Das Braunschweigische Land in der Kaiserzeit

Transcription

Das Braunschweigische Land in der Kaiserzeit
Regenten des Herzogtums Braunschweig in der Kaiserzeit 1871-1918
Regierungszeit
Regent
Lebensdaten
1830/31- 1884
1884 - 1885
1885 - 1906
1907 - 1913
1913 - 1918
Herzog Wilhelm
Regentschaftsrat
Prinz Albrecht von Preußen
Herzog Johann Albrecht von Mecklenburg
Herzog Ernst August und
Herzogin Victoria Luise
1806 - 1884
Linke Spalte Mitte:
Herzog Wilhelm
Verlag v. Trackert
Braunschweig
Rechte Spalte Mitte:
Herzog Johann Albrecht
Postkarte
Linke Spalte unten:
Herzog Ernst August und
Viktoria Luise
Foto: Bildarchiv Bernhard
Rechte Spalte unten:
Prinz Albrecht von
Preußen
Radierung aus Gedenkblatt zum Einzug in
Braunschweig am
2.11.1885
Text und Archiv:
Manfred Gruner
Gefördert durch
VR
Stiftung
VR-Stiftung der Volksbanken und
Raiffeisenbanken in Norddeutschland
© Layout: Rudolf Zehfuß
1837 - 1906
1857 - 1920
1887 - 1953
1892 - 1980
Postalisches aus der Kaiserzeit
Von Posthaltern und Postillonen
Dieses betraf in erster Linie die Postkutschenfahrten und die anderen Postfuhren. Der
Posthalter stellte die Pferde und Wagen, soweit sie
nicht reichseigen waren, also der Reichspost
gehörten. Er war auch zuständig für Einstellung,
Bekleidung und Entlohnung der Postillione. In
Braunschweig besorgte dieses ab 1878 der
Fuhrunternehmer Louis Fricke. Als letzte Postkutschenlinie war nur noch der Kurs von Braunschweig nach Vorsfelde geblieben.
Linke Spalte oben:
Die Braunschweiger
Postillione 1910. Posthalter war Louis Fricke.
Er stellte für das Kaiserliche Postamt Braunschweig Pferde, Wagen
und die Kutscher (Postillione)
Rechte Spalte Mitte:
Transport der Postsendungen vom Postamt 2
am Hauptbahnhof zum
Hauptpostamt in der
Friedrich - Wilhelm Straße. Ein Gespann
steht vor dem Postamt 2
am Westausgang des
Bahnhofes.
Foto: etwa um 1900
In der “Guten Alten Zeit” der Postkutschen waren
es die Posthalter, die für die Kaiserliche Reichspost Pferd, Wagen und Kutscher zu stellen hatten.
Linke Spalte Mitte:
1904 : Auf dem Posthof
in der Friedrich-WilhelmStraße. Abfahrt zur
ersten Paketzustellung
(Quelle: Posthalterei
Louis Fricke)
Die Reichspost schloss mit den jeweiligen Fuhrunternehmern vor Ort Verträge ab, in denen alle Leistungen aufgeführt waren, die es zu erledigen gab.
Diese Linie bestand bis 1895. Danach erledigte
Fricke nur noch die Fahrten zu den Zweigpostanstalten im Stadtgebiet, den Transport der
Postsendungen zwischen dem Hauptpostamt in der
Friedrich-Wilhelm-Straße und dem Postamt 2 am
Bahnhof, die Bahnhofsfahrten zum Nord- und
Nordostbahnhof sowie die Paketzustellfahrten. Bei
diesen begleitete ein Postschaffner das Fahrzeug.
Dieser war für die Bestellung (Zustellung) der
Pakete zuständig. Die Postillione wurden von den
Posthaltern ausgesucht.
Landpostwagen vor der
Postagentur Groß-Schwülper
Links: Briefträger Heinrich
Bührig
Mitte: Landbriefträger
Weber(Kutscher)
Rechts: auf dem Fahrrad
Landbriefträger Albert
Schaper
Text und Bildarchiv:
Siegmar Peschke
Gefördert durch
VR
Stiftung
VR-Stiftung der Volksbanken und
Raiffeisenbanken in Norddeutschland
© Layout: Rudolf Zehfuß
Postalisches aus der Kaiserzeit
griff. Postillione, die sich gut bewährten oder
mindestens fünf Jahre im Dienst waren, übernahm
die Reichspost. Zunächst erfolgte ihr Einsatz als
fahrender Landbriefträger bei einem kleineren
Postamt. Damit begann für sie die Übernahme als
Beamter im Dienste der Kaiserlichen Reichspost.
Während des Ersten Weltkrieges versahen auch
Frauen den Dienst als Postillion in Braunschweig.
Linke Spalte oben:
Zur Ausstattung der
Postillione gehörten
Helm mit Federbusch
aus schwarzen Hahnenfedern, Posthorn und
Peitsche
Rechte Spalte oben:
Paketzustellung in Braunschweig. Im Ersten
Weltkrieg versahen auch
Frauen den Dienst als
Postillion für die Reichspost
(Quelle: Posthaltereien in
Braunschweig)
Sie wurden von diesen eingekleidet und auch
bezahlt, sie waren also keine Postler. Es war selbstverständlich, dass die Postillione auch die Fertigkeit
des Posthornblasens besitzen oder erlernen
mussten. In regelmäßigen Abständen prüfte und
beurteilte die Post diese Postillione. Besonders gute
Musiker erhielten ein Ehrenposthorn mit eingravierten Namen des Besitzers. Auszeichnung war
auch die Verleihung einer Ehrenpeitsche mit Silber-
Das Ende der Postkutschenzeit
Rechte Spalte Mitte:
1. Februar 1895- Ankunft
der Postkutsche auf dem
Hagenmarkt
Quelle: 150 Jahre
Briefmarke
Mit der Eisenbahn kam auch das Ende der
Postkutschen. Die Menschen reisten nun bequemer
und schneller in den Reisezügen. Auch die Post
machte sich diese neue Einrichtung bald zu ihren
Diensten und beförderte ihre Sendungen in eigenen
Bahnpostwagen in den Personenzügen.
Linke Spalte Mitte:
1. Februar 1895: Ankunft
der letzten Postkutsche
von Vorsfelde kommend
vor dem Restaurant Lindenhof in Gliesmarode
Quelle: die letzte Postkutsche
Rechte Spalte unten:
Die letzte Postkutsche
von Oker nach Altenau
im Jahr 1912
Quelle: 150 Jahre
Text und Bildarchiv:
Siegmar Peschke
Nächste Station war der Hagenmarkt. Viele Braunschweiger begrüßten hier die letzte Postkutsche.
Von Oker nach Altenau endete diese Zeit erst im
Jahre 1912. Von Harzburg nach Braunlage fuhr die
Postkutsche wohl noch bis zur Eröffnung der Postbuslinie 1920.
Schon lange waren die meisten von Braunschweig
aus verkehrenden Postkutschenkurse weggefallen.
Als letzte Linie fuhr bis zum 1.Februar 1895 der Kurs
von Braunschweig nach Vorsfelde. Feierlich war der
vierspännige Wagen geschmückt, als er von
Wendhausen kommend in Gliesmarode eintraf. Die
Postillione hatten am Helm den Federbusch, der nur
bei besonderen Anlässen getragen werden durfte,
so zum Geburtstag des Kaisers oder seiner
Gemahlin.
Gefördert durch
VR
Stiftung
VR-Stiftung der Volksbanken und
Raiffeisenbanken in Norddeutschland
© Layout: Rudolf Zehfuß
Ein kaiserzeitliches Stadtviertel
in Braunschweig, Tafel 1
Rechte Spalte oben:
Bremer Haus:
Postkarte (o.J.) Richard
Borek Verlag; abgedruckt
in: G. Spies: 1000 Grüße
aus Braunschweig. Hrsg.
vom Städt. Museum
Braunschweig, 2002 (Nr.
643)
Rechte Spalte Mitte:
Neobarockhäuser:
Postkartenausschnitt
1905; Sammlung Wittwer
(vorm. Roloff)
Das östliche Ringgebiet
Die Kaiser-Wilhelm-Straße (Jasperallee)
Die wachsende Bevölkerungszahl Braunschweigs
im Zeitalter der Industrialisierung - die Einwohnerzahl in Braunschweig war von 1875 bis 1889 um
46% gestiegen! - machte die Erschließung neuer
Wohngebiete nötig. So dehnte sich auch nach Osten
hin die Stadt weiter aus. Der bekannte Stadtbaurat
Ludwig Winter (Rathaus, Rekonstruktion der Burg
Dankwarderode) plante und baute hier nach dem
Vorbild Berliner Prachtboulevards eine Straße, die
ihren Namen nach dem Oberhaupt des Deutschen
Reiches erhielt: die Kaiser-Wilhelm-Straße (heute:
Jasperallee). Mit dieser 30 Meter breiten Straße
wurde die Hauptachse für ein neues Stadtquartier
geschaffen, das vor allem das Besitz- und
Bildungsbürgertum der kaiserzeitlichen Gesellschaft
Braunschweigs anziehen sollte.
Eine aus Sandstein gemauerte Brücke über die
Okerumflut verband die alte Innenstadt mit der
neuen Straße. Da die Fahrbahn der Brücke nur halb
so breit war wie die folgende Kaiser-Wilhelm-Straße
wurde eine besondere Eingangssituation für das
neue Viertel geschaffen. Die Pracht dieses
„Eingangsportals“ wurde durch den 1902 enthüllten
Brückenschmuck noch verstärkt. Vier in Kupfer
getriebenen allegorische Frauenfiguren, Löwen auf
den Eckpostamenten und je einer Kaiserkrone auf
der Mitte der Geländer schmückten die Brücke.
Stadtpark und Stadtparkrestaurant
Linke Spalte Mitte:
Kaiser-Wilhelm-Brücke
Postkarte (Kopie);
Sammlung Wittwer
Text: Georg Wittwer,
Braunschweig 2008
Abweichend von der sonstigen Bebauung ein
ganzes Stück von der Straßenfront zurückgesetzt,
vermittelt die Gesamtfront der Häuser den Eindruck
eines großen, in klassizistischem Stil erbauten
Palastes. Typisch für das „Bremer Haus“ ist im
Unterschied zu Etagenwohnungen in Mehrfamilienhäusern, dass es sich um ein Reihenhaus mit
einer sich über mehrere Geschosse erstreckenden
Wohneinheit handelt.
Die Häuser an der heutigen Jasperallee vermitteln
einen Eindruck von der Architektur des Historismus
und dem Repräsentationsbedürfnis des wilhelminischen Bürgertums. Bauhistorisch findet man
hier nahezu alles, was der Historismus der
Kaiserzeit zu bieten hat: sei es Neorenaissance
(siehe obige Abb. links und rechts der Brücke),
wilhelminisches Barock wie bei den Tillschen
Häusern (Jasperallee Nr. 20-26; Abb. rechte Spalte
unten: Neobarock; Tillsche Häuser) oder romantisierender Heimatstil (Jasperallee Nr. 41).
Bauhistorisch interessant sind die „Bremer Häuser“,
die von C. Uhde (1836 - 1905), dem Professor für
Antike Baukunst am Collegium Carolinum und
Schöpfer des Gebäudes der Technischen
Hochschule, der Synagoge mit dem jüdischen
Gemeindehaus und bedeutender Privatbauten,
entworfen worden sind.
Nicht mehr Fürstenparks oder Villengärten in
Privatbesitz, sondern allen Bürgern offen stehende
Parks entsprachen den neuen gesellschaftlichen
Gegebenheiten des Industriezeitalters. Solche
Parks in neu entstandenen Wohnvierteln für
gehobene Gesellschaftsschichten gehörten zur
bürgerlichen Lebenskultur der zweiten Hälfte des 19.
Jahrhunderts. So wurde schon 1884 der Stadtpark in
Braunschweig durch den Promenadeninspektor
Kreiß geschaffen, der ein ursprünglich als
herzogliche Fasanerie genutztes Waldstück in einen
Park mit einem strukturierten Wegesystem und
einem Schwanenteich umwandelte. Zeitgleich mit
der Entstehung des Stadtparks wurde im südlichen
Teil nach Plänen des Stadtbaurates Ludwig Winter
eine „Wirtschaft für Spaziergänger“ errichtet, ein
zweigeschossiger Fachwerkbau mit Ziegelausfachung. Wegen der großen Beliebtheit des Restaurants wurde es 1897 um zwei kurze eingeschossige
Seitenflügel erweitert.
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© Layout: Rudolf Zehfuß
Ein kaiserzeitliches Stadtviertel
in Braunschweig, Tafel 2
Linke Spalte oben:
Stadtparkrestaurant
Baudenkmale in
Niedersachsen. Stadt
Braunschweig, Teil2
(1.2), S.103
Besonderer Blickfang des Restaurantgebäudes war
und ist die lange Holzterrasse mit ihrem
durchbrochenen Schnitzwerk in der Verdachung.
Von hier aus hatten die damaligen Gäste den Blick
auf einen großen, von Bäumen umstandenen
Rasenplatz. 1907 wurde dort ein hölzerner
Musikpavillon errichtet, der nach seiner Zerstörung
im 2. Weltkrieg durch die heute noch vorhandene
Stahlkonstruktion ersetzt wurde. Der Stadtpark mit
seinem Restaurant entwickelte sich zu einem
wichtigen Treffpunkt bürgerlicher Geselligkeit.
Der Wasserturm auf dem Giersberg
St.-Pauli-Kirche
Auf dem etwa 83 m hohen Giersberg südwestlich
neben der Jasperallee erhebt sich ein Wasserturm,
der nach den Plänen Max Osterlohs, des damaligen
Stadtbaumeisters und Stellvertreters Ludwig
Winters, 1901 erbaut wurde. Der Turm mit einer
Höhe von 58,70 m besitzt den für Wassertürme
damals typischen konischen Schaft und einen an
mittelalterliche Wehrtürme erinnernden Kopf. Mit
dem von zwei Treppentürmen flankierten Vorbau
aus rotem Ziegelmauerwerk, das sich von dem in
Putzwerk gehaltenem Schaft deutlich abhebt,
schaut der Turm nach Westen zur Stadt hin. Das
Haupt des Wassergottes Poseidon (Neptun) an der
Fassade weist auf die Funktion des Gebäudes hin.
Die Aufgabe des Wasserturmes, der im Zusammenhang mit der neuen
Wasserversorgung der
Stadt durch Grundwasser
entstand, lag darin, Druckschwankungen im Rohrnetz und Verbrauchsschwankungen auszugleichen. In seinem Inneren befindet sich bis heute
ein Hochbehälter aus genieteten Eisenblechen,
der ein Fassungsvermögen von 2000 cbm Wasser hat.
Linke Spalte unten:
St-Pauli-Kirche:
Postkarte 1915 (Verlag
Oskar Steude,
Braunschweig);
Sammlung Wittwer
(vorm. Roloff)
Rechte Spalte unten:
Wasserturm:
Abgedruckt in: G. Spies:
1000 Grüße aus
Braunschweig. Hrsg.
vom Städt. Museum
Braunschweig, 2002 (Nr.
619)
Text: Georg Wittwer,
Braunschweig 2008
Abweichend vom traditionellen Kirchenbau wurde
die Kirche nicht in Ost-West-Richtung mit
Ausrichtung des Altares nach Osten, sondern in
Nord-Süd-Richtung gebaut, sodass das Hauptportal
von der Kaiser-Wilhelm-Straße her zugänglich war.
Den 68,75m hohen Turm mit quadratischem
Grundriss über dem Hauptportal zierte eine
polygonale Turmhaube mit kleinen Schmucktürmchen an den vier Ecken. An den Flanken der
Südseite erhoben sich Seitentürme, die das mit grün
glasierten Ziegeln bedeckte Dach der Kirche ein
wenig überragten. Der Anblick der Kirche veranlasste den damaligen Pastor Lagershausen zu der
schwärmerischen Beschreibung, die Paulikirche
erhebe sich „hoch aufragend in edler Schönheit wie
eine Königin inmitten eines adligen Geschlechts“.
Das Spitzdach des Glockenturms, das dieser Kirche
einst ihr besonderes Gepräge gab, ist nach den
Zerstörungen des Weltkrieges nicht wieder erneuert
worden.
Für das im Osten der Stadt Braunschweig
entstandene neue Wohnquartier wurde in den
Jahren 1901- 1906 eine Kirche gebaut, die St.-PauliKirche. Der neogotische Entwurf dieser Kirche
stammt von Stadtbaurat Ludwig Winter.
Obwohl die technische Anlage des Wasserturmes
1988 außer Betrieb genommen worden ist, ist sie
grundsätzlich bis heute noch funktionstüchtig und
insofern ist der Braunschweiger Wasserturm ein
deutschlandweit einzigartiges Industrie-Denkmal.
Gefördert durch
VR
Stiftung
VR-Stiftung der Volksbanken und
Raiffeisenbanken in Norddeutschland
© Layout: Rudolf Zehfuß
Offizier-Gefangenen-Lager
Helmstedt 1914-1918
Rechte Spalte oben:
Musikkapelle der
Offiziere
Im Stadtarchiv Helmstedt lagert ein Fotoalbum
denkwürdiger Art. Es enthält zwanzig Aufnahmen in
Postkartengröße, auf seinem Deckblatt ist der oben
genannte Titel zu lesen. Einen erläuternden Text
enthält das Bändchen nicht. Erstaunlich, dass die
Firma J.G. Huch aus Braunschweig sich die Mühe
machte, eine Bilderserie über gefangene Offiziere
herzustellen. Für wen?
Spalte links oben:
Die Baracken des
Gefangenenlagers
Neben dem Helmstedter Theater und dem Hotel
Gesundbrunnen waren 1914 mehrere Baracken
aufgestellt worden. Die Einzelunterkünfte sind
erstaunlich komfortabel. Weitere Fotos machen
deutlich, dass offensichtlich alle Offiziere so
untergebracht waren. Sie belegen auch, dass für
Freizeitgestaltung gesorgt war. Es gab Billardtische,
einen Chor mit Orchester, Theateraufführungen,
Lesungen, Vorträge und ausgedehnte Spaziergänge.
Ein Offiziers-Chor trug in polnischer Sprache
weihevolle mehrstimmige Gesänge vor. Zum
Schlusse sang man die polnische Nationalhymne.“
„Polens Schicksalsstunde“ nannte das Kreisblatt die
am 5. November 1916 erfolgte Erhebung des
russischen Teils des dreigeteilten Polen durch den
deutschen und den österreichisch-ungarischen
Kaiser zum Königreich. Im Verordnungsblatt für
Polen wird folglich der Eintritt von Freiwilligen in die
neu gegründete polnische Armee geregelt, die
selbstverständlich auf deutscher Seite kämpfen
sollte. Die als Angehörige der russischen Armee
gefangen genommenen Offiziere wurden also
aufgefordert, die Seiten zu wechseln. Offensichtlich
folgten die meisten Insassen des Lagers nach und
nach diesem Rufe, denn am 3.Juli 1918 berichtet
das Kreisblatt: „In dem Gefangenenlager hierselbst
sind am Montag 120 französische Offiziere
untergebracht.“
Linke Spalte Mitte:
Einzelunterkunft für
Offiziere
Rechte Spalte Mitte:
Aufenthaltsraum mit
Billardtisch
Fotos: Fotobuch OffizierGefangenen-Lager
Helmstedt
Stadtarchiv Helmstedt
Text: Rolf Owczarski
Das Helmstedter Kreisblatt berichtet am 11.
September 1916: „Eine bemerkenswerte Feier, wie
solche selbst die alte, an Erinnerung reiche
Klosterkirche in ihren Mauern noch nicht erlebt hat,
fand am Mittwoch in der hiesigen Ludgeri-Kirche
statt. Im Lichterglanze…zählte sie zu ihren
Besuchern über hundert polnische Offiziere und
deren Burschen, welche auf Bad Helmstedt
interniert sind und die Erlösung ihres Vaterlandes
vom russischen Joche und die Erhebung KongreßPolens zum Königreich auch kirchlich besonders
feiern wollten.
Von der Auflösung des Lagers erfährt man am 26.
November 1918 indirekt auf demselben Wege:
„BEKANNTMACHUNG! Infolge Abtransport der
französischen Kriegsgfangenen in ihre Heimat sind
sämtliche noch ausstehenden Rechnungen bis
spätestens 28. dieses Monats dem Kommandanten
einzureichen. - Putensen - Hauptmann und
Kommandant des Offiziers-Gefangenen-Lagers.“
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© Layout: Rudolf Zehfuß
Das Wappen vom Haus Westendorf Nr. 13 Schöningen
Von 1914 bis 1966 hing dieses Wappenschild der
Herzogtümer Mecklenburg Schwerin und Strelitz im
Bereich des Hauseingangs des Wohnhauses
Westendorf Nr. 13 in Schöningen.
Heute ist dieses ungewöhnliche Andenken
Schöninger Zeitgeschichte, leider noch unrestauriert, im dortigen Heimatmuseum ausgestellt.
Linke Spalte oben:
Wappen
Foto:Hans Rüdiger
Reinecke
Quelle: Heimatmuseum
Schöningen
W i e k a m d i e s e s Wa p p e n s c h i l d n a c h
Schöningen?
Mit Schreiben vom 2.Februar 1914 wurde dem
Damastweber Leonhard Nickel, Westendorf 13 in
Schöningen, vom Großherzoglichen MecklenburgSchwerinschen Hof Staats- und Marschall Amt
obiges Wappenschild nebst folgendem Patent
übersandt.
Rechte Spalte Mitte:
Urkunde von
Johann Albrecht Herzog
zu Mecklenburg
Quelle:Frau Kölling
Enkeltochter von
Wir Johann Albrecht
Herzog zu Mecklenburg
bekennen hiermit, dass wir den
Damastweber Leonhard Nickel in Schöningen
zu unserem Hoflieferanten in Gnaden ernannt
haben.
Urkundlich unter unserem Handzeichen und
Insiegel
gegeben. Wiligrad, d. 31.Januar 1914
Johann Albrecht
HzM
Patent als Hoflieferant
seiner Hoheit des Herzogs
Johann Albrecht zu Mecklenburg
für den
Damastweber Leonhard Nickel
in Schöningen
Linke Spalte unten:
Gedenkblatt
Quelle:Frau Kölling
Enkeltochter von
Leonard Nickel
Rechte Spalte unten:
Leonhard Nickel
Foto/Quelle:Frau Kölling
Enkeltochter von
Leonard Nickel
Text:
Hans-Rüdiger Reinecke
Herzog Johann Albrecht von Mecklenburg war von
1907-1913 Regent des Herzogtums Braunschweig.
Im Rahmen seiner Regentschaft besuchte er am
22.Juni 1908 die damals weit über die Grenzen des
Braunschweiger Herzogtums hinaus bekannte
Schöninger Damastweberei Nickel.
Schon im Jahr 1870 wurden von dort Gedeckwebereien für die Tafel
Wilhelms I. geliefert. Viele weitere Arbeiten gingen aus dieser Anstalt
kunstgewerblichen Fleißes im Laufe der folgenden Jahre an zahlreiche
Herrschafts- und Fürstenhäuser.
Aufgegeben wurde der Webereibetrieb im Jahr 1945. Noch heute
sind einige wertvolle Damastwebarbeiten im Besitz der Enkeltochter
Leonhard Nickels, Frau Annemarie
Kölling und im Rahmen einer privaten
Ausstellung in ihrem Haus zu
besichtigen.
Gefördert durch
VR
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VR-Stiftung der Volksbanken und
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© Layout: Rudolf Zehfuß
Braunschweigische Kohlenbergwerke (BKB)
Rechte Spalte oben:
Foto 3
Der erste Tagebau auf
Grube Treue wurde im
Jahre 1880 eröffnet
Werkfoto BKB
Über die Frühgeschichte des Kohleabbaus im
Helmstedter Raum liegen nur spärliche Informationen vor. Am östlichen Ortseingang des Brunnentals, gegenüber Beendorf, soll bereits1690 Steinkohle geschürft worden sein. 1725 baute man an der
Roten Mühle bei Frellstedt Braunkohle in kleinen
Mengen ab. Dass direkt vor den Toren der Helmstedts Kohle liegt, ja dass die ganze Stadt auf Braunkohle steht, wusste bereits der Theologiestudent
Johann Moritz Friedrich Koch. Auf der Suche nach
Bodenschätzen vernachlässigte er sein Studium.
Am Tanzbleek, vor den Mauern der Stadt baute er
mehrere Jahre im Tiefbau Braunkohle ab.
120 000 Tonnen Braunkohle gefördert. Die technisch
aufwendige Förderung erbrachte keine Gewinne,
auch der erste Tagebau Trendelbusch bei Runstedt
kam nicht so recht in Gang. Im benachbarten
Preußen dagegen entstanden mehrere Unternehmen, die mit moderner Technik die Kohle in großem
Stil in Tagebauen förderten. Die Folge war, dass
qualifizierte Arbeitskräfte aus Helmstedt abwanderten. Die am 26. Januar 1873 erfolgte Gründung
der Braunschweigischen Kohlenbergwerke (BKB),
einer Aktiengesellschaft, gab dem Bergbau im
Herzogtum die entscheidende Wende. Vor allem mit
Mitteln aus den Reparationen, die die Franzosen
Linke Spalte Mitte:
Foto 1
Der erste Löffelbagger
wurde 1911 im Tagebau
Treue III in Betrieb
genommen
Werkfoto BKB
Rechte Spalte Mitte:
Foto 4
Kippapparat- ein
Fortschritt im Tagebau
während des 1.
Weltkrieges
Werkfoto BKB
Linke Spalte unten:
Foto 2
Brikettfabriken Treue II
und IV
Text: Rolf Owczarski
Ärger mit den Behörden, vor allem aber mangelnde
Absatzmöglichkeiten veranlassten ihn, seine Grube
zu verkaufen. Man feuerte lieber mit Holz. Auch sein
Nachfolger und andere Unternehmen im Bereich der
Kohlenflöze zwischen Helmstedt und Oschersleben
scheiterten, weil sich keine Abnehmer fanden. Erst
der Bau von Eisenbahnen und die zunehmende
Industrialisierung, in unserer Gegend vor allem das
Entstehen von Zuckerfabriken, weckten den Bedarf
an den Brennmaterialien in der Nähe. 1861 erließ
die herzogliche Regierung eine Verordnung, nach
der neue Fabriken nur genehmigt werden durften,
wenn sie Braunkohle aus dem Helmstedter Revier
nutzten. Immerhin wurden in diesem Jahr im Tiefbau
nach dem verlorenen Krieg 1870/71 zahlen mussten, konnten die nötigen Investitionen vorgenommen werden. Man forcierte die Förderung der
Tagebaue, die weit kostengünstiger arbeiteten als
die Schächte. 1886 entstand die erste Brikettierungsanlage bei Offleben (Foto 2: Treue II Offleben),
Eimerkettenbagger (Foto 3) schafften den Abraum
beiseite, der Kohleabbau selbst erfolgte zunächst
weiter per Hand, erst 1911 wurde der erste Löffelbagger (Foto1) eingesetzt. Ab 1896 wurde Elektrizität produziert, 1909 arbeitete die erste Dampfturbine. Elektrisch betriebene Kippanlagen (Foto 4)
erleichterten die Verladung der Rohkohle. Die BKB
wurden bis zum 1. Weltkrieg durch Aufkauf anderer
Betriebe zum alleinigen Unternehmen für Kohleabbau im Raum der Helmstedt-Oschersleber Mulde.
Gefördert durch
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© Layout: Rudolf Zehfuß
Die Essenwein-Ausmalung im
Kaiserdom in Königslutter
Stylgemäß
Das historistische Ausstattungsprojekt im Kaiserdom zu Königslutter von August Essenwein 18871894.In den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts stieß
man bei Restaurierungsarbeiten im Kaiserdom zu
Königslutter unversehens auf Reste mittelalterlicher
Malereien. Aufgrund dieser Funde wurde der
Entschluss zu einer umfassenden Neugestaltung
des Kirchenraums gefasst.
Linke Spalte:
Foto: Kaiser Lothar
Neubauer Restaurierungswerkstätten GmbH
und mit dessen Methoden bestens vertraut war.
Nach dem Tod Essenweins im Jahr 1892 übernahm
Quensen die Vollendung der Ausmalungen in
Querhaus und Chor. Essenweins Ziel war die
Schaffung einer »stylgemäßen« Raumfassung.
Indem er die Prinzipien mittelalterlicher Malerei
nachahmte, wollte er dem verlorenen Original
möglichst nahe kommen und deshalb die bewusst
schablonenhafte, flächenbetonte und nicht naturalistische Darstellungsweise. Für die Hochwände des Mittelschiffs entwickelte er Verbildlichungen der vier Elemente und Tageszeiten.
Eine Steigerung im Hinblick auf Farbigkeit, Figurenund Ornamentreichtum erfuhr das Querschiff, das
an den Wänden singende und musizierende
Engelschöre zeigt. Den Höhepunkt erreicht der
Zyklus im Chorraum mit den Allegorien der
Tugenden, dem »Himmlischen Jerusalem« im
Deckengewölbe und der »Majestas Domini« in der
Apsis. Die Tatsache, dass Darstellungen der beiden
Stifterfiguren in das Bildprogramm des Altarraums,
des Allerheiligsten, integriert sind, zeugt von der
hohen Wertschätzung, die dem Kaiser und seiner
Gemahlin entgegengebracht wurde.
Essenwein bezog alle Flächen des Innenraums in
sein Konzept ein. Wo es keine figürlichen
Darstellungen geben sollte, kam eine rein
ornamentale Ausschmückung zur Ausführung: die
Wände und Pfeiler erhielten aufgemalte Quaderungen, Architekturdetails wie Friese, Säulen und
Kapitelle farbige Fassungen.
Rechte Spalte:
Jesusdarstellung in der
Apsis
Foto: Dr. Norbert Funke
Text: Dr. Norbert Funke
Gefördert durch
VR
Stiftung
VR-Stiftung der Volksbanken und
Raiffeisenbanken in Norddeutschland
Der Auftrag für ein Ausmalungs- und Ausstattungskonzept ging an den Architekten, Bauhistoriker
und Museumsdirektor August von Essenwein (18311892), der sich durch zahlreiche bedeutende Restaurierungsprojekte in Deutschland einen Namen
gemacht hatte. Auf der Grundlage der freigelegten
Malereien im Chor und im Westbau entwickelte
Essenwein 1887 ein Ausmalungsprogramm für den
gesamten Innenraum der Stiftskirche. Die Ausführung lag in den Händen des Hofmalers Adolf
Quensen (1851-1911), der schon zuvor am Braunschweiger Dom unter der Leitung Essenweins tätig
Obwohl wahrscheinlich nicht das gesamte Bildprogramm auf Essenwein selbst zurückgeht, lässt
sich die historistische Raumfassung des Königslutterschen Kaiserdoms zu der auch die Fensterverglasungen und der Schmuckfußboden gehörten
als ein Gesamtkunstwerk im Geiste Essenweins
bezeichnen. Zugleich handelt es sich um ein hervorragendes Beispiel »schöpferischer Denkmalpflege«
des 19. Jahrhunderts, das auch vor dem Hintergrund
der Bestrebungen nach nationaler Selbstvergewisserung in der Kaiserzeit und dem Rückbezug
auf das Mittelalter und mittelalterliche Kunst zu bewerten ist.
© Layout: Rudolf Zehfuß
Des Volkes Schule
Bevor Peine zur Industriestadt heranwuchs, befand
sich die bislang einzige Volksschule in der
Stederdorfer Straße. Das Schulhaus hatte vier
Klassenzimmer und war der zunehmenden
Bevölkerungs- und Kinderzahl Peines bald nicht
mehr gewachsen. 1885 wurde als erster
Schulneubau die Volksschule am Windmühlenwall
(später: Wallschule) errichtet. Aber auch in dem
neuen Gebäude waren die Klassen mit 60-80
Schülern nach heutigen Maßstäben hoffnungslos
überfüllt. Drei weitere Schulneubauten wurden in
den Jahren 1894, 1901 und 1905 eingeweiht; erst
nach 1900 war die Klassenstärke an der Wallschule
auf durchschnittlich 43 Kinder gesunken.
Linke Spalte Mitte:
Wallschule Peine
Knabenklasse um 1901
Stadtarchiv Peine
Rechte Spalte Mitte:
Auszug aus Schreib- und
Lesefibel Hannover und
Leipzig 1903
Stadtarchiv Peine
Stadtarchiv Peine,
Text aus: Gerda Valentin,
Peiner Alltagsgeschichte(n) 1871-1914
Peine 1992;
Auswahl: Michael Utecht;
Bildnachweis:
Stadtarchiv Peine
Lernziel erreicht?
Die Schulpflicht dauerte acht Jahre. Unterrichtet
wurden Fächer wie Rechnen und Raumlehre,
Deutsch, Erdkunde, Geschichte, Naturlehre (= Physik), Naturbeschreibung (= Biologie), Zeichnen,
Singen, Turnen, Handarbeit, Religion und Schönschreiben. Mit 32 Wochenstunden waren die Älteren
voll ausgelastet.
Im Kaiserreich waren Kirche und Schule auf der
Verwaltungsebene miteinander verknüpft und der
kirchliche Einfluss machte sich deutlich bemerkbar.
In den Volksschulen begann jeder Tag mit einem
Choral und einem kurzen Gebet. In der Dienstanweisung der Lehrer war das Lernziel festgeschrieben. Sie hatten "mit allen Kräften dahin zu streben,
daß die Kinder zu wahrer Gottesfurcht, sittlichem
Wandel, vaterländischer Gesinnung erzogen, fleißig
und sorgfältig unterrichtet werden".
Stillgestanden!
Im Unterricht hieß es vor allen Dingen stille sein und
sich geradehalten:
"Während des Unterrichts haben sich die Kinder
vollständig ruhig zu verhalten. […] Das Kind,
welches aufgerufen ist, hat sich sofort zu erheben;
es antwortet jedoch erst, wenn es völlig gerade
steht, und setzt sich erst wieder, nachdem es
vollständig ausgesprochen hat. […] Zwischen der
Vorder- und Hintersitzlage ist in jeder Unterrichtsstunde auf Kommando regelmäßig zu
wechseln. Beim Stehen hängen die Arme
ungezwungen am Körper herunter oder sind auf
dem Rücken geschlossen." (Schulordnung für die
lutherischen Volksschulen in Peine, 1900)
Wer nicht gehorchte, musste mit dem Rohrstock
rechnen. Einem Urteil des preußischen Oberverwaltungsgerichts vom Juni 1896 zufolge, hatte der
Lehrer das Züchtigungsrecht sogar außerhalb der
Schule, also gegebenenfalls auf offener Straße.
Eine höhere Stadtschule gab es in Peine seit 1873.
1895 entstand eine Realschule für Jungen, die 1898
ein eigenes, neues Gebäude in der Burgstraße
bezog. Mit dem Bau des Lyzeums gab es ab 1911
auch für die Töchter des Peiner Bürgertums ein
verbessertes Bildungsangebot. Für einheimische
Schüler betrug 1909 das Schulgeld in den oberen
Klassen 110 Mark jährlich; diese Summe entsprach
etwa dem Monatslohn eines gutverdienenden
Arbeiters.
Gefördert durch
VR
Stiftung
VR-Stiftung der Volksbanken und
Raiffeisenbanken in Norddeutschland
© Layout: Rudolf Zehfuß
Bürgerzentrum Vechelde mit
Schlosspark
Alle Fotos:
Gemeinde Vechelde
Im Bereich des heutigen Bürgerzentrums
Vechelde (Foto) befand sich eine Wasserburg, die im 14. Jahrhundert von Herzog
Friedrich erbaut wurde. Im Jahre 1695 ließ
Herzog Rudolf August diese Burg abreißen
und vermutlich auf deren Grundmauern ein
barockes Lustschloss für seine zweite
Gemahlin „Madame Rudolfine“ erbauen.
1712 erhielt die Erbprinzessin Elisabeth
Sophie Marie das Schloss. Angebaut an
dem Schloss war eine Kapelle in der am 08.
November 1727 die Hochzeit von Johanna
Elisabeth von Schleswig-Gottorf und Fürst
Christian August von Anhalt-Zerbst stattfand. Diese waren die Eltern der späteren
russischen Zarin Katharina die Große.
Nach Tode der Herzogin Elisabeth Sophie
Marie richtete Herzog Ferdinand zu Braunschweig und Lüneburg seine Sommerresidenz ein. Er war mit Vechelde sehr eng
verbunden, sodass er im Braunschweigischen als Gutsherr von Vechelde bezeichnet wurde. Das noch heute erhaltene
zweiflügelige Tor mit seinem Initial „F“ ließ
Herzog Ferdinand 1770 erstellen.
Text: Ingo Goczol
Im Jahre 1880 wurde der heutige Backsteinbau einschließlich der Nebengebäude errichtet und bis 1971 als Amtsgericht genutzt. In den nachfolgenden Jahren
gelang es der Gemeinde Vechelde, diesen
Gebäudekomplex einschließlich. Schlosspark zu erwerben und zu einem Bürgerzentrum umzubauen, der seit 1977 als solches
genutzt wird.
Der große Vechelder Schlosspark wurde
unter großer Sorgfalt von Herzog Ferdinand
angelegt und besteht in seiner Grundanlage noch heute. Die Anlage war seinerzeit so
sehr berühmt, dass die Gartenbaumeister
Europas zu sagen pflegten: „Im Braunschweigischen fragt man nach Vechelde.“
Im Park vorhanden ist noch die steinerne
Sonnenuhr im klassizistischen Stile und die
überlebensgroße Figurengruppe „Hades
raubt Persephone“ aus Sandstein. Außerdem ist im Park ein weiteres Denkmal im
klassizistischen Stil zu sehen, Herzog Ferdinand ließ es zum Zeichen seiner engen
Freundschaft zu dem christlichen Philosophen und Curator des fürstlichen Collegium
Carolinum in Braunschweig (der heutigen
Technischen Universität), dem Abt Johann
Friedrich Wilhelm Jerusalem, errichten. In
dem langen Text wird an den 1789
gestorbenen Abt von Riddagshausen
erinnert. Der Park stellt sich heute als
Rosengarten mit angrenzender Rasenfläche und Wäldchen dar.
Gefördert durch
VR
Stiftung
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Raiffeisenbanken in Norddeutschland
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VR-Stiftung der Volksbanken und
Raiffeisenbanken in Norddeutschland
Stiftung
VR
Gefördert durch
Text: Oliver Völkening
Foto: Gemeindearchiv
Panorama-Aufnahme
des Ölfeldes von Ölheim
im Jahr 1894, nicht
Pennsylvanien/USA.
Wohnhaus
Mohr
Verwaltung
DPBG
Werkstätten
© Layout: Rudolf Zehfuß
“Germania” Petroleum Werk AG
Raffinerie
Das Ölfieber hielt jedoch nicht lange an. Nach 5.990
Tonnen im Jahr 1882 fiel die Förderung auf 1.361
Tonnen im Jahr 1883 zurück. Im selben Jahr
begannen Gerichtsverfahren wegen Umweltschäden. Das bei der Förderung anfallende Wasser
wurde in den Bach Schwarzwasser geleitet und
hatte dort im Laufe der Zeit den Fischbestand
vernichtet.
Zahlreiche Türme, aus dünnen Eisenstangen
zusammengefügt, ragten hoch empor. Daneben
standen pyramidenförmige Holzbauten. Maschinenschlote sandten ihre schwarzen Rauchwolken zum Himmel. Zwischen niedrigen Holzhäusern, welche als Kontore, Wohnhäuser und Schenken dienten, bewegte sich ein geschäftiges Arbeitervolk in schwarzen, öldurchtränkten Kleidern.
Deutsche Petroleum Bohrgesellschaft
Bohrung
“Mohr 3”
Die Fontäne übertraf die Höhe des Bohrturmes. Das
unerwartete Ereignis vertrieb die Arbeiter zunächst,
dann aber füllten sie das Erdöl in eiligst
herbeigeschaffte Fässer, Tonnen und Wannen. Die
Förderung aus diesem Bohrloch betrug später etwa
75.000 Liter pro Tag (˜ 60 Tonnen/Tag).
Die Berichterstattung über die Entdeckung des
hatte eine mächtige Wirkung und es entstand der
Ölrausch von Ölheim. Das Gebiet zwischen
Braunschweig, Celle und Hannover wurde
verglichen mit den Ölfeldern von Pennsylvanien/USA. In Ölheim erschienen viele Arbeitssuchende, Fachleute, Geschäftsleute, Neugierige,
Reporter und Spekulanten aus ganz Deutschland.
Die Grundstückspreise stiegen, wie auch die
Aktienkurse der Ölgesellschaften. Ende des Jahres
1881 hatten sich bereits 47 Firmen angesiedelt,
später über 100 mit rund 1.500 Beschäftigten.
Oelheimer Petrolium Industrie AG
Erdöl ist im Raum Oelheim (2 km westlich
Edemissen) bereits seit Jahrhunderten bekannt. Die
schwarze, übelriechende Flüssigkeit schwamm auf
dem Wasser der „Theerkuhlen“ und wurde
abgeschöpft. Bei Menschen diente es als Heilmittel
gegen Rheuma und es kam zum Einsatz gegen
allerlei Ungeziefer, wie Wanzen und Motten. Als
„Wagenschmiere“ eignete es sich für die Radlager
der Fuhrwerke. Auch in Öllampen wurde es
verwendet, da es nicht so sehr rauchte wie das zuvor
verwendete Pflanzenöl.
Am 21. Juli 1881, 11 Uhr, traf die dritte Bohrung des
Bremer Kaufmannes Adolf Michel Mohr in 66 Meter
Tiefe in eine Sandsteinschicht. Dieser Teerkuhlenfels enthielt das gesuchte Erdöl. Nach Einbau
einer Pumpe begann die Förderung. Jedoch nach
wenigen Minuten strömten Erdöl, Erdgas, vermischt
mit Wasser und Sand, von selbst aus dem Bohrloch.
Ölrausch in Ölheim
United Continental Oil Company
Verwaltung
ÖPIG
Hotel NeuPennsylvanien
Neu-Pennsylvanien in der
Gemeinde Edemissen
Spargelvillen und Rübenburgen
Stattliche Wohnhäuser, aus roten Vormauerziegeln
zwei Etagen hoch aufgemauert und darüber das
Satteldach, beim Vorübergehen fällt unwillkürlich der
Blick darauf.
Linke Spalte:
Wendezeller Ring 8
Wendeburg
Rechte Spalte:
Wenser Straße 15
Harvesse
Mit der Zeit eröffneten sich neue Einkunftsmöglichkeiten durch den Anbau von Spargel und
Zuckerrüben. In nur zwanzig Jahren (1894-1914)
ließen sich Landwirte erstmalig „richtige“ Wohnhäuser errichten, Gebäude die sie ausschließlich als
Wohnung für die Familie nutzten. Das tägliche
Leben spielte sich in der Küche ab, der Herd gab
dazu auch im Winter genügend Wärme ab.
Ansonsten waren die drei Meter hohen Zimmer nur
„kalte Pracht“, der Kachelofen in der Stube durfte
lediglich zu Weihnachten und anderen seltenen
Gelegenheiten befeuert werden. Das Wohnhaus
bildete nur mit den direkt neben der Küche
angeordneten Seitengebäuden eine funktionsfähige
Einheit. Die Waschküche und die Gesinderäume (für
Mägde und Knechte) dienten als Zwischentrakt zu
den Stallungen. Dort befand sich dann auch die
Toilette.
Auch in der landwirtschaftlich strukturierten Region
nordwestlich von Braunschweig war das
niedersächsische Hallenhaus während mehrerer
Jahrhunderte die übliche Unterkunft für Mensch und
Tier, im Dachraum lagerten Heu und Stroh. Alles
lebte und arbeitete unter einem Dach. Die Bauart als
Fachwerkhaus führte dann auch zu dem Spruch:
„Der Zimmermann hat das Haus gebaut, der Maurer
hat geholfen.“
Die Gebäude mit dem Mauerwerk aus sorgfältig
vermauerten Steinen - mit Fenstergewänden aus
Kunststein und anderem Zierrat - sprechen für den
hohen Stand der Handwerkskunst und für den
Baumeister als Entwurfsverfasser. Über den Bau
dieser Häuser gab es nun den Spruch: „Der Maurer
hat das Haus gebaut, der Zimmermann hat
geholfen.“ Die Gebäude verdeutlichen auch den
Stolz sowie die Entschluss- und Finanzkraft der
Bauherren und ihrer Familien.
Text und Fotos
(Archiv und neu):
Rolf Ahlers
Die um 1850 durchgeführte Separation - Überführung von Grundbesitz in Grundeigentum und Flurneuordnung - ergab für die Landwirtschaft verbesserte Einkommensmöglichkeiten. Die vermehrte
Aufstallung von Vieh führte zum Neubau von Nebengebäuden als Stallung und Scheune. Jedoch mussten zunächst noch die auf Kredit finanzierten
Separationskosten aufgebracht werden.
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VR
Stiftung
VR-Stiftung der Volksbanken und
Raiffeisenbanken in Norddeutschland
© Layout: Rudolf Zehfuß
Militarisierung im Kinderzimmer
Militärisches Spielzeug ist keineswegs eine
Erfindung des 20. Jahrhunderts. Bereits mit dem
Deutsch-Französischen-Krieg 1870/71 gab es eine
Vielzahl an Spielwaren, die in erster Linie die
Begeisterung der Kinder für Militär und Krieg wecken
sollte. So warb beispielsweise der Berliner
Zinnfigurenhersteller in seinem Verkaufskatalog
des Jahres 1869 neben zahlreichen Zinn- und
Bleifiguren unter anderem auch für Kanonen, mit
denen Erbsen verschossen werden konnten.
Auf den kindlichen Schlachtfeldern traten Spielfiguren mit so treffenden Namen, wie „Hindenburg“,
„Mars“, „Kriegsvolk“ oder „Manz-soldaten“ gegeneinander an.
Aber nicht nur Spielwaren, sondern auch zahlreiche
Druckerzeugnisse für Kinder und Jugendliche
propagierten den Einsatz für das Vaterland. Neben
Bilderbüchern, wie „Vater ist im Krieg“ aus dem Jahr
1915, und zahllosen Romanen für Jungen wurden
mit diesem Medium auch Mädchen angesprochen,
so z. B. mit dem Roman „Landwehrmanns Einzige
an der Schwelle des Lebens“.
Linke Spalte oben:
Massefiguren „Preußische Infanterie“, deutscher Hersteller, um
1915
Rechte Spalte Mitte:
Kinderportraitaufnahme
im Matrosenanzug um
1905
Linke Spalte unten:
Vorlage für so genanntes
Bildnachweis:
Städtisches Museum
Schloß Salder
Text: Christiansen
Für das Spiel im Freien wurden zahlreiche
Uniformen und Kinderwaffen angeboten. Sogar
große Gartengeschütze aus Holz, mit denen man
hölzerne Granaten verschießen konnten, waren um
die Jahrhundertwende erhältlich. Spätestens mit der
Flottenpolitik des Deutschen Reiches, die seit der
Jahrhundertwende in dem Ausbau der Seestreitkräfte ihren Ausdruck fand und mit den alljährlich
stattfindenden Flottenmanövern deutliche Zeichen
eines erstarkten militärischen Bewusstseins setzte,
gab es ein Kleidungsstück, das sich jeder Junge
wünschte. Der Matrosenanzug galt in weiten
Kreisen der Bevölkerung, so auch in Salzgitter, als
das patriotische Kleidungsstück par exellence. Mit
dem Ausbruch des 1. Weltkrieges wuchs die
Produktion von militärischen Spielwaren deutlich.
Mit dem Ausbruch des 1. Weltkrieges setzte auch
eine Intensivierung der Bemühungen zahlreicher
Pädagogen ein, ihre Schüler für den Krieg zu
begeistern und auf das Leben als Soldaten
vorzubereiten. Die Schulklassen wurden mit neuen
Lesebüchern ausgestattet, deren einzige Aufgabe
darin bestand, das Kriegsgeschehen heroisierend in
die Klassenzimmer zu bringen: „Pflicht der Schule ist
es, unsere Jugend mit diesen herrlichen Erfolgen
bekannt zu machen und durch die Kinder auf das
Elternhaus einzuwirken. Die Bevölkerung muß
durch die Freude über das bisher Erreichte in dem
Entschluß bestärkt werden, alle weiteren Opfer
geduldig zu ertragen.“ (Radtke, J: Drei Jahre
Weltkrieg. Breslau 1916)
Die hier abgebildeten Objekte stammen aus der
Sammlung des Städtischen Museums Schloß
Salder. Dort wird anhand von zahlreichen Beispielen die Geschichte der Militarisierung der Kindheit
thematisiert.
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Das Feuerlöschwesen in Salzgitter
Rechte Spalte oben:
Die Freiwille Feuerwehr
Flachstöckheim vor dem
Kavaliershaus des Gutes
um1908.
Am 1. Januar 1875 trat im Herzogtum Braunschweig
ein neues Gesetz über das Feuerhilfswesen in Kraft.
Das Gesetz räumte mit dem überlieferten
„Schlendrian“ bei der Brandbekämpfung gründlich
auf. Die ungeschulte und oft auch unwillige
Allgemeinheit wurde durch gut ausgebildete
Feuerwehren ersetzt. Leitung und Aufsicht des
Feuerlöschwesens lagen bei der Ort- und
Landespolizei. Kreisbranddirektoren überwachten
das Feuerlöschwesen, inspizierten Löschgeräte und
Mannschaften.
Zur persönlichen Ausrüstung der Mannschaften
gehörten ein „lackierter Helm von Blech oder Leder“,
eine dunkelgraue wollene Joppe mit rotem
Stehkragen und ein 13 cm breiter Gurt. Die
Spritzenmeister trugen einen Gürtel mit Tasche und
Ring, dazu Axt, Leine und eine kleine Laterne. Die
Steiger trugen einen „blanken Helm“, Hauptmann,
Kommandeur
und Kreisbranddirektor
einen
blanken Helm mit rotem Rosshaarbusch.
Linke Spalte oben:
Die Freiwillige Feuerwehr
Ringelheim vor dem
Spritzenhaus, um 1900.
Rechte Spalte Mitte:
Lederne Feuerlöscheimer aus Ohlendorf und
Kniestedt, 2. Hälfte 18.
Jahrhundert.
Linke Spalte unten:
Handdruckspritze der
Freiwilligen Feuerwehr
Fotos:
Medienzentrum Salzgitter
Text: Ursula Wolff
Die Gemeinden waren nun grundsätzlich verpflichtet, Feuerwehren aufzustellen. Fanden sich
nicht genügend Einwohner für die Gründung einer
Freiwilligen Feuerwehr, musste eine Pflichtfeuerwehr aufgestellt werden, die aber nicht
uniformiert war.
Die örtlichen Wehren teilten sich in die „einexerzierte
Feuerwehr“, der die Brandbekämpfung und die
Rettung von Mensch und Vieh oblag, und die
Ordnungsmannschaft, die für die Absperrung und
Bewachung des geretteten Inventars verantwortlich
war, aber auch zum Pumpen an der Handdruckspritze eingesetzt werden konnte.
In den meisten braunschweigischen Gemeinden
Salzgitters gelang es, freiwillige Feuerwehren
aufzustellen, die sich in einigen Fällen jedoch wieder
auflösten und durch eine Pflichtfeuerwehr ersetzt
werden mussten, bis wieder genügend Freiwillige
zusammenfanden. Gründe waren z.B. Zerwürfnisse
innerhalb der Mannschaften oder Unstimmigkeiten
zwischen Gemeinde und Feuerwehr.
In den ehemals preußischen Gemeinden der Stadt
Salzgitter bildeten sich die Freiwilligen Feuerwehren später, im Gegensatz zu Braunschweig gab es in
Preußen noch
keine verbindliche gesetzliche
Regelung. Es gab jedoch Empfehlungen, die die
Gründung freiwilliger Feuerwehren fördern sollten.
Gefördert durch
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Stiftung
VR-Stiftung der Volksbanken und
Raiffeisenbanken in Norddeutschland
© Layout: Rudolf Zehfuß
Grüße aus Salzgitter
Als Vorläufer der Ansichtskarte gelten künstlerisch
ausgestaltete Schmuckbriefe oder Karten (auch
Glückwunsch- und Freundschaftskarten), die jedoch
nur in verschlossenen Umschlägen von der Post
befördert wurden. Im Jahre 1865 wurden von der
preußischen Post »Offene Karten« mit gedruckten
illustrierten Geschäftsanzeigen zugelassen, aber
erst die Einführung der Postkarte im Jahre 1870 für
Korrespondenzen aller Art erlaubte, die Rückseite
der Adressseite zugleich als Bildträger zu benutzen.
Beliebte Objekte waren und sind Lithografien bzw.
die farbigen Chromolithografien. Sie wurden in
einem aufwändigen Edeldruckverfahren hergestellt.
Das zu druckende Bild wurde in bis zu 21 Farben
zerlegt und anschließend in ebenso vielen Schritten
übereinander gedruckt.
Ab 1905 wurde die Adressseite der Ansichtskarte
(und Postkarte) in Deutschland geteilt, die linke Seite
stand nun für Mitteilungen zur Verfügung. Bis dahin
konnten Grüße und Mitteilungen nur im Bildteil der
Ansichtskarte erfolgen, weil die Anschriftseite
ausschließlich für die Adresse verwendet werden
durfte. Ansichtspostkarten fanden schnell massenhafte Verbreitung und wurden zum begehrten
Sammlerobjekt.
Im Jahrzehnt von 1895 bis 1905 wurden besonders
viele Ansichtspostkarten in diesem Verfahren
hergestellt. Typisch sind die hier abgebildeten
Beispiele so genannter Potpourri-Karten, die
verschiedene Motive und Ansichten eines Ortes
zeigen.
Bildnachweis:
Medienzentrum Salgitter
Text: Ursula Wolff
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Raiffeisenbanken in Norddeutschland
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Vereine in Salzgitter
Rechte Spalte oben:
Turnerriege des Turnvereins "Gut Heil Barum"
um 1910. Der Verein
wurde imJahre 1896
gegründet.
Das Recht, Vereine zu bilden, war schon eine
Forderung der Revolution von 1848 und fand
Eingang in die „Grundrechte des Volkes“. Nach
deren Aufhebung 1851 wurde 1854 durch den
Deutschen Bund gesetzlich geregelt, daß nur solche
Vereine erlaubt waren, die den Nachweis erbringen
konnten, daß ihre Zwecke mit den Bundes- und
Reichsgesetzen in Einklang standen und die
öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht gefährdeten.
Linke Spalte Mitte:
Der im Jahre 1863
gegründete Männerturnverein Salzgitter löste
sich nach einigen Jahren
wieder auf. Nach der
zweiten Wiedergründung
konnte im Jahre 1913
das 30jährige Stiftungsfest gefeiert werden.
Rechte Spalte Mitte:
Schützenfest in Salzgitter-Bad im Jahre 1888.
Erst mit dem Reichsvereinsgesetz von 1908 wurde
die Beschränkung auf Männer aufgehoben und auch
die bis dahin erforderliche Anzeigepflicht für
unpolitische Versammlungen und geschlossene
Gesellschaften. Allen Reichsangehörigen war nun
erlaubt, sich zu Vereinen zusammenzuschließen,
wenn der Zweck den Gesetzen nicht zuwiderlief. In
den deutschen Städten gab es schon nach 1815
zahlreiche Gesangvereine und so genannte
Gesellschaftsvereine, ab Ende der 1850er Jahre
folgten Turn- und Sportvereine. In Salzgitter-Bad
wurde bereits 1835 ein Gesangverein gegründet.
Der älteste Sportverein im Salzgittergebiet ist der
Männerturnverein Salzgitter von 1863. Insgesamt
geschahen die Vereinsgründungen im ländlichen
Bereich später als in den Städten. Um 1890 wurden
im ländlichen Bereich Vereine zahlreich gebildet,
Sportvereine, Gesangvereine, Geselligkeitsvereine
und andere bestimmten und bestimmen heute noch
nachhaltig das gesellschaftliche Leben in der
dörflichen Gemeinschaft.
In den Jahren nach dem siegreichen Krieg gegen
Frankreich gründeten sich zahlreiche Kriegervereine und Landwehrvereine, in denen die Kriegsteilnehmer ihre Kameradschaft pflegten. Im
braunschweigischen Teil Salzgitters bildeten sich
auch Vereine mit ausgesprochen politischer
Zielsetzung. Bedeutendster war die „Vaterländische
Vereinigung Brunonia“, die als Reaktion auf die
Übernahme der Regentschaft in Braunschweig im
Jahre 1885 durch Prinz Albrecht von Preußen
entstand.
Unten:
Der Gesangverein
Immendorf, um 1910.
Bildnachweis:
Medienzentrum Salzgitter
Text: Ursula Wolff
Gefördert durch
VR
Stiftung
VR-Stiftung der Volksbanken und
Raiffeisenbanken in Norddeutschland
© Layout: Rudolf Zehfuß
Genossenschaften
Rechte Spalte oben:
Molkereigenossenschaft
Papenteich in Meine
Foto: Meyerholz;
65 Jahre ländliche
Genossenschaftsarbeit in
Hannover-Braunschweig
Die Idee von Friedrich Wilhelm Raiffeisen
Selbsthilfe durch eine genossenschaftliche
Organisation erwies sich auch im Braunschweigischen als erfolgreich. Zunächst gab es für
genossenschaftliche Zusammenschlüsse lediglich
die „erlaubte Privatgesellschaft“ als Rechtsform.
Erst mit dem Gesetz betreffend die Erwerbs- und
Wirtschaftsgenossenschaften galt ab 01.05.1889
eine reichs-einheitliche Grundlage. Zu diesem
Zeitpunkt waren beispielsweise bereits tätig:
Dreschgenossenschaft Fümmelse (1874), Konservenfabrik Watenbüttel (1878), Braunschweiger
Molkerei (1880), Landwirtschaftliche Maschinengenossenschaft Beinum (1887) und Centralmolkerei
Groß Sisbeck (1888).
Kostengünstig wurde ertragversprechendes Saatgut und Dünger (wie Salpeter oder Kainit) beschafft.
Weiter ging es mit der Beschaffung von Futtermitteln
sowie von Geräten und Maschinen. Einzelne
Spezialmaschinen, die jeder Landwirt vielleicht nur
wenige Tage im Jahr benötigte, beschaffte die
Genossenschaft auf eigene Rechnung und lieh sie
gebührenpflichtig an Mitglieder aus. Auch die
genossenschaftliche Vermarktung überschüssiger
Erzeugnisse ergab höhere Preise. Das Geldgeschäft - Sparen und Kredite - bekam erst später
die größere Bedeutung.(siehe Bild unten links)
Linke Spalte Mitte:
Betriebsgebäude der
Molkerei Vorsfelde
eGmbH im Jahr 1898.
Foto aus:
75 Jahre ländliche
Genossenschaftsarbeit in
Hannover-Braunschweig.
- Hannover, 1964.
Rechte Spalte unten:
Genossenschaftliche
stationäre Kartoffeldämpfanlage
Foto: Meyerholz;
65 Jahre ländliche
Genossenschaftsarbeit in
Hannover-Braunschweig
Linke Spalte unten:
1909 erster Stahltresor
für die Gewerbebank
e.G.m.b.H. Wolfenbüttel;
gegründet 1902 als
“Allgemeine Spar- und
Creditgenossenschaft
mbH”;
heute Volksbank
Foto: aus Wolfenbütteler
Album 2002
Text: Rolf Ahlers
Gefördert durch
VR
Stiftung
VR-Stiftung der Volksbanken und
Raiffeisenbanken in Norddeutschland
Die Geschäftstätigkeit der Spar- und Darlehnskassen befasste sich anfangs hauptsächlich mit
dem Warengeschäft. In den ländlichen Gebieten des
Herzogtums Braunschweig hatte die Landwirtschaft
die größte Bedeutung. Als Reichskanzler Georg Leo
Graf von Caprivi, seit 1890 im Amt, die Aufhebung
der Schutzzölle für Getreide verfügte, erlitt die
Landwirtschaft starke Einbußen. Besonders
nachdem die landwirtschaftlichen Amtsvereine im
Herzogtum Braunschweig im Jahre 1900 einen
Aufruf mit der Überschrift "Gründet Spar- und
Darlehnskassen!" Veröffentlichten, schlossen sich
die Landwirte noch stärker genossenschaftlich
zusammen.
Die guten Erfahrungen mit Genossenschaften im
Bereich der allgemeinen Landwirtschaft gaben auch
den Anstoß zur Gründung von Spezial-Genossenschaften (z.B. für Bullenhaltung, Schäferei und
Viehverwertung) und Genossenschaften in weiteren
Wirtschaftszweigen, unter anderem: Ländliche Wirtschaftsvereine, Bäckerei-, Elektro- und Kalthausgenossenschaften.
© Layout: Rudolf Zehfuß
Großbürgertum im Wolfenbüttel
der Gründerzeit - Villa Seeliger
Wolfenbüttel am Ende des 19. Jahrhunderts war
eine bürgerliche Stadt mit ca. 18.000 Einwohnern.
Zu den reichsten und mächtigsten Familien der
einstigen Residenzstadt gehörten zweifelsohne die
Seeligers, eine Hugenottenfamilie, die im 17.
Jahrhundert nach Deutschland gekommen war.
Linke Spalte oben:
Villa Seeliger
Foto: Museum im
Schloss Wolfenbüttel
Rechte Spalte Mitte:
Musikzimmer
Foto: Museum im
Schloss Wolfenbüttel
Linke Spalte Mitte:
Portal
Foto: Museum im
Schloss Wolfenbüttel
Linke Spalte unten:
Eingangshalle:
Foto: Museum im
Schloss Wolfenbüttel
Text: S. Donner
Aus dem Handelshaus
für Korn, Garn und
Wolle, das die Seeligers Ende des 18.
Jahrhunderts in Wolfenbüttel gegründet
hatten, entwickelte sich
bald ein erfolgreiches
Bankhaus, das seit 1825 seinen Sitz an der Langen
Herzogstraße in einem der ältesten steinernen
Bürgerhäuser der Stadt hat. Die Seeligers zählten
über Generationen hinweg nicht nur zu den wirtschaftlich erfolgreichsten Familien der Stadt, sie
waren auch eine der einflussreichsten, stellten
Landtagsabgeordnete, Stadtverordnete und Landräte.
Das Portal ziert ebenso
wie das Renaissanceportal des Bankhauses
der Wahlspruch Herzog
Augusts d. J. ”Alles mit
Bedacht”. Auch die großformatigen Gemälde im
Treppenhaus sind ein
Hinweis auf die welfische Gesinnung des
damaligen Hausherrn.
Im Erdgeschoss der Villa
befinden sich die Repräsentationsräume, die
den Rahmen für gesellschaftliche Ereignisse und
Familienfeste bildeten.Die
Seeligers waren bekannt
für ihre großbürgerliche
Gastfreundschaft, der in
der Satire ”Aus dem Tagebuch eines Grottenmolchs” Rudolf Huch ein literarisches Denkmal setzte. Der Musik- und Speisesaal, der größte Raum der
unteren Etage war Ort dieser zitierten, legendären
Feste und weist eine bauliche Besonderheit auf.
Hinter der Westwand befindet sich im Zwischenstock ein kleines Zimmer, in dem Musiker für die
richtige Untermalung der Anlässe sorgten. Die
Künstler waren durch diese architektonische
Raffinesse zwar zu hören, aber nicht zu sehen. Die
Gesellschaft blieb unter sich. Im Jahr 1869 erwarb
Gustav Seeliger für 22.000 Taler das ”Kleine
Schloss” samt dem ca. 37.000qm großen Park, den
heutigen ”Seeliger-Park”. In der Mitte dieses Parks,
auf den alten, geschleiften Festungsanlagen der
Bastion Lindenberg, sollte das neue Wohnhaus
entstehen. Für das Bauvorhaben wurde der damals
namhafteste Architekt des Braunschweiger Landes,
Constantin Uhde, gewonnen. Ostern 1900 war die
Villa im Stil der Giebel-Renaissance fertiggestellt
und konnte von der Familie Louis Seeliger bezogen
werden.
Die Villa Seeliger zählt schon aufgrund ihrer
exponierten Lage auf dem Lindenberg zu den
schönsten der Stadt. Der hohe Sockel, die
Schmuckelemente und der lebhaft gegliederte
Baukörper zeugen nicht nur von finanziellem
Wohlstand, sondern sind auch eine Demonstration
von Herrschaftlichkeit und bürgerlichem Stolz.
Dem Musiksaal schließen sich das Empfangszimmer, der Damensalon und die Bibliothek an, sie
diente bei Gesellschaften auch als Herrenzimmer,
sonst als Arbeitszimmer des Hausherren. Über das
Treppenhaus gelangt man in das Obergeschoss,
den privaten Bereich der Familie, zusätzliche
Gästezimmer und Kammern für die Dienstboten gab
es auf dem Dachboden.
Das Souterrain war wie in allen herrschaftlichen
Häusern der Gründerzeit das Reich der Dienstboten, hier befanden sich die Küche, Wirtschaftsräume und Aufenthaltsräume für das Personal.
Außer der Köchin sorgten zwei Dienstmädchen, ein
Kutscher, der in Zeiten des Automobils zum
Chauffeur wurde, und ein Gärtner für das leibliche
Wohl der vierköpfigen Familie Seeliger.
Seit 1974 gehört der Seeliger-Park der Stadt
Wolfenbüttel, die Villa ging in den 80er Jahren in
kommunalen Besitz über. Bis zu ihrem Tode im Jahr
2000 bewohnte Lonny Seeliger, die Schwiegertochter des Erbauers, die Villa.
Im Jahr 2009 wird die Villa Seeliger Sitz der
Niedersächsischen Landesmusik-Akademie.
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© Layout: Rudolf Zehfuß
Bismarcktürme in Salzgitter-Bad
und Wittmar
Rechte Spalte.
Bismarckturm in Wittmar
Foto: Sammlung Krämer
Denkmäler dienen im Allgemeinen der Erinnerung
herausragender Personen oder bedeutender
Gegebenheiten. Personendenkmäler erlebten im
19. Jahrhundert bis in den Anfang des 20.
Jahrhunderts hinein ihre Blütezeit. Die BismarckDenkmäler dokumentieren die große vom
Bürgertum ausgegangene Verehrung Bismarcks
und spiegeln die politische und gesellschaftliche
Geisteshaltung des wilhelminischen Kaiserreiches
wieder. Nach dem Tode des Gründers des
Deutschen Reiches 1898 erwuchs Bismarck zu
einer Ideal- und Kultfigur. Dies dokumentierten über
230 Bismarcktürme, 100 Standbilder, 55 Büsten und
mehr als 270 Gedenksteine in ganz Deutschland
sowie in den deutschen Kolonien entstanden.
In Niedersachsen gibt es 14 Bismarcktürme- und
säulen. Davon stehen drei im Gebiet der
Braunschweigischen Landschaft; in Salzgitter-Bad
/Hamberg und in Wittmar/Asse und auf dem Lahberg
in Lahstedt-Oberg. Die Türme zählen zu den früh
erstellten Gedenktürmen.
Bismarckturm Wittmar
Es war die braunschweiger Studentenschaft der
Universität Carola-Wilhelmina, die die Errichtung
eines Bismarckdenkmals initiierte. Nachdem der
Thieder Lindenberg als Standort letztlich aufgrund
der Einflussnahme des Asseburger Verschönerungsvereins ausschied, erfolgte am 17. Juni
1900 mit der Grundsteinlegung der Bau des
Bismarckturms in Wittmar. Der Turm nach dem
preisgekrönten Entwurf „Götterdämmerung“ von
Wilhelm Kreis misst 24 Meter. Vier Ecksäulen zieren
den Aussichtsturm mit Feuerschale. Der Turm wurde
aus - für Bismarcktürme gefordert - ortsüblichem
Muschelkalk und Dolomit erbaut.
Bismarckturm Salzgitter-Bad
Bereits ein Jahr nach dem Tode Bismarcks initiierte
der Bürger- und Harzverein Salzgitter den Bau des
Turmes auf der Anhöhe des Hamberges. Am 10.
September 1899 wurde der Grundstein des aus
Stein und Eisen bestehenden Turms gelegt. Es
handelt sich um einen begehbaren Turm ohne
Feuerschale. Er misst insgesamt 17 Meter, von
denen 12 Meter aus einer Stahlkonstruktion
bestehen.
Linke Spalte:
Bismarckturm in
Salzgitter-Bad
Foto: Medienzentrum
Salzgitter
Text: Ralf Hermann
Seine Kosten,
die aus Spenden finanziert
wurden, beliefen sich auf ca.
7000 Mark. Am
12. August 1900
erfolgte schließlich die feierliche
Einweihung. Der
Turm besitzt einen quadratischen Grundriß; über dem
Eingang befindet sich ein Bismarckmedallion
aus Bronze.
Im Eingangsbereich befand sich bis 1965 eine zwei
Meter hohe, 14 Zentner schwere „Siegestrophäe“
mit Bismarckbildnis. 1990/2002 wurde der Turm
generalsaniert und bietet dem Besucher einen
herrlichen Blick in die ehemals zum Königreich
Hannover zugehörige Landschaft.
Seine Kosten beliefen sich auf rund 40.000 Mark.
Über dem Eingang am Säulenschaft befindet sich
ein Reichsadlerrelief. Die innere Steinwendeltreppe
mit 123 Stufen führt auf die Aussichtsplattform. Am
20. Oktober 1901 fand unter Teilnahme von nahezu
20.000 Menschen die Einweihung statt. In den
Folgejahren wurden anlässlich besonderer
Gedenktage durch die Studentenschaft ein Feuer in
der dafür vorgesehenen Feuerschale entzündet.
Nach seiner Sanierung 1985 bis 1987 steht der Turm
unter der Betreuung des Heimat- und Verkehrsvereins Asse. Vom Turm hat der Besucher einen
schönen Rundblick auf das braunschweiger Land.
Gefördert durch
VR
Stiftung
VR-Stiftung der Volksbanken und
Raiffeisenbanken in Norddeutschland
© Layout: Rudolf Zehfuß
Bahnhof - Börssum
Die Südbahn vermied
dies zwar, musste dafür jedoch im Raum
Kreiensen eine Trassierung wählen, die auf
Grund der vielen Steigungen und des starken Gefälles eine positive Entwicklung des
Reisefernverkehrs in
Richtung Ruhrgebiet
nicht zuließ.
Die bis in das Jahr
1945 wichtigere OstWeststrecke bewährte
sich im Deutsch-Französischen Krieg 1870/
1871, als ein Großteil
der Militärtransporte
über diese Strecke
geleitet wurde.
Oben links:
Gleisplan vom 1914
Niedersächsisches
Staatsarchiv Wolfenbüttel
127 Neu 1463Ka.
Staatsmänner, Schriftsteller und Spartakisten
Der Bahnhof Börßum in der Kaiserzeit
Der Bahnhof Börßum zählte in seiner Blütezeit 30
parallele Gleise und war bis zum Kriegsende 1945
einer der größten und wichtigsten Eisenbahnknotenpunkten in Deutschland: Er verband Ost und
West, Nord und Süd miteinander. Der „Eiserne
Vorhang“ als Folge des Zweiten Weltkrieges ließ
jedoch den Eisenbahnverkehr in die östliche
Richtung versiegen.
Rechte Spalte:
Börßumer Bahnhof
um 1980
Fotoarchiv:
Wolfgang Lange
Wolfenbüttel
Text:
Markus Gröchtemeier
Der Aufstieg begann bereits drei Jahre vor der
Gründung des Deutschen Kaiserreiches, als die
Strecke Börßum-Jerxheim am 1. Juli 1868 seiner
Bestimmung übergeben wurde. Als erster Abschnitt
in Deutschland wurde sie sofort zweigleisig eröffnet.
Als Eisenbahnknotenpunkt erhielt Börßum im
selben Jahr das erste in Deutschland hergestellte
mechanische Stellwerk mit Folgeabhängigkeiten
nach „Patent Saxby“. Dieses Stellwerk gestattete es,
dass erst in der Folge der richtigen Weichenstellungen mittels einfacher Drahtzüge das
dazugehörige Signal die Zugfahrt freigab und war
folglich von der Sicherung der Zugfahrten ein
weiterer Schritt nach vorn. Zugfahrten konnten sich
fortan untereinander nicht mehr gefährden.
Der Ost-West-Fernverkehr führte von Berlin in die
preußischen Rheinprovinzen und in Richtung
Kassel-Frankfurt über Börßum. Alternativ bestand
bereits eine Verbindung über Braunschweig-Hannover-Minden, welche jedoch in der Entfernung länger
war und zudem über „fremdes Gebiet“ verlief, über
das des Königreiches Hannover.
Unmittelbar nach der Annexion des Königreiches
Hannover durch Preußen (1866) wurden jedoch
schon Pläne erarbeitet, die schnellere und
leistungsfähigere Eisenbahnlinien zwischen Berlin
und dem Ruhrgebiet vorsahen. Mit der Eröffnung
dieser Strecken über Stendal (1871) bzw. Helmstedt
(1872) wanderte der Personenfernverkehr über
Börßum zunächst ab. Im Güterverkehr zählte
Börßum weiterhin zu den großen Rangierpunkten,
zumal Braunschweig hierfür keine geeigneten
Anlagen besaß und einen Teil seines Güteraufkommens über Börßum in die Fernverbindungen
einstellen ließ.
Auch nach dem Jahr 1872 muss jedoch im
Personenverkehr weiterhin so viel Treiben auf dem
Bahnhof Börßum geherrscht haben, dass der
berühmte Erzähler Wilhelm Raabe im Jahr 1875
feststellte: „Fahre nach dem nächsten Eisenbahnknotenpunkt (Börßum), setze Dich mit einer Tasse
Caffee und einer Cigarre vor die Bahnhofsrestauration und sieh in das Getümmel des europäischen Lebens.“
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Heinrich Büssing: Vom Dorfschmied zum Industriepionier
Er strebte nun eine Hochschulausbildung an und
besuchte das Collegium Carolinum in Braunschweig
für mehrere Semester, die von unterstützendem
Privatunterricht, vor allem in Mathematik, begleitet
wurden. Seine erste Stelle als Ingenieur erhielt
Büssing im Konstruktionsbüro des späteren
Eisenbahndirektors Clauß. Erste Versuche eigener
Unternehmensgründungen, wie für eine Velocipedfabrik 1869, scheiterten. Erst die Bekanntschaft mit
dem jüdischen Kaufmann Max Jüdel, der das
erforderliche Unternehmenskapital aufbrachte,
ebnete den Weg zur erfolgreichen Gründung der
„Eisenbahnsignalanstalt Max Jüdel & Co“ im Jahre
1873. Etwa Mitte der 1880er Jahre war die Firma
etabliert und Heinrich Büssing, dem zahlreiche
Patente in der Signaltechnik zuerkannt wurden,
gründete als erfolgreicher Unternehmer auch
Niederlassungen im Ausland. Im Jahre 1903
wechselte Büssing sein Geschäftsfeld und gründete
die „H. Büssing Spezialfabrik für Motorlastwagen
und Motoromnibusse“. Erfolgreich setzte er
Neuentwicklungen und Konstruktionsverbesserungen im Automobil-Nutzfahrzeugbau um.
Linke Spalte oben:
Heinrich Büssing, Porträt
Foto: Historisches Archiv
der Fa. MAN
Rechte Spalte Mitte:
Das Büssinghaus in
Nordsteimke
Foto: H.G.Koll
Linke Spalte unten:
Erstes Fabrikgebäude
der Büssing-Werke an
der Wolfenbütteler
Straße in Braunschweig
1902
Foto: Stadtarchiv Braunschweig
Text: Werner Strauss
Als berühmtester Sohn Nordsteimkes, heute Ortsteil
der Stadt Wolfsburg, gilt Heinrich Büssing, der in
dem braunschweigischen Dorf am 29. Juni 1843
geboren wurde. Nach dem Besuch der Dorfschule
erlernte er in der väterlichen Schmiede das
Schmiedehandwerk. Mit sechzehn Jahren fertigte er
beim Altmeister Deike in Vorsfelde zum Abschluss
seiner Berufsausbildung als Gesellenstück ein
Hufeisen. Nach kurzer Gesellenzeit in Braunschweig ging er 1861 mit achtzehn Jahren zu Fuß
auf Wanderschaft, die ihn zunächst nach Norddeutschland führte. Weiter führte seine Route im
Jahre 1862 in den süddeutschen Raum und
schließlich bis Basel in der Schweiz. Um viel Wissen
und berufliche Erfahrung bereichert, kehrte er zu
Weihnachten desselben Jahres nach Nordsteimke
zurück.
Bedingt durch den Ausbruch des 1. Weltkrieges
stellte das Büssing-Werk Lastwagen für militärische
Zwecke her. Von der Leitung seiner Firma trat er
nach Übergabe an Familienmitglieder 1920 zurück,
war jedoch bis zu seinem Tode Aufsichtsratsvorsitzender. Die TH Braunschweig ehrte Büssing
mit der Verleihung des Ehrendoktors und des Titels
„Ehrensenator“. Am 27. Oktober 1929 verstarb
Büssing in Braunschweig. Im Heinrich-BüssingHaus Nordsteimke hält die MAN AG, die 1971 die
Firma Büssing übernommen hat, mit einer
Ausstellung und der rekonstruierten Schmiede das
Gedenken an Leben und Werk Heinrich Büssings
wach.
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Der Männer-Turnverein
Vorsfelde von 1862
Nach der Gründung des Kaiserreiches erfuhr der
Turnverein einen sichtbaren Aufschwung. 1874
hatte er erstmals über 20 stimmberechtigte
Mitglieder und konnte nun in zwei Riegen turnen.
Vielfach war der MTV Vorsfelde gesellschaftliche
Integrationsmöglichkeit für in örtlichen Handwerksbetrieben beschäftigte Wandergesellen. Um 1880
geriet das Vereinsleben in eine eher ruhende Phase.
Erst 1888 vermerken die Vereinsprotokolle eine
Aktivierung der Turner, die sich unter anderem aus
nennenswerten Neuzugängen von Turnern ergab.
Auch das einstmals beliebte Wintervergnügen fand
wieder statt. „Wer eine Dame einzuladen wünscht,
hat dieselbe innerhalb der nächsten 14 Tage
spätestens bis zum 05. Februar dem Vorstand
mitzuteilen, der über ihre Zulassung entscheidet“, so
rigide lauteten die Bestimmungen. Gesellschaftlich
gehörte dieses Fest zu den unbestrittenen
Jahreshöhepunkten im Ort. Wenige Jahre vor der
Jahrhundertwende begann eine Blütezeit des
Vereins. Bis zum anberaumten Sommerfest 1895
sollten dreimal pro Woche Turnübungen durchgeführt werden. Meistens mit Pferdegespannen
machten sich die Vereinsmitglieder auf den Weg zu
Turnbegegnungen in Brome, Fallersleben und zum
Gauturnfest nach Gifhorn. Eine Zäsur in der
Vorsfelder Turnerschaft brachte 1908 die Gründung
einer Damen-Turnabteilung mit sich, die wenige
Jahre später dem Männer-Turnverein angegliedert
worden ist.
Linke Spalte oben:
Gründungsprotokoll des
Vereins vom 08. August
1862
Rechte Spalte Mitte:
Programm des 50-jährigen Stiftungsfestes 1912
Der im Revolutionsjahr 1848 in Hanau gegründete
Deutsche Turner-Bund veranstaltete 1860 das erste
Deutsche Turnfest in Coburg. Von diesem Massenereignis gingen Anfang der 60er Jahre des 19.
Jahrhunderts entscheidende Impulse zur weiteren
Verbreitung der Turnerbewegung aus, die 1862
auch zur Gründung des MTV -Vorsfelde führten.
Wilhelm Grete, Angehöriger einer bekannten
Vorsfelder Kaufmannsfamilie, lud 12 Männer zu der
Gründungsversammlung am 08. August 1862 ein,
die ihn zum Vorsitzenden bestimmten. Außerdem
beschloss die Versammlung als Aufnahmekriterien
in den Verein, dass jeder unbescholtene Mann, der
das 17. Lebensjahr erreicht hatte, Mitglied werden
konnte.
Linke Spalte unten:
Musterriege des MTVVorsfelde im Jahre 1912
Alle Abbildungen wurden
den Festschriften zum
100. Und 125. Jubiläum
des MTV-Vorsfelde
entnommen
Text: Werner Strauss
Mit dem Beginn des neuen Jahrhunderts erweiterte
sich das Sportangebot des Vereins um Ballspiele
und leichtathletische Übungen. Im Januar 1914 verzeichnete der MTV 97 aktive und zahlreiche weitere
passive Mitglieder. Der Erste Weltkrieg führte zu
einer weitgehenden Einstellung der Vereinsaktivitäten.
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Der Kalibergbau in Rothenfelde
Bild oben:
Belegschaft des Kalischachtes Rothenfelde
1914
Foto: Stadtarchiv
Wolfsburg
Rechte Spalte Mitte:
Arbeiter des Kalischachtes mit Abraumlore
Foto: W. Naucke
Linke Spalte unten:
Besichtigung des
Stollens
Foto: Stadtarchiv
Wolfsburg
Text Werner Strauss
Um 1900 war der Kalibergbau der jüngste Zweig des
deutschen Bergbaus und sichtbares Zeichen der
frühen Industrialisierung. Fast zeitgleich mit dem
Kalibergwerk in Ehmen erfolgte am 16. August 1905
die Gründung der Kalibohrgesellschaft „Werk
Rothenfelde“ als zweitem Bergwerk auf dem
heutigen Wolfsburger Stadtgebiet. Gutsbesitzer
Werner Graf von der Schulenburg räumte der
Bergwerks-Gesellschaft das Recht ein, „nach Kalisalz, Steinsalz und den diese begleitenden Salzen
und Solen sowie nach Ölen zu schürfen und zu bohren.“ Die bergbaurechtlichen Gerechtsame erstreckten sich über 8.000 hannoversche Morgen in
den Gemarkungen Rothenfelde und Sandkamp. Der
ab 1911 niedergebrachte Schacht liegt im heutigen
Zentrum der Stadt Wolfsburg am Schachtweg. Zu
den Betriebsgebäuden des Schachtes gehörten
neben dem Schachtturm, zwei Rohsalzmühlen und
Angestelltenwohnhäuser.
Gefördertes Salz wurde auf einem eigenen Bahngleisanschluss abtransportiert. Teilweise wurde
Kali direkt an Bauern verkauft. So kamen Bauern
aus der Umgebung bis nach Wittingen, Kloetze und
Oebisfelde in der Altmark mit Pferdefuhrwerken,
übernachteten bisweilen auf Höfen der Umgebung
und fuhren am nächsten Tag mit ihrer Fracht an
Düngemitteln zurück in den Herkunftsort. In den
Jahren 1916 bis 1918 wurde vorübergehend in
größerem Umfang auch Stein- oder Kochsalz
gefördert. Dieses Salz mit einem hohen Reinheitsgrad war für den Schachtbetrieb zwischenzeitlich recht profitabel. Zunehmende Konkurrenz
aus dem Ausland verschlechterte in den 1920er
Jahren die wirtschaftlichen Rahmen-bedingungen
des Kalibergbaus. Die Stilllegung und Konzentration
von Förderkapazitäten in den heimischen Revieren
brachte im April 1924 auch die Betriebsschließung
der Schachtanlage in Rothenfelde.
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VR
Stiftung
VR-Stiftung der Volksbanken und
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Der Anschluss Vorsfeldes an das
Eisenbahnnetz
Bild oben:
Vorsfelder Bahnhof um
1910
Foto: Privatbesitz
H. Eckebrecht
Rechte Spalte unten:
Konservenfabrik
Vorsfelde
Foto: Privatbesitz
H. Eckebrecht
Text: Werner Strauss
Mitte des 19. Jahrhunderts benötigte die Postkutsche für die Strecke von Vorsfelde nach
Braunschweig, wirtschaftliches Zentrum der Region
und herzogliche Residenzstadt, etwa 5 Stunden.
Eine Eisenbahnfahrt von Braunschweig nach Berlin
auf der 1843 eröffneten Strecke dauerte lediglich 4 ¾
Stunden. Diese Relation zeigt die Diskrepanz der
alten und modernen Verkehrsmittel der damaligen
Zeit. Es sollte noch Jahrzehnte dauern, bis Vorsfelde
den Anschluss an eine Eisenbahn-Fernverbindung
erhielt. 1867 stimmte Preußen den Plänen der
Magdeburger-Halberstädter-Eisenbahngesellschaft
zu, eine Verbindung zwischen Berlin und Hannover
zu schaffen, die auch über Vorsfelde führen sollte.
Das Herzogtum Braunschweig genehmigte im
Februar 1870 den Streckenverlauf über braunschweigisches Gebiet im Raum Vorsfelde. Als die
Strecke 1871 in Betrieb genommen wurde, waren
schon zahlreiche Städte und Flecken des Herzogtums in das Eisenbahnnetz eingebunden worden.
Nach der Streckeneröffnung passierten täglich 20
Personen- und 30 Vieh- und Güterzüge Vorsfelde.
Bei alledem war Vorsfelde eher ein Durchgangsbahnhof, während im nahegelegenen Oebisfelde
auf preußischem Territorium ein Eisenbahnknotenpunkt mit Umsteigefunktionen entstand.
Im Personenverkehr nutzten 1900 mehr als 36.000
Fahrgäste den Bahnhof Vorsfelde. Beim Güterumschlag wurden etwa doppelt so viele Waren anals abtransportiert. In der Nachbarschaft des
Bahnhofs siedelten sich mit einer Konserven- und
einer Kartoffelflockenfabrik Betriebe zur Veredelung
und Weiterverarbeitung von Agrarerzeugnissen an.
Während der deutschen Teilung nach dem 2.
Weltkrieg war Vorsfelde ein wichtiger Grenzbahnhof
für den Güterverkehr.
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