9 UF 111/05 Brandenburgisches Oberlandesgericht

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9 UF 111/05 Brandenburgisches Oberlandesgericht
9 UF 111/05 Brandenburgisches Oberlandesgericht
35 F 6/03 Amtsgericht Oranienburg
Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss
In der Familiensache
der Frau L… T…,
Klägerin, Widerbeklagte und Berufungsklägerin,
- Prozessbevollmächtigter:
Rechtsanwalt …
gegen
Herrn E… M…,
Beklagter, Widerkläger und Berufungsbeklagter,
- Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwältin …
hat der 1. Senat für Familiensachen des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht …,
den Richter am Oberlandesgericht … und
den Richter am Oberlandesgericht …
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am
21. September 2005
beschlossen:
1. Der Antrag der Klägerin vom 5. Juli 2005 auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe
zur Durchführung des Berufungsverfahrens wird zurückgewiesen.
2. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 BGB zurückzuweisen.
Insoweit wird Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen gegeben.
Gründe
I.
Die Klägerin ist die am 20. August 1983 geborene Tochter des Beklagten. Die Kindesmutter,
die die vietnamesische Staatsbürgerschaft besitzt, wurde nach der Geburt der Klägerin gemeinsam mit dieser aus der damaligen DDR ausgewiesen und kehrte nach Vietnam zurück.
Im Jahre 1999 erkrankte die Klägerin an Schizophrenie und musste mehrfach stationär betreut
werden. Am 12. Juli 2002 ist sie gemeinsam mit ihrer Mutter nach Deutschland zurückgekehrt. Nach den Feststellungen des Rentenversicherungsträgers ist sie aufgrund ihrer Erkrankung derzeit voll erwerbsunfähig. Die Kindesmutter geht einer Erwerbstätigkeit ebenfalls
nicht nach und bezieht Sozialhilfe.
Der Beklagte ist von Beruf Polizeibeamter. Er ist verheiratet.
Mit Vergleich vom 27. Januar 2003 (Bl. 56 d. A. SH I - EAO) verpflichtete sich der Beklagte
zur Zahlung von Krankenkassenbeiträgen für die Klägerin in Höhe von damals 116,62 € monatlich, die sich zwischenzeitlich unstreitig auf 125,58 € belaufen. Darüber hinaus erging am
21. März 2003 gegen den Beklagten ein Teilanerkenntnisurteil (Bl. 322 d.A.), mit dem er zur
Zahlung eines monatlichen Kindesunterhalts an die Klägerin in Höhe von 326 € ab Februar
2003 verurteilt worden ist.
In der Zeit ab 1. Juni 2004 erhielt die Klägerin unter Anrechnung der laufenden Unterhaltszahlungen (326 €) und der Zahlung der Krankenversicherungsbeiträge (125,58 €) Leistungen
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nach dem Grundsicherungsgesetz von zuletzt 125,83 € (Bl.399 d.A.). Da der Beklagte sämtliche Zahlungen einstellte, wurden der Klägerin ab Dezember 2004 Leistungen zur Grundsicherung in Höhe von monatlich 577,41 € (Bl. 423 d.A.) gewährt.
Die Klägerin hat den Rechtsstreit hinsichtlich der ursprünglich begehrten und über den Vergleich bzw. das Teilanerkenntnisurteil hinausgehenden Unterhaltsansprüche in der Hauptsache für erledigt erklärt, nachdem ein Antrag des Beklagten auf Zahlung von Kindergeld für
die Klägerin bestandskräftig zurückgewiesen worden war. Dieser Erledigungserklärung hat
sich der Beklagte nicht angeschlossen.
Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass die in diesem Verfahren ergangenen Titel
abzuändern seien, weil die Klägerin nunmehr bedarfsdeckende Einkünfte in Form der Leistungen zur Grundsicherung beziehe.
Der Beklagte hat im Wege der Widerklage beantragt,
den vor dem Amtsgericht Oranienburg am 27. Januar 2003 geschlossenen Vergleich
und das Teilanerkenntnisurteil des Amtsgerichts Oranienburg vom 21. März 2003 dahingehend abzuändern, dass er ab dem 1. Dezember 2004 zur Zahlung von Krankenkassenbeiträgen und laufenden Unterhalt nicht mehr verpflichtet sei.
Die Klägerin hat beantragt,
die Widerklage abzuweisen.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, dass die Widerklage unzulässig sei, weil einer Abänderung der Titel deren Rechtskraft entgegenstehen würde. Vielmehr müsse der Beklagte ein
gesondertes Abänderungsverfahren betreiben. Darüber hinaus sei die Widerklage aber auch
unbegründet, weil die Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz subsidiär gegenüber den
Unterhaltsleistungen seien.
Das Amtsgericht Oranienburg hat mit der angefochtenen Entscheidung festgestellt, dass der
Rechtsstreit, soweit er über die titulierten Forderungen hinaus einen Teilbetrag von 38 € be-
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trifft, in der Hauptsache erledigt ist und hat die weitergehende Klage im Übrigen abgewiesen.
Auf die Widerklage hat es antragsgemäß den Vergleich und das Teilanerkenntnisurteil dahingehend abgeändert, dass eine Zahlungspflicht des Beklagten ab Dezember 2004 nicht mehr
besteht. Die Kosten des Rechtsstreits hat es gegeneinander aufgehoben. Zur Begründung der
Entscheidung hinsichtlich der Widerklage hat es ausgeführt, dass diese als Abänderungswiderklage zulässig und begründet sei, da die nunmehr gewährten Leistungen zur Grundsicherung den Bedarf der Klägerin vollständig decken würden.
Gegen dieses Urteil richtet sich, soweit der Widerklage stattgegeben und die Kosten des
Rechtsstreits gegeneinander aufgehoben worden sind, die Berufung der Klägerin, mit welcher
sie insbesondere ihr erstinstanzliches Vorbringen wiederholt und vertieft. Darüber hinaus vertritt sie die Auffassung, dass die Abänderungsvoraussetzungen auch nicht mehr bestehen würden, da zwischenzeitlich Leistungen zur Grundsicherung nicht mehr gewährt werden würden.
Die ursprüngliche Bewilligung sei zum 1. April 2005 zurückgenommen worden, da nicht von
einer dauerhaften Erwerbsunfähigkeit der Klägerin auszugehen sei. Diese beziehe nunmehr
ausschließlich Hilfe zum Lebensunterhalt. Für diese Berufung begehrt sie darüber hinaus Prozesskostenhilfe.
II.
Die begehrte Prozesskostenhilfe war der Klägerin zu versagen, da die Durchführung der Berufung keine Aussicht auf Erfolg verspricht, § 114 ZPO. Die Abänderungswiderklage ist sowohl
zulässig als auch begründet.
Gemäß § 323 ZPO können Unterhaltstitel abgeändert werden, wenn sich diejenigen Verhältnisse, die zur Errichtung des Unterhaltstitels geführt haben, nachträglich wesentlich geändert
haben. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen einer solchen wesentlichen Veränderung trifft den Abänderungskläger (Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., § 323, Rn. 32;
Palandt/Heinrichs, BGB, 63. Aufl., § 313, Rn. 31 jeweils m.w.N.).
Unstreitig ist eine solch wesentliche Veränderung insoweit eingetreten, als der Klägerin für
die Zeit ab Dezember 2004 Leistungen zur Grundsicherung in Höhe von monatlich 577,41 €
gezahlt worden sind.
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Den sich aus dieser wesentlichen Veränderung ergebenden Anspruch kann der Beklagte zulässigerweise auch im Wege der Abänderungswiderklage geltend machen.
Soweit die Klägerin die Auffassung vertritt, dass der Beklagte keine eigenen Ansprüche mit
der Widerklage erhoben habe, ist dieser Vortrag nicht nachvollziehbar, da er gerade die Abänderung seiner Unterhaltspflicht auf Null begehrt hat. Darüber hinaus lagen aber auch die sonstigen Voraussetzungen des § 33 ZPO vor. Entgegen der Auffassung der Klägerin waren insbesondere die Klageansprüche zum Zeitpunkt der Erhebung der Widerklage auch noch nicht
erledigt, da sich der Beklagte der (bis zum Verfahrensende) einseitigen Erledigungserklärung
gerade nicht angeschlossen hatte, sodass das Prozessrechtsverhältnis zwischen den Parteien
weiterhin bestand.
Schließlich steht der Zulässigkeit der Widerklage auch nicht die Rechtskraft der abzuändernden Entscheidungen entgegen. Zwar ist der Klägerin insoweit zuzustimmen, dass das Gericht
eigene rechtskräftige (Teil-)Entscheidungen im laufenden Verfahren nicht mehr abändern
kann. Jedoch ist es gerade Sinn und Zweck einer Abänderungsklage nach § 323 ZPO, dass
solche Entscheidungen nachträglich eingetretenen Veränderungen angepasst werden können.
Unter Berücksichtigung der Zeitschranke des § 323 Abs. 2 ZPO und von Praktikabilitätsgesichtspunkten ist die Erhebung der Abänderungswiderklage gegen bereits im laufenden Verfahren ergangene Teilentscheidungen zumindest sachdienlich (vgl. nur Zöller/Vollkommer,
a.a.O., § 323, Rn. 34 m.w.N.). Auch die von der Klägerin zitierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in seinem Urteil vom 10. März 1993 (FuR 1993, 235) gewährt dem Abänderungskläger sogar für die Berufungsinstanz ein Wahlrecht zwischen zu erhebender Abänderungswiderklage oder selbständiger Abänderungsklage.
Die danach zulässige Widerklage ist auch begründet, da der der Klägerin zustehende Bedarf
durch die Zahlung der Leistungen zur Grundsicherung vollständig gedeckt ist, sodass ein Unterhaltsanspruch gegenüber dem Beklagten nicht mehr bestand.
Soweit die Klägerin (erstinstanzlich) die Auffassung vertreten hat, dass die Leistungen nach
dem Grundsicherungsgesetz bzw. ab Januar 2005 nach dem 4. Kapitel des SGB XII subsidiär
gegenüber dem Unterhaltsanspruch seien, ist dem nicht zu folgen. Vielmehr ist davon auszu-
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gehen, dass diese Leistungen - im Gegensatz zur Sozialhilfe und zum ALG II - bedarfsdeckendes Einkommen darstellen. Zwar stellen Grundsicherungsleistungen nach §§ 41 ff. SGB
XII als sozialhilferechtliches Einkommen zunächst kein unterhaltsrechtliches Einkommen dar,
da sie subsidiär gezahlt werden. Dies gilt aber dann nicht, wenn Unterhaltsansprüche des Bedürftigen gegen seine Kinder oder - wie es hier der Fall ist - gegen seine Eltern betroffen sind
und das Einkommen des Unterhaltspflichtigen unter 100.000 € liegt, vgl. § 43 Abs. 2 S. 1
SGB XII (so genannte privilegierte Unterhaltsverhältnisse; vgl. i. Ü. Leitlinien Brandenburgisches OLG Stand 1.7.05 Ziff. 2. a; Brandenburgisches OLG FamRB 2004, 287; OLG Hamm
FamRB 2004, 178; OLG Nürnberg FamRB 2004, 389; Götsche, Der Unterhaltsanspruch behinderter Kinder, FamRB 2004, 264, 268).
Soweit die Klägerin ihre Berufung damit begründet, dass sie keine Leistungen zur Grundsicherung seit dem 1. April 2005 beziehe, verhilft dies ihrem Rechtmittel ebenfalls nicht zum
Erfolg. Zwar kann ab diesem Zeitpunkt nicht mehr davon ausgegangen werden, dass der Bedarf der Klägerin mit der Folge des Entfallens eines Unterhaltsanspruches gegen den Beklagten gedeckt ist. Jedoch genügt der Vortrag der für die Aufrechterhaltung des abzuändernden
Titels, insbesondere ihres weiterhin bestehenden Bedarfes, darlegungs- und beweisbelasteten
Klägerin (vgl. insoweit nur Wendl/Staudigl-Thalmann, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 6. Aufl., § 8, Rn. 166 m.w.N.) nicht.
Insoweit wäre die Klägerin gehalten gewesen, zum Einkommen der Kindeseltern, insbesondere unter Berücksichtigung der Tatsache, dass dem Teilanerkenntnisurteil vom 21. März 2003
die Einkommensverhältnisse aus dem Jahre 2002 zu Grunde gelegen haben, substanziiert vorzutragen.
Darüber hinaus fehlt aber auch Vortrag, inwieweit die Klägerin in der Lage wäre, ihren Bedarf
selbst sicherzustellen. Zwar wird nach unstreitigem Vortrag davon auszugehen sein, dass sie
erwerbsunfähig ist, sodass dieser Bedarf nicht durch eigene Erwerbstätigkeit gedeckt werden
kann. Allerdings ist nicht vorgetragen worden, dass sie nicht zumindest einer Tätigkeit in einer Werkstatt für behinderte Menschen nachgehen könnte. Ein insoweit erzieltes Arbeitsentgelt würde ebenfalls anrechenbares Einkommen darstellen (Götsche, a.a.O.).
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Schließlich ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass aber auch von einer Bedarfsdeckung durch die fiktive Anrechnung von Leistungen zur Grundsicherung ausgegangen
werden könnte. Da der Unterhalsberechtigte verpflichtet ist, alle ihm erzielbaren Einkünfte zu
realisieren, kommt eine solche Anrechnung z.B. dann in Betracht, wenn Leistungen nach
§§ 41 ff. SGB XII nicht beantragt werden (OLG Hamm, a.a.O.). Dem steht es zur Überzeugung des Senats gleich, wenn die gegen eine einen Antrag auf Leistungen zur Grundsicherung
zurückweisende oder - wie hier - die Rücknahme der Bewilligung aussprechende Entscheidung möglichen Rechtmittel nicht ausgeschöpft werden. Für die Zeit bis zur Entscheidung
über diese Rechtsmittel wäre eine fiktive Anrechnung jedoch nicht angezeigt (OLG Nürnberg,
a.a.O.). Vortrag, inwieweit die Klägerin gegen den Bescheid der Landeshauptstadt M… vom
15. März 2005 überhaupt vorgegangen ist, fehlt jedoch ebenfalls.
Der Vollständigkeit halber ist weiterhin darauf hinzuweisen, dass die Klägerin für die geltend
gemachten Ansprüche zumindest teilweise nicht aktivlegitimiert sein dürfte, da ihr Hilfe zum
Lebensunterhalt gewährt wird und der Unterhaltsanspruch gegen den Beklagten daher zumindest teilweise auf den Sozialhilfeträger nach § 94 Abs. 2 Satz 1 SGB XII übergegangen wäre.
III.
Da somit die Berufung keine Aussicht auf Erfolg verspricht und die Rechtssache darüber hinaus keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherheit
einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordern,
beabsichtigt der Senat nach § 522 Abs. 2 ZPO zu verfahren.
…
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