Schmerztherapie 2/2007 - Deutsche Gesellschaft für

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Schmerztherapie 2/2007 - Deutsche Gesellschaft für
SCHMERZTHERAPIE
Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie e. V. – DGS
23. Jahrgang 2007
2I2007
Ehemals StK
Inhalt
Editorial
Geht´s Ihnen auch gut?.................. 2
Myofasziales Schmerzsyndrom
Der Genitalschmerz – genital,
perineal oder myofaszial?.............. 3
Regionalblockaden
Infiltration der Triggerpunkte des
M. piriformis................................... 5
DGS-Veranstaltungen/Interna..... 7
Der Deutsche Schmerztag 2007
Der Patient im Mittelpunkt.............. 8
Onkologie
Update: Therapie von Tumorschmerzen.................................... 12
Palliativmedizin
Die neue spezialisierte ambulante
Palliativversorgung....................... 17
Was kostet die Versorgung am
Lebensende?................................ 19
Infotelegramm/Internationale
Presse ......................................... 21
Schmerzbehandlung und DRG
Finanzierung stationärer Schmerztherapie und Palliativmedizin........ 22
Medizin und Recht
Endgültiges Aus für die Erstattung
von Cannabinol auf Kosten der
GKV?............................................ 24
Bücherecke................................. 26
Kasuistik
Postzosterneuralgie......................27
Gesundheitsreform − kalte
Dusche für Schmerzpatienten
www.dgschmerztherapie.de
ISSN 1613-9968
Editorial
Geht’s Ihnen auch gut?
1,67 Milliarden Euro Überschuss
haben die gesetzlichen Krankenversicherungen im Jahr 2005 erzielt, im Jahr 2006 gar 1,73 Milliarden. Ohne Zweifel geht es den
gesetzlichen Krankenkassen gut.
Sinkende Arbeitslosenzahlen, Leistungseinschränkungen in dem Katalog der gesetzlichen Krankenversicherung wie auch Ihre eigenen
anhaltenden Sparbemühungen bei
der Verordnung von Medikamenten haben zu satten Überschüssen
in der gesetzlichen Krankenversicherung geführt. Damit waren
nach Auskunft des Bundesgesundheitsministeriums Ende 2006
189 der 250 Kassen schuldenfrei.
Sind Sie selbst es auch?
Ärzte subventionieren
Gesundheitssystem weiter
Jahrelang wurde Ärzten die kalkulatorisch für richtig erachtete Honorierung von 71,00 Euro/Stunde (basierend auf einem Punktwert von 5,11
Cent) verweigert mit dem Hinweis,
dies wäre nicht bezahlbar. Damit
liegt der Stundensatz von Ärzten
vielerorts nicht einmal bei der Hälfte
dessen, was Flaschner, Elektriker
oder EDV-Spezialisten, die wir immer wieder in unseren Praxen brauchen, selbstverständlich erhalten.
Nicht mit eingerechnet hierbei sind
die 30% und mehr Arbeit, die Ärzte
nach Erschöpfen ihres Budgets auf
eigene Rechnung und Kosten erbringen. Obwohl Ärzte im geltenden
Antidiskriminierungsgesetz nicht expressis verbis erwähnt sind, entspricht dies ohne Zweifel dem Tatbestand der Diskriminierung, wenn die
Leistung eines ganzen Berufsstandes derart herabgewürdigt wird.
Dass Machwerke wie das „Ärztehasser Buch“ auf diesem Boden eine
breite Medienresonanz finden, ist
nur eine der Folgen.
Schmerztherapie light?
Unter dem Eindruck leerer Kassen
wurde im EBM 2000plus und in der
dazugehörigen
Qualitätssicherungsvereinbarung
nach § 135 Abs. 2
SGB V der besondere Aufwand der
Schmerztherapie
bei schwerstchroni- Gerhard Müllerfizierten Patienten Schwefe, Göppingen
bekanntermaßen
mit einem nicht einmal annähernd kostendeckenden Betrag abgebildet. Diejenigen Kassenärztlichen Vereinigungen, die diese Regelung 1:1 umgesetzt haben, nahmen in Kauf,
dass viele qualifizierte Schmerztherapeuten
sich anderen Aufgaben aus ihrem ursprünglichen Fachgebiet wieder zugewandt haben
und nicht mehr für die Schmerztherapie zur
Verfügung stehen. Bereits mit Einführung
der Qualitätssicherungsvereinbarung zur
Schmerztherapie hat die Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie e. V. moniert, dass
die in § 5 Abs. 7 SGB V definierte Beschränkung schmerztherapeutischer Behandlung
nach dieser Vereinbarung den Zeitraum von
zwei Jahren nicht überschreiten soll. Hier wird
einmal mehr deutlich, dass die Vertragspartner, die diese Vereinbarung abgeschlossen
haben, Situation und Therapienotwendigkeit
chronisch schmerzkranker Patienten zu keinem Zeitpunkt richtig einschätzen konnten.
Patienten und Ärzte stehen
im Regen
Zwei Jahre nach Inkrafttreten des EBM
2000plus und der dazugehörigen Qualitätssicherungsvereinbarung wird diese Regelung
jetzt von einzelnen Kassenärztlichen Vereinigungen „scharfgeschaltet“. Die Konsequenzen
sind klar:
1.Ein massiver Mehraufwand für schmerztherapeutisch tätige Ärzte, die ihren Kassenärztlichen Vereinigungen Patienten auflisten sollen, die zwei Jahre in schmerztherapeutischer
Behandlung sind und länger dieser Behandlung bedürfen – mit einer entsprechenden
Begründung. Der Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung (z. B. Nordrhein) leidet offensichtlich an Arbeitsmangel und möchte
sich dann mit diesem Vorgang beschäftigen
und entscheiden, welche Patienten nach der
Schmerztherapie-Qualitätssicherungsvereinbarung weiterhin in schmerztherapeutischer Behandlung bleiben
können. Man stelle sich vor, ähnliches Vorgehen würde auch bei
Diabetikern und Rheumatikern
eingeführt und Vorstände von
Kassenärztlichen Vereinigungen
müssten entscheiden, wer nach
Ablauf von zwei Jahren weiterhin
zum Diabetologen oder Rheumatologen gehen kann …
2. Schmerzpatienten, die im Rahmen dieser Vereinbarung eine für
sie hilfreiche Schmerztherapie gefunden haben, stehen plötzlich
im Regen. Zahlreiche Schreiben
von Patienten an die Deutsche
Schmerzliga belegen, dass die
Weiterbehandlung durch Hausärzte gerade nicht gewährleistet
ist, da diese mit Hinweis auf die
teuren Medikamentenverordnungen und Budgetgrenzen eine
Weiterbehandlung verweigern. So
schreibt zum Beispiel eine Patientin aus Nürnberg am 31.03.2007:
„Mein Hausarzt ist nicht in der
Lage, mich als chronische
Schmerzpatientin zu behandeln,
da, was mir auch einleuchtet, sein
Budget für eine solch teure Be-
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/2007 (23. Jg.)
Myofasziales Schmerzsyndrom
handlung im Hinblick auf seine übrigen Patienten nicht ausreicht.“ „Kluge“ Kassenärztliche Vereinigungen haben die Durchführung
dieser Regelung aus gutem Grund ausgesetzt.
eines Medizinstudiums möchte wirklich ärztlich in der Versorgung von Patienten tätig
werden. In weiten Teilen Deutschlands – nicht
nur in den neuen Bundesländern – sind vakante Arztsitze nicht mehr zu besetzen.
Prävention und Therapie statt
Wellness
Für die oben zitierte Patientin wie auch für
viele andere wäre es wichtiger, eine für sie
effektive Therapie auch langfristig zu erhalten, als von ihrer Krankenkasse Zuschüsse
für Wellness-Angebote auf Mallorca offeriert
zu bekommen. Die verfehlte Gesundheitsund Vergütungspolitik trägt bereits umfassende Früchte: Nur jeder zweite Absolvent
Gesundheitspolitik – Thema des
Deutschen Schmerztages 2007
Viele dieser gesundheitspolitischen Probleme
waren Inhalte von Vorträgen und Workshops
während des Deutschen Schmerztages 2007.
Einen Teil davon finden Sie in dieser Ausgabe
der SCHMERZTHERAPIE wiedergegeben,
darüber hinaus viele Aspekte schmerztherapeutischer Diagnostik und Therapie.
Ich wünsche Ihnen viel Freude bei der Lektü-
re dieses Heftes und auch Kraft und Energie
für den beginnenden heißen Sommer, um klar
und deutlich gegen die Diskriminierung ärztlicher Tätigkeit anzugehen, um ihren Beruf
weiterhin mit Freude ausüben zu können.
Darin wird Sie die Deutsche Gesellschaft für
Schmerztherapie e. V. mit aller Kraft unterstützen.
Ich grüße Sie herzlich
Ihr
Dr. med. Gerhard Müller-Schwefe, Präsident
Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie e. V.
Der Genitalschmerz – genital,
perineal oder myofaszial?
Hartnäckige Beschwerden im Urogenitalbereich ohne pathologische Befunde sind oft myofasziale Kettensyndrome, bei denen der Projektionsschmerz typischerweise in andere Körperregionen ausstrahlt. Anhand
einer eindrucksvollen Kasuistik schildert Dr. med. Olaf Günther, Magdeburg, Vizepräsident der DGS, das diagnostische und therapeutische
Vorgehen beim myofaszialen Schmerzsyndrom.
chmerzen im Genitalbereich führen Frauen in erster Linie zum Frauenarzt und
Männer zum Urologen. Am häufigsten werden
dabei entzündliche Erkrankungen, deren Folgezustände oder mechanische Störungen diagnostiziert, z.B. nach operativen Eingriffen
Tabelle 1: Differenzialdiagnosen (Auswahl)
Genese
Diagnose
Entzündlich
Adnexitis
Appendizitis
Endometritis
Zystitis
Epididymitis
Prostatitis
Mechanisch/
postoperativ
Adhäsionen
Granulome
Irritationen, z.B. des Nervus
ilioinguinalis oder Nervus genitofemoralis
Chronisches Prostataschmerzsyndrom
Prostatahyperplasie
Endometriose
Pudendus-Tunnel-Syndrom
Tumor
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/2007 (23. Jg.)
(Tab. 1). Dennoch gibt es eine große Anzahl
von urogenitalen Beschwerden, bei denen bei
der Routineuntersuchung keine äußeren Auffälligkeiten gefunden werden, die Entzündungsparameter unauffällig sind und keine
richtungsweisende Erklärung festgestellt wird.
Hierbei durchlaufen die Patienten dann oft einen langen Diagnoseweg mit teilweise aufwendigen und unangenehmen Untersuchungen. Sehr oft findet man in den Krankenakten dieser Patienten Diagnosen wie chronische Adnexitis und Appendizitis. Es wird
aber auch eine idiopathische oder psychogene
Genese angenommen.
Fallbeispiel: Eine 27-jährige Patientin, anfänglich mit spontan auftretendem, ziehendem stechendem Schmerz im Scheideneingang und intravaginal. Die Schmerzattacken dauern Minuten bis Stunden. Die
Schmerzstärke wird mit VAS 5 angegeben.
Die gynäkologische Untersuchung einschließlich Vulva-Probeexzision war unauffällig. Es
erfolgte eine medikamentöse Therapie mit
Paracetamol, Ibuprofen und probatorisch mit
Tramadol, die jedoch zu keiner Besserung
führte. Lediglich warme Bäder brachten Entspannung und Linderung. Daraufhin wurden
ein MRT, eine Zystoskopie und eine Laparoskopie (Abb.1) veranlasst. Auch hier zeigten
Bildarchiv Olaf Günther
S
Olaf Günther,
Magdeburg
Abb. 1: Laparoskopie bei unklaren Schmerzen im Genitalbereich.
Bildarchiv Olaf Günther
Bildarchiv Olaf Günther
Myofasziales Schmerzsyndrom
Abb. 2: Selbstdehnung des M. psoas.
Lokaler Druckschmerz
Die Untersuchung zeigte einen deutlichen
Druckschmerz des M. obturatorius internus,
M. levator ani, einen Druck- und Dehnungsschmerz des M. psoas rechts und M. quadratus lumborum rechts. Der M. iliacus dagegen
war nur gering druckschmerzempfindlich. Der
Dehnungstest des M. rectus femoris und der
Adduktoren war ebenfalls positiv. Darüber
hinaus fanden wir eine Seitneigeblockierung
im thorakolumbalen Übergang-Bereich rechts
und eine Seitneigeblockierung L2/3 links. Die
vaginale Untersuchung zeigte einen auffälligen Druckschmerz im kranialen und mittleren Drittel der Vagina rechts. Auf weitere Befragung gab die Patientin an, dass sie früher
intensiv Laufsport betrieben und bis vor eineinhalb Jahren zweimal wöchentlich getanzt
hätte. Aus beruflichen Gründen musste sie
diese Aktivitäten einstellen. Kurz danach hätten auch die Schmerzen eingesetzt.
Postisometrisches Training und
manuelle Mobilisierung
Es erfolgten eine manuelle Mobilisierung,
eine Unterweisung in postisometrischer Re-
laxation, einer Selbstdehnung der verkürzten
Muskelgruppen (Abb. 2 und 3) und eine medikamentöse Verordnung von Flupirtin. Darüber hinaus wurden eine physiotherapeutische Triggerpunktbehandlung des M. psoas
und eine Triggerpunktinfiltration im M. obturatorius durchgeführt.
Hierunter kam es in den folgenden
vier Monaten zu einer spürbaren Verbesserung der Schmerzsymptomatik. Spontane
Schmerzattacken treten nur noch vereinzelt
(ein- bis zweimal im Monat) auf. Schmerzen
beim Geschlechtsverkehr sind ebenfalls nur
noch selten.
Diskussion
Myofasziale Schmerzsyndrome gehören zu
den häufigsten Schmerzsyndromen überhaupt. Problematisch hierbei ist, dass die
Muskeln, die zu Spannungsstörungen und
ggf. auch zu Verkürzungen neigen, wozu auch
der M. obturatorius internus, M. iliopsoas und
M. rectus femoris gehören, zu Projektions-
Bildarchiv Olaf Günther
sich keine pathologischen Veränderungen.
Da es in den folgenden Monaten zu einer Zunahme des Schmerzbildes kam und die Patientin zusätzlich erhebliche Schmerzen beim
Geschlechtsverkehr verspürte, wurde sie zur
speziellen Schmerztherapie überwiesen.
Bei der Vorstellung in unserer Schmerzambulanz sahen wir eine junge, aufgeschlossene und sicher auftretende Patientin.
Die Partnerschaft sei harmonisch und die
psychologischen Fragetests ergaben keine
Auffälligkeiten. Anamnestisch gab sie starke Schmerzen beim Koitus und spontane
Schmerzen an, insbesondere beim Sitzen
und Aufstehen.
Abb 3: Selbstdehnung des M. rectus femoris.
Abb. 4: M. obturatorius mit Triggerpunkten.
schmerzen in anderen Körperregionen führen. Dadurch kommt es oft zu einer Missdeutung und unzureichender, mit Chronifizierung
einhergehender Therapie des Krankheitsbildes. Alle drei Muskeln sind für den Bewegungsablauf der Hüftgelenks- und Beinmuskulatur wichtig. So ist der M. iliopsoas ein
kräftiger Hüftbeuger, der M. rectus femoris
extendiert im Kniegelenk und flexiert im Hüftgelenk, während der M. obturatorius (Abb. 4)
ein starker Außenrotator am extendierten
Oberschenkel ist, Funktionen, die insbesondere beim Laufen und Tanzen intensiv beansprucht werden.
Typisch für ein myofasziales Schmerzsyndrom sind brennende, zum Teil sehr heftige blitzartige, nicht segmentale, in Ruhe
auftretende – besonders nachts – und auf
WHO-Stufe-II- und -III-Opioide nicht ansprechende Schmerzen. Aber auch ein bewegungsunabhängiger Dauerschmerz kann für
eine muskuläre Ursache sprechen. Eine optimale Therapie setzt eine optimale Diagnose
voraus:Anamnese – Anfassen – Begreifen.
Myofasziale Schmerzsyndrome sind Kettensyndrome, das heißt, bei genauer Untersuchung werden sich immer funktionelle Störungen in mehreren Muskelgruppen finden,
die zum Ablauf eines Bewegungsmusters
notwendig sind.
Insbesondere beim myofaszialen Schmerzsyndrom ist eine multimodale Schmerztherapie notwendig. Therapeutisch sollten Korrekturen des muskulären Dysfunktionssyndroms,
aber auch der Einsatz von Muskelrelaxanzien, Trizyklika und physiotherapeutische
Maßnahmen wie feuchte Wärme, detonisierende Ströme, neuraltherapeutische und/oder
manualtherapeutische Triggerpunktbehandlungen, progressive Muskelentspannung und
ggf. psychotherapeutische Interventionen zur
Anwendung kommen.
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/2007 (23. Jg.)
Originalie
Infiltration der Triggerpunkte des M. piriformis
Das M.-piriformis-Syndrom ist durch bizarre, diffus in Kreuz, Leiste und
Perineum ausstrahlende Schmerzen charakterisiert und kann mit einer
Infiltrationstherapie des betroffenen Außenrotatorenmuskels gezielt behandelt werden, schildert der Ehrenpreisträger des Deutschen Schmerzpreises 2007, Dr. med. Danilo Jankovic, DGS-Leiter Köln-Hürth, im folgenden Beitrag.
Einleitung
Durch die Aktivierung von Triggerpunkten im
M. piriformis („double devil“ – „doppelter Teufel“) sowie anderen fünf kleinen Außenrotatorenmuskeln (Mm. gemelus superior, obturatorius internus, gemelus inferior, obturatorius
externus und M. quadratus femoris) und die
dadurch verursachte Irritation der benachbarten Nerven entstehen Schmerzen mit klassischem Ausstrahlungsmuster [14]. Der Name
des M. piriformis leitet sich ab vom lateinischen pirum (Birne) und forma (Form). Der
Muskel erhielt seine Bezeichnung von dem
belgischen Anatom Adrian Spigelius, der im
späten 16. und frühen 17. Jahrhundert lebte.
Anatomie
Der M. piriformis, ein dicker, fleischiger Muskel, hat seinen Ursprung im Becken an der
Kreuzbeinvorderfläche zwischen den Foramina sacralia pelvica 1–4 und durchzieht auf
dem Weg zu seiner Insertion am Oberrand
des Trochanter major das Foramen ischiadicum majus. Diese starre Öffnung wird anterior und superior vom Os ilium, posterior vom
Ligamentum sacrotuberale und inferior vom
Ligamentum sacrospinale gebildet (Abb. 1).
Der M. piriformis wirkt als Außenrotator des
Oberschenkels und unterstützt auch dessen
Abduktion. Die Innervation stammt meistens
vom ersten und zweiten Sakralnerven. Die
nervalen Strukturen im Foramen ischiadicum
majus umfassen: N. glutaeus superior, N.
ischiadicus, N. pudendus mit den Vasae pudendae, N. glutaeus inferior sowie N. cutaneus femoris posterior (Abb. 2). Diese Nerven
sind gemeinsam verantwortlich für die Sensibilität und Funktion aller Glutealmuskeln, für
die sensiblen und motorischen Funktionen im
Perineum sowie für fast die gesamte sensible
und motorische Funktion im rückseitigen
Oberschenkel und in der Wade.
Die wichtigsten Blutgefäße dieser Region
sind: A. glutaealis superior und A. glutaealis
inferior.
Schmerzmechanismus
Schon in der Vergangenheit haben zahlreiche
Autoren erkannt, dass eine Kontraktur des M.
piriformis für die Nerven und Gefäße, die durch
das Foramen ischiadicum majus ziehen, einen
Engpass darstellen kann.
Die darauf folgende
inadäquate Blutversorgung des
Muskels führt –
durch Akkumulierung von metabolischen Abbauprodukten, die normalerweise durch zirkulierendes Blut
entsorgt werden – Danilo Jankovic, Köln
zu einem myofaszialen Übertragungsschmerz sowie öfter zu
einer Blockade des Iliosakralgelenkes.
Symptome
Triggerpunkte im M. piriformis steuern erheblich zu komplexen myofaszialen Schmerzsyndromen im Becken- und Hüftbereich bei. Das
Piriformissyndrom ist häufig durch bizarre,
auf den ersten Blick nicht zusammenhängende Symptome charakterisiert [11, 14]. Die
Patienten klagen über Schmerzen (und Parästhesien) in Kreuz, Leiste, Perineum, Gesäß, Hüfte, Rückseite von Ober- und Unterschenkel, Fuß sowie im Rektum (beim Stuhlgang) und in der Steißbeingegend.
Manche Autoren vermuten die Kontraktion des M. piriformis als oft übersehene Ursache einer Kokzygodynie [2, 13]. Edwards
beschreibt dieses Syndrom als „Neuritis der
Äste des N. ischiadicus“ [11], Te Poorten vermutet die Beteiligung des N. peroneus [11].
Schwellungen im betroffenen Bein und sexu-
1
Abb. 1: Anatomie. (1) Foramen ischiadicum majus,
(2) Ligamentum sacrospinale, (3) Ligamentum
sacrotuberale, (4) Foramen ischiadicum minus
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/2007 (23. Jg.)
2
Abb. 2: Anatomie. (1) M. piriformis und benachbarte
Muskeln, Nerven und Gefäße: (2) M. glutaeus minimus, (3) M. glutaeus medius,
(4) M. glu-taeus maximus, (5)
M. quadratus femoris, (6) N.
glutaeus superior, (7) N. glutaeus inferior, (8) N. cutaneus femoris posterior, (9) A.
glutealis superior, (10) A.
und V. gluteae inferiores,
(11) A. pudenda interna
Originalie
elle Funktionsstörungen (Dyspareunie bei
Frauen und Potenzstörungen bei Männern)
sind sehr oft als Begleiterscheinungen vorhanden.
Die Aktivierung und Provokation von
Triggerpunkten im M. piriformis kann durch
folgende Faktoren ausgelöst werden: starke
Belastung, Trauma, längere Ruhigstellung des
Muskels, lange Autofahrten, chronische Infektionen (Beckenraum, infektiöse Sakroiliitis, Arthritis des Hüftgelenks), Morton-Anomalie des
Fußes, Körperasymmetrie u. a. [14].
Differenzialdiagnostisch kommen infrage: „Postlaminektomiesyndrom“, Bandscheibenprolaps, Kokzygodynie, Facettensyndrom, Spinalstenose (beidseitiger
Schmerz), Sakroiliitis, maligne Neoplasmen,
lokale Infektionen u. a.
Die Therapie dieses Syndroms umfasst:
therapeutische Injektionen mit Lokalanästhetika und Kortikosteroiden [2, 3, 4, 5, 8, 10],
Injektion von Botulinumtoxin [16], osteopathische Manipulationen [10, 11], intermittierendes Kühlen und Dehnen [14], korrigierende Maßnahmen [10, 11, 14], Selbstdehnung
[14], transrektale oder transvaginale Massage des Muskels [13] und schließlich operative
Dekompression [2, 11, 14].
ieser Beitrag entstammt dem Buch von Danilo
D
Jankovic: Regionalblockaden und Infiltrationstherapie und erfolgt mit freundlicher Genehmigung
des ABW Wissenschaftsverlag. 2004, geb., 444
S., 500 Abb., ISBN 978-3-936072-16-7, 138,00 �,
ABW Verlag, Berlin.
Literatur beim Autor oder im Buch.
Abb. 3: Lagerung zur Injektion (Sims-Position).
Durchführung
Ein Aufklärungsgespräch mit dem Patienten
muss unbedingt erfolgen.
Technik
Die Lagerung wird in Abb. 3 dargestellt.
Lokalisation
Wichtige Orientierungspunkte sind: Trochanter major und Spina iliaca posterior superior.
Vom Mittelpunkt der Verbindungslinie wird
eine Linie nach medial gezogen und nach 5
cm die Einstichstelle markiert (Abb. 3).
Injektionstechnik
Transgluteale Technik
Die Punktionskanüle wird senkrecht zur Hautoberfläche eingeführt (Abb. 4). Gewählt wird
ein Reizstrom von 1 mA und 2 Hz bei einer
Reizdauer von 0,1 ms. In einer Tiefe von ca.
6–8 cm kommt es zur Plantar- und Dorsalflexion des Fußes als Reizantwort des tibialen bzw.
des peronealen Teils des N. ischiadicus. Die
Kanüle wird dann etwas zurückgezogen, bis
zum völligen Verschwinden der Zuckungen.
Nach Aspirationstest erfolgt die Injektion der
Hälfte der vorgesehenen Menge der Injektionslösung. Die Kanüle wird dann bis zur Subkutis zurückgezogen und nach lateral in Richtung des Trochanter major blind vorgeschoben,
um den lateralen Triggerpunkt des Muskels zu
erreichen. Nach Aspiration erfolgt die Injektion
der restlichen Menge der Injektionslösung.
Transgluteale Technik nach Pace
Die Lokalisation der Triggerpunkte des M. piriformis erfolgt durch transrektale Palpation.
Der palpierende Zeigefinger der linken Hand
dient als Führung für eine 80 mm lange 22G-Spinalkanüle, die dorsal transgluteal eingeführt wird [10, 13]. Der Muskelbauch wird
fächerförmig infiltriert. Diese Methode ist
meistens schmerzhaft und unangenehm für
den Patienten.
Dosierung [2, 4, 5, 6, 10]
5–10 ml Lokalanästhetikum, z. B. 0,5% Procain oder 0,5% Lidocain.
5–10 ml 0,2% Ropivacain oder 0,08–
0,25% Bupivacain.
Eine Mischung mit 20–40 mg Depot-Kortikosteroid (z. B. Depot-Methylprednisolon)
wird auch empfohlen.
Erfahrungsgemäß bieten lang wirkende
Lokalanästhetika keine wesentlichen Vorteile
zu kurz wirkenden Lokalanästhetika [2, 6, 14].
Der Patient muss unbedingt darauf hingewiesen werden, dass es durch Ausbreitung des
Lokalanästhetikums (insbesondere bei lang
wirkenden) im Bereich des N. ischiadicus zu
einem späteren Umknicken des Beines kommen kann:
Komplikationen
– Nervenschädigungen (eine Injektion des Kortikosteroids an den N. ischiadicus muss vermieden werden),
– intravasale Injektion,
– ZNS-Intoxikation,
– Infektion,
– Hämatombildung,
–Rektumperforation (transgluteale Technik
nach intrarektaler Palpation der Triggerpunkte).
Danilo Jankovic, Köln
Abb. 4: TP1 – Die Punktionskanüle wird senkrecht zur Hautoberfläche eingeführt; TP2 – Zurückziehen der Kanüle, dann Vorschieben nach lateral in Richtung des Trochanter major.
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/2007 (23. Jg.)
DGS-Veranstaltungen
DGS-Veranstaltungen
Weitere Informationen zu den Seminaren erhalten Sie über die Geschäftsstelle des DGS Oberursel,
Tel.: 0 6171/ 28 60 60 · Fax: 0 6171/ 28 60 69 · E-Mail: [email protected].
Die aktuellsten Informationen zu den ­Veranstaltungen und den Details finden Sie im Internet unter
www.dgschmerztherapie.de mit der Möglichkeit der Online-Anmeldung.
Juni 2007
Multimodale Schmerztherapie – Workshop
Teil 2
27.06.2007 in Potsdam; Regionales Schmerzzentrum DGS-Potsdam
40-Stunden-Aufbaukurs Palliativmedizin
(Modul 2)
06.06.–10.06.2007 in Hamburg; Regionales
Schmerzzentrum DGS-Bremen
Patientenvorstellung
27.06.2007 in Halle; Regionales Schmerzzentrum
DGS-Halle/Saale
Schmerz und Psychotrauma – EMDR-Hypnose-Traumatherapie
06.06.2007 in Duisburg; Regionales Schmerzzentrum DGS-Duisburg
Curriculum Algesiologische Fachassistenz – Kursteil 3 – 1. Wochenende
(Veranstaltungsreihe über drei Termine)
08.06.–10.06.2007 in Mülheim/Ruhr; Geschäftsstelle
DGS
Curriculum Neuraltherapie DAfNA/DGS
diagnostisch-therapeutische Lokalanästhesie und
TENS-Kurs D, Aufbaukurs III (20 Stunden)
09.06.–10.06.2007 in Speyer; Geschäftsstelle der
DAfNA
Curriculum Psychosomatische Grundversorgung,
2. Wochenende
15.06.–17.06.2007 in Heidelberg; Geschäftsstelle
DGS
Neuropathischer Schmerz – Syndrome und aktuelle Therapie
16.06.2007 in Calw; Regionales Schmerzzentrum
DGS-Calw
Möglichkeiten und Grenzen präoperativer
Schmerztherapie
16.06.2007 in Neustadt; Regionales Schmerzzentrum
DGS-Neustadt Holstein
Myofasziale Lösung mit Akupunktur, TLA und Yoga
16.06.2007 in Köln; Regionales Schmerzzentrum
DGS-Köln
8. Wiesbadener Schmerztag – Patientenforum
„Rheuma & Schmerz”
16.06.2007 in Wiesbaden; Regionales Schmerzzentrum DGS-Wiesbaden
Praxissemniar – TENS und Lasertherapie in der
Schmerzbehandlung
20.06.2007 in Leipzig; Regionales Schmerzzentrum
DGS-Leipzig
Fußerkrankungen – Konservative und operative
Therapieoptionen
20.06.2007 in Gießen; Regionales Schmerzzentrum
DGS-Gießen
Curriculum Spezielle Schmerztherapie, Teil 1
21.06.–24.06.2007 in Kassel; Geschäftsstelle DGS
40-Stunden-Aufbaukurs Palliativmedizin
(Modul 1)
30.05.–03.06.2007 in Celle; Regionales Schmerzzentrum DGS-Celle
Schmerzen und endokrine Erkrankungen
21.06.2007 in Bad Säckingen; Regionales Schmerzzentrum DGS-Bad Säckingen
Zervikalsyndrom / KISS / Orofaziales Syndrom
22.06.–24.06.2007 in Rostock; GGMM e.V.
Curriculum Palliativmedizin – Modul 3 für Ärzte
27.06.–01.07.2007 in Wiesbaden; Regionales
Schmerzzentrum DGS-Wiesbaden
Qualifikation Schwerpunkt
Palliativmedizin
Alexandra Milutin-Lanzi, Ingolstadt
Qualifikation Algesiologe DGS/
DgfA
Dr. med. Peter Beckers, Wassenberg
Dipl.-Med. Andrea Bredel, Leipzig
Dr. med. Mahin Farid, Frankfurt
Dr. med. Andreas Frei, Ettenheim
Dr. med. Marianne Kessler, Haslach
Dr. med. Victoria Klinge, Bad Münster
Akupunktur-Kurs 17 – Chinesische Arzneimittel für
Akupunkteure II – Praxisseminar
30.06.–01.07.2007 in Bad Bergzabern; Geschäftsstelle der DAfNA
Juli 2007
Praxisseminar – Stoßwellentherapie bei akuten
und chronischen Schmerzzuständen
18.07.2007 in Leipzig; Regionales Schmerzzentrum
DGS-Leipzig
Biofeedback I
19.07.2007 in Bad Säckingen; Regionales Schmerzzentrum DGS-Bad Säckingen
August 2007
Sommerakademie Palliativmedizin – Aufbaukurs 1
08.08.–12.08.2007 in Dierhagen; Regionales
Schmerzzentrum DGS-Lünen
Sommerakademie Palliativmedizin –
Aufbaukurs 2
13.08.–17.08.2007 in Dierhagen; Regionales
Schmerzzentrum DGS-Lünen
Mahrokh Rousta, Frankfurt
Curriculum Chirotherapie / Manuelle Medizin
DAfNA/DGS – Kurs 2 (60 Stunden)
24.–26.08.2007 und 31.08.–02.09.2007 in Speyer; Geschäftsstelle der DAfNA
Dr. med. Thorsten E. Wieden, Celle
Oktober 2007
Dr. med. Bernhard Lange, Miltenberg
Qualifikation Schwerpunkt
Spezielle Schmerztherapie
Dr. med. Erich Mützel, Goldbach
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/2007 (23. Jg.)
Curriculum Psychosomatische Grundversorgung, 3. Wochenende
30.06.–01.07.2007 in Heidelberg; Geschäftsstelle
DGS
Curriculum Spezielle Schmerztherapie –
80 Stunden interdisziplinäres Kompaktseminar
26.10.–04.11.2007
Mallorca /Spanien
Anmeldung über Geschäftsstelle DGS
Anmeldefrist: 10.06.2007
Der Deutsche Schmerztag 2007
Der Patient im Mittelpunkt
Mit über 2500 Teilnehmern war der 18. Deutsche interdisziplinäre
Schmerzkongress vom 15.–17. März im Frankfurter Congress Center wieder ein voller Erfolg. Neue Trends in der Apparatemedizin – vom Infrarotlaser über SCS-Pumpen bis hin zur Magnetfeldtherapie – wurden dort
an den Industrieständen hautnah demonstriert. Über pharmakologische
Innovationen und neue Therapieformen informierten zahlreiche Handson-Workshops und Plenarvorträge. Bei allen Themen stand gemäß dem
Kongressmotto der individuelle Patient im Mittelpunkt.
Z
irkadiane Biorhythmen beeinflussen
auch die Schmerztherapie und müssen
bei der täglichen Praxis berücksichtigt werden, erklärte Dr. med. Uwe Junker, Remscheid. Patienten mit Osteoarthroseschmerzen haben abends den höchsten
Substanzverbrauch, Patienten mit rheumatoider Arthritis morgens und tagsüber und die
Tumorschmerzpatienten in der Regel zwischen 10 und 22 Uhr, also in dem Zeitraum
ihrer höchsten körperlichen Aktivität. Diese
Schwankungen erfordern eine orale und flexible Therapie und können daher nicht mit
starren Pflastersystemen behandelt werden.
Ideal für multimorbide ältere Patienten ist
dagegen die Behandlung mit Hydromorphon,
das aufgrund seiner verschiedenen Dosierungen und der möglichen Gabe des nicht
retardierten Hydromorphons für Durchbruchschmerzen gut geeignet ist. Klagen die Tumorkranken dagegen vor allem über nächtliche
Schmerzen, sollten sie am Abend die höhere
Dosis von Hydromorphon erhalten. Mit einer
zweimaligen Gabe dieses Basisopioids, ggf.
in unterschiedlicher Dosis und in Kombination
mit einem schnell freisetzenden Hydromorphon, lässt sich die Schmerztherapie flexibel
gestalten.
Aufgrund seiner vom Zytochrom-450Enzymsystem unabhängigen Metabolisierung
und geringen Plasmaeiweißbindung stellt laut
Junker Hydromorphon das Mittel der ersten
Wahl bei Tumorkranken dar. Bei Knochenmetastasen, die eine stärkere antiphlogistische
Komponente erfordern, können Opioide mit
Cox-2-Hemmern kombiniert werden und bei
neuropathischen Schmerzen mit modernen
Antikonvulsiva wie dem Pregabalin.
Stufenschema überholt
Das Stufenschema der WHO ist nach Ansicht
der Algesiologen eher ein Hindernis für eine
effiziente Schmerztherapie bei Tumorkranken, warnte Dr. Thomas Nolte, Wiesbaden.
Gefordert ist bei Tumorschmerz eine mechanismenorientierte Behandlungsstrategie, die
meist den frühzeitigen Einsatz eines Basisopioids der Stufe III beinhaltet. Überholt ist
auch Morphin als Goldstandard der Therapie,
da die modernen oralen Retardpräparate wie
Hydromorphon und Oxycodon ein günstigeres Nutzen-Nebenwirkungs-Verhältnis aufweisen und keine aktiven Metaboliten bilden,
die eine gefährliche Akkumulation auslösen
können. Wichtig ist auch eine möglichst maßgeschneiderte und individuell schmerzadaptierte Behandlung, um Dosiseskalationen zu
vermeiden. Dabei ist das weitgehende Fehlen
aktiver Metabolite ein zusätzlicher Schutz vor
Dosiseskalation und Überdosierung.
Kommt es unter Morphin zur Dosiseskalation, droht dagegen eine opioidinduzierte
Neurotoxizität durch die hohe Dosis und eine
zu lange Opioidexposition durch die aktiven
Metaboliten. Dadurch können Hyperalgesie,
Benommenheit, paradoxe Schmerzen, Halluzinationen, Sedierung und/oder Myoklonien
und Krampfanfälle ausgelöst werden. Ideal ist
es nach den Ausführungen des Wiesbadener
Experten, die Schmerztherapie individuell multimodal einzustellen, mit den Stufe-III-Opioiden
als Basis, die je nach Schmerzart mechanismenorientiert mit Coxiben oder Koanalgetika
wie z. B. Antikonvulsiva tagesverlaufadaptiert
und zeitnah oral behandelt werden.
Palladon® injekt zur bedarfsadaptierten Invasivtherapie
Bei Unwirksamkeit der oralen Therapie, sehr
hohem Opioidbedarf und schweren gastroin-
Kölner Schmerzarzt Danilo Jankovic auf dem Deutschen Schmerztag ausgezeichnet
verfasst, das in seiner inhaltlichen Form perfekt ist und in sehr aufwendigen Abbildungen diesen Bereich bestens für den Erfahrenen, aber
auch für den Anfänger deutlich macht (siehe dazu Beitrag S. 5–6).“
Bildfolio Bostelmann
Dr. med. Danilo Jankovic, Schmerztherapeut und Anästhesiologe aus Hürth, wurde mit dem Ehrenpreis des Deutschen
Schmerzpreises 2007 ausgezeichnet.
Der niedergelassene Schmerztherapeut und Leiter des regionalen
Schmerzzentrums Köln-Hürth erhielt den mit 3 000 Euro dotierten Ehrenpreis des Deutschen Schmerzpreises – Deutscher Förderpreis 2007
für Schmerzforschung und Schmerztherapie. Der Preis wird jährlich an
Persönlichkeiten verliehen, die sich durch wissenschaftliche Arbeiten
über Diagnostik und Therapie akuter und chronischer Schmerzzustände verdient gemacht oder die durch ihre Arbeit oder ihr öffentliches
Wirken entscheidend zum Verständnis des Problemkreises Schmerz
und der davon betroffenen Personen beigetragen haben.
Der wissenschaftliche Träger des Ehrenpreises ist die Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie e.V. Gestiftet wird der Preis von der Firma
AWD.pharma GmbH, Dresden.
In der Urkunde heißt es: „Dr. Danilo Jankovic hat sich seit vielen Jahren
um eine Integration der therapeutischen Lokalanästhesie in die Schmerztherapie bemüht und in sehr anschaulicher Weise hierzu ein Lehrbuch
V. l.: Uwe Junker, Danilo Jankovic, Gerhard Müller-Schwefe.
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/2007 (23. Jg.)
testinalen Problemen wie Nausea, Emesis
oder Schluckstörung bietet sich mit dem neuen injizierbaren Hydromorphon eine weitere
Alternative, z.B. für die Finalphase von Palliativpatienten, ergänzte Dr. med. Bernhard
Sittig, Geesthacht. Bei subkutaner Injektion
tritt die Wirkung rascher ein und bietet eine
höhere maximale Analgesie. Mit einer subkutanen Dauerkanüle, die bei guter Pflege bis
zu sieben Tage verbleiben kann, stellt dies
eine komplikationsarme, komfortable und sichere Schmerztherapie dar. Alternativ kann
auch noch die intravenöse Opioidapplikation
bei absehbarer längerfristiger Behandlung in
Form eines intravenösen Portsystems diskutiert werden.
Diese Therapieformen, auch in Kombination mit einem PCA-Pumpensystem, sind
in der palliativen Schmerztherapie heute ein
wichtiger Standard. Seit April 2007 gibt es
für diese Situationen Hydromorphon in der
2-mg/1-ml-, 10-mg/1-ml- und 100-mg/10-mlDosierung. Letztere eignet sich bei der Dauerbehandlung mit Pumpen- und Portsystemen
gut als durchschnittlicher Wochenbedarf (siehe dazu auch Heft 1, 2007, S. 13–14). Speziell
zur Therapie der Durchbruchschmerzen ist
der schnelle Wirkeintritt von Hydromorphon
innerhalb von fünf bis zehn Minuten und einer Wirkdauer von drei bis vier Stunden ideal
und günstiger als z.B. bei Morphin, bei dem es
nach subkutaner Gabe 15–30 Minuten dauert,
bis die Wirkung eintritt.
Schmerztherapie mit retardiertem
Oxycodon und Naloxon
Patienten mit starken Schmerzen profitieren
von einer Basistherapie mit einem stark wirksamen Opioid der Stufe III wie Oxycodon:
Nach einer Studie an 4295 Patienten erreichten mit diesem Opioid 86% ihr individuell
gewünschtes Behandlungsziel und gaben
auch an, dass ihr globales Wohlbefinden dadurch deutlich besser war. Allerdings ist die
opioidinduzierte Obstipation der Pferdefuß
der Behandlung mit Opioiden, an dem die
Patienten auch am stärksten leiden. Auch
wenn die opioidinduzierte Obstipation mit
Laxanzien behandelt wird, kann es zu massiven Beschwerden wie Reflux, Ösophagitis,
Krämpfen, Blähungen, Durchfällen, Darmatonie und Darmentleerungsstörungen kommen.
Diese Beschwerden peinigen alle Patienten
unter einem Opioid der Stufe III, gleichgültig
um welches Präparat und welche Applikationsform (transdermal oder oral) es sich handelt. Lebensqualität, Stimmung, soziale Aktivitäten und Nachtschlaf werden beeinträchtigt. Wie eine Umfrage mit 13 000 Schmerzkranken, von denen 4 613 Patienten unter
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/2007 (23. Jg.)
Bildfolio Bostelmann
Der Deutsche Schmerztag 2007
Infrarotlaser und Magnetfeldtherapie wurden an den Industrieständen demonstriert.
einem Opioid der Stufe III standen, zeigte, ist
dies unabhängig von der Applikationsart des
Opioids.
Präventionsopioid ermöglicht
Paradigmenwechsel
Mit der Fixkombination aus retardiertem Oxycodon und retardiertem, nur peripher und
prähepatisch wirksamem Naloxon wird die
Obstipation erstmals von Anfang an verhütet,
da die µ-Opiatrezeptoren am Darm selektiv
von dem Antagonisten Naloxon blockiert werden. Naloxon wird danach im First-Pass in der
Leber zu mehr als 97% abgebaut.Die systemische Wirkung des Oxycodons und damit
die analgetische Potenz bleiben erhalten.
Somit erlaubt es dieses Präventionsopioid erstmals, die Schmerzen zu lindern
ohne therapeutischen Schaden, so Michael
Überall, Nürnberg. Aufgrund des hohen therapeutischen Nutzens erhielt dieses Präparat
im Herbst 2006 eine Fast-Track-Zulassung. Es
ermöglicht eine starke Schmerzlinderung bei
gleichzeitiger Regulierung der Darmfunktion.
Bei Umstellung von anderen Opioiden auf die
Fixkombination aus retardiertem Oxycodon
und Naloxon wird eine bereits bestehende
opioidinduzierte Obstipation reduziert.
Nach einer neuen Anwendungsbeobachtung mit Targin® wird diese Fixkombination als wirksamer und verträglicher bewertet
als Oxycodon allein. „Diesen therapeutische
Nutzen der hochintelligenten mechanismen­
orientierten Opioidtherapie dürfen wir unseren
Patienten nicht vorenthalten“, appellierte Gerhard Müller-Schwefe. Zu bedenken ist auch,
dass allein die Laxanzientherapie bei herkömmlichen Opioiden mit 700 bis 1000 Euro
pro Jahr und Patient teuer ist und durch die
Fixkombination eingespart wird.
Rückenschmerzen: Bandscheiben
nicht überbewerten!
Nach wie vor werden bei Rückenschmerzen
die Befunde an den Bandscheiben überbewertet, kritisierte Dr. Alois Franz, Siegen. In
vielen Fällen steckt bei Rückenschmerzen
auch eine neuropathische Schmerzkomponente dahinter, die zum Beispiel mit dem von
der Firma Pfizer entwickelten PainDETECTFragebogen gut abgegrenzt werden kann.
Pseudoradikuläre Rückenschmerzen haben ihre Ursache oft in Instabilitätsarthrosen,
aktivierten Spondylarthrosen oder arthrogenen Facettensyndromen. Lediglich beim
akuten Rückenschmerz findet sich auch eine
inflammatorische Schmerzkomponente.
Bei den unspezifischen Rückenschmerzen handelt es sich dagegen um ein
dynamisches Geschehen, bei dem sich die
Schmerzen verselbstständigen und auch die
kognitiv-emotionale Komponente zu berücksichtigen ist.
Das multimodale Therapiekonzept bei
chronischem Rückenschmerz berücksichtigt
bei der Medikation NSAR/Coxibe, Antidepressiva und Antikonvulsiva, die Physiotherapie
(Krankengymnastik, Stufenbett, Traktion, Elektrotherapie) ebenso wie die Infiltrationstherapie
(paravertebral, an den Facettgelenken oder in
Form einer Nervenwurzelblockade).
Nach wie vor werden nach Ansicht von
Franz viel zu viele Bandscheibenoperationen
durchgeführt. Auch bei den Bandscheibenprothesen ist äußerste Zurückhaltung geboten. So
bilden sich bei den Prothesen häufig Narben
und eine Ummauerung des Rückenmarks führt
zu neurologischen Ausfällen, was dann zu
Zweiteingriffen zwingt. Im Zeitalter der Kernspintomografen ist mehr denn je Zurückhaltung
bei der bildgebenden Diagnostik geboten. „Wir
Der Deutsche Schmerztag 2007
dürfen gerade bei Rückenschmerzen den Patienten nicht an der bildgebenden Diagnostik
aufhängen“, warnte der Siegener Orthopäde.
Die Güte eines Neurochirurgen ist nicht an der
Anzahl der an der Wirbelsäule durchgeführten
Operationen, sondern an der Anzahl der vermiedenen Operationen zu messen.
Rückenschmerzen, so Gerhard Müller-Schwefe, entstehen auch häufig aus
unterschwelligen Schmerzsignalen aus der
Muskulatur, die zur Sensibilisierung der Nervenzellen im Rückenmark führen. Entzündungen in der Muskulatur spielen dagegen
eine untergeordnete Rolle. Daher fordert der
Göppinger Algesiologe ein Umdenken in der
Schmerztherapie, weniger NSAR und mehr
Einsatz von Membranstabilisatoren wie dem
retardierten Flupirtin. Nach einer großen
Studie mit über 2000 Patienten wirkt Flupirtin sowohl schmerzlindernd als auch myotonolytisch.
kranken findet sich somit keine spezifische
Schlafstörung.
Posterpreise
Erstmals in diesem Jahr wurden die drei besten Poster ausgezeichnet. Den ersten Preis
erhielt Dr. med. Bodo Kress, Frankfurt/M., für
die Arbeit „Quantitative MR-Messverfahren
bei Patienten mit Trigeminusneuralgie”. Bislang vermuteten die Ärzte, dass der Blitzschmerz entsteht, weil ein Blutgefäß kurz
hinter der Austrittsstelle des Trigeminus aus
dem Gehirn auf den Nerven drückt. (Nur in
sehr seltenen Fällen wird diese Neuralgie
durch andere Erkrankungen, etwa eine multiple Sklerose oder einen Tumor verursacht.)
Nun zeigen die MR-Untersuchungen der
Frankfurter Arbeitsgruppe, dass die Nähe
zwischen Blutgefäß und Nerv nicht die alleinige Ursache der Schmerzen ist. Wie der
Neuroradiologe Dr. Bodo Kress vom Krankenhaus Frankfurt Nordwest und der Neurochirurg Dr. Dirk Rasche vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck,
auf dem Deutschen Schmerztag berichteten,
lässt sich diese Nähe zwischen Blutgefäß
und Nerv auch bei zwei von drei gesunden
Probanden sowie bei der gesunden Gesichtsseite von Patienten mit Trigeminusneuralgie
nachweisen.
Schmerz und Schlaf
Schlaf ist ein Seismograf für den körperlichen
und seelischen Zustand des Menschen, erklärte Prof. Göran Hajak, Regensburg. Bei
Schmerzen und/oder Angst leiden die Betroffenen häufig zugleich an Schlafstörungen,
sodass Angst, Schmerz und Schlafstörungen
häufige komorbide Störungen sind, die auch
therapeutisch mit berücksichtigt werden müssen. Bei peripheren neuropathischen Schmerzen leiden 60–70% zugleich an Schlafstörungen, ergab eine Befragung von 126 Patienten.
Je älter wir werden, desto empfindlicher
reagieren wir auf Störungen und desto vulnerabler sind wir für Schlafstörungen, warnte der
Regensburger Psychiater. Die Art der Schlafstörung ist bei Schmerzkranken sehr vielseitig.
Es zeigen sich bei 75% Einschlafstörungen,
bei 65% schmerzbedingtes Aufwachen und
bei 62% verfrühtes Erwachen. Bei Schmerz-
Bildfolio Bostelmann
Rückenschmerzen manuell
untersuchen
Rückenschmerzen können viele Ursachen
haben und müssen stets nach der Vier-A-Diagnostik (Anamnese, Ausziehen, Anschauen,
Anfassen) untersucht werden und keineswegs nur nach der Dawos-Methode („da wo
es weh tut“), mahnte Dr. med. Wolfgang Bartel, Präsident der Deutschen Gesellschaft für
Manuelle Medizin. Für eine erfolgreiche Behandlung müssen die funktionellen Zusammenhänge und die Verkettungssyndrome erkannt werden. Sträflich überbewertet wird
hierzulande die bildgebende Diagnostik und
vernachlässigt wird die körperliche Untersuchung.
Fehlhaltungen werden hierzulande schon in
der Schule durch unergonomische Sitzmöbel
gefördert und durch falsche Freizeitgewohnheiten (Fernsehen, Computer, fehlender
Sport) weiter provoziert. Fehlhaltungen wie
Beckenschiefstand und hohlrunde Rücken
lösen schon bei Kindern und Jugendlichen
Rückenschmerzen aus. Hier sind für die Therapie Koordinationsschulungen wie der kurze
Fuß von Janda oder die propriozeptive sensomotorische Faszilitation geeignet. Um diese Zivilisationskrankheiten zu vermeiden,
wäre viel Barfußlaufen gesund. Alternativ
dazu könne man bei Stadtkindern empfehlen,
die Kinder beim Zähneputzen barfuß in einer
Mais- oder Weizenkiste treten zu lassen, berichtete der Manualtherapeut aus Halberstadt.
Großer Andrang herrschte bei den manualtherapeutischen Kursen von Wolfgang Bartel.
10
Veränderte Strukturen
Allerdings fanden die Ärzte bei ihren Untersuchungen an 62 Patienten, deren Trigeminusneuralgie durch Medikamente nicht (mehr)
gelindert werden konnte, und an 48 schmerzfreien Probanden heraus, dass die anatomische Situation in dem Bereich (Zisterne)
verändert ist, wo der Nerv das Gehirn verlässt. „Beispielsweise ist das Volumen dieser
Zisterne, durch welche der Nerv zieht, auf der
betroffenen Gesichtsseite kleiner“, erklärte
Dirk Rasche. Dadurch nimmt der Nerv in diesem Abschnitt einen anderen Verlauf. Erst
diese Veränderungen sorgen dafür, dass sich
Blutgefäß und Nerv näher kommen als dem
Nerven gut tut. Dieser ist in der betroffenen
Gesichtshälfte auch dünner als normal. Rasche interpretiert dies als ein Zeichen dafür,
dass der Nerv infolge der Druckschädigung
durch den Pulsschlag des Blutgefäßes atrophiert, also schrumpft.
Um zu überprüfen, ob ihre Beobachtungen tatsächlich klinisch bedeutsam sind,
boten die Ärzte betroffenen Patienten eine
Operation an. Bei diesem Eingriff wird ein
Polster aus Goretex oder Teflon zwischen
Nerv und Blutgefäß geschoben. Diese Operation ist die Ultima Ratio, wenn die medikamentöse Therapie versagt. 85–95% der
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/2007 (23. Jg.)
Der Deutsche Schmerztag 2007
Die drei besten Poster wurden erstmals ausgezeichnet.
Patienten werden dadurch ihre Schmerzen
los. „Darum sollte die bildgebende Routinediagnostik vor einer möglichen Operation um
bestimmte Bildsequenzen erweitert werden,
auf denen der betroffene Nervenabschnitt
dargestellt ist“, rät Rasche.
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/2007 (23. Jg.)
Retardiertes Hydromorphon
in der Praxis
Den dritten Posterpreis erhielt Dr. med. Wolfgang Sohn, Schwalmtal, für die Arbeit „Retardiertes Hydromorphon in der Praxis: zuverlässige Schmerzlinderung und Verbesserung
der Lebensqualität bei multimorbiden, älteren
Patienten”. An einer Studie mit insgesamt
1 615 Patienten hatte Sohn geprüft, inwieweit
Hydromorphon in der Lage ist, bei multimorbiden älteren Patienten die Schmerzen zuverlässig zu lindern. Über 70% der Patienten,
die ein Durchschnittsalter von 65 Jahren hatten, litten unter mindestens zwei, über 40%
sogar unter drei verschiedenen Erkrankungen. Im Durchschnitt bekamen die Patienten in der dreiwöchigen Studie initial 13,5
mg orales Hydromorphon, in der Regel auf
eine zweimal tägliche Gabe verteilt, und wurden bis zum Therapieende auf 19,6 mg eingestellt. Unter dieser Therapie nahm die
Schmerzintensität von durchschnittlich 7,1
auf 2,7 VAS ab, was einer Reduktion von 62%
entspricht. Parallel dazu besserte sich der
Summenscore der Beeinträchtigung verschiedener Parameter der Lebensqualität innerhalb von drei Wochen von 45,7 auf 21,4,
also um 53,2%. Die opioidtypischen Nebenwirkungen waren in der ambulanten Studie
während der dreiwöchigen Behandlung rückläufig: Müdigkeit von 42% auf 6,7%, Übelkeit
von 33,1% auf 6,2%, Obstipation von 26,1%
auf 5,6% und Erbrechen von 15% auf 2,7%.
Insgesamt ist Hydromorphon nach den Erfahrungen von Sohn ein wirksames, effektives
und sicheres Medikament für die Behandlung
starker Schmerzen.
Patientenforum
Gut besucht war die Patientenveranstaltung,
bei der Experten sachkundig Fragen der beStK
troffenen Patienten beantworteten. Bildfolio Bostelmann
Schmerz bei Schülern
Der zweite Posterpreis ging an Dr. med. Angela Roth-Isigkeit et al., Lübeck, für die Arbeit
„Schmerzbeschwerden bei Kindern und Jugendlichen – Altersspezifische Unterschiede
in Prävalenz und Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen”. Die Lübecker
Arbeitsgruppe hatte mit dem LübeckerSchmerz-Screening-Fragebogen die Prävalenz der Schmerzbeschwerden bei 11 568
Schülern zwischen 10 und 21 Jahren der
Hansestadt Lübeck untersucht. 80,2%
(9266) beantworteten den Test und davon
konnten 98,7% (9148) ausgewertet werden.
86% der Kinder und Jugendlichen berichteten, dass sie in den vergangenen drei Monaten Schmerzen hatten. Am häufigsten waren
Kopfschmerzen (63,7%) gefolgt von Bauchschmerzen (41,7%). Mehr als die Hälfte der
Zehnjährigen hatte bereits Kopfschmerzen.
Bis zum Alter von 18 Jahren stieg dieser Prozentsatz auf 74% an. Über Rückenschmerzen
klagten 36,6% der Kinder, wobei die Häufigkeit dieser Schmerzen mit dem Alter stieg:
Bei den Zehnjährigen ist jedes fünfte Kind
betroffen, bei den über 18-Jährigen bereits
mehr als die Hälfte (58%). Mehr als ein Drittel
der Kinder litt bereits länger als sechs Monate unter ihren Beschwerden. Ein Fünftel
der Kinder hat mehrmals im Monat Schmerzen, weitere 22% sogar mehrmals pro Woche. Die Prävalenz von Schmerzen ist bereits
bei Kindern und Jugendlichen sehr hoch:
37,9% der Befragten hatten deswegen schon
einen Arzt aufgesucht und 37% nahmen dagegen Medikamente ein. Diese Zahlen sind
umso brisanter, als andere Studien zeigten,
dass betroffene Kinder ihre Beschwerden bis
zum Erwachsenenalter keineswegs verlieren. Vielmehr beobachteten Wissenschaftler
bei den Betroffenen ein erhöhtes Risiko für
eine Vielzahl körperlicher und psychischer
Probleme.
Die Patientenveranstaltung bildet den Abschluss des Deutschen Schmerztages.
11
Onkologie/Palliativmedizin
Update: Therapie von Tumorschmerzen
Effektive Therapie von Schmerzen und die Lebensqualität beeinträchtigenden Symptomen sind entscheidende Herausforderungen in der Betreuung von Patienten mit fortgeschrittenem Krebsleiden, insbesondere
in der Terminalphase. Mit den heute zur Verfügung stehenden Analgetika und Koanalgetika und deren Einsatz nach den Richtlinien der WHO
könnte eine zufriedenstellende Schmerzlinderung erreicht werden. Im
folgenden gekürzten Beitrag* schildern Priv.-Doz. Dr. Rainer Freynhagen, Dr. med. Andrea Schmitz, Dr. med. Peter Busche, Universitätsklinikum Düsseldorf, und Dr. med. Uwe Junker, Vizepräsident DGS, Sanaklinikum Remscheid, die Schmerztherapie und die konsequente Therapie
belastender Symptome.
J
eder Dritte erkrankt derzeit in Deutschland an einem Tumorleiden und jeder
Vierte verstirbt daran. Basierend auf den Zahlen des deutschen Krebsregisters ist von
jährlich etwa 400 000 neuen Tumorerkrankungen auszugehen [1]. Nicht selten finden
sich Schmerzen sogar als erstes Symptom,
wobei die Häufigkeit
behandlungsbedürftiger Schmerzprobleme
sowohl von der Lokalisation als auch von der
Pathophysiologie des
Tumors abhängt. Die
Einhaltung des WHOStufenschemas führt
bei weit mehr als 90%
der Patienten zu einer
suffizienten SchmerzRainer Freynhagen,
Düsseldorf
palliation und die Behandlung verliert auch
in der Endphase der
Erkrankung nicht ihre
Wirksamkeit [7, 15, 34,
39]. Nur eine Minderheit der von tumorbedingten Schmerzen
betroffenen Patienten
b e n ö t i g t i nva s i ve
schmerztherapeutische Verfahren.
Trotzdem leiden
Uwe Junker,
Remscheid
aktuellen Schätzungen
zufolge jeden Tag etwa
220 000 Menschen in Deutschland unnötigerweise an Tumorschmerzen [18, 22],
gleichbedeutend mit mehr als 80 Millionen
Tumorschmerz-Patiententagen pro Jahr.
Eine erfolgreiche analgetische Therapie allein bringt in Bezug auf die Lebensqualität
*Literatur bei den Autoren bzw. im ungekürzten
Originalbeitrag Gynäkologe 2007; 40:168–177
12
keinen hinreichenden Gewinn für die Patienten, wenn dadurch andere Symptome induziert oder verstärkt werden. Nur durch eine
exzellente Schmerztherapie kombiniert mit
guter Symptomkontrolle und einer möglichst
ganzheitlichen Betreuung von Patienten und
Angehörigen (eingebettet in ein umfassendes
biopsychosoziales Behandlungskonzept) wird
es gelingen, die Lebensqualität und Würde
der Betroffenen bis zuletzt zu erhalten.
Schmerztypen und ihre Ursachen
Die Differenzierung der verschiedenen Facetten von Tumorschmerzen ist wichtig, da sie
die Therapie entscheidend beeinflusst. Der
vom Patienten beschriebene Schmerzcharakter ist ein wesentliches Kriterium, um nozizeptive und/oder neuropathische Schmerzanteile zu erkennen.
Dumpfe, reißende, kolik- oder krampfartige Schmerzen, die in der Tiefe empfunden werden und schlecht lokalisierbar sind,
werden zumeist durch Erregung viszeraler
Nozizeptoren in Brust-, Bauch- und Peritonealraum verursacht. Sie können mit vegetativen und gastrointestinalen Symptomen einhergehen. Diese sog. Nozizeptorschmerzen
im Bereich von Haut, Bindegewebe, Periost,
Skelettmuskulatur, Sehnen, inneren Organen
oder z. B. der parietalen Pleura sind meist gut
lokalisierbar und häufig belastungsabhängig.
Brennende, elektrisierende, durch Kälte- und/oder durch Berührungsreize auslösbare Schmerzen, häufig mit einschießenden
Schmerzattacken kombiniert, sind Hinweise
auf sog. neuropathische Schmerzen, die im
Rahmen einer Schädigung des peripheren
oder zentralen Nervensystems auftreten
können. In diesem Zusammenhang sollte auf
eine neurologische Minus- oder Plussymptomatik geachtet werden, z. B. Paresen, Hypästhesien, Dysästhesien oder eine Allodynie
[9, 11]. Bei etwa einem Drittel der Patienten
findet sich das kombinierte Auftreten beider
Schmerztypen, welches heute durchweg als
Mixed Pain bezeichnet wird [23]. Bei einer
solchen Symptomatik wird die Schmerztherapie nur dann erfolgreich sein, wenn sie von
vornherein beide Komponenten gleichberechtigt berücksichtigt. Meist gelingt eine Differenzierung bereits aufgrund der Schmerzanamnese und der klinischen Untersuchung.
Zum einfachen Screening auf neuropathische
Schmerzkomponenten steht neuerdings neben simplen Bedside-Tests auch ein validierter, kurzer und aussagekräftiger Fragebogen in deutscher Sprache zur Verfügung
(painDETECT), der nicht vom Untersucher,
sondern allein durch den Patienten ausgefüllt
werden kann [13].
Medikamentöse Schmerztherapie
Im Jahr 1986 wurde von der WHO in Genf
das WHO-Stufenschema verabschiedet mit
dem Ziel, der damaligen dramatischen Unterversorgung von Tumorpatienten mit potenten
Analgetika gezielt entgegenzuwirken (Abb. 1)
[37]. Auf Stufe I finden sich alle NichtopioidAnalgetika wie z. B. traditionelle nicht steroidale Antirheumatika (NSAR), Zyklooxygenase-2-Hemmer (Coxibe) oder Pyrazolonderivate (z. B. Metamizol). Für alle Substanzen
der Stufe I gelten Maximaldosierungen, die
zur Vermeidung von organtoxischen Nebenwirkungen streng eingehalten werden müssen. In der Regel reicht die analgetische
Wirkung der Nichtopioid-Analgetika bei Tumorpatienten allein nicht aus, sodass mit
schwachen bzw. mittelstarken Opioiden der
nächsten Stufe oder starken Opioiden der
Stufe III kombiniert werden muss.
Ausgewählte Nichtopioidanalgetika
Metamizol
Metamizol ist das stärkste Analgetikum aus
der Gruppe der nicht sauren antipyretischen
Analgetika, zu denen auch Azetylsalizylsäure
und Paracetamol gehören. Aufgrund seiner
ausgezeichneten spasmolytischen Komponente eignet sich Metamizol insbesondere für
die Behandlung krampfartiger Viszeralschmerzen. Nach oraler Verabreichung wird
die Substanz gut resorbiert und erreicht nach
etwa einer Stunde maximale Plasmaspiegel.
Die Wirkung hält etwa vier Stunden an. Ganz
anders als sein Ruf gehört Metamizol zu den
sichersten und am besten verträglichen
Schmerzmitteln. Zwar führt es häufiger als
andere Analgetika zu einer Agranulozytose;
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/2007 (23. Jg.)
Onkologie/Palliativmedizin
Traditionelle nicht steroidale Antirheumatika und Cox-2-Inhibitoren
Zyklooxygenasen sind Isoenzyme, die die
Umwandlung von Arachidonsäure in Prostaglandine und Thromboxane katalysieren. Im
Rahmen der Cox-1-Aktivität werden Substanzen mit physiologischen Funktionen für die
Magen-Darm-Schleimhautprotektion, Thrombozytenfunktion, Nierendurchblutung und
Elektrolytregulation produziert. Die Cox-2-Aktivität katalysiert Prostaglandine, die Schmerzen und Entzündungen vermitteln. Während
Cox-2 nur bei Stress, Schmerz und Entzündung innerhalb weniger Stunden gebildet
wird, wird Cox-1 fast überall im Organismus
exprimiert.
Kardiovaskuläre Risiken
Nach heutigem Kenntnisstand haben sich die
in Cox-2-Hemmer (Coxibe, z. B. Celecoxib,
Etoricoxib) gesetzten Hoffnungen hinsichtlich
einer dramatischen Reduktion der durch traditionelle nicht steroidale Antirheumatika
(NSAR, z. B. Diclofenac) bedingten unerwünschten Wirkungen nur bedingt erfüllt. Seit
der Marktrücknahme von Vioxx® (Wirkstoff:
der selektive Cox-2-Hemmer Rofecoxib) aufgrund der erhöhten Rate von kardiovaskulären thrombotischen Ereignissen vor etwas
mehr als zwei Jahren sind aber die meisten
Experten heute der Überzeugung, dass auch
viele der nicht selektiven NSAR mit einem
erhöhten kardiovaskulären Risiko einhergehen [27]. Nach den Ergebnissen einer kürzlich publizierten Metaanalyse gehört z. B.
Diclofenac zu den eher risikobehafteten
Substanzen: Die Einnahme erhöht das kardiovaskuläre Risiko um 44% (und die Einnahme von Ibuprofen verändert es immerhin
noch um plus 7%). Die Einnahme von
Naproxen wurde demgegenüber mit minus
2% und die von Celecoxib mit minus 4% neutral bewertet [19].
Eine aktuelle Lancet-Publikation (MEDAL-Studie) zeigt, das Etoricoxib und Diclofenac vom kardiovaskulären Sicherheitsprofil
her gleichwertig sind [5]. Weiterhin muss also
gelten, dass sich der unkritische Einsatz sowohl von NSAR als auch von Coxiben bei
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/2007 (23. Jg.)
+ starkes Opioid
+ schwaches Opioid
Nichtopioidanalgetikum
± Adjuvanz
Nichtopioidanalgetikum
± Adjuvanz
Nichtopioidanalgetikum
± Adjuvanz
Stufe I
Stufe II
Stufe III
Bildarchiv Freynhagen
doch insgesamt tritt diese Komplikation nur
sehr selten auf und endet nur in wenigen Fällen tödlich.
Berechnet man aus allen schweren Nebenwirkungen die sogenannte globale Zusatzmortalität, schneiden Metamizol mit 0,08
und Paracetamol mit 0,05 günstiger ab als
z. B. ASS mit 1,57 und Diclofenac mit 1,43
Todesfällen pro einer Million Behandelter bei
einer Behandlungsdauer von einer Woche.
+ invasive/nicht invasive Therapieoptionen
Abb. 1: WHO-Stufenschema.
kardiovaskulären Risikopatienten und Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion
verbietet. Indikationen für diese Substanzen
ergeben sich in der Tumorschmerztherapie
immer dann, wenn eine antiphlogistische
Komponente benötigt wird, also z. B. bei metastatisch induzierten Knochen- und Weichteilschmerzen. Daher sind sie wertvolle und
häufig unverzichtbare Substanzen.
Flupirtin
Dieses Analgetikum ist ähnlich potent wie
schwache Opioide. Es verhindert vermutlich
den NMDA-vermittelten überschießenden
Kalziumeinstrom in die Zelle über eine Membranstabilisierung durch Eröffnung von Kaliumkanälen. Seine guten muskelrelaxierenden
Eigenschaften sind auf zusätzliche GABAagonistische Wirkungen zurückzuführen.
Flupirtin wird schnell und fast vollständig resorbiert (oral 90%, rektal 70%). Die
Einzeldosen liegen zwischen 100–200 mg,
die Gesamttagesdosis wird mit 600–900
mg angegeben. Indiziert ist die Substanz
in der Tumorschmerztherapie z. B. bei allen
Schmerzphänomenen, bei denen Muskelverspannungen eine wesentliche Rolle spielen
[14, 38].
Ausgewählte Opioidanalgetika
Der optimale Applikationsweg, auch in der
palliativen Situation, ist der orale. Idealerweise werden zwei Applikationsformen von Opioiden benötigt: eine mit normaler Freisetzung
zur Dosisfindung und eine Form mit modifizierter Freisetzung zur Erhaltungstherapie.
Die einfachste Methode der Dosistitration ist
die Gabe einer Morphindosis mit normaler
Freisetzung alle vier Stunden und zusätzlich
die gleiche Dosis bei Durchbruchschmerzen.
Diese Zusatzmedikation kann so oft wie benötigt verabreicht werden (bis zu stündlich).
Opioide der WHO-Stufe II
Die Bedeutung der schwachen (Tramadol)
bzw. mittelstarken (Tilidin/Naloxon) Opioide
der WHO-Stufe II nimmt im Indikationsbereich Tumorschmerz gegenwärtig ab. Neuere
Untersuchungen und daraus resultierende
Empfehlungen stellen das starre Festhalten
am Stufenschema von 1986 im Allgemeinen
und den Nutzen der WHO-II-Opioidanalgetika
im Speziellen infrage [6, 8]. Die aktuellen
Empfehlungen der internationalen Gesellschaft zum Studium des Schmerzes (IASP)
gehen sogar dahin, auch beim opioidnaiven
Tumorpatienten bereits initial mit der Einstellung auf starke Opioide in niedriger Dosis zu
beginnen und dann bei Bedarf die Dosis der
ausgewählten Substanz schrittweise zu steigern [6]. In der fixen Kombination mit Naloxon
untersteht Tilidin ebenso wie die Substanz
Tramadol nicht der Betäubungsmittelverschreibungsverordnung. Das macht beide
Substanzen vor allem für die ambulante Versorgung von Tumorschmerzpatienten in
Deutschland weiterhin interessant.
Tilidin/Naloxon und Tramadol
Tilidin/Naloxon zeichnet sich gegenüber Tramadol nicht nur durch seine höhere analgetische Potenz aus, sondern auch dadurch,
dass bei Niereninsuffizienz keine Kumulation
auftritt. Außerdem wirkt die Substanz weniger
obstipierend als Tramadol, was sich wahrscheinlich auf eine periphere-prähepatische
Wirkung des Opioidantagonisten Naloxon auf
Opioidrezeptoren im Darm aufgrund des
First-Pass-Effekts zurückführen lässt. Bei
manifester Leberinsuffizienz ist Tilidin/Naloxon kontraindiziert, da die Aktivierung des
Pro-Drugs Tilidin zum analgetisch wirksamen
Nortilidin einer intakten hepatischen Metabolisierung bedarf. Tramadol ist kein reiner
µ-Rezeptoragonist und infolge serotonerger
13
Onkologie/Palliativmedizin
Begleiteffekte treten deutlich häufiger Übelkeit und Erbrechen auf [24]. Bei Patienten mit
Leberzirrhose ist die Metabolisierung von Tramadol eingeschränkt, sodass sich die Eliminationshalbwertszeiten von Tramadol und
des aktiven Metaboliten M1 etwa verdoppeln.
Auch bei Niereninsuffizienz kann sich die Eliminationshalbwertszeit verlängern. Tramadol
ist in Deutschland zusätzlich als fixe Kombination mit Paracetamol erhältlich.
Opioide der WHO-Stufe III
Statt bei starkem Schmerz grundsätzlich eine
Opioidtherapie mit Standardmorphin zu beginnen, sollten heute individuelle Faktoren
wie Schmerzcharakter und -rhythmus sowie
die begleitenden Komorbiditäten der einzelnen Patienten in den Mittelpunkt gerückt werden, bevor man sich für das eine oder andere
Opioidanalgetikum entscheidet. In Tabelle 1
sind Dosierungen ausgewählter Analgetika ,
in Tabelle 2 Beispiele möglicher Differenzialindikationen von Opioiden gegeben.
Morphin galt lange als Goldstandard in
der Therapie mit starken Opioiden der WHOStufe III. Inzwischen sind jedoch moderne
Retardopioide mit deutlich besserer Galenik
verfügbar. Sie sind analgetisch potenter, wirken weniger obstipierend und ihre Metaboliten kumulieren weniger oder gar nicht. In
letzter Zeit mehren sich zudem die Hinweise
auf eine immunsuppressive Wirkung von Morphin [17, 30, 36]. Morphin ist in zahlreichen
retardierten Zubereitungen einsetzbar. Für
Durchbruchschmerzen stehen sowohl schnell
freisetzende Morphinsulfattabletten, als auch
Morphinlösungen zur Verfügung. Bei der intravenösen Verabreichung gilt es, die relativ
lange Transferzeit der Substanz in das ZNS
zu beachten, da es dadurch zu einem ver-
Tabelle 1: Dosierungen von Nichtopioid- und Opioidanalgetika
Wirkstoff
Einzel-/Tagesdosis (mg)
Wirkdauer (h)
WHO-Stufe I
Paracetamol
Ibuprofen
Celecoxib
Etoricoxib
Parecoxib
Metamizol
Flupirtin
500–1000/6000
200–800/2400
100–200/200–400
60,90,120/120
40/80
500–1000/6000
100/600
4–6
8
12
24
12
6
8–12
WHO-Stufe II/III
Opioide oral
Tilidin/Naloxon retard
Tramadol retard
Morphin retard
Oxycodon retard
Oxycodon/Naloxon ret.
Hydromorphon retard
Hydromorphon retard
(osmotisches System)
Buprenorphin s.l.
L-Methadon
50–200/600
50–300/600
10–500/individuell
5, 10, 20 ,40, 80/individuell
10, 20/derzeit 40 mg
4, 8, 16, 24/individuell
8, 16, 32, 64/individuell
8–12
8–12
8–12 (–24)
8–12
8–12
8–12
12
0,2–1,2/individuell
5–100/individuell
24
6–8–12 (variabel!)
WHO-Stufe III
Fentanyl-TTS
Opioide transdermal Buprenorphin-TTS
(TTS = Transdermales
Pflastersystem)
Ab 0,3 (12,5 µg/h) individuell 72
Ab 0,84 (35 µg/h) individuell 96
Tabelle 2: Beispiele einer differenzierten Opioidauswahl
Symptom/Erkrankung
Opioid
Obstipation
Fentanyl-TTS, Buprenorphin-TTS, Oxycodon/Naloxon
Übelkeit, Erbrechen
Fentanyl-TTS, Methadon
Dysphagie
(sondengängig)
TTS, Morphingranulate (sondengängig), Hydromorphon
Juckreiz
„Trial and Error“ nach analgetischer Wirksamkeit
Verwirrtheit, Schwindel
Dosisreduktion, Oxycodon ± Naloxon, Tilidin/Naloxon
Histaminliberation, Analgetikaasthma
Dosisreduktion, Methadon
Polymedikation Hochdosisbereich
Hydromorphon, Fentanyl-TTS, Buprenorphin-TTS
Niereninsuffizienz
Tilidin/Naloxon, Buprenorphin, Hydromorphon
Leberfunktionsstörung
Fentanyl-TTS, Hydromorphon
14
zögerten Auftreten potenziell gefährlicher
Nebenwirkungen kommen kann [29].
Oxycodon ist doppelt so stark wirksam
wie Morphin. Aufgrund einer biphasischen
Resorptionsgalenik kommt es zu einem raschen Wirkeintritt bei zugleich langer Wirkdauer von bis zu zwölf Stunden. Neuere Arbeiten legen nahe, dass Oxycodon anderen
Opioiden bei viszeralen und neuropathischen
Schmerzen überlegen zu sein scheint. Bei
beiden Schmerzarten kommt es zu einer
Hochregulation von κ-Opioidrezeptoren, zu
denen Oxycodon eine hohe Affinität besitzt
[25]. Oxycodon ist in zahlreichen Wirkstärken
verfügbar, neuerdings auch in der Kombination mit dem Opioidantagonisten Naloxon, der
peripher-prähepatisch an Opioidrezeptoren
im Darm wirkt. Erste Studienergebnisse zeigen unter dem Kombinationspräparat eine
signifikant geringere Obstipationstendenz bei
gleicher analgetischer Wirkung [20].
Hydromorphon
Ähnlich wie Oxycodon zeichnet sich Hydromorphon durch eine hohe orale Bioverfügbarkeit aus (etwa 60%). Es ist etwa achtmal
so stark wirksam wie Morphin. Hydromorphon hat bei multimorbiden Patienten unter
Polymedikation entscheidende Vorteile, die
auch im Hochdosisbereich erhalten bleiben:
Die Metabolisierung erfolgt weitestgehend
unabhängig vom Cytochrom-P450-Enzymsystem, dem Hauptkatalysator des Arzneistoffwechsels.
Darüber hinaus trägt auch die sehr
geringe Plasmaeiweißbindung dazu bei,
Kumulation und Interaktion mit anderen Medikamenten zu vermeiden. Aktuelle Arbeiten
deuten darauf hin, dass diese Vorteile insbesondere bei alten, multimorbiden Patienten
zum Tragen kommen [16].
Hydromorphon ist in verschiedenen Wirkstärken verfügbar, sowohl als zweimal täglich
zu applizierende Retardkapsel als neuerdings
auch als Langzeit-Retardtablette, die den Wirkstoff mittels eines neuen osmotischen Systems
gleichmäßig über 24 Stunden freisetzt. Vorteile
der zweimal zu applizierenden Retardkapsel
sind einerseits, dass man die erforderliche
Dosis dem individuellen Bedarf des Patienten
im Tagesverlauf besser anpassen und andererseits die Kapsel bei schluckunfähigen Patienten aufbrechen und die darin erhaltenen
Pellets ohne Verlust von Wirkung und Retardierung über eine Sonde verabreichen kann.
Die neue 24-Stunden-Galenik hingegen bietet
Patienten größtmögliche Unabhängigkeit. Für
Durchbruchschmerzen steht schnell freisetzendes Hydromorphon in zwei verschiedenen
Wirkstärken zur Verfügung.
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/2007 (23. Jg.)
Onkologie/Palliativmedizin
Transdermale Systeme
In Pflasterform befinden sich in Deutschland
derzeit zwei verschiedene Opioide auf dem
Markt. Fentanyl ist etwa 80- bis 100-fach stärker analgetisch wirksam als Morphin,
Buprenorphin (partieller Opioidantagonist)
etwa 30- bis 50-fach. Mittels moderner Matrixsysteme werden beide Wirkstoffe gleichmäßig über einen langen Zeitraum freigesetzt, Fentanyl über 72, Buprenorphin über
96 Stunden. Stabile Plasmaspiegel werden
mit Buprenorphin nach etwa zwölf, mit Fentanyl nach etwa 24 Stunden erreicht. Beide
Systeme führen in etwas geringerem Ausmaß
zu Obstipation als die starken oralen Opioide.
Im Gegensatz zu Fentanyl kumuliert
Buprenorphin nicht bei Niereninsuffizienz
und bindet nicht an Serumalbumin, sondern
ganz überwiegend an α- oder β-Globuline,
wodurch das Arzneimittelinteraktionsrisiko
reduziert wird [31]. Als wirkstoffgleiche Medikation für Durchbruchschmerzen stehen
transmukosales Fentanyl als Lutschtablette
bzw. Buprenorphin als Sublingualtablette zur
Verfügung. Beide Pflastersysteme stellen
eine wertvolle Bereicherung des therapeutischen Arsenals bei Tumorschmerzen dar.
Sie sind vor allem bei Schluck- und/oder Passagestörungen indiziert. Bedingt durch ihre
träge Kinetik sind sie allerdings weniger geeignet für die Therapie von instabilen Schmerzen mit häufigen Durchbruchschmerzen.
Levomethadon
Levomethadon ist als Reservesubstanz bei
therapieresistenten Opioidnebenwirkungen
wie z. B. Juckreiz, Morphinasthma, opioidbedingter Hyperalgesie oder ansonsten nicht zu
beherrschenden neuropathischen Schmerzsyndromen einzustufen. Methadon ist eine
effektive Alternative, allerdings kann die Anwendung komplizierter sein als die anderer
Opioide. Die Besonderheiten der Substanz
lässt Levomethadon für die Hand des
schmerztherapeutisch Unerfahrenen eher
ungeeignet erscheinen. Die stark variable
Eliminationshalbwertszeit – zwischen 4 und
über 100 Stunden – überdauert die zwischen
sechs und zwölf Stunden variierende analgetische Wirksamkeit deutlich. Die interindividuell stark unterschiedlichen Plasmaspiegel
aktiver Metaboliten bergen das Risiko einer
Kumulation, so dass nach drei bis sieben Tagen eine Dosisreduktion um 20–30% versucht werden sollte. Eine retardierte Zubereitung von Levomethadon gibt es nicht [24].
Individuelle Dosierung und
Durchbruchschmerzen
In der Regel haben Tumorschmerzpatienten
zwischen 10.00 und 22.00 Uhr ihren höchsten Analgetikabedarf. Dennoch hat jeder Patient seinen eigenen Schmerzrhythmus der in
der Einstellungsphase gut dokumentiert werden sollte, um dann möglichst an diesen angepasst zu therapieren. Darüber hinaus haben viele Krebspatienten trotz guter Therapieeinstellung vorübergehende Schmerzspitzen (Durchbruchschmerzen), zum Beispiel
ausgelöst durch Bewegung oder Husten. Sie
treten in diesem Patientenkollektiv mit einer
geschätzten Prävalenz von über 60% auf.
Tabelle 3: Koanalgetika (Auswahl)
Wirkstoffklasse Indikation
Wirkung
Dosierung/Hinweise
Kortikosteroide Hirndruck, Inappetenz
Antiödematös, antiphlogistisch, roborierend, appetit-
steigernd, stimmungs-
aufhellend
Dosierung abhängig
von Indikation
Orale oder parenteral
z. B.: Dexamethason
2–40 mg/Tag
Antidepressiva Neuropathische Schmerzen, Schmerz-
distanzierung
Schmerzdistanzierend,
Verstärkung der körper-
eigenen Schmerzhem-
mung, stimmungsauf-
hellend, sedierend/
antriebsteigernd
Amitriptylin: 10–150 mg/Tag
Venlafaxin: 37,5–225 mg/Tag
Duloxetin: 30–60 mg/Tag
Mirtazapin: 15–45 mg/Tag
Antikonvulsiva Neuropathische Verbesserung des Schlafs,
Schmerzen
anxiolytisch
Langsame Dosistitration, da
oft sedierende Nebenwirkung
Gabapentin ab 300 mg/Tag
[bis 3600 mg/Tag]
Pregabalin ab 75 mg/Tag
[bis 600 mg/Tag]
Bisphosphonate Knochenmetastasen Tumorosteopathie
Hyperkalzämie
Orale und parenterale
Therapie möglich
z. B. Alendronsäure: 70 mg
einmal wöchentlich
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/2007 (23. Jg.)
Durchbruchschmerzen können mit etwa
einem Sechstel der Opioidtagesdosis in
schnell freisetzender Form behandelt werden, wobei aber auch mit einem starken
Nichtopioid (wie z. B. Metamizol) kombiniert
werden kann. Das hierzu verwendete Opioid
muss nicht wirkstoffgleich mit dem Retardpräparat sein, dies gilt nach klinischen Erfahrungen auch für den Partialagonisten
Buprenorphin, der im Regelfall problemlos
mit z. B. schnell freisetzendem Morphin kombinierbar ist. Wenn die Schmerzen immer
wieder auftreten, bevor die nächste Dosis
fällig ist, muss die Dauermedikation angepasst werden.
Dabei sollte eine Dosiserhöhung und
nicht die Verkürzung der pharmakologisch
sinnvollen Applikationsintervalle angestrebt
werden.
Koanalgetika
Koanalgetika sind keine Schmerzmittel im
engeren Sinne. Sie wirken jedoch über verschiedene Mechanismen, die die Schmerzleitung und Verarbeitung beeinflussen und führen damit zu einer zusätzlichen Schmerzlinderung. Durch ihren gezielten Einsatz kann
eine additive analgetische Wirkung erreicht
und ggf. eine verbesserte Analgesie bzw. eine
Dosisreduktion der bislang eingesetzten
Analgetika (und eine Abnahme dosisabhängiger Nebenwirkungen) ermöglicht werden.
Eine Auswahl der wichtigsten Wirkstoffklassen zeigt Tabelle 3. Es muss aber darauf hingewiesen werden, dass zahlreiche
der aufgeführten Substanzen für diesen
Zweck nicht explizit zugelassen sind. Bei
neuropathischen Schmerzen zeichnen sich
die modernen Antikonvulsiva Gabapentin
und Pregabalin gegenüber Carbamazepin
und den trizyklischen Antidepressiva durch
ein günstigeres Nebenwirkungsprofil aus.
Beide werden nicht hepatisch metabolisiert
und unverändert renal ausgeschieden (cave:
Niereninsuffizienz, dann Dosis reduzieren),
was das Risiko von Arzneimittelinteraktionen
minimiert. Pregabalin hat im Vergleich zu Gabapentin die Vorteile eines signifikant schnelleren Wirkungseintritts, einer spürbaren anxiolytischen Wirkung und einer Vertiefung der
erholsamen Schlafphasen [4, 10, 12, 26, 28].
Aufgrund der deutlich besseren Verträglichkeit im Vergleich zu den alten trizyklischen
Antidepressiva sind heute die modernen dual
wirksamen Substanzen zu bevorzugen.
Medikamentöse Symptomtherapie mit Adjuvanzien
Neben Schmerzen sind u. a. therapieresistente Übelkeit, Erbrechen, Obstipation, Atemnot,
15
Onkologie/Palliativmedizin
Tabelle 4: Antiemetika (Auswahl)
Substanzgruppe
6
5
4
3
Bildarchiv Freynhagen
2
1
Wirkort
Hinweis
Aufhebung der
prokinetischen Wirkung von Metoclopramid und Neuroleptika
Neuroleptika
Butyrophenon 0,3–0,5–1 8–12
C
Zentralnervöse
Nebenwirkungen
Anticholinergika Scopolamin-TTS 1,5 72–96
B
(1 Pflaster)
Verstärkte Obstipationsneigung
Prokinetika
Extrapyramidale NW
Metoclopramid
10
4–5
G, C
4–8
4–8
B
5-HT3-Antagonist Ondansetron
Bei chemotherapieinduzierter Übelkeit,
verstärkter Obstipationsneigung
Glukokortikoide
Dexamethason
4–8
B
Ulkusprophylaxe
Cannabinoide
Tetrahydro-
cannabinol
Individuell 8–12
ZNS
BTM-pflichtig
Symptome, die immer zwingend berücksichtigt werden muss. Hier sind meist nicht
nur Medikamente, sondern darüber hinaus
persönliche Zuwendung und empathische
Begleitung wesentliche Voraussetzungen für
den Therapieerfolg.
Invasive Tumorschmerztherapie
Jede Behandlung sollte gleichzeitig so effektiv und so wenig invasiv wie möglich sein.
Invasive Behandlungsverfahren sind, schöpft
man die zur Verfügung stehenden konservativen Verfahren rational aus, nur bei sehr wenigen Tumorschmerzpatienten indiziert.
In der Finalphase eines Tumorleidens
ist die Resorption oral oder transdermal zugeführter Pharmaka oft nicht mehr gewährleistet.
Manuelle Ausräumung
Rizinusöl
Macrogol & Senna
Macrogol & Natriumpicosulfat
PHN
postherpetische Neuralgie
Macrogol
Nach: Klaschik E et al., Support Care Cancer 2003;11:679–685
16
Wirkdauer
(h)
Antihistaminika Dimenhydrinat 100–200 8
B, C
Senna & Paraffin & Amidotrizoesäure
Macrogol & Senna & Paraffin
& Suppositorien & Einlauf
Macrogol & Senna & Paraffin
Abb. 2 Stufenschema der Laxanzientherapie.
Dosis
(mg)
6–24
B Brechzentrum, C Chemorezeptortriggerzone, G Gastrointestinaltrakt; TTS Transdermales Therapiesystem
8
7
Substanz
(Beispiel)
Mod. nach [4]
Angst, Depression, Appetitlosigkeit, Dehydratation, Gewichtsverlust, Juckreiz oder unwillkürlicher Speichelfluss häufige und die Lebensqualität extrem einschränkende Symptome bei fortgeschrittenen Tumorerkrankungen. Diese werden vielfach unterschätzt,
ihre Behandlung wird vernachlässigt oder nur
unstrukturiert durchgeführt. Durch ein differenziertes Therapiekonzept lässt sich bei den
meisten Patienten auch bei diesen Symptomen eine zufriedenstellende Symptomkontrolle erzielen. Zum Einsatz kommen
meist sog. Adjuvanzien. Sie richten sich gegen Symptome des Tumors bzw. der Grunderkrankung oder auch gegen Nebenwirkungen der Therapie. So ist z. B. im Rahmen
einer Opioidtherapie initial in einer Häufigkeit
von 20–30% mit dem Auftreten von Übelkeit
und Erbrechen zu rechnen. Gegen die rein
opioidbedingte Übelkeit entwickelt sich nach
etwa zehn Tagen eine Toleranz. Während dieser Zeit ist eine entsprechende antiemetische
Prophylaxe für die Lebensqualität sehr wichtig. Übelkeit und Erbrechen beim Tumorpatienten können abgesehen von der Behandlung mit Opioiden vielfältige andere Ursachen
haben. Eine Auswahl an therapeutischen Optionen zeigt Tabelle 4. Auch wenn sich die
verschiedenen Opioide in ihrer obstipierenden
Wirkung tendenziell unterscheiden (umfangreiche Erfahrungen mit der neuen Kombination Oxycodon/Naloxon stehen noch aus),
stellt Obstipation die hartnäckigste Nebenwirkung von Opioiden dar, gegen die sich auch
keine Toleranz entwickelt. Eine adjuvante Behandlung mit Laxanzien muss also in aller
Regel kontinuierlich erfolgen [4, 26]. Dabei
kann z. B. nach dem in Abb. 2 gezeigten Stufenschema vorgegangen werden.
Die Angst vor dem Sterben oder nur die
Angst davor, im Sterben allein gelassen zu
werden, ist ein häufiger Trigger auftretender
Dann sollte die Applikationsform entsprechend geändert werden. Dabei sind
die Äquivalenzdosierungen verschiedener
Applikationsformen zu beachten (Tab. 5).
Mittlerweile werden neben der subkutanen
Medikamentengabe häufig tragbare batteriegetriebene Spritzenpumpen eingesetzt,
um Patienten mit fortgeschrittener Tumorerkrankung, die eine orale Medikation nicht
mehr zu sich nehmen können, mit einer
kontinuierlichen Infusion (z. B. als patientenkontrollierte Analgesie, PCA) zu versorgen.
Auch die epidurale oder intrathekale Applikation von Opioidanalgetika in Kombination
mit Lokalanästhetika oder Clonidin kann im
Einzelfall erwogen werden. Klassische Indikationen bestehen in der Therapie viszeraler
Abdominalschmerzen und neuropathischer
Schmerzen.
Invasive Verfahren können eingesetzt
werden bei speziellen Tumorentitäten wie
z. B. die Neurolyse des Plexus coeliacus als
Ultima ratio beim fortgeschrittenen Pankreaskarzinom oder bei ausgeprägter abdomineller
Metastasierung eines Ovarialkarzinoms.
Weitere Optionen sind u. a. Sympathikusblockaden bei therapierefraktären neuropathischen Schmerzen, z. B. durch Infiltration
von Nervenplexus oder -wurzeln (u. a. bei
Mammakarzinomen mit Infiltration des Plexus
brachialis) oder durch Einbruch von Tumoren
oder Filiae in den Spinalkanal. Auch Begleiterkrankungen wie z. B. eine ausgeprägte
Lymphabflussstörung mit sympathisch unterhaltenem Schmerz oder eine Zosterneuralgie können den Einsatz invasiver Verfahren
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/2007 (23. Jg.)
Onkologie/Palliativmedizin
Fazit für die Praxis
Eine differenzierte, am Schmerztyp und den
Komorbiditäten orientierte Schmerztherapie
und Symptomkontrolle kann sehr effektiv sein
und die Lebensqualität von Tumorpatienten
deutlich verbessern [3, 21]. Die Wünsche der
Patienten und ihr Gewinn an Lebensqualität
haben dabei höchste Priorität. Dies wird
umso besser gelingen, wenn die Therapie in
ein ganzheitliches Behandlungskonzept integriert ist, das auch die psychosozialen und
spirituellen Bedürfnisse der einzelnen Patienten intensiv berücksichtigt. Hierzu gehört
Tabelle 5: Applikationswege und Äquivalenzdosierungen von Morphin
Applikationsform
Morphin
Oral
30 mg
Subkutan
15 mg = 50% der oralen Dosis
Intravenös
10 mg = 30% der oralen Dosis
Epidural
1–3 mg = 10–30% der intravenösen Dosis
Intrathekal
0,1–0,3 mg = 10% der epiduralen Dosis
die enge Zusammenarbeit mit Pflege, Seelsorgern, Sozialarbeitern, Psychologen und
Physio-/Ergotherapeuten – im Sinne einer
Palliative Care. Eine offene, einfühlsame und
ehrliche Kommunikation mit den Patienten
und ihren Angehörigen, die Erstellung eines
individuellen Therapieplans sowie die regel-
Mod. nach [4]
in seltenen Fällen erforderlich machen. Sie
sollten aber ausschließlich von dafür speziell
ausgebildeten und erfahrenen Therapeuten
durchgeführt werden.
mäßige Untersuchung vor und während der
Behandlung tragen zur Zufriedenheit beider
Seiten bei.
Rainer Freynhagen, Andrea Schmitz, Peter
Busche, Düsseldorf
Uwe Junker, Remscheid
Die neue spezialisierte ambulante
Palliativversorgung
Hoffnung auf eine flächendeckende Versorgung von unheilbar Kranken
am Lebensende gibt das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG),
kommentiert Dr. med. Thomas Nolte, DGS-Vizepräsident Wiesbaden.
B
ei aller Kritik am GKV-WSG sind die
Neuregelungen zur Verbesserung der
Versorgung unheilbar Kranker am Lebensende, die ab 1. April 2007 Gültigkeit haben, ein
Durchbruch und Paradigmenwechsel. In konsequenter und entschlossener Haltung hat
die Gesundheitspolitik den Krankenkassen
und Leistungserbringern den Auftrag erteilt,
die seit Jahren beklagten und von der Hospizund Palliativbewegung immer wieder vorgetragenen Defizite durch neu zu schaffende
Versorgungsstrukturen zu minimieren und
eine würdevolle und qualifizierte Behandlung
von Sterbenden zur Regel zu machen. Hierfür
gebührt unserer Gesundheitsministerin Respekt und Anerkennung!
2007 durch den Gemeinsamen Bundesausschuss zu erwarten.
Und hier lauern die ersten Gefahren!
In allen angesprochenen Bereichen ist eine
hektische Betriebsamkeit ausgebrochen, um
für die neue Situation gerüstet zu sein! Die
Fachverbände stricken an ihren Vorstellungen
zur Ausgestaltung, die Krankenkassen haben
wieder andere Vorstellungen, die Interessen
anderer scheinen gänzlich unberücksichtigt.
Ein besonderes Anliegen des Gesetzgebers ist die Berücksichtigung gewachsener
Versorgungsstrukturen, die in den letzten
Jahren maßgeblich durch ihr Engagement
und ihren Idealismus zu der positiven Entwicklung beigetragen haben.
Risiken vorprogrammiert
Sicher haben auch die sehr positiven Erfahrungen aus den integrierten Versorgungsprojekten einer koordinierten interdisziplinären
und multiprofessionellen Hospiz- und Palliativversorgung zu dieser Entwicklung beigetragen. Diese sind in die neu geschaffenen
§ 37b und §132d eingeflossen. Allerdings
sind hier nur die Rahmenbedingungen festgehalten, eine definitive Ausgestaltung der
Ausführungsbestimmungen ist bis September
Doppelstrukturen in Hessen
Bereits hier zeigen sich einige besorgniserregende Tendenzen! Nach den jahrelangen
Bemühungen aus dem Ehrenamt der Hospizbewegung heraus und dem ideellen Engagement im Bereich der Pflege und Ärzteschaft
droht diesen Pionieren, von der Gestaltung
der zukünftigen Versorgungsstrukturen ausgeschlossen zu werden. Zurzeit werden an
sechs Standorten in Hessen Doppelstrukturen zu den gewachsenen Hospiz- und Pallia-
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/2007 (23. Jg.)
Thomas Nolte,
Wiesbaden
tivstrukturen vor Ort aufgebaut. Mit Vorverträgen nach § 140 SGB V haben sich die sogenannten großen Versorgerkassen AOK, DAK,
BEK und IKK eine Option auf eine krankenhauskoordinierte ambulante Palliativversorgung gesichert, ohne dass diese Kliniken
zum Teil über die notwendige fachliche Qualifikation noch über Erfahrungen in der ambulanten Versorgung verfügen. Diese sollen
aber nach Aussage der beteiligten Krankenkassen nach dem 1. April 2007 als „vorbestehende“ Einrichtungen die vom Gesetzgeber
geschaffene spezialisierte ambulante Palliativversorgung im Rahmen der integrierten
Versorgung nach § 140 unter Umgehung
der Regularien nach dem GKV-WSG übernehmen.
Für die beteiligten Krankenkassen geht
es hier vorrangig um Kosteneinsparungen,
während der Gesetzgeber ausdrücklich die
Notwendigkeit der Bereitstellung von neuen
Geldern eingefordert hat! Hier werden also
jetzt bereits deutlich erkennbar in der Schutzzone des § 140 SGB V zwei wesentliche Forderungen des § 32b und 132d ausgehebelt.
Bevor jetzt in aller Eile Fakten geschaffen
17
Kommentar
werden, wäre es ein Gebot der Vernunft, bestehende Initiativen, gewachsene Strukturen
wie auch Modellprojekte im Rahmen der integrierten Versorgung zu evaluieren, um diese wertvollen Erfahrungen in der Ausgestaltung bundesweiter Strukturen zur speziellen
ambulanten Palliativversorgung zu berücksichtigen!
Ambulante Versorgung sektorenübergreifend
Leider nimmt das Gesetzeswerk zu der Situation der allgemeinen ambulanten Palliativversorgung keine Stellung, da sie, obwohl nicht
existent, als gegeben vorausgesetzt wird. Dabei ist nur durch Überwindung der stark sektoralisierten Strukturen in der Regelversorgung, die mit zu der beklagten Fehl- und
Unterversorgung für Schwerstkranke am Lebensende geführt haben, ein organischer
Aufbau der allgemeinen wie auch spezialisierten ambulanten Palliativversorgung zu
erreichen. Die Aufgabe der spezialisierten
ambulanten Palliativteams muss deshalb
auch in der Koordination und Stützung der
allgemeinen (hospizlichen und palliativen)
Versorgung bestehen. Nur so ist der zentrale
Gedanke im GKV-WSG der verbesserten ambulanten Versorgung für unheilbar Kranke am
Lebensende realisierbar. Rein interventionelle Konzepte spezieller Teams, die sich,
ergänzend zur Regelversorgung außerdem
als Krisenmanagement am Lebensende verstehen, ohne die strukturellen und ökonomischen Mängel der Regelversorgung zu
beheben, sind eindeutig abzulehnen.
Mehr Transparenz
Transparenz und Offenheit sind obligat. Hierzu
gehört, dass die verschiedenen Berufsgruppen im Palliativ-Care-Team zwar den hospizlichen und palliativen Inhalten verpflichtet
sind, in ihren ethischen Entscheidungen und
ihrer Meinungsfreiheit aber müssen sie unbelastet sein von wirtschaftlicher Einflussnahme
und Abhängigkeiten. Spezialisierte ambulante
Palliativteams mit allen beteiligten Berufsgruppen in einer Trägerschaft erfüllen dieses
Kriterium nicht! Qualitätszirkel und Palliativkonferenzen müssen für alle Leistungserbringer offen sein.
Mittelfristig müssen die
verschiedenen Modelle auf
ihre Stärken und Schwächen hin überprüft werden.
Deshalb müssen alle bereits
geschlossenen Ver träge
offengelegt und allen Leistungserbringern die Mitwirkung ermöglicht werden.
Eine Monopolisierung
der Versorgung ist unbedingt
zu vermeiden. Verträge, die
dezidiert Leistungserbringer
ausschließen, sind abzulehnen. Die Kooperation regionaler Palliativteams sowie
eine einrichtungsübergreifende Qualitätssicherung
sind unverzichtbar.
Bildarchiv Deutsches Ärzteblatt, modifiziert
Abgestufte Versorgung weiterhin
Fiktion!
Damit fehlt einmal mehr (siehe allgemeine
und spezielle Schmerztherapie) ein Funda-
ment für eine abgestufte Versorgungsstruktur.
Deshalb sind alle Neuerungen im Bereich der
„spezialisierten ambulanten Palliativversorgung“ nur Stückwerk, wenn nicht auch im
Bereich der „allgemeinen ambulanten Palliativversorgung“ angemessene Regularien gefunden werden. Der Hessische Hausärzteverband hat sich bereits von Konzepten distanziert, die „top down“ das Verordnungsrisiko
und die Leistungserbringung beim Hausarzt
belassen.
Durch die erhöhten Anforderungen an
die ambulante Versorgung sind hier ausreichend Finanzmittel zur Behebung der Unterfinanzierung bereitzustellen, um Hindernisse
in Form von fehlenden Arznei-, Heil- und
Hilfsmittelbudgets zu überwinden. Konzepte,
die diese Defizite ausklammern, zäumen einmal mehr das Pferd von hinten auf und bauen
auf insuffizienten Basisstrukturen auf.
Alle Verträge müssen für alle zugänglich
sein. Es dürfen keine Verträge mit Ausschließlichkeitsregelungen zugelassen werden: Entscheidend ist die fallbezogene Leistungserbringung unter Zugrundelegung der für alle
verbindlichen Qualitätsanforderungen.
18
Vielfältige Versorgungsmodelle
obligat
Die Vielfalt der Versorgungsstrukturen ist dabei unbedingt zu erhalten. Deshalb stimmen
wir der im Eckpunktepapier genannten Vielzahl von Szenarien zu. Nur so wird mittelfristig eine ansatzweise flächendeckende, dezentrale, hospizliche und ambulante Struktur
auf dem Boden einer hausärztlich gesteuerten Versorgung unter Berücksichtigung der
unterschiedlichen regionalen Rahmenbedingungen möglich sein.
Der Ausbau einer spezialisierten ambulanten Palliativversorgung würde von der
Kenntnis der aktuell anfallenden Kosten in
der Versorgung von Patienten am Lebensende sehr profitieren. Die aktuelle Diskussion
wird davon geprägt, dass die Krankenkassen
glauben, diese neu zu schaffenden Strukturen seien zu teuer, während die Leistungserbringer das Gefühl haben, durch eine verbesserte Versorgung am Lebensende real
Kosten einzusparen und dafür noch schlecht
bezahlt zu werden.
Bei der im Gesundheitssurvey nachgewiesenen Über- und Fehlversorgung von
Patienten am Lebensende ermöglicht eine
Umlenkung der bisherigen Ausgaben in
ein Palliativversorgungsnetz eine optimale
hospizliche und palliative Versorgung ohne
Mehrkosten in Relation zu der bisher fehlgesteuerten Versorgungssituation. Erste Ergebnisse aus dem PalliativNetz Wiesbaden
Taunus und Osthessen/Fulda belegen dies.
Eine zusätzliche Finanzierung von spezialisierten ambulanten Palliative-Care-Teams
wäre so nicht notwendig und ein weiteres
Beispiel, wie durch Integration und Netzwerkbildung optimale Versorgungsstrukturen kostenneutral zur Regelversorgung umgesetzt
werden können. Leider liegen nur von einer
Krankenkasse valide Daten für die globalen
Versorgungskosten bei unheilbar Kranken in
den letzten drei Lebensmonaten vor.
Tagespauschale
Für eine langfristig verantwortungsvolle Finanzierung der Leistungserbringung sind
deshalb tagesbasierte Pauschalen mit globaler Budgetverantwortung zu fordern. Diese
sollten alle Leistungen in der Versorgung von
Schwerstkranken am Lebensende umfassen.
Dies würde eine qualitätsgesicherte Versorgung mit leistungsgerechter Honorierung aller Leistungserbringer bei voller Kostentransparenz und Vergleichbarkeit der Projektregionen ermöglichen. Außerdem bestünden
Anreize für eine optimale Leistungserbringung mit 24-Stunden-Erreichbarkeit und dem
Vermeiden von unnötigen stationären Einwei-
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/2007 (23. Jg.)
Kommentar
sungen. Die einzelnen Projektregionen hätten
durch dieses Finanzierungskonzept die Möglichkeit, ihre bereits bestehenden Strukturen
weiterzuentwickeln und den Anforderungen
vor Ort anzupassen.
Auch wenn der Wunsch nach schnellen
Schritten verlockend ist, ist jetzt eine wohlüberlegte Strategie mit langfristig tragenden
Strukturen und einer organischen Entwicklung eindeutig vorzuziehen. Imperiale Ten-
denzen nach dem Motto „Divide et impera“,
wie in Hessen erkennbar, sind mit den Inhalten der Hospiz- und Palliativversorgung wie
auch den neuen gesetzlichen Grundlagen
nicht vereinbar und inakzeptabel. Eine Politik
der kleinen Schritte, die insbesondere auch
die Erfahrungen aus den laufenden IV-Palliativverträgen berücksichtigen, bieten eine
gute Grundlage für eine qualitätsgesicherte
und harmonische Entwicklung einer flächen-
deckenden Hospiz- und Palliativversorgung!
Beispiele aus Verträgen mit der Techniker
Krankenkasse und dem Landesverband der
Betriebskrankenkassen für die integrierte
Versorgung von Palliativpatienten IVP in
Wiesbaden und Fulda belegen dies (siehe
Schmerztherapie 4/06).
Thomas Nolte, Wiesbaden
Was kostet die Versorgung am Lebensende?
Eine Analyse der Kosten in der Regelversorgung sowie von allgemeiner
und spezieller Palliativversorgung beschreibt Dr. med. Thomas Nolte,
Vizepräsident DGS und 1. Vorsitzender PalliativNetz Wiesbaden-Taunus.
len aus bereits laufenden integrierten Versorgungskonzepten gegenübergestellt.
1. Auswertung der Kosten
in der Regelversorgung
as gesetzliche KrankenversicherungsDieser Auswertung liegen die Daten einer
(2500/30) für eine SAP! Leider stehen die
Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV
Erhebung der Techniker Krankenkasse aus
Fragen zu den Ausführungsbestimmungen
WSG) hat sich zum Ziel gesetzt, die ambudem Jahr 2004 zugrunde (Daten beim Verfasund insbesondere auch zur Finanzierung unlante Palliativversorgung in Deutschland fläser). Eingeschlossen in diese Erhebung wurbeantwortet im Raum.
chendeckend zu verbessern.
den 6280 Versicherte der TK, die in jenem
Zum Vergleich werden in der Folge die
In einer Pressemitteilung der ÄrztezeiJahr an einer Karzinomerkrankung verstorbisher anfallenden Kosten in der Regelvertung am 21.10.2005 ließ Frau Schmidt, Geben sind. Erhoben wurden die Kosten je Versorgung mit ihrer nachgewiesenen Fehl- und
sundheitsministerin, bereits verlauten, dass
sicherten in den letzten drei Lebensmonaten,
Überversorgung denen einer AAP/SAP und
aus spezialisierten Ärzten und Pflegekräfaufgeschlüsselt nach den Bereichen „statioden unterschiedlichen Finanzierungsmodelten bundesweit 330 Palliativteams
näre Versorgung“, „Medikamentengebildet werden sollen, die eine
kosten“ sowie dem „ambulanten BeTabelle 1: Geschätzte Kosten AAP und SAP
flächendeckende ambulante Versorreich inklusive Pflege, Heil- und
gung Schmerzkranker sicherstellen
Hilfsmitteln“, der nur mit einem
• Palliative-Care-Teams
100 Millionen €
sollen.
Schätzwert in die Berechnungen ein• Medikamente, Heil- und Hilfsmittel 110 Millionen €
geflossen ist, da hier Daten aufgrund
• Mehrkosten hausärztliche Versorgung 40 Millionen €
Kostenschätzung
der sektoralisierten Budgets nicht zu
Summe 250 Millionen €
Die Kosten für diese Teams, die noterheben waren und sind.
wendige Medikamente, Heil- und
Bei einem Auswertungszeitraum
Tabelle 2: Kostenaufstellung und -verteilung
Hilfsmittel sowie für eine „optimale
über drei Monate entstehen für die
hausärztliche Versorgung“ schätzte
Durchschnittskosten ambulante Versorgung
gesamte medizinische Versorgung
(Arzt/Pflege/Transport/Heil-,/Hilfsmittel) geschätzt
3 500,00 €
Frau Schmidt auf 250 Millionen Euro
pro Patient am Lebensende in der
Durchschnittskosten Krankenhaus
9 482,62 €
pro Jahr. Daraus geht hervor, dass
Regelversorgung aktuell Kosten in
Durchschnittskosten Medikamente
3 009,67 €
Gelder in dieser Höhe sowohl für die
Höhe von 178 € pro Tag (16 000 €
allgemeine (AAP) als auch die spegeteilt durch 90 Tage)(Tab. 2).
Durchschnittskosten gesamt
15 992,29 €
zialisierte ambulante Versorgung
Pro Monat
5 330,00 €
2. Modellrechnung zur
(SAP) von den Krankenkassen zur
spezialisierten ambulanten
Verfügung zu stellen sind (Tab.1).
Tabelle 3: Kosten beim KAP
Palliativversorgung
Erwartet wird, dass etwa
a) Add-on zur Regelversorgung
100 000 Patienten pro Jahr ne• Fallpauschale für das Krankenhaus
1 200 € einmalig
Bei den aktuell anfallenden Durchben einer AAP auch einer SAP
• Hausarzt
40 €/Mo.
schnittskosten in der Regelversorgung
bedürfen. Dadurch entstehen hier
• Pflege
20 €/Mo.
in Höhe von 178 € plus des Mehrbeeinmalig Mehrkosten von 2500 €
• Ambulante Hospizversorgung
20 €/Mo.
trages für eine SAP in Höhe von 84 €
(250 000 000/100 000) pro Pal5 330 €/Mo.
• Kosten in der Regelversorgung
pro Monat
gem. Tab.2
für die Versorgung in den letzten vier
liativpatient für die Versorgung
Lebenswochen entstünden Kosten in
am Lebensende. Bei einer durchSumme
6 610 €/Mo.
Höhe von 262 € pro Tag.
schnittlichen Behandlungsdauer
Die Tagestherapiekosten im KAP-Modell belaufen sich hierb) Mit Berücksichtigung der realivon vier Wochen bis zum Lebensbei auf 220 € pro Patient pro Tag bei einer vierwöchigen
sierbaren Einsparungen
ende ergeben sich Mehrkosten pro
Versorgung.
Allerdings sind die zu erwartenden
Palliativpatient von 84 € pro Tag
D
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/2007 (23. Jg.)
19
Finanzanalyse
Einsparungen durch eine verbesserte Versorgung (weniger Krankenhausaufenthalte, weniger Transporte etc.) nicht berücksichtigt. Bei
AAP und SAP ist bei konservativer Schätzung
eine Reduktion der Krankenhausbehandlungskosten um zwei Drittel zu erwarten und
realistisch.
Unter Zugrundelegung der Durchschnittskrankenhauskosten aus der TK-Analyse in Höhe von 9482,62 € pro drei Monate
(geteilt durch 90) entspricht dies durchschnittlichen Tageskosten von 105 € für stationäre
Behandlung am Lebensende.
Bei einer Einsparung von zwei Drittel der
Krankenhauskosten durch eine spezialisierte
ambulante Palliativversorgung entstehen Einsparungen von 70 € (2/3 von 105 €) pro Tag.
Die Tagestherapiekosten würden sich auf
192 € (Tagestherapiepauschale 262 € minus
70 € Einsparungen) reduzieren.
Tagestherapiekostenpauschale
AAP/SAP mit Einsparungen
Tagestherapiekosten Regelversorgung
bisher
Differenz Mehrkosten pro Monat
192 €
178 €
+14 €
420 €
Bei einer zu geschätzten zu versorgenden Zahl von 100 000 Patienten pro Jahr
entstehen hier bei Berücksichtigung der realisierbaren Einsparungen Mehrkosten in Höhe
von 42 Millionen € für eine verbesserte Versorgung mit AAP und SAP am Lebensende.
3. Kostenstruktur integrierte
Versorgung palliativ
Dieses flächendeckende dezentrale integrierte
Versorgungskonzept (IVP) versorgt seit Februar 2006 unheilbar Kranke in der Lebensendphase in Wiesbaden und Umgebung.
Die mit der TK vereinbarte Tagespauschale im PalliativNetz Wiesbaden-Taunus
beläuft sich auf 185 € für die komplette
Versorgung am Lebensende und wird ab
Einschreibung des Patienten in das Konzept berechnet. Diese umfasst alle medizinischen, pflegerischen, medikamentösen
und auch stationären Maßnahmen inklusive
Palliativstation oder stationäres Hospiz. Dem
Versorgungsnetz obliegt demnach die komplette Budgetverantwortung im Sinne des
Managed-Care-Prinzips.
Die in der Regelversorgung anfallenden
Kosten am Lebensende, wie oben bereits
aufgeführt, belaufen sich auf 178 € pro Tag
in den letzten drei Lebensmonaten. Die Mehrkosten pro Patient pro Tag im IPV-Konzept im
Verhältnis zu den Kosten in der Regelversorgung belaufen sich demnach auf 7 € für eine
20
optimale Versorgung unheilbar Kranker am
Lebensende.
Tagesbasiertes Globalbudget
IVP-Modell
Tagestherapiekosten
Regelversorgung
Differenz
Mehrkosten pro Monat
185 €
178 €
+7€
210 €
Bei einer geschätzten zu versorgenden Zahl
von 100 000 Patienten pro Jahr entstehen hier
bei kompletter Budgetverantwortung Mehrkosten in Höhe von 21 Millionen € für eine
verbesserte Versorgung am Lebensende.
4. Kostenstruktur krankenhauskoordiniertes ambulantes Palliativkonzept (KAP)
Dieses krankenhauskoordinierte integrierte
Versorgungskonzept (KAP) versorgt seit August 2006 unheilbar Kranke in der Lebensendphase in Wiesbaden und Umgebung. Die
dort anfallenden Honorare und Kosten pro
Patient setzen sich wie folgt zusammen:
Bei einer zu erwartenden Verminderung
von zwei Drittel der Krankenhauskosten
durch diese spezialisierte ambulante Palliativversorgung entstehen analoge Einsparungen von 70 € pro Tag und Patient, die
Tagestherapiepauschale vermindert sich auf
150 € (220 € minus 70 € Einsparungen).
Tagestherapiekosten KAP-Modell
Tagestherapiekosten Regelversorgung
Differenz
Einsparungen pro Monat
150 €
178 €
–28 €
840 €
Bei einer geschätzten zu versorgenden
Zahl von 100 000 Patienten pro Jahr entstehen hier Einsparungen von 84 Millionen € für
die Versorgung am Lebensende.
Vergleich der Kostenstrukturen
Zusammengefasst hier die verschiedenen
Kostenberechnungen:
Aktuelle Tagestherapiekosten
Regelversorgung
Tagestherapiekostenpauschale
mit AAP/SAP ohne Einsparungen
Tagestherapiekostenpauschale
mit AAP/SAP mit Einsparungen
Tagestherapiekostenpauschale IVP
Tagestherapiekostenpauschale KAP
178 €
262 €
192 €
185 €
150 €
Zusammenfassung
Die Mehrkosten einer verbesserten allgemeinen (AAP) und spezialisierten ambulanten
Palliativversorgung (SAP) werden weitgehend kompensiert durch die zu erwartenden
Einsparungen von Fehl- und Überversorgung
am Lebensende.
Das Modellprojekt „integrierte Versorgung am Lebensende (IVP)“ des PalliativNetzes Wiesbaden-Taunus umfasst alle Elemente einer AAP und SAP und ist weitgehend
kostenneutral zu den bisher in der Regelversorgung entstehenden Kosten. Erste Auswertungen belegen, dass die tagesbasierte
Kostenpauschale mit globaler Budgetverantwortung in dieser Höhe der zu lösenden
Aufgabe gerecht wird. De facto ist mit einer
Umleitung der bisher anfallenden Kosten in
eine strukturierte Palliativversorgung eine flächendeckende Betreuung unheilbar Kranker
am Lebensende möglich!
Die verbesserte Palliativversorgung im
KAP-Modell wird erkauft auf dem Boden der
sogar verschärften Fortsetzung der Unterfinanzierung und der fortgesetzten Selbstausbeutung aller Mitwirkenden in der Regelversorgung! Die AAP wird nicht nur nicht
gefördert, sondern dezidiert geschwächt,
indem der ambulanten Versorgung bei höheren Anforderungen keine substanziellen
zusätzlichen Geldmittel zur Verfügung gestellt werden. Eingesparte Gelder fließen an
die beteiligten Krankenkassen!
Sparmodell droht!
Der Abschluss von Vorverträgen mit weiteren
onkologischen Kliniken an Schwerpunktkrankenhäusern in Hessen, die zum Teil weder
über eine palliative Qualifikation noch eine
Anbindung an ambulante Versorgungsstrukturen verfügen, düpiert die dort vor Ort seit
Jahren hospizlich und palliativ Tätigen wie
auch die gesamte hausärztliche Versorgung,
die bei dieser Regelung einmal mehr leer
ausgehen! Aus einer angekündigten verbesserten ambulanten Versorgung wird ein Sparmodell der beteiligten Krankenkassen in Hessen (AOK/DAK/BEK/IKK)!
Die Intention der Politik, Geldmittel für
eine verbesserte allgemeine und spezialisierte ambulante Palliativversorgung zur
Verfügung zu stellen, wird von diesen Krankenkassen, wie am Beispiel KAP-Modell
gezeigt, durch erhebliche Einsparungen auf
Kosten der ambulanten Regelversorgung in
ihr Gegenteil verkehrt. Auch der integrative
Ansatz, bestehende Strukturen mit in die
Ausgestaltung einzubeziehen, wie im GKVWSG gefordert, wird mit diesem rein krankenhausbasierten Ansatz ausgehebelt.
Thomas Nolte,
Wiesbaden
[email protected]
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/2007 (23. Jg.)
Internationale Presse
Mit Massagen gegen Nackenschmerzen?
notherapie und in einem multimodalen Interventionsprogramm geklärt werden. Erst wenn
standardisierte Studiendesigns entwickelt
wurden und bei den multifaktoriellen Behandlungsprogrammen der relative Anteil der Massage an dem Ergebnis evaluiert sei, müssten
in weiteren Studien der Kurzzeit- und auch der
Langzeiterfolg der Massagen weiter abgeklärt
StK
werden, folgerten die Autoren. Massage hilfreich bei Nackenschmerzen?
Peridurales Methylprednisolon und
Wundinfiltration mit Bupivacain
Nach einer posterioren lumbosakralen Spinaloperation lassen sich die postoperativen
Schmerzen durch eine peridurale Methylprednisolontherapie und die Wundinfiltration
mit Bupivacain signifikant senken. In einer
placebokontrolllierten Doppelblindstudie an
insgesamt 103 Patienten mit elektiver posteriorer Lumbaldiskektomie und einer entlastenden Laminektomie überprüfte der thailändische Experte dieses multimodale analgetische Konzept.
Die Schmerzwerte wurden nach ein,
zwei, drei, sechs zwölf, 24 und 48 Stunden
gemessen. Darüber hinaus wurde der Oswestry-Index und die Kurzform des SF-36Werts vor dem Eingriff sowie ein und drei
Monate nach der Operation erhoben.
Die demografischen Ausgangswerte
waren in beiden Gruppen vergleichbar. Die
Verumgruppe benötigte signifikant weniger
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/2007 (23. Jg.)
SSRI statt Gabapentin?
Antidepressiva wie Citalopram und Paroxetin lindern bei Patienten mit diabetischer
Neuropathie die Schmerzen besser und mit
weniger Nebenwirkungen als Gabapentin,
das bisher als eines der bevorzugten Antikonvulsiva gilt. Dies ergab eine griechische
Studie an 101 Patienten, die prospektiv
über sechs Monate einen selektiven Serotonin-Reuptakehemmer oder Gabapentin
bekamen (Clin J Pain 2007; 23:267–269).
Memantine lindert CRPS-Schmerz
Der N-Methyl-D-Aspartat-Rezeptorantagonist Memantine linderte nach einer achtwöchigen Therapie bei sechs Patienten mit
einem komplexen regionalen Schmerzsyndrom (CRPS) der oberen Extremität die
Schmerzen und führte zu einer Verbesserung der Motorik und autonomen Veränderungen (Clin J Pain 2007; 23: 237–243).
Bildarchiv U&V
Was leistet die Massage bei chronischen Nackenschmerzen? Wie wirkt sie auf Schmerzen, Funktion, Zufriedenheit des Patienten?
Welche Kosten und Nebenwirkungen entstehen dadurch? Diese Fragen versuchte J.
Ezzo, Baltimore, in einer randomisierten Metaanalyse zu klären. Ausgewertet wurden 19
Studien von zwei unabhängigen Reviewern.
Dabei erfüllten zwölf der 19 Studien nur die
Mindestanforderungen auf einem sehr niedrigen Niveau.
Häufig fehlten die Angaben über die Massagetechnik, die Ausbildung der Masseure
oder die Erfahrungen damit. Daher wundert
es nicht, dass die Studienergebnisse sehr widersprüchliche Ergebnisse lieferten. Zum Teil
wurde die Massage als Monotherapie, bei 14
Studien als ein Baustein in einem multimodalen Gesamtkonzept eingesetzt. Aufgrund der
wenig validen Daten zur Massage kann derzeit
keine Empfehlung über den Stellenwert der
Massagen bei Nackenschmerzen gegeben
werden. In Pilotstudien müsste erst geklärt
werden, in welcher Frequenz, Dauer und Anzahl der Massagesitzungen und mit welcher
Massagetechnik am besten gearbeitet werden
sollte.
In weiteren größeren klinischen Studien
müsste anschließend der Stellenwert als Mo-
Infotelegramm
Morphin postoperativ und auch die angegebenen Schmerzen waren weniger stark
ausgeprägt. Beide Substanzen verursachten
keine perioperativen Komplikationen, sodass
die Autoren folgern, dass die Kombination
von Methylprednisolon und Bupivacain, unmittelbar nach der Spinaloperation appliziert,
einen günstigen Effekt auf den Verlauf nach
posterioren lumbosakralen Eingriffen wie
Diskektomien, Dekompressionen und/oder
Spinalfusionen haben – ohne Gefahr zusätzlicher Komplikationen.
K. Jirarattana, Phochai, et al. Peridural methylprednisolone and wound infiltration with bupivacacin for postoperative pain control after posterior lumbar spine surgery: a randomized double-blind placebo-controlled trial. Spine 2007;
32:609–616.
Neues High-Tech-Gerät für das SCS
Das Precision TM Spinal Cord System wurde von Dr A. Koulousakis, Köln, erstmals
auch in Europa eingesetzt. Das revolutionäre System zur Neurostimulation erlaubt
eine genau dosierbare Stromabgabe und
verfügt über eine wiederaufladbare Batterie (News Release, Boston Scientific Corporation, März 2007).
Reizstrom gegen das Reizdarmsyndrom
Reizstromimpulse aus dem Medigjord-Gürtel bringen, wenn sie zweimal täglich für
etwa 15 Minuten eingesetzt werden, den
Darm auf Trab (Info bei dem Hersteller
www.medigjord.de).
Adenosin-Agonist GR79236X –
ein Flop?
In einer multizentrischen randomisierten
Kontrollstudie an 79 Patienten nach Extraktion der dritten Molaren in Vollnarkose prüfte die britische Arbeitsgrupppe von
J. R. Sneyd et al., Plymouth, den Adenosinagonist in den beiden Dosierungen 4 µg/kg
KG oder 10 µg/kg KG gegen Placebo oder
die Infusion von 50 mg Diclofenac. Beide
Dosierungen des Adenosinagonisten in einer 15-minütigen Infusion waren nicht effektiver als Placebo und nur Diclofenac reduzierte die postoperativen Beschwerden
signifikant (Br J Anaesth. 2007; Epub
ahead of print).
21
DRG-System
Finanzierung stationärer Schmerztherapie
und Palliativmedizin
Das DRG-System gilt auch für Schmerztherapie und Palliativmedizin.
Welche aktuellen Möglichkeiten der Abrechnung bei diesem Pauschalvergütungssystem bestehen, schildert Dr. med. Eberhard Lux, Lünen,
sehr praxisnah an Fallbeispielen.
S
eit dem Jahr 2004 erfolgt die Vergütung
von stationär erbrachten Leistungen mit
Ausnahme psychiatrischer Einrichtungen
nach einem System der Pauschalvergütung
– dem sog. DRG-System (Diagnosis Related
Group). Im Rahmen dieses Vergütungssystems ist spezifisch für jedes Krankenhaus ein
dem durchschnittlichen Ressourcenverbrauch
pro Fall errechneter Geldwert, die sog. BaseRate, definiert und in den Pflegesatzverhandlungen der Kliniken vereinbart. Die Vergütung
im Einzelfall richtet sich nach dem sog.
Schweregrad (CW-Wert) des Behandlungsfalles, welcher sich aus der Kombination von
Haupt- und Nebendiagnosen (ICD-10) und
aus den in einem jährlich aktualisierten OPSKatalog niedergelegten Leistungen ergibt.
Für besonders kostenintensive Leistungen
sind sog. Zusatzentgelte mit festen Beträgen
definiert, welche den Kostenträgern zusätzlich zur DRG berechnet werden können.
CW-Wert
Elektronische Rechenprogramme (Grouper)
berechnen heute nach Eingabe der Diagnosen und OPS (Operationen- und Prozedurenschlüssel) den entsprechenden Schweregrad
(CW-Wert). Dieser, multipliziert mit der BaseRate des Krankenhauses, ergibt den Geldbetrag, welcher durch die Kostenträger dem
Krankenhaus vergütet wird. Wissenswert ist,
dass jedes Krankenhaus jährlich mit den Kostenträgern ein Gesamtbudget verhandelt,
sodass durchaus nicht alle erbrachten Leis-
Patientenbeispiele 1 und 2
Patientenbeispiel 1:
Hauptdiagnose:
Nebendiagnosen:
Kopfschmerz vom Spannungstyp
Medikamentenabhängigkeit
Psychogene Gangstörung
Lumbale Spondylarthrose
Chronischer Schmerz mit psychosozialen Anteilen
Aufenthaltsdauer: OPS
DRG
CW-Wert
Gesamtvergütung:
16 Tage
8-918.1
B47Z
1,485 bei einer angenommenen Base-Rate von 2506,00 €
3 722,05 €
G44.2
F19.2
F44.4
M47.86 F62.80
Patientenbeispiel 2:
Hauptdiagnose:
Nebendiagnosen:
Polyarthrose
Längere depressive Reaktion
Diabetes mellitus Typ 2
Lumbale Spinalkanalstenose
Chronischer Schmerz mit psychosozialen Anteilen
Aufenthaltsdauer: OPS
DRG
CW-Wert
Gesamtvergütung:
24 Tage
8-918.1
I42Z
1,308 bei einer angenommenen Base-Rate von 2506,00 €
3 278,41 €
22
M15.0
F43.2
E11.90 M48.06 F62.80
tungen vergütet
werden. Die Vergütung erfährt – Eberhard Lux, Lünen
wie man dies auch
aus der Vergütung
ambulant erbrachter Leistungen kennt – eine
Kappungsgrenze.
Spezielle OPS-Schlüssel sind für stationäre, multimodale Schmerztherapie (unter
1.), die komplexe Akutschmerztherapie (unter 2.) sowie stationäre palliativmedizinische
Leistungen (unter 3.) definiert. Diese sollen
im Folgenden vertiefend dargestellt werden.
1. Stationäre Schmerztherapie (OPS 8-918)
Stationär können schmerztherapeutische
Leistungen im besonderen Maße abgerechnet werden, wenn Mindestmerkmale für eine
multimodale Schmerztherapie erbracht worden sind (siehe Tab. 1).
Indikationen für die Anwendung des
OPS-Schlüssels 8-918 sind Patienten, welche unter chronischem Schmerz leiden und
•manifeste oder drohende Beeinträchtigung
der Lebensqualität oder der Arbeitsfähigkeit aufweisen,
•unimodale Behandlungsversuche ambulant
oder stationär fehlgeschlagen sind,
•ein bestehender Medikamentenfehlgebrauch, resp. eine Medikamentenabhängigkeit besteht,
•gravierende psychiatrische/psychische Komorbiditäten zu beobachten sind oder
•eine gravierende somatische Begleiterkrankung besteht, aufgrund derer die
Durchführung spezieller Therapiemethoden
im ambulanten Setting nicht zu verantworten sind.
Die schmerztherapeutische Komplexbehandlung ist nach der Länge der Verweilzeit des
Patienten zu dokumentieren, wobei aktuell
jedoch die Länge der Behandlungsdauer des
Patienten keine Höhergruppierung des Patienten im DRG-System triggert.
2. Komplexe Akutschmerzbehandlung
(OPS 8-919)
Für die komplexe Akutschmerzbehandlung
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/2007 (23. Jg.)
DRG-System
wurde der OPS 8-919 definiert. Der OPS ist
anwendbar für Patienten mit akutem postoperativem, posttraumatischem oder exazerbiertem Tumorschmerz. Die Voraussetzungen zur
Definition sind in der Tabelle 2 definiert. Eine
Geldleistung folgt der Dokumentation der
OPS 8-919 aktuell noch nicht. Ich möchte
jedoch alle Kolleginnen und Kollegen dazu
motivieren – sofern die o.g. Leistungen erfüllt
werden –, den OPS-Schlüssel zu dokumentieren, damit wir dem Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus gGmbH (InEK)
nachweisen können, wie häufig die Leistungsinhalte erbracht werden.
3. Palliativmedizin (OPS 8-982)
Für die Erbringung komplexer palliativmedizinischer Leistungen ist der OPS 8-982 definiert. Dieser Schlüssel ist bei der komplexen
palliativmedizinischen Versorgung von Patienten anwendbar, welche unter einer progredienten und bereits fortgeschrittenen Erkrankung mit begrenzter Lebenserwartung leiden,
ohne dass eine kurative Intention der Behandlung besteht. Die Voraussetzungen zur
Dokumentation der OPS 8-982 sind in Tab. 3
definiert. Ein Sonderentgelt in Höhe von
1101,46 € ist mit der Dokumentation der
OPS 8-982 abzurechnen.
Die Organisation palliativmedizinischer
Versorgung von Patienten geschieht in deutschen Kliniken zurzeit in zwei Formen. Die
optimale Patientenversorgung ist sicher diejenige auf einer Palliativstation – einem abgeschlossenen, eigenständigen Stationsbereich
unter ärztlicher Leitung eines Facharztes mit
der Zusatzbezeichnung „Palliativmedizin“,
– mit speziellen Personalschlüsseln der Pflegekräfte sowie dem regelhaften Tätigwerden
psychosozialer Berufsgruppen. Auf Palliativstationen sind vielfach ehrenamtlich Tätige
aus regionalen Hospizgruppen im Einsatz.
Aufgrund des hohen Ressourceneinsatzes haben bisher viele Kliniken die Organisation einer Palliativstation vermieden, da
die erhöhten Ressourcenkosten bisher im
DRG-System nicht abgebildet wurden. Eine
Vielzahl von Palliativstationen rechnete auch
unter Zeiten des DRG-Systems weiter tagesgleiche Pflegesätze ab.
Eine zweite Organisationsform ist der
sog. palliativmedizinische Konsiliardienst;
hier bleiben die Patienten auf den Stationen
ihres Fachgebietes und werden zusätzlich
durch ein Palliativteam (Palliativmediziner, in
Palliativ-Care geschulte Pflegende, Psychologen, Kreativ-Therapeuten sowie Sozialarbeiter) betreut. Diese Organisationsform vermag die Patientenbetreuung deutlich zu verbessern, palliativmedizinische Einstellungen
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/2007 (23. Jg.)
Patientenbeispiel 3
Hauptdiagnose:
Nebendiagnosen:
Metastasierendes Pharynxkarzinom C10.2
Schluckstörungen
Versorgung über PEG und Port
Spinalkanalstenose
Längere depressive Reaktion
Tumorschmerz
R13.9
F43.2
R52.1
Aufenthaltsdauer: 16 Tage
OPS
8-982
DRG
J61C
CW-Wert
0,818 bei einer angenommenen Base-Rate von 2 506,00 € ergab sich bisher
für die DRG J61C ein Geldbetrag von 2 526,00 €.
Gesamtbetrag von
Bei Dokumentation der OPS 8-982 kommt hier ein Zusatzentgelt von 1 101,45 € dazu, sodass jetzt ein
3 627,45 € abgerechnet werden kann.
Tabelle 1: 8-918 Multimodale Schmerztherapie, Erläuterung
Hier ist eine mindestens siebentägige interdisziplinäre Behandlung von Patienten mit chronischen
Schmerzzuständen (einschließlich Tumorschmerzen) unter Einbeziehung von mindestens zwei Fachdisziplinen, davon eine psychiatrische, psychosomatische oder psychologische Disziplin, nach Behandlungsplan mit ärztlicher Behandlungsleitung bei Patienten zu kodieren, die mindestens drei der
nachfolgenden Merkmale aufweisen:
• Manifeste oder drohende Beeinträchtigung der Lebensqualität und/oder der Arbeitsfähigkeit
• Fehlschlag einer vorherigen unimodalen Schmerztherapie, eines schmerzbedingten operativen
Eingriffs oder einer Entzugsbehandlung
• Bestehende/r Medikamentenabhängigkeit oder Fehlgebrauch
• Gravierende psychische Begleiterkrankung
• Gravierende somatische Begleiterkrankung
Dieser Kode erfordert eine interdisziplinäre Diagnostik durch mindestens zwei Fachdisziplinen (obligatorisch und eine psychiatrische, psychosomatische oder psychologische Disziplin) sowie die gleichzeitige Anwendung von mindestens drei der folgenden aktiven Therapieverfahren: Psychotherapie
(Verhaltenstherapie), spezielle Physiotherapie, Entspannungsverfahren, Ergotherapie, medizinische
Trainingstherapie, sensomotorisches Training, Arbeitsplatztraining, Kunst- oder Musiktherapie oder
sonstige übende Therapien. Er umfasst weiter die Überprüfung des Behandlungsverlaufs durch ein
standardisiertes therapeutisches Assessment mit interdisziplinärer Teambesprechung.
Die Anwendung dieses Kodes setzt die Zusatzqualifikation „Spezielle Schmerztherapie“ bei der/dem
Verantwortlichen voraus.
Tabelle 2: 8-919 Komplexe Akutschmerzbehandlung, Erläuterung
• Dieser Kode umfasst die Einleitung, Durchführung und Überwachung einer speziellen Schmerztherapie oder Symptomkontrolle bei Patienten mit schweren akuten Schmerzzuständen (z.B. nach
Operationen, Unfällen oder schweren, exazerbierten Tumorschmerzen) mit einem der unter 8-910
bis 8.911 genannten Verfahren, mit kontinuierlichen Regionalanästhesieverfahren (z.B. Plexuskatheter) oder parenteraler patientenkontrollierter Analgesie (PCA) durch spezielle Einrichtungen
(z.B. Akutschmerzdienst) mit mindestens zweimaliger Visite pro Tag.
• Der Kode ist auch bei Tumorschmerzen anzuwenden, bei denen akute Schmerzexazerbationen oder
Therapieresistenz von tumorbedingten oder tumorassoziierten Schmerzzuständen im Vordergrund
des Krankheitsbildes stehen und den Einsatz spezieller schmerztherapeutischer Verfahren und
Techniken erfordern.
• Die Anwendung dieses Kodes erfordert die Dokumentation von mindestens drei Aspekten der Effektivität der Therapie (Analgesie, Symptomintensität, Symptomkontrolle, Ermöglichung aktiver
Therapie).
• Der Kode ist nicht anwendbar bei Schmerztherapie nur am Operationstag.
23
DRG-System
und Überzeugungen und daraus abgeleitetes
Handeln entwickelt sich auf den Stationen erfahrungsgemäß verzögert.
In Modellrechnungen geht man davon
aus, dass pro eine Million zu versorgende
Einwohner 50 Palliativbetten notwendig sind.
Rechnet man die durchschnittliche Versorgungsdichte von 200 000 Einwohnern pro
mittlerem Krankenhaus, so würden zehn Palliativbetten für ein derartiges Krankenhaus
notwendig sein. Geht man von einer Auslastung von 85% und einer durchschnittlichen
Verweildauer von 16 Tagen aus, so kann
man mit 250 Fällen pro Jahr und Krankenhaus rechnen.
Organisiert das Krankenhaus einen
dezentral arbeitenden Palliativdienst (pallia-
tivmedizinisches Konsil), dann würden dem
Krankenhaus, sofern man von einer zusätzlichen Behandlung der durch die Kostenträger bereitgestellten Mittel bei bisheriger
Deckelung der Krankenkasseneinnahmen
ausgeht, ca. 250 000,00 € zur Verfügung
stehen. Dieses könnte bedeuten, dass
dem palliativmedizinischen Konsiliarteam
eine Arztstelle (ca. 95 000,00 € pro Jahr),
eine Palliativ-Care-ausgebildete Schwester
(45000,00 € pro Jahr), ein Psychoonkologe (80 000,00 € pro Jahr) sowie eine halbe
Stelle Kreativ-Therapeut (30 000,00 €) oder
eine halbe Stelle Sozialarbeiter (30 000,00
€) finanzierbar wären. Zusätzliche physiotherapeutische Leistungen werden benötigt.
Aus der praktischen Erfahrung sind die zur
Tabelle 3: 8-982 Palliativmedizinische Komplexbehandlung, Mindestmerkmale
• Aktive, ganzheitliche Behandlung zur Symptomkontrolle und psychosozialen Stabilisierung ohne
kurative Intention und im Allgemeinen ohne Beeinflussung der Grunderkrankung von Patienten mit
einer progredienten, fortgeschrittenen Erkrankung und begrenzter Lebenserwartung unter Einbeziehung ihrer Angehörigen und unter Leitung eines Facharztes mit der Zusatzweiterbildung Palliativmedizin (sofern diese noch nicht vorliegt, ist zur Aufrechterhaltung bereits bestehender palliativmedizinischer Versorgungsangebote übergangsweise bis zum Jahresende 2008 eine vergleichbare
mindestens einjährige Erfahrung im Bereich Palliativmedizin ausreichend)
• Aktivierend- oder begleitend-therapeutische Pflege durch besonders in diesem Bereich geschultes
Pflegepersonal
• Erstellung und Dokumentation eines individuellen Behandlungsplanes bei Aufnahme
• Wöchentliche multidisziplinäre Teambesprechung mit wochenbezogener Dokumentation bisheriger
Behandlungsergebnisse und weiterer Behandlungsziele
• Einsatz von mindestens zwei der folgenden Therapiebereiche:
Sozialarbeit/Sozialpädagogik, Psychologie, Physiotherapie, künstlerische Therapie (Kunst- und Musiktherapie), Entspannungstherapie, Patienten-, Angehörigen- und/oder Familiengespräche mit insgesamt mindestens sechs Stunden pro Patient und Woche in patientenbezogenen unterschiedlichen Kombinationen
Abrechnung geforderten und für eine qualitativ hochwertige Patientenversorgung geforderten personellen Voraussetzungen in der
beschriebenen Weise notwendig.
Ausblick
Gesundheitspolitisch ist eine Überwindung
der starren Grenzen zwischen stationärer
und ambulanter Versorgung ausgemachtes
Ziel. Gerade auf dem Gebiet der Schmerztherapie und der Palliativmedizin ist durch enge
Zusammenarbeit der stationär und ambulant
tätigen Partner ein rationeller Umgang mit
vorhandenen Ressourcen bei steigender Behandlungsqualität denkbar. In schmerztherapeutischen Qualitätszirkeln und Schmerzkonferenzen ist eine enge praktische Zusammenarbeit zwischen stationär und ambulant
tätigen Kolleginnen und Kollegen längst Tradition. Im Bereich palliativmedizinischer Versorgung streben gerade Palliativstationen
nach einer Kontinuität der Betreuung ihrer
Patienten, welcher durch das verstärkte ambulante Wirksamwerden von Palliativ-Pflegediensten und Palliativ-Konsiliardiensten im
Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbes in
der GKV Rechnung getragen wird.
Stationäre Schmerz- und Palliativmedizin ist auch unter den oben dargestellten
Finanzierungsvoraussetzungen in aller Regel
nicht kostendeckend erbringbar. Wollen wir in
Krankenhäusern dennoch eine hochwertige
Versorgung chronisch Schmerzkranker und
palliativ zu versorgender Patienten erreichen,
müssen alternative Finanzierungen über Fördervereine etc. genutzt werden.
Eberhard Lux, Lünen
Cannabinoidhaltige Arzneimittel – endgültiges
Aus für die Therapie auf GKV-Basis?
Nachdem die sog. Nikolaus-Entscheidung des BVerfG (Az. 1 BvR 347/98)
vom 06.12.2005 (vgl. hierzu Heft 4/06, S. 20f.) die Hoffnung auf die
Erstattung neuartiger, nicht bereits mit klinischen Studien höchster Evidenzklassen belegter Therapien zulasten der gesetzlichen Krankenkasse geweckt hatte, hat das BSG in einer aktuellen Entscheidung vom
27.03.2007 (Az. B 1 KR 30/06) nun die Erstattungsfähigkeit der Therapie eines chronisch schmerzkranken Patienten mit Cannabinol verneint.
Dieses Urteil und die Hintergründe stellt Rechtsanwältin Heike Müller,
Sindelfingen, vor.
Der Fall
Gegenstand der Entscheidung des Bundessozialgerichts war die Therapie eines durch
24
einen Motorradunfall querschnittsgelähmten
und infolgedessen an einem chronischen
Schmerzsyndrom leidenden Klägers. Auf-
Heike Müller,
Sindelfingen
grund seines erheblichen Leidensdrucks hatte
dieser bereits ernsthaft einen Suizid ins Auge
gefasst. Der den Kläger behandelnde Arzt für
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/2007 (23. Jg.)
Medizin und Recht
Anästhesie und Spezielle Schmerztherapie
hielt einen Therapieversuch mit Cannabinol
für indiziert, nachdem die bisherige Schmerztherapie mit Opioiden keine ausreichende
Reduktion der neuropathischen Schmerzen
bewirken konnte.
Die Entscheidung
Der für die Krankenversicherung zuständige
Erste Senat des Bundessozialgerichts lehnte einen Anspruch des Klägers auf Kostenerstattung für das cannabinoidhaltige Arzneimittel mit der Begründung ab, ein in Deutschland zugelassenes cannabinoidhaltiges
Fertigarzneimittel existiere nicht. Die – allerdings nicht für den Bereich der Schmerztherapie – bestehende Arzneimittelzulassung
des Fertigarzneimittels Marinol in den USA
entfalte keine Rechtswirkungen für Deutschland und rechtfertige trotz des arzneimittelrechtlich zulässigen Arzneimittelimports
nach § 73 Abs. 3 AMG keine Erstattungsfähigkeit des Arzneimittels. Auch als cannabinoidhaltiges Rezepturarzneimittel könne der
Kläger die Erstattung nicht begehren, da es
an der erforderlichen Anerkennung des Gemeinsamen Bundesausschusses gemäß
§ 135 Abs. 1 S. 1 SGB V für neue Therapiemethoden fehle. Ein Ausnahmefall, in dem
trotz fehlender Empfehlung eine neuartige
Therapie beansprucht werden könne, liege
nicht vor, da es sich weder um einen sog.
systematisch nicht erforschbaren Seltenheitsfall handle noch die fehlende Anerkennung des Gemeinsamen Bundesausschusses auf sachfremde oder
willkürliche Erwägungen zurückzuführen sei. Die Voraussetzungen
einer erweiterten Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für neuartige Therapiemethoden nach der Rechtsprechung des BVerfG verneinte der Senat mit
der Begründung, das chronische Schmerzsyndrom des Klägers
sei nicht mit einer lebensbedrohlichen
oder regelmäßig tödlich verlaufenden
oder wertmäßig
vergleichbaren
Erkrankung
gleichzustellen.
Hintergründe
Das Urteil des BSG lässt sich ohne Weiteres
in die Reihe der in den letzten beiden Jahren
ergangenen Urteile des BSG zur Erstattungsfähigkeit neuartiger Therapiemethoden einordnen und ist insoweit auch konsequent.
Grundlage des den Erstattungsanspruch verneinenden Urteils ist die bislang noch ungenügende wissenschaftliche Erkenntnislage
bezüglich der Wirksamkeit von Cannabinol
zur Therapie chronischer Schmerzen. Insoweit handelt es sich bei der Therapie mit dem
Arzneimittel noch um eine sich im Prüfstadium befindliche Behandlungsmethode. Gemäß § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V haben Qualität
und Wirksamkeit der Leistungen im Rahmen
der GKV jedoch dem allgemein anerkannten
Stand der medizinischen Erkenntnisse zu
entsprechen. Die Finanzierung der medizinischen Forschung ist demgegenüber nicht
Gegenstand des Leistungskataloges der gesetzlichen Krankenversicherung. Insoweit ist
jedoch zu beachten, dass durch einen Heilversuch im Einzelfall an sich keine medizinische Forschung betrieben wird. Deshalb
hat das BVerfG einen Leistungsanspruch des
Versicherten aus verfassungsrechtlicher Sicht
auch dann anerkannt, wenn
•eine lebensbedrohliche oder regelmäßig
tödlich verlaufende Erkrankung vorliegt,
•bezüglich dieser Krankheit keine allgemein
anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung zur Verfügung
steht und
•bezüglich der beim Versicherten ärztlich
angewandten (neuen, nicht allgemein anerkannten) Behandlungsmethode eine auf
„Indizien gestützte“, nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens
auf eine spürbare Einwirkung auf den
Krankheitsverlauf besteht.
Vorliegend scheiterte ein Anspruch auf Kostenerstattung jedoch deshalb, da die chronische Schmerzkrankheit nach Auffassung
des BSG nicht mit der vonseiten des BVerfG
geforderten lebensbedrohlichen bzw. regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung auf
eine Stufe gestellt werden kann. Nach Auffassung des BSG kann eine solche Gleichstellung allenfalls für den nicht kompensierten
Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder
einer herausgehobenen Körperfunktion erfolgen.
Ausblick
Es ist zu vermuten, dass auch das BVerfG in
dem zu entscheidenden Fall einen Kostenerstattungsanspruch des Klägers ablehnen
wird, möchte es nicht riskieren, dass die vom
Gesetzgeber bewusst gezogenen Grenzen
der Erstattungsfähigkeit von neuartigen Therapiemethoden im Rahmen der GKV weiter
verwässert werden und damit die Leistungsfähigkeit des gesetzlichen Krankenversicherungssystems gefährdet wäre. Der behandelnde Arzt steht in diesen Fällen vor einem
ethischen Dilemma. Rechtlich kann aus der
Entscheidung jedoch nur die Konsequenz
gezogen werden, Cannabinol auf
Privatrezept zu verordnen und den
Patienten über die fehende Erstattungsfähigkeit durch die gesetzliche Krankenversicherung aufzuklären. Insoweit befindet sich der
behandelnde Arzt sowohl haftungsrechtlich als auch strafrechtlich
auf der sicheren Seite, da er nicht verpflichtet ist, ein sich noch im Erprobungsstadium befindendes Arzneimittel
einzusetzen.
Heike Müller, Sindelfingen
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/2007 (23. Jg.)
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Bücherecke
Schmerzen am Bewegungsapparat
Mit Biofeedback gegen
Kinderschmerzen
Schmerztherapie am
Bewegungsapparat
Markus Schiltenwolf/Peter Henningsen:
Muskuloskelettale Schmerzen – Diagnostizieren
und Therapieren nach biopsychosozialem Konzept; XVII, 321 S., m. 95 Abb., geb., € 59,95,
2006, ISBN 978-3-7691-0475-2, Deutscher
Ärzte-Verlag, Köln.
Ingrid Pirker-Binder: Biofeedback in der Praxis.
Band 1 Kinder. XVIII, 182 S., 50 Abb., brosch.,
€ 29,90, 2006, ISBN 3-211-29190-3, Springer
Wien, New York.
Jürgen Heisel, Jörg Jerosch: Schmerztherapie
der Halte- und Bewegungsorgane. Allgemeine
und spezielle Schmerztherapie. 2007, XV, 390 S.,
247 illustr., geb., ISBN: 978-3-540-29890-8,
Springer Verlag, Heidelberg.
Bereits die unterschiedlichen Fachgebiete der
beiden Herausgeber Prof. Dr. med. Marcus
Schiltenwolf, Orthopäde und Schmerztherapeut, sowie Prof. Dr. med. Peter Henningsen,
Neurologe und Psychiater sowie Direktor der
psychosomatischen Medizin der TU München,
garantieren, dass die Schmerzen am Bewegungsapparat in diesem Buch biopsychosozial
diagnostiziert und multimodal therapiert
werden.
In eigenen Kapiteln werden die Behandlungsformen zuerst isoliert und dann gemeinsam im
multimodalen Konzept erörtert. Abgerundet
wird das Buch von einer Leitlinie zur Begutachtung von Schmerzen. Sicher für Schmerztherapeuten eine Bereicherung, um bei der multimodalen Therapie alle Möglichkeiten vor AuStK
gen zu haben. Biofeedback ist in der Pädiatrie beileibe nicht
nur bei Kopfschmerzen ein probates Verfahren. Die Wiener Biofeedbackexpertin Ingrid
Pirker-Binder beschreibt in diesem Buch die
breiten Indikationsgebiete des Biofeedbacktrainings. Ausgehend von dem Stellenwert im
Schmerzmanagement und bei kindlichen
Kopfschmerzen widmen sich weitere Kapitel
dem Neurofeedback und Indikationen wie
dem ADHS. Selbst für kleine Künstler und
Sportler bietet sich mit dem Biofeedbacktraining eine elegante Methode, dem Leistungsdruck besser gewachsen zu sein.
Dieses Buch ermuntert dazu, die präventiven
Potenziale dieser Techniken bei Kindern mehr
zu nutzen und richtet sich daher nicht nur an
Biofeedbacktherapeuten, sondern auch an
StK
Pädiater, Lehrer und Eltern.
Impressum
Organ der Deutschen Gesellschaft für
Schmerztherapie
Herausgeber
Gerhard Müller-Schwefe,
Schillerplatz 8/1, D-73033 Göppingen
Tel. 07161/976476 · Fax 07161/976477
E-Mail: [email protected]
Schriftleitung
Thomas ­Flöter, Frankfurt; Olaf Günther, Magdeburg;
Dietrich Jungck, Hamburg; Uwe Junker, Remscheid;
Stephanie Kraus (verantw.), Stephans­kirchen; Thomas
Nolte, Wiesbaden; Reinhard Thoma, Tutzing; Michael
Überall, Nürnberg
Beirat
Joachim Barthels, Bad Salzungen; Christoph Baerwald, Leipzig; Wolfgang Bartel, Halberstadt; Heinz-Dieter Basler, Marburg; Günter Baust, Halle/ Saale; Klaus Borchert, Greifswald;
Burkhard Bromm, Hamburg; Kay Brune, Erlangen; Mathias
­Dunkel, Wiesbaden; Oliver Emrich, Ludwigs­hafen; Gerd
Geiss­linger, Frankfurt; Hartmut Göbel, Kiel; Henning Harke,
Krefeld; Ulrich Hankemeier, Bielefeld; Winfried Hoerster,
26
Gießen; Stein Husebø, Bergen; Klaus Jork, Frankfurt;
Edwin Klaus, Würzburg; Eberhard Klaschik, Bonn;
Lothar Klimpel, Ludwigs­hafen; Bruno Kniesel, Hamburg;
Marianne Koch, Tutzing; Bernd Koßmann, Wangen; Peter
Lotz, Bad Lippspringe; Christoph Müller-Busch, Berlin;
Robert Reining, Passau; Robert F. Schmidt, Würzburg;
Günter Schütze, Iserlohn; Hanne ­Seemann, ­Heidelberg;
Ralph Spintge, Lüdenscheid; Birgit Steinhauer, Limburg;
Georgi Tontschev, Bernau; Roland Wörz, Bad Schönborn;
Henning ­Zeidler, Hannover; ­Walter Zieglgäns­berger,
München; Manfred ­Zimmermann, ­Heidelberg
In Zusammenarbeit mit dem Fach­verband Schmerz,
Verband Deutscher Ärzte für Algesiologie e.V., Deutsche Gesellschaft für Algesio­logie e.V., Deutsche
Gesellschaft für Algesiologische Fachassistenz e. V.,
­Deutsche Akademie für ­Algesiologie, GAF Gesellschaft
für ­algesiologische Fortbildung mbH, Deutsche Schmerz­
liga e.V., Verband ambulant tätiger Anästhesisten e.V.,
Gesamtdeutsche Gesellschaft für Manuelle Medizin
e.V., Deutsche Gesellschaft zum Studium des Schmerzes
e.V. und Deutsche Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und
Gesichtschirurgie
Mit der Annahme eines Beitrags zur Veröffent­lichung
erwirbt der Verlag vom Autor alle Rechte, insbesondere
Bei diesem Lehrbuch über die Schmerztherapie der Halte- und Bewegungsorgane haben
sich zwei Orthopäden aus dem konservativen
und operativen Bereich zusammengetan, um
die komplexe Schmerztherapie praxisnah darzustellen. Anschauliche Abbildungen und Tabellen erleichtern das Verständnis. Die Orthopädie verlangt ein funktionelles Denken. Daher
ist es das erklärte Ziel der beiden Autoren,
mögliche auslösende Ursachen akuter und
chronischer Schmerzsyndrome im Bereich der
Extremitäten und Wirbelsäule zu beleuchten
und Richtlinien für eine sinnvolle Behandlung
zu vermitteln. Für jeden Arzt, der sich mit den
Schmerzsyndromen am Bewegungsapparat
tagtäglich auseinandersetzen muss, eine empStK
fehlenswerte Lektüre. das Recht der weiteren Vervielfältigung zu gewerblichen
Zwecken mithilfe fotomechanischer oder anderer
Verfahren. Die Zeitschrift sowie alle in ihr enthaltenen
einzelnen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt.
Bezugspreis: Einzelheft 12,– Euro
Abonnement für 4 Ausgaben pro Jahr 40,– Euro
(zzgl. Versand, ­inkl. MwSt.).
Der Mitgliedsbeitrag des DGS schließt den Bezugspreis
der Zeitschrift mit ein. Die Zeitschrift erscheint im
23. Jahrgang.
Verlag
© ­URBAN & VOGEL GmbH, München,
Juni 2007
Leitung Medical Communication:
Ulrich Huber (verantw.)
Schlussredaktion: Dr. Brigitte Schalhorn
Herstellung/Layout: Maren Krapp
Druck: Vogel Druck und Medienservice
GmbH & Co. KG, Höchberg
Titelbild: GettyImages
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/2007 (23. Jg.)
Der Fall aus der Schmerzpraxis
Postzosterneuralgie
Neuropathische Schmerzen nach Herpes zoster stellen oft eine besondere therapeutische Herausforderung dar. Neuere Studien belegen, dass
das Stufe-III-Opioid Oxycodon den „klassischen“ Antikonvulsiva und
Antidepressiva deutlich überlegen ist. Der Gabe von Oxycodon als FirstLine-Therapie standen bisher die gastrointestinalen Nebenwirkungen im
Weg. Durch die Kombination von Oxycodon mit Naloxon in Targin® können diese Nebenwirkungen effektiv vermieden werden und damit steht
für Postzosterneuralgie-Patienten eine gut verträgliche und hocheffi­
ziente Langzeittherapie zur Verfügung, zeigt der Fall aus der Göppinger
Schmerzpraxis von Dr. Gerhard Müller-Schwefe.
Der Praxisfall
Die 72-jährige Patienten stellt sich im Frühjahr 2006 mit brennenden Schmerzen im
Bereich des ersten und zweiten Trigeminusastes vor. Vorausgegangen war dort eineinhalb Jahre zuvor ein Herpes zoster. Die Medikation bei Erstvorstellung besteht aus Diclofenac achtstündlich 75 mg, Omeprazol 20
mg, Carbamazepin achtstündlich 400 mg,
Gabapentin achtstündlich 800 mg und
Amitriptylin 75 mg. Hierunter seien die
Schmerzen auf der 100-Punkte-Scala VAS
von 90 auf 70 zurückgegangen. Als Nebenwirkung störte die Patientin, dass sie tagsüber müde und gedämpft war, ohne nachts
einen erholsamen Schlaf finden zu können.
Daneben massive Obstipation.
gang der Schmerzintensität auf 55 auf der
visuellen Analogskala). Die Patientin litt jedoch von Beginn der Therapie an unter ausgeprägten Gleichgewichts- und Konzentrationsstörungen sowie Wortfindungsstörungen. Im Verlauf der darauf folgenden drei
Monate kam es auch zu einer massiven Gewichtszunahme von insgesamt 8,5 kg bei
deutlicher Flüssigkeitseinlagerung. Trotz diuretischer Zusatzmedikation weiterhin massive
Flüssigkeitseinlagerung. Daneben auch unter
Laxanzientherapie anhaltende Obstipation.
Angesichts der ausgeprägten Verträglichkeitsprobleme wurde Pregabalin abgesetzt
und durch Oxycodon in einschleichender Dosierung ersetzt, anfangs zwölfstündlich 5 mg,
bei unzureichender Wirkung zwölfstündlich
10 mg und nach zehn Tagen in einer Dosis
von zweimal täglich 20 mg.
Hierunter trat eine deutliche Verbesserung der Schmerzsituation ein mit durchschnittlichen Schmerzintensitätswerten von
10 auf der VAS (Erträglichkeitsniveau 12). Die
Gleichgewichts- und Konzentrationsstörun-
Befund
Im Bereich des ersten und zweiten Trigeminusastes rechts fand sich eine ausgeprägte
Berührungs- und Druckempfindlichkeit (dynamische und statische Allodynie), im betroffenen Areal narbige Veränderungen nach
abgelaufenem Herpes zoster. Die müde und
depressiv wirkende Patientin konnte dem
Anamnesegespräch nur mühsam folgen, weil
ihr immer wieder die Augen zufielen.
Therapie und Verlauf
Zunächst wurde nach Absetzen von Diclofenac Gabapentin gegen Pregabalin ausgetauscht mit einer Zieldosis von zwölfstündlich
300 mg. Hierunter kam es zu einer deutlichen
Besserung der Schmerzsymptomatik (Rück-
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/2007 (23. Jg.)
Müller-Schwefe
Diagnose
Die Patientin litt an einem über eineinhalb
Jahre chronifizierten Schmerzsyndrom (Chronifizierungsstadium II) bei Postzosterneuralgie im ersten und zweiten Trigeminusast
rechts sowie unter einem massiven algogenen Psychosyndrom, daneben unter medikamenteninduzierter Obstipation.
Narben im Bereich Trigeminusast 1 und 2.
gen waren innerhalb einer Woche vollständig
verschwunden, der Nachtschlaf deutlich verbessert, sodass nach zwei Wochen Carbamazepin zusätzlich ausgeschlichen werden
konnte. Die bei der Patientin vorbestehenden
gastrointestinalen Nebenwirkungen bestanden allerdings weiterhin und konnten trotz
der Gabe von Macrogol sowie täglich 15 mg
Bisacodyl nicht zufriedenstellend beherrscht
werden.
Im Oktober 2006 bestand unter noch
zwölfstündlich 20 mg Oxycodon weiterhin
eine gute und für die Patientin ausreichende
Schmerzlinderung, die gastrointestinale
Situation hatte sich allerdings keineswegs
entschärft. Deshalb erfolgte die Umstellung
auf Oxycodon 20 mg/Naloxon 10 mg zwölfstündlich. Innerhalb der ersten Woche nach
der Umstellung kam es bei der Patientin zu
massiven Diarrhöen. Auf intensives Nachfragen stellte sich heraus, dass die Patientin
aus Angst vor der ihr bekannten Obstipation
weiter Macrogol und Natriumpicosulfat eingenommen hatte. Nach Absetzen der Laxanzien
kam es unter Targin® in den darauf folgenden
sieben Tagen zu einer vollständigen Normalisierung der Darmfunktion mit jetzt normal geformten Stuhlgängen alle zwei Tage.
Die Schmerzintensität der neuropathischen
Schmerzen blieb weiterhin bei 10–12 und
entsprach damit dem individuellen Behandlungsziel der Patientin.
Diskussion
Gastrointestinale Nebenwirkungen wie Darmatonie, Obstipation, Blähungen und Krämpfe
sind nicht nur eine Nebenwirkung von stark
wirksamen Opioiden, sondern ebenso von
anderen Substanzen, die zur Behandlung
neuropathischer Schmerzen eingesetzt werden. Dies trifft sowohl für Carbamazepin als
auch für Pregabalin und trizyklische Antidepressiva zu. Daneben können Einschränkungen kognitiver Funktionen wie auch Flüssigkeitsretention die Langzeittherapie mit
diesen Substanzen einschränken.
Durch die Umstellung auf die innovative
Kombination von Oxycodon mit Naloxon in
Targin® kann ohne Verlust der Wirksamkeit
bei neuropathischen Schmerzen eine Langzeitbehandlung durchgeführt werden, bei der
Nebenwirkungen des Magen-Darm-Traktes
die Therapie nicht mehr einschränken. Zudem können Kosten eingespart werden
für jetzt nicht mehr notwendige Laxanzien
(durchschnittlich am Tag 2,77 Euro). Targin®
gewährleistet somit eine hervorragende
Analgesie bei deutlich reduzierten Nebenwirkungen sowie wesentlich günstigeren Tagestherapiekosten.
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