andersdenkenden auseinanderzusetzen. Sie bilden die
Grundlage dafür, dass sich rechte und rechtsextreme Einstellungen entwickeln können. Physische und psychische
Gewalt von Rechtsextremen sind dabei nur die Spitze des
Eisberges. So werden wir versuchen, euch neben möglichst einfachen Begriffsdefinitionen, die Grundlagen und
Zusammenhänge zwischen rassistischen, antisemitischen
und nationalistischen Denkweisen zu erläutern und aufzeigen, wie diese in der Öffentlichkeit sichtbar werden.
Im Anschluss daran beschäftigen wir uns mit Organisationsformen von Rechtsextremen und mit ihrem Erscheinungsbild. Dabei gehen wir z. B. auf Szenecodes ein, die
die rechte Ideologie symbolisieren. Vor allem aber werden wir auf die Gefahr hinweisen, die mit der aktuellen
Entwicklung des Rechtsextremismus einhergeht, nämlich
das neue „soziale“ Wirken in der Öffentlichkeit und die
Normalisierung des Erscheinungsbildes. Doch nicht nur
dabei entsteht der Eindruck, dass das Problem Rechtsextremismus weniger wahrgenommen wird. Auch mit dem
unauffälligen und langsamen Fußfassen in verschiedenen
Subkulturen finden Rechtsextreme auch bei Jugendlichen
zunehmend Akzeptanz.
Im speziellen Teil versuchen wir vor allem, die aktuelle Situation in Plauen und in einigen Regionen des Vogtlandes
zu beschreiben. Ihr erhaltet dazu konkrete Informationen,
wie Neonazis vor eurer Haustür, an eurer Schule und in
EINLEITUNG
anderen öffentlichen Räumen agieren. Rechte Ideologie
und rassistisches Denken, das in unserer Gesellschaft seine Wurzeln hat, sind ein Ausdruck von Unwissenheit und
Ignoranz gegenüber Problemen wie Armut, Krieg und politischer Verfolgung, unter denen ein Großteil der Weltbevölkerung leidet. Zudem sind diese Menschen, die wegen
sozialer Not und Verfolgung aus ihren Länder flüchten,
mit vielen weiteren Problemen konfrontiert, sobald sie z.
B. die Grenzen der reichen Länder Europas erreichen. Nur
die wenigsten von uns wissen, wie es diesen Menschen
hier wirklich ergeht. Daher ist die Auseinandersetzung mit
der Sichtweise von Opfern von Rassismus, Ausgrenzung
und rechten Gewalttaten unerlässlich. Dies trägt dazu bei,
dass man ein besseres Verständnis und mehr Toleranz für
unsere Mitmenschen entwickelt. Wichtige Informationen
und Fakten hat uns ein Interview mit dem Projekt AMAL
liefern können.
Im Abschnitt Gegenstrategien möchten wir euch zum
einen allgemeine Anregungen geben, wie ihr selbst aktiv werden könnt, wenn euch diese Dinge schon länger
beschäftigen. Vielleicht habt ihr bisher noch nicht den
richtigen Anfang gefunden oder euch hat dabei die Unterstützung gefehlt. Zum anderen findet ihr Ideen dafür,
wie ihr über diese Themen in eurem Schulalltag sprechen
könnt. Dabei unterstützen euch die Argumentationshilfen. Mit den Verweisen auf einige Anlaufstellen und mit
der Vorstellung einiger ausgewählter Projekte, die sich besonders gegen Rechtsextremismus und das Erstarken der
Neonazis engagieren, findet ihr weitere Anregungen, wie
ihr selbst kreativ und aktiv werden könnt. Damit verbun-
den ist die Aufforderung, politisch tätig zu werden. Politisch handeln heißt dabei jedoch nicht, dass ihr euch nur
innerhalb von Parteien engagieren könnt, sondern, dass
ihr ganz eigenständig und kreativ an der Politik in unserer Gesellschaft teilnehmen könnt. Es ist wichtig, dass ihr
im Unterricht, mit euren Freunden_innen und auch mit
Betroffenen selbst sprecht, um euch ein besseres Bild machen zu können. Nehmt nicht hin, was euch andere tagtäglich vorgeben und informiert euch eigenständig! Seid
neugierig, seid unbequem! Hinterfragt, was euch von den
Erwachsenen vorgelebt wird!
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Was ist eigentlich rechts?
In fast allen demokratischen
Parlamenten sitzen konservative und nationalistische
Parteien auf der rechten Seite.
Allerdings ordnen sich bürgerliche-konservative Parteien heute größtenteils der politischen
Mitte zu. Wir sprechen dort, wo
Nationalismus, Rassismus, völkisches Denken, Antisemitismus
und autoritäre Ordnungsvorstellungen vertreten werden,
von politisch »Rechten«. Die
Grenze zwischen Rechten und
Rechtsextremen, die ihre Ziele
besonders aggressiv verfolgen
und nicht selten Gewalt anwenden, verläuft dabei jedoch
fließend.
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ALLTAGSRASSISMUS IN DEUTSCHLAND
:
die alltagliche Angst
Alltagsrassismus in Deutschland
Rassismus ist der Glaube, dass
es unterschiedliche Menschenrassen gibt. Er bewirkt, dass
Menschen auf Grund äußerer
Erscheinungen und Herkunft
höherwertig bzw. minderwertig eingestuft werden. Im neueren Verständnis ist Rassismus
die Ablehnung einer interkulturellen Gesellschaft und die Befürwortung des so genannten
Ethnopluralismus.
Ethnopluralismus ist die Auffassung der Neuen Rechten,
die die Völker zwar nicht per
se in hoch- und minderwertig
einteilt, ihnen jedoch einen bestimmten unveränderlichen Lebens- und Kulturraum zuweist.
Im Mai 2006, kurz vor der Fußballweltmeisterschaft in
Deutschland, löste der ehemalige Sprecher der deutschen
Bundesregierung Uwe-Karsten Heye eine heftige Debatte
über den Rassismus in Deutschland aus. Kern der Debatte
war die Frage, ob es in der Bundesrepublik so genannte
„No-Go-Areas“ gibt: Orte, an denen Menschen, die als vermeintliche Ausländer_innen gesehen werden, Angst um
ihr Leben haben müssen. Wörtlich sagte Heye: „Es gibt
kleine und mittlere Städte in Brandenburg und anderswo, wo ich keinem, der eine andere Hautfarbe hat, raten
würde, hinzugehen. Er würde sie möglicherweise lebend
nicht mehr verlassen.“
Auch wenn Heyes Äußerung damals besonders den Protest ostdeutscher Politiker herausforderte, kann es nicht
geleugnet werden, dass es viele Orte gibt, an denen besonders nichtweiße Menschen Angst vor Nazigewalt
haben müssen. Häufig gibt es auch Gewalttaten mit
antisemitischen Motiven. Nach anfänglicher Kritik bestätigte Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck,
dass Heye mit seiner Feststellung Recht habe, wonach
es in Deutschland und besonders im Osten ein Problem
mit Rechtsextremismus, rechtsradikaler Gewalt und
Rassismus gebe.
Der Berliner Schriftsteller Alexander Gusovius beschrieb
die Lage anhand seiner privaten Situation in einem Kommentar in der Tageszeitung „Die Welt“ kürzlich so: „...meine
Frau ist halb Schwäbin, halb Perserin und hebt sich von der
Masse der deutschen Gesichter angenehm ab. Leider haben Glatzen und Neonazis, von denen es in Ost-Berlin und
im Umland zu viele gibt, ihre dümmliche Existenz darauf
eingerichtet, Menschen, die sie für nicht kerndeutsch halten, grob zu belästigen. Das machte unser Berliner Leben
zunehmend ungemütlich, wir fuhren zuletzt kaum noch
ins Umland. Der absurde Gipfelpunkt neuerlichen Eingeschlossenseins ins gute, alte West-Berlin war erreicht, als
meine Frau ein Engagement als Schauspielerin im Berliner
Osten nicht annehmen konnte, weil unweit des Theaters
die NPD-Parteizentrale angesiedelt war - was besonders
nachts, nach der Vorstellung, zu nochmals gesteigertem
Glatzenaufkommen führte.“
Die Untergrabung der Demokratie durch Nazis und die
Entstehung von Angsträumen ist kein Zufall von gehäufter
Gewalt, sondern ihre ganz klare Strategie. Schon im Jahr
1991 hatte der Nationaldemokratische Hochschulbund,
die Studentenorganisation der NPD, ein Strategiepapier
mit dem Titel „Schafft befreite Zonen“ veröffentlicht, in
dem die Nazis dem Gewaltmonopol des Staates offen den
Kampf ansagten: „Wir müssen Freiräume schaffen, in denen wir faktisch die Macht ausüben“.
ALLTAGSRASSISMUS IN DEUTSCHLAND
Holger Apfel, der heute für die NPD im sächsischen Landtag sitzt, sagte 1998: „Jawohl, wir sind verfassungsfeindlich, wenn es darum geht, dieses System zu bekämpfen.“
Es ist die demokratische Ordnung mit einem ans Recht
gebundenen Staat und es sind die Freiheiten für alle Bürger_innen und die Grundprinzipien Toleranz und Menschenwürde, die die Nazis zerstören wollen. Manchen
Anhänger_innen der Szene ist diese Richtung vielleicht
gar nicht bewusst. Sie werden durch eingängige Kritik am
System, einfache Sprüche gegen den Kapitalismus und
das Versprechen von Treue, Freundschaft und Kameradschaft angelockt. „Trotz vieler Feinde und viel Ärger bin
ich niemals alleine“, so ist beispielsweise in einem Lied
der Naziband Oidoxie zu hören. „Denn Kameradschaft ist
nicht nur ein Wort.“ Diese so genannte „Kameradschaft,
die mehr als Freundschaft ist“, beruht auf der Grundidee,
die eigene Gemeinschaft sei höherwertiger als andere Gemeinschaften und müsse vor Anderen geschützt werden.
Vor allem die Freien Kameradschaften und die Nationaldemokratische Partei Deutschlands beschwören in ihren
Fanzines und Internetforen den „festen Zusammenhalt“,
der nur in ihren „Reihen“ erlebt werden könne. Doch die
Realität sieht oft anders aus. Im Januar 2001 lockten in Bernau fünf Nazis einen ihrer Kameraden in eine Falle, traten
und prügelten vier Stunden lang auf ihn ein, übergossen
ihn mit Benzin und zündeten ihn an. „Er sollte ganz komplett weg, damit es keine Beweise gibt“, so einer der Täter.
Das Opfer überlebte mit schwersten Verbrennungen. Motiv der Tat war die Vermutung der Nazis, sie seien bei der
Polizei verraten worden.
Gewalt auch in den eigenen Reihen ist unter den Nazis,
welche Gewalt gegen Feinde und vermeintlich Minderwertige für gerechtfertigt halten, häufig normal. Schon
kleinste private Querelen können zu Brutalität in der
Gruppe führen, berichten Aussteiger_innen. Sexuelle
Übergriffe und Vergewaltigungen sind an der Tagesordnung, so die Sozialwissenschaftlerinnen Kerstin Döhring
und Renate Feldmann. Dies sind unliebsame Informationen für diejenigen, die mit dem Mythos der Gemeinschaft
politischen Nachwuchs für die Naziszene ködern wollen.
Wird Kritik an den Positionen der NPD geäußert, rechtfertigen sich Anhänger_innen oft damit, dass die Partei doch
demokratisch und nicht verboten sei. Tatsächlich scheiterte Anfang des Jahrtausends ein Versuch der damaligen
Bundesregierung, die NPD als verfassungswidrige Partei
zu verbieten. Allerdings ging das Verfahren nicht etwa
dadurch schief, dass der NPD nicht nachgewiesen werden
konnte, verfassungsfeindlich zu sein. Zu dieser Prüfung
kam es gar nicht erst. Das Verbotsverfahren wurde zum
Skandal, als der Verdacht aufkam, dass der nordrheinwestfälische Landesverband der NPD durch Mitarbeiter
(V-Leute) des Verfassungsschutzes gesteuert wurde. Die
Richter des Bundesverfassungsgerichtes weigerten sich,
unter diesen Bedingungen das Verfahren weiterzuführen,
da ihrer Meinung nach ein rechtsstaatliches Verbotsverfahren so nicht möglich ist. Die Möglichkeit, die NPD über
ein Verbotsverfahren bei ihren verfassungsfeindlichen
Bestrebungen zu stoppen, ist verbaut, solange die Verfassungsschutzleute weiter in der Partei aktiv sind und so
eine innere Lebensversicherung der Partei darstellen.
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Nazi (Abkürzung für Nationalsozialisten) ist eine sehr verbreitete und griffige Bezeichnung
für rechtsextrem denkende und
handelnde Personen, Initiativen
und politische Parteien.
Antisemitismus ist die pauschale Ablehnung von Juden
und des Judentums aus verschiedenen Motiven und in
verschiedenen Ausprägungen.
Der Antisemitismus gipfelte im
20. Jh. in der Ermordung von
sechs Millionen Menschen im
deutschen Nationalsozialismus.
Rechtsextremismus ist die
auf rassistischer Grundlage basierende Vorstellung von einer
sich abgrenzenden völkischen
Gemeinschaft, die mit aggressiver
Fremdenfeindlichkeit,
Verharmlosung und Verherrlichung des Nationalsozialismus
und Herabwürdigung demokratischer Einrichtungen einhergeht.
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ALLTAGSRASSISMUS IN DEUTSCHLAND
Neben dieser Pleite für die Behörden muss die starke
Einschränkung des Asylrechts im Jahr 1993 als einer der
größten Erfolge der Nazis in der jüngsten Geschichte
der Bundesrepublik gesehen werden. Nach rassistischen
Überfällen, Brandanschlägen auf Flüchtlingsheime und einer sich immer mehr fremdenfeindlich aufladenden Stimmung in der Bevölkerung erfolgte mit einer Zweidrittelmehrheit des Bundestages der bis dahin tiefste Einschnitt
in den Grundrechtskatalog des Grundgesetzes.
Seitdem hat sich die Ausgrenzung von Flüchtlingen bis an
die Außengrenzen der Europäischen Union verlagert. Jedes Jahr verunglücken hunderte Flüchtlinge an den immer
dichter werdenden Außengrenzen Europas. So schätzte
die Flüchtlingsorganisation Pro-Asyl im Jahre 2005 die
Zahl der tödlich verunglückten Flüchtlinge in den Jahren
1995 bis 2005 auf 5000 Menschen. Doch auch innerhalb
der europäischen Länder existieren für Menschen mit
Flucht- und Migrationshintergrund Grenzen, die sie ihrer
Freiheit berauben. Für Asylsuchende gilt die so genannte
Residenzpflicht. Das bedeutet, dass diese Menschen sich
nur in der Umgebung aufhalten dürfen, die ihnen per Gesetz vorgeschrieben ist. Bei Asylsuchenden wird schon die
Fahrt in eine andere Stadt als Straftat registriert. Verstöße
gegen dieses Gesetz werden in den Kriminalstatistiken
aufgeführt und treiben so die Zahl der so genannten „kriminellen Ausländer“ in die Höhe.
Auf der rechtlichen Ebene werden Asylsuchende zum Beispiel beim Wahlrecht oder dem Recht, einer geregelten
Arbeit nachzugehen, benachteiligt. In vielen Regionen
Deutschlands erhalten Asylsuchende kein Bargeld, sondern Lebensmittelgutscheine, durch die sie gezwungen
Stell dir vor, du würdest kein Wechselgeld bekommen, weil du
nach einem Gesetz kein Recht darauf hast!
werden, nur in bestimmten Supermärkten einkaufen zu
gehen. Da die Lebensmittelgutscheine bis zu einem bestimmten Stichtag eines Monats eingelöst werden müssen
und danach verfallen, werden die Asylbewerber am Sparen gehindert. Die Ursachen von Armut und Flucht und
die Probleme im sozialen Alltag ausgegrenzter Menschen
werden in der Öffentlichkeit, in den Medien und auch in
der Bildung weitgehend ausgeblendet. Rechte Publikationen tun dies in ihrem politischen Sinne, doch selbst Medien, die sich selbst nicht als rassistisch bezeichnen würden,
tragen mit ihren sensationsorientierten, diskriminierenden und oft sehr einseitigen Artikeln und deren Überschriften dazu bei, Ängste, Ablehnung und Rassismus zu
schüren. Statt über Sachverhalte als Problem zu sprechen,
werden die Menschen, hier die Flüchtlinge, zum Problem
erklärt. Die Ursachen für Flucht, die Entwicklungen des
kapitalistischen Wirtschaftssystems, das Aufkommen von
Diktaturen und religiösem Fundamentalismus oder die
Verschärfung der Gegensätze zwischen arm und reich auf
der Welt bleiben dabei außerhalb des Blickfelds.
MOTIVE VON AUSGRENZUNG
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robinson der radfahrer
Motive von Ausgrenzung
„Es ist leichter, einen Atomkern zu spalten als ein Vorurteil.“ Albert Einstein
Die meisten Menschen würden von sich behaupten, dass sie „nichts gegen Ausländer“ haben. Und doch verstecken sich
hinter vielen Ausdrücken oder Meinungen diskriminierende Vorurteile. Diskriminierung heißt, Menschen auf Grundlage von Vor- und Fehlurteilen zu benachteiligen. Diese Vor- und Fehlurteile können das Aussehen eines Menschen
betreffen, sein Geschlecht, sein Liebesleben, seinen Glauben, seine Weltanschauung, seine gesellschaftliche und wirtschaftliche Stellung, sein Alter oder seine Behinderungen und Krankheiten. Kein Mensch ist völlig frei von diskriminierenden Verhaltensweisen. Jeder verletzt manchmal ungewollt andere. Ohne sich darüber klar zu werden, kann man
dieses Verhalten nicht überwinden.
Im Alltag stoßen wir immer wieder auf verschiedene typische Einstellungen und Redensarten über andere, die auf unterschiedliche Gründe für Diskriminierung hindeuten.
Diskriminierung (von lat.:
discriminare = trennen, unterscheiden) bedeutet eine Ungleichbehandlung von Individuen oder Gruppen .
„Die da unten!“ - Radfahrersyndrom
Menschen erfahren ihren Alltag in unserer Gesellschaft als einen permanenten Wettbewerb, wie ein Radrennen, in dem
nur nach vorn kommt, wer sich stromlinienförmig anpasst, indem er nach oben buckelt und nach unten in die Pedale
tritt. Niemand will gerne die oder der Letzte sein, also eine Person, die weniger stark integriert ist und nur wenig Beachtung oder Anerkennung bekommt. Um sich abzusichern, nicht in diese Rolle zurückzutreiben, sorgt man also dafür, dass
es immer jemanden gibt, der noch hinter einem steht.
„Warum gibst Du Dich mit diesen Leuten ab?“ - Die Angst, selbst anders zu sein
Ist eine Person oder Gruppe mit dem Außenseiterstempel versehen, ist es für Einzelne scheinbar gefährlich und unangenehm, sich mit dieser Person oder Gruppe abzugeben und einzulassen. Einerseits erzeugen Vorurteile oft ungerechtfertigte Bedrohungsgefühle und andererseits Angst vor Verlust von Anerkennung im eigenen Umfeld. Für die davon
Betroffenen ist es sehr verletzend, wenn sie spüren, dass die anderen ihre Nähe meiden.
Faschismus bezeichnete ursprünglich, die von Benito
Mussolini in Italien 1922 zur
Macht geführte politische Bewegung der Schwarzhemden.
Zentrale Elemente der faschistischen Ideologie sind ein diktatorisches politisches System,
das massenwirksam agiert
sowie das Unterdrücken oder
Ausschalten aller Andersdenkenden.
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MOTIVE VON AUSGRENZUNG
„Die haben’s nicht besser verdient!“ - Rechtfertigung von Unrecht
Bestimmten Gruppen werden per Vorurteil bestimmte negative Merkmale zugeordnet und diese als weitere Rechtfertigung für gesellschaftliche Diskriminierung benutzt. Rassismus stellt Menschen anderer Hautfarbe z. B. als angeblich
dümmer und fauler hin. Wenn solche Menschen dann tatsächlich keinen guten Schulabschluss schaffen und bei der
Arbeitssuche benachteiligt sind, wird das nicht mit sozialer Chancenungleichheit in Verbindung gebracht, sondern mit
eben diesem Vorurteil begründet.
„Dahinter stecken doch die ... !“ - Schuldzuweisungen
In der Menschheitsgeschichte wurden oft bestimmte vermeintliche Fremdgruppen für Missstände und Probleme verantwortlich gemacht. Kleinere, wenig wehrhafte Gruppen zu beschuldigen ist wesentlich einfacher, als die Verantwortung selbst zu übernehmen. So kann man sich selbst entlasten, auf Kosten der Anderen. Als Nebeneffekt fügt es die
Mitglieder der Gruppe enger zusammen, wenn sie ein gemeinsames Feindbild teilen. Je komplizierter die Probleme
sind, desto ausgeklügelter werden auch die Schuldzuweisungen an andere. Das sind dann nicht nur plumpe und simple
beleidigende Sätze über andere Menschen, sondern absurde Verschwörungstheorien.
„Was geht mich fremdes Elend an?“ - Robinsonmentalität
Ganz auf ihr eigenes Leben aus Arbeitssorgen und Freizeitvergnügen ausgerichtet, pflegen viele Menschen ein Inseldenken und konzentrieren sich völlig auf ihre eigenen Angelegenheiten. So besteht bei vielen einfach keine Sorge um
die Nöte anderer Menschen. Sie kümmern sich zuerst und ausschließlich um sich selbst. So diskriminieren viele mit
Gleichgültigkeit und daraus resultierender Gefühlskälte z. B. kranke und alte Menschen, weil sie keinen Grund sehen,
sich mit ihnen zu beschäftigen.
„Damit will ich lieber nichts zu tun haben.“ - Verdrängung gesellschaftlicher Probleme
Einige Menschen wollen Missstände nicht sehen und sich nicht damit befassen, da diese ihr heiles Weltbild zerstören.
Aus diesem Grund schauen viele Leute weg, wenn sie Bettlern oder Alkoholsüchtigen auf der Straße begegnen: Sie
wollen nichts von den gesellschaftlichen Problemen wissen. Hinter solchen Verhaltensweisen kann ein mangelndes Verantwortungsbewusstsein stecken, das aus Unwissenheit über die Gesellschaft und teils mangelnder Identifikation mit
ihren Mitgliedern resultieren kann. Der Grund kann aber auch das Gefühl der eigenen Hilflosigkeit sein, da man spürt,
allein und spontan nichts gegen die Missstände unternehmen zu können. Eine Standardforderung besteht dann darin,
dass der Staat eingreifen und das Problem lösen müsse.
MOTIVE VON AUSGRENZUNG
„Die sollen sich benehmen wie unsereins.“ - Gleichmacherei
Ein etwas schwieriger nachzuvollziehendes Bestreben des Menschen ist die Vereinheitlichung. Es besteht bei vielen
Menschen der Wunsch nach einer gewissen Gleichheit untereinander. Diese Gemeinsamkeit stärkt das Gruppengefühl
und vereinfacht das Leben, da es berechenbarer wird. Das Problem dabei ist, dass menschliche Individualität und auch
neue, vielleicht bessere, Ideen von dieser Bequemlichkeit unterdrückt werden. Wenn Menschen allein durch ihr irgendwie vorhandenes Anderssein mit Abstand behandelt werden, ist das der Anfang von Ausgrenzung. Diskriminierung wie
z. B. Rassismus findet erstens dort statt, wo Ausgrenzung auf Merkmale gründet, die eine Person nicht beeinflussen kann
und zweitens dort, wo von Menschen verlangt wird, ihren persönlichen Lebensstil zu ändern, nur weil dieser Lebensstil
anders ist.
„Die sollen dahin zurück, wo sie herkommen.“ - Ausgrenzung
Die Forderung, Menschen sollten am Ort ihrer Herkunft
bleiben oder dorthin zurück gehen, beruht auf der falschen Vorstellung, dass Menschen einen natürlichen, nach
Herkunft und Hautfarben geordneten Lebensort haben.
Das verdrängt völlig die gesellschaftlichen Bedingungen.
Menschen verlassen ihren Geburtsort, weil sie nach einem
besseren Leben suchen. Oft flüchten sie vor Verfolgung
und Unterdrückung, vor Gefahr und Not. Für sie gibt es
häufig kein Zurück mehr an den Ort, von dem aus sie aufgebrochen sind. Dies zu fordern, bedeutet, sie an einen Ort
zu schicken, wo sie in größter Armut leben und unter Umständen sogar unter Lebensgefahr stehen. Viele Menschen
anderer Hautfarbe sind in Deutschland geboren. Die Forderung, sie „zurückzuschicken“, ist nur schwach verhüllter
Rassismus.
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GRUNDLAGEN UNSERER GESELLSCHAFT
volksgemeinschaft macht einsam
Grundlagen unserer Gesellschaft
„Die Welt ist ein Dorf.“
Nationalsozialismus (NS)
bezeichnet die Ideologie und
das Herrschaftssystem der Hitlerbewegung.
Kennzeichen
waren das Führerprinzip, die
Idee der Volksgemeinschaft,
ein aggresiver Griff nach der
Weltmacht und mörderisches
Vernichtungsstreben im Namen des deutschen Volkes.
Unter der von 1933 bis 1945
dauernden Herrschaft des NS
stürzte Deutschland die Welt
in die Barbarei des Zweiten
Weltkrieges, wurden sechs Millionen europäischer Jüdinnen
und Juden industriell ermordet, Behinderte, Homosexuelle,
Sinti und Roma und politische
Gegner_innen aller Spektren
in den Konzentrationslagern
verschleppt und ums Leben
gebracht. Zeitzeugen beschrieben den NS als »Kriminalität an
der Macht«.
Verhaltensmuster und Sichtweisen, wie die eben beschriebenen, hindern uns daran gerecht miteinander umzugehen. Die universellen Menschenrechte sind der Gegenpol
zu diesen Diskriminierungen. Der Ort der Geburt, das Aussehen, persönliche Besonderheiten – all dies spielt für die
Wahrnehmung von menschlichen Grundrechten keine
Rolle. Die Welt rückt durch moderne Kommunikationsformen und durch internationale Wirtschaftsbeziehungen immer enger zusammen. Wir machen die zwingende
Erfahrung, gemeinsam auf einem Planeten zu leben und
uns nicht von anderen Menschen in anderen Gegenden
der Welt abheben zu können, ohne Ungleichheiten und
Konflikte zu verursachen. Seitdem z. B. weltweite ökologische Probleme wie die Klimaerwärmung erkannt wurden, wird das immer deutlicher. Ein Blick ins Internet oder
in die Fernsehnachrichten zeigt allerdings, dass dies sehr
kompliziert ist. Staaten bekriegen sich. Menschen kommen ums Leben, wenn sie heimlich die Grenze zu Europa
überqueren wollen, da sie offiziell nicht einreisen und hier
leben dürfen.
Gemeinschaft und Gesellschaft
Eine der grundlegenden Ideen des Nationalsozialismus
war und ist die der Volksgemeinschaft. Diese Idee soll
zum Ausdruck bringen, dass Menschen eines Volkes eine
Einheit bilden sollen und sich näher stehen als dem ausgeschlossenen Rest der Welt. Das hängt sehr eng mit rassistischen und antisemitischen Gedanken zusammen und
verschleiert völlig die wirklichen Grundlagen, auf denen
gesellschaftliches Miteinander beruht.
Im Nahbereich, wie in Familie und Freundeskreis, ist es
einfach und alltäglich, sich gemeinschaftlich zu verständigen und Dinge direkt abzumachen.
Bei größeren Menschengruppen ist das anders. Wenn du
an deine Schule als Ganzes denkst, dann wirst Du merken,
dass du von vielen Leuten, die du da triffst, eigentlich nur
weißt, dass sie wie du in diese Schule gehen. Du kannst davon ausgehen, dass alle sich mit ähnlichen Problemen beschäftigen und vielleicht dieselben Lehrerinnen und Lehrer haben wie du. Es bestehen also neben persönlichen
Beziehungen, viele unpersönliche Beziehungen, die weniger eng sind. Allgemeine gesellschaftliche Regeln, wie die
Schulordnung, gibt es, damit auch zwischen Menschen,
die sich relativ fremd sind, keine Konflikte auftreten.
„Vorsicht und gegenseitige Rücksichtnahme“
Die Allgemeingültigkeit gesellschaftlicher Regeln wird
da besonders gut sichtbar, wo auch die Menschen, die
du nicht kennst, nach Regeln handeln, die du kennst. Du
und die anderen halten sich z. B. an die Straßenverkehrsordnung, ohne dass jedes Mal wieder neu abgesprochen
GRUNDLAGEN UNSERER GESELLSCHAFT
wird, was grünes und rotes Ampellicht bedeutet. Das
wäre viel zu umständlich und auch etwas gefährlich für
die Verkehrsteilnehmer_innen. Allgemeine Regeln und
Bestimmungen werden geschaffen, um das Zusammenleben von Menschen zu organisieren, die sich nicht kennen
müssen. Generell ist zu Gesellschaft und ihren Regeln zu
sagen, dass sie dann funktionieren, wenn sie gerecht und
allgemein sind. Dies macht den großen Unterschied zu
Gemeinschaften aus, die sich meist keine allgemeinen Regeln geben können und müssen, weil die gemeinsamen
Angelegenheiten direkt und persönlich geklärt werden.
Die Idee der Volksgemeinschaft wendet sich gegen den
Unterschied zwischen Gesellschaft und Gemeinschaft.
Statt der Aushandlung von Interessen und Regeln zwischen geteilten Gewalten soll eine starke Autorität die Gesellschaft unmittelbar regieren und steuern.
In guter Gesellschaft
Ein treffender Begriff, der die Diskriminierung von Menschen kritisiert, ist der des Schubladendenkens. Ein Mensch
oder eine Gruppe haben irgendwelche Merkmale und werden gedanklich in eine Kiste gepackt. Was das besondere
an ihnen und dem, was sie machen ist, geht dabei unter
und häufig werden sie deshalb auch völlig falsch einsortiert. Eine wirklich interessante und besondere Beziehung
wird zu diesen Menschen solange nicht zustande kommen,
wie sie in Gedanken in dieser Schublade bleiben. Das Problem jedes einzelnen Menschen ist aber, dass er zu wenig
Zeit hat, um wirklich viele andere Menschen so kennen zu
lernen, dass sie nicht mehr in gedankliche Schubladen passen. Das heißt, nicht mit allen Menschen ist Gemeinschaft
möglich, aber gute Gesellschaft. Gute Gesellschaft bedeutet, dass es keine ungerechten Schubladen mehr gibt.
Schubladendenken in eigener Sache
Vor allem die große Schublade „Volksgemeinschaft“ ist
heute völlig ungeeignet, verantwortlich mit unseren globalen Problemen umzugehen. Solche Unterscheidungen
sind vielmehr eine Ursache für viele unserer Schwierigkeiten. Die Idee einer einheitlichen eigenen Gruppe unterdrückt die Individualität der Einzelnen und ist sehr oft mit
Vorurteilen gegenüber den Anderen verbunden.
Für die Freiheit, für das Leben - Gleichberechtigung und Demokratie
Das Grundgesetz und die EU-Menschenrechtscharta
verankern den Gedanken der Gleichberechtigung, der
Menschenwürde und der Nichtdiskriminierung in Gesetzestexten. Dies ist nicht zufällig so, sondern das Ergebnis
langer Auseinandersetzungen. Ein Beispiel ist die Gleichberechtigung von Mann und Frau, die im Artikel 3 des
Grundgesetzes verankert ist. Sie wurde durch die weibliche Emanzipationsbewegung erreicht.
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Charta der Grundrechte der
Europäischen Union
Artikel 21
Nichtdiskriminierung
(1) Diskriminierungen, insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder
sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache,
der Religion oder der Weltanschauung, der politischen oder
sonstigen Anschauung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen
Minderheit, des Vermögens,
der Geburt, einer Behinderung,
des Alters oder der sexuellen
Ausrichtung, sind verboten.
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WICHTIGE KENNZEICHEN DER NAZIIDEOLOGIE
Die Freunde der geschlossenen Gesellschaft
Wichtige Kennzeichen der Naziideologie
Gesellschaftliche Probleme wie Armut, Arbeitslosigkeit,
Bildungsmangel, die selbst schon Form und Ausdruck von
Diskriminierungen sind, sollen nach dem Willen nationalistischer und rechter Politiker_innen mit anderen Formen
der Diskriminierung bewältigt werden. Statt auf Gleichberechtigung in einer demokratischen Gesellschaft, setzen
sie auf Autorität und Abgrenzung.
Rechte Ideen sind durch Fremdenfeindlichkeit und Rassismus gekennzeichnet. Die Gesellschaft wird als Volkskörper betrachtet, aus dem das Fremde auszumerzen ist.
Die NPD verbreitet beispielsweise Aufkleber mit dem Bild
Kopftuch tragender Frauen und dem Spruch „Gute Heimreise!“. Das religiöse Symbol des Kopftuchs wird als fremdes Symbol gedeutet, das zum Ausschluss führen solle.
Die Idee dahinter ist, dass Integration unmöglich sei und
bestimmte Menschen, obwohl sie in Deutschland geboren
wurden und hier zuhause sind, nicht hier leben dürften.
Ein weiteres Hauptkennzeichen des deutschen Rechtsextremismus ist der Antisemitismus. Er tritt unter anderem
als Leugnung, Billigung oder sogar Verherrlichung der
Massenmorde an Jüdinnen und Juden während des Nationalsozialismus auf. Der Zentralrat der Juden wird für seine
Forderungen nach Gedenken und Demokratie beschimpft.
Antisemitismus tritt auch als Antizionismus, das heißt Ablehnung des Staates Israel, auf. Kritik an Israel dient Antizionisten dazu, dem jüdischen Staat sein Existenzrecht
abzusprechen und ihn, wie die Jüdinnen und Juden generell, als universelles Feindbild zu betrachten. Dies ist zum
Beispiel der Fall, wenn wirtschaftliche Globalisierung nicht
als etwas von Menschen Gemachtes begriffen wird, sondern als Angriff von Heuschrecken, die stellvertretend für
die Juden stehen, dargestellt wird.
Ein anderes hiermit zusammenhängendes Element des
deutschen Rechtsextremismus ist der Geschichtsrevisionismus. „Opa war in Ordnung“ ist ein beliebter Slogan,
mit dem deutsche Verbrechen und die Verantwortung für
den Zweiten Weltkrieg abgewehrt werden sollen. Die angeblich guten Seiten des nationalsozialistischen Staates
werden betont. Autoren wie der wegen Holocaustleugnung im Gefängnis sitzende David Irving und Zeitungen
wie die „National-Zeitung“ betrieben und betreiben das
Geschäft der Umschreibung deutscher Geschichte.
Für deutsche Rechtsextremisten spielt der Reichs-Mythos
eine zentrale Rolle. Sie nehmen an, es gebe ein Deutsches
Reich, das durch die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges „verstümmelt“ worden sei und das in seinen Grenzen
von 1937 wiederhergestellt werden müsse.
WICHTIGE KENNZEICHEN DER NAZIIDEOLOGIE
Rechte agieren antidemokratisch, kritisieren Parlamentarismus und Rechtsstaatlichkeit. Statt demokratischer
Debatten zur Lösung gesellschaftlicher Probleme hoffen sie häufig auf einen „starken Mann“ oder eine starke
Gruppe. Ihr Denken geht davon aus, dass der Stärkere sich
durchsetzt und diese Autorität so mit dem Volk eins ist.
Es ist das nationalsozialistische Führerprinzip, das in dieser
Ablehnung von Demokratie und Parlamentarismus immer
wieder deutlich wird.
In Diskussionen um Justiz und Strafrecht werden häufig
Positionen vertreten, die mit den Menschenrechten nicht
vereinbar sind. Beispielsweise wird die Wiedereinführung
der Todesstrafe gefordert.
Rechte vertreten eine Dekadenz-Theorie, die vom sittlichen Verfall von Kultur und Gesellschaft nach 1945, besonders aber nach 1968, ausgeht. Familie, Kultur, Moral und
bürgerliche Tugenden sind demnach überfremdet durch
amerikanischen Kulturimperialismus und südeuropäischafrikanisch-asiatische Zuwanderer. Daraus lassen sich vielfältige Verschwörungstheorien konstruieren, denen zufolge angeblich amerikanische oder israelische oder sonstige
Mächte das Geschehen in Deutschland bestimmen.
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ORGANISTATIONSFORMEN VON RECHTSEXTREMEN
Parteien, Denkzirkel, Kameradschaften
Organisationsformen von Rechtsextremen
Rechtsextremismus erscheint in unterschiedlichen Formen.
Eine Demonstration von so genannten freien Kameradschaften, das Auftauchen von Nazi-CDs im Freundeskreis, Hakenkreuzbilder fürs Handy, Aufkleber der NPD mit rassistischen
Sprüchen oder Werbung für Vorträge, die die deutsche
Verantwortung für den Zweiten Weltkrieg leugnen: All dies
sind Ereignisse, in denen Rechtsextremismus zum Ausdruck
kommt.
Mit ihrem Einzug in den sächsischen Landtag 2004 und in
den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern 2006 hat sich
die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) zur
bedeutendsten Organisation des parteiförmigen Rechtsextremismus entwickelt. Das Parteiprogramm basiert auf
Rassismus, Nationalismus und der Verherrlichung des nationalsozialistischen Regimes. In Zusammenarbeit mit Kameradschaften bietet die NPD eine Erlebniswelt, die für manche
junge Menschen attraktiv erscheint. Sie organisiert Großdemonstrationen, „Familienfeste“, Konzerte und Ferienlager.
In der Öffentlichkeit, etwa bei Demonstrationen, tritt sie
aggressiv auf. Im Alltag orientiert sie sich eng an den praktischen Bedürfnissen der örtlichen Bevölkerung.
Die intellektuelle Neue Rechte greift Ideen der Konservativen Revolution aus der Zeit der Weimarer Republik auf. Im
Zentrum steht die Kritik am vermeintlich liberalen Zeitgeist
und an sozialistischen Ideen. Sie agiert in Form von Tagungen, kleinen Zirkeln und Zeitschriftenprojekten. Ihre Basis
hat sie in Burschenschaften an Hochschulen und in Zeitungen wie der „Jungen Freiheit“.
Etwas abseits von Parteistrukturen und intellektuellen Zirkeln bewegt sich das, was sich als rechte Jugendcliquen
bezeichnen lässt. Öffentlich auffällig werden diese Gruppen
meist dann, wenn sie gewalttätig auftreten.
Beobachter gingen lange davon aus, dass gewaltbereiter
Rechtsextremismus im Umkreis der rechten Skinheads wurzelt. Doch die rechte Szene hat sich in den letzten Jahren verändert. Freie Kameradschaften und Gruppen „Autonomer
Nationalisten“ wurden gegründet.
Als freie Kameradschaften bezeichnen sich rechtsextreme
Gruppen, die im Unterschied zu Vereinen und Parteien keine
gesetzlich definierte Organisationsform haben. Die einzelnen
Kameradschaften agieren für sich, sind aber mit anderen Kameradschaften und zum Teil mit der NPD vernetzt. Sie sehen
sich als Teil des „Nationalen Widerstandes“ an. Aktionsfelder
sind unter anderem der „Kampf um die Straße“, Anti-AntifaArbeit, das heißt die Zusammenstellung von Informationen
über politische Gegner_innen, und die Festigung der Ideologie durch Veranstaltungen.
Als Autonome Nationalisten bezeichnen sich Nazis, die in
ORGANISTATIONSFORMEN VON RECHTSEXTREMEN
den traditionellen Inhalten und dem Auftreten der Rechten
ihre Bedürfnisse nicht erfüllt sehen. Sie grenzen sich teilweise
von der NPD ab und orientieren sich an den Aktionsformen
und dem Erscheinungsbild der radikalen linken Szene. Symbole wie das der „Antifaschistischen Aktion“ werden dabei
oft nur leicht umgewandelt.
Nazis versuchen, auf allen Ebenen offensiv zu wirken und
Anschluss an den Mainstream der Gesellschaft zu finden. YouTube- und Handyvideos, Kampagnenwebseiten und die Kommunikation über Internetforen spielen
eine herausragende Rolle. Das sich immer weiter etablierende subkulturelle Geschäft mit Musik und Mode
hält Kontakt zur politischen Szene und sponsert diese.
Auf drei bis vier Säulen
Der NPD-Bundesvorsitzende Udo Voigt entwickelte nach
seiner Wahl 1996 eine Drei-Säulen-Strategie. „Der Kampf um
die Straße, die Köpfe und die Parlamente“ kann als Versuch
gesehen werden die Vormachtstellung der NPD unter den
rechten Parteien zu erringen und die anderen genannten
Strömungen in die Strategie der Partei zu integrieren.
Latschdemo und Fackelzug
Der so genannte „Kampf um die Straße“ zielt auf Massenmobilisierung ab. Damit sind zum Beispiel Demonstrationen und
Aufmärsche gemeint. Hier arbeitet die NPD immer wieder mit
radikalen Kräften aus dem parteiungebundenen Spektrum
zusammen. Zum „Kampf um die Straße“ im krassesten Sinne
gehört auch die Errichtung sogenannter „national befreiter
Zonen“, also die Schaffung von Gebieten und Gegenden, in
denen Nazis durch gewalttätigen Alltagsrassismus und das
Verfolgen politischer Gegner_innen die Vormacht auf den
Straßen ausüben. Der Aufbau von Netzwerken aus Läden,
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Jugendtreffs und Konzertlocations gehört ebenfalls hierzu.
Wurfzettel und Schulhof-CDs
Der „Kampf um die Köpfe“ zielt auf eine offensive Verbreitung rechter Ideologie ab. Besonders auffällig ist die so genannte „Wortergreifungsstrategie“. Veranstaltungen anderer
Parteien oder Organisationen werden bewusst gestört. Die
Schulung von Mitgliedern und Kadern ist ebenso Teil des
„Kampfes um die Köpfe“ wie die Publikation von Musik-CDs
mit rechtsextremen Inhalten. Als Berater der sächsischen
NPD-Landtagsfraktion wurden Vertreter rechtsintellektueller Kreise engagiert.
Anfragen und Anträge
Der „Kampf um die Parlamente“ zielte zuerst auf Wahlerfolge ab. Nach dem Einzug in die Parlamente versucht die NPD
dort die Worthoheit zu erlangen. Die Strategie setzt nicht
nur auf die Landtage der Bundesländer, sondern die Partei
versucht über die Teilnahme an Kommunalwahlen einen
Vertrauensvorschuss bei der Bevölkerung zu erreichen. NPDKommunalpolitiker werden sehr gut geschult. In einigen
Bundesländern werden kommunale Vorlagen zentral durch
NPD-Berater erarbeitet und dann durch die kommunalen
Vertreter eingebracht.
Ein Kommunalpolitiker aus Plauen äußerte über den Umgang mit Rechtsextremen im Stadtparlament: „Wir müssen
in der etablierten Politik einfach ehrlicher und klarer werden,
da wir nur so den Leuten den Boden entziehen können. (...)
Wir haben das Problem, unsere eigene Politik besser zu machen und für den Bürger nachvollziehbar zu machen und
diese Geschichten ganz klar zu entlarven.“
Die vierte Säule
2004 ergänzte die Partei auf einem Bundesparteitag das Konzept um eine vierte Säule: den
»Kampf um den organisierten
Willen«. Dies ist Ausdruck ihres
Führungsanspruchs im rechtsextremen Spektrum. Anspruch der
NPD ist es, sämtliche parteigebundenen und –ungebundenen
Kräfte aus dem rechtsextremistischen Spektrum zu bündeln.
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DRESSCODES, SUBKULTUR, LIFESTYLE, SYMBOLE
versteckspiel
Dresscodes, Subkultur, Lifestyle, Symbole
„Ein Nazi hat kurze Haare, trägt meistens eine Bomberjacke und Kleidung von Lonsdale,
Schuhe von New Balance oder Springerstiefel.“ (Gymnasiastin, 18 Jahre, Reichenbach)
Diese und ähnliche Antworten werden heute immer noch häufig gegeben, wenn nach dem Bild eines „typischen Rechten“ gefragt wird. Doch gab/gibt es überhaupt äußere Merkmale, die eine eindeutige Zuordnung zu einer politischen
Einstellung möglich machen? Das klassische Klischee eines „Nazis“ ist längst überholt. Der Glatzkopf mit Springerstiefeln, weißen Schnürsenkeln und Alpha-Bomberjacke existiert nur noch als Randerscheinung. In der rechten Szene gab
es in den letzten Jahren starke Veränderungen in Sachen Trends und Dresscodes. Nazis verzichten immer häufiger auf
eindeutige stilistische Abgrenzung zur restlichen Gesellschaft. Zur gegenseitigen Identifizierung nutzen sie oft spezielle
Symbole oder andere Zeichen, wie z. B. bestimmte Zahlencodes. Diese machen sie für ihresgleichen erkennbar, transportieren eine eindeutige politische Botschaft und vermitteln ein Zusammengehörigkeitsgefühl.
Wirft man heute einen Blick auf einen Naziaufmarsch, wird deutlich, dass Nazis heute nicht mehr im Einheitslook auftreten. Man sieht Hip-Hopper, Hardcorer und Normalos neben „Autonomen Nationalisten“, die oft schwarze Kapuzenpullover oder auch Che-Guevara-Shirts mit Pali-Tuch tragen. Manchmal läuft sogar Musik von den Ärzten oder Rio Reiser auf
ihren Demos. Würde man diesen Menschen im Alltag begegnen, in der Schule oder im Jugendclub, wer würde sie schon
sofort als Nazi erkennen? Nazis haben sich also in vielen Jugendkulturen breitgemacht. Die Naziläden und -versände im
Internet bieten deshalb nicht nur Springerstiefel und Bomberjacken an, sondern unterschiedlichste Klamottenmarken
und -stile. Auch modische Kleidung und Accessoires extra für Mädchen werden immer häufiger. Das ist nicht nur unangenehm, sondern auch gefährlich. Denn die Ausbreitung in viele Jugendkulturen macht es der rechtsextremen Szene
viel einfacher, mit Jugendlichen in Kontakt zu kommen und ihr Gedankengut zu verbreiten. Ohne über Politik zu reden
können die Nazis so ihre rassistischen Ideen beispielsweise über Liedtexte transportieren.
Im Folgenden bekommt ihr eine Übersicht über Codes, Kleidung und Symbole. Diese Übersicht erhebt keinen Anspruch
auf Vollständigkeit. Ausführliche Informationen findet ihr unter der Website www.dasversteckspiel.de.
DRESSCODES, SUBKULTUR, LIFESTYLE, SYMBOLE
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Symbole mit nationalsozialistischem Bezug
Hakenkreuz
Das Hakenkreuz wird auch Swastika oder Sonnenrad genannt. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde es durch esoterische
Gruppen in den deutschen Sprachraum eingeführt und von antisemitischen und völkischen Kreisen, aber auch von der
Turnerbewegung aufgegriffen. 1920 ist es zum Symbol des Nationalsozialismus erklärt worden, später auch zum Staatssymbol. Die Fahne des NS-Regimes bestand aus dem schwarzen Hakenkreuz in weißem Kreis auf rotem Grund. Das Rot
der Hakenkreuzfahne stand für den vorgeblich „sozialen Gedanken der Bewegung“, während das Weiß den Nationalismus
symbolisieren sollte. Die Verwendung des Hakenkreuzes ist auch in abgewandelten Formen verboten.
Schwarze Sonne
Im Nationalsozialismus diente die Schwarze Sonne, die als ein zwölfarmiges Hakenkreuz oder ein Rad aus zwölf SigRunen gedeutet werden kann, der SS als Sinnbild einer nordisch-heidnischen Religion und eines uralten geheimen Wissens. Heute symbolisiert sie in extrem rechten Kreisen die „Verbundenheit mit der eigenen Art und mit den arteigenen
Wertvorstellungen“.
Rudolf Heß
Rudolf Heß ist eine der Kult- und Märtyrerfiguren der extremen Rechten. Heß war der Stellvertreter Adolf Hitlers in der
NSDAP. Er flog 1941 aus eigenem Antrieb nach Schottland, um mit England einen Separatfrieden auszuhandeln und damit
einen Zweifrontenkrieg zu verhindern. Dort wurde er inhaftiert und bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen 1946
zu lebenslanger Haft verurteilt. Am 17. August 1987 beging er im alliierten Gefängnis Berlin-Spandau Selbstmord. Dieser
wird von den Nazis als „Mord durch die Alliierten“ dargestellt und zur Etablierung eines Märtyrerkultes genutzt. Die alljährlichen Gedenkmärsche und Aktionen zum Todestag von Rudolf Heß sind wichtige Ereignisse der Neonaziszene.
Naziversände und Naziläden bieten Bekleidung und Accessoires mit seinem Portrait an. Sein Schlusswort im Nürnberger
Prozess „Ich bereue nichts“, mit dem er ein deutliches Bekenntnis zum Nationalsozialismus abgelegt hat, wird auf Postern oder in Fanzines gern zitiert.
STRAFBAR
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DRESSCODES, SUBKULTUR, LIFESTYLE, SYMBOLE
Schwarz-Weiß-Rot
Schwarz-Weiß-Rot waren bis zum Ende des Ersten Weltkrieges die offiziellen Farben des Deutschen Reiches. Mit der
Machtübertragung an die Nationalsozialisten 1933 wurde die Hakenkreuzfahne und die schwarz-weiß-rote Fahne gemeinsam zu Reichsfahnen erklärt. Wenn heute die Farbkombination schwarz-weiß-rot verwandt wird, symbolisiert dies
nicht nur die Ablehnung der parlamentarischen Demokratie. Vielmehr wird hier auch eine farbliche Annäherung an die
Symbolik des Nationalsozialismus vollzogen.
Triskele
Die Triskele war in ihrer gerundeten Darstellungsform im ehemals keltischen Siedlungsraum weit verbreitet. Die eckige
Darstellung ähnelt einem dreiarmigen Hakenkreuz und wird daher von neonazistischen Kreisen entsprechend interpretiert.
Die eckige Triskele dient als Organisationskennzeichen der rassistischen südafrikanischen Buren-Organisation Afrikaner
Weerstandsbeweging (AWB) und vom internationalen Neonazi-Skinhead-Netzwerk Blood & Honour. Die Darstellung der
Triskele im Zusammenhang mit B&H ist verboten.
Embleme und Logos extrem rechter Organisationen
Freie Kameradschaften
Die regional aktiven Kameradschaften verfügen über keine durchgehend verwendeten Symbole. Schriftzüge auf Kameradschafts-T-Shirts bestehen meist aus dem Wort Kameradschaft und dem Herkunftsort. Sie sind häufig in Frakturschrift
gehalten und werden manchmal ergänzt durch die Darstellung einer schwarzen Fahne. Oft werden in den Namenskürzeln deutliche Bezüge zum NS hergestellt, so z. B. beim Selbstschutz Sachsen-Anhalt (SS-SA), bei den verbotenen Skinheads Sächsische Schweiz (SSS) oder beim Nibelungensturm (NS) aus Südhessen. Der Schriftzug „Frei – Sozial – National“
ist eindeutig dem Kameradschaftsspektrum zuzuordnen.
Neuerdings werden massiv Stil und Symbolik von linken Gruppierungen übernommen und abgewandelt. „Autonome
Nationalisten“ treten beispielsweise mit dem verfälschten Symbol der Antifaschistischen Aktion auf.
DRESSCODES, SUBKULTUR, LIFESTYLE, SYMBOLE
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Blood & Honour - B&H
Blood & Honour ist ein internationales Netzwerk von Neonazi-Skinheads. Als Symbol dient unter anderem die Triskele.
Ins Deutsche übersetzt bedeutet es „Blut und Ehre“. Diese Worte greifen einerseits den auf den Fahrtenmessern der
Hitlerjugend eingravierten Sinnspruch auf. Andererseits stellen sie einen Bezug zu den antisemitischen Nürnberger Rassegesetzen her, die ausführlich „Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ hießen.
Die deutsche Division dieser Naziorganisation wurde im September 2000 verboten, besteht aber weiterhin. Schwerpunkt
der B&H-Aktivitäten in Deutschland waren und sind die Durchführung von Rechtsrock-Konzerten sowie die Produktion
und der Vertrieb illegaler Musik. Mit B&H eng verbunden sind zahlreiche Bands, Labels, Versände und Ladengeschäfte.
STRAFBAR
Combat 18 - C18
Combat 18, oder kurz C18, gilt als „bewaffneter Arm“ von Blood & Honour. C18 ist ein internationales Neonazi-Netzwerk
mit Schwerpunkten in England und Skandinavien, besitzt aber auch Anhänger in Deutschland. Als Symbol wird der
SS-Totenkopf verwendet. Bekleidungsstücke mit der Aufschrift C18 bzw. Combat 18 werden vor allem als T-Shirts von
extrem rechten Versänden vertrieben.
Jugendkulturelle Codes
88
Die 8 steht für den achten Buchstaben im Alphabet, das „H“. Somit steht 88 für „Heil Hitler!“. Der Zahlencode findet sich
unter anderem auf T-Shirts, Aufnähern, Fahnen oder Emblemen und ist häufig Bestandteil von Band- und Organisationsnamen, wie z. B. Chaos 88 oder Skinheads Chemnitz 88. Die Ziffer ist, oft zusätzlich eingerahmt von einem Lorbeerkranz,
auch als Brustemblem auf Polohemden zu finden und wird häufig als Grußformel in Briefen benutzt.
18
18 steht für den ersten und achten Buchstaben: AH, die Initialien von Adolf Hitler. Die Zahlenkombination findet man
beispielsweise in den Namen der Organisation Combat 18 und der Band Sturm 18.
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28
DRESSCODES, SUBKULTUR, LIFESTYLE, SYMBOLE
28
Seit dem Verbot der Organisation Blood & Honour (B&H) im September 2000 wird die 28 als Synonym für B&H verwendet. Anstelle des ursprünglichen und inzwischen verbotenen Schriftzuges wird nun der entsprechende Zahlencode benutzt. Beispiele: „28 - ihr könnt uns nicht verbieten“, „28 Supporter“ (B&H Unterstützer)
Zahlencodes
Zahlencodes sind eine beliebte Verschlüsselung für strafrechtlich relevante Begriffe, Grußformeln oder Organisationszeichen. Sie werden in einer Vielzahl von T-Shirt-Motiven, Emblemen, Gruppen- und Bandnamen verwendet. Dabei stehen die Zahlen synonym für die entsprechenden Buchstaben im Alphabet. Neben gebräuchlichen Codes wie „88“, „18“
oder „28“ werden seltener auch „19/8“ für „Sieg Heil!“ oder „19/19“ für „SS“ verwendet.
14 Words
ist die Abkürzung für den aus 14 Worten bestehenden Satz: „We must secure the existence of our people and a future
for white children.“ („Wir müssen die Existenz unseres Volkes und auch die Zukunft unserer weißen Kinder sichern.“).
Dieses Zitat ist das Glaubensbekenntnis des US-amerikanischen Neonazis David Lane, der Mitglied der terroristischen
Organisation The Order war. Die 14 Words werden häufig als Grußformel genutzt und finden Verwendung in Liedtexten,
als T-Shirt-Aufdruck, Aufnäher, Schmuck, Jackenembleme und auf CD-Cover. Beliebt ist auch, die 14 mit der 88 zu kombinieren, u. a. als Autokennzeichen.
Keltenkreuz
Das Keltenkreuz dient in der rechtsextremen Szene weltweit als Symbol für die „Vormachtstellung der weißen Rasse“
und gilt gemeinhin als White-Power-Zeichen. Häufig wird in Schriftzügen der Buchstabe „O“ durch das Einfügen eines
Kreuzes zum Keltenkreuz verfremdet.
Kategorie C - KC
In der polizeilichen Einstufung von Fußballanhängern werden Fans (meist Hooligans) aus dem stets gewaltbereiten
Spektrum als Personen der Kategorie C bezeichnet. Der Begriff ist in der Hooliganszene populär und findet zum Teil
auch Gebrauch unter Neonazis, die damit ihre Gewaltbereitschaft ausdrücken wollen. Kategorie C ist in verschiedenen
Varianten, teilweise von Neonazis, als Marke eingetragen. Die Bremer Hooligan-Band Kategorie C - Hungrige Wölfe verfügt über enge Kontakte in die Neonaziszene und ist dort sehr beliebt.
DRESSCODES, SUBKULTUR, LIFESTYLE, SYMBOLE
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Skrewdriver
war eine international bekannte neonazistische Musikgruppe aus Großbritannien. Der Sänger Ian Stuart Donaldson
gründete die Blood & Honour-Bewegung und starb 1993 bei einem Autounfall. Seitdem gilt er als Märtyrer und „Held
der Bewegung“. Der Schriftzug findet sich auf Shirts, Pullovern und anderen Kleidungsstücken wieder.
Landser
war eine Naziband aus Berlin, die 2005 als erste Musikgruppe zur kriminellen Vereinigungen erklärt und verboten wurde.
Der Schriftzug mit eindeutigem Bezug zur Band ist daher strafbar.
STRAFBAR
White Power - WP
bedeutet übersetzt „Weiße Macht“ und wird im Sinne von „weißer Vorherrschaft“ oder „weißer Vormachtstellung“ verwendet.
White Power ist einer der Schlüsselbegriffe und meistgebrauchten Slogans der neonazistischen Skinhead-Szene weltweit. Selbstbezeichnungen als White-Power-Bewegung, White-Power-Skinheads und White-Power-Musik (für den
Rechtsrock) sind allgegenwärtig. Die White-Power-Faust, meist in Kombination mit dem Schriftzug White Power (wobei
die Faust gewöhnlich zwischen den beiden Wörtern platziert ist), gehört neben dem Keltenkreuz zu den beliebtesten
Symbolen im neonazistischen Spektrum und findet als T-Shirt-Aufdruck, Aufnäher und Anstecker Verwendung.
ZOG
Die Abkürzung für Zionist Occupied Government bedeutet übersetzt „zionistisch besetzte Regierung“ und wird in der
Neonaziszene als Code für die wahnhafte Idee einer „jüdischen Weltverschwörung“ gebraucht. Neonazis behaupten,
dass Juden die Regierung Deutschlands und anderer Staaten der Welt steuern. Der Begriff ZOG wurde von rechtsterroristischen Gruppen geprägt. Seine Verwendung in Sprühereien, Schriften und Liedtexten steht meist im Zusammenhang
mit dem Aufruf, den Kampf gegen ZOG auf einer terroristischen Ebene zu führen.
Motive, die den Code ZOG beinhalten, zeigen meist Abbildungen und Symboliken eines hasserfüllten Antisemitismus
und sind in Deutschland überwiegend strafrechtlich relevant.
ZOG
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DRESSCODES, SUBKULTUR, LIFESTYLE, SYMBOLE
Lonsdale
war lange Zeit populär in der rechten Szene, weil bei halb geöffneter Jacke auf T-Shirts und Pullovern „NSDA“ zu lesen ist
und man sich das „P“ nur noch dazu denken musste. Die Firma distanzierte sich in der Öffentlichkeit jedoch davon eine
Nazimarke zu sein und rief die Kampagne „Lonsdale loves all colours“ ins Leben. Außerdem sponsorte Lonsdale 2005 das
schwul/lesbische Straßenfest „Christopher Street Day“ in Köln. Im Gegenzug riefen Nazis zum Boykott der Firma auf.
Consdaple
Die Marke CONSDAPLE ist bei Neonazis beliebt, weil sie so die Buchstabenkombination NSDAP ungestraft tragen können. Dabei handelt es sich um eine bewußte Falschschreibung des englischen Wortes Constable, das übersetzt Schutzmann bedeutet. Die von Neonazis entworfene CONSDAPLE-Bekleidung wird nur in neonazistischen Läden verkauft. Der
Betreiber des rechtsextremen Patria-Versandes aus Landshut brachte die Marke auf den Markt, nachdem LONSDALE
seinen Liefervertrag gekündigt hatte.
Masterrace Europe
Ins Deutsche übersetzt bedeutet die Marke „Herrenrasse Europa“. Die mit dem Aufdruck versehenen Jogginghosen, TShirts und Pullover werden ausschließlich in neonazistischen Läden und Versänden verkauft.
Patriot
Diese Bekleidungsmarke hat Base-Caps, Aufnäher, Aufkleber, Anstecker, Jacken, T-Shirts und Pullover im Angebot. Sie
wird nur über neonazistische Geschäfte und den gleichnamigen extrem rechten Versand vertrieben.
Dobermann Streetwear, Pitbull, Troublemaker
Die Markennamen bringen bewusst Aggressivität zum Ausdruck und sind deshalb in der Hooligan- und Neonaziszene
verbreitet.
ALTES LOGO
ZUM TEIL STRAFBAR
Thor Steinar - TS
Thor Steinar ist eine Bekleidungsmarke, die ausgehend vom brandenburgischen Königs Wusterhausen mittlerweile
bundesweit in der rechtsextremen Szene über deren Versände und Ladengeschäfte verbreitet wird. Bezüge zum germanisch/heidnischen bestehen durch die Verwendung von Namen wie Asgard („Sitz der Götter“) und Thor. Ende 2004
geriet diese Marke jedoch zunehmend unter juristischen Druck. Die Grundlage hierfür war eine Ähnlichkeit des Logos
mit Symbolen verbotener Organisationen aus dem Nationalsozialismus. Nach diesem kurzen Rückschlag ist Thor Steinar
DRESSCODES, SUBKULTUR, LIFESTYLE, SYMBOLE
seit Anfang 2005 mit neuem Logo wieder bundesweit zu haben. Auch das neue Logo stellt eine Rune dar, die allerdings
im Nationalsozialismus keine Verwendung fand.
Thor Steinar ist in vielen normalen Ladengeschäften und Bekleidungsketten weiterhin erhältlich, obwohl im Zuge der
juristischen Auseinandersetzungen um diese Marke ein rechter Hintergrund mehr als deutlich wurde.
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NEUES LOGO
Alpha Industries
Das Logo der Firma ähnelt dem verbotenen Logo der SA und ist deswegen in der Szene beliebt.
Rizist
Mit Schriftzügen und Logos im Graffiti-Style versucht die Marke Rizist, Kunden am rechten Rand für sich zu gewinnen.
Die über Naziläden und -versände vertriebenen Kleidungsstücke richten sich an HipHopper und Skater. Neben den szenetypischen weiten Jeans sind diverse T-Shirts und Windbreaker im Angebot.
H8wear, Pro-Violence und Sportfrei
Diese relativ neuen Marken entstammen dem Umfeld mehrerer organisierter Neonazis aus Norddeutschland. Sie springen auf die Erfolgswelle von Thor Steinar auf und geben sich unpolitisch. Während sich Sportfrei und Pro-Violence an
die (rechte) Hooliganszene richtet, sind die Adressaten von H8wear Anhänger von Hardcoremusik. Die Marken sind über
Naziversände und Ladengeschäfte erhältlich. Die Macher von Pro-Violence sind in der Magdeburger Hooliganszene zu
Hause und sponsern mit ihren Kleidungsstücken oftmals Ordnerdienste von Neonazi-Aufmärschen und Konzerten.
Auch in diversen Läden aus dem Rockermilieu der Hells Angels sind diese Marken erhältlich, was die Kundenbasis und
die Verbreitung dieser Labels noch erhöht.
Mehr dazu findet ihr in der Broschüre »Das Versteckspiel«, als
Download unter:
www.dasversteckspiel.de
28
“
DIE SUBKULTUR DER NAZIS
eine jugend rebelliert”?
Die Subkultur der Nazis
Neben der bestehenden Mainstreamkultur einer Gesellschaft existieren immer auch Kulturen, die sich von dieser
abgrenzen. Oft sind es die jungen Generationen, die den
Wandel von Kultur, Werten und Traditionen vorantreiben.
Über Sub- oder Gegenkultur wird die bestehende Kultur
in Frage gestellt oder sogar völlig abgelehnt. Dennoch ist
eine Subkultur immer auch Teil der Gesellschaft. Verschiedene Jugend- oder Subkulturen werden auch Szenen oder
Cliquen genannt. Oft stoßen Eigenheiten, wie Kleidung,
Sprache, Musik oder Szenecodes einer Subkultur auf Unverständnis bei der breiten Masse. Diese Merkmale dienen
der Abgrenzung zu anderen Szenen und der Identifizierung mit der eigenen Szene. Oft wird der gesamte Alltag
der Angehörigen einer Subkultur durch diese bestimmt.
Alles dreht sich nur um eine bestimmte Musik, einen bestimmten Lifestyle oder einen bestimmten Sport. Auch
eine Meinung oder Ideologie kann als Abgrenzungsmerkmal einer Subkultur dienen. Oft ist es das Ausgegrenztsein, der Reiz des Verbotenen oder die Ächtung durch die
Gesellschaft, die eine Subkultur für Beteiligte interessant
macht. Die Nazisubkultur verbindet dabei Ideologie mit
einem modischen Lifestyle und schafft damit Anknüpfungspunkte für Unentschlossene und Mitläufer. Dabei ist
der Gemeinschaftscharakter von zentraler Bedeutung. In
manchen Gegenden Sachsens, meist ländlich geprägte
Regionen, gibt es keine anderen Jugendkulturen als die
der Rechten. Neonazis sind oft dort erfolgreich, wo es keine alternativen Jugendkulturen gibt. Aus Angst vor Ausgrenzung schließen sich Jugendliche deshalb der dominanten Jugendkultur der Nazis an. Die Sächsische Schweiz
beispielsweise wurde jahrelang von Nazis terrorisiert.
Jeglicher Versuch, dort eine alternative Jugendkultur zu
etablieren, wurde seitens der Nazis mit Gewalt unterbunden. Auch der Landkreis Mittweida, die Oberlausitz oder
die ostthüringische Region um Altenburg sind Beispiele
dieser Entwicklung.
Lifestyle im Wandel
Wo früher die martialisch gekleideten Skinheads die rechte Subkultur bestimmten, stehen heute sportlich gekleidete Nazis, denen man ihr rechtes Gedankengut oft nicht
mehr ansieht. Bezeichnend steht hierfür die Klamottenmarke „Thor Steinar“. Diese Marke ermöglicht es den Aktivisten der extremen Rechten, sich vergleichsweise stilvoll
zu kleiden, ohne dabei auf völkische Symbolik verzichten
zu müssen. Diese ist jedoch so codiert, dass sie die Anhänger und Symphatisanten der eigenen Szene entschlüsseln
können. So verwendete „Thor Steinar“ den Schriftzug „Ultima Thule“ als Anspielung auf eine Rechtsrockband aus
Schweden und die rassistische und okkulte Thule-Gesellschaft im Nationalsozialismus.
Oft werden bestehende Jugendkulturen oder bestimmte
DIE SUBKULTUR DER NAZIS
Teile davon unterwandert und mit einer rechten Ideologie
versehen. Es werden sogar Codes, Symbole und Musik von
eher linken Jugendkulturen übernommen, ohne dabei in
Konflikt mit der eigenen Ideologie zu geraten. Aktuell ist
davon die Hardcoreszene sowie der deutsche HipHop betroffen. Aber auch lokale Treffpunkte werden von Nazis
okkupiert und Andersdenkende verdrängt. Nazis finden
sich in der örtlichen Disko, wie auch beim lokalen Fußballspiel oder des nachts an der Tankstelle oder der örtlichen
Bushaltestelle.
Sport und Männlichkeit
Männerdomänen wie Fußball oder Kampfsport bilden für
die rechte Ideologie eine perfekte Möglichkeit, um Nachwuchs zu rekrutieren. Im Vordergrund stehen vermeintlich
männliche Eigenschaften wie Kraft, Mut und Härte.
So wurden bei der Freefightveranstaltung „Fight Club“ in
Sachsen die Kämpfer oft mit „Sieg Heil!“-Rufen oder „Juden raus!“ begrüßt. Besonders in ostdeutschen Fußballstadien kommt es immer wieder zu rassistischen Übergrif-
29
fen und antisemitischen Parolen. Dabei dominieren Nazis
und rechte Hooligans nicht selten die Fanszenen.
Musik und Konzerte
Musik und der Hauch des Verbotenen und „Unangepassten“
dienen vor allem als Einstiegsdroge für junge Menschen. Mit
den von Nazis beherrschten Subkulturen sollen rechte Inhalte vermittelt werden. Es gibt eine Vielzahl von Bands aus
den verschiedensten Musikrichtungen. Das Spektrum reicht
dabei vom klassischen Rechtsrock über Darkwave, Nationalsozialistischen Black Metal (NSBM) und NS Hardcore bzw. Hatecore bis hin zum Techno oder Hip Hop.
Die oft geheim veranstalteten Konzerte sind neben Demonstrationen überregionale Treffpunkte der Nazis. Per Brief, SMS
oder E-Mail werden Schleusungspunkte für Konzerte angegeben, selten werden Veranstaltungen mit Flyern beworben.
Relativ neu sind die offiziell angemeldeten Konzerte und
Familienfeste der NPD, welche den rechten Bands eine Auftrittsmöglichkeit im öffentlichen Raum bietet und Konzerte
vor Auflösung durch die Polizei schützen soll.
Teilnehmer_innen von
Neonazidemonstrationen am
16. September 2006
in Plauen (Foto links)
und am 1. Mai 2006 in Leipzig
(Fotos mitte und rechts)
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URSACHEN RECHTER EINSTELLUNGEN
Zum Nazi werden, kann das jeder?
Ursachen rechter Einstellungen
Natürlich wird ein Mensch nicht aus heiterem Himmel zum
Neonazi, er wird auch so nicht geboren. Es gibt aber eine
Vielzahl von Faktoren, die diese Entwicklung beeinflussen
und fördern können. Ein Grund allein reicht nicht aus, um
das Entstehen einer rechten und rechtsextremen Gesinnung zu erklären. Wir können euch leider auch keine exakte und umfassende Erklärung liefern. Das kann vermutlich
niemand. Es gibt in der Wissenschaft, in der Politik und auf
vielen anderen Ebenen verschiedene Erklärungsansätze.
Diese haben wir kurz für euch zusammengefasst.
Wahrnehmung
Oft hängt es z. B. damit zusammen, wie stark sich ein
Mensch seiner eigenen Entwicklung, seiner eigenen Verantwortung und den Geschehnissen um sich herum bewusst ist. Es ist natürlich schwer Antworten und Lösungsansätze zu finden, während unsere Welt immer schneller
und komplizierter wird. Neonazis nutzen das aus. Einige
von euch haben es in den Gesprächen richtig formuliert:
„Jugendliche haben keine Arbeit, suchen Anschluss.
Die Nazis überzeugen durch einfache Erklärungen.
Die Rechten liefern eben leichte Antworten auf schwere Fragen. Die NPD spielt auch ziemlich mit den Ängsten der Menschen.“ (Jugendlicher aus Plauen)
Soziale Situation und die Familie
„Die soziale Ungerechtigkeit und Ungleichheit und die
aktuelle Politik, von der diese ausgeht, ist bereits schon
ein Anfang für Rechtsradikalismus. Mir ist aufgefallen,
dass in den Gymnasien in Sachsen wirklich kaum Leute
sind, die dem rechten Spektrum zuzuordnen sind, aber
in Mittelschulen und Hauptschulen ist die Zahl halt wesentlich höher.“ (Schülerin aus Reichenbach)
Andere Ursachen sind in der eigenen Familie zu suchen,
also ein Mangel an Vertrauen, Anerkennung, Aufmerksamkeit und Zuneigung. Befinden sich Familien dann noch
zusätzlich in einer schwierigen sozialen Lage könnte es
passieren, dass Eltern ihre Kinder nicht mehr ausreichend
unterstützen oder ihnen zu wenig Aufmerksamkeit geben
können. Doch dürfen wir nicht verallgemeinern. Denn
genauso gibt es rechte Jugendliche und Neonazis mit gefestigter rechter Ideologie, die aus Familien kommen, wo
es soziale Probleme nicht gibt. Auch eine gute Ausbildung
schützt nicht davor, zum Neonazi zu werden. Oft wird es
in den Familien versäumt, miteinander über diese Problematik offen und immer wieder zu sprechen. Verschärfend
kommt hinzu, dass manche Eltern selbst rechte Einstellungen haben und somit als negatives Vorbild auf ihre Kinder
einwirken.
URSACHEN RECHTER EINSTELLUNGEN
Der eigene Freundeskreis und die fehlenden und unattraktiven Alternativen
Jeder von uns sucht in irgendeiner Weise Menschen, mit
denen wir unsere Meinung und Interessen teilen können.
Die Suche nach Anschluss und Anerkennung ist für uns
als soziale Wesen eine ganz normale Eigenschaft. Problematisch wird es dann, wenn Jugendliche in ihrer Umgebung wie Wohnumfeld oder Schule nur aus dem Gefühl
heraus zu einer Gruppe dazugehören wollen, egal welche
Meinung dort vertreten wird. Nicht selten schließen sich
Jugendliche aber auch rechten Gruppen an, aus der Angst
heraus bedroht, zu werden. Aus manchen „Mitläufern“
können so aktive Mitglieder rechtsextremer Gruppen werden. Rechte Ideologien können sich mit der Zeit immer
stärker verfestigen und konkretisieren und machen einen
Ausstieg aus diesen Gruppen immer schwerer. Die Neonazi-Subkultur bietet Vorbilder, nach denen Jugendliche in
der Erwachsenenwelt vergeblich suchen. In Gesprächen
habt ihr uns gesagt: „Es liegt am Freundeskreis, an den
Eltern und an den Personen, mit denen die Jugendlichen rumhängen.“
Mangelnde Aufklärung unterstützt die Neugierde. In Bezug auf das gute Ankommen der so genannten SchulhofCD der NPD bei den jungen Leuten meint der Schulleiter
der Berufsschule Plauen: „Da ist eben die Gefahr, dass
diese Medien sehr geschickt gemacht sind und Rechte
wahrnehmen, dass Jugendliche durch diese Neugierde
gleichzeitig mit dem Gedankengut infiltriert werden“.
Neonazis und NPD versuchen intensiv, junge Leute an sich
zu binden und sie für ihre Konzepte zu rekrutieren. Schon
Kinder sollen dafür geschult und an die rechtsextreme
Ideologie herangeführt werden. So z. B in der „Heimattreuen deutschen Jugend“ (HDJ). Dieser Verband organisiert Zeltlager und Ausfahrten für Kinder und Jugendliche. Neonazis und Rechtsextreme schaffen eine eigene
Lebenswelt. Dadurch geben sie jungen Leuten ein Gefühl
von Aufgehobensein und Akzeptanz. Klamotten, Musik
und Internet sowie Aktionen und Events wie (illegale)
Konzerte und Demos vermitteln und verfestigen ein rechtes Identitätsbild. Die führenden Köpfe der Neonaziszene
sind sich der Bedürfnisse von Jugendlichen bewusst und
nutzen gezielt den Mangel an Alternativen für ihre politischen und ideologischen Zwecke aus. Wo Langeweile und
Perspektivlosigkeit herrscht, haben Nazis leichtes Spiel.
Ein Mitglied des Jugendparlaments meinte dazu:
„Gründe bei Jugendlichen sind nicht unbedingt
die Arbeitslosigkeit, sondern auch Langeweile und
Schließung von Jugendclubs. Es ist die Perspektivlosigkeit. In den Dörfern mangelt es an alternativen
Gruppierungen. Es fehlt eine Gegenkultur. Wenn man
nur die Alternative hat, allein rumzuhängen oder sich
einer vorhandenen Gruppe anzuschließen, dann fällt
die Entscheidung nicht schwer.“
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RECHTE STRUKTUREN IM VOGTLAND
vor ort
Rechte Strukturen im Vogtland
Um euch einen Überblick über die rechtsextremen Strukturen in Plauen und in den verschiedenen Regionen des
Vogtlandes geben zu können, haben wir zahlreiche Interviews, die wir mit Schülern, Jugendlichen des Jugendparlaments und Mitarbeiter_innen der Mobilen Jugendarbeit
in Plauen führten.
Was geht in Plauen?
„In Plauen ist eher latenter Rechtsextremismus und
Rassismus vorhanden, im Vogtland ist Rechtsextremismus schon viel tiefer in den Köpfen drin.“ (junger
Antifaschist aus Plauen)
Als unterdurchschnittlich bis durchschnittlich bezeichnete ein Mitarbeiter vom Verfassungsschutz die rechtsextremen Strukturen in der Stadt Plauen in einem Zeitungsartikel vom 3. März 2006. Was sagt uns ein Begriff
wie „durchschnittlich“ überhaupt? Als durchschnittlich
wird im Allgemeinen ein normaler Zustand beschrieben.
Gehören somit Rechtsextreme und das, was sie tun, zum
normalen gesellschaftlichen Alltag? Aus der Perspektive
ihrer Opfer sieht es sicher anders aus. Menschen anderer
Herkunft oder Jugendliche, die mit Nazis nichts zu tun haben wollen, machen viel öfter negative Erfahrungen mit
Rechtsextremen.
In den Interviews mit einigen Menschen aus der Stadt
Plauen wurde uns gesagt, dass Plauen noch recht tolerant
und offen sei, was jedoch von den Opfern so nicht geteilt
wird. Mehrmals betont wurden auch die alternativen und
demokratischen Strukturen, die sich dem Auftreten der
Rechten entgegen stellen. Darunter zählen die alternativen Wohn- und Kulturprojekte wie zum Beispiel die „Kaffeerösterei“, das „Malzhaus“, der „Schuldenberg“, das aktive Jugendparlament, der Fanclub des FVC Plauen und vor
allem engagierte Einzelpersonen.
RECHTE STRUKTUREN IM VOGTLAND
Rechtsextreme Gruppen
Mit dem brutalen Überfall der Nazigruppierung „Jungsturm Plauen“ auf die „Kaffeerösterei“ im Dezember 2005
wurde offensichtlich, dass die Stadt mit dem Problem
Rechtsextremismus konfrontiert ist. Die ca. 20 Personen,
die dieser Gruppe zugerechnet wurden, waren im Vorfeld
des Überfalls bereits mehrfach durch ihre Aggressivität,
Pöbeleien und gewalttätigen Übergriffe auf Andersdenkende auffällig geworden. Seit Anfang 2006 hat sich die
Situation bezüglich der rechten Gewalt, die von dieser
Gruppe ausging, wieder beruhigt. Der „Jungsturm Plauen“ existiert zwar weiterhin, tritt jedoch aufgrund von
Strafverfolgung und Wegzug einiger Mitglieder nicht
mehr öffentlich in Erscheinung.
Parteistruktur
Mit dem Einzug der NPD in den sächsischen Landtag 2004
verstärkten sich die Aktivitäten der Partei in der Stadt. In
Plauen wählten neun Prozent der Bürger_innen die so
genannten „Nationaldemokraten“. Eine führende Rolle
bei dieser Entwicklung seit den 90er Jahren spielte Bernd
Grett, der in Plauen eine Fahrschule betreibt. Er war lange
Zeit Vorsitzender der NPD Vogtland.
Im „Treffer“, einer Kneipe am Vogtland-Klinikum Plauen,
finden regelmäßige Zusammenkünfte der Anhänger_innen und Sympathisant_innen der Partei statt. Die Öffentlichkeit nahm diese Zusammenkünfte bisher kaum als
Treffen der extremen Rechten wahr.
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„Unsere Kinder sind die Zukunft - Ländliche Schulen erhalten“ oder „Gegen Sozialabbau - Für soziale Gerechtigkeit“
lauteten 2007 Veranstaltungstitel der NPD. Die Themen
waren bewusst gewählt, um soziale Inhalte aufzugreifen.
Die Argumentation wird mit rassistischen Forderungen
verbunden und passt gut zur Volksgemeinschaftsideologie der Nazis. Beispielsweise wird der Ausschluss von Einwandererkindern aus den Kindergärten und Schulen oder
„Arbeitsplätze nur für Deutsche“ gefordert. Mittels Infoständen oder Briefkastenaktionen warb die Partei für sich.
An mehreren Schulen in Plauen und im Vogtland versuchte die NPD, die so genannte Schulhof-CD zu verteilen.
Rechter Stuff
Im Szeneladen „Der Clou“ wird seit 2005 alles für den
rechtsextremen Lifestyle verkauft. Das Geschäft bietet
neben einigen unpolitischen Oi!-Bands vor allem CDs von
Rechtsrock- und Hatecore-Bands an. CDs rechtsextremer
Foto rechts:
»Braune Teufel Vogtland«
Foto mitte:
NPD-Vorsitzender Udo Voigt am
12. Oktober 2007 in Plauen
Foto links:
Naziladen »Der Clou« in Plauen
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RECHTE STRUKTUREN IM VOGTLAND
Gruppen wie „Skrewdriver“ finden sich im Sortiment des
Ladens wieder. Dazu gibt es Klamotten von Thor Steinar,
Hatewear, Bandshirts sowie Shirts mit der Aufschrift „Todesstrafe für Kinderschänder“. Im Geschäft werden zudem
Fanzines mit rechtsextremen Inhalten verkauft und Flyer
auf dem Tresen bewerben die neuesten Konzerte und Veranstaltungen der extremen Rechten.
Der Ball ist rund...
Auch in Plauen wird der Fußball von Rechtsextremen als
Plattform zur Verbreitung ihres braunen Weltbildes missbraucht. Es gibt in der Stadt zwei Fanclubs, „Ultras“ und
„Sektion Süd“, mit etwa zwanzig rechtsextremen Anhängern. Ihre Meinung zeigen sie mit dem Tragen von „good
night left side“-T-Shirts und Thor Steinar-Klamotten.
Rechte Gewalt in Plauen
Die Chronik zu den rechten Vorfällen der Jahre 2005 bis 2007
von AMAL ist abrufbar unter:
www.amal-sachsen.de
oder
www.public-warning.de
„Ja, in der Stadt kommt es schon mal vor, dass jemand
von Rechten verprügelt wird.“ (Jugendlicher aus Plauen, 16 Jahre)
In den Jahren 2005 bis 2007 ereigneten sich in der Stadt
Plauen nach den Informationen der Chronik des Opferberatungsvereins AMAL 16 Vorfälle und Straftaten mit
rechtsextremem Hintergrund.
»Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage« - Hufeland-Mittelschule in Plauen
Zur Situation an den Schulen in Plauen
Vielleicht habt ihr von den bisher beschriebenen Strukturen noch nicht viel gehört. Dennoch ist dieses Thema
auch an eurer Schule präsent. Die Interviews mit einigen
Schülern aus unterschiedlichen Klassen und Schulen
konnten uns interessante Einblicke zum Schulalltag sowie
zum Thema Rassismus und Rechtsextremismus liefern.
Wir haben einen unserer erwachsenen Interviewpartner
gebeten eine allgemeine Einschätzung zu den Schulen in
Plauen zu geben. In diesem Interview kamen wir vor allem
auf eine Schule zu sprechen, in der wir uns bereits vorher
mit einem Schüler unterhalten hatten. Die Antworten aus
den Gesprächen haben wir teilweise gekürzt und zusammengefasst abgedruckt.
RECHTE STRUKTUREN IM VOGTLAND
Interview mit einem Mitarbeiter des Fanforums VFC
Plauen:
Kannst du uns zu der Schule A etwas sagen?
„Diese Schule liegt im Stadtteil B, wo die meisten rechten
Leute wohnen und wo auch die Kneipen größtenteils voll
sind mit Leuten rechter Gesinnung. Man muss wirklich aufpassen, wo man in diesem Stadtteil hingeht. Ich will es nicht
dramatisieren. Man kann sich da sehen lassen ohne dass
man niedergeprügelt wird, aber man muss wirklich aufpassen, wo man hingeht und was man sagt. Und dort befindet
sich eben auch die A-Schule. Da kriegen es die Schüler auch
gleich mit und glauben leider auch, was ihnen in ihrem Viertel vorgegaukelt wird.“
Wie drückt sich das aus? Gab es dort schon mal Überfälle von Rechten auf linke oder ausländische Schüler
oder auch Vorfälle wie Schmierereien?
„Pöbeleien und Schmierereien gibt es auf jeden Fall. Gewaltdelikte gegen Ausländer oder Andersdenkende sind mir
nicht bekannt, mehr jedoch diese psychische Gewalt und
der Druck auf die Menschen. Wir hatten mal einen Schüler,
einen Iraker oder Iraner, der zu uns zur Beratung kam und
sagte, dass er von den Schülern in seiner Klasse belästigt
wird und so nicht mehr lernen kann.“
Interview mit einem 15-jährigen Schüler und einer 15jährigen Schülerin aus der Schule A:
Gibt es an eurer Schule und in eurer Klasse unterschiedliche politische Meinungen?
Junge: „Ja, es gibt rechtsradikale Ausdrücke von manchen
Schülern. Sie sind rechts aus Langeweile. In meiner Klasse
gibt’s da ein, zwei rechts eingestellte Schüler.”
Und was sagen die?
Junge: „‚Sieg Heil!‘ und heben immer die rechte Hand. Sie
beleidigen halt die Ausländer, so wie mich halt und noch einen aus der Klasse. Es sind nur ein paar. Das passiert dann in
der Pause oder im Sportunterricht.“
Machen die das heimlich oder kriegen das eure Lehrer
mit?
Junge: „Das kriegen die überhaupt nicht mit.“
Wie denkst du selbst über Ausländer?
Mädchen: „Die sind nicht schlimm. Es gibt zwar welche, die
aggressiv sind, aber man kann mit ihnen auskommen.“
Wisst ihr, welche Musik die Rechten hier hören, unterhalten die sich mal darüber?
Junge: „Ja, Landser.“
Sprecht ihr in eurer Schule über Rassismus, Fremdenfeindlichkeit oder Neonazis und Gewalt?
Mädchen: „Ja in manchen Fächern, wie in Geschichte oder
in Deutsch.”
Junge: „Ja, in Geschichte.”
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36
RECHTE STRUKTUREN IM VOGTLAND
Wie verlaufen da solche Diskussionen, sagen da auch
die Rechten irgendwas dazu?
Junge: „Die lachen nur dreckig. Einer aus unserer Klasse
malt immer schwarz, weiß rote Flaggen auf sein Hausaufgabenheft und der lacht halt immer.“
Und wie reagieren die Lehrer darauf?
Junge: „Die sehen das nicht.“
Teilnehmer einer
Neonazidemonstration am
16. September 2006 in Plauen
Eine Schülerin, 15 Jahre alt, aus einer anderen Schule, die sich besonders gegen Rassimus stark macht,
meinte zu der Frage, wie sehr sie über Rassimus und
Rechtsextremismus Bescheid weiß, folgendes.
„Direkt wissen wir darüber nicht viel. Es gibt manchmal so
Neigungen, die auf verschiedene Richtungen hinweisen,
wenn wir das Thema Schwarze haben oder so. Da kommen
dann blöde Bemerkungen. Klar, man macht sich manchmal
über die Leute lustig.“
Und was geht im Vogtland?
Die rechtsextreme Szene in Reichenbach und Mylau konzentriert sich um den Naziladen „Ragnarök“ und seinen
Betreiber David Köckert. Das „Ragnarök“ wurde im April
2003 in Reichenbach eröffnet und zog ein Jahr später nach
Mylau um. In dem Laden können sich nicht nur Rechtsextreme mit einschlägigen Kleidungsstücken, Accessoires
und Tonträgern ausstaffieren, er dient auch als wichtiger
Treffpunkt der gesamten vogtländischen Neonaziszene.
Der einschlägig vorbestrafte Ladenbetreiber Köckert ist einer der führenden Figuren der „Braunen Teufel Vogtland“
und organisierte seit 2001 bereits zahlreiche Konzerte mit
Rechtsrockbands aus ganz Deutschland. Mit dabei war zumeist die Reichenbacher Neonazi-Band „Haftbefehl“. Auf
der mittlerweile abgeschalteten Website der Band waren
lange Zeit Hakenkreuzfahne und Hitlergruß zu sehen und
die Band beschrieb sich selbst als Nationalsozialisten.
2005 wurde der Gitarrist der Band wegen Verwenden von
Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu einem Jahr Haft verurteilt.
Zum engsten Umfeld Köckerts und der Band „Haftbefehl“
gehört die Kameradschaft „Braune Teufel Vogtland“, die
in der Öffentlichkeit vor allem unter dem Namen „Alcoholocaust“ bekannt wurde. Ursprünglich war sie ein zusammengewürfelter Haufen von neonazistischen Skinheads
aus dem vogtländischen Raum, die sich samstagabends
an der Tankstelle trafen und sich auf Feiern in den umliegenden Dörfern prügelten. Später organisierten und
RECHTE STRUKTUREN IM VOGTLAND
Mitglieder der Kameradschaft »Braune Teufel« am 16. September 2007 in Plauen
politisierten sie sich stärker und knüpften enge Kontakte
zu Neonazi-Kameradschaften in Sachsen, Thüringen und
Bayern. Eine wichtige Rolle kommt dabei dem seit 2003
jährlich stattfindenden Fußballturnier im Gedenken an
den Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß zu, zu dem bis zu 60
Neonazis anreisen. Darüber hinaus nehmen die „Brauen
Teufel“ aber auch gemeinsam an überregionalen Demonstrationen der NPD und des Kameradschaftsspektrums teil,
so zuletzt Anfang Dezember 2007 in Berlin-Rudow, oder
organisieren Ausflüge wie beispielsweise zur ehemaligen
SS-Ordenburg Wewelsburg in Westfalen. So verbinden
sie „Spaß“ und Freizeitkultur mit knallharter nazistischer
Politik und wollen für ein „freies und weißes Deutschland
kämpfen“.
In der Region um Eibenstock und Auerbach gibt es momentan keine organisierten rechtsextremen Strukturen.
Allerdings bietet der Naziladen „Consdaple“ in Rodewisch
auch hier eine Anlaufstelle.
Junge Rechte aus dem Vogtland und dem westlichen Erzgebirge können sich ebenso in Zwickau einkleiden. Im
„The Last Resort Shop“ finden sie unter anderem rechte
Streetwear wie „Thor Steinar“ und andere in der Szene
beliebte Modemarken sowie Rechtsrock. Während eines
deutschlandweiten Aktionstages gegen „Thor Steinar“
am 15. Dezember 2007 versammelten sich ca. 130 Neonazis, rechte Hooligans und ihr Umfeld vor dem Laden, um
ihn vor einem vermeintlichen Übergriff zu schützen. Dies
zeigt, wie stark der Laden um die Betreiber_innen in der
rechtsextremen Szene in Zwickau und Umgebung verankert ist.
Das »Ragnarök« in Mylau wurde bei Protesten 2005 zugemauert.
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RECHTE STRUKTUREN IM VOGTLAND
In der Stadt Zwickau werden Rechtsextreme verstärkt
politisch aktiv. Seit Mitte der 90er Jahre existiert hier ein
Kreisverband der NPD. Der Kreisvorsitzende Peter Klose
sitzt seit 2006 auch für die NPD im sächsischen Landtag.
Dort fiel er aber bislang nur dadurch auf, das der Gerichtsvollzieher rund 1000 Euro von Kloses Diäten pfändete. Der
Großteil der Schulden waren nicht gezahlte Hundesteuern für den inzwischen verstorbenen Schäferhund Adolf.
Klose betreibt in Zwickau ein NPD-Wahlkreisbüro, das als
Treffpunkt der rechtsextremen Szene dient. Die Eröffnung
war für den 20. April 2007 geplant, den 118. Geburtstag
Adolf Hitlers. Der Termin musste zwar nach Eingreifen des
NPD-Fraktionschefs Holger Apfel verschoben werden,
doch ließ es sich Klose nicht nehmen, zum „Führergeburtstag“ zumindest eine „Fahne des Deutschen Reiches“
aus seinem Wohnzimmerfenster wehen zu lassen. Das
„Bürgerbüro“ wurde daraufhin am 8. Mai, dem Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus, eröffnet. Das auch dieser Termin nicht zufällig gewählt wurde, zeigt das Motto
der Veranstaltung „Wir feiern nicht, wir eröffnen!“.
Auffälliger agiert seit kurzem eine Gruppe junger Neonazis, die sich zu den „Autonomen Nationalisten“ zählen
und in der „NS-Hatecore“-Szene aktiv sind. Ihr Anführer
Daniel P. wurde im Januar 2008 vor dem Amtsgericht Zwickau wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung zu
einer Geldstrafe verurteilt. Laut Auffassung des Gerichtes
hatte er versucht, bei einer Demonstration am 1. Mai 2007
in Zeitz einem Polizisten vor die Brust zu treten oder an-
Teilnehmer_innen einer Nazidemonstration in Jena am 18. August 2007
zuspringen. Die bekennenden Nazis beteiligen sich mit
Sprüchen wie „Nationaler Sozialismus jetzt!“ regelmäßig
an den Montagsdemonstrationen gegen Sozialabbau und
Hartz IV, organisieren eigene Demonstrationen und fahren
gemeinsam zu Aktionen in Sachsen und angrenzenden
Regionen. Dabei sind sie eng mit ähnlichen Strukturen
aus Sachsen und Ostthüringen verwoben, die sich um die
Webseiten „Freies Netz“ gruppieren. Zum Teil distanzieren
sich diese „Freien Kräfte“ von der NPD, um an anderer Stelle wiederum eng mit der Partei zusammenzuarbeiten.
RECHTE STRUKTUREN IM VOGTLAND
Politik wollen Neonazis auch im thüringischen Teil des
Vogtlandes machen. Einer der auffälligsten Schläger der
Kameradschaft „Braune Teufel“ und des „Greizer Jungsturmes“ war Norman Wilkens aus Greiz. Die Verbundenheit
mit der Kameradschaft zeigt sein großes Tattoo an der
linken Halsseite, welches mehrere „Teufel“ tragen. Wegen
eines Brandanschlags auf das AsylbewerberInnenheim
in Greiz-Irchwitz am 30. Januar 2003, dem 70. Jahrestag
der nationalsozialistischen Machtergreifung, wurde er als
einer der beiden Haupttäter wegen versuchter schwerer
Brandstiftung und gefährlicher Körperverletzung zu 4
Jahren Haft verurteilt. Dies qualifiziert ihn offenbar dazu,
kurz nach seiner Haftentlassung im April 2007 das Amt des
stellvertretenden Kreisvorsitzenden des neugegründeten
NPD-Kreisverbandes Greiz zu übernehmen. Zusammen
mit seinen „Kameraden“ organisiert er vor allem NPDInfostände, Sonnenwendfeiern und seit vorigem Jahr das
so genannte Familienfest der NPD in Greiz. Bei der Veran-
staltung unter dem irreführenden Motto „Unsere Kinder
sind die Zukunft“ handelt es sich um ein überregionales
Treffen von NPD und freien Kameradschaften aus Bayern,
Sachsen und Thüringen, bei dem im Juli 2007 mehrere
Redner, der Neonazi-Liedermacher Maximilian Lemke aus
Jena und die Band „Braune Brüder“ vor etwa 100 Zuschauer_innen auftraten.
Die Neonazi-Band „Braune Brüder“ mit Mitgliedern aus
Hof, Wunsiedel und Umland besteht seit August 2005
und ist die „Hausband“ des neonazistischen „Kameradschaftsbundes Hochfranken“, der engste Beziehungen
ins Vogtland unterhält. Der im Jahr 2006 von den Kameradschaften Wunsiedel und Hof gegründete Zusammenschluss gehört zu den aktivsten Neonazi-Kameradschaften
in Bayern und folgt dem Trend, vermehrt mit politischer
Arbeit an die Öffentlichkeit zu gehen. Er organisiert Veranstaltungen insbesondere für Jugendliche wie Wanderungen, Zeltlager, Konzerte mit Rechtsrockbands und Liedermachern sowie politische Schulungen. Außerdem gab
er im Sommer 2007 eine eigene kostenlose „Schulhof-CD“
unter dem Titel „60 Minuten Musik gegen 60 Jahre Umerziehung“ heraus. Nach Beurteilung der Staatsanwaltschaft München in Übereinstimmung mit anderen Generalstaatsanwaltschaften ist mindestens eines der 21 Lieder
strafrechtlich relevant, da es den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt. Auch die „Braunen Brüder“ steuerten zwei
Lieder bei. Auf ihrer 2006 ebenfalls beim Chemnitzer Neonazilabel „PC-Records“ veröffentlichten CD „Land ohne
Teilnehmer_innen einer Nazidemonstration in Zwickau
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RECHTE STRUKTUREN IM VOGTLAND
Freiheit“ werden zum Beispiel „Wunsiedel“, „Rudolf Heß“
und „Deutsche Landser“ besungen.
Seit 2006 erscheint das rechtsextreme Blättchen „Blickpunkt-Vogtland“, das in einer Auflage von 20.000 Exemplaren im Dreiländereck Sachsen, Thüringen und Bayern
kostenlos verteilt wird. Offiziell ein unabhängiges Organ,
wird es, wie die weitgehend inhaltsgleichen Schwesterprojekte „Wartburgkreisbote“ und „Rennsteigbote“, maßgeblich von jungen NPD-Aktivist_innen aus Thüringen
erstellt. Die drei Regionalzeitungen werden zusammen
mit der NPD-Parteizeitung „Deutsche Stimme“ in einer
Druckerei in der litauischen Hauptstadt Vilnius hergestellt.
Verteilt werden die Zeitungen dann in kleinen Stückzahlen von örtlichen Anhänger_innen der Neonaziszene. Die
Themen sind in erster Linie lokal ausgerichtet. So geht es
häufig um Schulschließungen, Panikmache wegen ausländischen Schüler_innen, Arbeitslosigkeit, Abwanderung,
Drogen und Gesundheitspolitik - Themen, die in jüngster Zeit von der NPD gern aufgegriffen werden. Daneben
wird auch Werbung für Neonazi-Seiten im Internet oder
Ankündigungen von Veranstaltungen wie Demonstrationen etc. abgedruckt.
Der rechtsextreme »Blickpunkt Vogtland« erscheint im
Dreiländereck Sachsen, Thüringen und Bayern
RECHTE STRUKTUREN IM VOGTLAND
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Teilnehmer_innen einer
Nazidemonstration in Zwickau
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RASSISMUS UND RECHTE GEWALT AUS DER OPFERPERSPEKTIVE
erfahrung mit rassismus, ja natürlich
Rassismus und rechte Gewalt aus der Opferperspektive
Interview mit einem Asylbewerber aus
dem Flüchtlingsheim in Plauen
In den Gesprächen haben wir euch gefragt, ob ihr in der
Schule über die Situation von Flüchtlingen und die Ursachen von Armut und Flucht sprecht. Darauf bekamen wir
nicht eine Antwort, die das bestätigen konnte: „In der
Schule sprechen wir nicht direkt darüber. Wenn man
eine Freundin hat, dann fragt man schon mal nach,
warum die her gekommen ist, durch Krieg, das kann
bei uns ja auch jederzeit passieren.“ (Schülerin aus
Plauen)
Deshalb möchten wir euch in diesem Abschnitt die Sichtweise von Menschen näher bringen, die beinahe täglich
mit Rassismus, Ausgrenzung oder gar körperlicher Gewalt
leben müssen. So werden z. B. Flüchtlinge in zweifacher
Hinsicht Opfer. Sie müssen ihre Heimat verlassen, da es
dort aus verschiedenen Gründen nicht mehr sicher ist
oder sie kaum noch Perspektiven für ihr Leben sehen. Erreichen die Flüchtlinge dann die Grenzen Europas werden
sie oft nicht nur Opfer von rassistischen Pöbeleien, feindlichen Blicken oder gar rechter Gewalttaten, sondern auch
Opfer von Willkür, Diskriminierung und Rassismus durch
staatliche Behörden.
Wie verlief die Anreise? Auf welche Schwierigkeiten
sind Sie gestoßen und was sind ihre Erfahrungen mit
den deutschen Behörden?
„Ich habe den Irak im Jahre 2000 verlassen, über den Iran,
die Türkei und dann nach Deutschland. Es war eine sehr
schwierige Situation, habe oft im Park geschlafen, in Griechenland, in der Türkei. 2001 hab ich einen Asylantrag in
Deutschland gestellt und ein Jahr später die Ablehnung
vom Verwaltungsgericht Chemnitz erhalten.”
Was sind die Gründe, warum Sie hier nach Deutschland gekommen sind?
„Das sind viele Gründe, wie z. B. die politische Situation und
wegen dem Krieg.“
Wie fühlen Sie sich hier und wie reagieren die Mitmenschen in Plauen auf Sie?
„Ich fühle mich hier sehr schlecht. Ich bin seit 7 Jahren in
Deutschland und darf nicht arbeiten. Ich erstelle immer
wieder Asylantrag, doch erhalte keine Antwort. Ich soll warten, aber wie lange noch? Die meisten Menschen in Plauen
können Ausländer nicht gut leiden. Ich kann nicht sagen,
dass alle Ausländer gute Menschen sind, überall gibt’s sol-
RASSISMUS UND RECHTE GEWALT AUS DER OPFERPERSPEKTIVE
che und solche. In der Straßenbahn hat beispielsweise eine
Frau bemerkt, dass ich Ausländer bin und hat sofort ihre
Tasche fester gehalten, weil sie dachte, ich klaue etwas. Als
mein Urlaubsschein einmal drei Tage ungültig war und die
Polizei mich erwischt hat, sollte ich 350 Euro Strafe zahlen
oder 200 Arbeitsstunden ableisten. Wenn ich das nicht mache, geh ich in den Knast. Dieses Gesetz der „räumlichen
Beschränkung“ habe ich nur in Deutschland gesehen. Aber
das gilt noch nicht mal außerhalb von Plauen, nur eben für
die Stadt. Wenn ich ins nächste Dorf will, bekomme ich eine
Strafe. In die Diskothek dürfen Ausländer nicht rein, das sagen die uns direkt ins Gesicht. Wir wollen keine Probleme
machen, wir denken an unsere Zukunft. In meinem Land
hab ich genug Probleme.“
43
will bei Übergriffen durch Rechtsextreme oft nicht helfen
oder kommt nicht so schnell.“
Sind Sie oder andere, die in diesem Heim leben, schon
einmal Opfer von rechter Gewalt geworden?
„Ja, natürlich. Ich hatte Probleme mit einem rechtsextremen Mann und einer Frau in der Straßenbahn im Juli 2003.
Ich kannte ihn und wusste, dass er ein Rechter war. Er sagte
zu mir: ’Ihr Scheiß-Ausländer, ihr sollt hier raus, ihr nehmt
uns die Arbeit weg und ihr lebt auf unsere Kosten.’ Ich sagte:,
Bitte lass mich in Ruhe, ich will keine Probleme haben.’ Er
hat mit der Schlägerei angefangen und ich hab mich verteidigt, was soll ich machen? Die anderen Menschen in der
Straßenbahn haben nichts getan. Beim Gericht sagen sie
zu mir, wenn es immer zu Problemen kommt, wenn dich jemand beleidigt, dann geh einfach vorbei, oder fragen, warum ich überhaupt draußen umherlaufen muss. Die Polizei
Stell dir vor, das wäre dein Flur.
44
RASSISMUS UND RECHTE GEWALT AUS DER OPFERPERSPEKTIVE
Hier im Heim, gibt es da etwas, was Sie kritisieren würden?
„Ich bin seit 7 Jahren hier. Hatte lange kein eigenes Zimmer,
aber manchmal braucht man Ruhe, manchmal will ich frei
haben, man will etwas lernen. Wenn man lange in diesem
Heim wohnt, dann hat man viele Probleme, von Heimat,
Deutschland und den Gesetzen. Man wird müde und irgendwann kann ich nicht mehr nachdenken.
Hier im Heim sagen sie mir, du sollst in die Schule gehen, das
ist gut für deine Zukunft. Ich frage, wer bezahlt die Fahrkarte
für die Straßenbahn und sie sagen ‚Du sollst das bezahlen,
das ist deine Zukunft’- Aber wie mit zehn Euro im Monat?
Sie sagen, du bist jung, du kannst 6, 7 Haltestellen laufen.
Und im Winter?“
„Wenn ein Ausländer in unsere Heimat kommt, dann
wissen wir, wir müssen Respekt haben.“
Interview mit zwei Punks vom „Tunnel“ in
Plauen, Tim (16) und Max (19).
Welche Erfahrungen hast du mit Neonazis bisher gemacht? Bist du schon einmal angepöbelt oder gar geschlagen worden? Gibt es Freunde, die betroffen waren?
Max: „Ich bin wegen solchen schon mal fast gestorben. Ich
hab nen Baseballschläger übern Kopf gekriegt. Da war ich
knapp 17 Jahre. Ein Freund kam durch Zufall vorbeigelaufen und hat mich in meiner Blutlache bewusstlos liegend
aufgefunden und mich dann zum Krankenhaus geschleppt.
Ne Anzeige hab ich nicht gemacht, weil ich’s nie beweisen
konnte, wer’s war.“
Tim: „Ja, im Bus, nachts halt. Auf die Fresse gab´s auch
schon mal...musst dich halt wehren.“
Passieren diese Vorfälle hier in Plauen öfter und von
wem geht das aus?
Tim: „In letzter Zeit nicht so, aber wenn man sich in bestimmten Gegenden aufhält, wie in bestimmten Diskotheken, dann gibt’s schon mal Stress oder so. Hauptsächlich
geht das von den Faschos aus. Das fängt mit zulappen an
und wenn man nichts zurücksagt, gibt’s was auf die Fresse wenn man was zurücksagt aber auch.“
Wie reagieren Erwachsene, wie z. B. Eltern, Lehrer,
Polizei oder andere Bürger deiner Meinung nach auf
Neonazis und rechte Gewalt, mischen die sich ein?
Max: Eigentlich gar nicht, die gucken halt bloß zu, wenn
jemand am Boden liegt oder rennen weg. Es ist selten, dass
jemand eingreift.
Die Opferberatung
Interview mit AMAL-Sachsen
Wie wichtig die Darstellung und die Verbreitung der Erfahrungen von Opfern rechter und rechtsextremer Gewalttaten sind, zeigt uns auch das Gespräch mit einem Mitarbeiter der ehemaligen Opferberatungsstelle AMAL-Sachsen,
das wir für euch im Folgenden dokumentieren.
Wie kam es dazu, ein Projekt wie AMAL ins Leben zu
rufen und unter welchen Bedingungen habt ihr eure
Arbeit begonnen?
„Im Jahre 2000 startete die rot- grüne Bundesregierung den
RASSISMUS UND RECHTE GEWALT AUS DER OPFERPERSPEKTIVE
Aufruf ‚Aufstand der Anständigen‘. Konkret entstanden viele Programme und Initiativen, die das Engagement gegen
Rechtsextremismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit finanziell besser unterstützen sollten. AMAL konnte somit im
Sommer 2001 seine Arbeit aufnehmen. In dieser Zeit kam es
auch immer wieder zu rechtsextremen Übergriffen, die ein
intensiveres Handeln notwendig machten.“
öffentlichen Darstellung und Wahrnehmung. Besonders
wichtig war die Arbeit vor allem in den ländlichen Regionen
und dort kontinuierlich präsent zu sein. Erst dort konnten
wir das Ausmaß von rassistischen Einstellungen und rechter
Gewalt erkennen und wahrnehmen, wie hoch die Dunkelziffer in diesen Bereichen sein muss.“
Wie arbeitet ihr konkret, welche Tätigkeiten bestimmten eure Arbeit?
„Unsere Arbeit war in drei Hauptbereiche aufgeteilt. Der erste betraf die psychosoziale Ebene. Dabei ging es vor allem
darum, über das traumatisch Erlebte zu sprechen und bei
Bedarf an speziell professionalisierte Stellen zu vermitteln.
Der zweite Bereich beinhaltete die Unterstützung im Strafverfahren. Die Opfer erhielten u. a. Hilfe und Begleitung bei
der Erstattung von Anzeigen bei der Polizei und bei Zeugenaussagen in Gerichtsverfahren. Der dritte Bereich umfasste alles, was der Öffentlichkeitsarbeit zugeordnet werden
kann, wie Pressemitteilungen zu Übergriffen, zum Verlauf
und Ausgang von Hauptverhandlungen oder Aufrufe zur
Auffindung von Zeugen und zu Spenden und Solidarität.“
Wie werden rechte und rechtsextreme Aktivitäten
und Gewalt von der Gesellschaft wahrgenommen?
„Unsere Erfahrung ist, dass die Sensibilität umso höher ist,
je extremer die Vorfälle sind. Fremdenfeindliche und rassistische Fälle, die in einen größeren gesellschaftlichen Hintergrund einzuordnen sind, werden größtenteils, wenn überhaupt, nur als Randnotiz wahrgenommen. So entsteht der
Eindruck, dass das Problem Rechtsextremismus und rechte
Gewalt zum normalen Alltag dazugehört. Grundsätzlich
ist die Wahrnehmung für das Problem Rechtsextremismus
konjunkturbedingt. Das bedeutet, dass die öffentliche Auseinandersetzung mit dem Thema an die Diskussionen und
Entscheidungen auf politischer Machtebene gebunden ist
und wie stark und in welcher Weise das von den Medien
aufgenommen wird.“
Warum ist es wichtig, die Situation und Perspektive
Betroffener in den Mittelpunkt zu stellen?
„Rechtsextremismus äußert sich auch immer gewaltförmig.
Deshalb ist Unterstützung für die Opfer besonders wichtig, denn das prägt auch immer das gesellschaftliche Bild.
Rechtsextremismus ist nicht nur ein individuelles Problem,
sondern betrifft die gesamte Gesellschaft. Deshalb ist konkrete Hilfe für die Opfer auch so wichtig und bedarf einer
Was sind eurer Meinung nach die Gründe dafür, dass
jemand rechte und rechtsextreme Einstellungen entwickelt?
„Da gibt es verschiedene Ansätze, die zu Erklärungen hinzugezogen werden müssen. Zum einen ist die rechte Gewalt nur das ‚Wasser auf den Mühlen‘. Die aktuelle Flüchtlingspolitik spielt diesen Menschen in die Hände. Zum
anderen sehe ich Erklärungen in den aktuellen politischen
45
46
RASSISMUS UND RECHTE GEWALT AUS DER OPFERPERSPEKTIVE
Konzepten, wie der Sicherheitspolitik, die von den etablierten Parteien vertreten werden. Diese Konzepte sind rechte
Konzepte, die die Freiheit der Bürger einschränken. Für den
Staat, für die Gemeinschaft sollen wir unsere individuellen
Persönlichkeitsrechte aufgeben und uns dem Kollektiv unterordnen. Diese rechten Ansätze vertreten die Nazis auch,
eben nur extremer. Rechte Konzepte, wie die Sicherheitspolitik, stellen alle Menschen unter Generalverdacht und bewegen sich weg von Liberalisierung und Individualisierung.
Freiheit wird in diesen Ansätzen nicht als Gewinn gesehen.
Menschen, die dieses Obrigkeits- und Hörigkeitsdenken verinnerlicht haben, haben nur wenig bis gar keine Erfahrung
damit, dass es möglich ist, mit nur ganz wenig Hierarchie
und selbstbestimmt zu leben. Potentiale, die jedoch in vielen gesellschaftlichen Bereichen bestehen, können nicht
freigesetzt werden und unterliegen einer starken Kontrolle.
Vielen Menschen fehlen also die Erfahrung und der Mut, ihr
Leben sozial, politisch und wirtschaftlich selbst zu regeln.
Nazis können hier anknüpfen. Sie liefern einfache Weltbilder, die eben für die Mehrheit der Bevölkerung einfach zu
verstehen sind. Doch die Welt ist nicht einfach, sondern sehr
komplex.“
Wie würdet ihr die aktuelle Situation der Flüchtlinge
in Deutschland beschreiben?
„Die Lage für die Menschen in den Flüchtlingsheimen ist
eher ernüchternd. Die Zahlen der Asylsuchenden sind in
den letzten Jahren aufgrund der derzeitigen Flüchtlingspolitik gesunken. Was für die Flüchtlinge getan wird, ist
miserabel. Neben ihrem ungeklärten Aufenthaltsstatus, der
fehlenden Perspektive, kommen zusätzlich physische und
psychische Gewalterfahrungen an den Grenzen und in den
Ankunftsländern dazu. Sie spüren jeden Tag, dass sie hier
nicht willkommen sind. Dies zeigt sich auch in Umfragen zu
den Einstellungen gegenüber Menschen anderer Herkunft.
In unserer Arbeit, vor allem in den ländlichen Regionen, haben wir erst einmal das krasse Ausmaß erkennen müssen.
Mit einer anderen Herkunft fällst du dort gnadenlos auf. Je
geringer der Ausländeranteil in einer Region ist, so unsere
Erfahrung, desto weniger ist die Gesellschaft dort offen für
die Integration dieser Menschen. Das hängt mit der wenigen Erfahrung zusammen. Wenn ich nur ganz wenige Ausländer oder sogar überhaupt keine kenne, dann kann ich
auch keine positiven Erfahrungen machen und bin mehr für
negative Vorurteile anfällig.“
Wie sieht die aktuelle Situation für AMAL aus?
„Sehr schlecht. Denn im Sommer 2007 wurde uns von der
Staatskanzlei nahe gelegt, wir sollen unsere Strukturen so
ändern, dass Gelder eingespart werden können. Der Antrag
für eine weitere Förderung wurde abgelehnt. Das bedeutet
ab dem Jahre 2008 das Aus für AMAL bzw. für die Professionalität unserer Arbeit. Nun sind wir dabei, noch offene Fälle abzuschließen, uns bei den Menschen zu verabschieden
und unsere Strukturen aufzulösen. Für die Zukunft bedeutet
das den Einbruch für die Opferarbeit im ländlichen Raum.
Zukünftige Statistiken zu rechtsextremen Vorfällen und Gewalttaten werden zwangsläufig zurückgehen, da die Ressourcen für eine intensive Recherchearbeit und die Betreuung der Opfer nicht ausreichen. Ehrenamtliche Arbeit kann
dies alles nicht ausgleichen. Ein Projekt wie AMAL nicht
weiter zu unterstützen, ist auch immer an die Beschlüsse
RASSISMUS UND RECHTE GEWALT AUS DER OPFERPERSPEKTIVE
politischer Entscheidungsträger, wie die der aktuellen Landesregierung, gebunden.“
Was möchtet ihr jungen Leuten zu der Problematik der
Opfer rechter Gewalttaten mit auf den Weg geben?
„Jugendliche können selbst helfen und erfahren auch Unterstützung und Solidarisierung. Wichtig ist zu merken, dass
niemand mit dem erlebten Unrecht allein gelassen wird.
47
Stellt euch als Zeugen zur Verfügung oder erstattet Anzeige, wenn ihr etwas beobachtet. Positive Veränderungen in
der Gesellschaft hängen davon ab, wie sehr sich jeder einzelne und zusammen in einer Gruppe engagiert. Das heißt
also, nicht nur meckern, sondern es besser zu machen und
mit anzupacken. Auch wenn´s zunächst nur unzureichend
wirkt, solltet ihr euch auf gar keinen Fall zurückfallen lassen.“
mit freundlicher Genehmigung
von TOM
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ALLGEMEINE HANDLUNGSHINWEISE UND GEGENSTRATEGIEN
was kannst du tun?
Allgemeine Handlungshinweise und Gegenstrategien
Anlaufstellen
Opferhilfe Sachsen e.V.
Äußere Reichenbacher Str. 3
08529 Plauen
Tel.: 03741 300 64 99
[email protected]
www.opferhilfe-sachsen.de
AMAL - Hilfe für Betroffene
rechter Gewalt
Bautzener Str. 20
02826 Görlitz
Tel.: 03581 878 583
[email protected]
www.amal-sachsen.de
(Derzeit ist AMAL stark von
Spenden abhängig, da die Förderung durch den Freistaat
Sachsen trotz positiver Ergebnisse eingestellt wurde)
Jede_r einzelne trägt eine große Verantwortung, wenn es
um den Umgang mit der extremen Rechten geht. Im Alltag
gibt es verschiedene Möglichkeiten, sich mit diesem Thema theoretisch sowie praktisch auseinander zu setzen. Wir
möchten im Teil „Gegenstrategien“ darüber informieren,
was man als Einzelperson oder als Gruppe gegen rechtsextreme Erscheinungen tun kann und wie ihr vorbeugend
rechtsextremes Gedankengut eindämmen könnt. Dafür
haben wir viele Vorschläge und Anregungen verarbeitet,
die ihr uns selbst in Interviews gegeben habt.
Stell dir vor, du sitzt im Bus. Neonazis kommen auf
dich zu und während du den ersten schmerzhaften
Fausthieb im Gesicht spürst, bleibt es still. Keiner tut
auch nur irgendetwas...
„Es klatscht gleich ...“ - Was tun bei Angriffen?
Wenn ihr beobachtet, wie eine oder mehrere Personen
von Einzelnen oder einer Gruppe bedroht, belästigt oder
angegriffen werden, schaut nicht weg. Schätzt ab, inwieweit ihr bereit seid, euch selbst mit einzumischen oder in
Gefahr zu bringen. Seid nicht allzu leichtsinnig! Ruft die
Polizei! Schildert möglichst genau den Vorgang, fordert
Hilfe an und erstattet Anzeige. Versucht euch so gut es
geht die Täter einzuprägen. Das ist wichtig, wenn ihr später vielleicht eine Personenbeschreibung machen müsst.
Lasst euch den Namen des diensthabenden Beamten nennen, falls es im Nachhinein Probleme geben sollte. Sprecht
andere Passant_innen direkt an. Sie können helfen und
später noch wichtige Zeugen sein. Zeigt den Opfern, dass
ihr bereit seid zu helfen. Ein sofortiges, couragiertes Eingreifen kann vielleicht schlimmeres verhindern. Solltet
ihr selbst Opfer eines Angriffs geworden sein, sprecht mit
euren Eltern und Freunden darüber. Geht zur Polizei und
erstattet Anzeige. Beschreibt die Täter so genau wie möglich und besteht darauf, dass eurer Anzeige nachgegangen wird.
Anzeige erstatten? „Da hab ich kein Vertrauen. Die
helfen mir ja doch nicht, weil ich nicht beweisen kann,
wer’s war oder sagen noch gegen mich aus“. (Jugendlicher aus Plauen)
Findet ihr in eurer Familie oder im Freundes- und Bekanntenkreis keine Vertrauensperson, könnt ihr euch an
eine Beratungsstelle, wie die Opferhilfe Sachsen e.V. oder
AMAL e.V. wenden. Dort wird dir garantiert geholfen und
wenn ihr wollt, werdet ihr dort auch anonym betreut. Diese Beratungsstellen vermitteln bei Bedarf auch rechtliche
Hilfe. Scheut euch also nicht, diese Angebote zu nutzen.
Neben dieser Form des Aktivwerdens gibt es noch viele
andere Möglichkeiten, die wir mit eurer Hilfe zusammengefasst haben.
ALLGEMEINE HANDLUNGSHINWEISE UND GEGENSTRATEGIEN
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Verweise
Politik muss interessanter werden!
„Politik, das ist langweilig, trocken, nur rumsitzen, es
gibt keine Ergebnisse.“
Diese und ähnliche Antworten hörten wir häufiger in Gesprächen mit Jugendlichen über die bisher praktizierte
Politik der Erwachsenenwelt. Wichtig ist, dass Jugendliche
selbst die Möglichkeit bekommen müssen, an Politik teilzunehmen, um das Bewusstsein für politische Diskussionen und Entscheidungsfindungen zu stärken. Was fehlt,
sind Alternativen zum bisherigen etablierten politischen
Handeln. Politik für Kinder und Jugendliche sollte daher
direkt, lebensnah und interessant sein. Die Einrichtungen
von Jugendparlamenten, in denen Jugendliche gleichberechtigt zu Erwachsenen aktiv und direkt an der Politik
in ihrer eigenen Stadt mitentscheiden können, ist enorm
wichtig, um junge Menschen für dieses scheinbar trockene Themenfeld zu interessieren und zu gewinnen.
Die Verantwortung der Familie
Zum Geburtstag?
Das neue Thor Steinar-Shirt sponsored by Mutti!
Eltern sollten öfter und gewissenhafter hinsehen, was ihre
Kinder in ihrer Freizeit unternehmen, mit wem sie unterwegs sind und was sie für Klamotten tragen. Eltern sind
nicht gleich uncool, nur weil sie mal eine Frage stellen.
Vielleicht habt ihr auch Geschwister, die plötzlich auf Thor
Steinar stehen oder die neueste Hatecore-Scheibe von
ihren Kumpels ausgeliehen haben. Ein Gespräch darüber
tut erstmal keinem weh und vielleicht wissen mache gar
nicht, was sie da auf einmal anhaben und -hören. In dem
Fall ist es wichtig, darüber zu informieren und darüber zu
reden. Wenn ihr merkt, dass doch mehr dahintersteckt
als reine Unwissenheit, zeigt ihnen diese Broschüre oder
schaut euch zusammen mal einen Film an. Redet offen
über Rassismus, Nationalsozialismus und Antisemitismus
und zeigt auf, dass sowas alles andere als cool ist.
„Viele schauen einfach nur weg. Eltern sollten drauf
schauen, mit wem ihre Kinder verkehren bzw. aus
welchen Gründen die solche Meinung haben. Vielen
Eltern ist es egal, was ihre Kinder machen, dass sie auf
ein rechtes Konzi gehen. Vielleicht haben die selbst
auch so eine Meinung.“ (Schülerin aus Reichenbach)
Laut gegen Nazis und rassistische Politik
Demonstrationen sind ein gutes Mittel, um auf Problemlagen aufmerksam zu machen und den Handlungsdruck auf
die politisch Verantwortlichen, aber genauso auch auf alle
anderen Mitglieder in der Gesellschaft, zu erhöhen. Ein Jugendlicher hat dies so formuliert:
„Ich versuch wirklich überall hinzugehen, auf jede
Demo, die hier oder in der Nähe stattfindet. Ich trags
öffentlich heraus, dass ich gegen die Faschos bin. Das
ist Bürgerpflicht, auf jede Demo zu gehen. Bei ner
Demo von Nazis wärs cool, wenn alle Läden dicht machen würden, keiner auf der Straße wäre und keiner
denen zuhört.“ (Jugendlicher aus Plauen)
Opferberatung
www.raa-sachsen.de
Tolerantes Sachsen
www.tolerantes-sachsen.de
Mobile Jugendarbeit Plauen
www.mja-plauen.de
Literatur
Zerger:
Was ist Rassismus?
Lamuv Verlag Göttingen 1997
White Noise - Rechts-Rock,
Skinhead-Musik, Blood&Honour
Einblicke in die internationale Neonazi-Musik-Szene
Unrast Verlag Münster 2004
Dornbusch:
RechtsRock - Bestandsaufnahme und Gegenstrategien
Unrast Verlag Münster 2002
Röpke, Speit:
Braune Kameradschaften:
die militanten Neonazis im
Schatten der NPD
Links Berlin 2005
50
ALLGEMEINE HANDLUNGSHINWEISE UND
GEGENSTRATEGIEN
Literatur
Staud:
Moderne Nazis: Die Neuen Rechten und der Aufstieg der NPD
Kiepenheuer & Witsch Köln 2006
Gloel:
Gegen Rechts argumentieren
lernen
VSA Verlag Berlin 2005
Boyrali, Koray:
Rechtsextremismus im Internet
Grin Verlag München 2007
Glaser, Pfeiffer:
Erlebniswelt Rechtsextremismus: Menschenverachtung mit
Unterhaltungswert. Hintergründe - Methoden - Praxis der
Prävention
Wochenschau Verlag 2007
Jugendbegegnungsstätte Anne
Frank:
Rechtsextremismus - was heißt
das eigentlich heute?
Frankfurt am Main 2003
Viele Vereine und Organisationen engagieren sich offen
gegen Rechtsextremismus. Dort mitmachen und sie unterstützen kann jede_r. Die Leute freuen sich über jedes
neue Gesicht, was sie in ihrer Arbeit gegen Rechtsextreme
unterstützt.
Den Menschen Freiräume lassen,
Alternativkulturen fördern!
Wie bereits zu Beginn der Broschüre beschrieben wurde,
sind Neonazis dort besonders erfolgreich, wo es keine
andere Lebenskultur als ihre gibt oder durch Einschüchterung und Gewalt am Existieren gehindert wird. Aber auch
von Seiten des Staates werden Freiräume durch Privatisierung öffentlicher Bereiche zunehmend für individuelles
und kollektives Handeln eingeschränkt. Dies macht politisches und gesellschaftlich öffentliches Handeln zunehmend unmöglich. Verstärkt wird dies durch polizeiliche
Repression, die kritische Meinungsbildung und engagiertes und aktive Handeln gegen strukturellen Rassismus
und rechte Ideologie behindert. Die Erfahrung eines Jugendlichen soll hierbei nur ein Beispiel sein:
„Bei der letzten Demo vor zwei Monaten war ich
knappe zwei Minuten und schon hat man Handschellen dran gehabt, nur weil wir unsere Meinung gesagt
haben. Ich hab hier in Plauen keinen Freiraum mehr,
den haste nirgendswo mehr. Freiräume braucht jeder
Mensch zum Leben.“ (Jugendliche aus Plauen)
Wichtig ist, dass diese Freiräume und Alternativen vor
allem von euch selbst und eurem Engagement leben.
Probiert euch aus, entwickelt Ideen. Sucht euch Leute,
die Bock haben mitzumachen und Erwachsene, die euch
dabei unterstützen. Wartet nicht darauf, dass ihr alles präsentiert bekommt, macht euch unabhängig und werdet
selbst aktiv.
ALLGEMEINE HANDLUNGSHINWEISE UND GEGENSTRATEGIEN
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mit Demos gegen Nazis rocken
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ALLGEMEINE HANDLUNGSHINWEISE
was dagegen!
Argumentationshilfen gegen typisch rechte Parolen
Hier findest du nun einen Überblick über fünf typische
rechte Parolen. Falls du im Unterricht oder in deiner Freizeit damit konfrontiert wirst, haben wir dir Fakten zusammengestellt, wie man diese Parolen widerlegen kann.
Die Statistiken begreifen Ausländer_innen als Menschen,
die in Deutschland wohnen, aber nicht die deutsche
Staatsbürgerschaft besitzen.
1. Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze weg!
In den neuen Bundesländern liegt der Ausländer_innenanteil in der Bevölkerung zwischen 1,7% und 2,4%, in den alten
Bundesländern zwischen 5,5% und 15,4%.
Im Vergleich dazu liegt der Ausländer_innenanteil in den
Niederlanden bei 4,33% (2003). Das ist nahezu doppelt so
viel wie bei uns im Osten. Dabei herrscht in den Niederlanden beinahe Vollbeschäftigung.
Ausländer_innen gehören zu den ersten Opfern von Entlassungen. Die Arbeitslosenquote bei Ausländer_innen war im
Jahr 2000 mit 19,2% doppelt so hoch wie die der Gesamtbevölkerung (9,9%).
Ausländer_innen nehmen zum Großteil Arbeiten an, die
Deutsche nicht übernehmen wollen. Das sind zum Beispiel
schmutzige, gefährliche, körperlich belastende Arbeiten.
Ausländer_innen benötigen nicht nur Arbeitsplätze, sie
schaffen auch welche durch ihren täglichen Konsum und dadurch, dass sie zum Teil auch selber Menschen beschäftigen.
„Ausländer raus!“? Die Folge wäre der Zusammenbruch
der deutschen Wirtschaft, von der menschlichen Katastrophe gar nicht zu reden. Allein die türkischen Dönerbuden
machen in Deutschland mehr Umsatz als McDonald´s.
2. Wenn das so weitergeht mit den Ausländern, sind
wir bald in der Minderheit - und das in unserem eigenen Land!
Seit 1995 haben wir einen nahezu identischen Anteil an
Ausländer_innen in Deutschland. 8,9% der Bevölkerung
sind Ausländer_innen. Das sind 7,3 Millionen Menschen.
Jeder fünfte von ihnen ist in Deutschland geboren. Die
Hälfte der 7,3 Millionen lebt seit mehr als zehn Jahren hier,
jeder dritte mehr als 20 Jahre. Diese Menschen sind keine
Ausländer_innen mehr. Sie sind hier zu Hause!
3. Die meisten Ausländer kommen nur hierher, um
sich auf Kosten der Allgemeinheit ein schönes Leben
zu machen. Sie rühren keinen Finger und die deutschen Steuerzahler müssen sie durchfüttern.
Asylbewerber_innen werden in äußerst dürftig ausgestatteten Unterkünften untergebracht. Sie haben im ersten Jahr ein Arbeitsverbot und somit keine Chance Geld
zu verdienen, das sie eigentlich dringend benötigen. Nicht
wenigen von ihnen ist die Arbeit generell untersagt.
ALLGEMEINE HANDLUNGSHINWEISE
Durch eine gesetzliche Festlegung (Vorrangregelung)
müssen Arbeitsplätze zuerst mit Deutschen besetzt werden.
Die Unterstützung von staatlicher Seite für Asylbewerber_innen (225 €/Monat) liegt unter dem errechneten
Existenzminimum der Deutschen (287 €/Monat). Dieses
Geld wird auch nicht voll ausgezahlt, sondern in Form von
Einkaufsgutscheinen für festgelegte Läden oder gleich in
Form von Lebensmitteln ausgezahlt.
Ausgaben für Asylbewerber_innen im Jahr 2000: 1,86 Mrd.
Euro. Ausgaben für 73 Militärtransporter im Jahr 2000: 8,6
Mrd. Euro.
53
5. Staat und Politik reden den Deutschen Schuld für
nicht begangene Verbrechen ein. Nach 50 Jahren muss
endlich einmal Gras über die Sache gewachsen sein.
Je weniger man darüber weiß, desto größer ist die Gefahr,
dass rassistisches Gedankengut sich wieder verbreitet. Es
geht nicht darum, denjenigen, die später geboren worden
sind, die Schuld an der Vergangenheit zuzuweisen. Sie
sind aber verantwortlich für die Gegenwart und die Zukunft. Wir haben die Verantwortung dafür, dass so etwas
nie wieder passiert.
4. Ausländer führen sich hier auf, als ob sie zu Hause
wären. Sie haben gar kein Interesse sich anzupassen.
Integration wird in der Gesellschaft verschieden aufgefasst. Für manche bedeutet Integration das Akzeptieren
und Einhalten der im Land geltenden Gesetze. Für andere
bedeutet Integration, dass ein Ausländer seine Identität
und kulturelle Gewohnheiten ablegen soll um sich dem
deutschen Leitbild anzupassen. Integration in dem Sinne,
dass viele Kulturen zusammenleben, bedeutet Bereicherung, Erneuerung, Vielfalt, Veränderung, etwas Positives.
Der größte Teil der Ausländer_innen ist hier zu Hause (Siehe 2.). Aber heißt das, dass sie ihre kulturellen Gepflogenheiten ablegen müssen? Nein! Nach dem Grundgesetz hat
jeder das Recht auf freie Entfaltung, das heißt man kann
so leben, wie man leben will, innerhalb der gesetzlichen
Grenzen.
Foto:
Pro Asyl
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WAS KANNST DU AN DEINER SCHULE TUN?
move your ass
Was kannst du an deiner Schule tun?
„Gegen Rechtsextremismus und Rassismus stark machen? Ja, wichtig ist das schon, aber eigentlich macht’s
fast niemand.“ (Schüler einer Mittelschule in Plauen)
Warum macht es fast niemand? Liegt es vielleicht daran, dass viele sich gar nicht dessen bewusst sind, dass
sie auch als Einzelperson viel bewirken können?
Keine Chance für Schulhof-CD, Schülerzeitung „Perplex“ und Nazi-Sticker!
Die NPD, die Jungen Nationaldemokraten und unabhängige rechtsextreme Gruppen schlafen nicht. Sie starten
immer wieder gezielte Propagandaaktionen. Sie agieren
bewusst vor allem an Schulen und in Jugendclubs, um
gerade junge Menschen von ihrem Gedankengut zu überzeugen. Du kannst es ihnen schwer machen, mit ihren Methoden zu punkten. Die Verteilung der Schulhof-CD, der
Schülerzeitung „Perplex“ sowie Parteienwerbung an (sächsischen) Schulen ist verboten. Macht eure Direktor_in, deine Lehrer_in und Mitschüler_in darauf aufmerksam, wenn
ihr etwas beobachtet. Sollten auf eure Hinweise keine Reaktionen folgen, handelt ihr am besten selbst. Schnappt
euch das ausgelegte Material und werft es in die nächste
Mülltonne. Kratzt Sticker und Spuckis ab und schmeißt sie
weg. Sollten einige eurer Mitschüler_innen oder ihr selbst
aus Neugier doch das eine oder andere einstecken, dann
tut euch zusammen. Lest und hört gemeinsam die Inhalte
und setzt euch kritisch mit ihnen auseinander. Über viele
der Bands, die auf dem Schulhof-Sampler zu hören sind,
findet ihr Infos im Internet (z. B. bei www.turnitdown.de).
Ihre Texte sind voll mit rechtsextremen und rassistischen
Slogans. Werdet kreativ! An einer Berufsschule in Plauen
wurde eine „braune Tonne“ aufgestellt, um den rechtsextremen Mist zu entsorgen. Wenn ihr selbst eine Schülerzeitung an eurer Schule habt, schreibt Leserbriefe oder Artikel, in denen ihr eure Meinung sagt. Hier könnt ihr auch
öffentlich machen, wenn die Schulleitung oder eure Lehrer_innen nicht auf eure Hinweise reagiert haben. Beim
nächsten Mal sieht es dann vielleicht schon ganz anders
aus.
Geschichte und Gemeinschaftskunde aber bitte interessant!
„Was es geben müsste, sind mehr Informationsreisen,
bessere Auswertungen, mehr Filme. Der Unterricht
wirkt derzeit wie eine Sache, die abgehakt werden
muss.“ (Schüler aus Plauen)
Fordert von euren Lehrern ein, Themen wie Nationalsozialismus, Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit im Unterricht nicht einfach nur abzuhaken, sondern
tiefgründig und regelmäßig zu behandeln. Neben Geschichte bietet sich das Fach Gemeinschaftskunde dafür
WAS KANNST DU AN DEINER SCHULE TUN?
an, da der Lehrplan Themen wie Demokratie und Toleranz
vorsieht und relativ offen gehalten ist. Hier könnt ihr euch
selbst aktiv mit in die Unterrichtsgestaltung einbringen
oder euch Leute von außerhalb dazu holen, die mal einen
Vortrag halten oder einen Workshop mit euch durchführen.
Außerhalb der Schule könnt ihr selber Gruppen oder Projekte bilden, die sich verschiedenartig engagieren. Eure
Eltern oder Betreuer in den Jugendclubs können euch
auch hier hilfreich zur Seite stehen, wenn ihr das wollt.
No Nazis - No Problem oder Was nicht
ist, kann ja noch werden.
In einigen Schulen gibt es vielleicht gar keine offensichtlichen Probleme mit rechtsextremem Gedankengut oder
Werbeaktionen der extremen Rechten. Nichtsdestotrotz
ist es enorm wichtig, sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen. Niemand ist immun gegen äußere Einflüsse. Je
weniger ich etwas über ein Thema weiß, desto leichter ist
es mich davon zu überzeugen, dass eine Sache gut ist. Es
schadet nicht, sich auch ohne konkreten Anlass über Themen wie Rassismus, Fremdenfeindlichkeit oder Rechtsextremismus zu informieren. Im Fernsehen und in der Presse
wird oft von Vorfällen berichtet, über die es sich zu diskutieren lohnt. Sucht euch Themen aus, die euch interessieren. Es muss auch nicht immer nur das Thema Rechtsextremismus sein. Redet über Globalisierung oder über
die EU, diskutiert über die neue Sicherheitspolitik oder
ein positives Thema wie Frieden. Fragt eure Lehrer oder
Eltern, wenn ihr etwas nicht versteht, oder informiert euch
im Internet. Wenn ihr nicht weiterkommt, wendet euch an
externe Projekte, Vereine und Organisationen. Viele sind
immer gern dazu bereit, euren Unterricht mit Vorträgen
und Workshops spannend zu gestalten.
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PROJEKTE GEGEN RECHTSEXTREMISMUS
die tun was
Projekte gegen Rechtsextremismus
LOK - Lokaler Aktionsplan Plauen
Das Bundesfamilienministerium hat 2007 das Programm „Vielfalt tut gut – Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie“
gestartet. Dieses Programm vergibt pro Jahr 100.000 € an ausgewählte Kommunen, welche diese Mittel an Projekte
weitergeben können, die sich für Vielfalt, Toleranz und Demokratie sowie gegen Rechtsextremismus, Rassismus und
Antisemitismus engagieren. Plauen und das Vogtland sind gemeinsam ein solches Fördergebiet.
Lokaler Aktionsplan
Anfragen können an
[email protected]
gerichtet werden.
Jugendparlament Plauen
Zimmer 115a im Rathaus
Unterer Graben 1
08523 Plauen
Tel.: 03741 291 10 22
Fax: 03741 291 31 0 22
Sprechzeit jeden Donnerstag
von 15 bis 17 Uhr
[email protected]
www.dasjupp.de
Der lokale Aktionsplan, der für dieses Fördergebiet erstellt wurde, hat sich drei Ziele gesetzt:
1. In unseren Kindergärten, Schulen, Jugendvereinen und Jugendverbänden soll ein Klima sozialer, religiöser und ethnischer Vielfalt herrschen und es soll präventiv und aktiv gegen rechtsextreme, fremdenfeindliche und antisemitische
Tendenzen vorgegangen werden.
2. Die Bürgerinnen und Bürger sollen über die Erscheinungsformen und Strukturen des Rechtsextremismus aufgeklärt
sein und die Hilfe für die Opfer rechter Gewalt soll gestärkt werden.
3. Zivilcouragierte Handlungsweisen und ein ausgeprägtes Demokratieverständnis sollen im Fördergebiet allgemein
praktiziert und unterstützt werden.
JUPP - Jugendparlament Plauen
Das Jugendparlament Plauen versteht sich als Vertretung der Kinder und Jugendlichen der Stadt Plauen und bearbeitet kommunalpolitische Themen. Momentan besteht das Jupp aus 18 Abgeordneten und mehreren Beratern und
wird alle zwei Jahre von den Plauener Jugendlichen gewählt. Im Stadtrat verteidigt das JUPP die Meinungen der Jugendlichen in Plauen und hilft den Jugendlichen in politischen und verwaltungstechnischen Fragen und Problemen.
Zu den bisherigen Aktionen zählten unter anderem eine Demonstration gegen Rechtsextremismus sowie ein Antirassismus-Workshop. Weiterhin führte das JUPP eine Podiumsdiskussion zum Thema Bildungspolitik durch und war Veranstalter einer Bildungsmesse, die Jugendliche über mögliche Bildungswege informierte. Das JUPP bietet Jugendlichen aus
Plauen die Möglichkeit, sich politisch zu engagieren und an politischen Entscheidungen als Berater mitzuwirken.
PROJEKTE GEGEN RECHTSEXTREMISMUS
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APABIZ – Antifaschistisches Pressearchiv und Bildungszentrum Berlin e. V.
Der APABIZ e. V. betreut ein Archiv, das eines der größten dieser Art in der BRD ist. Es verfügt über rechte Publikationen, Videos, CD‘s etc. Diese Primärquellen werden ergänzt durch eine Datenbank, in der Presseveröffentlichungen seit
Anfang der 90er Jahre erfasst sind, eine umfangreiche Präsenzbibliothek sowie antifaschistische Publikationen aus der
gesamten BRD, Europa und den USA.
Die Mitarbeiter_innen des APABIZ beobachten seit Jahren die Entwicklungen rechtsextremer Parteien und Organisationen, der militanten Neonazis, der rechtsextremen und neonazistischen Medien und vor allem der Einflussnahme auf
verschiedene Spektren der Jugendkultur wie zum Beispiel im Bereich der Skinheadszene oder des Dark Wave. Derzeit
umfasst das Bildungsangebot ca. 50 Vorträge und Seminare aus den Bereichen Judentum und Antisemitismus, Frauen
und Mädchen im Rechtsextremismus, Neue Rechte, Burschenschaften, Esoterik und Heidentum, Rechtsextreme Publizistik, Internet, Vertriebenenverbände, Jugendsubkulturen, Rassismus sowie Praxistipps. Die meisten Vorträge sind dabei
sowohl als Abendveranstaltungen oder als Tages- und Wochenendseminar ausgelegt. Das APABIZ bietet darüberhinaus
spezielle Gruppenseminare, Workshops in Schulen, Vortragsreihen oder Wochenseminare an.
Antifaschistisches Pressearchiv und Bildungszentrum
Berlin e. V. (APABIZ)
Lausitzerstr. 10
10999 Berlin
Tel. & Fax: 030 61 16 24 9
[email protected]
www.apabiz.de
Selbstverwaltetes Projekt Schuldenberg
Ein alternatives Kultur- und Wohnprojekt in Plauen, das durch das ehrenamtliche Engagement der Bewohner_innen
und Unterstützer_innen seit 1994 besteht. Der gemeinnützige Trägerverein Querdenker e. V. verwaltet das Projekt in
der Thiergartner Straße 4 seit sechs Jahren. Neben dem Angebot des alternativen Wohnraums bietet das Projekt unter
anderem die Nutzung von Proberäumen, Veranstaltungsräumen, einer Gaststätte sowie Werkstätten an. Ein wichtiges
Anliegen ist es, Informationen zu den Themen Rassismus, Rechtsextremismus und Antifaschismus sowie Globalisierung
und Militarismus öffentlich zugänglich zu machen. Neben Broschüren, Büchern und Zeitschriften bietet es auch einen
kostenlosen Internetzugang im eigenen Infoladen an.
Schuldenberg Plauen
mehr Infos unter
www.projekt-schuldenberg.de
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EIN AUSBLICK
mfg
Ein Ausblick
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit, die du dieser „öffentlichen Warnung“ geschenkt hast, es sei denn du gehörst
zu den Leser_innen, die Magazine immer von hinten anfangen. In der Broschüre ging es uns darum aufzuzeigen,
dass jede_r von den Problemen, die aus Diskriminierung
und Rechtsextremismus hervorgehen, betroffen ist.
Dort, wo die Präsenz von Nazis und Nazigewalt schon in
Angsträumen und No-Go-Areas gipfelt, ist es sehr schwer,
allein etwas gegen dieses Problem zu unternehmen. Umso
wichtiger ist es, sich mit anderen Menschen zu verständigen und gemeinsam aktiv zu werden. Dort wo weniger
Angst herrscht, können die Leute dafür arbeiten, die zu
unterstützen, die vor Ort große Probleme haben.
Wissen bekämpft Vorurteile und Rassismus und ist Grundlage für das Verständnis z. B. von Migration. Lest verschiedene Zeitungen, recherchiert im Internet, hört euch internationales Webradio an, um euch über das zu informieren,
was in der Welt vor sich geht. Macht euch mit unterschiedlichen Meinungen vertraut. www.freie-radios.net und
www.bbc.co.uk sind z. B. gute Quellen.
Nazigewalt ist nur vor dem Hintergrund von gesellschaftlichen Strukturen zu erklären, die selbst Ausgrenzung
erzeugen und fördern. Die Existenz von Nazis ist kein Jugendproblem und nicht nur ein Gewaltproblem, sondern
ein gesellschaftliches Problem. Nicht nur von Nazis geht
gesellschaftliche Diskriminierung aus. Eine bedeutende
Rolle für das Naziproblem spielt die Partei NPD, in deren
Strategie sich viele diskriminierende und antidemokratische Tendenzen bündeln.
Wichtig ist es hinzusehen und hinzuhören, was Leute sagen oder was auf ihren T-Shirts steht. Dazu war die Darstellung subkultureller Nazicodes in diesem Heft gedacht.
Hakt überall da ein, wo sich Menschen diskriminierend und
verächtlich über andere äußern. Weckt auch bei anderen
die Neugier für unser Leben, indem ihr gemeinsam Lesungen, Konzerte, Diskussionen organisiert, Euch regelmäßig
trefft um kritische Filme anzusehen und zu diskutieren. Es
gibt viele Gruppen, die ihr dazu einladen könnt einmal in
Eurer Schule oder im Jugendzentrum Vorträge zu halten.
Unsere Website www.public-warning.de kann Euch helfen, weitere Tipps und Kontakte zu bekommen.
„Bevor wir fall‘n, fall’n wir lieber auf.“
IM P R ES S U M
Herausgeber
Hasek e.V. Chemnitz
Joachim Lass (V.i.S.d.P.)
Redaktion & Gestaltung
Hasek e.V. Chemnitz
Druck
Papier Grimm GmbH, Syrauer Straße 5, 08525 Plauen
1. Auflage 2008
20.000 Stück
Diese Broschüre wurde erarbeitet als
Projekt des Hasek e.V. Chemnitz in Zusammenarbeit mit :
Stadt Plauen, Lokaler Aktionsplan (LAP)
Amal Sachsen
Mobile Jugendarbeit Plauen
Jugendparlament Plauen
Hufeland-Mittelschule Plauen
Gefördert im Rahmen des Bundesprogramms
»VIELFALT TUT GUT. Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie«