Das Kriegsende 1945 im Bregenzerwald und der Nationalsozialismus

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Das Kriegsende 1945 im Bregenzerwald und der Nationalsozialismus
Das Kriegsende 1945 im Bregenzerwald und der Nationalsozialismus in Egg
Univ Doz Mag Dr Wolfgang Weber MA MAS
Vortrag und Filmpräsentation Tone Bechter
VHS Bregenzerwald 08. März 2007 BORG Egg
Im Hinblick auf die Geschichte der Jahre der NS-Herrschaft und der NS-Diktatur gibt
es in Vorarlberg mehrere gut gepflegte und von einzelnen Interessensgruppen wie
z.B. historischen Vereinen mit Nachdruck gehegte Mythen.
1. Ein erster Mythos der Landesgeschichte über die gesellschaftspolitische
Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur
Der inhaltliche Kern dieses Mythos ist die Aussage, dass hinsichtlich der Aufarbeitung der Geschichte der NS-Diktatur in Vorarlberg zumindest von staatlicher Seite
aus einem konkreten Grund bis in die 1980er Jahre nichts geschehen sei und es erst
der Anregung einer anno 1982 von damals an Lebensjahren jungen AHS/BHSLehrern
gegründeten
historischen
Vereinigung,
der
Johann-August-Malin-
Gesellschaft bedurfte, um die NS-Diktatur in den kollektiven öffentlichen Diskurs
erstmals seit 1945, seit der Befreiung von der NS-Diktatur und der Gründung der
zweiten österreichischen Republik, einzubringen. Als konkreter Grund für die Absenz
der NS-Geschichte im öffentlichen Diskurs wurde die Involvierung heimischer Vorund Nachkriegseliten in die NS-Herrschaft festgehalten.
Dieser Mythos mutierte in den vergangenen 35 Jahren seit 1982 zu einer Legende:
Die ursprüngliche mythische Deutung des Jahres 1982, dass die Aufarbeitung der
NS-Diktatur in Vorarlberg bis dahin zumindest von staatlicher Seite aus dem angeführten Grund nicht in Angriff genommen worden war, wurde als tatsächliches Ereignis, eben als Legende, in diversesten Erzählungen in unterschiedlichsten Druckwerken, vom historischen Fachbuch bis zum informativen Zeitungsartikel oder Ausstellungstext als Faktum fortgeschrieben.
Realiter ist es nicht so, dass seit 1945 von staatlicher Seite nichts für eine Aufarbeitung der Jahre der NS-Diktatur unternommen wurde. In Egg und im gesamten Bezirk
Bregenz begann vier Monate nach der Befreiung vom Nationalsozialismus eine von
staatlicher Seite verordnete öffentliche Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur und
ihren Träger/innen.
UnivDoz Dr Weber Vortrag „Kriegsende Bregenzerwald – Nationalsozialismus in Egg“ 08.03.2007
1
2. Behördliche Auseinandersetzungen mit der Geschichte der NS-Diktatur 1945
Am 28. August 1945 ordnete der französische Militärgouverneur für den Bezirk Bregenz, Major Joseph Martial Benité, den Bürgermeistern des Bezirks die Abfassung
eines Rapports über die Träger/innen des Nationalsozialismus und die Geschichte
der NS-Herrschaft in der jeweiligen Gemeinde an. Auf Grundlage dieser Berichte
sollten die Reinigungsmaßnahmen (mesures d’épuration) der Vorarlberger Gesellschaft und Wirtschaft vom Geist und den Anhänger/innen des Nationalsozialismus,
wie sie in Jalta und Potsdam als Kriegsziel der Anti-Hitler-Koalition formuliert worden
waren, stattfinden.1
Für diese Säuberung erließ die provisorische Regierung der Republik Österreich im
Mai, Juni und September 1945 einschlägige Gesetze: Das Verbotsgesetz, das
Kriegsverbrechergesetz und das Wirtschaftssäuberungsgesetz.2 Sie bildeten die
rechtliche Grundlage, auf der die sog. Entnazifizierung stattfand. Diese war eine weitere staatliche Aktivität zur Aufarbeitung der Geschichte der NS-Diktatur noch im
Jahre 1945. Dass sie tatsächlich zumindest bis 1948 ernsthaft administriert wurde,
wie in der Folge am Beispiel Egg gezeigt werden wird, entzieht dem eingangs erwähnten Mythos weiteren Boden.
Die von Major Benité vier Monate nach der Befreiung von der NS-Diktatur eingeforderten Berichte über die Geschichte der NS-Herrschaft wurden 1999 in der vom Vorarlberger Landesarchiv edierten Reihe „Quellen zur Vorarlberger Geschichte“ veröffentlicht.3 Sie geben m. E. ein deutliches Zeugnis davon ab, dass sich die frühen
Vorarlberger Nachkriegseliten in den Kommunen bereits 1945 mit dem Nationalsozialismus und dessen Repräsentant/inn/en auseinandersetzten – und dies durchwegs kontrovers:
In Lauterach und Sibratsgfäll etwa verfassten der Gendarmerieposten und das Bürgermeisteramt bzw. das katholische Pfarramt und das Bürgermeisteramt zwei sepa1
Die Anordnung ist abgedruckt in: Wolfgang Weber (Hg.), NS-Herrschaft am Land. Die Jahre 1938 bis 1945 in den Selbstdarstellungen der Vorarlberger Gemeinden des Bezirks Bregenz (Quellen zur Geschichte Vorarlbergs 1), Regensburg 1999, 25-28.
2
StGBl. 13/1945 Verfassungsgesetz vom 8. Mai 1945 über das Verbot der NSDAP (Verbotsgesetz). StGBl. 32/1945 Verfassungsgesetz vom 26. Juni 1945 über Kriegsverbrechen und andere nationalsozialistische Untaten (Kriegsverbrechergesetz).
StGBl. 160/1945 Verfassungsgesetz vom 12. September 1945 über Maßnahmen zur Wiederherstellung gesunder Verhältnisse
in der Privatwirtschaft (Wirtschaftssäuberungsgesetz).
3
Wolfgang Weber (Hg.), NS-Herrschaft am Land. Die Jahre 1938 bis 1945 in den Selbstdarstellungen der Vorarlberger Gemeinden des Bezirks Bregenz (Quellen zur Geschichte Vorarlbergs 1), Regensburg 1999.
UnivDoz Dr Weber Vortrag „Kriegsende Bregenzerwald – Nationalsozialismus in Egg“ 08.03.2007
2
rate Berichte, weil der Ortsgendarm bzw. der Ortspfarrer mit dem Bericht des jeweiligen Bürgermeisters nicht einverstanden war.4
In Egg vermied Bürgermeister LT-Abgeordneter Kaspar Schwärzler die Nennung von
Namen ehemaliger NS-Funktionäre, in Hittisau dagegen nannte Bürgermeister Leopold Nenning nicht nur die Namen der illegalen Nationalsozialisten und der legalen
NS-Funktionäre, sondern auch die Namen jener Mitbürger/innen, die Opfer der NSDiktatur wurden.5
Der Alberschwender Bürgermeister Ferdinand Dür, der vor dem sog. Anschluss im
März 1938 bereits Bürgermeister war und nach der deutschen Okkupation Österreichs weiter im Amt blieb und im April 1938 den Eid auf Adolf Hitler ablegte, bzw. in
dessen Vertretung Martin Lässer wählte in seinem Bericht vom 10. November 1945
einen dritten Weg der Auseinandersetzung:
Er nannte in seinem Bericht über die Geschichte der NS-Herrschaft in Alberschwende nur jene NS-Funktionäre, die 1945 nicht mehr am Ort ansässig waren bzw. deren
Schuld an der NS-Diktatur aufgrund ihrer Stellung im NS-Staat kaum von der Hand
zu weisen war: Das waren der ehemalige Gemeindearzt Dr. Josef Schedler als Ortsgruppenleiter der NSDAP, dessen Nachfolger als Ortsgruppenleiter, Bürgermeister
Karl Bilgeri und der ehemalige Dorflehrer Ernst Nosko. Damit vermittelten Dür/Lässer
den Eindruck, dass der Nationalsozialismus in Alberschwende zwar von Einheimischen getragen wurde, diese jedoch am Ort nicht mehr anwesend waren. So konnten die Berichterstatter den Nationalsozialismus diskursiv aus Alberschwende entfernen und ihn als etwas Außenstehendes, etwas Fremdes platzieren. Andere Namen
als die aufgezählten wurden im Alberschwender Bericht nicht genannt.6
3. Ein zweiter Mythos der Landesgeschichte über das Ende der NS-Diktatur
4
Zu Lauterach siehe: Wolfgang Weber (Hg.), NS-Herrschaft am Land. Die Jahre 1938 bis 1945 in den Selbstdarstellungen der
Vorarlberger Gemeinden des Bezirks Bregenz (Quellen zur Geschichte Vorarlbergs 1), Regensburg 1999, 116-128. Zu
Sibratsgfäll siehe: Wolfgang Weber (Hg.), NS-Herrschaft am Land. Die Jahre 1938 bis 1945 in den Selbstdarstellungen der
Vorarlberger Gemeinden des Bezirks Bregenz (Quellen zur Geschichte Vorarlbergs 1), Regensburg 1999, 200-210.
5
Zu Egg siehe: Wolfgang Weber (Hg.), NS-Herrschaft am Land. Die Jahre 1938 bis 1945 in den Selbstdarstellungen der Vorarlberger Gemeinden des Bezirks Bregenz (Quellen zur Geschichte Vorarlbergs 1), Regensburg 1999, 70-72. Zu Hittisau siehe:
Wolfgang Weber (Hg.), NS-Herrschaft am Land. Die Jahre 1938 bis 1945 in den Selbstdarstellungen der Vorarlberger Gemeinden des Bezirks Bregenz (Quellen zur Geschichte Vorarlbergs 1), Regensburg 1999, 82-89.
6
Zu Alberschwende siehe: Wolfgang Weber (Hg.), NS-Herrschaft am Land. Die Jahre 1938 bis 1945 in den Selbstdarstellungen
der Vorarlberger Gemeinden des Bezirks Bregenz (Quellen zur Geschichte Vorarlbergs 1), Regensburg 1999, 32-36. Zu Alberschwende während der NS-Herrschaft siehe auch den Vortrag des Verfassers vom 11.03.2007 in Alberschwende, der auf
der Homepage http://verkehrt.twoday.net/topics/geschichte veröffentlicht wurde.
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3
Die Berichte der Bürgermeister des Bezirks Bregenz aus den Jahren 1945/46 über
die Geschichte der NS-Diktatur in ihren Kommunen sind für das Thema des heutigen
Abends, das Kriegsende 1945 im Bregenzerwald, besonders aufschlussreich. Sie
geben Zeugnis über einen weiteren Mythos zur Geschichte des Landes Vorarlberg
im 20. Jahrhundert ab, der sich ebenso wie der eingangs genannte Mythos über die
Nicht-Auseinandersetzung der einheimischen Gesellschaft mit der NS-Diktatur seit
1945 etablierte und sich zu einer weiteren Legende entwickelte.
Diese Legende fasste die Österreichische Demokratische Widerstandsbewegung
Land Vorarlberg aus Anlass einer sog. „Heldengedenkfeier“ für die Gefallenen von
Langenegg in der Einladung zu dieser am 7. Oktober 1945 dort abgehaltenen Feier
in folgende Worte:
„In vorbildlicher mutiger Weise hatten es die Langenegger gewagt, in entscheidender Stunde [...] gegen schuldige Hetzer zuzupacken, Zerstörungen zu
verhindern und ihre Häuser gegen die zurückflutende, entwurzelte und plündernde SS-Soldateska zu schützen. Es war dies gegen einen solchen Gegner
eine soldatische Tat ersten Ranges, aus Erbitterung und männlicher Entschlossenheit, aus Liebe zur Heimat und zu Österreich geboren.“7
In Vorarlberg gab es also im Frühjahr 1945 beherzte einheimische Männer und eine
„entwurzelte und plündernde SS-Soldateska“. Dieser SS, die, wenn überhaupt, nur
Einheiten der Waffen-SS sein konnten – was einen essentiellen Unterschied für die
Interpretation der historischen Ereignisse ausmacht –, werden in zeitgenössischen
Berichten die Opfer der letzten Kriegstage in Langenegg, aber auch an anderen Vorarlberger Orten zugeschrieben. In Krumbach soll ein einheimisches Mitglied der Widerstandsbewegung, selbst Mitglied der Waffen-SS, in einem Gefecht „mit der SS“
gefallen,8 in Götzis die Brüder Josef und Otto Morscher von „SS-Männern erschossen“ worden sein.9
Um aufzuzeigen, wie „entwurzelt“ diese SS war, wird in zeitgenössischen und in der
Folge in der historischen Nachkriegsliteratur weiters ein Ereignis zitiert, das deutlich
machen sollte, wie groß die Gefahr, welche bei Kriegsende 1945 von einer solchen
7
Vorarlberger Nachrichten vom 26.09.1945, Seite 2, "Totenfeier in Langenegg". Zu den Reden und dem Ablauf der Veranstaltung vgl. den Bericht über die Totenfeier am 07.10.1945 in den Vorarlberger Nachrichten vom 08.10.1945, Seite 1, "Totenehrung in Langenegg".
8
Wolfgang Weber (Hg.), NS-Herrschaft am Land. Die Jahre 1938 bis 1945 in den Selbstdarstellungen der Vorarlberger Gemeinden des Bezirks Bregenz (Quellen zur Geschichte Vorarlbergs 1), Regensburg 1999, 105.
9
3
Georg Schelling, Festung Vorarlberg. Ein Bericht über das Kriegsgeschehen in Vorarlberg, Bregenz 1987, 123.
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SS ausging, war: In Au im Bregenzerwald wurden über eine Woche nach dem Ende
des Zweiten Weltkriegs in Europa, am 15. bzw. 18. Mai 1945 im Zuge einer französischen Militäraktion gegen sog. Werwölfe vier angebliche SS-Angehörige erschossen
und drei deutsche Soldaten hingerichtet.10
Oberstleutnant Prof. Erwin Fitz, der in Tone Bechters Film über das Kriegsende in
Langenegg als militärischer Fachmann zu sehen ist und dort nach dem Studium der
einschlägigen Literatur Zweifel äußert, dass in Vorarlberg bei Kriegsende 1945 reguläre Waffen-SS-Einheiten stationiert waren, hat im vergangenen Jahr in den Mitteilungen und Berichten des Österreichischen Schwarzen Kreuzes in einem Beitrag
über die damals erfolgte „Sanierung des Kriegergrabes in Au“ festgehalten, dass die
dort bestatteten deutschen Soldaten jene am 15./18. Mai 1945 in Gefechten mit französischen Einheiten in Au gefallenen Männern sind, diese aber keineswegs der SS
angehörten, sondern der Deutschen Wehrmacht, Luftwaffe und Marine.11
Fitz bezweifelt in Bechters Film nicht, dass Soldaten der Waffen-SS im Frühjahr 1945
in Vorarlberg eingesetzt waren, diese waren aber nicht Teil einer regulären militärischen Einheit, sondern der 19. und 24. Armee, die aus unterschiedlichsten Truppenkörpern bestand. Die Toten von Au waren jedenfalls keine sog. Werwölfe und keine
Waffen-SS-Soldaten.
Dass die Mär von den SS-Werwölfen in Au über Jahrzehnte aufrecht erhalten wurde,
macht im Hinblick auf den diskursiven Umgang mit der NS-Geschichte in Vorarlberg
Sinn: Denn wenn, wie in den zeitgenössischen Berichten, etwa jenen der Bürgermeister des Bezirks Bregenz oder der vom katholischen Geistlichen Georg Schelling
1945 in einer Vorarlberger Tageszeitung veröffentlichten Artikelserie über das
„Kriegsgeschehen in Vorarlberg“ die Verantwortung für die Toten und die Zerstörungen am Kriegsende an eine anonyme und in ihrer Konnotation „typisch deutsche“
Institution wie „die SS“ abgegeben wird, sind die Einheimischen dafür und in weiterer
Folge für die NS-Diktatur, welche den Zweiten Weltkrieg zu verantworten hatte, nicht
verantwortlich.
10
3
Georg Schelling, Festung Vorarlberg. Ein Bericht über das Kriegsgeschehen 1945 in Vorarlberg, Bregenz 1987, 231. Wolfgang Weber (Hg.), NS-Herrschaft am Land. Die Jahre 1938 bis 1945 in den Selbstdarstellungen der Vorarlberger Gemeinden
des Bezirks Bregenz (Quellen zur Geschichte Vorarlbergs 1), Regensburg 1999, 44.
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5
4. Das Kriegsende 1945 im Bregenzerwald
In dieses Bild passt die von Georg Schelling und den Bürgermeistern des Bezirks
Bregenz 1945 übertrieben betonte Leistung der einheimischen Bevölkerung für einen
möglichst ruhigen Übergang von der deutschen Besetzung zur alliierten Befreiung.
Die Alliierten der Anti-Hitler-Koalition hatten bei einem Treffen in Moskau Ende Oktober und Anfang November 1943 beschlossen, dass Österreich das erste Opfer der
imperialistischen Außenpolitik von NS-Deutschland sei und erklärt, es nach dem
Krieg als autonomen Staat wiederzuerrichten. Es müsse jedoch einen Beitrag zu seiner Befreiung leisten. Diesen eigenen Beitrag galt es 1945 den Befreiern der 1.
Französischen Armee deutlich zu machen. Daher macht es Sinn, die Toten des
Kriegsendes auf österreichischer wie auf französischer Seite kumulativ „der SS“ zuzuschreiben. Diese wurde von den Alliierten als verbrecherische Institution gesehen.
Der Bregenzerwald wurde zwischen dem 1. und 5. Mai 1945 von Truppen der 4. Marokkanischen Division befreit. Der kommandierende deutsche General war Generaloberst Merkl, Chef des stv. Generalkommando des Wehrkreis XVII. Sein Hauptquartier lag erst im Krönele in Müselbach, dann im Gasthof Adler in Schwarzenberg,
schließlich in Schoppernau. Von dort setzte er sich am 5. Mai nach Hopfreben ab.12
Im Zuge der wenigen Kampfhandlungen fielen in der ersten Maiwoche in Krumbach,
in Langenegg, in Sulzberg und in Thal sieben deutsche Soldaten und acht österreichische Zivilisten.13 Eine Opferzahl für die französischen Befreier ist nicht überliefert.
Der durch den Krieg verursachte Sachschaden im Bregenzerwald betraf im Wesentlichen nur die Infrastruktur und wurde durch deutsche Kampfeinheiten verursacht: In
Langen wurden zwei Brücken gesprengt und eine Straße zerstört, in Hittisau die Engelbrücke sowie in Krumbach die Bärentobel- und die Brunstobelbrücke gesprengt.
In Langen wurden zudem zwei Wohnhäuser in Brand geschossen.
11
Erwin Fitz, Sanierung des Kriegergrabes in Au, in: Österreichisches Schwarzes Kreuz. Kriegsgräberfürsorge. Mitteilungen
und Berichte 122. Folge Nr. 1 (2006), 39.
3
Georg Schelling, Festung Vorarlberg. Ein Bericht über das Kriegsgeschehen 1945 in Vorarlberg, Bregenz 1987, 214 f. 230 f.
13
In Thal durch französischen Artilleriebeschuss am 1. Mai 1945 ein deutscher Soldat und in Sulzberg ein deutscher Soldat und
ein österreichischer Zivilist. In Krumbach am 30. April 1945 im Zuge eines Angriffs der lokalen Widerstandsbewegung fünf „SS“Soldaten und ein österreichischer Deserteur auf Seiten der Widerstandsbewegung. In Langenegg sechs österreichische Zivilisten der lokalen Widerstandsbewegung. Eine Woche nach Kriegsende, am 15. bzw. 18. Mai 1945 wurden in Au im Zuge einer
Militäraktion gegen sog. Werwölfe vier SS-Angehörige erschossen, drei weitere hingerichtet, ein marokkanischer Soldat fiel. Zu
allen Angaben siehe Georg Schelling, Festung Vorarlberg. Ein Bericht über das Kriegsgeschehen 1945 in Vorarlberg, Bregenz
3
1987, 217-224. Zu den unterschiedlichen Daten siehe für 15. Mai: Georg Schelling, Festung Vorarlberg. Ein Bericht über das
3
Kriegsgeschehen 1945 in Vorarlberg, Bregenz 1987, 231; für den 18. Mai siehe: Wolfgang Weber (Hg.), NS-Herrschaft am
Land. Die Jahre 1938 bis 1945 in den Selbstdarstellungen der Vorarlberger Gemeinden des Bezirks Bregenz (Quellen zur
Geschichte Vorarlbergs 1), Regensburg 1999, 44.
12
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6
In Egg verhinderten einheimische Männer, unter ihnen politische Leiter der NSDAP,
die Sprengung der Fluh- und der Truppenbrücke.14 Die politischen Leiter der NSDAP,
die an der Verhinderung der Brückensprengung beteiligt waren, waren Hans Felder,
Egger Bürgermeister und Personalamtsleiter der NSDAP, sowie Isidor Bertolini,
Marschblockleiter, stv. Propagandaleiter und stv. Schulungsleiter der NSDAP in Egg.
Aufgrund der von ihnen zwischen 1938 und 1945 eingenommen leitenden Parteifunktionen wurden Bertolini und Felder nach 1945 als belastete Nationalsozialisten
registriert, Felder war 1946 einige Monate im Anhaltelager für ehemalige Nationalsozialisten in Lochau interniert.
Felder wurde 1948, Bertolini 1950 aufgrund des § 4 Abs. (5) lit. f des Nationalsozialistengesetzes 1947 aus der Liste der belasteten Nationalsozialisten gestrichen, da
ihr Engagement für die Verhinderung der Sprengung der beiden Brücken mit Unterstützung der französischen Militärregierung als Beweis gewertet wurde, dass „sie mit
der Waffe in der Hand in den Reihen der alliierten Armeen gekämpft haben“, weswegen sie von den Folgen einer Registrierung als sog. Belastete ausgenommen wurden. Solche Folgen wären etwa Berufsverbot, Verlust der bürgerlichen Rechte oder
Strafverfolgung von während der NS-Diktatur begangenen Handlungen gegen die
Menschlichkeit gewesen.
Bertolini und Felder waren nicht die einzigen in Egg geborenen und dort als Funktionäre für die NSDAP tätigen Einheimischen, die nach 1945 von ihrer NS-Belastung
freigesprochen wurden.
5. Belastete Nationalsozialisten aus Egg
Unter den 146 am 14. November 1947 aufgrund des Nationalsozialistengesetzes
registrierten ehemaligen NSDAP-Mitgliedern aus Egg fanden sich 18 sog. Belastete.
Diese Personengruppe wurde aufgrund des Gesetzes im Unterschied zu den sog.
Minderbelasteten als primär verantwortlich für die NS-Diktatur in Österreich definiert.
Sie umfasste politische Leiter der NSDAP vom Rang eines Zellenleiters aufwärts;
14
Siehe dazu im Detail: Georg Schelling, Festung Vorarlberg. Ein Bericht über das Kriegsgeschehen 1945 in Vorarlberg, Bre3
genz 1987, 227-229.
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7
weiters Angehörige der SS, Gestapo und des SD; SA-Mitglieder vom Rang eines
Untersturmführers aufwärts oder Träger von sog. Parteiauszeichnungen.
Als Ortsgruppenleiter fungierten in Egg zwischen 1938 und 1945 der Steuerinspektor
Gustav Kützler (1938), der Mechaniker Jakob Feurstein (1938-1941) und der
Reichsdeutsche Ewald Sommer (1941-1945).
Der Buchhalter Johann Peter Natter war Leiter der NSV-Ortsgruppe (1938-1945), der
Radiohändler Rudolf Dorner (1938-1940) und der Angestellte Anton Feldkircher
(1940-1943) waren Leiter der DAF in Egg. Der Landwirt Johann Peter Dorner war
zumindest 1944/45 Ortsbauernführer.
Als Zellenleiter wurden Anton Bader (1938-1940), Gebhard Fitz (1938-1941), Ludwig
Metzler (1938-1941), Armin Steurer (1941-1945), Franz Sutterlüty und Gottfried Willam (1938-1941) registriert.
Dr. Konrad Steurer und Josef Meusburger waren Presseleiter der NSDAP, Julius
Angel Organisationsleiter und Isidor Bertolini wie erwähnt Marschblockleiter und stv.
Propaganda- und stv. Schulungsleiter.
Elf dieser 18 Männer waren in Egg geboren, nur der Dentist Angel war tatsächlich ein
„Fremder“: Er war 1902 in Wels geboren. Kützler (Jahrgang 1882) war ein gebürtiger
Bludenzer, der jedoch zu Beginn der NS-Herrschaft bereits viele Jahre als Leiter des
Steueramtes in Egg ansässig war. Dr. Konrad Steurer wurde 1900 in Bregenz geboren, war als kaufmännischer Leiter der Brauerei Egg jedoch dort gut verankert. Gebhard Fitz (Jahrgang 1882) war aus Bezau gebürtig, aber in Egg Landwirt. Anton Bader wurde 1906 in Alberschwende geboren und war Müller bei der Bruggmühle von
Johann Peter Sutterlüty.
Die Hälfte dieser NS-Belasteten war nach 1900 geboren, zwei Drittel wurden 1938
Mitglied der NSDAP, der 1872 in Egg geborene Buchhalter und NSV-Leiter Johann
Peter Natter war der NSDAP bereits im Oktober 1931 beigetreten. Bürgermeister
Hans Felder trat einen Monat später, im November 1931, in Innsbruck der NSDAP
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8
bei.15 Dorner und Meusburger waren zudem noch Mitglied der SA, wo sie aber keine
leitende Funktion bekleideten.
6. Die staatliche Entlastung der belasteten Nationalsozialisten aus Egg
Alle diese belasteten Egger Nationalsozialisten kamen nach ihrer Registrierung bei
der BH Bregenz um eine Amnestie, welche zumindest eine Abstufung ihrer Position
auf den Status des sog. Minderbelasteten beinhaltete, ein. Mit Ausnahme des Presse- und Organisationsleiters Josef Meusburger waren damit alle, auch die Ortsgruppenleiter als Spitzenfunktionäre, erfolgreich. Anton Bader verstarb vor Abschluss
seines Verfahrens an den Spätfolgen einer Kriegsverletzung.16
Die Argumentationen für eine Abstufung lauteten dabei ähnlich: Sie wären nie per
Dekret auf die einschlägige Position berufen worden, was nach dem Gesetzestext
jedoch Voraussetzung war. Sie hätten ihre Funktion nie ausgenutzt. Sie hätten ihr
Amt nach Konflikten mit der Kreisleitung der NSDAP in Bregenz früh niedergelegt
und wären deswegen strafhalber zum Militärdienst eingezogen worden.
DAF-Ortsobmann Rudolf Dorner etwa argumentiere, er wäre
„im Juli 1938 mit der genannten Funktion kommissarisch beauftragt [...] von der
Kreisleitung [...] jedoch nie eingesetzt oder bestätigt worden [...] im Gegenteil, wegen
Meinungsverschiedenheiten mit dem damaligen Kreisleiter, Dietrich, wurde ich im
Oktober 1940 plötzlich zur Wehrmacht einberufen.“17
Ortsgruppenleiter Jakob Feurstein verwies im November 1947 in seinem Einspruch
darauf, dass er nur auf Bitten von Bürgermeister Hans Felder das Amt übernahm,
„damit sich keine radikalen Pg. vordrängen. Durch Ausbruch des Krieges und
kulturelle Maßnahmen der Partei habe ich den Glauben an sie verloren, bin
am 1. Oktober 1941 als kommiss. Ortsgruppenleiter vom Amt zurückgetreten,
habe von damals am kein Parteiabzeichen mehr getragen und an keiner Versammlung mehr teilgenommen.“18
15
Diesen frühen Parteibeitritt verschwieg Felder bei der Registrierung 1947, damals gab er den „Mai 1938“ als Beitrittsdatum
an, siehe: VLA, BH Bregenz NS-Registrierungslisten Egg, Meldeblatt Hans Felder. Tatsächlich war Felder aber erstmals am
10.11.1931 der NSDAP beigetreten und hatte die Mitgliedsnummer 614.128 erhalten, siehe: VLA, LR Bregenz AV 004/1/1 Egg,
Schreiben der NSDAP Ortsgruppe Egg an Felder vom 17.03.1944. Felder war zum Zeitpunkt seines Beitritts Bediensteter der
Elin AG Innsbruck, wo er nach Abschluss des Technikums Konstanz im März 1927 von 04.07.1927 bis 20.04.1932 beschäftigt
war. Ab 20.04.1932 war er Betriebsleiter des E-Werkes der Gemeinde Egg, siehe: VLA, LR Bregenz AV 004/1/1 Egg, handschriftlicher Lebenslauf Hans Felder vom 18.09.1939.
16
VLA, BH Bregenz I-1402-B-251/1948.
17
VLA, BH Bregenz I-102-D-96/1948, Schreiben Dorner an BH Bregenz vom 24.04.1948.
18
VLA, BH Bregenz I-1402-F-133/1947, Einspruch Feuerstein vom 12.11.1947.
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9
Ähnlich absent will Zellenleiter Gebhard Fitz gewesen sein, der im August 1949 anführte, er hätte
„diese Stellung nachweisbar niemals missbraucht“, sei „mit der Partei, deren
immer weniger verschleierten Auffassungen & Zerwürfnisse in Widerspruch
geraten“, hätte „jede Mitarbeit trotz der angedrohten Folgen“ verweigert und
„keine Naziversammlung mehr [besucht] und [...] dadurch boykottierend – aus
innerer Überzeugung – gegen die N.S.D.A.P.“19
Stellung genommen. Er wäre sogar wegen abfälliger Äußerungen über die Partei und
den Staat vor ein Parteigericht gestellt worden.
Zellenleiter Ludwig Metzler kam „im Verlauf der Zeit [...] zur Einsicht, dass der Nationalsozialismus nicht das war, was uns versprochen wurde“, weswegen er eine „gegenseitige Einstellung zur Partei“ entwickelte, die Annahme der Mitgliedskartei verweigerte, „wegen Unverlässlichkeit“ im Februar 1939 von seinem Amt enthoben wurde und „im Jahre 1941 strafweise zur Wehrmacht einrücken“ musste.20
Armin Steurer wurde nach eigenen Angaben nur deswegen Zellenleiter, weil er
„1944 als Gemeindediener beauftragt [...] für den abwesenden Zellenleiter bis
zu seiner Rückkehr oder ev. Neubestellung verschiedene Arbeiten zu verrichten. Mit der Funktion als Zellenleiter bin ich niemals betraut worden.“21
Presseleiter Dr. Konrad Steurer, nach Aussage des Nachkriegsbürgermeisters Kaspar Schwärzler „ein gestandener Klerikaler“, wurde seiner Ansicht nach zum Amt des
Presseleiters gar „genötigt“ und es wurde ihm klargelegt, dass er „bei Ablehnung die
Konsequenzen tragen“ müsse. Was dann laut Dr. Steurer gegen Ende der NSDiktatur geschah:
„Im September 1944 bekam ich von heute auf morgen eine Einberufung zum
Wehrdienst und war damit der Beweis erbracht, dass die NSDAP an mir kein
Interesse hat.“22
19
VLA, BH Bregenz I-1402-F-255/1949, Schreiben Fitz an BH Bregenz vom 22.08.1949.
VLA, BH Bregenz I-1402-M-139/1947, Schreiben Metzler an BH Bregenz vom 04.07.1947.
21
VLA, BH Bregenz I-1402-St-23/1947, Schreiben Steurer an BH Bregenz vom 06.07.1947.
22
VLA, BH Bregenz I-1402-St-41/1947, Schreiben Steurer an BH Bregenz vom 02.07.1947.
20
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10
Gottfried Willam, Zellenleiter und während des sog. Ständestaates 1933/38 wegen
illegaler NS-Betätigung zu fünf Monaten Arrest verurteilt, vergaß bei seiner Registrierung überhaupt auf die Nennung seiner Parteifunktion, weil er „1941 abgesetzt und
die letzten 4 Jahre nur Mitglied war“.23
6.1. Der „Fall“ des NS-Belasteten Eggers Josef Meusburger
Vor diesen Hintergrund verwundert es, dass Josef Meusburger als einziger mit seinem Herabstufungsantrag nicht durchkam. Gegen ihn sprach im Unterschied zu den
anderen die Aktenlage.
Wie die anderen Belasteten argumentierte Meusburger im November 1947 damit,
dass er seine NS-Funktion als Presse- und Organisationsleiter „nur im Auftrag der
damaligen Ortsgruppe gemacht“ habe und eine „Bestätigung oder Ernennungsdekret
von Seiten der Kreisleitung nicht erfolgt“ sei. Am 16. Dezember 1940 sei er „auf
Grund einer Auseinandersetzung mit dem damaligen Kreisleiter Dietrich plötzlich [...]
zur Wehrmacht eingezogen“ worden.24
Der Gendarmerieposten Egg bestätigte am 30. Dezember 1947 die Konflikte von
Meusburger mit Dietrich und gab an, dass es sich dabei vor allem um „Erhaltung der
religiösen Sitten und Gebräuche des Tales“, die Dietrich verändern wollte, gehandelt
habe. Als der Streit aus Anlass eines Trachtenfestes in Bezau im Herbst 1940 eskalierte, soll Dietrich Meusburger als Parteifunktionär für den Heeresdienst freigegeben
haben.25
Im Juli 1948 übermittelte die Landeshauptstadt Bregenz der Registrierungsbehörde
Auszüge aus sog. Stimmungsberichten, welche Meusburger 1938 an die NSDAP
Kreisleitung in Dornbirn als Ortsgruppenpropagandaleiter gesandt hatte. Darin nahm
er eindeutig für den neuen NS-Staat Stellung und forderte die Kreisleitung auf, gegen
die (klerikalen) „Hetzer energisch einzuschreiten“. Am 3. Juni 1938 schrieb er etwa
im Hinblick auf die kritischen Stimmen in der Bevölkerung:
23
24
25
VLA, BH Bregenz I-1402-W-227/1949, Meldeblatt Willam.
VLA, BH Bregenz I-1402-M-171/1947, Einspruch Meusburger vom 12.11.1947.
VLA, BH Bregenz I-1402-M-171/1947, Schreiben GP Egg an BH Bregenz vom 30.12.1947.
UnivDoz Dr Weber Vortrag „Kriegsende Bregenzerwald – Nationalsozialismus in Egg“ 08.03.2007
11
„Wenn auch ganz wenige Argumente stichhältig sind, so sieht man unter der
niederträchtigen Hetzerei eine offene Opposition, die durch die große Sanftmut unserer Revolution immer mehr geschürt wird !!!! [...]
Allerdings sind wir aber auch der Meinung, dass solange die aller ärgsten Hetzer und Gerüchtemacher nicht einmal empfindlich gestraft werden, sei es nun
mit Zuchthaus oder Geldstrafe, keine Ruhe gibt! Es sind doch dieselben
schwarzen Kreaturen die uns sechs Jahre verfolgt und verspottet haben, die
ersten Märztage aber vor Angst es könnte Gleiches um Gleiches vergolten
werden, sich kriechend und winselnd zu uns mit Heil Hitler herbei schlichen,
heute aber diese Gnade offen als Schwäche auslegen!!! Also unbedingt einmal energisch hineinfahren!!!!!!!“26
Solche Stellungnahmen machten es auch der wohlgesonnensten Behörde unmöglich, eine Herabsetzung der Belastungsstufe oder gar eine Amnestie auszusprechen.
Zudem wurde im Laufe des Verfahrens aktenkundig, dass Meusburger am 20. April
1939 auf sein Amt vereidigt und damit sehr wohl im Sinne des NS-Gesetzes beauftragt worden war.
Am 3. Februar 1949 wurde daher sein Einspruch gegen die Registrierung als sog.
Belasteter abgelehnt.27 Meusburger nahm sich in der Folge einen Bregenzer Rechtsanwalt, Dr. Guido Tarabochia, der selbst belasteter Nationalsozialist war, und legte
Beschwerde ein. Er begründete diese u.a. damit, dass andere Egger Nationalsozialisten in vergleichbaren oder höheren Funktionen wie z.B. Bürgermeister Felder,
Ortsgruppenleiter Feurstein oder Zellenleiter Bertolini Nachsicht gewährt worden war.
Am 11. Mai 1953 entschied das österreichische Innenministerium in Wien, dass
Meusburgers Antrag nicht stattgegeben werde und er als Belasteter verzeichnet bleibe.28
Meusburger ging nun erneut in Berufung, fand dabei Unterstützung vom Kammeramtsdirektor Dr. Lorenz Konzett und dem Egger Bürgermeister Johann Peter Sutterlütty und wurde mit Bescheid der BH Bregenz vom 7. Februar 1955 aus der Liste der
Belasteten gestrichen und als Minderbelasteter registriert.29
Die rechtliche Grundlage für seine Teilamnestierung war wie bei Bertolini und Felder
der § 4 Abs. (5), diesmal jedoch lit. c des Nationalsozialistengesetzes 1947. Darin
26
VLA, BH Bregenz I-1402-M-171/1947, Stimmungsbericht Meusburger an Kreisleitung vom 03.06.1938.
VLA, BH Bregenz I-1402-M-171/1947, Bescheid Amt der Landesregierung vom 03.02.1949.
28
VLA, BH Bregenz I-1402-M-171/1947, Bescheid BMI vom 11.05.1953.
27
UnivDoz Dr Weber Vortrag „Kriegsende Bregenzerwald – Nationalsozialismus in Egg“ 08.03.2007
12
wurde bestimmt, dass jene belasteten Nationalsozialisten, die „aus politischen Gründen [...] größere Schädigungen erlitten haben“ von der Verzeichnung ausgenommen
werden können.
Die Schädigungen, die Meusburger erlitten hatte, waren nach Ansicht der Behörde
sein Einzug zum Militärdienst und sein Fronteinsatz in der Sowjetunion, der nur erfolgt sei, weil er mit Kreisleiter Dietrich die angeführten Konflikte gehabt hätte.30 Bezeugt wurden diese angeblichen Schädigungen durch den ehemaligen NSBürgermeister Hans Felder, den ehemaligen NSDAP-Ortsgruppenleiter Jakob
Feurstein und die ehemalige NS-Frauenschaftsleiterin Maria Weidinger. Zwei Jahre
zuvor waren deren Bezeugungen vom Innenministerium angesichts der von Meusburger verfassten Stimmungsberichte des Jahres 1938 noch als geringfügig eingestuft worden.31
6.2. Der „Fall“ Karl Kützler
Ein von mir bis dato noch nicht genannter Fall eines amnestierten sog. Belasteten
aus Egg trifft den Grenzpolizisten Karl Kützler. Er wurde am 30. April 1914 als zweites Kind des Ehepaares Gustav und Helene Kützler in Gaschurn geboren. Im Registrierungsverfahren nach dem NS-Gesetz 1947 wurde Karl Kützler als SS- und Gestapo-Mitglied verzeichnet und galt somit als sog. belasteter Nationalsozialist. Sein Vater war der hier bereits erwähnte Gustav Kützler.
Vater Kützler, am 14. Juni 1882 in Bludenz geboren, wurde 1924 Leiter des Steueraufsichtsamtes in Egg und soll von März bis Mai 1938 Ortsgruppenleiter der NSDAP
gewesen sein. In seinem Entregistrierungsverfahren 1947 führte er jedoch aus, dass
er diese Funktion nie ausgeübt habe und in Egg lediglich das Amt des sog. Ortswahlleiters für die sog. Volksabstimmung vom 10. April 1938 ausgeübt habe. Die NSDAP
Ortsgruppe Egg sei erst im Juni 1938 gegründet und er im Juli 1938 Parteianwärter
geworden.32
29
VLA, BH Bregenz I-1402-M-171/1947, Bescheid BH Bregenz vom 07.02.1955.
Siehe dazu die Begründung im angeführten Bescheid der BH Bregenz, in: VLA, BH Bregenz I-1402-M-171/1947, Bescheid
BH Bregenz vom 07.02.1955.
31
Die Bestätigungen von Felder, Feurstein und Weidinger liegen in: VLA, BH Bregenz I-1402-M-171/1947.
32
VLA, BH Bregenz I-1402-K-154/1947, Schreiben Kützler an BH Bregenz vom 31.10.1947.
30
UnivDoz Dr Weber Vortrag „Kriegsende Bregenzerwald – Nationalsozialismus in Egg“ 08.03.2007
13
Die provisorische Gemeindevertretung unter Bürgermeister Kaspar Schwärzler und
der Gendarmerieposten Egg wiesen diese Feststellung 1947 als unwahr zurück.33
Kützler senior wurde dennoch mit Bescheid der BH Bregenz vom 23. April 1948
Recht gegeben und er nur als einfaches sog. minderbelastetes Parteimitglied in den
Registrierungslisten verzeichnet.34 Etwas mehr als drei Monate später, am 14. Juli
1948, entschied die BH Bregenz über das Entregistrierungsverfahren seines Sohnes
Karl und strich ihn ebenfalls als sog. belasteten Nationalsozialisten aus den Listen.35
Karl Kützler war nach dem Besuch der Volksschulen in Hittisau und Egg und der
Gymnasien in der Mehrerau und in Bregenz am 5. November 1934 als Zeitsoldat in
das österreichische Bundesheer eingetreten. Dort versah er bis zum sog. Anschluss
im März 1938 als Korporal seinen Dienst beim Alpenjägerbataillon Nr. 4 in Bregenz.
Nach der Okkupation Österreichs meldete er sich freiwillig zur Grenzpolizei und wurde an der Grenzpolizeischule Pretzsch/Elbe in Sachsen ausgebildet. 1938 bis 1941
versah er als Feldwebel der Grenzpolizei Dienst an den Schiffs- und Flughäfen in
Hamburg. Im November 1939 sei er nach eigenen Angaben zur Gestapo abkommandiert worden, hätte sich diesem Befehl zweimal widersetzt und sei mit Haft bestraft worden. Am 7. März 1941 wurde Kützler auf eigenen Antrag zum Grenzpolizeikommissariat Bregenz bzw. Feldkirch versetzt, wo er auf der Strecke nach Buchs
bzw. St. Margrethen zum Passkontrolldienst eingeteilt war. 1943 wurde er zum
Grenzpolizeikommissariat Bregenz in den Innendienst als Registrator versetzt und
dem Referat IV 1 c „Heimtücke und Wehrkraftzersetzung“ zugeteilt.36
In dieser Funktion will er nach eigenen Angaben zahlreichen Vorarlberger Widerstandskämpfern, insbesondere aus dem Bregenzerwald, geholfen bzw. diese geschützt haben. Diese Angaben bestätigten nach dem Zweiten Weltkrieg prominente
Männer aus dem Widerstand, so z.B. Bundesrat Eugen Leissing, der Ortsleiter der
Österreichisch demokratischen Widerstandsbewegung in Egg Karl Lang oder Bürgermeister Kaspar Schwärzler ebenso wie neun Opfer der NS-Diktatur z.B. Josefine
Theimer aus Dornbirn oder Mathilde Handle aus Bregenz, die 1943 wegen „Hörens
von Feindsendern“ bzw. „Wehrkraftzersetzung“ in Gestapo-Haft waren.37
33
VLA, BH Bregenz I-1402-K-154/1947, Schreiben GP Egg an BH Bregenz vom 30.12.1947.
VLA, BH Bregenz I-1402-K-154/1947, Bescheid der BH Bregenz vom 23.04.1948.
VLA, BH Bregenz I-1402-K-75/1947, Bescheid der BH Bregenz vom 14.07.1948.
36
Alle Angaben stammen aus Kützlers maschinschriftlichem Lebenslauf, siehe: VLA, BH Bregenz I-1402-K-75/1947.
37
Weitere Bestätigungen von NS-Opfern reichten ein: Wilhelm Budich, Bregenz (Wehrkraftzersetzung 1943); Josefine Theimer,
Dornbirn (Hören Feindsender 1943); Mathilde Handle, Bregenz (Wehrkraftzersetzung 1943); Rudolf Jäger, Lustenau (Wehr34
35
UnivDoz Dr Weber Vortrag „Kriegsende Bregenzerwald – Nationalsozialismus in Egg“ 08.03.2007
14
Nicht zuletzt aufgrund dieser Bestätigungen nahm die Behörde 1948 von einer Registrierung Kützlers als sog. Belasteter Abstand, zumal er auch glaubhaft nachweisen konnte, dass er sich 1939 nicht nur der Rekrutierung zur Gestapo, sondern 1944
auch einer Musterung zur SS mit Hinweis auf seine Behinderung beider Unterarme
entzogen hatte.38
Ende April 1945 flüchtete Kützler von Bregenz nach Egg, wurde dort nach Kriegsende am 13. Mai 1945 von der lokalen Widerstandsbewegung verhaftet und ins Gefängnis Bregenz überstellt.39 In der Folge kooperierte er mit den französischen Behörden, wurde im Juli 1945 entlassen, im Oktober 1945 aufgrund einer anonymen
Anzeige erneut im Anhaltelager für ehemalige Nationalsozialisten in Lochau inhaftiert, ehe er im Mai 1946 endgültig frei kam – und als Fahrer bei Hauptmann Lindenheim und Leutnant Blondel von der französischen Militärregierung eine dauerhafte
Anstellung fand.
Am 14. Juli 1948 wurde Karl Kützler wie seinem Vater Gustav der Status eines sog.
minderbelasteten Nationalsozialisten zugesprochen und am 21. Dezember 1948
wurde er von der sog. Sühnepflicht nach dem NS-Gesetz 1947 befreit, was für ihn
den Vorteil hatte, dass er wie alle anderen 128 als sog. Minderbelastete registrierten
Egger Nationalsozialist/inn/en im September 1949 endgültig amnestiert wurde.40
7.1. Allgemeine sozialstatistische Daten der NSDAP-Mitglieder in Egg
Aufgrund des Nationalsozialistengesetzes 1947 wurden in Egg 17 Frauen und 129
Männer als Mitglieder der NSDAP, der SA, der SS oder der Gestapo registriert. 136
dieser 146 Personen, das sind 93,2 %, wurden mit Stichtag 14. November 1947 amtlich verzeichnet; je eine Person per 29. Dezember 1948 bzw. 8. Juni 1949, von acht
Personen fehlt das Registrierungsdatum in der einschlägigen Liste im Vorarlberger
Landesarchiv in Bregenz.41
kraftzersetzung 1943); Alois Schneider und Ottilie Delwinz, Lustenau (Wehrkraftzersetzung 1944); Eugen Fischer, Wolfurt
(Enthaftung aus Gestapo-Haft); Katharina Feuerstein, Bregenz (Heimtücke 1943); Benedikt Zündel, Schwarzenberg (Wehrkraftzersetzung 1944); Edelbert Rohner, Kennelbach (Heimtücke 1941); Gustav Jellinek, Bregenz (ohne), siehe: VLA, BH Bregenz I1402-K-75/1947, Schreiben der angeführten Personen aus dem Jahr 1946.
38
VLA, BH Bregenz I-1402-K-75/1947, maschinschriftlicher Lebenslauf Kützler.
39
Zu Kützlers Flucht und Verhaftung siehe auch: Viviane Braun, „Gestohlene Jugendjahre“ – Alltagsleben und Kriegseinsatz
einer Bregenzerwälder Familie, Feldkirch 2007, 132 f.
40
VLA, BH Bregenz I-1402-K-75/1947, Bescheinigung BH Bregenz vom 21.12.1948.
UnivDoz Dr Weber Vortrag „Kriegsende Bregenzerwald – Nationalsozialismus in Egg“ 08.03.2007
15
128 dieser 146 Personen wurden mit Stichtag 28. September 1949 von den Folgen
der Registrierung, z.B. dem Entzug des aktiven und passiven Wahlrechts, amnestiert
und waren damit bei den Wahlen zum österreichischen Nationalrat und zum Vorarlberger Landtag vom 09. Oktober 1949 im Unterschied zu den Wahlen vom 25. November 1945 wieder wahlberechtigt. Bei 18 Personen fehlt eine Angabe des Streichungsdatums, das waren die weiter oben angeführten sog. Belasteten.
7.2. Nationalität und Herkunft der NSDAP-Mitglieder in Alberschwende
Von den 146 in Egg als Mitglieder von NS-Organisationen 1947/49 registrierten Personen waren 144, also 98,6 %, österreichische Staatsbürger/innen. Zellenleiter Anton Bader war ein 1906 in Alberschwende geborener deutscher Staatsbürger, der
1907 in Andelsbuch geborene Baumeister Guntram Moosbrugger, der bereits am 6.
April 1933 der NSDAP beigetreten war, war ein sog. Ausgebürgerter. Angesichts
dieser Zahlen muss die NSDAP in Egg also als eine österreichische Partei definiert
werden.
Eine Auswertung der Geburtsorte der 146 Egger NS-Registrierten macht aus dieser
österreichischen eine in der lokalen Gesellschaft tief verankerte Partei: 75 der 146
Registrierten, das sind 51,4 %, also die Hälfte, waren in Egg geboren. Weitere 28,1
% (das sind 41 Personen) wurden in Vorarlberg geboren. 79,5 % der in Egg registrierten Nationalsozialist/inn/en stammten also von dort bzw. aus Vorarlberg.
Nur 19 der 146 NSDAP-Mitglieder in Egg waren außerhalb des Lande geboren, davon 15 (10,3 %) in den österreichischen Bundesländern (sechs in Niederösterreich,
drei in Wien, je zwei in Oberösterreich, Salzburg und Tirol), zwei in der Tschechoslowakei und je eines in Deutschland bzw. Italien, letzteres war jedoch österreichischer Staatsbürger. Der Anteil an ausländischen Staatsbürger/innen an den NSDAPMitgliedern in Egg betrug somit 2,7 %. Von 11 Personen (7,5 %) sind die Geburtsorte
nicht überliefert.
Die eindeutige österreichische und heimische Basis der NSDAP-Mitglieder aus Egg
teilen diese mit jenen in Alberschwende, Andelsbuch und Langenegg. Das fasst Tabelle 1 zusammen:
41
VLA, BH Bregenz, Registrierungsliste Egg.
UnivDoz Dr Weber Vortrag „Kriegsende Bregenzerwald – Nationalsozialismus in Egg“ 08.03.2007
16
Tabelle 1: Vergleich Geburtsorte NSDAP Mitglieder in
Alberschwende, Andelsbuch, Egg, Langenegg
70,00%
60,00%
50,00%
40,00%
30,00%
am Ort
20,00%
Vorarlberg
österreichische Länder
Ausland
10,00%
en
eg
g
Eg
g
La
ng
uc
h
An
de
lsb
Al
be
rs
ch
w
en
de
0,00%
7.3. Altersprofil der NSDAP-Mitglieder in Egg
Die NSDAP in Alberschwende war also eine österreichische und eine lokal verankerte Partei. Hinsichtlich ihres Altersprofils war sie eine respektable Partei. Deutlich über
die Hälfte ihrer Mitglieder war zwischen 25 und 45 Jahre alt. Das älteste Mitglied war
der am 17. Oktober 1863 geborene Kaufmann Kaspar Ritter, der 1939 im Alter von
76 Jahren Mitglied der Ortsgruppe Egg der NSDAP wurde. Das jüngste Mitglied war
die am 9. Mai 1922 in Schoppernau geborene Angelika Geser, die am 1. September
1941, in die NSDAP aufgenommen worden war.
UnivDoz Dr Weber Vortrag „Kriegsende Bregenzerwald – Nationalsozialismus in Egg“ 08.03.2007
17
Tabelle 2: Vergleich Alter der NSDAP Mitglieder in
Alberschwende, Andelsbuch, Egg, Langenegg
45
40
35
30
25
20
15
10
5
0
Alberschwende
Andelsbuch
Egg
Langenegg
1865
und
älter
18661875
1876- 1886- 18961885 1895 1905
1906- 19161915 1925
7.4. Berufsprofil der NSDAP-Mitglieder in Egg
Die NSDAP in Egg war nicht nur hinsichtlich des Alters ihrer Mitglieder ein Spiegelbild der Ortsbevölkerung, sondern auch bei ihrem Berufsprofil. Das Gros ihrer Mitglieder rekrutierte sie mit 31,6 % aus der Land- und Forstwirtschaft und mit 17,8 %
aus dem Handwerk, gefolgt von 15,8 % öffentlich Bediensteten. 12,3 % waren Angestellte, 8,9 % im Haushalt beschäftigt, 5,5 % im Handel, 4,1 % in den Freien Berufen.
Je 2,1 % waren Arbeiter bzw. in Pension. Diese Berufsstruktur deckt sich mit jener
des gesamten Dorfes. Das trifft im Übrigen für die an anderer Stelle untersuchten
Bregenzerwälder Gemeinden Alberschwende, Andelsbuch und Langenegg ebenso
zu.42
42
Siehe die Vorträge des Verfassers am 11.03.2007 in Alberschwende, am 05.05.2006 in Langenegg und am 28.10.2006 in
Andelsbuch, veröffentlicht unter: http://verkehrt.twoday.net/topics/geschichte.
UnivDoz Dr Weber Vortrag „Kriegsende Bregenzerwald – Nationalsozialismus in Egg“ 08.03.2007
18
Tabelle 3: Vergleich Beruf NSDAP Mitglieder in
Alberschwende, Andelsbuch, Egg, Langenegg
70,00%
60,00%
50,00%
Alberschwende
40,00%
Andelsbuch
30,00%
Egg
Langenegg
20,00%
10,00%
An
ge
st
el
Fo
lte
rs
A
t/L
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an
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sio
its
n
lo
s/
oh
Ke
ne
in
e
An
ga
be
0,00%
8. Erstes Resümee über den Nationalsozialismus in Egg
Angesichts des hier diskutierten Sozialprofils der NSDAP in Egg muss also festgehalten werden, dass die Partei Adolf Hitlers dort wie in den Vergleichsgemeinden
Alberschwende, Andelsbuch und Langenegg und in den vom Autor ebenfalls untersuchten Vorarlberger Städten Bludenz, Bregenz und Feldkirch sowie den Gemeinden
des Klostertals43 eine Volkspartei war, die ihre Angehörigen aus den etablierten lokalen Schichten und allen Altersgruppen rekrutierte. Der Nationalsozialismus in Egg
war keine von außen importierte fremde politische Bewegung, sondern eine durch
Einheimische getragene.
Anders als in den aufgezählten Kommunen scheinen zumindest die exaltierten Nationalsozialisten in Egg sich jedoch mit Fortdauer der NS-Diktatur und spätestens bei
Kriegsende vom Saulus zum Paulus gewandelt zu haben:
Zumindest die hier aufgezählten sog. Belasteten Egger Nationalsozialisten wurden
nach 1945 von den französischen und österreichischen Behörden nicht nur dadurch
pardonniert, dass sie vom Belasteten zum Minderbelasteten mutierten, sondern im
43
Für Bludenz siehe: Wolfgang Weber, Die Alpenstadt und die Nazi. Aspekte der Organisations- und Sozialgeschichte der NSBewegungen in Bludenz 1923 bis 1947, in: Bludenzer Geschichtsblätter 85 (2007), 35-93. Für Bregenz siehe: Wolfgang Weber:
Die Nazi in der Landeshauptstadt. Zum Alters- und Sozialprofil der Mitglieder von NS Organisation in Bregenz, in: Montfort 3
(2003), 247-266. Für Feldkirch siehe: Wolfgang Weber: Karteimitglieder und Parteimitglieder. Zur sozialen Basis der NSDAP in
Feldkirch, in: Wolfgang Weber (Hg.): Regionalgeschichten – Nationalgeschichten. Festschrift für Gerhard Wanner zum 65.
UnivDoz Dr Weber Vortrag „Kriegsende Bregenzerwald – Nationalsozialismus in Egg“ 08.03.2007
19
Falle des NS-Bürgermeisters Hans Felder und des Zellenleiters Isidor Bertolini wurden sie zu „Widerstandskämpfern“, die „mit der Waffe in der Hand in den Reihen der
alliierten Armeen gekämpft haben“. Der vermeintliche Gestapo Bedienstete Karl
Kützler war nach dem Befund der Behörde und von Zeitzeugen nach 1945 zwar kein
bewaffneter Widerstandskämpfer, aber einer am Schreibtisch, der die Aktivitäten insbesondere der Bregenzerwälder Widerstandsbewegung und zahlreiche Verfolgte des
NS-Regimes geschützt hat.
In diesem Sinne unterscheidet sich Egg durchwegs von Vergleichsgemeinden wie
Alberschwende, Andelsbuch oder Langenegg. Es unterscheidet sich nicht, wenn es
um die Herrschaftspraxis während der NS-Diktatur geht: Auch in Egg wurden Menschen aufgrund ihrer politischen oder religiösen Einstellung verfolgt, im Zuge der
sog. Euthanasie ermordet und Fremde unter Zwang zur Arbeit angehalten. Dafür waren u.a. jene NSDAP-Funktionäre verantwortlich, die an dieser Stelle vorgestellt wurden.
9. Zweites Resümee: Die Opfer des Nationalsozialismus in Egg
9.1. Zwangsarbeiter/innen und Kriegsgefangene
Ab September 1940 arbeiteten in Egg französische Kriegsgefangene an öffentlichen
Bauten wie z.B. der Brunnenleitung in der Parzelle Gropper. Sie waren von der Egger Gemeindevertretung im Sommer d. J. beim Landrat in Bregenz angefordert worden.44 Im Frühjahr 1942 wurden sie von Egg abgezogen und durch 20 serbische und
80 sowjetische Kriegsgefangene ersetzt. Sie wurden in Barackenlagern im Rainertobel und beim Bahnhof untergebracht.45 Diese Lager sollen bis zu 200 Insassen gezählt haben. Über deren Lebensbedingungen berichtete eine Egger Zeitzeugin Viviane Braun 2006:
„Es gab einige Frauen in Egg, die ihnen manchmal einen Laib Brot brachten.
Ansonsten aßen die Gefangenen Gras, soweit sie es mit ihren Händen langten und ausreißen konnten. Die Gefangenen waren mit dem Bau der Wälderbahn beschäftigt.“46
Geburtstag (=Schriftenreihe der Rheticus Gesellschaft 44), Györ, Rheticus 2004, 289-323. Für das Klostertal siehe: Wolfgang
Weber: Zur Sozialstruktur der NSDAP im Klostertal 1938-1945, in: Schriften des Museumsvereins Klostertal 2 (2003), 11-28.
44
Viviane Braun, „Gestohlene Jugendjahre“ – Alltagsleben und Kriegseinsatz einer Bregenzerwälder Familie, Feldkirch 2007,
98.
45
Viviane Braun, „Gestohlene Jugendjahre“ – Alltagsleben und Kriegseinsatz einer Bregenzerwälder Familie, Feldkirch 2007,
99, 101.
UnivDoz Dr Weber Vortrag „Kriegsende Bregenzerwald – Nationalsozialismus in Egg“ 08.03.2007
20
Mit den sowjetischen Männern waren 1942 auch sowjetische Frauen nach Egg gekommen. In gesonderten Transporten trafen ab Mai 1942 in Egg Mädchen und Frauen aus der Sowjetunion ein, die dort zumeist unter Zwang als Arbeitskräfte „geworben“ worden waren. Deren Durchschnittsalter lag bei 19,8 Jahren.47
In Summe sind in den einschlägigen Akten des Vorarlberger Landesarchivs in Bregenz die Namen und Einsatzorte von 154 Zwangsarbeiter/innen und Kriegsgefangenen überliefert, die in der Egger Industrie, im Gewerbe und Handel, bei den Staatsbetrieben und in der Landwirtschaft eingesetzt waren. 30 davon waren männlich, 124
weiblich. Nahezu zwei Drittel dieser Männer und Frauen waren zum Zeitpunkt ihrer
Ankunft in Egg zwischen 15 und 25 Jahre alt, unter ihnen befand sich etwa der am
19. April 1931 (sic!) geborene Iwan Welgen, von dem weder die Nationalität noch der
Zeitpunkt der Ankunft, sondern nur der Einsatzort, „das Bahnlager“, bekannt sind.
Die größte nationale Gruppe unter diesen Menschen stellten die Staatsangehörigen
der ehemaligen Sowjetunion dar: 69 stammten aus der Ukraine, 13 aus Russland,
vier aus Litauen. 15 hatten eine polnische, je vier eine griechische bzw. italienische
und zwei eine französische Staatsbürgerschaft. Von 44 Personen war die Nationalität
aus den Akten im Vorarlberger Landesarchiv nicht festzustellen.
Bei 111 dieser 154 Personen ist aufgrund der Aktenlage eine Zuordnung zum Wirtschaftszweig möglich. Zwei Drittel von 111 Zwangsarbeiter/innen und Kriegsgefangenen in Egg wurden in der Landwirtschaft eingesetzt, rund 27 % in der Industrie,
rund 3 % im Gewerbe und rund 2 % im Handel.48 Die meisten Nennungen erzielt mit
19 die Kleiderfabrik vor dem Bahnlager mit 14 und der Hutfabrik mit 11.
Neben der Industrie profitierten Gewerbe und Handel ebenso wie Private von der
Zwangsarbeit, beim Egger Tierarzt etwa arbeitete die Ukrainerin Anna Roman, die
am 23. März 1943 mit 23 Jahren nach Vorarlberg verschleppt worden und zuvor bei
Josef Meusburger in Bezau, Josef Metzler in Andelsbuch und Gerhard Hager in Mellau beschäftigt war.
46
Viviane Braun, „Gestohlene Jugendjahre“ – Alltagsleben und Kriegseinsatz einer Bregenzerwälder Familie, Feldkirch 2007,
100.
Viviane Braun, „Gestohlene Jugendjahre“ – Alltagsleben und Kriegseinsatz einer Bregenzerwälder Familie, Feldkirch 2007,
99.
48
Die absoluten Zahlen lauten: 76 in der Landwirtschaft, 30 in der Industrie, drei im Gewerbe und zwei im Handel. Bei 43 Personen ist der Wirtschaftszweig nicht zu eruieren.
47
UnivDoz Dr Weber Vortrag „Kriegsende Bregenzerwald – Nationalsozialismus in Egg“ 08.03.2007
21
Derartige häufige Arbeitsplatzwechsel waren nicht ungewöhnlich, denn die Arbeitgeber konnten die Zwangsarbeiter/innen an die Behörden zurückstellen, wenn sie mit
deren Arbeitsleistung nicht zufrieden waren. Den Zwangsarbeiter/innen selbst blieb
bei Unzufriedenheit mit Arbeitsplatz oder Arbeitgeber nur die Flucht:
Von 154 namentlich bekannten Egger Zwangsarbeiter/innen und Kriegsgefangenen
ist bei elf eine Flucht überliefert. Zum Teil unternahmen sie diese alleine wie z.B. der
1918 geborene Ukrainer Wasyl Golomb, der aus dem Egger Kriegsgefangenenlager
flüchtete und in Sulzberg festgenommen wurde; oder drei sowjetische Kriegsgefangene49 und drei sowjetische Zwangsarbeiterinnen50, die aus dem Egger Lager bzw.
von ihren Arbeitsstellen auf landwirtschaftlichen Höfen flüchteten und ebenso von der
Polizei aufgegriffen wurden.
Flucht war für viele Zwangsarbeiter/innen oft die einzige Möglichkeit, einer Verhaftung zu entgehen, wenn ihre Arbeitsleistung nach Ansicht der Arbeitgeber nicht ausreichte. Der polnische Teenager Elzbieta Kröl etwa wurde von ihrem Arbeitgeber angezeigt und wegen Arbeitsverweigerung verhaftet. Die noch nicht 20jährige Ukrainerin Alexandra Tschaban wurde wegen angeblichen Diebstahls durch ihren Arbeitgeber angezeigt und deswegen verhaftet, dito die am 20. Mai 1942 im Alter von 20 Jahren nach Egg verschleppte Ukrainerin Tekla Soroka, die bei der Gemeinde beschäftigt war und von dieser in die Haft überstellt wurde. Die Unternehmer am Ort zeigten
sich ebenso wenig gnädig, Katja Orjabetz, Zwangsarbeiterin in der Kleiderfabrik, und
Tatjana Siminina, Zwangsarbeiterin in der Hutfabrik, die eine kaum 20 Jahre, die andere weit unter 20 Jahre alt, wurden von ihrem Arbeitsplatz weg verhaftet.
Die Zwangsarbeiter/innen waren nicht ausschließlich bei NSDAP-Mitgliedern eingesetzt, sondern bei allen Egger Familien und Unternehmen, die dafür Bedarf anmeldeten und nicht zwingend Nationalsozialist/inn/en sein mussten.
9.2. Opfer der sog. Euthanasie
49
Joan Jukuschenko (geb. 17.10.1921), Joan Kosluk (geb. 13.05.1912), Lemen Tschuchnow (geb. 15.10.1911).
Maria Haluszka aus Kirowograd (geb. 10.08.1924, Arbeitgeber: Leo Troy), Anna Jakimtschuk aus Kulczyny (geb. 16.12.1924,
Arbeitgeber: Anton Lang) und Alexandra Plotnikowa aus Dnjeptropetrowsk ( geb. 01/1924) Arbeitgeber: Adalbert Beck).
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Viviane Braun berichtet in ihrer im Februar 2007 an der Pädagogischen Akademie in
Feldkirch eingereichten Diplomarbeit über eine „besondere Nachbarschaft“ in Egg:
Die Familie Troy rettete demnach im Sommer 1943 drei Insassinnen des Vinzenzheims, das in ihrer Nachbarschaft lag, vor dem Abtransport in eine Tötungsanstalt für
geistig behinderte Menschen.51 Andere Eggerinnen und Egger waren weniger glücklich:
Aus dem Jahr 1941 sind in den Akten des Landeskrankenhauses Valduna vier aus
Egg gebürtige Personen dokumentiert, die im Februar und März 1941 von dort bzw.
aus dem Altersheim nach Hall und Hartheim verschleppt wurden. Die drei nach Hartheim transportierten Männer wurden dort ermordet, die nach Hall gebrachte Frau
wurde ein Jahr später, am 14. August 1942, zu ihrem Bruder nach Egg entlassen.52
9.3. Opfer der politischen Verfolgung
Im Lexikon „Verfolgung und Widerstand“ der Johann August Malin Gesellschaft sind
acht Männer und fünf Frauen namentlich angeführt, die zwischen 1938 und 1945
vom NS-Staat verfolgt wurden und mit einer Ausnahme aus Egg gebürtig waren.53
Der Kommunist Karl Schoch, der bereits vor 1938 illegal für die KPÖ arbeitete, wurde
1941 wegen Hochverrats zu sechs Jahren Haft verurteilt. Der Egger Pfarrer Alfons
Rheinberger 1944 wegen „falscher Zeugenaussage“ zu sechs Monaten.
Alois Waldner, der 1941 erstmals in Gestapo Haft einsaß, wurde 1944 wegen Wehrdienstverweigerung verurteilt. Ludwig Meusburger, der von der Ostfront desertierte,
am 20. März 1944 in Berlin wegen Fahnenflucht hingerichtet.
Otto und Maria Feurstein, ihre Tochter Ilga sowie Gisela Hammerer und Rosa Waldner hingegen wurden zu mehreren Wochen Haft wegen „verbotenem Umgang mit
Kriegsgefangenen“ sowie „Schädigung des gesunden Volksempfindens“ verurteilt,
51
Viviane Braun, „Gestohlene Jugendjahre“ – Alltagsleben und Kriegseinsatz einer Bregenzerwälder Familie, Feldkirch 2007,
119 f.
Ich danke Dr. Hubert Schneider und Mag. Norbert Schnetzer für die Mitteilung über die hier zitierten Personen.
53
Alle hier zu diesen Personen gemachten Angaben stammen aus: Von Herren und Menschen. Verfolgung und Widerstand in
Vorarlberg 1933-1945 (Beiträge zu Geschichte und Gesellschaft Vorarlbergs 5), hg. von der Johann-August-Malin-Gesellschaft,
Bregenz 1985, 267-373.
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weil sie 1942 sieben französische Kriegsgefangene zu Feursteins nach Hause eingeladen und dort mit diesen musiziert, getanzt und Lieder gesungen hatten.54
Wegen ähnlicher Geringfügigkeiten fassten weiters Katharina Bilgeri, Eugen Fetz,
Friedrich Hammerer, Josef Köb und Kreszenzia Schwärzler zwischen einigen Tagen
und mehreren Monaten Haft aus.
9.4. Egger Männer als Soldaten der Deutschen Streitkräfte
Inwieweit jene österreichischen Männer, die zwischen 1939 und 1945 Soldaten der
Deutschen Streitkräfte waren und als solche fielen oder in mehrjährige Kriegsgefangenschaft gerieten, Opfer der NS-Diktatur waren, ist eine gesellschaftspolitisch seit
1945 strittige Frage. Viviane Braun hat in ihrer im Februar 2007 fertig gestellten Diplomarbeit an der Pädagogischen Akademie in Feldkirch akribisch an Hand der Männer und Frauen ihrer Großelterngeneration nachgezeichnet, was die NS-Diktatur und
der Zweite Weltkrieg für diese Egger Familie bedeuteten. Folgt man ihrer Argumentation, waren Soldaten aus Egg Opfer der NS-Diktatur.55
Aus Egg wurden 457 Männer zum Kriegsdienst einberufen, 107 zum Volkssturm. 75
fielen im Zweiten Weltkrieg oder starben in Kriegsgefangenschaft, 29 blieben vermisst. 220 Egger kamen in Kriegsgefangenschaft.56 Mit dem 27-jährigen Maturanten
Eduard Wollner kehrte am 17. Dezember 1949 der letzte Egger Soldat aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft zurück, das Gros war bis 1947 entlassen worden.
10. Drittes und letztes Resümee
Der Nationalsozialismus in Egg war eine dort heimische Bewegung, die von Männern
und Frauen am Ort getragen wurde. Diese lokalen Träger/innen der NS-Diktatur waren für die Gräuel der NS-Herrschaft in Egg mitverantwortlich. Dazu zählen etwa die
Ermordung von geistig behinderten Menschen aus Egg, die miserable Behandlung
der Zwangsarbeiter/innen und Kriegsgefangenen aus Osteuropa oder die Verfolgung
von zum NS-Regime „widersetzlichen“ Menschen in Egg.
54
Von Herren und Menschen. Verfolgung und Widerstand in Vorarlberg 1933-1945 (Beiträge zu Geschichte und Gesellschaft
Vorarlbergs 5), hg. von der Johann-August-Malin-Gesellschaft, Bregenz 1985, 178.
55
Viviane Braun, „Gestohlene Jugendjahre“ – Alltagsleben und Kriegseinsatz einer Bregenzerwälder Familie, Feldkirch 2007.
56
Arthur Schwarz, Heimatbuch Egg. Bregenzerwald/Vorarlberg, Bregenz 1974, 91.
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Zu Beginn der Zweiten Republik wurden die einheimischen NS-Täter/innen für diese
Verantwortung etwa durch die Registrierung als sog. belastete Nationalsozialist/inn/en oder Inhaftierung im Anhaltelager Lochau und Arbeitseinsatz im Kohlebergwerk Wirtatobel vereinzelt zu Rechenschaft gezogen. Ab 1947 folgten jedoch
breite Amnestierungen, die nicht nur von österreichischen Behörden, sondern wie am
Beispiel des sog. alten Kämpfers der NSDAP, Bürgermeister Hans Felder, oder des
vermeintlichen Gestapo Beamten Karl Kützler aufgezeigt wurde, auch von der französischen Militärregierung forciert wurden. Diese rasche Amnestierung und Resozialisierung einheimischer Nationalsozialist/inn/en ermöglichte das Entstehen und Mythen und Legenden über die NS-Diktatur, die bis heute in der Vorarlberger und Egger
Gesellschaft und der regionalen Geschichtsforschung wirkungsmächtig sind.
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