BA PHILOSOPHIE - Informationsmittel für Bibliotheken

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BA PHILOSOPHIE - Informationsmittel für Bibliotheken
BA
PHILOSOPHIE; WELTANSCHAUUNG
Ikonographie der Philosophie
09-1/2
Bilder der Philosophie / Lucien Braun. Hrsg. von Ralf Konersmann. Aus dem Franz. von Claudia Brede-Konersmann. Darmstadt : Wissenschaftliche Buchgesellschaft, [Abt. Verlag],
2009. - 200 S. : Ill. ; 25 cm. - Einheitssacht.: Iconographie et
philosophie <dt.>. - Text gekürzt. - ISBN 978-3-534-21505-8 :
EUR 39.90
[#0752]
Visualität und Visualisierung haben Konjunktur. Bildwissenschaft ist en
vogue, und das mit einigem Recht.1 Es handelt sich dabei sicher nicht nur
um eine Mode, denn die Bedeutung der Bildlichkeit auch in jenen Kontexten, in denen man sie nicht ohne weiteres vermutet hätte, bekommt immer
schärfere Konturen. Eine jüngere Studie zu Descartes beispielsweise zeigt
gut, welche Bedeutung Bildern im Kontext der Descartes'schen Philosophie
zukommt und welche Ästhetik damit verbunden war.2 Nun gibt es aber ganz
unterschiedliche Bilder, die mit Philosophie im weitesten Sinne zu tun haben, nicht nur Illustrationen in philosophischen Werken oder Titelkupfer oder
ähnliche Dinge, die als Teil eines philosophischen Bildprogramm gedeutet
werden könnten. Es gibt auch zahlreiche Gemälde oder Darstellungen, die
z.T. erfundene Anekdoten über Philosophen wie Aristoteles bebildern. In
diesen Fällen mag es sich um Bilder der Philosophie handeln, für die Philosophie selbst bleibt derlei aber notwendigerweise äußerlich. Ein Buch über
Bilder der Philosophie und der Philosophen, die das "ikonographische Feld"
der Philosophie darstellt, ist so auf jeden Fall ein Gewinn. Es ist daher erfreulich, daß die Wissenschaftliche Buchgesellschaft eine wenn auch gekürzte deutsche Fassung des französischen Originals von Lucien Braun,
emeritierter Professor der Philosophie in Straßburg, vorgelegt hat. Damit
verbindet sich ein Ansatz der Philosophie, der auf die unumgängliche Präsenz auch von Sprachbildern und Metaphern in der Philosophie hinweist,
wie Braun ausdrücklich sagt.3 (Dieser Ansatz, der die Bildlichkeit auch in der
1
Ordnungen der Bilder : eine Einführung in die Bildwissenschaft / Martin Schulz.
- 2., überarb. und erw. Ausg. - München ; Paderborn : Fink, 2009. - 221 S. : Ill. ; 22
cm. - ISBN 978-3-7705-4206-2 : EUR 29.90 [#0842]. - Rez. in IFB:
http://ifb.bsz-bw.de/bsz307264963rez.htm
2
Theatrum philosophicum : Descartes und die Rolle ästhetischer Formen in der
Wissenschaft / Claus Zittel. - Berlin : Akademie-Verlag, 2009. - 431 S. : Ill. ; 25 cm.
- (Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel ; 22). - Zugl.: Frankfurt (Main),
Univ., Habil.-Schr., 2009. - ISBN 978-3-05-004050-9 : EUR 69.80 [#0741]. - Rez.
in IFB: http://ifb.bsz-bw.de/bsz26254167Xrez.htm
3
Siehe neuerdings auch Begriffe, Metaphern und Imaginationen in Philosophie und Wissenschaftsgeschichte / hrsg. von Lutz Danneberg ... - Wiesbaden :
Sprache der Philosophie aufspürt, verbindet auch das Werk Brauns mit dem
des deutschen Herausgebers Ralf Konersmann, der 2007 das maßgebliche
Nachschlagewerk Wörterbuch der philosophischen Metaphern herausgebracht hat.4) Das Buch wurde von Claudia Brede-Konersmann gekonnt
ins Deutsche übertragen.
Die Darstellung beginnt mit einem Vorwort von Konersmann, der Philosophie in Kiel lehrt, in dem die Philosophie in bezug auf die Bildproblematik
befragt wird. Beginnend mit Hegel, der eingangs seiner Vorlesungen über
die Geschichte der Philosophie von einer "Galerie der Heroen der denkenden Vernunft" spricht und sich somit des Bildes einer Bildersammlung
bedient, kritisiert Konersmann die bildkritische Stoßrichtung Hegels, der im
Einklang mit dem traditionellen Verständnis des Faches Bebilderungen seiner Welt für entbehrlich hält (S. 10). Konersmann meint, die Grundsätzlichkeit jener Kritik habe auch nicht durch Leistungen vom Range der Schule
von Athen eines Raffael oder des Denkers von Rodin erschüttert werden
können (was indes als Kritik jener Kritik nur Sinn ergibt, wenn diese künstlerischen Darstellungen in irgendeiner sinnvollen Weise selbst als Philosophie
verstanden werden können). Die philosophische Ikonographie, wie sie
Braun betreibt, soll verstanden werden ein "eigenständiger Beitrag zu einer
fächerübergreifenden Geschichte des Wissens und Historischen Epistemologie." (S. 11) Ziel dieser Ikonographie ist es zudem, "die Bilder mit eigener
Stimme sprechen zu lassen" (S. 12), was immer dies heißen mag. Denn die
Weigerung, "die Bilder noch einmal dem Begriff zu unterwerfen und sie zu
marginalisieren", wie Konersmann Brauns Intention beschreibt, ist natürlich
selbst höchst problematisch, weil sie in Gefahr ist, wiederum die Funktion
von Begriffen zu marginalisieren, ohne die es aber Philosophie nicht geben
kann (S. 12). Bilder der Philosophie sollen also nach diesem Verständnis
mehr sein als bloße Illustrationen dessen, was in den Texten der Philosophie diskursiv vermittelt wird. Es stehe also neben einer Ordnung der Ideen
auch eine Ordnung der Figuren, ja es öffne sich ein Schere zwischen beiden, wie Konersmann mit dem Blick auf Diderots Kommentar zum Frontispiz
der Enzyklopädie verdeutlicht (S. 14 - 16). Dieser Fall ist deshalb von besonderem Interesse, weil Diderots "hellwache Bildlektüren in der Geschichte
des philosophischen Denkens ihresgleichen suchen" (S. 16). Konersmann
schließt seine Überlegungen mit dem Hinweis, "daß die Bilder der Philosophie kultur-, kunst- und ideengeschichtlich von Interesse sind" (was unkontrovers sein dürfte), darüber hinaus aber auch didaktisch und vor allem
"(und ganz besonders) philosophisch." (S. 16) Diese Position hat zweifellos
Provokationspotential und versteht sich nicht von selbst. Ob sie im Letzten
überzeugen kann, muß dem Urteil der philosophischen Leser des Bandes
Harrassowitz in Komm., 2009. - 456 S. ; 25 cm. - (Wolfenbütteler Forschungen ;
120). - ISBN 978-3-447-05938-1 : EUR 98.00 [#0439]. - Rez. in IFB:
http://ifb.bsz-bw.de/bsz305583883rez.htm
4
Wörterbuch der philosophischen Metaphern / hrsg. von Ralf Konersmann. Darmstadt : Wissenschaftliche Buchgesellschaft, [Abt. Verlag], 2007. - 571 S. ; 28
cm. - ISBN 978-3-534-18820-8 : EUR 99.90 [9734]. - Rez.: IFB 08-1/2-093
http://swbplus.bsz-bw.de/bsz260288950rez.htm
überlassen werden. Konersmann jedenfalls behauptet, daß die philosophische Ikonographie "ein neues, eigenständiges und vielversprechendes Forschungsgebiet auf dem weiten Feld der Ideengeschichte und der Geschichte des Wissens" ist (S. 17).
Der Band enthält im Anschluß an das Vorwort drei von Lucien Braun stammende Teile. Erstens wird das "ikonographische Feld" skizziert, in dem es
einmal um die Darstellung, z.B. in Form von Skulpturen der Philosophen
geht, dann um die Darstellung der Philosophie selbst sowie um Darstellungsschemata in didaktischer Hinsicht. Darüber hinaus werden auch Darstellungen des Lebens der Philosophie in die Betrachtung mit einbezogen,
wobei insbesondere Allegorien und Gemeinplätze gemeint sind. Schließlich
werden auch solche Bilder einbezogen, "die sich auf markante Situationen
beziehen, die das Leben der Philosophie begleitet oder ihr Leben geformt
haben" (S. 30). Diesem nur sehr knappen Teil folgt die Auflistung philosophischer Darstellungsformen, von in Stein gemeißelten Philosophen über
Porträts (ob gemalt oder photographiert) bis hin zu den Tafeln der Aufklärungsphilosophie, den pädagogischen Notbehelfen und den Emblemen und
Vignetten. Der dritte Teil stellt das Projekt einer Sammlung aller bildlichen
Darstellungen zur Philosophie als Problem vor und blickt auf verschiedene
Texte, die das Bild der Philosophie geprägt haben, wie z.B. die Psychomachia des Prudientius oder den Trost der Philosophie von Boethius, die
Allegorien geliefert haben. Völlig fiktiv ist Henry d'Andelys Der Lai des Aristoteles, eine Geschichte, die höchstens bis aufs 12. Jahrhundert zurückgeht (S. 145 - 151). Erwähnt wird aber auch z.B. die Philosophiegeschichte
des Diogenes Laertius, der keine literarisch imaginative Darstellung, sondern eine erzählerische Darstellung des tatsächlich Geschehenen liefert
bzw. liefern will (vgl. S. 130). Bild und Text bedingen sich im Laufe der
"Bildgeschichte" der Philosophie oft gegenseitig, zumal auch die Bilder oft
textliche Elemente enthalten (vgl. S. 131). In grau unterlegten Kästchen
werden dankenswerterweise Auszüge aus den erwähnten Schriften geboten.
Kritisch zu der vorliegenden Auswahlausgabe - im Vorsatz heißt es "Die
Übersetzung ist gegenüber dem Original gekürzt und um eine Auswahlbibliographie erweitert"5 - ist zu bemerken, daß leider zu manchen Abbildungen im Text des Buches kaum irgendwelche nennenswerten Informationen
oder Deutungsansätze zu finden sind. Das ist schade, mag aber auch an
den Kürzungen liegen, was hier aber nicht beurteilt werden kann. Auch muß
man die Druckqualität der durchgängig nur schwarzweiß gebotenen Abbildungen leider als bemerkenswert schlecht bezeichnen - angesichts der
5
Laut Bibliothekskatalog hat der erste Band der französischen Originalausgabe
402 Seiten und enthält 465 Abbildungen, der zweite Band 270 Seiten mit 315
Abbildungen. Die deutsche Ausgabe hat dagegen laut Werbetext auf dem hinteren
Cover "mehr als 70 Abbildungen", so daß man die deutsche Ausgabe wohl vor
allem als einen notwendigen Hinweis auf das französische Werk verstehen muß,
weil offensichtlich keine Möglichkeit bestand, das Gesamtwerk in deutscher Übersetzung zu verlegen. Die deutsche Version bietet zudem "weitere und andere Abbildungen" als die französische (S. 11).
heutzutage möglichen Bilddarstellungen in hoher Qualität ist dies in keiner
Weise zu entschuldigen, weil dadurch gerade der potentiell attraktive Charakter des Buches als Bildband unterlaufen wird.
Ein besonders nützlicher Teil des Buches ist dagegen die umfangreiche
Auswahlbibliographie (S. 179 - 197), die ein Originalbeitrag der deutschen
Ausgabe ist (S. 179, Anm.). Diese ist untergliedert in A. Überblickswerke
(wo auch die zweibändige französische Originalausgabe des vorliegenden
Bandes angeführt wird), B. Darstellungen der Philosophie (mit den Unterpunkten Dürer, Klimt und Sonstige sowie zu Philosophendarstellungen ausgewählter Künstler), C. Darstellungen einzelner Philosophen in alphabetischer Folge von Adorno bis Zenon (wobei berühmte Darstellungen von Philosophengruppen aus der Antike, vor allem aber von Raffael, Rubens und
Giorgione besonders berücksichtigt werden) sowie D. Darstellungen zu philosophischen Texten von Aristoteles, Francis Bacon, Böhme, Hobbes,
Nietzsche, Platon, Rousseau, Vico und Voltaire. Diese Bibliographie macht
das Buch zu einem wertvollen Hilfsmittel für Kunsthistoriker, Philosophen
und Literatur- und Medienwissenschaftler, die sich mit den Kommunikationsformen und Bildprogrammen im Kontext der Philosophie beschäftigen.
Till Kinzel
QUELLE
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Wissenschaft
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