Neue Medien in der Literatur: Intermedialität in Erik Honorés Roman

Transcription

Neue Medien in der Literatur: Intermedialität in Erik Honorés Roman
Universität zu Köln
Philosophische Fakultät
Institut für Nordische Philologie
Neue Medien in der Literatur:
Intermedialität in Erik Honorés Roman Orakelveggen
Magisterarbeit
vorgelegt von
Sebastian Pantel
Moltkestr. 25
58332 Schwelm
[email protected]
vorgelegt bei
Prof. Dr. Stephan Michael Schröder
Köln, im Januar 2006
Erklärung
Hiermit versichere ich, dass ich diese Magisterarbeit selbstständig verfasst und keine
anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt habe. Die Stellen meiner
Arbeit, die dem Wortlaut oder dem Sinn nach anderen Werken entnommen sind, habe
ich in jedem Fall unter Angabe der Quelle als Entlehnung kenntlich gemacht.
Dasselbe gilt sinngemäß für Tabellen, Karten und Abbildungen.
Inhalt
1
1.1
1.2
1.3
EINLEITUNG
Forschungsüberblick und Begriffsklärungen
Intermedialität nach Irina Rajewsky
Methode
Seite
Seite
Seite
Seite
2
3
5
7
2
2.1
2.2
2.2.1
2.2.2
2.2.3
2.3
MATERIAL
Der Roman
Die Medientheoretiker
Vilém Flusser: Das Universum der technischen Bilder
Jean Baudrillard: Realität ist Simulation
Paul Virilio: Beschleunigung
Zusammenfassung
Seite 9
Seite 9
Seite 11
Seite 11
Seite 14
Seite 19
Seite 20
3
3.1
3.2
3.2.1
3.2.2
3.2.3
3.2.4
3.2.5
3.2.6
3.3
3.3.1
3.3.2
INTRAMEDIALE BEZÜGE
Literarische Prätexte von Christie, Poe, Obstfelder und Shaw
Theorien von Flusser, Baudrillard und Virilio als Prätexte
Codes, Medienwechsel
Technische Bilder als neue Sprache
Computer und Netze
Neue Medien: Komputationen
Auswirkungen des Medienwechsels
Krieg und Medien
Intramediale Systemreferenzen
Digitale Texte: Chats, Logfiles und Online-Artikel
Der Kriminalroman als literarisches Bezugssystem
Seite 21
Seite 21
Seite 23
Seite 23
Seite 26
Seite 27
Seite 28
Seite 30
Seite 32
Seite 35
Seite 35
Seite 38
4
4.1
4.2
4.2.1
4.2.2
4.2.3
4.2.4
INTERMEDIALE BEZÜGE
Einzelbezüge zu Musik, Kunst, Foto, Film, Fernsehen und Computer
Intermediale Systemreferenzen
Polaroid-Fotos als Bezugssystem
Sitcom, Roadmovie, Kino und Simulation als Bezugssysteme
Entfesselung des Blicks – ein komplexer intermedialer Systembezug
Kontamination des Romans mit Strukturen der ‚neuen Medien‘
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5
AUSBLICK
Seite 66
6
ANHANG
Seite 67
LITERATUR
Seite 70
1 Einleitung
2
1 Einleitung
Die Literatur spricht selten nur über die Welt allein, sondern oft auch darüber, wie
Menschen sich diese Welt durch Bilder, Musik, Worte und andere kulturelle Ausdrucksformen erschließen, erklären und als ihre Lebenswirklichkeit konstruieren. Warum Literatur
sich der ‚Umwege‘ über andere Kunst- oder Medienformen bedient, und wie sie das tut sind
Fragen, die häufig gestellt und ganz unterschiedlich beantwortet worden sind - vielleicht
umso dringlicher, je mehr ‚Realität‘ als mentales, mediales und kulturelles Konstrukt bewusst wird. So ist die „konsequente Hereinnahme der fragmentierten fortlaufenden medialen Wirklichkeitserzählung in die fiktive Wirklichkeit des [...] Romans“ ein dezidiertes Projekt der sogenannten Postmoderne1 - daran anschließend auch die Versuche der Geisteswissenschaften, intermediale Verflechtungen kultureller und medialer Produkte und Systeme
zu durchleuchten.
Der Schriftcode und mit ihm die Literatur sehen sich in den letzten zwei Jahrhunderten von jüngeren Techniken herausgefordert, die wie eine Rückkehr des Bildes auf den Platz
des vorherrschenden kulturellen Codes erscheinen: Fotografie, Film, Fernsehen, Digitalbild,
Computersimulation und Internet scheinen weit besser geeignet zu sein, sich „ein Bild von
der Welt zu machen“ als abstrakte Reihen alphanumerischer Schriftzeichen. Doch gerade die
Abstraktheit ist es, die die Schrift in die Lage versetzt, nicht nur die neuen Bilder und Techniken, sondern auch sich selbst und ihr Verhältnis zu ihnen zu reflektieren. Dies nachzuvollziehen ist Aufgabe literaturwisschenschaftlicher Beschäftigung mit der ‚Intermedialität‘.
Die junge skandinavische Literatur auch unbekannter Autoren scheint auf die Herausforderungen des Codewechsels besonders zu reagieren, wie Annegret Heitmann feststellt.2
Die Auswahl des Romans Orakelveggen für diese Untersuchung kann als Bestätigung dessen
angesehen werden; der Debutroman des Autors Erik Honoré, nach der Jahrtausendwende
entstanden, knüpft „ein dichtes intermediales Netz unter dem Text“,3 das sich auf eine Vielzahl ‚neuer‘ technischer Medien bezieht. Damit laufen Gegenstand und Untersuchung einer
historisierenden Perspektive entgegen; der Roman bezieht sich nicht auf „Klassiker der
Kunstgeschichte“, wie Heitmann es für einen großen Teil der aktuellen Texte feststellt, sondern auf die gegenwärtige Medienwirklichkeit. Daher stellt sich der Untersuchung auch das
Problem der (fehlenden) Historisierung nicht, auf das Hockenjos und Schröder hinweisen4 selbst wenn dadurch ein vielleicht wünschenswerter ‚Abstand‘ zum Gegenstand der Forschung verloren geht.
‚Neue Medien‘ als Gegenstand des ‚alten Mediums‘ Schrift zu beschreiben,5 an einem
aktuellen Text zu zeigen, wie diese Auseinandersetzung Teil einer „kulturelle[n] Praxis“
durchaus konfliktreicher Medienperformanz ist,6 wie also ‚Kultur‘ selbst als intermediales,
polymediales „Bedeutungsgewebe“7 ständig prozessiert wird, das sind die Intentionen, die
bei dieser exemplarischen Untersuchung im Hintergrund stets mitzudenken sind.
1
Brüggemann 2000, 26
Heitmann 2002, 10
3
Ebd., 18
4
Hockenjos / Schröder 2005, 18
5
Jensen 1999, 78
6
Hockenjos / Schröder, 29
7
Gerhard Neumann, zitiert nach Brüggemann 2000, 24
2
1.1 Forschungsüberblick und Begriffsklärung
3
1.1 Forschungsüberblick und Begriffsklärung
Sich mit Intermedialität in der Literatur zu beschäftigen heißt, sich auf ein doppelt unsicheres Terrain zu begeben. Denn sowohl der Begriff des ‚Mediums‘ als auch der der ‚Intermedialität‘ ist weit davon entfernt, mit klaren Definitionen gefasst werden zu können. Ein
Blick auf die Forschungsgeschichte mit ihrer terminologischen Vielfalt rund um intertextuelle, intermediale und Interart-Phänomene kann ebensolche Verwirrung stiften wie die
unüberschaubare Ansammlung von Definitionen, mit denen die Medientheorie ihren Forschungsgegenstand zu greifen versucht hat. Sind mal, oft in Verbindung mit einer streng
essentialistischen und deterministischen Medienauffassung wie etwa bei Friedrich Kittler,
nur technische Medien wie Radio, Fernsehen, Kino und alle Arten technischer Speicher- und
Aufschreibsysteme gemeint, mal Kommunikationsträger wie Schrift, Bild und Ton, gehen
einige ‚Klassiker‘ der Medientheorie entschieden weiter. Für Marshall McLuhan, der Medien
als Erweiterungen des menschlichen Körpers ansieht,8 fallen auch das Rad, der Schraubenzieher, die Computermaus und das Internet unter den Oberbegriff ‚Medium‘. Bei Niklas Luhmanns systemtheoretisch geprägter Definition gehören sogar abstrakte Phänomene wie Liebe, Geld und Macht zu den „symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien“.9 Fast
scheint es, als sei der Medienbegriff inzwischen so weit gesteckt, dass er alles umfasst und
daher nichts mehr aussagt.
Ähnliches lässt sich für die Forschungsgeschichte der Intermedialität ausmachen; sie
kann hier allerdings nur grob skizziert werden. So leitet etwa Peter V. Zima den Forschungsgegenstand aus Krisen der Ästhetik her,10 die vor allem auf der Ausblendung von Medialität
beruhten oder darauf, dass eine bestimmte Codeform als dominant über die anderen verstanden wurde, oder auch auf dem Scheitern der Versuche, entweder eine strenge Homogenität (eine ‚gemeinsame Sprache‘) oder unvereinbare Heterogenität der Kunstgattungen zu
methodisieren. Vreni Hockenjos und Stephan Michael Schröder wiederum bieten einen guten Überblick11 über den Ursprung der Intermedialitätsforschung in den beiden Traditionslinien von Interart-Forschung über die „wechselseitige Erhellung der Künste“12 auf der einen,
und der (post-)strukturalistischen Intertextualitätsforschung auf der anderen Seite, die sich
von den russischen Formalisten über Mikhail Bakhtin bis zu radikal erweiterten Textbegriffen von Julia Kristeva oder auch Jacques Derrida erstreckt.13 Letztere verstehen auch nichtverbalsprachliche mediale Produkte als ‚Texte‘ und machen so eine Unterscheidung zwischen Intertextualität und Intermedialität schwierig bis unmöglich.
Heute scheint es eher Versuche zu geben, die immer weiter gesteckten Definitionsgrenzen wieder zu beschränken, auch auf die Gefahr hin, einer polymedial verwobenen Medienrealität und literarischen Bezugnahmen auf diese nicht mehr gerecht werden zu können. Dennoch bieten Vorschläge einer strengen Systematisierung, wie etwa Irina Rajewsky
sie 2002 aus literaturwissenschaftlicher Sicht vorgelegt hat, fruchtbare Ausgangspunkte für
eine aussagekräftige Analyse intermedialer Phänomene in der Literatur. Eine andere vielver8
Vgl. McLuhan 1992, 11
Vgl. z.B. Krause 2001, 155
10
Vgl. Zima 1995
11
S. Hockenjos / Schröder 2005, 9ff.
12
Das einflussreiche Werk von Oskar Walzel von 1917 gilt als Klassiker der Interart-Forschung.
13
Vgl. für einen gründlichen Überblick den Aufsatz von Gunhild Agger, 1999.
9
1.1 Forschungsüberblick und Begriffsklärung
4
sprechende Vorgehensweise ist die, den universalistischen Anspruch vieler Intermedialitätstheorien in der Einzelfall-Untersuchung wieder auf konkrete Beispiele herunterzubrechen.
Dezidiert für den skandinavischen Raum tut das etwa der Sammelband zur „Intermedialität
in den skandinavischen Literaturen um 1900“ von Vreni Hockenjos und Stephan Michael
Schröder,14 in dem die einzelnen Autoren neben der thematischen Eingrenzung auf Medien
wie das Telefon15 oder den Phonographen16 auch eine historisierende Perspektive einnehmen. Auch auf Annegret Heitmanns Bände zu Text-Bild-Beziehungen,17 zu Bildbezügen in
der skandinavischen Gegenwartsliteratur18 sowie in skandinavischen Texten der frühen
Moderne19 sei in diesem Zusammenhang verwiesen.
Doch auch hier lauern Gefahren, wie Hockenjos und Schröder richtig anmerken. Ein
allzu minimalistisches Intermedialitätsverständnis, wie es sowohl in dem Begriff der ‚Unreinheit‘ von Texten aufscheint,20 einer Verharmlosung also der oft gravierenden Mutationen der sprachlichen und narrativen Struktur eines intermedial ‚kontaminierten‘ Textes, als
auch in der Einschränkung von Intermedialität auf intendierte fremdmediale Bezüge,21 droht
über das Ziel der begrifflichen und konzeptuellen Fokussierung hinauszuschießen und einige
der interessantesten Implikationen von intermedialen Bezügen in der Literatur für die Analyse wieder zu verbauen.22 Zudem darf bei allen Nachweis-Orgien nicht vergessen werden,
neben dem ‚Was‘ und ‚Wie‘ der intermedialen Bezugnahme eines Textes auch das ‚Warum‘
und ‚mit welcher Wirkung‘ anzusprechen – die Frage also, welchen rezeptionellen Effekt die
intermedialen Bezüge in einem Text eigentlich haben, was also den „Raum zwischen den
Medien“ ausmacht.23
Wird dann zusätzlich noch der schillernde Medienbegriff konkretisiert, wie es diese
Arbeit durch die Beschränkung auf drei Theoretiker mit eng verwandtem Theoriedesign und
einem Verständnis von Medien als kulturelle Praxis zu tun versucht, ist es vielleicht möglich,
der konzeptuellen Beliebigkeit, der willkürlichen Vermischung verschiedener Ansätze sowie
dem Problem, dass ein Text je nach Auswahl von Werkzeug und Methode in jede beliebige
Richtung ‚gebogen‘ werden kann, eine systematische und überzeugende Arbeitsweise entgegen zu stellen. Auch wenn dies hier nur anhand eines einzigen Textes gezeigt werden kann,
14
Hockenjos / Schröder 2005
Beitrag von Martin Zerlang über „Die ersten Anrufe in der dänischen Literatur“ (Hockenjos / Schröder
2005, 105-124)
16
Beitrag von Vreni Hockenjos über „August Strindbergs Funktionalisierung des Phonographen“ (Hockenjos / Schröder 2005, 125-158)
17
Heitmann 2000
18
Eglinger / Heitmann 2002
19
Heitmann 2003
20
S. etwa das Essay „Fram for det urene“ in Kjærstad 1997, 17-24. Dieser Text und seine Kritik am allzu
konventionellen Schreibstil norwegischer Autoren sind allerdings vor dem Hintergrund der besonderen
Situation einer engen Verflechtung von Literaturschaffen, -theorie und -kritik in Norwegen zu lesen.
21
Hockenjos und Schröder (2005, 16) zitieren hier Werner Wolf. Auch Irina Rajewsky verweist mit dem
Argument der Rezeptionslenkung auf die Notwendigkeit einer „ausdrücklichen Thematisierung des Bezugssystems“ eines mit intermedialen Strategien arbeitenden Textes (vgl. Rajewsky 2002, 82). S. dazu auch
Fußnote 28 auf S. 6
22
Dass dies nicht nur für intermediale Bezüge, sondern für literarische ‚Aussage‘ allgemein gilt, zeigt Jan
Mukařovský in seinem schon 1943 erschienenen Aufsatz über Intentionalität und nicht-Intentionalität
sehr deutlich, etwa wenn er schreibt: „Det er mottakerens holdning til verket, ikke opphavsmannens, som
er den grunnleggende, eller ‚umarkerte‘, for å forstå verkets egentlige kunstneriske bestemmelse. Hvor
paradoksalt dette enn lyder, framstår kunstnerens holdning som sekundær.“ (Mukařovský 1991, 32)
23
von Amelunxen 1995, 219
15
1.2 Intermedialität nach Irina Rajewsky
5
soll der Versuch durchaus als ein Beispiel für die fruchtbare Kombination literatur- und medienwissenschaftlicher Methoden, Konzepte und Arbeitsweisen dienen – als, dieser leicht
ironische Verweis sei gestattet – ‚wechselseitige Erhellung der Wissenschaften‘.
1.2 Intermedialität nach Irina Rajewsky
Wie oben bereits erwähnt, leitet Irina Rajewsky ihren Neuansatz einer begrifflichen
und konzeptuellen Klärung des Intermedialitätsbegriffs24 aus einem engen Verständnis der
Intertextualität ab. Sie trennt dabei klar „verbalsprachlich fixierte Texte von anderen medialen Produkten“,25 um so überhaupt sinnvoll zwischen Intertextualität und Intermedialität
unterscheiden zu können. Die Intertextualität sieht sie dabei als einen verbalsprachlich fokussierten Sonderfall intramedialer Bezüge, die sich ansonsten auch etwa zwischen Filmen
oder Gemälden finden können. Außerdem unterscheidet sie, wie auch bei intermedialen
Bezügen, zwischen Einzelreferenz (= Intertextualität im Fall intramedialer Textbezüge) und
Systemreferenz – einem Bezug eines einzelnen medialen Produkts auf das mediale System,
dem es angehört, als solches. Bei letzterer unterscheidet sie wiederum zwischen Systemerwähnung und Systemaktualisierung. Kurz gefasst können für den Bereich intramedialer Bezüge im Fall verbalsprachlich fixierter Texte folgende Definitionen gegeben werden:26
I
II
II.1
II.2
Intertextualität als der Bezug eines Textes auf konkrete Einzeltexte desselben Mediums
Systemreferenz als der Bezug eines Textes auf literarische Subsysteme oder das literarische System als solches
Systemerwähnung als der Bezug eines Textes auf fremde Genres, Texttypen, literarische oder
andere verbalsprachliche Textformen bzw. auf das literarische System als solches. Der Bezug ist
dabei punktuell im Text nachweisbar und äußert sich in Form eines Redens bzw. Reflektierens
über das angesprochene (Sub-)System.
Systemaktualisierung als durchgängige Verwendung des Bezugssystems zur Textkonstitution
Alle drei Formen lassen sich in Orakelveggen nachweisen, wie in Kapitel 3 gezeigt wird.
Sobald Bezüge innerhalb eines Textes die Grenzen des verbalsprachlichen Textmediums überschreiten, spricht Rajewsky von Intermedialität. Diese kann in drei Ausformungen
auftreten: als Medienkombination, wobei mindestens zwei distinkte Medien zu einem polymedialen Produkt gekoppelt werden (etwa Musik, Text und Schauspiel in der Oper); als Medienwechsel, wobei ein medienspezifisches Produkt komplett in ein anderes Medium transformiert wird (etwa in der Literaturverfilmung); und als intermedialer Bezug. Letzterer ist
für die textorientierte Untersuchung von Intermedialität wegen seiner Möglichkeiten, aber
auch seiner Probleme bei der Überbrückung der medialen Unterschiede besonders interessant und wird daher von Rajewsky sehr genau aufgeschlüsselt – er wird auch als einzige der
drei Varianten bei der Romananalyse verwendet werden. Analog zu den intramedialen Bezügen können kurz folgende Definitionen für intermediale Bezüge von Texten auf andere mediale Produkte gegeben werden:27
24
Für ein Schema der Einteilungen und Terminologievorschläge Rajewskys s. Abbildung 1 im Anhang, S. 68
Rajewsky 2002, 59
26
Für eine ausführliche Darstellung siehe Rajewsky 2002, 65ff.
27
Für einen ausführlicheren Überblick siehe Rajewsky 2002, 149 ff. und 158ff. sowie Abbildung 1 im Anhang, S. 68
25
1.2 Intermedialität nach Irina Rajewsky
6
Einzelreferenz als der Bezug eines Textes auf ein konkretes fremdmediales Einzelprodukt
Systemreferenz als der Bezug eines Textes auf fremdmediale Subsysteme oder ein fremdmediales
System als solches in Form von Systemerwähnung oder Systemkontamination
II.1
Die Systemerwähnung kann (immer punktuell) explizit oder qua Transposition erfolgen
II.1.1
explizite Systemerwähnung als ausdrückliches Reden oder Reflektieren über ein fremdmediales
(Sub-)System
II.1.2
Systemerwähnung qua Transposition als punktuelle Anwendung einzelner Regeln des fremdmedialen (Sub-)Systems zum Zweck einer Illusionsbildung bzw. einer „Als-ob“-Transformation des
fremdmedialen ins verbalsprachliche System in drei Ausprägungen: evozierend, simulierend und
(teil-)reproduzierend
II.1.2a evozierende Systemerwähnung als reine Thematisierung des Bezugssystems über Vergleiche und
Metaphorik; das sprachliche System bleibt unangetastet
II.1.2b simulierende Systemerwähnung als Suggestion einer fremdmedialen Erfahrung mit Mitteln der
Sprache; fremdmediale Erfahrungen des Lesers werden damit aktiviert und nutzbar gemacht, das
sprachliche System wird in Ansätzen modifiziert
II.1.2c (teil-)reproduzierende Systemerwähnung als faktische Übernahme medienunspezifischer bzw.
codegleicher Elemente aus einem fremdmedialen System, etwa Genrestrukturen, typische Figurenkonstellationen, Klischees, sprachliche Formen. Auch hier werden fremdmediale Lesererfahrungen nutzbar gemacht und das sprachliche System nach Regeln des Fremdmediums modifiziert
II.2
Systemkontamination als kontinuierlicher Bezug des Textes zu Teilen des Fremdsystems, wobei
ständig die fremdmediale Makroform evoziert wird, in zwei Ausprägungen: qua Translation und
teilaktualisierend
II.2.1
Systemkontamination qua Translation als Kontamination und Dekonstruktion des sprachlichen
Systems mit Strukturen des Fremdmediums
II.2.2
teilaktualisierende Systemkontamination als kontinuierlicher Einbezug medienunspezifischer
bzw. medial deckungsgleicher Elemente des fremdmedialen Systems, das dadurch ständig im Text
(teil-)aktualisiert wird
I
II
Natürlich ist diese systematische Grenzziehung nie so streng analog im Text vorzufinden, die
einzelnen Kategorien überlagern einander oder können als Bestandteile anderer oder als
Hinweise auf andere Kategorien gelesen werden.28 Dennoch können alle erwähnten Kategorien in Orakelveggen nachgewiesen werden; dem wird sich Kapitel 4 widmen.
Eine weitere Schwierigkeit in der Anwendung des recht strikten Schemas, das Rajewsky aufstellt, liegt in einer doppelten Polymedialität begründet. Denn erstens beschränkt
sich Orakelveggen nicht auf intermediale Bezüge zu lediglich einem Fremdmedium; vielmehr
wird eine Vielzahl von fremdmedialen Produkten und Systemen aufgerufen, von Bildender
Kunst über Architektur bis zum Kino, zum Internet, zur analogen wie digitalen Fotografie,
zum Theater und zur klassischen wie populären Musik, wobei sich diese Bezüge häufig aufeinander beziehen lassen und in Abhängigkeit zueinander stehen. Und zweitens ist der Begriff der ‚neuen Medien‘, auf die sich diese Untersuchung besonders konzentrieren will, vor
allem als ein Sammelbegriff für all jene aktuellen medialen Erscheinungsformen zu verstehen, die bisher als distink wahrgenommene Einzelmedien zu digital codierten Mischproduk28
Rajewsky spricht von der Notwendigkeit einer „Markierung“: „so ist vorauszusetzen, dass diese [Referenzen] in irgendeiner Weise als solche und als auf ein bestimmtes mediales Produkt oder System bezogene ausgewiesen, d.h. markiert sind“ (Rajewsky 2002, 200). Neben direkten Markierungen durch Erwähnung
eines medialen Produkts oder Systems ist jedoch auch eine indirekte Variante vorstellbar: indem z.B. eine
intermediale Einzelreferenz als Marker für eine sie begleitende simulierende Systemerwähnung dient,
welche dann wiederum als Hinweis auf systemkontaminierende Elemente im Text gedeutet werden kann.
Ein solcher Fall wird in Kapitel 4.2.3 zur Sprache kommen.
1.3 Methode
7
ten bündeln: der mit dem Internet verbundene Computer vereint Text, Bild und Musik, Zeitung, Radio, Fernsehen und Video, ja auch Rezeptions- und Kommunikationsformen wie
Kunstgalerie, Brief, Telefonat, Videokonferenz im interaktiven und vor allem multimedialen
Interface. Intermediale Bezüge eines Textes auf ein derart vielgestaltiges ‚Medium‘ müssen
notgedrungen eine strenge, an einzelnen und klar umreißbaren Fremdmedien orientierte
Systematik wie die von Rajewsky vorgeschlagene sprengen und teilweise in Frage stellen.
Das Problem dieser doppelt polymedialen Intermedialität, die im Text zu multiplen,
einander beeinflussenden und teils ambivalenten Bezugnahmen, Modifikationen und Kontaminationen des sprachlichen Systems bzw. der narrativen Struktur führen, wird daher
automatisch während der gesamten Untersuchung präsent sein.
1.3 Methode
Um intermediale Bezüge zwischen einem literarischen Text und sogenannten ‚neuen
Medien‘ überhaupt untersuchen zu können, wie es diese Arbeit zum Ziel hat, ist es nötig, die
durchaus schwammige Sammelbezeichnung zu konkretisieren und außerdem festzustellen,
was eigentlich medienspezifische Charakteristika dieser ‚neuen Medien’ sind, wie sie also
strukturell organisiert sind und sich in Aufbau und Wirkungsweise von technischen Vorgängermedien unterscheiden lassen.
Zu diesem Zweck soll theoretisches Werkzeug aus den Medienwissenschaften für die
Romananalyse herangezogen werden. Ein Blick auf die zahlreichen und teils unvereinbaren
Ansätze, Schulen und Schwerpunkte zeigt jedoch schnell, dass hier eine Eingrenzung unabdingbar ist. Eine gute Kategorisierung bietet etwa Stefan Weber in Theorien der Medien von
2003. Er bildet elf Kategorien von Medientheorien, die sich natürlich teils überschneiden.
Neben reinen Techniktheorien wie denen von Kittler und McLuhan und ökonomisch fokussierten Theorien grenzt er folgende Ansätze von einander ab: die Kritische Medientheorie
nach Adorno und Enzensberger, den kulturtheoretischen Ansatz der angloamerikanischen
Cultural Studies, einen zeichentheoretischen Schwerpunkt mit Vertretern wie Saussure und
Peirce, die konstruktivistischen Ansätze von Foerster und Maturana, Luhmanns Systemtheorie der Medien, feministische Theorien aus dem Umfeld der Gender Studies, psychoanalytisch beeinflusste Mediensichten von Lacan bis zu Deleuze und Guattari, und schließlich
poststrukturalistische sowie medienphilosophische Theorien.29 Die beiden letzteren sieht er
als Ausdifferenzierungen „postmoderner Medientheorien“ an, die sich aus philosophischer
Sicht und mit teleologischer Ausrichtung mit der Situation des Medienwechsels beschäftigen, mit Fokus auf Themen wie Virtualität, Computer, Netze, Simulation sowie den Folgen
einer zunehmenden Medialisierung der Welt30 und Veränderungen kultureller Codes, wobei
die Medien, anders als in technikzentrierten Ansätzen, als Ausdruck und Werkzeuge, aber
nicht als Auslöser kultureller Veränderungen verstanden werden.31
Postmoderne Theorien scheinen also dazu geeignet zu sein, für die Intermedialitätsanalyse fruchtbare Definitionen und Interpretationen der ‚neuen Medien‘ und ihrer Wirkungen zu liefern. Außerdem, so Claus Pias in Webers Sammelband, haben „die hier versammel29
Für einen umfassenden Überblick vgl. Weber 2003, 30ff.
Ebd., 33
31
Ebd., 318
30
1.3 Methode
8
ten Theorien allesamt ein gebrochenes Verhältnis zur Theorie“, sie sprechen „von Unmöglichkeiten, nicht von Gewissheiten, sondern von deren Auflösung“.32 Diese Skepsis gegenüber
angeblich objektiven, essentialistisch argumentierenden Theorien rückt sie gleichzeitig in
die Nähe einer Literatur, die von Ungewissheiten, Identitätsproblemen und Realitätsverlust
erzählt wie der Roman Orakelveggen – wobei auch ihre oft essayistische, metaphernreiche
und um Bildlichkeit bemühte Sprache die Grenzen zur Literatur verwischt. Der mit dieser
Arbeit verfolgte Ansatz einer Kopplung von literatur- und medienwissenschaftlichen Werkzeugen kann also auch als Ausdruck eines noch immer recht jungen Trends gesehen werden,
geisteswissenschaftliche Einzeldisziplinen unter dem breiteren Ansatz der ‚Kulturwissenschaften‘ zu bündeln, um so der zunehmenden Durchdringung verschieden medialer Kunstformen zu begegnen.
Innerhalb der Theoriegruppe „Postmoderne Theorien“ sind nun Autoren auszumachen, die sich besonders mit jenen Themen beschäftigen, die der Roman anschneidet, und
die gleichzeitig bestimmte mediale Erscheinungsformen begründet unter den schwierigen
Begriff der ‚neuen Medien‘ subsumieren: technische Bilder und ihre Illusionskraft, Internet
und Computer und ihre Verdrängung von Realität sowie den damit einhergehenden Verlust
von sicherem Lebensgefühl. Drei dieser Autoren sollen zur Analyse des Romans herangezogen werden: erstens Vilém Flusser mit seinen Gedanken zur telematischen Gesellschaft, zum
Codewechsel von der Schrift zum Technobild und dessen Wechselwirkungen mit kulturellen
Programmen; zweitens Jean Baudrillard mit seiner These, dass ein ‚Außerhalb‘ von Medien
nicht mehr festzumachen sei, dass die Realität hinter ihren Simulationsformen verschwinde
und daraus eine radikale Unsicherheit als neues Lebensgefühl resultiere; und drittens Paul
Virilio, der das Hauptmerkmal ‚neuer Medien‘ in ihrer Beschleunigung hin zur EchtzeitVermittlung und einem damit einhergehenden Verschwinden von Raum- zugunsten von
Zeiterfahrung sieht, sowie die Medienentwicklung als strukturell verflochten mit Krieg und
Kriegstechnik analysiert.
Natürlich ist diese Auswahl, wie Stefan Weber für jedes Arbeiten mit Medientheorien
bemerkt, notgedrungen „optional, [...] weil die Wahl einer anderen Theorie [...] grundsätzlich
immer möglich ist [...], und situativ, weil die Entscheidung für eine Theorie untrennbar mit
forschungspragmatischen Aspekten verbunden ist“.33 Letzteres spricht im Fall dieser Arbeit
aber eher für eine solche Auswahl, denn die Theorien, so Claus Pias,
beschäftig[en] sich mit den Poetologien oder Präsentationsformen des Wissens, seiner Inszenierung
in Karten oder Listen, Diagrammen oder Bildern, Computernetzen oder Enzyklopädien, literarischen Texten oder wissenschaftlichen Protokollen, deren Besonderheit medialen Bedingungen unterliegt.34
Weitere Unterstützung erfährt die Auswahl der drei Theoretiker durch Heinz Brüggemann, der im Rahmen seines Aufsatzes über „Literatur und mediale Wahrnehmung in kulturwissenschaftlicher Perspektive“ über die Auswirkungen des ‚pictorial turn‘35 äußert:
32
Ebd., 277
Ebd., 333f.
34
Ebd., 289
35
Ein Terminus des Bildtheoretikers W.J.T. Mitchell (1994, 41). Ebenfalls gebräuchlich ist die deutsche Variante „ikonische Wende“; dieser Begriff stammt von Gottfried Boehm (1994, 13).
33
2 Material
9
Die neuen technischen Möglichkeiten (der Fotographie, des Films, des Fernsehens, von Video, Computer und Neuen Medien) haben die Verbreitung und die Verfestigung dieser Strukturen [einer visualisierten Gesellschaft; Anm. d. Autors] erheblich beschleunigt. An die Stelle der ‚Bilder in der
Welt‘ scheint die ‚Welt im Bild‘, die Welt als Bild getreten (so früh schon Günther Anders, seitdem
weit radikaler vorgetragen und verallgemeinert von Baudrillard, Virilio, Flusser); das Universum
der technischen Bilder hat uns immer schon eingeholt.36
Unter dieser Prämisse bietet sich die Einbeziehung von Medientheorien in die Intermedialitätsanalyse von Literatur geradezu zwingend an. Nicht nur bietet sich so die Möglichkeit (wie Zima es fordert, wenn auch eingegrenzt auf den „Vergleich verschiedener
Kunstformen“),37 Zusammenhänge auf abstrakten Ebenen von Struktur, Code oder innerer
(Dis)kontinuität, auf einzelwissenschaftlicher Basis mit den Werkzeugen der jeweiligen Disziplinen zu verknüpfen und an Einzelbeispielen zu belegen.38 Zudem liegt, wie Irina Rajewsky
feststellt, eines der Erkenntnisziele im Bereich intermedialer Bezüge in der Literatur gerade
darin festzustellen, wie ein Text mit Hilfe fremdmedialer Bezüge metafiktional wird, sich
selbst als Text in Abgrenzung zu anderen Medien reflektiert,39 und so auch poetologische
Aussagen trifft über das (Roman-)Schreiben im und über das Zeitalter technischer (Bild-)
Medien – „der Haken an der Sache ist“, wie Vilém Flusser in der Einleitung zu Die Schrift
bemerkt, „daß ein solches Buch eben ein Buch“ ist.40 Die bewusste Wahl der Romanform und
der Umgang mit dem „intermedial gap“41 werden so zum Gegenstand der Untersuchungen.
2
Material
Dieses Kapitel soll zunächst dazu dienen, den Gegenstand der Untersuchung, Erik Honorés Roman Orakelveggen, und das theoretische Analysewerkzeug, die Medientheorien von
Vilém Flusser, Jean Baudrillard und Paul Virilio, getrennt voneinander vorzustellen. Erst in
den folgenden Kapiteln sollen beide, Gegenstand und Theorien, zusammengeführt werden.
2.1 Der Roman
Orakelveggen erschien im Herbst 2002 im Gyldendal Norsk Forlag. Es ist der Debutroman von Erik Honoré, der sich bis dahin vor allem als Musiker und Produzent hervorgetan
hatte. So gab er etwa im Jahr 2000 zusammen mit Christian Wallumrød, Arve Henriksen und
Jan Bang die CD Birth Wish heraus, für die er selbst elektronische Klänge beisteuerte und die
er bei Pan M Records verlegte, der norwegischen Vertretung des Labels BMG, deren Leiter er
ist. Außerdem arbeitet er an Soundlösungen für das Internet.
Vor diesem Hintergrund lassen sich die zentralen Themen des Romans, Internet und
digitale Bilder, Popkultur und -musik, durchaus mit der Biographie des Autors erklären, auch
wenn sie natürlich allgemeine Aktualität besitzen. Ein kurzer Überblick über die Roman36
Brüggemann 2000, 22f.
Zima 1995, 20
38
Vgl. hierzu Zima 1995, 20ff.
39
Rajewsky 2002, 153
40
Flusser 1989, 8
41
D.h. der unüberbrückbaren Verschiedenheit verschiedener medialer Systeme (Rajewsky 2002, 70).
37
2.1 Der Roman
10
handlung soll einen Einblick geben, wie Honoré die Themen umsetzt. Es sei jedoch gleich auf
ein Problem hingewiesen: von der Haupt-‚Story‘ zweigen so viele Handlungslinien ab, dass
sie in ihrer eng miteinander verwobenen Struktur nicht alle genannt werden können. Die
meisten dieser ‚Wucherungen‘ werden jedoch bei der Romananalyse zur Sprache kommen.
Der zentrale Erzähler im Roman ist der Ermittler David Malm, der zusammen mit dem
verurteilten jugendlichen Hacker Peach pädophile Verbrecher im Internet aufstöbert. Bei
der routinemäßigen Überwachung verdächtiger Chatrooms stoßen sie auf ein Gespräch zwischen den Teilnehmern <magician> und <webchild>,42 das nach dem typischen Muster ‚älterer Mann bedrängt minderjähriges Mädchen‘ abzulaufen scheint. Bei Nachforschungen stoßen David und Peach jedoch auf die Tatsache, dass <webchild> eine äußerst kunstvoll
konstruierte Web-Persönlichkeit ist - keineswegs das unschuldige Mädchen, als das sie auftritt, sondern ein Experiment der Musikproduzentin und Webdesignerin Marie Kammer.
Sowohl David als auch Peach sind fasziniert von der digitalen Kunstperson; den Ermittler
erinnert sie an eine tragische Jugendliebe, Peach an seine drogenabhängige Schwester. Für
beide hat diese Faszination fatale Folgen: Peach ‚kapert‘ die <webchild>-Identität und startet
eine (allerdings von vornherein zum Scheitern verurteilte) Kombination aus Racheaktion
gegen die von ihm verabscheuten Pädophilie-Verdächtigen, und dem parallelen Versuch, im
Netz eine Idealwelt für seine Schwester zu erschaffen, welche er zunehmend in die <webchild>-Figur projiziert. David hingegen lässt sich bei seinen Nachforschungen so sehr von
Kindheitserinnerungen, Gedanken an seine gescheiterte Ehe und eine irrationale Liebe zu
<webchild> hinreißen, dass er seinerseits die <magician>-Identität kapert, um mit <webchild>
in Kontakt zu treten. Beide, Peach und David, verlieren also zunehmend die Fähigkeit, zwischen realer und virtueller Welt zu unterscheiden. In einem dramatischen Finale verwickeln
sich die Ereignisse ebenso wie die realen und virtuellen Identitäten: Peach ermordet den
Mann hinter der <magician>-Maske, einen gealterten Illusionskünstler. Außerdem beschuldigt er David der Pädophilie und will ihn in seine Racheaktion mit einbeziehen. David ist
weiterhin davon überzeugt, dass Marie Kammer die Triebkraft hinter <webchild> ist und
schlägt sie in einem Gewaltausbruch krankenhausreif; seine Karriere scheint besiegelt und
seine Freiheit in Gefahr. Peach erleidet wegen Übermüdung und einer Überdosis Drogen
einen Zusammenbruch und wird ebenfalls ins Krankenhaus eingeliefert. In dieser Schwebesituation ist die Erzählung aufgehängt: David beschreibt, wie er im Wartezimmer sitzt und die
Ereignisse bis hierher in sein Notebook tippt, fremde Texte und Protokolldateien der Chats
einfügt. Am Ende jedoch lässt Peach Gnade walten: er ruft die digitale Racheaktion, ein von
ihm erstelltes Virus-Programm, zurück, löscht alle belastenden Dateien und verschwindet.
David sieht sich wie durch ein Wunder als freier Mann.
Die zentrale ‚Story‘ hat eine für das Drama typische Spannungsstruktur: Konflikte bauen sich auf, kulminieren samt Peripetie in einem ausweglos scheinenden Höhepunkt, und
eine Art Deus ex machina löst den Knoten mit einem Schlag auf. Trotzdem ist die Handlung,
die gerade am Anfang auch klassische Krimi- oder Detektivgeschichten-Züge trägt, durch
Nebenhandlungen, Reflektionen des Erzählers, das Eindringen ‚fremder‘ Texte und das Einziehen von Metaebenen gebrochen. Einige der Nebenstränge erzählen vom Kriegsgeschehen
42
Die Einrückung der online-Benutzernamen in spitze Klammern entspricht der gängigen Praxis in
Chatrooms und wird aus der Typographie des Romans übernommen – auch um die Konstruiertheit der
online-Charaktere zu betonen.
2.2 Die Medientheoretiker
11
in einem fiktiven Balkan-Land namens Monterbia; von der Vermarktung des norwegischen
Teenager-Superstars Christina Carrera; von Davids Jugendliebe, der halb italienischen und
fotografieversessenen Emilia Rizzuti; von seiner Ex-Frau Liv und ihren gemeinsamen Reisen
nach Silicon Valley und nach Bhaktapur in Nepal; von Peachs Nebentätigkeit als DJ. Außerdem werden die drei Hauptteile des Romans, die nach den Trojaner-Programmen benannt
sind, mit denen Peach seine Weltverbesserungs-Kampagne, seinen Rachefeldzug sowie dessen Rücknahme bewerkstelligt, von einem Prolog und einem Epilog gerahmt, deren Hauptfigur der glücklose Erfinder der Fotografie, Joseph Niépce, ist. Der Prolog beschreibt die Aufnahme des allerersten Fotos im Paris des Jahres 1827 im Beisein von Louis Daguerre, der die
Erfindung später allein vermarktete. Der Epilog ist eine schwebende, keiner bestimmten Zeit
zugeordnete, deutlich fiktive und ohne eine sichere Erzählerinstanz vermittelte Beschreibung Niépces, der mit seinem neunjährigen Sohn an der Seine spazieren geht. All diese Nebenhandlungen sind sowohl motivisch, inhaltlich und strukturell miteinander verwoben;
wie das umgesetzt ist und auf welche Weise es sich als Einbezug intermedialer Strategien im
Bezug auf ‚neue Medien‘ deuten lässt, wird vor allem in Kapitel 4 zu zeigen sein.
2.2 Die Medientheoretiker
Nachdem der Gegenstand der Untersuchung, der Roman Orakelveggen, in den Grundzügen vorgestellt wurde, soll es nun darum gehen, kurz die wichtigsten Aspekte der einzelnen Medientheorien zu beleuchten, die bei der Analyse des Romans helfen sollen. Nach
Einblicken in Aufbau und zentrale Thesen der einzelnen Theoriegebäude von Vilém Flusser,
Jean Baudrillard und Paul Virilio soll versucht werden, gemeinsame Argumentationslinien,
aber auch gegensätzliche Standpunkte zu benennen, die eine Anwendung auf Themen und
Aufbau des Romans Orakelveggen als sinnvoll erscheinen lassen. Außerdem soll dieser Blick
auf die Theorien konkretisieren helfen, was hier unter ‚neuen Medien‘ verstanden wird.
2.2.1 Vilém Flusser: Das Universum der technischen Bilder
Vilém Flusser wurde 1920 in Prag geboren, lehrte Kommunikationsphilosophie an der
Universität in São Paulo und starb 1991. Sein erstes Buch, Die Geschichte des Teufels,43 wurde
wie die meisten folgenden auf deutsch geschrieben; die sprachbewusste Terminologie ist also
nicht durch eine Übersetzung verunklärt. Hier entwirft Flusser anhand der sieben Todsünden eine (Geistes-)Geschichte des menschlichen Fortschritts, der Technik, Ökonomie, Kunst,
Wissenschaft und der sie tragenden Medien. Dieser eher literarisch-essayistische als wissenschaftliche Text legt in Themen und Stil die Grundlagen für die späteren Veröffentlichungen,
aufgrund derer Flusser oft mit dem Etikett ‚Medienphilosoph‘ versehen wird.44
1983 folgte Für eine Philosophie der Fotografie. In dem schmalen Band entwickelt Flusser erste Grundzüge einer Theorie des technischen Bildes und seiner Unterschiede zu herkömmlichen Bildern sowie zum Schriftcode. Er stellt die Entwicklung der Medien als eine
zunehmende Abstraktion von der Realität dar:45 ist die medial unvermittelte Lebenswelt
43
Es erschien 1965 unter dem Titel „A história do diabo“ in São Paulo, und posthum 1993 in Deutschland.
Z.B. durch Weber 2003
45
Siehe zu diesem Abstraktionsprozess vor allem Flusser 1988
44
2.2.1 Vilém Flusser: Das Universum der technischen Bilder
12
noch eine vierdimensionale Einheit von Raum und Zeit, so stellen frühe Bilder eine erste
Abstraktion in zweidimensionale, konnotative Symbole dar. Diese Bilder vermitteln zwar
zwischen Welt und Mensch, verstellen aber auch den direkten Blick auf die Realität. So
kommt es, wie Flusser es für jede Medienstufe nachweist, zu einem Feedback zwischen dem
Mediencode, seinem Gebrauch und dem Weltverständnis des Menschen, der ihn benutzt. Das
von frühen Bildern geprägte Lebensgefühl ist laut Flusser ein „magisches“, da die Welt nun
wie ein Bild gelesen wird, mit auf der Oberfläche kreisendem Blick, Bedeutungsräume und –
zeiten konstruierend. Die Lebenswelt besteht dabei aus einem ununterbrochenen Kreislauf
von Entstehen und Vergehen ohne Entwicklung, wobei bildliche Repräsentation und das,
was sie „bedeutet“, sich wechselseitig beeinflussen: „Diese dem Bild eigene Raumzeit ist
nichts anderes als die Welt der Magie, [...] in der sich alles wiederholt und in der alles an einem bedeutungsvollen Kontext teilnimmt. […] In der magischen Welt bedeutet der Sonnenaufgang das Krähen des Hahns und das Krähen den Sonnenaufgang.“46
Die Erfindung der Schrift beschreibt Flusser als Erfindung eines Metacodes, der die Flächen der Bilder zu (Buchstaben-)Reihen umcodiert und also sowohl eine weitere Dimension
ärmer als auch eine Stufe abstrakter ist. Auch das Medium Schrift hat Auswirkungen auf
Denken und Weltverständnis: laut Flusser überwindet es das magische, von Kreisen und Zirkeln geprägte Denken zugunsten des historischen Welt- und Zeitverständnisses. So macht
die Schrift eine Geschichtsschreibung sowie die Ausbildung von Wissenschaften möglich, die
auf kausalen Schlüssen basieren; es entstehen Staatengebilde, Hierarchien, Technologie.
In einem weiteren medienevolutiven Schritt löst schließlich das technische Bild die
Schrift ab;47 dieser Bruch beginnt laut Flusser mit der Erfindung der Fotografie und dauert
bis in die heutige Zeit fort. Neu an den technischen Bildern ist, dass sie eine Objektivität vorgaukeln, die sie gar nicht besitzen, und dass sie erstmals in Apparaten konstituiert werden,
also nicht mehr „Abbilder“ von menschlichen Vorstellungen, sondern von ApparatFunktionen und Programm-Modellen sind. So wie Texte eine ikonoklastische Tendenz hatten, sind die neuen Bilder gegen eine „Textolatrie“ engagiert:48 sie zielen auf Verewigung
und wirken daher, so Flusser, als „Staudämme“ für Geschichte,49 die zuvor in der Prozessierung durch lineare Texte frei geflossen war.
In dieser Umbruchphase erkennt Flusser einige Gefahren, die von der unangemessenen Reaktion auf den neuen Code ausgehen. Zum einen müssten die Menschen erst lernen,
die neuen Bilder nicht wie die alten, also magisch zu lesen: als bedeutungsgeladene Symbole
mit Weltbezug, als objektive Abbilder von Realität. Vielmehr stellten Fotos „transcodierte
Begriffe dar, die vorgeben, sich automatisch aus der Welt her auf der Fläche abgebildet zu
haben“.50 Daher seien technische Bilder noch abstrakter als Texte, sie seien aus Körnern zusammengesetzt,51 die nach den Möglichkeiten der Apparate „gerafft“ und nach Belieben
46
Flusser 1983, 9
Zum Medienwechsel hin zum technischen Bild hat Flusser einen ‚Abgesang‘ auf das lineare Medium, Die
Schrift, verfasst, der sich auch mit neuen Textformen und Hybriden wie Drehbüchern, Skripten und Computer-Programmiersprache beschäftigt und daher für die Untersuchung des Romans Orakelveggen ebenfalls von Bedeutung ist (s. Flusser1989).
48
Flusser 1983, 12 u. 16
49
Ebd., 18
50
Ebd., 41. Der Begriff der „Heliographie“ für frühe Fotografien ist auch von dieser Vorstellung geprägt.
51
Die Pixel des digitalen Bildes meint er dabei ebenso wie die Reaktion von Photonen auf Silbernitratmoleküle bei der Fotografie (s. Flusser 1999, 21).
47
2.2.1 Vilém Flusser: Das Universum der technischen Bilder
13
komputiert (zusammengesetzt) werden können.52 Der Mensch wird daher zu einem „Apparat-Sklaven“,53 der nur die in den Apparaten angelegten Programme verwirklichen kann und
darf, und das technische Bild zum medialen Abbild einer quantischen, zertrümmerten Realitätserfahrung. Die Unfreiheit des Menschen und seine Abhängigkeit von sozialen, neuronalen, genetischen und anderen Prozessen, die die modernen Wissenschaften beschreiben und
die sich dem Einfluss des Einzelnen entziehen, hat ihre Parallele in seiner Funktion als reiner
Verwirklicher von Apparat-Programmen. Geschieht dies auf unreflektierte Weise, so Flusser,
führt das zu einer durch Apparate programmierten Massen-Einheits-Kultur, einer Automatisierung von Wahrnehmung und zu Redundanz- statt Informationserzeugung.54 Der Ausweg
sei, so Flusser, die Apparate entgegen ihrer Programme zu benutzen, der programmierten
Redundanz den menschlichen Drang nach Information entgegen zu setzen – oder sich den
Apparaten und ihrer programmierenden Absicht zu verweigern.55
Diese Ideen führt Flusser in seinem Hauptwerk Ins Universum der technischen Bilder
von 198556 konsequent weiter und ergänzt sie durch einen visionären Anteil, der sich in der
Prognose einer möglichen Zukunft versucht, wie sie aus dem Medienwechsel hin zum technischen Bild entstehen könnte. Der Titel bezieht sich wohl bewusst auf Marshall McLuhans
Formulierung von der „Gutenberg-Galaxis“,57 jenes Schriftuniversum also, das nun durch
eines ersetzt wird, in dem Apparat-Bilder das vorherrschende Medium darstellen. Flusser
erweitert hier den Begriff des technischen Bildes vom Foto auf digitale, filmische und Fernseh-Bilder, die die Abstraktion des linearen, eindimensionalen Schriftcodes zu einem nulldimensionalen Punktcode (Pixelcode) deutlich zeigen. Diese Pixel sind, und das ist das revolutionär Neue an den technischen Bildern, komputierbar, also mit Hilfe von Apparaten zu
neuen Bildern zusammensetzbar. Dies sei „nichts anderes als eine technische Anwendung
der theoretischen Erkenntnis, dass alle Informationen aus Komputationen von Informationsbits entstehen“.58 Die Bilder hören dann auf, Dinge in der Welt zu bedeuten oder abzubilden: sie schaffen ein autarkes (Bild-)Universum, werden zu Abbildern von Apparat-Prozessen
und sind nur „scheinbar“: erst im Auge des Betrachters verbinden sich die Punkte zu einer
„bedeutsamen Fläche“. Daher liest der die neuen Bilder meist noch „magisch“, nicht als Konkretisierung von Kalkulationsprozessen und Programmen.59
Die „neuen Bildermacher“, Programmierer und Komputierer, nennt Flusser „Einbild60
ner“. In seiner Utopie einer zukünftigen Gesellschaft sind die Einbildner miteinander in
dialogischen Netzen verbunden und kommunizieren mit Hilfe des Codes der technischen
Bilder, die sie am Computer erzeugen, verschicken, verändern und weiterschicken. So entstehen Bilder nur noch als Reaktion auf andere Bilder und nicht mehr auf eine externe Welt.
Das führt laut Flusser (wie bei jedem bisherigen Medienwechsel) zu einer Veränderung von
Denkweise und Wahrnehmung: die Welt verliert an Bedeutung, es macht keinen Sinn mehr,
zwischen ‚real‘ und ‚simuliert‘/‚komputiert‘ zu unterscheiden, alles wird in Bilder verwan52
Flusser 1999, 20
Flusser 1983, 53
54
Ebd., 18, 64 und 42
55
Vgl. ebd., 72ff.
56
Die hier verwendete Ausgabe ist die der Edition Flusser von European Photography, Göttingen 1999.
57
McLuhan 1962
58
Flusser 1999, 111
59
Flusser 1983, 13-15
60
Flusser 1999, 25
53
2.2.2 Jean Baudrillard: Realität ist Simulation
14
delt, und jedes Handeln richtet sich an Bildern aus und auf Bilder. Damit hört das traditionelle Konzept von ‚Geschichte‘, verstanden als menschliches Engagement an der Welt und den
Lebensumständen, auf.
Auch hier nennt Flusser Gefahren. Sollten die Kommunikationsnetze nicht allesamt dialogisch geschaltet werden, sondern (wie heute in Rundfunk, Fernsehen, Kino, Presse und
den meisten Internet-Inhalten noch üblich) die Menschen zu Empfängern zentral gesendeter
Information degradieren, würde keine Freiheit und Verantwortung im Umgang mit den neuen Bildern entstehen, sondern eine lediglich auf Zerstreuung ausgerichtete, „zerkörnte“
Massenkultur,61 bestehend aus Individuen, die durch zunehmenden Ich-Verlust in Folge ihrer passiven Haltung zur Welt sowie zu den technischen Bildern geprägt sind. Flusser
wünscht sich daher statt einer diskursiven (Informationen weitergebenden) eine dialogische
(Informationen erzeugende) Gesellschaft.62 Im utopisch gehaltenen Schlussteil entwirft er
eine solche Gesellschaft aus spielerisch Bilder erzeugenden Individuen: eine Struktur, die der
eines „träumenden kosmischen Hirns“ ähnelt,63 das stetig aus sich selbst heraus neue (in
Bilder codierte) Informationen synthetisiert. Der menschliche Körper würde dann an Bedeutung verlieren, und mit ihm jede Vorstellung von Geschichte, von Handeln in und an der
Welt: „Die Wissenschaft, Technik, Politik (kurz: Geschichte) werden sich so verändern, dass
sie diese Namen nicht mehr verdienen. Sie werden dem Spiel der Einbildungskraft dienen“.64
Die Themenfelder, die im Zusammenhang mit der Analyse von Orakelveggen hilfreich
und erhellend erscheinen, sind vor allem Flussers Gedanken zur Codestruktur der technischen Bilder sowie ihrer Auswirkungen als ‚neues Medium‘ auf Wahrnehmung und Weltsicht
der Menschen, die sie benutzen. Die Personen des Romans wie auch der ganze Text selbst
lassen sich unter dem Gesichtspunkt einer ‚Medienkonkurrenz‘ zwischen Schrift und technischem Bild untersuchen, und mit eben dieser Konkurrenz- oder Umbruch-Situation dürften
sich zahlreiche Konflikte auf inhaltlicher sowie Brüche auf struktureller Ebene erklären lassen. Ein kritischer Blick auf das utopische Moment in Flussers Sicht der neuen Technologien
kann zudem ebenso hilfreich sein wie seine Gedanken zur Veränderung von Charakter und
sozialem Leben durch ‚neue Medien‘ sowie seine Überlegungen zum Verwischen der Grenzen zwischen Fiktion, Realität und Traum – ein Thema, das sich ebenfalls auf der inhaltlichen
Ebene des Romans, in seinen Figurenkonstellationen wie auch auf metaphorischer, erzählerischer und struktureller Ebene widergespiegelt findet.
2.2.2 Jean Baudrillard: Realität ist Simulation
Wo Flussers Texte trotz seines breiten Zugangs zum Thema Medien und der essayistischen Sprache immer eine präzise Argumentationsstruktur behalten, präsentiert Jean
Baudrillard seine Gedanken eher als heterogene Mischung assoziativ miteinander verknüpfter Theoriefragmente, die der Leser selbst zu einem stimmigen Bild fügen muss – damit erscheint auch Baudrillard als sprachbewusster Schreiber, der die Grundzüge seiner Gedanken
zu Fragmentierung, Atomisierung und chaotischen Prozessen formal spiegelt.
61
Ebd., 68
Ebd., 90
63
Ebd., 137
64
Ebd., 149
62
2.2.2 Jean Baudrillard: Realität ist Simulation
15
Baudrillard wurde 1929 in Reims geboren und hatte bis 1986 eine Professur für Soziologie an der Universität Paris-Nanterre inne. 17 Bücher sowie zahlreiche Aufsätze und Vorträge machen sein Werk deutlich umfangreicher als das Flussers, weshalb sich hier nur auf
eine einigermaßen repräsentative Textauswahl bezogen wird. Zentrale Aussagen sollen nun
nachvollzogen und ihre Relevanz für die Analyse von Orakelveggen geprüft werden.
Agonie des Realen ist der Titel einer Aufsatzsammlung Baudrillards aus den Jahren
1977/1978. Hier entwirft er Grundzüge seiner Theorie und führt eine besondere Terminologie ein, mit der er vor allem die Natur der Simulation beschreibt. Ganz ähnlich wie Flusser
und Virilio nimmt auch Baudrillard an, dass Simulationen (gemeint sind alle Arten technischer Bilder) nicht Realität abbilden, sondern sie erzeugen. Diese simulierte Realität (man
könnte auch von ‚Medienrealität‘ sprechen) hat allerdings bestimmte Eigenschaften, die sie
von der unvermittelten Realität unterscheidet: sie ist referenzlos, sie bildet keine äußeren
Phänomene ab, sie ist steuerbar und reproduzierbar; Baudrillard spricht daher von „Hyperrealität“.65 Diese besteht aus „Simulakra“, künstlichen Bildern, die eine neue Form von Bildlichkeit darstellen: sie kreisen um sich selbst, lassen sich niemals „gegen das Reale austauschen“66 und sind daher das Gegenteil von Repräsentationen. Baudrillard deutet dies als das
letzte Stadium einer Bilderentwicklung, die sich in gewissem Sinne parallel zu Flussers Medienevolution lesen lässt. Im ersten Stadium ist das Bild der „Reflex einer tieferliegenden
Realität“ und gehört zur „Ordnung des Sakraments“. Im zweiten Stadium „maskiert und denaturiert“ es die Realität, im dritten maskiert es die Abwesenheit einer solchen; beides gehört zur Ordnung von Magie, Zauberei und Illusion. Im vierten Stadium schließlich verweist
das Bild „auf keine Realität: es ist sein eigenes Simulakrum“.67 Dieses schrittweise Verschwinden der Realität hinter den Zeichen hat laut Baudrillard den Effekt, dass durch die
Verdopplung der Welt in der Hyperrealität die Realität selbst zunehmend als irreal erscheint. Mehr noch: die Simulationen beginnen, authentischer zu erscheinen als das Original: ‚Realität‘ wird als Illusion demaskiert, als Konstruktion des menschlichen Wahrnehmungsapparates nach Parametern des vorherrschenden Codesystems.
Gleichzeitig lassen sich Realität und Simulation nicht mehr getrennt von einander beobachten, da sie vor allem in den Medien (der medial vermittelten Realität) untrennbar vermengt werden: jedes mediale Bild enthält Bestandteile von Simulation, gleichzeitig ist jede
Simulation mit einigen Aspekten in der realen Erfahrungswelt verankert. Diesen „Kampf
zwischen Realität und Simulation“68 verdeutlicht Baudrillard beispielhaft an den Feldern
Macht und Politik, die ihr Handeln zunehmend an medialen Erfordernissen ausrichten, es
also auf Simulation statt auf reale Situationen gründen, gleichzeitig jedoch versuchen, „immer wieder und überall neue Formen des Realen und Referentiale“ zu injizieren69 – am liebsten in Form von Krisen-Diskursen. Darin sieht er eine zentrale Umwertung, die sich auch auf
andere Bereiche, etwa Kunst, Arbeit, Liebe usw. beziehen ließe:
65
Baudrillard 1978, 8
Ebd., 14
67
Ebd., 15
68
Ebd., 38
69
Ebd., 39
66
2.2.2 Jean Baudrillard: Realität ist Simulation
16
Solange vom Realen eine historische Bedrohung ausging, hat die Macht Dissuasion und Simulation
gespielt und alle Widersprüche mit Hilfe der Produktion äquivalenter Zeichen aufgelöst. Heute, wo
die Bedrohung von der Simulation ausgeht (eine Bedrohung, im Spiel der Zeichen zu verdunsten),
bringt die Macht das Reale und die Krise ins Spiel und erzeugt dabei fortwährend künstliche, soziale, ökonomische und politische Einsätze. Die Macht spielt um ihr Leben, doch es ist bereits zu spät.70
Zu spät deshalb, weil jede „Injektion“ von Realität in die Simulation diese Realität verdoppelt und gleichzeitig vernichtet, also „kurzschließt“ und wiederum zu einem Simulakrum werden lässt. Als Beispiel nennt Baudrillard das sogenannte „Reality TV“, wobei
schon der Begriff Unklarheit darüber verbreite, ob er „Realitäts-Fernsehen“ meint oder
vielmehr „Fernseh-Realität“. Baudrillard behauptet, er meine beides zugleich: Realität und
mediale Vermittlung lösen sich untrennbar ineinander auf, ebenso wie vormalige Gegensatzpaare wie Ursache und Wirkung, aktiv und passiv, Sender und Empfänger.71
In dieser kurzen Zusammenfassung wird schon deutlich, dass Baudrillard stark abstrahieren, in manchmal sogar zweifelhaftem Maße. Trotzdem sind sie konkret bei der Analyse
von Orakelveggen zu gebrauchen. Denn das, was der Theoretiker als symptomatisch vor allem für das Fernsehen beschreibt, ist erst recht auf ein potenziell dialogisches, multimediales
und nicht kontrollierbares Medium wie das Internet anwendbar und trifft daher den Kern
des Romans: die Schwierigkeit bzw. Unmöglichkeit, noch zwischen Realität und Simulation
zu unterscheiden, sei es im Fall des lediglich medial vermittelten Monterbia-Krieges, sei es in
Bezug auf von Peach gefälschte Website-Artikel, auf die Identität von <webchild> oder des
Teenager-Stars Christina Carrera. Auch auf der Ebene der Erzählstruktur setzt sich dies fort:
lange bleibt die Erzählerfigur hinter bestimmten Abschnitten nicht identifizierbar, Geträumtes und Erlebtes verschwimmen, und den Epilog kann man als eine Art ‚textliche Simulation‘,
eine intermediale Übertragung der Struktur neuer Medien auf die der Literatur lesen: Fakten
und Fiktion sind untrennbar vermischt, der Erzähler ist ebenso verschwunden wie der Adressat, die Realitätsebenen fließen zusammen zu einem „schwerelosen Nebel“.72
Agonie des Realen enthält Baudrillards zentrale Thesen, die er in den folgenden Büchern ausweitet, ergänzt und von verschiedenen Seiten beleuchtet. Von den übrigen verwendeten Werken soll daher nur noch vorgestellt werden, was bei der Analyse von Orakelveggen Verwendung finden wird.
Im Aufsatz Videowelt und fraktales Subjekt73 entwickelt Baudrillard Gedanken zu zerbrochener (fraktaler) Weltsicht, Lebensgefühl und Identität im Zeitalter technischer Medien.
Das Subjekt werde durch die Medien von sich entfremdet, in einer Steigerung der These McLuhans, dass Medien Prothesen seien, also Erweiterungen des menschlichen Körpers:
Baudrillard sieht die Gefahr, dass der Mensch zu einer Prothese seiner Apparate zu werden
droht – dies entspricht Flussers Begriff der „Funktionäre“, der Apparat-Bediener. Einen für
die Romananalyse sehr nützlichen Abschnitt widmet Baudrillard der These, dass die ZoomTechnik und Oberflächlichkeit künstlicher digitaler Bilder in ihrer Struktur pornographische
Züge tragen, und äußert sich über die Natur von ‚Cyber-Sex‘. Ein weiterer wichtiger Abschnitt beschäftigt sich mit dem Fotoapparat als „magisches Instrument des entpersonali70
Ebd., 40
Ebd., 46ff.
72
Ebd., 38
73
Baudrillard 1989, basierend auf einem Vortrag, den er am 14. September 1988 auf dem Symposion Philosophien der neuen Technologie in Linz hielt; zu den Referenten gehörte auch Vilém Flusser.
71
2.2.2 Jean Baudrillard: Realität ist Simulation
17
sierten Sehens“,74 eine These, die gut an Flusser und Virilio anschließbar ist und für die Analyse von Davids Jugendliebe zu Emilia und ihrer Fotografie-Besessenheit geeignet ist, ebenso
wie für einen Blick auf den gesamten im Roman angelegten Fotografie-Diskurs.
Die Illusion des Endes oder Der Streik der Ereignisse (1994 auf deutsch erschienen)
setzt einen etwas anderen Schwerpunkt. Baudrillard entwickelt darin, ausgehend von seinen
Gedanken zur Simulation, die Theorie vom Verschwinden der Geschichte durch ihre mediale
Aufbereitung in Echtzeit. Genau wie die Realität durch die Simulation ersetzt und vernichtet
wird, lassen technische (Bild-)Medien durch eine immer schnellere Prozessierung von Ereignissen die kausale Chronologie verschwinden: statt ‚Geschichte‘ scheinen sich nur noch voneinander unabhängige ‚Geschichten‘ zu ereignen, die endlos in sich selbst kreisen und so
stetig Unsicherheit und damit Bedarf an neuen Geschichten erzeugen.75 Die Geschichte verliert den Glauben an ein (wenn auch utopisches) Ende, von dem aus sie sich definieren könnte, fällt in sich zusammen und kehrt sich um.76 In der Postmoderne wird sie in Form von Dokumentationen, Kinofilmen, Zitaten usw. ständig bildhaft recycelt – in diesem andauernden
Revisionismus hat Geschichte dann keine Zeit mehr, noch stattzufinden. Statt kausaler, historischer Verknüpfung wird die Geschichte nunmehr in ihrer wahllosen Vergegenwärtigung
und Anreicherung mit fiktivem Material variabel und immer neu schreibbar.
Für den Menschen haben diese Mechanismen Folgen. Er wird durch die Medialisierung
des Lebens und der Erfahrungswelt zu einem interaktiven Teilchen, das zwar unter ständigem Stress nach Selbstverwirklichung und -perfektionierung strebt, aber dennoch gleichgültig gegenüber fast allem wird: der Zeit, die sich in Echtzeit auflöst, dem Raum, der nur noch
medial vermittelt erfahren wird, dem eigenen Körper, da sich Persönlichkeit interaktiv und
virtuell konstituiert. Dieser Verlust von räumlichen, zeitlichen und geschichtlichen Parametern spiegelt sich in Orakelveggen in der Figur Peach, aber auch in der Entwicklung des Erzählers David und ebenfalls in der zunehmend zerfallenden Erzählstruktur des Romans.
Die Folgen der Auflösung von Realität zugunsten der Simulation beschreibt Baudrillard
in Der unmögliche Tausch (auf deutsch 2000 erschienen). Durch die Unsicherheit allem gegenüber, durch die freie Gestaltbarkeit von Realität in der Simulation, macht Baudrillard ein
„katastrophisches“ Lebensgefühl der heutigen Zeit aus, was sich deutlich in der Schilderung
der inneren Gedankenwelt des Roman-Erzählers David äußert. Baudrillard verwendet hier
den aus der Teilchenphysik entlehnten Begriff der Unschärfe, der sich auf viele Lebens- und
Erfahrungsbereiche anwenden lässt, in denen Definitionen, Abgrenzungen und Ordnungen
sich nicht mehr treffen lassen. Auf formaler Ebene wird das im Roman an der Erzählhaltung
deutlich. Die eigentliche ‚Story‘ gerät immer mehr aus dem Fokus, Nebensächliches erhält
große Wichtigkeit, die Autorität des Erzählers und seine Kontrolle über die Erzählung gehen
verloren. In diese Auflösung bricht jedoch die ‚katastrophische Form‘ in allerlei Erscheinungen wieder ein: als Perversion, Wahn, Millenniums-Angst, Störung, Unfall, Virus und Gewaltausbruch. Alles, was zentrale Triebfedern der Romanhandlung ausmacht, wird von Baudrillard als typische Nebenwirkung der postmodernen Auflösungserscheinungen definiert: als
der Versuch gewaltsamer Rückkehr der Realität in die „unscharfe“ Welt der Simulation.
74
Baudrillard 1989, 124
Dieser Gedanke bildet auch die Basis in einer allerdings völlig anders gearteten Medientheorie: Niklas
Luhmanns systemtheoretischem Ansatz. In Realität der Massenmedien (1996) spricht er von der selbsterzeugten Unsicherheit der Medien, die deren weiteres Prozessieren aus sich selbst heraus gewährleistet.
76
Baudrillard 1994, 23
75
2.2.2 Jean Baudrillard: Realität ist Simulation
18
Als ein weiteres Thema schneidet Baudrillard das Problem an, das entsteht, wenn man
virtuell alle Träume und Utopien verwirklichen kann – das Projekt, an dem Peach letztlich
scheitert. Durch die Realisation, so Baudrillard, wird das Utopische zerstört77 – Perfektion ist
unmöglich, da Ambivalenz, die Anwesenheit des ‚Bösen‘, eine Grundeigenschaft aller Dinge
ist. Das erklärt, warum aus Peachs idealer Digitalwelt am Ende eine strafende Rachemaschine
wird. Ähnliches gilt für die virtuellen Doppelleben, die die meisten Romanfiguren führen.
Diese „Befreiung von mir selbst“78 im Rollenspiel schlägt dann in Unfreiheit und Katastrophe
um, wenn die beiden Leben miteinander kollidieren oder für den, der spielt, untrennbar verschmelzen. Auch dieser Mechanismus wird anhand der zentralen Figuren im Roman durchgespielt. Als letzten wichtigen Punkt enthält Der unmögliche Tausch einige Gedanken zur
Fotografie. Dadurch, so Baudrillard, dass das Foto aus dem Zeitfluss ein einziges „Momentum“ herauslöst, lässt es die Realität als Simulation des menschlichen Geistes erfahrbar werden.79 Die fotografierten Objekte werden ohne ihren raumzeitlichen Kontext sinnlos und
beginnen, nur noch sich selbst zu bedeuten. Das Foto ist also keine Repräsentation der Welt,
vielmehr zeigt es, dass zwischen Bild und Welt keine Konvergenz besteht: „Der photographische Blick erforscht und analysiert keine ‚Realität‘, er legt sich ‚buchstäblich‘ auf die Oberfläche der Dinge und illustriert ihre Erscheinung in Form von Fragmenten und für eine sehr
kurze Zeitspanne, auf die unverzüglich die ihres Verschwindens folgt.“80 Diese Gedanken
zum Foto werden sich vor allem für die Analyse des Epilogs als nützlich erweisen.
Als letztes Werk Baudrillards soll die Aufsatzsammlung Short Cuts des Zweitausendeins-Verlags aus dem Jahre 2003 verwendet werden, da hier einzelne Aspekte des schwer zu
fassenden Theoriegebäudes exemplarisch beleuchtet werden. Einer davon ist das Themenfeld (Cyber-)Liebe und (Cyber-)Sex, die in ihrer medialen Verwirklichung abgeschafft werden. Ein zweiter Aspekt dreht sich um die Zusammenhänge von Tod, Unfall, Terror und
Krieg: auch diese existenziellen menschlichen Erfahrungen sieht Baudrillard vom Verschwinden in ihren medialen Prozessierungen bedroht; der plötzlich im medialen Koma verschwundene Monterbia-Krieg in Orakelveggen zählt ebenso dazu wie Peachs (auto-)destruktive Haltung. Schließlich, und dies ist eine gute Überleitung zum dritten Theoretiker
Paul Virilio, erkennt Baudrillard die zunehmende Beschleunigung und EchtzeitProzessierung von Gegenwart als Grund für eine „Wüstenbildung“ in sozialen, kommunikativen und ethischen Bereichen,81 die zu Brüchen, Spaltungen, Porösitäten, Verschiebungen
führt: ein metaphorisches Feld, das auch Orakelveggen zur Beschreibung der inneren Befindlichkeit des Erzählers David nutzt82 und durch dessen Blick den Roman färbt.
77
Keine neue Idee übrigens – der Gedanke findet sich etwa auch schon 1843 bei Søren Kierkegaard, bei ihm
in Bezug auf die Liebe, wenn er schreibt: „Elskov lader sig ikke udtrykke i et Ægteskab. [...] I samme Øieblik
Virkeligheden indtræder, er Alt tabt.”
78
Baudrillard 2000, 82
79
Ebd., 190f.
80
Ebd., 191
81
Baudrillard 2003, 125
82
„min ørken av et liv“, wie David selbst sagt (Honoré 2002, 216).
2.2.3 Paul Virilio: Beschleunigung
19
2.2.3 Paul Virilio: Beschleunigung
In den Werken des 1932 geborenen Architekten und Essayisten Paul Virilio lassen sich
drei zentrale Themenfelder erkennen: erstens der Zusammenhang zwischen Kriegs- und
Medientechnologie,83 zweitens die (auch darin begründete) zunehmende Verwandlung von
Wahrnehmung in einen Akt der Aggression, sowie drittens die paradoxale Beschleunigung,
mit der sich die heutige Informationsgesellschaft ihrem Ende nähert, und die zu einem zentralen Wahrnehmungsparameter wird.84 Alle drei Themen bieten in Bezug auf die Analyse
von Orakelveggen eine gute Ergänzung zu den Theorien von Flusser und Baudrillard.
Elektrische (oder wie Flusser sagen würde: technische) Bilder verschieben laut Virilio
die zentrale Wahrnehmungsdimension des Menschen vom Raum auf die Zeit. Technische
Bilder zeigen „Nicht-Orte“;85 aus der in Realzeit übertragenen Flut der unverorteten Bilder
lassen sich dann individuell beliebige Schnipsel miteinander koppeln, unabhängig von ihrem
Ursprung – eine Technik, die im Zusammenhang mit Fernsehrezeption oft als ‚Zapping‘ oder
‚Switching‘ bezeichnet wird.86 Der mechanischen Erschließung des Realraums (durch Eisenbahn, Automobil, Flugzeug etc.) folgt heute die Realzeit-Erschaffung eines Bildraums, der
den Realraum überblendet.87 Die Bilder hören also auf, Reales darzustellen, sie werden selbst
zur Realität und lösen die Tatsachen in sich auf: wahr ist, was abgebildet wird.88
Als Konsequenz daraus wird das konkrete physische Reisen unnötig: die technischen
Bilder übernehmen die Rolle von „audiovisuellen Vehikeln“.89 Das hat Folgen für die Wahrnehmung wie für den wahrnehmenden Menschen. Die Wahrnehmung wird, da sie sich in
immer stärkerem Maße auf technische Bilder gründet, halluzinatorisch und programmierbar: die „Telerealität“90 lässt keine Unterscheidung mehr zwischen innen und außen, real
und irreal, Traum und Wachzustand zu. Die Menschen, Auf-der-Stelle-Reisende, werden, so
Virilios Prognose, zu spezialisierten, Terminals bedienenden Invaliden werden,91 die am Bildschirm in Realzeit Bilder kommutieren (in Flussers Terminologie: komputieren). Die Lebenswelt der zukünftigen Menschen, und hier spricht der Architekt Virilio, wird sich daher
zum Kokon entwickeln, zu einer abgeschlossenen Innenwelt, in der „freiwillige Behinderte“
den Außenkontakt ausschließlich über ihr Terminal herstellen.92 Diese Kokonisierung kann,
so Virilio, schnell zu Zusammenbrüchen des Egos, zu „Besessenheiten“ führen:93 Besessenheit von Technik, von technischen Bildern und von künstlichen Personen – zum Beispiel
online-Avataren wie der <webchild>-Figur im Roman.
Was bei Flusser wie utopische, bei Baudrillard und Virilio eher dystopische Zukunftsmusik klingt, führt letzterer theoretisch bis auf die Fotografie zurück, die die Raum- und
83
Virilio 1989, 1993 und 2000. Letzteres Werk entstand anlässlich des Kosovo-Krieges, was fruchtbare Parallelen für die Analyse des Monterbia-Krieges in Orakelveggen eröffnet.
84
Virilio 1997. Der Titel Rasender Stillstand ist eine treffende Umschreibung der paradoxen Situation.
85
Virlio 1997, 11
86
Vgl. etwa Winkler 1992
87
Virilio 1997, 14f.
88
Ebd., 31
89
Ebd., 38
90
Ebd., 61
91
Ebd., 51
92
Ebd., 116ff.
93
Ebd., 118
2.3 Zusammenfassung
20
Zeiterfahrung einer neuen „Belichtungsordnung“ unterwirft.94 Das Foto „intensiviert“ die
Zeit,95 friert sie auf einen einzigen Augenblick ein. Damit stellt das Fotografieren eine Handlung dar, die sich konträr zur extensiven Zeiterfahrung von chronologisch fortschreitender
Geschichtsschreibung verhält. Dennoch ist die Optik des Fotos und aller technischen Bilder
eine „Optik der Täuschung“.96 Wenn sich nun der Mensch bei der vermittelten Wahrnehmung der Welt zunehmend auf diese Optik verlässt, begründet das die Unsicherheit als zentrales Lebensgefühl des technischen Zeitalters, den Verlust von objektiven Größen, Wahrheiten, Sichtbarkeiten und Chronologien in der Realitätserfahrung.97 Damit führen Virilios
Gedanken am Ende ebenfalls zur Baudrillards zentraler Aussage von Realität als Simulation
und Simulation als Realität.98
Paul Virilios Thesen sind sehr gut dazu geeignet, die psychische Entwicklung der
‚heimlichen Hauptfigur‘ des Romans, Peach, als eine in der Person vorweggenommene Entwicklung der ganzen Gattung zu deuten, die Virilio als Folge der medialen Strukturen kommen sieht. Außerdem kann sein Text dabei helfen, zentrale Symbole des Romans wie den
Kokon, den Sternenhimmel oder die Wüste als symptomatische Bilder für Aspekte der Informationsgesellschaft zu deuten, ebenso wie die motivische Parallelführung von Popkultur,
Kino und Krieg, die im Roman angelegt ist. Nicht zuletzt für die Deutung der Rolle und der
eigentümlichen Erzählstruktur des Epilogs eröffnet Virilio mit seinen Gedanken zum Wesen
der Fotografie eine zusätzliche, erhellende Sichtweise.
2.3 Zusammenfassung
Obwohl alle drei Theorien jeweils andere Akzente setzen, ergänzen sie sich doch in vielen Fällen. So ist ihnen der Grundgedanke gemeinsam, dass Medien entscheidende Auswirkungen auf Kultur haben – ohne jedoch den radikal essentialistischen Standpunkt einzunehmen, Medien seien die (einzige) Triebkraft hinter der Kultur.99 Vielmehr sehen Flusser,
Baudrillard und Virilio die Beziehung als die einer fruchtbaren Wechselwirkung, eines ständigen Feedbacks an. Flusser beschreibt dies für bildgeprägte Gesellschaften so:
Das eben bedeutet ‚publizieren‘: eine subjektive Anschauung in Symbole eines Gesellschaftscodes zu
fassen. Freilich muss dies nicht immer gelingen. Da jede Anschauung subjektiv ist, wird sich bei jedem neuen Bild irgendein neues Symbol in den Code einschieben. […] Es wird den Gesellschaftscode
verändern und die Gesellschaft ‚informieren‘. Das eben ist die Gewalt der Imagination: daß sie der
durch Bilder informierten Gesellschaft erlaubt, immer neue Erfahrungen und Erlebnisse zu haben
und zu immer neuen Wertungen und Handlungen zu gelangen.100
94
Ebd., 71f.
Ebd., 104
96
Ebd., 86
97
Ebd., 103
98
Für eine konzentrierte Darstellung s. Virilio 1991
99
Für diesen Ansatz stünde etwa die Medienvorstellung von Friedrich Kittler. Als Beispiele seien hier nur
der Titel des Aufsatzes „Die Welt des Symbolischen – eine Welt der Maschine“ genannt, sowie die darin mit
Lacan im Hintergrund getroffene Aussage, dass „Menschen die Informationsmaschinen nicht erfunden
haben können, sondern sehr umgekehrt ihre Subjekte sind“. (Kittler 1993, 77)
100
Flusser 1999, 17
95
3 Intramediale Bezüge
21
Kultur- und Medienentwicklung erscheinen also als einander verstärkende, beeinflussende und verändernde Größen. Eine zweite Gemeinsamkeit der Theorien besteht darin, dass
sie von Beobachtungen der Gegenwart aus Prognosen für die Zukunft von Medien und
Menschheit erstellen. In diesen Prognosen liegen dann jedoch auch die größten Unterschiede. Während Flussers Vorstellung einer dialogisch vernetzten, am traumartigen Bildertausch
engagierten Gesellschaft, in der der Tod nur eine Option ohne Schrecken ist, ein sehr positives Bild entwirft, tendieren Baudrillard und Virilio eher zum Gegenteil. Ihre Vorstellungen
von Ende der Geschichte und „Involution“ der Gattung Mensch101 zu in Kokons gepferchten,
körperlichen und zerebralen Invaliden102 gehen zwar von den gleichen Voraussetzungen aus
wie Flusser und ziehen auch ganz ähnliche Schlüsse, werten die prognostizierten Entwicklungen jedoch völlig anders.
Als dritte Übereinstimmung kann man die Gedankenfigur erkennen, dass technische
Bilder eine simulierte Realität neben die reale Erfahrungswelt setzen, diese damit marginalisieren, ihre Wahrnehmung verändern, in Zweifel ziehen oder gar auslöschen. Dieser Gedanke wird sich bei der Analyse intermedialer Strategien im Roman als zentraler Ansatzpunkt
für die Untersuchung von Bezügen zwischen Literatur und ‚neuen Medien‘ erweisen.
3 Intramediale Bezüge
Wie unter 1.2 beschrieben, unterscheidet Rajewksy zunächst zwischen intramedialen
und intermedialen Bezügen. Erstere finden, beschäftigt man sich mit Literatur, zwischen
Texten statt; die Intertextualität als Bezug eines literarischen Texten auf einen einzelnen
anderen Text nennt Rajewsky auch intramediale Einzelreferenz. Diesem Sonderfall soll ein
Teil dieses Kapitels gewidmet werden, zum einen, weil intertextuelle Bezüge als der Intermedialität analoge, wenn auch keine Mediengrenze überschreitende Mechanismen zu definieren sind, und zum anderen, weil auch hier schon eine ‚übergreifende‘ Methode Anwendung finden soll. Neben ‚typischen‘ Intertexten, die in Punkt 3.1 aufgezeigt werden, sollen
nämlich auch die Theorien von Flusser, Baudrillard und Virilio, zusätzlich zu ihrer Funktion
als ‚Definitionsgeber‘ für den Begriff der ‚neuen Medien‘, als Prätexte ausgewiesen werden,
die ein dichtes Netz von Bezügen mit dem Roman Orakelveggen verbindet. Diese Untersuchung unter 3.2 soll, der Übersichtlichkeit halber und ausgehend vom Romantext, nach
zentralen Themenfeldern gegliedert vorgenommen werden. Unter Punkt 3.3 schließlich soll
kurz gezeigt werden, dass auch andere intramediale Bezüge neben dem ‚Spezialfall‘ Intertextualität, nämlich intramediale Systemreferenzen, im Roman zu finden sind.
3.1 Literarische Prätexte von Christie, Poe, Obstfelder und Shaw
Für einen Roman, der, wie zu zeigen sein wird, mit einer Fülle intermedialer Bezüge
arbeitet, fallen die intertextuellen Referenzen zu anderer Literatur recht spärlich aus – zumindest, wenn man das enge Intertextualitätsverständnis von Rajewsky anlegt. Dennoch
sind diese Bezüge erhellend und dienen zudem oft als Markierungen für andere intra- und
intermediale Referenzen.
101
102
Baudrillard 1994, 132
Virilio 1997, 51 u. 132
3.1 Literarische Prätexte von Christie, Poe, Obstfelder und Shaw
22
Einen deutlichen Bezug stellt der Roman zu den Detektivgeschichten von Agatha
Christie her. An der Stelle im Roman, als der Erzähler David mit der Niederschrift der Geschehnisse in seiner Gegenwart angelangt ist, mit dem Laptop auf den Knien im Warteraum
eines Krankenhauses, hängt die Handlung in der Schwebe, während alle Personen, mit denen
ihn enge Kontakte verbinden, im Krankenhaus behandelt werden: „Jeg fatter det nesten ikke
selv: hvorfor vi er samlet her. Jeg, Marie, Peach, morfar. Som når alle møtes til oppgjørets
time i det siste kapittelet av en Agatha Christie-roman“.103 Dies ist, wenige Seiten vor dem
kurzen letzten Teil des Romans, die erste explizite Erwähnung des literarischen Bezugssystems ‚Kriminalroman‘; der intertextuelle Verweis dient als Markierung für eine intramediale
Systemaktualisierung dieses Genres.104 Doch auch schon vorher gibt es weniger direkte intertextuelle Hinweise. So sagt David von sich: „Jeg er en digital Hercules Poirot; jeg samler på
referansepunkter i tid og rom og glemmer dem aldri.“105 Dies ist ein Hinweis auf den pedantischen Charakter der Ermittlerfigur in mehr als 30 Chistie-Romanen, der ebenfalls auf den
Krimi als literarisches System verweist, aber über die Eigenschaften des ledigen Ordnungsfanatikers Poirot indirekt auch eine Charakterisierung des geschiedenen, auf Daten, Uhrzeiten
und Wetterverhältnisse fixierten David evoziert. Dies sind die beiden deutlichsten Verweise
auf das System ‚Kriminalliteratur‘; einige indirektere werden später noch angesprochen.
Zwei weitere intertextuelle Bezüge haben Verwirrung und Bedrohung als moderne Lebensgefühle zum Gegenstand. Direkt nach einer metatextuellen Reflektion über seinen Erzählstil beschreibt David einen autistischen Jungen in der U-Bahn: „Amerikanerne har et
fantasifullt, obstfeldersk navn på tilstanden: Oops, Wrong Planet! Syndrome“.106 Der Bezugstext ist hier das bekannte, kanonisierte Gedicht Jeg ser von Sigbjørn Obstfelder, und dort vor
allem die Zeilen „Jeg ser, jeg ser... / Jeg er vist kommet på en feil klode!“.107 Die hier geschilderte Betrachtung einer scheinbar fremden Welt wird in Orakelveggen durch den den Absatz
einleitenden Satz „Jeg vet ikke hva gutten ser, hvor han befinner seg, men han er i alle fall
ikke her“ auf die Ebene eines psychisch verschlossenen, persönlichen Fremdheits-Zustands
gehoben, der sich im Laufe der Erzählung in weniger extremer Form als Wahrnehmungsstörung, Traum und Halluzination auch bei David selbst findet. Gleichzeitig lässt sich der Verweis auf einer Metaebene deuten: auch David ist in gewissem Sinne ‚blind‘, da er nicht sieht
(oder sehen will), dass sein Kollege Peach längst die <webchild>-Maske übernommen hat, die
David immer noch Marie Kammer zuschreibt.
Der zweite Verweis ist direkt in eine der halluzinatorischen Erfahrungen Davids eingebunden. Bei einem Gang durch Oslo verwischen sich für ihn die Grenzen zwischen Innenund Außenwelt. Der Lärm eines Open-Air-Musikfestivals vermischt sich mit den massiven
Störgeräuschen in Handys und Lautsprechern aufgrund eines Sonnensturms: „en stadig eskalerende torden av talløse sladrehjerter under gulvplankene, som i et mareritt drømt frem
av Edgar Allan Poe“ und „ståket fra et infernalsk maskineri som kverner i et lukket rom i
mitt eget sinn“.108 Hier schwingen als Prätexte sowohl Edgar Allen Poes Erzählung Das verräterische Herz als auch die Pendel-Maschinerie der lichtlosen Gefängniszelle in Die Foltern
103
Honoré 2002, 208
S. Kapitel 3.3.2, S. 38
105
Ebd., 25
106
Ebd., 162
107
Obstfelder 1950, 8
108
Honoré 2002, 202
104
3.2 Theorien von Flusser, Baudrillard und Virilio als Prätexte
23
an.109 Im Zusammenhang mit Davids Vermutung, er halluziniere, werden diese Prätexte zu
Metaphern für seinen psychischen Zustand. Gleichzeitig wird im Leser mit Poe-Erfahrung die
typisch morbide Stimmung der Erzählungen mit abgerufen.
Noch ein letzter intertextueller Bezug soll genannt werden, der wie die anderen auf im
ganzen Roman anklingende Motive verweist. David trifft sich mit Marie Kammer, der ‚Schöpferin‘ sowohl des Pop-Stars Christina Carrera als auch der Internet-Konstruktion <webchild>,
und fragt sie über ihre Tätigkeit aus. Sie antwortet bereitwillig: „Hun liker tydeligvis å
fortelle meg om sin pygmalionvirksomhet“.110 Dieser Bezug ist eindeutig; in dem Stück von
George Bernard Shaw von 1912 versucht Professor Higgins, aus dem Straßenmädchen Eliza
Doolittle eine Dame zu machen. Bedient sich Higgins allerdings noch harmloser Mittel wie
Sprecherziehung, Kleidung usw., geht Marie Kammer mit den heutigen medialen Möglichkeiten entschieden weiter: ihre Identitäts-Konstrukte sind, teilweise wie bei Christina Carrera und gänzlich wie bei <webchild>, virtuell, Neuschöpfungen aus biographischen Versatzstücken, manipulierten Bildern, gestellten Pressekampagnen und nur scheinbar intimen
Homepages. Damit verweist dieser intertextuelle Bezug auf die im Roman angelegte Schwierigkeit des Identitätsbegriffs im Medienzeitalter.
3.2 Theorien von Flusser, Baudrillard und Virilio als Prätexte
Neben diesen Bezügen zu anderen literarischen Texten soll nun versucht werden zu
zeigen, dass die Theorien von Flusser, Baudrillard und Virilio in ihrer Eigenschaft als ‚Definitionsgeber‘ für den Begriff der ‚neuen Medien‘ und ihrer Wirkungen auch als Prätexte gelesen werden können, auf die der Roman Bezug nimmt – wenn auch nie explizit wie im Fall der
oben beschriebenen Bezüge. Eher sind die Theorien als kultureller Hintergrund zu verstehen, als Teile des postmodernen Mediendiskurses, mit dem sich der Roman, wie zu zeigen
sein wird, teilweise verschränkt. Entkräftet man Irina Rajewskys strenge Forderung, dass
Textbezüge immer als intendiert markiert sein müssen,111 kann eine solche Lesart sicher
versucht werden. Da dies jedoch wegen der zahlreichen Berührungspunkte nur exemplarisch geschehen kann, sollen die Bezugnahmen nach thematischen Schwerpunkten geordnet
beleuchtet werden. Außerdem kommen an dieser Stelle nur solche Bezüge zur Sprache, die
in späteren Kapiteln nicht mehr anklingen werden. Dort genannte Parallelen zwischen Roman und Theorien werden das hier skizzierte Bild dann ergänzen.
3.2.1 Codes, Medienwechsel
Wie Vilém Flusser in seinem Aufsatz Krise der Linearität argumentiert, hängen Wechsel von vorherrschenden medialen Systemen fast immer auch mit Wechseln des Codes zusammmen, in dem diese Systeme sich ausdrücken – und damit einhergehend strukturiert
sich die Weltsicht derjenigen, die die Codes benutzen, um: „Sollten unsere Kinder und Enkel
die Welt und sich selbst mittels anders strukturierter Codes (etwa mittels technischen Bildern wie Fotos, Filmen und Fernsehen, und mittels Digitalisation) erfahren, dann wären sie
109
Vgl. Poe 1996, 37-47 und 364-391
Honoré 2002, 124
111
S. hierzu auch Fußnote 28 auf S. 6
110
3.2.1 Codes, Medienwechsel
24
anders in der Welt als wir es sind“.112 Ein solcher Codewechsel scheint sich heute mit dem
‚pictorial turn‘ zu ereignen. Die Unsicherheiten, die entlang dieser Bruchstelle entstehen,
bilden eine zentrale Triebkraft für die Handlung und Thematik des Romans, indem zahlreiche heterogen strukturierte Codes miteinander in Konflikt geraten und vermengt werden. So
sagt David über <webchild>: „Hun kommuniserer som en kinesisk kalligrafist“, mit Hilfe von
„snikskyttersalver av ord og bilder“.113 Nicht nur unterstreicht dies Flussers These des Wechsels vom Schrift- zum Bildcode. Wenn David wenig später fasziniert das Flackern einer defekten Neonröhre betrachtet „som om det er en kode, et slags språk“,114 dann spricht daraus
auch die Unsicherheit, die beim Verlust eines zentralen Codes die Welt als angefüllt mit
unverständlichen Zeichen erfahren lässt. Selbst die Körpersprache der Schauspielerin Anne
Krigsvoll erscheint ihm als „en fullendt kode, og denne koden resonnerte, samklang, med
omgivelsene. Med lyset, scenografien, synkopene i musikken, publikums blikk“.115 Der Code
selbst erscheint hier als ein intermediales Phänomen,116 ganz so wie auch die ‚neuen Medien‘
von einer polymedialen Struktur gekennzeichnet sind.
Indem der Sprachcode an Präsenz verliert und andere Codes an seine Seite treten,
werden die einzelnen Elemente, „rester av et språk, av en kode“,117 zum Material für Komputationen. Marie Kammer, die ‚Mutter‘ von <webchild>, beschreibt diese Technik: „Regissere
og systematisere mine egne filtrerte versjoner av alt det vi hele tiden plukker opp fra omgivelsene – fra filmer, bøker, magasiner, internett og TV. [...] Jeg tar egentlig bare tak i noe som
allerede eksisterer, setter det i system“.118 Diese Technik, nach der Peach sie auch „Menneskesampleren“ nennt,119 mit einer Metapher aus der elektronischen Musik,120 entspricht dem,
was Flusser visionär über die kommende „telematische Gesellschaft“ schreibt: „Nicht nur
bisher ungeahnte Bilder und ungeahnte Musik von bisher ungeahntem Informationsreichtum werden entstehen, sondern die jetzt ins Spiel tretende Informationstheorie wird den
Erzeugungsprozess aus der Kompetenz des einzelnen Schöpfers in die Kompetenz des überindividuellen Dialogs heben“.121 Indem Marie jedoch mit David darüber spricht, genau wie
der ganze Roman über die ‚neuen Medien‘ schreibt, offenbart sich darin die Sprache als ein
„Metacode der Bilder“, denn „[d]ie Absicht der Texte ist, Bilder zu erklären, die der Begriffe,
Vorstellungen begreifbar zu machen“.122 So ließe sich das intermediale Projekt des Romans
auch beschreiben.
112
Flusser 1989, 7
Honoré 2002, 136. Paratextuell wird dies auf dem Umschlagbild des Romans wieder aufgenommen; hier
sind Verfassername und Titel mit pseudo-asiatischen Schriftzeichen gedoppelt, so dass sie zu gleichen
Teilen eine graphische und eine Bedeutungsfunktion haben.
114
Ebd., 137
115
Ebd.,140
116
Mit Rajewskys Terminologie: als eine Medienkombination.
117
Honoré 2002, 126
118
Ebd.
119
Ebd., 11
120
„Sampling“ bezeichnet das Mixen zweier oder mehrerer Tonquellen bzw. Musikfragmente zu einem
neuen Musikstück. DJs, wie auch Peach einer ist, bedienen sich dazu meist des Plattenspielers, der „erst
nach seiner funktionalen Freisetzung vor der Folie digitaler Speichertechnologien und -manipulationen als
Musikinstrument und in Bezug auf den DJ als human sampler, neu entdeckt und besetzt werden konnte“
(Harenberg 2003, 87f.).
121
Flusser 1999, 112
122
Flusser 1983, 11
113
3.2.1 Codes, Medienwechsel
25
Der digitale Code, die Pixel des technischen Bildes und die unorganischen 0/1-Ketten
der Computeroperationen, laut Flusser ein letztes Abstraktionsstadium der Codes, haben
Auswirkungen auf die Denkweise. „Peach påstår at det organiske uansett er en illusjon, fordi
vår fortolkning av virkeligheten er et resultat av elektriske impulser; vi har mer til felles
med maskinene enn våre romantiske oppfatninger om naturen tilsier“.123 Diese Wirklichkeitsauffassung führt, denkt man sie weiter, entweder zu utopischen oder dystopischen Visionen der Zukunft. Flussers Tendenz, „die emportauchende Gesellschaft eine utopische zu
nennen“ deckt sich mit Peachs Projekt einer besseren Welt im Netz: „Sie wird sich an keinem
Ort und in keiner Zeit mehr befinden, sondern in eingebildeten Flächen“.124 Dem gegenüber
steht die pessimistische Sicht des Erzählers David, der von einer neuen Verletzlichkeit
spricht und von den Verheißungen der Technologie als „forheksende sanger“ von Sirenen.125
Diesen Skeptizismus teilt er mit Baudrillard, wenn dieser davor warnt „maschineller [zu]
werden als die Maschine“,126 da dies zu Inhumanität führe, zum fraktalen Subjekt, „das um
den Preis der Abtötung des Blicks, des Körpers, der realen Welt nunmehr zur Zerstreuung in
den Netzen verdammt ist“.127 Betrachtet man, wie Peach den Realitätsbezug verliert, am
Scheitern seines Projektes zugrunde geht und zum Mörder wird, scheint im Roman zunächst
die Baudrillardsche Sichtweise über die Flussers zu siegen. Da Peach am Ende jedoch Gnade
walten lässt, kehrt sich die Bewertung nochmals um. Das letzte Trojaner-Programm mercy.exe ist als Musikdatei getarnt; nachdem die ersten beiden Programme (remington.exe als
Text mit utopischer und trial.exe als Digitalbild mit zerstörerischer Absicht) Flussers medienevolutiver Richtung folgten, schließt sich mercy.exe an. Auch für Flusser sind die Schöpfungen seiner utopischen Gesellschaft musikalischer Natur: „Komponieren ist ein Synonym
für Komputieren“,128 und „Kammermusik kann als ein Modell der telematischen Gesellschaftsstruktur dienen“,129 indem Bild und Musik zu einer gekoppelten freien Kunstform
verschmelzen. Peach, so stellt David fest, entwickelt seine Tätigkeit ebenfalls von „manipulering, retusjering av noe som allerede eksisterte“ zu einer „distinkt dreining i prosjektet. Han
har begynt å skape, fortelle, på fritt grunnlag.“130 Indem diese ‚Musik der Gnade‘ „fremkallingen av bildene“ wieder umkehrt,131 geht sie über das technische Bild hinaus, das, so Davids
These, durch Daguerres Betrug an Niépces Erfindung „fra heliografi til pornografi“ wurde.132
123
Honoré 2002, 68
Flusser 1999, 8. Für Peachs Sichtweise s. Honoré 2002, 216 und seine Aussage „Snart er alt rent og nytt“
(Ebd., 187), entsprechend Flussers Forderung nach einer „ästhetischen Katharsis“ (Flusser 1989, 66) durch
die Abschaffung des Alphabets.
125
Honoré 2002, 27f.
126
Baudrillard 2000, 158
127
Ebd., 73
128
Flusser 1989, 32
129
Flusser 1999, 177
130
Honoré 2002, 229
131
Ebd., 232
132
Ebd., 161
124
3.2.2 Technische Bilder als neue Sprache
26
3.2.2 Technische Bilder als neue Sprache
Indem das Technobild in Flussers Vorstellung die Schrift ablöst, wird es zur ‚neuen
Sprache‘ – falls es dialogisch zur zwischenmenschlichen Kommunikation (Komputation) genutzt würde und nicht, wie heute noch üblich, in diskursiven, von Sendern ausgestrahlten
Bündeln.133 Im Roman sind Ansätze jenes neuen Bildgebrauchs manifest. Indem Marie Bilder
von <webchild> komputiert, schafft sie erst die Grundlage für die online-Kommunikation mit
<magician>. Nachdem Peach <webchild> übernommen hat, stattet er deren Homepage mit
immer neuen, komputierten Bildern aus, die der kunstvollen Formulierung einer Botschaft
an seine Schwester dienen: „Bli med meg, lille søster, jeg er så spent på hva du vil synes: Vi
er på reise“.134 Auf diese Weise erschafft Peach eine ‚neue Welt‘, die jedoch den Prämissen des
Codes folgt, der sie konstituiert – ebenso wie die Welt des alphanumerischen Codes dessen
Prämissen von Kausalität, Historizität, Logik und Gesetzmäßigkeit folgte, wie Flusser immer
wieder betont. Dass die technischen Bilder nicht mehr die Welt bedeuten, sondern nur noch
Vorstellungen, dass sie also „nicht Spiegel, sondern Projektionen sind“,135 erklärt, warum
sowohl Peach als auch Marie sich dieser neuen Sprache bedienen, um sich auszudrücken.
Marie sagt: „Jeg elsker å leke med bilder, med skjønnhet, med det groteske, med kontraster,
med erotikk, med alle slags illusjoner. Image er alt for meg“.136 Damit ist sie schon Teil der
von Flusser vorhergesehenen Gesellschaft von „Homines ludentes“,137 allerdings mit Konsequenzen für das Verständnis der Welt: „Derfor kann Marie snakke om krigen som om den
også bare er et Photoshop-produkt. [...] Hos oss føles alt fjernere jo mer vi ser. Som om alle
bildene ... kansellerer hverandre“.138 Damit schneidet David, dem im Ensemble der Romanfiguren der technikkritische Blick zukommt, einen zentralen Gedanken Baudrillards zum
technischen Bild als Simulation an:
Es geht nicht mehr um die Imitation, um die Verdopplung oder um die Parodie. Es geht um die Substituierung des Realen durch Zeichen des Realen, d.h. um eine dissuative Operation, um die Dissuasion realer Prozesse durch ihre operative Verdopplung, eine programmatische, fehlerlose Signalmaschinerie, die sämtliche Zeichen des Realen und Peripetien (durch Kurzschließen) erzeugt.139
Es ist, als würden Peach und Marie zunächst Flussers utopischem Programm des spielerischen, poetischen und selbstgenügsamen Bilderkomputierens folgen, um sich dann unversehens einer baudrillardesken Welt gegenüber zu sehen, in der die von ihnen erzeugten
Bilder die Realität überdecken und ausgelöschen, und in der sich alle Handlungen und Gefühle nur noch auf Bilder beziehen lassen: Peach verstrickt sich in sein illusorisches Projekt
für das Mischkonstrukt aus der virtuellen <webchild> und seiner Schwester, ein Realitätsverlust, der ihn an den Rand des Selbstmords treibt; Marie verliert die Kontrolle über ihr Bildwesen, was ihr am Ende einen Krankenhausaufenthalt einbringt. Baudrillards Hyperrealität
der technischen Bilder vermischt sich untrennbar mit der hinter ihr verblassenden Realität.
133
Vgl. Flusser 1999, 88
Honoré 2002, 224
135
Flusser 1999, 54
136
Honoré 2002, 122
137
Flusser 1999, 93
138
Honoré 2002, 122
139
Baudrillard 1978, 9
134
3.2.3 Computer und Netze
27
3.2.3 Computer und Netze
Als Träger, Mittler, Codierer und Übersetzer der ‚neuen Sprache‘ dient das Universalwerkzeug des Computers, als Un-Ort von Austausch und Leben der Bilder das Internet. Dass
dieser virtuelle ‚Raum‘ des Netzes als Parallelwelt kein ganz neues Konzept ist, zeigt die Informatikerin und Wissenschaftsjournalistin Margaret Wertheim in ihrer Kulturgeschichte
des Raumes,140 in der sie den mittelalterlichen „Seelenraum“ von Paradies und Hölle mit dem
Cyberspace141 vergleicht: „der Cyberspace wird uns, wie der Himmel, angekündigt als entkörperlichtes Paradies für unsere Seelen [...], die naturgegebene Domäne für die Verwirklichung eines neuen Jerusalem“.142 Auch wenn Wertheim der religiösen Bewertung des „Cyber-Seelen-Raums“ skeptisch gegenüber steht, ist ihre Parallelführung der beiden nichtphysikalischen, aber doch realen Parallelräume in Mittelalter und Jetztzeit überzeugend.
Im Roman scheint Peachs Projekt, die Errichung einer Idealwelt „i et stort, mørkt rom,
et Camera Obscura, der ordene gir oss form“,143 sehr wohl quasi-religiöse Formen anzunehmen – bzw. techno-religiöse, was sich auch in der Bezeichnung des Netzraums als „Camera
Obscura“144 manifestiert. Ein zweites Indiz im Roman ist die Fabel über einen Anthropologen,
der ein mikronesisches Volk erforscht, für welches auf dem Meer ein aus der Realität exkludierter Raum existiert, der die Seelen der Kinder aufnimmt. Diese Fabel lässt sich leicht parallel zum Internet und speziell Peachs Verständnis oder utopistische Interpretation dessen
als „Seelenraum“ für sich und seine Schwester lesen:
midt mellom det kjente og det ukjente lå et ingenmannsland, et slags transittområde. [...] Dette stedet, landet bak den usynlige grenselinjen i havet, var tabu. Det var et paradis, et avskjermet territorium hvor barna fikk leve det livet de var frarøvet, i en slags konstant, evigvarende harmoni.145
Auch als dem Weltraum bzw. Sternenraum analog wird der Zweitraum des Internets
beschrieben, wenn Peach seinen Idealort „Andromedahøyden“ nennt.146 Die immaterielle, ex
nihilo erschaffene Netzwelt ist für Baudrillard die der Simulation:
Überall, wo diese Leere eliminiert wird, kommt es unmittelbar zu diesem antagonistischen Paralleluniversum, zu dieser radikalen, nicht auf die Gegebenheiten des Realen und des Rationalen rückführbaren Illusion, zur Katastrophe des Realen. [...] Das vom Anti-Realen gereinigte Reale wird hyperreal, realer als das Reale, und verflüchtigt sich in die Simulation.147
Dies beschreibt Peachs ideale Welt sehr gut; sie ist „radikal“ in dem Sinne, dass sie „fylt
av betingelsesløs kjærlighet og like betingelsesløs hat“ ist;148 sie ist irrational und führt zur
140
Wertheim 2002
Das Wort geht zurück auf die Neuromancer-Trilogie (1984-1988) von William Gibson (Gibson 2004).
142
Wertheim 2002, 9
143
Honoré 2002, 184
144
Eine ‚Urform‘ der Kamera, bei der eine Linse ein spiegelverkehrtes, auf dem Kopf stehendes Bild auf eine
transparente Rückwand wirft. Nièpce ersetzte diese Rückwand durch eine beschichtete Zinnplatte und
konnte so das flüchtige Bild erstmals speichern.
145
Honoré 2002, 240f.
146
Ebd., 225
147
Baudrillard 2000, 21
148
Honoré 2002, 216
141
3.2.4 Komputation
28
Katastrophe des Realen, denn Peach „har [...] krysset grensen mellom drøm og virkelighet,
og gjort seg til morder“;149 sie führt schließlich dazu, dass das Reale (selbst für den ‚Beobachter‘ David) hyperreal wird: „En ny virkelighet vokste frem og slo rot i meg [...]. Nettet lokket
meg inn i en technicolordrøm der lyset var sterkere, klarere, virkeligere“.150 Das Nebeneinander der beiden „antagonistischen“ Räume stellt im Roman daher auch das zentrale Konfliktpotential bereit.
3.2.4 Komputation
Flussers Begriff der Komputation und Virilios analoger Ausdruck „Kommutation“ beschreiben die Eigenschaft technischer Bilder, aus Punktelementen zusammengesetzt werden
zu können, und so frei von ihrer Abbildfunktion zu werden. Der ‚Computer‘ als Apparat der
Komputation „rafft“ die Punktelemente zu Flächen „scheinbarer“ Bilder.151 Diese Zerkörnung
sieht Flusser als typisch nicht nur für technische Bilder an; Quantenphysik zerkörnt die Materie, Datenbits jede Art von Information, Aktome menschliche Handlung. In diesem weitgefassten Sinne sind Komputationen in zahlreichen Spielarten im Roman zu finden.
Marie Kammer verdient ihr Geld mit Komputation: ihr ‚Produkt‘, der Popstar Christina
Carrera, konstituiert sich aus Versatzstücken. Ihr Tanz ist „konstruert, selvølgelig er det robotaktig kaldt og maskinelt. Ikke en eneste av Carreras bevegelser er hennes.“152 Der Gesang
lebt von „en plagiert lidenskap: små hikst og brekk i stemmen“, und auch ihren ersten Song
komputiert der Techniker „i fire stive timer foran datamaskinen og klipper, kopierer og
limer“.153 Für die Erschaffung der Pop-„Ikone“ wird auch das Leben und die Identität der
Sängerin zu einem Mosaik aus erfundenen biographischen Daten und Brocken einer fremden
Sprache, die das öffentliche Auftreten des Stars färben: „Charity, stylist, script, gig, royalties,
recoupable, territories, website, MP3, storyline, break even, dance routine, compilation, UK,
Billboard, MTV Europe, charity, career, I, me, Christina Carrera“.154 Hier wird die Zertrümmerung und Neukomputation der Identität auch auf sprachlicher Ebene gespiegelt.
Die rein virtuelle <webchild>, ein Hobby und Übungsfeld Marie Kammers, radikalisiert
die Technik noch. „Jeg skapte biografiene på samme måte“, berichtet Marie, „en bit av livshistorien til Siv fra Arendal, noen naive fremtidsdrømmer beskrevet av Monica fra Stockholm, en liten tenåringsdikt rappet fra den digitale skrivebordsskuffen til ei hestegal jente i
Skottland. [...] Copy, copy, paste, og et barn er født“.155 Ganz nah an Flussers Definition von
Komputation kommt Marie bei der Erstellung der <webchild>-Fotos: „Et ansikt fra svenske
Maria Sundströms glorete hjemmeside, kombinert med ti andre ansikter fra ti andre hjemmesider. En bikinikledd kropp fra en dansk families feriebilder, et hagemøblement fra nettkatalogen til IKEA som bakgrunn – og så var det plutselig et nytt menneske der.“156 Diese Produktion statt Reproduktion von Realität ist laut Flusser typisch für das Zeitalter
komputierter Bilder, und sie dient seiner Meinung nach dazu, „in das absurde Chaos“ der
149
Ebd.
Ebd.
151
Flusser 1999, 14
152
Honoré 2002, 89
153
Ebd., 37
154
Ebd., 173
155
Ebd., 124
156
Ebd., 123
150
3.2.4 Komputation
29
zerkörnten Welt „eine Form“ hineinzudrücken – und zwar nicht mehr, um die Welt zu verändern. Sie ist „im Gegenteil, ein Symptom dafür, dass sich der Spielende dabei selbst verwirklicht“.157 Genau das scheint scheint auch Maries Intention mit <webchild> zu sein.
Eine weitere Form der Komputation mit Hilfe des digitalen Mediums verfolgt Peach
mit seinem ersten Trojaner-Programm remington.exe. Man könnte das Projekt als RealitätsKomputation bezeichnen; in den Strom der medialen Vermittlung der Welt schleust er gefälschte Brocken in Form von Internet-Artikeln ein. David vermutet: „Jeg tror det er noen
som bygger en ny verden, punkt for punkt, tegn for tegn, tone for tone.“158 Die erfundenen
Texte führen die Natur der ‚echten‘ Internet-Artikel konsequent zu Ende, findet David, denn
„så mange av deres egne historier er gjøkunger: klippet og kopiert fra andre nettsteder“.159
Damit erscheint Peach als jemand, der die Natur des Internets, seine Autorlosigkeit und „Dialogizität“ im Sinne Flussers bewusst einsetzt.160 Daher liegt auch sein Scheitern darin begründet, dass er trotzdem nach ‚Autorität‘ strebt, nach „koden som skal tilsidesette alle koder“,161 nach Kontrolle also über ein Medium, dessen Wesen darin besteht, eben nicht
„fascistisch“ (bestehend aus gebündelten Strahlen) strukturiert zu sein, sondern dialogisch.162 Dadurch offenbart Peach, dass seine Motivation im Grunde genommen eskapistisch
und unkritisch ist: „Absoluter Trost des Netzes als Nische, in der man so leicht verschwinden
kann. [...] Denn jenes Parallelunsiversum steht in keinerlei Beziehung mit diesem hier. Es ist
seine künstliche Transkription, sein totaler Widerschein, reflektiert es aber nicht.“163
Andere komputatorische Prozesse sind bei den Nebenfiguren des Romans zu finden.
Leif Rizzuti, der Vater von Davids Jugendliebe Emilia, definiert sich über eine simulierte Vergangenheit und über die italienische Sprache, „liflige koder fra Rizzutis drømte barndom ved
Middelhavet“.164 Auch seine Tochter hat ein Spiel erfunden, dass auf Komputation beruht:
aus den Schatten an einer Kirchenwand erzeugt sie mit Hilfe ihrer Polaroid-Kamera „informative Bilder“ (im Sinne Flussers) von Engeln. Ihr Interesse als Fotograf „ist auf den Apparat
konzentriert, die Welt ist ihm nur Vorwand für die Verwirklichung von Apparatmöglichkeiten“,165 und zwar solcher, die das Apparat-Programm unterlaufen. Das Ziel ist es, Unwahrscheinlichkeiten, also Informationen zu produzieren – Engel statt Schatten.
Dass auch Identitäten Komputationen aus Bruchstücken sein können, zeigt der Roman
anhand von Peachs Freundeskreis; Musiker, Hacker und Computerkünstler, die er „Brigaden“ nennt.166 David beschreibt sie und ihre hybride,167 ironische Selbstinszenierung
zunächst als „en gruppe ganske karikerte personligheter, at det er noe kunstig og tilgjort
157
Flusser 1989, 37f.
Honoré 2002, 171
159
Ebd., 230
160
Flusser spricht von einer neuen Form der Kritik, mit der auf das Digitale reagiert werden müsse. Da die
Bilder schon in Pixel „durchkalkuliert“ und „durchkritisiert“ seien, müsse die neue Kritik darin bestehen,
sie zu „re-synthetisieren“ (vgl. Flusser 1989, 149). Nichts anderes tut Peach mit remington.exe auf der
Ebene der digitalen Texte.
161
Honoré 2002, 188
162
vgl. Flusser 1999, 68
163
Baudrillard 2000, 25
164
Honoré 2002, 54
165
Flusser 1983, 25
166
Vgl. Honoré 2002, 91-94
167
Zur Hybridkultur, ihrer Manifestation in Lebensläufen, Mode, Religion, Architektur, Kunst, Medien und
Medieninhalten (das, was Rajewsky als „Medienkombination“ bezeichnet) sowie zu Folgen für die „Pluralität von Wirklichkeitsvorstellungen und die Flexibilität von Mustern der Sinnstiftung“ s. Schneider 1994.
158
3.2.5 Auswirkungen des Medienwechsels
30
over de outrerte særegenhetene i klesvalg, sminke, og også oppførsel, språk“,168 „noe med
sammenhengen, eller mangelen på sammenheng“.169 Dennoch, und damit entspricht Davids
Reaktion der Rezeption des aus Pixeln bestehenden Bildes als einheitliche Fläche, findet er
„noe ekte [...] over disse menneskene. De har skarpe konturer. De er tydelige. Det er folk man
ville kjent igjen på lang avstand“.170 Das Komputierte ist zwar nur scheinbar, wie Flusser sagt,
aber überzeugender und ‚beeindruckender‘ als die Realität, wie Baudrillard betont. Indem
die Identität dem Bauprinzip des technischen Bildes folgt, zeigt sich, wie eine dominante
mediale Struktur die Kultur, ihr Verständnis und ihren Ausdruck beeinflussen kann.
3.2.5 Auswirkungen des Medienwechsels
Wie schon deutlich wurde, legen die Theoretiker, was die Auswirkungen des Medienwechsels zum Technobild (Flusser), zur Simulation (Baudrillard) bzw. zur Sehmaschine (Virilio) angeht, ihr Augenmerk vor allem auf den Wegfall der Grenzen zwischen Realität und
Illusion. Im Roman wird dies auf mehreren Ebenen deutlich. Ein Indiz ist die Rolle von Davids
Träumen, die so stark von medialen Erfahrungen beeinflusst scheinen und Traum- und
Wachzustände verschwimmen lassen, dass sie im Rahmen der Untersuchung intermedialer
Bezugnahmen genau untersucht werden sollen.171 Dort werden auch die zahlreichen Bezüge
zu den Medientheorien deutlich werden, die hier nicht vorweggenommen werden sollen.
Eine Nebenfigur, die das Illusionistische und, wieder mit Flusser gesprochen, NeoMagische an der Medienrealität symbolisiert, ist der Zauberkünstler hinter der online-Maske
<magician>. Er selbst versteht sich, anders als seine kommerziell erfolgreichen Kollegen, als
Künstler: „copperfield er bare en oppblåst drittunge, det er ikke noe magi i det han gjør, bare
teknikk“.172 Neben seinem Beruf, der auf kunstvoller Unterwanderung der Realitätserfahrung beruht, ist er nach Davids Meinung „en samler, en sampler, et menneske som har redusert virkeligheten til katalogiserbare fragmenter [...]: forsøk på å skape sammenheng og symmetri“.173 Diese Reaktion auf fragmentierte Lebenserfahrung bei gleichzeitiger Vereinsamung, äußert sich bei dem Illusionisten in Bildbesessenheit: Peach findet in seinem Rechner
„et par merkelige, amatørmessige Photoshop-collager, [...] de klønete mosaikkene besto av
små utsnitt av andre bilder: en bit av en pikearm, litt hud fra en hals. Et kne, en hånd, en
fot.“174 Auf primitive Weise macht der Illusionist sich die Technik der Komputation zu Nutze,
wobei eine Eigenschaft des digitalen Bildes zum Tragen kommt, die Baudrillard beschreibt:
Jedes Bild, jede Form, jedes Körperteil, das man aus der Nähe betrachtet, ist ein Geschlechtsteil. Der
Promiskuität des Details und der Vergrößerung des Zooms haftet eine sexuelle Prägung an. [...] Die
Pornographie [...] zerlegt den Körper in seine kleinsten Teile [...]. Und unser Verlangen gilt gerade
diesen neuen kinetischen, numerischen, fraktalen, künstlichen, synthetischen Bildern. [...] Jeden-
168
Honoré 2002, 93
Ebd., 94
170
Ebd.
171
S.u., z.B. S. 52 f.
172
Honoré 2002, 72
173
Ebd., 165
174
Ebd., 42
169
3.2.5 Auswirkungen des Medienwechsels
31
falls suchen wir in diesen Bildern nicht mehr den imaginären Reichtum, sondern den Taumel ihrer
Oberflächlichkeit, das Künstliche ihres Details, die Intimität ihrer Technik.175
Peach erkennt ebenfalls, dass die Fotomontagen des Pädophilie-Verdächtigen „underlig uerotiske“ sind,176 dass das Verlangen des Illusionisten sich eher auf die „renhet“ des aus
Fragmenten komputierten Bildes als auf die Person dahinter bezieht. Er wird dadurch aber
auch zu einer Figur, die Flussers Behauptung der heutzutage noch ‚falschen‘ Rezeption der
technischen Bilder illustriert, indem er eine (erotische) Beziehung zu Bildern aufbaut, und
nicht zu anderen Menschen durch Bilder.177
Andere Auswirkungen des Medienwechsels, die mit Beobachtungen der Theoretiker
übereinstimmen, sind zu zahlreich, um erschöpfend genannt zu werden – im Folgenden
können nur einige kurze Schlaglichter geworfen werden. Wenn David seine Situation wie ein
„marionettespill“ vorkommt,178 so kann das im Bezug zu Flussers Aussage „alle apparatischen Universen robotisieren den Menschen und die Gesellschaft“179 gelesen werden. Die
Verschleifung von Mensch und Technik zu einem „Möbiusschen Kreisring“, in dem der
„Bildschirm des Computers und der mentale Bildschirm meines eigenen Gehirns“ miteinander verflochten sind,180 äußert sich im Text in vielen Äußerungen Davids: „verden har hengt
seg opp“, „logaritmiske forskyvninger.“181 „Og latteren var [...] et destruktivt virus, en utilgivelig kommafeil i kildekoden“.182 Sehr häufig dient diese technologische Färbung der Metaphern als Marker für einen intermedialen Bezug; in Kapitel 4 werden daher noch andere
Beispiele dafür zur Sprache kommen, wie die Äußerungen der Theoretiker und der Romantext motivisch miteinander verflochten sind.
Als ein letztes gemeinsames Motiv sei schließlich der Kokon als neuer, den technischen
Bildmedien angemessener ‚Wohnort‘ genannt, den der Architekturtheoretiker Virilio
prognostiziert. Das „Cocooning“ als eine Rückzugshandlung von der Welt geht für ihn einher
mit der „Wirkung eines Auf-der-Stelle einer Kontrolle der Umwelt von zu Hause aus“.183 Die
Behausung wird damit zum „Gehäuse“ einer Regiekammer, in der der Bewohner über das
Vehikel des technischen Bildes virtuell auf Reisen geht.184 Das Symbol des Kokons taucht im
Roman in dieser Bedeutung mehrfach auf. David etwa ordnet und formuliert die zurückliegenden Ereignisse im Warteraum des Krankenhauses: „I dennen kokongen har jeg redigert
mine egne logger og notater“,185 Davids Reisevehikel ist der Text. Der Krankenhaus-Kokon als
Endpunkt einer ‚Reise‘ wird mit einem anderen Raum parallelisiert, den man als Ausgangspunkt bezeichnen könnte: dem Haus in Bhaktapur, wo David selbst pädophile Neigungen
offenbart: „og du tenker at dette rommet er innsiden av en kokong eller en puppe, et åsted
175
Baudrillard 1989, 116
Honoré 2002, 42
177
S. Flusser 1999, 57f.
178
Honoré 2002, 196
179
Flusser 1983, 64
180
Baudrillard 1989, 122
181
Honoré 2002, 185
182
Ebd., 57
183
Virilio 1993, 83
184
Vgl. Virilio 1997, 68 und 110
185
Honoré 2002, 208
176
3.2.6 Krieg und Medien
32
for død eller fødsel, eller begge deler samtidig”.186 Die Erinnerung an jene Reise führt also
bloß von einem Kokon in den nächsten.
Auch in anderen Passagen des Romans wird Virilios These deutlich, dass mit dem virtuellen Reisen eine körperliche Unbeweglichkeit einhergehe. Peach benötigt im Krankenbett
nur einen Laptop, um die beiden letzten Trojaner-Programme in Gang zu setzen und wird so
zu einem Beispiel für den „wohlausgerüstete[n] Invalide[n]“.187 Peachs Verstrickung in die
virtuelle Welt zeigt jedoch auch, dass es sich bei dem Kontroll-Kokon um eine Falle für jemanden handeln kann, „dessen Wahrnehmung im voraus durch die Rechenleistung des
Computers programmiert wird“.188 Diesen Verlust des Außen- oder Realitätsbezugs bezeichnet Virilio auch, in der Krankheitsmetaphorik bleibend, als „technisches Koma“.189 Das Wartezimmer, das Krankenbett und das Kokon-Haus folgen dem selben Muster des involutiven
Einschlusses des Menschen (mit allen rauschhaften Folgen und „Halluzinationsphänomenen“190) wie „diskjockeyboksen, der Peach står og vugger som en mediterende sjaman“, und
wie „teknikerboksen“ im Theater, „Amfiscenens kontrollrom“, „kommandodekket“ von dem
David meint: „Peach ville elsket dette rommet“.191
3.2.6 Krieg und Medien
In diesem letzten Kapitel, das die Kriegsmotive in Orakelveggen auf medientheoretischer Folie deuten will, wird vor allem der Textcorpus von Virilio zum Tragen kommen, der
sich ausführlich mit dem Zusammenhang zwischen Krieg und Medien beschäftigt hat. Ein
erstes Motiv ist Maries Werbekampagne für Ärzte ohne Grenzen, in der sie den Balkankrieg
über Bildmanipulation in die „sørlandsidylle“ Norwegens verpflanzt: „Alt er bygd på redsler
klippet ut av Monterbias krigshelvete og limt inn i norsk virkelighet. Det er rått, brutalt og
urovekkende estetisk“.192 Virilio sagt zur medialen Kriegsvermittlung: es „verdoppelt sich
die Front“ hinein in den zivilen Raum;193 ein Prinzip, mit dessen verunsichernder Wirkung
Maries Kampagne bewusst arbeitet: Kriege werden zu Ereignissen, die, so Baudrillard, „zwar
eine unmittelbare (über die Medien vermittelte) Glaubwürdigkeit haben, die man aber nicht
überprüfen kann. [...] Diese Unsicherheit ist so etwas wie ein Virus, der [...] jedes Bild betrifft
oder befällt“.194 Marie verschmilzt also die typisch zivile mediale Kriegserfahrung mit der
hyperrealen Natur des Technobildes.
Der Krieg, der den Anlass zur Werbekampagne gibt, findet im fiktiven Balkan-Land
Monterbia statt. Dort baut der Diktator und Schriftsteller Milo Marovic seinen Krieg auf Fabeln aus Folkore und rassischen Visionen. „Og disse livsfarlige fabler blir distribuert via alle
tilgjengelige kanaler: skoler, kirker, aviser, TV, profesjonelt utformede hjemmesider på
nettet“.195 Der internen Propaganda, als deren begabten Regisseur David den Diktator be186
Ebd., 154
Virilio 1997, 51
188
Ebd., 48
189
Ebd., 123
190
Ebd., 48
191
Honoré 2002, 138f.
192
Ebd., 121
193
Virilio 1993, 47
194
Baudrillard 1994, 89
195
Honoré 2002, 34
187
3.2.6 Krieg und Medien
33
schreibt,196 steht die seltsam ‚unterbelichtete‘ Resonanz in den westlichen Medien gegenüber: die Fußball-WM-Spiele „stjeler avisforsidene fra Barna på Balkan“;197 getreu Virilios
These, dass das Fernsehen die Echtzeit-Übermittlung zur beherrschenden Zeitkategorie erhebt, die die „extensive Zeit“ ablöst.198
Der Monterbia-Krieg erhält bald, wie viele andere Medienkriege auch, seine Ikone: die
Fotografie eines Jungen, der einen Molotow-Cocktail auf einen Kampfhubschrauber wirft.199
Dieses Bild, das David auf seinem Computerbildschirm betrachtet, bündelt einen Komplex an
Bedeutungen: erstens „kunne [det] vært hentet fra en hvilken som helst krig“, was die Austauschbarkeit der Kriegsberichterstattung ebenso verdeutlicht wie die generelle Referenzlosigkeit des technischen Bildes; es symbolisiert zudem die groteske Überlegenheit einer
Kriegsmaschinerie, die das horizontale, erdgebundene Schlachtfeld in den Himmel verlagert.200 Außerdem scheint mit dem online-Bild etwas nicht zu stimmen; David kann es nicht
schließen, und bei jedem Erscheinen hat sich der Helikopter dem Jungen scheinbar ein Stück
genähert. Diese Wiederholung und Manipulation (denn als solche stellt sich das Bild letztlich
heraus) der Kriegsbilder „erklärt auch das Gefühl der ‚Entwirklichung‘, das die Menschen
befällt, und sie daran hindert, vorbehaltlos den surrealistischen Krieg der NATO gegen Serbien gutzuheißen“.201 Das Gefühl beschleicht auch David nach Ende der Kampfhandlungen:
Og når jeg søker etter mer detaljerte opplysninger om hva som har hendt i Monterbia, finner jeg bare brokker og biter. [...] Hele sommer har det forekommet meg at det var alvorlige logiske brister i
beretningene fra Monterbia; noe med motivene, noe som gjorde at plottet virket litt ... søkt. En begivenhet til terningkast 3. Og nå virker det som om historien er i ferd med å bli borte.202
Davids Suche im Netz kann laut Virilio gar keine anderen Ergebnisse bringen, denn
„woran es dem WEB nach der ‚Befreiung der Information‘ am meisten mangelt, ist der Sinn,
mit anderen Worten, ein Kontext, in dem die Internauten die Fakten einordnen und so das
WAHRE vom FALSCHEN unterscheiden können“.203 Der Krieg als „Fernsehduell“ und seine
Diplomatie sind „die Kunst geworden, Bilder zu finden, mit denen nichts, oder beinahe
nichts gezeigt wird“.204 Dieses „Fehlen der Bilder“,205 das aus einem bewussten Vorenthalten
ebenso entsteht wie daraus, dass das Ereignis selbst hinter seiner medialen EchtzeitAufbereitung verschwindet, bewirkt für den Monterbia-Krieg das, was Virilio als Komprimierung und anschließende Fiktionalisierung im ‚Wargame‘ beschreibt.206 Als dieser Krieg nämlich endet, tut er das undramatisch und in Form einer Implosion, die mediale Realität und
Kriegsgeschehen kurzschließt: CIA-Hacker frieren Marovics Bankkonten ein, und im Nach196
Ebd., 33. Nach Virilio ist Marovic eine der „Führungsgestalten, die die Massen demselben charismatischen Einfluss unterwarfen wie die Generation der Magier-Regisseure und -Schauspieler.“ Seine Macht
basiert zu gleichen Teilen auf Kriegs- und Propagandatechnik (Virilio 1986, 104).
197
Ebd., 39
198
Vgl. Virilio 1993, 133
199
S. Honoré 2002, 80f.
200
Vgl. z.B. Virilio 1986, 155ff.
201
Virilio 2000, 171. Viele Beobachtungen, die Virilio in „Strategie der Täuschung“ über den Balkankrieg
1999 trifft, lassen sich so mit dem Monterbia-Krieg in Orakelveggen parallelisieren.
202
Honoré 2002, 234
203
Virilio 2000, 193
204
Virilio 1993, 14
205
Ebd., 100
206
Ebd., 147
3.2.6 Krieg und Medien
34
hinein stellen sich zahlreiche der grausamen Internet-Fotos, die das harte Vorgehen gegen
den Diktator begründet hatten, als Fälschungen heraus.207 Dieser Kurzschluss zwischen Realität und Fiktion schließlich ist eines der Merkmale, die alle drei Theoretiker als zentrale Wirkung des technischen Bildes auf Handlung und Welterfahrung beschreiben.
Eine zentrale Denkfigur bei Virilio besteht darin, die Kamera und die moderne Waffe
zu parallelisieren und ineinander verschränkt zu denken; ein Umstand, der in Orakelveggen
nicht nur in Maries Foto-Kampagne anklingt. Auch verdeckter findet sich dieses Motiv wieder. Beim Videoclip-Dreh mit Christina Carrera „sirkler [kamerakranen] som et kamphelikopter over stranden“.208 In diesem Bild klingt Virilios These an, dass eine „aufschlussreiche
Koinzidenz existiert zwischen der Erfindung des kinematographischen Abdrehens der Sequenzen, der filmischen Schwerelosigkeit der Bilder des Photogramms und der Erfindung
eines kinematischen Abdrehens aus der Luft“, das zur Luftaufklärung und letzten Endes zur
oribtalen Satellitenüberwachung führt.209 Diese ‚abgehobene‘ Optik geht zudem mit einer
„Begehrlichkeit des Sehens, Schamlosigkeit und Entregelung der Blicke“ einher,210 so als habe der kriegerische Ursprung der Sehmaschinen den durch sie vermittelten Blick aggressiver
und obszöner gemacht. Damit spielt der beschriebene Videodreh ebenso wie der militärisch
gefärbte Text des dazugehörigen Liedes: „Linsene [...] glir tilsynelatende tilfeldig over den
nakne maven hennes, hotpantsene, lårene. Hun minner teksten, ‚shields down/I’m letting
you in/[...]keep coming closer‘“.211 Hier wird der Starkörper „wie eine Landschaft“ abgefilmt,
wie die Topographie eines Schlachtfeldes. Diese technisch vermittelte Nähe des Starkörpers
sieht Virilio historisch an die Bild-Logistik des 1. Weltkriegs gekoppelt.212 Der Zusammenhang zwischen Krieg und Sexualität färbt die Sprache vieler Schilderungen von Christina
Carrera und <webchild>.213 In der Disko HeadCase etwa erlebt David die Annäherungsversuche der Jugendlichen „Krieger“ wie einen Kampf: „man enten lykkes og forlater stedet i triumf eller blir avvist og forlater slagmarken blodig ydmyket“.214 Die „Brigade“, mit der er und
Peach nachher gehen, wohnt in „Lille Sarajevo“, einem Hinterhof, der aussieht „som om det
har slått ned en bombe“.215 Durch das mediale Eindringen in die Erfahrungswelt beginnen
auch bestimmte Stadtviertel Kriegszonen zu ähneln:216 sie „sind unterm Blick der [...] großen
Reporter-Touristen des Weltbürgerkriegs zu Drehfeldern eines permanenten Kinos geworden. [...] Hier handelt es sicht nicht mehr um ein Nachrichtenbild, sondern um Sehrohstoff.“217 Als davon kontaminiert erweist sich auch Davids Wahrnehmung, etwa wenn er die
Bandruine der Wohnung besucht, wo der Illusionist zu Tode kam: „Soverommet ligner en
ruin fra krigen i Monterbia.“218, der Krieg dringt über die Wahrnehmung ins Private ein.
207
Vgl. Honoré 2002, 234
Ebd., 80
209
Virilio 1997, 54
210
Virilio 2000, 31. Vgl. zur Verschmelzung von Blick und Waffe, von Bild und Projektil auch Virilio 1986,
168 u. 180
211
Honoré 2002, 80
212
S. Virilio 1986, 39f.
213
Dies zieht sich bis in Davids Träume: <webchild>s Augen „er fiksert på et punkt langt bak meg. Tusenmetersblikket. Øynene til soldater som har vært for lenge i kamp“ (Ebd., 96).
214
Ebd., 91
215
Ebd., 92
216
Virilio 1993, 24ff.
217
Virilio 1986, 146
218
Honoré 2002, 190
208
3.3 Intramediale Systemreferenzen
35
3.3 Intramediale Systemreferenzen
Neben der oben behandelten Möglichkeit eines Textes, sich (explizit oder implizit) auf
konkrete (literarische oder theoretische) Einzeltexte zu beziehen, spricht Rajewsky auch von
Bezugnahmen auf das sprachliche oder literarische System als Ganzes bzw. auf Subsysteme
derselben wie etwa Genres, Texttypen usw.: also von Systemreferenzen. Im Fall der intramedialen Bezüge unterscheidet sie zwei Typen: Systemerwähnung und Systemaktualisierung.
Für beide sollen in Orakelveggen Beispiele gefunden und ihre Funktion gedeutet werden.
3.3.1 Digitale Texte: Chats, Logfiles und Online-Artikel
Die intramediale Systemerwähnung definiert Rajewsky219 als das punktuelle Reden
bzw. Reflektieren über sprachliche (Sub-)Systeme, als auch als die reine Reproduktion bestimmter Regeln des aufgerufenen Systems, die allerdings im Text auf den Raum der Bezugnahme beschränkt bleiben müssen.
Solche Fälle gibt es in Orakelveggen in verschiedenen Komplexitätsgraden. Der einfachste Fall ist dabei wohl der der Chat-Gespräche zwischen <webchild> und <magician>, die
regelmäßig in die Erzählung eingebunden werden.220 Sie sind vom Kontext abgesetzt und
befolgen die ‚Regeln‘ jener Form von online-Kommunikation: konsequente Kleinschreibung
aller Worte, reduzierte bis fehlende Interpunktion, ein ‚mündlicher‘ Schreibstil, die typische
Markierung von nicht-‚gesprochenen‘ Passagen durch Sternchen (z.B. *ler*) und Stimmungsäußerungen mit Hilfe gekippter Smilies (z.B. :-) ). Die Form des Chats als ein Hybrid
aus geschriebener und gesprochener Sprache221 hat sich erst im Medium Internet entwickelt
und ist auf dieses beschränkt.222 Auch wenn die Erwähnung dieser Textform hier als intramedialer Bezug aufgeführt wird, ist diese Einordnung eigentlich nicht ganz korrekt; man
könnte auch von einem intermedialen Bezug zu einem verbalsprachlich codierten Teil des
‚neuen Mediums‘ Internet sprechen. Schon an diesem einfachen Beispiel wird also deutlich,
dass das mit recht klaren Abgrenzungen arbeitende Schema Rajewskys im Fall eines multimedialen (oder multi-codialen) Bezugsmediums nicht mehr ohne weiteres trägt.
Indem Honoré punktuell die Textform des Chats in seinen Text einbindet, untergräbt
er mit dem ‚mündlichen‘, an Tippgeschwindigkeit und Flüchtigkeit orientierten GebrauchsStil den schriftsprachlich-artifiziellen Erzählstil eines Romans. Die Systemerwähnung zielt
daher nicht auf ein dezidiert literarisches, sondern ein gesamtsprachliches Subsystem, und
funktioniert autoreflexiv, indem Unterschiede zwischen den Konventionen der interaktiven
Chatsprache und der eher „fascistischen“ Struktur223 des Romans bewusst werden.224
219
Rajewsky 2002, 66ff.
Erstmals auf S. 28 in Honoré 2002
221
„Es sieht wie Schreiben aus, aber das ist es nicht. Es gibt einem das Gefühl von Sprechen, aber das ist es
auch nicht. Es ist – geschriebene Sprache.“ (Mandel / van der Leun 1997, 109)
222
Auch bei der Kommunikation via SMS über Mobiltelefon kommt es zu ähnlichen sprachlichen Modifikationen, die dort jedoch wegen der begrenzten Zeichenzahl noch radikaler ausfallen.
223
Flusser verwendet den Ausdruck, um Kommunikationssituationen zu beschreiben, in denen Informationen in Strahlenform von Sendern (Fernsehanstalten, Verlagen, ...) an Empfänger (Zuschauer, Leser, ...)
ausgehen. Diese Strahlen-Kanäle strukturieren eine Gesellschaft „fascistisch“, und eben nicht dialogisch
(zu interaktiven Kommunikationsnetzen). Vgl. Flusser 1999, 68
220
3.3.1 Digitale Texte: Chats, Logfiles und Online-Artikel
36
Ganz ähnlich funktionieren die in den Text eingebauten Logfiles von Peach, eine Art
digitaler Tagebucheinträge, die explizit an David gerichtet sind.225 In diesen Passagen wechselt nicht nur die Erzählerinstanz, auch der Stil wird fabulöser, bildreicher, ja sogar schwülstig und deutlich ‚gekünstelter‘ als der der sie umgebenden Romanerzählung. Obwohl also
sprachlich konträr zu den Chat-Passagen, ist die Wirkung dieselbe: der Romantext reflektiert
hier seine eigene Künstlichkeit.
Das dritte Beispiel, das genannt werden soll, ist weitaus komplexer und weist zudem
über den Romantext als Ganzes hinaus, mit Implikationen auch für die Funktionalisierung
dieser Passage. Bei seinen Recherchen über Marie Kammer stößt David zufällig auf einen
Zeitungsartikel auf der Homepage der norwegischen Tageszeitung Dagbladet, ein Interview
mit der Künstlerin und Musikerin Yoko Ono.226 Anlässlich einer Ausstellung im HenieOnstad-Senter in Oslo spricht Ono über ihre Installation mit leuchtenden Seesternen aus
Mikronesien, wie auch über bisher geheim gebliebene Geschehnisse bei John Lennons Produktion des Wedding Album. Lennon löschte damals angeblich die perfekten, aber seiner
Meinung nach nicht authentischen Einspielungen, und die übrig gebliebenen Sinustöne landeten zufällig auf einem Rezensionsexemplar der Platte – ein Unfall, der vom Kritiker Richard Williams damals als musikalisches Meisterstück gelobt wurde.
Dieser online-Zeitungsartikel stellt sich im Laufe des Romans jedoch als Fälschung heraus, die Peach auf die Internetseite der Zeitung geschleust hatte. Ebenso wie einige andere
gefälschte Texte, die in die Erzählung eingebunden werden, ist die Passage durch ein typographisches Detail markiert: der Buchstabe ‚t‘ ist leicht höhergestellt. David assoziiert dies
wieder mit dem Krimi-Genre:
Det føles som om jeg studerer et utpresningsbrev i en klassisk detektivfilm og finner en ledetråd, et
typografisk fingeravtrykk: en justeringsfeil på en gammel Remington-skrivemaskin. Bokstaven som
er hevet ørlitt over linjen.227
remington.exe ist gleichzeitig auch der Name des Trojaner-Programms, mit dem Peach
seine gefälschten Texte im Netz platziert, wie auch die Überschrift des ersten Romanteils,
der von Elementen eines typischen Krimi-Plots geprägt ist. Der typographische Kniff hat
zwei Funktionen, die man mit Hockenjos und Schröder als „autoreflexiven Bruch der literarischen Diegese“ beschreiben kann:228 erstens macht der Text seine mediale Gebundenheit
deutlich, die Notwendigkeit, in alphabetischen Zeichen codiert zu sein, die wiederum auf
einem Träger fixiert sind, und die in ihrer Form Einfluss auf den Inhalt haben können. Zweitens überführt der Text das von David erwähnte Krimi-Klischee der Suche nach Anomalien
im Schriftbild auf die Ebene des Lesers: dessen eigenes ‚detektivisches Gespür‘ wird angespornt, rückwärts und vorwärts im Romantext auf der Suche nach den ‚t‘s zu gehen und so
die von Peach gefälschten von den ‚echten‘ Texten zu unterscheiden.
224
Umso mehr als dass die Chat-Auszüge natürlich ebenfalls nur ein artifizielles ‚Als-ob‘ sind. Sie imitieren
nur die Pseudo-Mündlichkeit des Chats und verweisen damit in einem weiteren Reflexionsschritt auch auf
die artifizielle Natur des ganzen Romans.
225
erstmals s. Honoré 2002, 20
226
Honoré 2002, 110ff.
227
Ebd., 118
228
Hockenjos / Schröder 2005, 33
3.3.1 Digitale Texte: Chats, Logfiles und Online-Artikel
37
Was an diesem Beispiel auffällt, ist die vielschichtige Vermengung von Realität und
Fiktion, laut Virilio eines der Hauptmerkmale des Internets.229 Die historischen Personen
Yoko Ono und John Lennon kommen in einem Text zur Sprache, der auf der Ebene der Erzählung zunächst real erscheint, sich später aber als fiktiv herausstellt. Je nach Vorkenntnis
wird auch der Leser den Text zunächst vielleicht als tatsächliches Dagbladet-Zitat lesen, das
Honoré in seinen Roman eingefügt hat. Denn auch die angebliche Ausstellung im HenieOnstad-Senter ist nicht völlig fiktiv: 1990/91 hatte Ono tatsächlich eine Ausstellung in diesem Museum, wenn auch nicht mit einer Seestern-Installation. Ähnlich verhält es sich mit
der in den Artikel eingebetteten Systemerwähnung, die das ‚Zitat‘ eines Telegramms von
Lennon an den Musikkritiker Williams aufruft. Die doppelte Fiktionalität des Artikels (auf
Ebene der Erzählung wie auf der des Lesers) wird durch ein Genre-Zitat aus dem Detektivfilm
(remington) markiert und in der Typographie des Romantextes tatsächlich wiedergegeben,
motivisch gekoppelt an den Programmier-Text des Trojaners remington.exe. Allein diese
Verfahren wirken schon autoreflexiv und metafiktional, weil sie über die verschachtelten
Realität-/Fiktions-Spiele den Roman selbst als artifizielles Produkt herausstellen.230 Verdoppelt wird dies noch durch einen amüsanten Zug, der jedoch außerhalb des Romans und des
Gestaltungsspielraums des Autors liegt: in einem nachgelagerten kulturellen Paratext: am 20.
August 2002 veröffentlichte die Tageszeitung Dagbladet auf ihrer Website eben jene Passage
mit dem gefälschten Yoko-Ono-Interview als Leseprobe für den Roman Orakelveggen.231
Dieser Fall der Systemerwähnung, der Bezugnahme des Romantextes auf das Genre
der Netzausgabe einer Tageszeitung, ist nur noch mit Hilfe medientheoretischen Werkzeugs
zu greifen. Der Text thematisiert durch die Verschachtelung realer und fiktiver Inhalte,
Textformen, Sprachgebrauch und Medien sowie die Überführung auf die typographische
Ebene und die Rückkopplung an das Rezeptionsverhalten des Lesers das Verschwinden einer
verlässlichen Autor-Instanz, die „Infragestellung des Urhebers“,232 wie sie für InternetInhalte signifikant ist. Diese Eigenschaft des digitalen Mediums, die Flusser in seinem Begriff
der Komputation, Virilio und Baudrillard in der „Auflösung“ der Realität durch die Simulation fassen,233 wird schließlich zu einer den Romantext konstituierenden Größe. Hier gibt es
von Anfang an mehrere (teils unsichere, teils maskierte) Erzähler-Instanzen, die unklaren
Identitäten der sprechenden und handelnden online-Charaktere <webchild> und <magician>,
sowie einen daraus resultierenden, zunehmenden Verlust der Erzählerautorität Davids, der
im ‚erzählerlosen‘ Epilog schließlich vollkommen ist. Die hier behandelte intramediale Systemerwähnung wird damit zu einer Markierung des intermedialen Bezugs zwischen dem
Romantext und dem Medium Internet, das, wie unter 4.2.3 zu zeigen sein wird, das sprachliche System des ganzen Romans mit seinen Regeln und Strukturen kontaminiert.
229
vgl. z.B. Virilio 2000, 107
Außerdem legen sie nahe, das Gleiche für reale, scheinbar objektive Texte wie online-Artikel anzunehmen. Dies liegt auf der Argumentationslinie Jean Baudrillards, der die Bezugsrealität hinter ihrer medialen
Verdopplung verschwinden sieht.
231
www.dagbladet.no/kultur/2002/08/20/346559.html (Stand vom 12.11.2005)
232
Virilio 2000, 118
233
Ebd.
230
3.3.2 Der Kriminalroman als literarisches Bezugssystem
38
3.3.2 Der Kriminalroman als literarisches Bezugssystem
Der Fall der intramedialen Systemaktualisierung ist, wie Rajewsky bemerkt, eher selten. Denn hier wird ein Bezugs(sub-)system durchgängig zur Konstitution des gesamten Textes verwendet, seine Regeln formen nachweisbar die sprachliche Gestaltung des kontaktnehmenden Textes. Da ein solcher Bezug die Textkonstitution permanent beeinflussen
würde, kommen solche Bezugnahmen selten oder nur in abgeschwächter Form vor.
Im Fall von Orakelveggen könnte man das Genre des Detektiv- oder Kriminalromans
als ein solches Bezugssystem ansehen, das der Roman zwar ständig im Hintergrund mitführt,
durch zahlreiche andere Bezüge (intra- wie vor allem auch intermediale) jedoch ständig dekonstruiert. Darin läge dann auch die Funktion einer solchen Bezugnahme: ein bekanntes
Genre samt seiner Konventionen im Leser aufzurufen, um die dadurch entstehende Erwartungshaltung dann zu unterminieren und die Illusionsbildung des Textes zu brechen.
Typische Muster des Detektivromans sind in der Figurenkonstellation angelegt: ein
Ermittler (David) umgibt sich mit einem jüngeren, unerfahrenen Assistenten (Peach). Undurchsichtige Verdächtige mit vielfältigen Motiven treten auf, die sie alle zu potentiellen
Tätern machen, um Spannung aufrecht zu erhalten: der Illusionist, Marie Kammer und auch
<webchild> folgen zunächst diesem Muster. Auch der Spannungsbogen des Krimis, eine Verdichtung und Verkettung der Ereignisse bis hin zum gewalttätigen, dramatischen Finale, bei
dem sich der Täter offenbart, bildet ein Gerüst in der Erzählung von Orakelveggen. Doch von
Anfang an gibt es Elemente, die dem Genre zuwider laufen. Die Ermittlungen gehen nicht
von einem Mord aus, sondern von einem ‚abgehörten‘ Chat-Gespräch. ‚Täter‘- und ‚Assistent‘-Rolle fallen am Ende in Peachs Person zusammen und kippen die typische Rollenwertung des ‚guten‘ Ermittlers, der den ‚Bösen‘ überführt, genauso wie die Tatsache, dass eigentlich Peach David eines (fiktiven) Verbrechens überführt und schließlich vor genau dieser
Überführung bewahrt; dem Ermittler entgleiten die Zügel, ebenso wie seine Erzählerstimme
der Autorität verlustig geht.
Markiert wird der Bezug auf das Kriminal-Genre durch die oben genannten AgathaChristie-Verweise, die Ansiedlung der Geschichte im Osloer Polizeimilieu, das Thema Internetkriminalität und typographische Markierung durch die hohen ‚t‘. Unterminiert hingegen
wird die Systemaktualisierung dadurch, dass die Ermittlungen ins Leere laufen, dem Ermittler wie dem Leser unwichtig werden und von zahlreichen in die Handlung einbrechenden
Nebensträngen ‚gestört‘ werden. Auslöser dafür sind, wie in den folgenden Kapiteln gezeigt
werden soll, die intermedialen Bezüge zu technischen Medien, deren Struktur die Sprachstruktur des Romans beeinflusst und die nicht mehr mit dem streng linearen, auf kausalen
Schlüssen basierenden Genre des Kriminalromans kompatibel sind. Genauso, wie David sich
in seine online-‚Beziehung‘ zu <webchild> verstrickt, darüber seine Ermittlungen vergisst
und seinen Beruf riskiert, so wird das Krimi-Genre im Roman durch intermediale Bezüge zu
den ‚neuen Medien‘ demontiert.
4 Intermediale Bezüge
39
4 Intermediale Bezüge
Wenn ein Textes seine medialen Grenzen überschreitet und fremdmediale Systeme
aufruft, simuliert oder deren Struktur die eigene Konstitution beeinflussen lässt, hat man es
mit intermedialen Bezugnahmen zu tun. Wie unterschiedlich diese in Technik und Auswirkung auf Textstruktur und Lesehaltung ausfallen können, soll in diesem Kapitel anhand
zahlreicher Beispiele gezeigt werden. Rajewskys Typologie der intermedialen Bezüge steht
dabei im Hintergrund und strukturiert in der Abfolge von einzelnen, klar begrenzten hin zu
komplexen, den ganzen Text durchsetzenden Bezügen auch den Aufbau des Kapitels. Dennoch wird sich zeigen, dass die Unterscheidungen, die Rajewsky zwischen den Kategorien
trifft, in der Anwendung oft nicht in derselben Klarheit zu halten sind. Dies ist jedoch nicht
als ein Fehler in ihrer Konzeption der intermedialen Bezugnahmen zu verstehen; vielmehr
resultieren die Überschneidungen und Verwischungen einerseits aus der Tatsache, dass ein
allgemeines Schema in der Anwendung meist durch Ausnahmen und ambivalente Fälle relativiert (aber eben auch konkretisiert) wird. Und andererseits sind die Objekte der Bezugnahmen von Orakelveggen nicht ein einzelnes, sondern eine Vielzahl von fremdmedialen
Systemen, unter ihnen das in sich polymediale Konglomerat namens ‚neue Medien‘. Diese
Vielfalt der Bezugssysteme wird am deutlichsten, wenn man zunächst intermediale Einzelreferenzen betrachtet, den strukturell unkompliziertesten Fall der intermedialen Bezugnahme.
4.1 Einzelbezüge zu Musik, Kunst, Foto, Film, Fernsehen, Computer
Als intermediale Einzelreferenzen sind Bezüge des Textes auf bestimmte fremdmediale
Produkte zu verstehen, die wiederum meist als Markierungen für intermediale Systembezüge zu deuten sind. Die strikte Trennung, die Rajewsky zwischen Einzel- und Systemreferenz
vornimmt, kann daher bei dieser Analyse nur schwer eingehalten werden – immer wieder
wird im Zusammenhang mit Einzel- auch auf Systemreferenzen zu verweisen sein.234 Hier
zur Sprache kommen sollen Bezüge zu a) Musikstücken, b) Bildkunstwerken und Fotografien, c) Film-, Kino- und Fernseh- sowie d) Internet- und Computerprodukten.
Laut Rajewsky kann die intermediale Einzelreferenz drei Strategien benutzen:235 erstens die der associative quotation, wobei etwa ein zitierter Liedtext im Leser auch die dazugehörige musikalische Ebene aktiviert; zweitens die des „Redens über“ bzw. „Reflektierens“;
und drittens die des Evozierens des Fremdmedialen, was laut Rajewsky für den Leser eine
„fremdmedial bezogene Illusionsbildung“ zur Folge hat.236
a) Musik
Die Bezüge zum Medium Musik sind zahlreich, vor dem Hintergrund von Honorés Tätigkeit als Musikproduzent sicherlich keine Überraschung. Gleichzeitig spielt die Musik für
Handlung, Motivik und Metaphorik eine zentrale Rolle und soll deshalb nicht zugunsten der
234
Zumal auch Rajewsky betont, dass „mit dem einzelreferentiellen Verfahren immer auch ein Rekurs auf
das kontaktgebende fremdmediale System einhergeht“ (Rajewsky 2002, 149).
235
Ebd., 150f.
236
Ebd., 151
4.1 Einzelbezüge zu Musik, Kunst, Foto, Film, Fernsehen, Computer
40
Bildmedien vernachlässigt werden. Auch dienen die musikalischen Referenzen häufig als
Markierungen für oder Verknüpfungen zu anderen fremdmedialen Bezügen.
An einigen Stellen ruft der Text die musikalische Ebene als ‚assoziatives Zitat‘ auf, indem er Liedtexte zitiert. Dreimal handelt es sich um Songs von Leonard Cohen, und jedesmal
markieren die Zitate eine entscheidende Wendung in der Romanhandlung. Mit dem ersten
Zitat:237 „It’s here we’ve got the range/and the machinery for change“ vom Album The Future beschreibt David seinen drängenden Verdacht, dass Peach sich nicht zufällig bei seiner
Hacker-Aktivität erwischen ließ, sondern sich ganz absichtlich Zugang zur ‚Maschinerie‘ der
polizeilichen Web-Ermittler-Werkzeuge verschafft hat, um sein Projekt noch effektiver ausführen zu können. Kurz zuvor schreibt David die ‚Besetzungsliste‘ seiner Erzählung dergestalt um, dass Peach zum eigentlichen Erzähler und David nur zu seinem Chroniker wird.238
Diese metatextuelle, auf die Genres Theater und Film-Drehbuch verweisende Reflexion, die
den Verlust der Erzählerautorität thematisiert, wird durch das Musikzitat erhärtet.
Das zweite Cohen-Zitat taucht wenig später innerhalb eines längeren, stark assoziativen und fragmentierten Abschnitts auf,239 der bei der Untersuchung der intermedialen Kontamination des Textes durch ‚neue Medien‘ noch eine wichtige Rolle spielen wird. Als Auslöser eines der Gedankensprünge kommt David die Textzeile „the cradle of the best and of the
worst“ in den Sinn, eine Charakterisierung Amerikas, durch die hier Davids Reise in die Wüste bei Silicon Valley mit seinem Aufenthalt in Bhaktapur gekoppelt wird, wo er fast den sexuellen Reizen einer Minderjährigen erliegt. Silicon Valley fungiert dabei als Chiffre für die
Entwicklung der Computer-Technologie, die ‚Wiege‘ der digitalen Technik, die in David sein
Bhaktapur-Erlebnis Jahre später durch die ‚Beziehung‘ zu <webchild> wieder aufleben lässt.
Das dritte Cohen-Zitat setzt dies fort. Als David sich kurz vor seiner Verurteilung durch
Peachs Virusprogramms trial.exe sieht, seinen Selbstmord erwägt und wenig später doch
vom Folgevirus mercy.exe gerettet werden wird, kommen ihm die Textzeilen „There is a
crack / There is a crack in everything / That’s where the light gets in“ in den Sinn.240 Nicht
nur greift der Song das im ganzen Roman präsente Bild des Risses auf, das auch als Metapher
für Bruch-Erscheinungen auf der Ebene der Erzählung gelesen werden kann; es nimmt ebenfalls die Hoffnung auf eine positive Wendung, die schließlich doch erfolgen wird, vorweg.
Das letzte Beispiel zitiert einen Song von Prefab Sprout, „Andromeda Heights“.241 Der
Song ist Teil der ständig wachsenden Homepage von <webchild>, die sich längst in Peachs
Händen befindet, ohne dass David dies ahnt. Die beiden Strophen erzählen vom Bau eines
Heims ohne Steine, Holz oder Beton, über den Wolken mit den Sternen als Nachbarn. Nicht
nur ist dies eine treffende Metapher für Peachs leidenschaftlichen Versuch, sich und seiner
Schwester im Cyberspace eine ideale, immaterielle Welt zu erschaffen. Der Song ist gleichzeitig eines der vielen Bruchstücke, aus denen zuerst Marie Kammer und nach ihr Peach die
Persönlichkeit von <webchild> zusammensetzen – ein multimediales Konstrukt aus (komputierten) Bildern, Klängen, Textzitaten und biographischen Versatzstücken. Die verhexend
anheimelnde Stimmung der Website-Welt wird durch die associative quotation des Songs
237
Honoré 2002, 144
Vgl. ebd., 142f.
239
Ebd., 154
240
Ebd., 242
241
Ebd., 182
238
4.1 Einzelbezüge zu Musik, Kunst, Foto, Film, Fernsehen, Computer
41
evoziert, wenn der Erzähler das Zitat mit den Worten einleitet: „Paddy McAloons stemme
klinger varmt fra die små høyttalerne.”242
Andere Musik wird lediglich erwähnt, um durch die im Leser aufgerufene klangliche
Ebene eine gewisse Stimmung zu transportieren, jedoch allgemeiner, als wenn ein bestimmter Song anzitiert würde. In der schon angesprochenen Szene, wo David im lärmenden Oslo
zu halluzinieren meint, ruft er den wilden, aggressiven Eindruck im Leser durch einen Verweis auf Strawinskys „Vårofferet”,243 das Ballett Sacre du printemps, auf. Andere Nennungen,
wie Brian Enos Discreet Music,244 eine Aufzählung von Noise-Bands245 und der Hinweis auf
„det infernalske skriket fra massakrerte gitarer“ in Lou Reeds Metal Machine Music246 haben
dieselbe, Stimmungen evozierende Wirkung.
Weitere Musikbezüge werden mit der Nennung anderer Medienprodukte verknüpft
und rufen so synästhetische Assoziationen beim Leser auf. Das geschieht etwa, wenn Peach
in einem seiner Log-Einträge schreibt: „Webchilds hjemmeside er et kunstverk. Stina Nordenstams uskyldige stemme og Andy Warhols funksjonelle suppebokser og filmstjerneportretter vevd sammen.“247 Hier werden nicht nur zwei intermediale Einzelreferenzen zu
einer allein im Kopf des Lesers stattfindenen polymedialen Referenz verbunden; das Wort
„vevd“ schlägt zudem noch eine Brücke zum Gegenstand der Beschreibung, der „Web“seite.
Die Musikverweise sind nicht nur punktuell anzutreffen. In der Beschreibung einer
Aufführung des Illusionisten für <webchild>, die David sich auszumalen versucht, wird der
Stimmungwechsel der Bühnenshow fast ausschließlich über Verweise auf bekannte Musikstücke im Leser lebendig: von Strauss’ Also sprach Zarathustra zu Saties Gymnopedie nr.1.248
Manchmal jedoch sind die Musikverweise auch komplexer. Zum Stück „Dark eyed
sister“ vom Album The Pearl von Brian Eno kommen David zwei Erkenntnisse über seinen
Assistenten Peach. Zum einen, dass dessen Plan im Ausgangspunkt wohl darin bestand, „å
skape noe som ligner denne musikken. Noe lett, noe gjennomskinnelig, vakkert”,249 und dass
er nur dafür die mächtige ‚machinery‘ des polizeilichen Internet-Werkzeugs benötigte. Und
zum anderen erinnert David sich an einen Tag, an dem er und Peach den Osloer Bahnhofsplatz per Kamera überwachten und Peach auf dem Computerbildschirm seine drogenabhängige Schwester entdeckte, für die er dann sein zum Scheitern verurteiltes Projekt einer besseren Welt im Netz anging. Metaphorisch wird die Musik hier mit einer Art technologischer
Ästhetik beschrieben, die erst wirksam wird, wenn der Leser die klangliche Ebene mit aufruft: „Summen av århundrers matematiske erfaringer, millioner av kalkulasjoner, minutiøse
filtreringer, endeløse labyrinter av transistorer og kabler“.250
Ein Verweis auf Ry Cooder während der Beschreibung von Davids Reise mit seiner Frau
Liv nach Silicon Valley wird zur ironischen Brechung und Reflektion der Situation genutzt,
wenn es heißt:
242
Ebd.
Ebd., 202
244
Ebd., 66
245
Ebd., 73
246
Ebd., 83
247
Ebd., 77
248
Ebd., 85
249
Ebd., 146
250
Ebd., 147
243
4.1 Einzelbezüge zu Musik, Kunst, Foto, Film, Fernsehen, Computer
42
Ry Cooder-kassetten jeg satte på for en halvtime siden, først lav og så gradvis høyere, som om jeg
kryssfadet musikken med den svinnende vegetasjonen, blir en klisjé i en klisjé, istedenfor lydsporet
til den drømmen vi trenger. Slidegitaren er ikke lenger klangen av Mojave-ørkenen [...]. Den er lyden [...] av et norsk ektepar på tokt i en Buick Stateline, et ekko av „vi må komme oss vekk, bare vi
to, finne tilbake til...” En nostalgisk reise til et sted vi aldri har besøkt.251
Dieser Verweis ironisiert den Versuch, eine gescheiterte Beziehung zu retten, durch
Bezüge auf andere Medien: die Klischeehaftigkeit einer (Film-)Musik, das Genre des RoadMovies. Dadurch wird eine unwirkliche Stimmung erzeugt, die ganze Reise ähnelt mehr einem Film oder der Simulation einer Reise, also einem Medienerlebnis. An dieser Stelle
schwingt wieder Virilios Vorstellung vom Reisen auf der Stelle mittels „audiovisueller Vehikel“ mit.252 Der Musikverweis wird in diesem Kapitel zum Baustein einer Erzähltechnik voller
intermedialer Verweise, die die Episode filmisch, als hyperreale Simulation erscheinen lassen. Unter 4.2.2 wird dies als evozierende Systemerwähnung beschrieben.
Ein letzter Musikverweis in Orakelveggen fällt in gewisser Weise aus Rajewskys Schema der intermedialen Bezüge heraus. Das dritte Virenprogramm mercy.exe ruft Davids öffentliche Verurteilung wieder zurück, und es tarnt sich als Musikdatei.253 Die Musik besteht
aus Samples des Stückes „Birth Wish“ von der gleichnamigen CD. Jener Abschnitt, in dem
David aus heiterem Himmel Gnade widerfährt, eine Wiedergeburt nach seinem in Gedanken
schon vollzogenen Selbstmord, ist zudem geprägt von einem Wechsel der Erzählerperspektive: Davids „jeg“ wird zu einem von einer erzählenden Figur losgelösten „du“.
Auf Birth Wish wirkt neben Christian Wallumrød, Arve Henriksen und Jan Bang auch
Erik Honoré selbst als Musiker mit. In diesem Verweis ist daher etwas angelegt, das Honoré
in seinem aktuellen dritten Roman Kaprersanger254 konsequent weiterführt: der Versuch
einer (nach Rajewskys Definition) Medienkombination, indem er parallel zum Roman die CD
Hijacker’s Songs mit der Gruppe Elswhere herausgab, auf die der neue Roman sich explizit
bezieht.255 Auch wenn Birth Wish zwei Jahre vor Orakelveggen erschien, ist die Idee auch
hier schon präsent. Honoré selbst nennt die Technik in Anlehnung an Film- und Fernsehterminologie „produktplassering“.256 Gleichzeitig sind für ihn Musik- und Textproduktion so
eng gekoppelt, dass sich Analogien zwischen anzitierter Musikart und Romanstruktur ergeben: „De to første romanene var nyjazz/elektronika, mens Kaprersanger er pop“.257
b) Bildkunst und Fotografie
Die intermedialen Bezüge zu einzelnen Kunstwerken sind nicht so zahlreich wie die
zur Musik, außerdem wurden zwei zuvor schon genannt: Yoko Onos (imaginäre) Installation
mit einem Becken voller leuchtender Seesterne, sowie Andy Warhols Suppendosen und Filmstar-Porträts als Teil einer synästhetischen Beschreibung von <webchild>s Homepage. Ein
dritter Kunstbezug allerdings verdient nähere Betrachtung. Es handelt sich um ein Bild von
251
Ebd., 98
Virilio 1997, 38
253
vgl. Honoré 2002, 232ff.
254
Honoré 2005
255
Holen 2005
256
Ebd.
257
Ebd.
252
4.1 Einzelbezüge zu Musik, Kunst, Foto, Film, Fernsehen, Computer
43
Gerhard Richter,258 das David zufällig im Astrup Fearnley-Museum entdeckt – kurz nachdem
er und Peach ein Foto von <webchild> entdeckt haben, und kurz bevor sie es als Komputation
enttarnen: „Et fotografi igjen, men uskarpt denne gang. Duse farger og myke linjer. [...] En liten gutt fotografert bakfra.“259 Als David das Bild auf der Suche nach einer nicht vorhandenen Signatur näher betrachtet, muss er jedoch feststellen: „Bildet jeg var sikker på var et fotografi, er et maleri, riktignok malt etter et fotografi – det må det være – et uskarpt snapshot
gjengitt med imponerende presis penselføring.”260 Bei einem späteren Besuch des Museums
revidiert er seine Erkenntnisse nochmals:
Det er ingen gutt som er avbildet, heller ingen jentunge. Det er en ung kvinne. [Bildet] er basert på
et uskarpt fotografi av hans kone, en kvinne på vei inn i mørket, tvunget inn dit av en gryende
sinnssykdom. Det er ett av kunstnerens mange bilder som eksisterer i det ladede vakuumet mellom
maleri og fotografi.261
Zusätzlich hat sich David im Netz ein Zitat Richters besorgt: „Det individuelle bildet
eksisterer ikke lenger. Det eneste vi kan gjøre nå, er å forsøke å ordne og systematisere den
endeløse bildestrømmen.”262 Dies, so meint David, sei das einzige, was auch ihm jetzt noch
bleibe, Chronologie und Zusammenhang.
Dieser Bildbezug geht deutlich über eine einfache intermediale Einzelreferenz hinaus.
Schon das Richter-Gemälde selbst könnte man ja als einen intermedialen Bezug zum Medium
Fotografie bezeichnen. Sein im Roman wiedergegebenes Zitat schlägt zudem eine Brücke zu
Fotografietheorien, von Benjamins Gedanken zum „Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“263 bis zu Flussers Äußerung zum Universum der technischen Bilder: „Kopieren macht alle Autorität und alle Autoren überflüssig und stellt daher die schöpferische Begeisterung in Frage“.264 Außerdem klingt im Richter-Zitat auch Flussers Vision
einer telematischen Gesellschaft an, in der „der Verkehr zwischen Mensch und Mensch
durch Bilder“ im Mittelpunkt steht.265
Indem David die Maltechnik des Bildes, seine Illusionswirkung, die es aus der Verwischung von Mediengrenzen bezieht, und die Aussagen des Künstlers auf seine eigene Erzählsituation bezieht, gibt er dem Leser die Möglichkeit, dies auf die Struktur des Textes zu übertragen. Auch hier wird der Erzähler immer mehr zum „kronikør“,266 der den Ereignisstrom
nur noch ‚ordnet und systematisiert‘: er verliert die Autorität über seinen Text. Reale, fiktive, komputierte, simulierte und kopierte Elemente verschwimmen, die Forderung nach
Chronologie nimmt David selbst wenig später zurück: „Jeg oppdager en endring i notatene
mine. [...] En dreining bort fra logger, rekonstruksjoner, hypoteser, og over mot noe som er
258
Der Titel des Bildes wird nicht erwähnt; der Beschreibung nach könnte es sich um „I.G/“ aus dem Jahre
1993 handeln. Für einen Eindruck s. www.gerhard-richter.com/art/detail.php?paintID=8003 .
259
Honoré 2002, 43
260
Ebd., 44
261
Ebd., 160
262
Ebd.
263
Vgl. Benjamin 1963. Der Aufsatz, der schon 1935/36 entstand, gilt als früher Klassiker der FotografieTheorie, auf den sich auch Flusser immer wieder bezieht.
264
Flusser 1999, 105
265
Ebd., 75
266
Honoré 2002, 143.
4.1 Einzelbezüge zu Musik, Kunst, Foto, Film, Fernsehen, Computer
44
løsere, mindre lineært. [...] Jeg er i ferd med å miste fokus“.267 In der Metaphorik („fokus“),
und Davids zunehmender ‚Klärung‘ oder ‚Scharfstellung‘ der Hintergründe des oberflächlich
unscharfen Gemäldes wird auch über sprachlich eine Konnotation zur Fotografie aufgerufen.
Die unsichere Identität von <webchild> ist ebenso im Bild, in Davids Rezeption und der
Platzierung im Roman symbolisiert: gleich nach dem ersten Betrachten, bei dem David die
dargestellte Person noch für einen Jungen hält, enttarnt Peach das <webchild>-Porträt als
Komputation aus zahlreichen Fotografien.268 Dem zweiten Museumsbesuch folgt die eben
zitierte, in Klammern aus der Erzählung ausgerückte Reflexion des Erzählers über sein
Schreiben. Die intermediale Einzelreferenz auf das Gemälde Richters bekommt somit eine
metatextuelle Funktion. Ähnlich wie der oben erwähnte Web-Artikel über Yoko Ono, der
sich später als Fälschung entpuppt, bricht auch der Bildverweis die Diegese des Textes, seinen „Status [der] Referentialität“,269 und lässt den Roman als ‚gemacht‘, als Täuschungsmanöver, als ‚Sampling‘, als ‚Nachzeichnung‘ oder Simulation einer erfahrbaren Realität erkennbar werden. Der Bildbezug wird so zur Markierung einer Systemkontamination mit
Elementen aus dem Bereich der „technischen Bilder“, welche den ganzen Text auf motivischer und struktureller Ebene durchzieht, wie unter 4.2.3 nachzuweisen sein wird.
Das Richter-Gemälde steht als Hybrid auf der Grenze zur Fotografie, welche ein weiteres zentrales Bezugsfeld für den Roman eröffnet. Von den konkret anzitierten (analogen)
Fotografien ist jedoch nur eine weitere tatsächlich in der außertextlichen Realwelt verankert: das erste Foto von Joesph Niépce und Louis Daguerre aus dem Jahr 1827, 270 dessen Entstehung im Prolog des Romans beschrieben wird. Zunächst scheint dies eine einfache Einzelreferenz auf die ‚Geburtsstunde‘ des neuen Mediums Fotografie zu sein, deren Zusammenhang mit dem restlichen Roman zunächst im Dunkeln bleibt. Dennoch ist, nach
Rajewskys Definition, auch in dieser Einzelreferenz automatisch eine komplexe Systemreferenz auf das fotografische Medium angelegt.
Hinweise, die sich direkt an theoretische Gedanken zur Fotografie als früheste Vertreterin technischer Bilder koppeln lassen, finden sich z.B. in der Metaphorik des Prologs. Die
Gardinen in Niépces Arbeitszimmer „separerer virkeligheten fra bildet“,271 in den Umständen der ersten Fotografie ist daher schon jene Warnung angelegt, die Flusser für den Umgang mit technischen Bildern ausspricht: „daß sie nicht Fenster sind, sondern Bilder, also
Flächen, die alles in Sachverhalte übersetzen; daß sie, wie alle Bilder, magisch wirken“,272
dass sie also keine objektiven ‚Abbilder‘ sind. Ebenfalls parallel zu Flusser, diesmal zu seiner
Vorstellung vom Technobild als „neue Einbildung, in der wir uns erst zu üben haben“,273 lässt
sich die Beschreibung des Fotos als „[d]en første fortellingen på et nytt språk“274 lesen, ebenso wie die Sätze „Herfra er alt drøm“ und „Det er ren magi!“,275 welche Flussers Vision des in
267
Ebd., 160f.
Auch die Geschlechter-Verwirrung, die spätestens dann entsteht, wenn Peach <webchild> übernimmt,
ohne dass David dies ahnt, und die bis hin zum ‚Cybersex’ zwischen Peach und David führt (s. Honoré 2002,
186), klingt in Davids Rezeption des Richter-Gemäldes bereits an.
269
von Amelunxen 1995, 212
270
s. Abbildung 2 im Anhang, S. 68
271
Honoré 2002, 7
272
Flusser 1983, 15
273
Flusser 1988, 39
274
Honoré 2002, 7
275
Ebd., 8
268
4.1 Einzelbezüge zu Musik, Kunst, Foto, Film, Fernsehen, Computer
45
Bildern „träumenden kosmischen Gehirns“ entsprechen,276 sowie seiner Feststellung, dass
die Technobilder seit ihrer Entstehung bis heute fälschlicher Weise „neo-magisch“ gelesen
werden.277 Auch die Erzähltechnik, die Szenerie im ersten Absatz zunächst wie ‚blind‘ zu beschreiben, nur über Gerüche und Geräusche, bis zum Satz „Du åpner øynene“,278 kann als
sprachliche Aktualisierung des Vorgangs der ersten Fotografie, der erste Blick des ‚KameraAuges‘, gedeutet werden – in Rajewskys Terminologie ein typisches Beispiel für den ‚Als-ob‘Charakter eines intermedialen (hier: ‚fotografischen‘) Schreibens.
Gleichzeitig beinhaltet die sprachliche ‚Momentaufnahme‘ dieses ersten FotografieProzesses zahlreiche Vorausverweise auf den Roman, welche beim ersten Lesen zwangsläufig
unverständlich bleiben müssen – der Verweis auf die kommerzielle Ausbeutung der Erfindung durch Daguerre, welche in Davids Vorstellung den Weg zur Foto-Pornografie der Jetztzeit ebnet, ebenso wie ein in Klammern gefasster Abschnitt voller punktförmiger Verweise
auf Bilder und Motive des Romans: „(ja, du aner allerede omrisset av engler i arkitekturen,
fingeravtrykk på taster, illrøde vulkaner under porselenshud; knyttenever av lys, en levitasjonsakt, et fall, en hellig offerhandling).“279 Dieser Bruch der chronologischen Erzählung
durch vorausweisende Motivfragmente gleich zu Beginn des Romans ist der erste Hinweis
auf die Kontamination des sprachlichen Systems mit Elemente des technischen Bildes und
der ‚neuen Medien‘: die Ablösung des linearen Schriftcodes durch den punktförmigen, komputierbaren Technobild-Code280 bzw. die Hyperlink-Struktur des Internets.
c) Film, Kino und Fernsehen
Auch auf das Medium Film, in noch größerem Maße als das Foto ein Medium „technischer Bilder“, finden sich in Orakelveggen alle Arten von Einzelbezügen. Einige sind wiederum unkompliziert in ihrer Funktion, der Verweis auf Darth Vader etwa,281 jene prototypische
Gestalt des Kino-Bösen aus George Lucas’ Star Wars-Epos, mit dem die vernichtende Gewalt
eines zufällig gelegten Feuers in Davids Kindheit medial verbildlicht wird. Auf einer weiteren
Ebene funktioniert dieser Verweis, wenn man, wie es unter 4.2.2 geschehen soll, die Schilderung von Davids (Tag-)Träumen als von Elementen des Filmsystems modifiziert untersucht.
Denn auch die Feuer-Episode wird als Traum erzählt, gespickt mit filmischen Anweisungen
wie „Sceneskift“ und „Blackout“ sowie geprägt von einem abgehackten Stil.
276
Flusser 1999, 137
Vgl. ebd., 10
278
Honoré 2002, 7
279
Ebd., 8. Gleichzeitig können sich diese Zeilen auch als doppelter intertextueller, wahrscheinlich nicht intendierter Bezug lesen lassen: zum einen zu Tarjei Vesaas’ Gedicht Regn i Hiroshima aus der Sammlung
Leiken og lynet (1947), das mit fast analogen Bildern arbeitet. Zum anderen klingt in diesem ersten Textbezug wie auch in den Bildern „fingeravtrykk på taster“, „engler i arkitekturen“, „knyttenever av lys“, „illrøde vulkaner under porselenshud“, Paul Virilios Parallelführung von Atombombe und Fotografie in Krieg
und Kino an: „Die erste Bombe hatte [...] einen Blitz verursacht, einen atomaren flash von einer Fünfzehnmillionstel-Sekunde, dessen Schein bis in die Häuser und Keller drang [...]. Die Muster der Kimonos tätowierten die Haut der Opfer. War die Photographie, ihrem Erfinder Nicéphore Niépce zufolge, nur einer
Methode der Lichtgravur, [...] so war die Atomwaffe Nachkomme [...] der Dunkelkammern [...] und der
Kriegsscheinwerfer. [...] Die Mauern der Stadt wurden jetzt zu Bildschirmen.“ (Virilio 1986, 176f.)
280
Bei Flusser die fünfte Stufe einer Entwicklung von der medienlosen zur telematischen Gesellschaft: „Die
Texte [...] zerfallen zu Punktelementen, welche gerafft werden müssen. Es ist die Stufe des Kalkulierens
und Komputierens. Auf ihr stehen die technischen Bilder.“ (Flusser 1999, 11)
281
Honoré 2002, 82
277
4.1 Einzelbezüge zu Musik, Kunst, Foto, Film, Fernsehen, Computer
46
Ein ebenfalls filmisch geprägter Tagtraum-Abschnitt enthält eine Referenz zur Zeichentrick-Figur Timmy Gresshoppe aus Walt Disneys Pinocchio,282 mit der der Kellner einer
Kellerbar beschrieben wird. Ein dritter einfacher Verweis schließlich, die Referenz auf die
Serie Derrick,283 dient als erneuter Marker für das im Roman aktualisierte Krimi-Genre.
Andere Einzelreferenzen sind komplexer gebaut. Einen Theaterbesuch, den David in
der Techniker-Kabine verbringt, schildert er konsequent mit metaphorischen Verweisen auf
die Fernsehserie und Kinofilm-Reihe Star Trek: „Dette var kommandodekket på stjerneskipet
USS Enterprise, lydteknikeren var løytnant Spock“.284 Der Lichttechniker wird zum Androiden Data, die Inspizientin zu „president Lora på planeten Nexus 4“, Bühnenanweisungen
klingen nach Befehlen für den Warp-Antrieb, und die Lichtregie erscheint David wie eine
Reise durch den Hyperraum.
Neben der ironischen Brechung, die sprachlich die eher ‚ernste‘ Rezeptionssituation
des Theaters unterläuft, wird auch das auf Illusionismus angelegte Bühnengeschehen durch
die Science-fiction-Perspektive als Fiktion entlarvt, was wiederum als Hinweis auf eine Brechung der Illusionswirkung des Romans gelesen werden kann. Gleichzeitig wird hier der
Sternenraum des Weltalls metaphorisch parallel zum Bühnenraum des Theaters geführt;
hier „funklet og gnistret“ die Filmschauspielerin Anne Krigsvoll „i det faste ensemblet av lyssvake stjerner“.285 Zusammen mit einer Beschreibung der Tonregie in Tagen des Plattenspielers, als die Szenen-Musik live zu mischen war, driftet Davids Erzählung aus dem Theaterraum in eine reflexive Sphäre ab, in der er über die Kopplung von Musik, Film und Bühne,
und über eine Revision der ‚Besetzungsliste‘ seines Roman-Berichtes schließlich Peachs eigentliche Motive zu ahnen beginnt. Der Filmverweis auf Star Trek wird damit zu einem Auslöser für eine assoziative, reflexive Kette von intermedialen Systembezügen. Auch diese Passage wird daher unter 4.2.2 und 4.2.4 nochmals zur Sprache kommen.
Eine weitere Film-Referenz verstärkt die Rolle des Lesers als ‚Detektiv‘, die schon zuvor
angesprochen wurde. Peach und David chatten miteinander und schieben einander Filmzitate zu, die der andere zuzuordnen hat – in diesem Fall ist die Lösung Down by Law von Jim
Jarmusch.286 Darin kann sich der Leser, der sich im Roman selbst mit zahlreichen medialen
Verweisen konfrontiert sieht, die es zuzuordnen gilt, wiederfinden.
Als letzte Referenz soll eine lediglich indirekte Bezugnahme angesprochen werden, die
den stilistischen und typographisch markierten Bruch am Anfang des Epilogs einleitet – da
auf diesen Schlussteil wegen seiner sprachlichen Besonderheiten später genau eingegangen
werden wird, fällt die Untersuchung hier knapper aus. Im Paris des Jahres 2002 sieht David
einen amerikanischen Film im Kino: „Plastposen på lerretet danser, som om den er koreografert. Umulige bevegelser. Hvordan har regissøren klart å lure inn denne sekvensen i en
Hollywood-film?”287 Gleich danach kippt die Filmhandlung in eine imaginäre Szenerie über,
in der Joseph Niépce mit seinem Sohn auftritt - das Kino wird, wie Virilio beschreibt, zum Ort
der „Entmaterialisierung“.288 Der aufgerufene Film ist wohl American Beauty von Sam Men282
Ebd., 204
Ebd., 218
284
Ebd., 139f.
285
Ebd., 140
286
Ebd., 23
287
Ebd., 247
288
Virilio 1986, 56
283
4.1 Einzelbezüge zu Musik, Kunst, Foto, Film, Fernsehen, Computer
47
des aus dem Jahre 1999. Die entsprechende Szene ist innerhalb des Films schon ein intermedialer Verweis, da es sich bei der Aufnahme der tanzenden Plastiktüte um ein digitales Video
handelt. Der junge Videofilmer Ricky beschreibt die Szene als das Schönste, was er je gesehen habe, und tatsächlich stellt die Sequenz in ihrer Länge und Minimalistik einen deutlichen ästhetischen Bruch innerhalb des Filmes dar, während sie gleichzeitig das Verhältnis
zwischen Kunst, Schönheit, Artifizialität und Zufall sowie die Filmrezeption selbst reflektiert.
Mit dem Verweis auf eine Medienverschiebung innerhalb des Films also markiert der Text
hier seine eigene ‚Bruchstelle‘, an der der Erzähler endgültig entpersonalisiert wird und verschwindet, während der Text den höchsten Grad an Kontamination mit Elementen der ‚neuen Medien‘ erreicht – und sich ‚selbst erzählt‘.
d) Internet und Computer
Intermediale Einzelreferenzen, die sich auf die Digitalmedien Internet und Computer
beziehen, sind nicht sehr zahlreich289 – dieser mediale Bereich wird eher durch Systemverweise im Text aktualisiert. Zudem gehen die Einzelreferenzen über eine bloße Nennung
nicht hinaus; sowohl der Hinweis auf die Internetseite dagbladet.no290 als auch die Beschreibungen von <webchild>s Homepage,291 der komputierten Digitalbilder,292 Marie Kammers
Bildmanipulationen für eine Anti-Kriegs-Werbekampagne293 und eines Kriegsfotos aus Monterbia, das sich bei jedem Betrachten leicht zu verändern scheint,294 dienen lediglich einer
Verankerung der Erzählung in der medialen Erfahrungswelt des Lesers sowie einer Markierung des Systems ‚neue Medien‘, auf das sich der Roman dann auf struktureller und sprachlicher Ebene höchst komplex bezieht. Etwas genauer sollen lediglich zwei Hinweise auf Computersoftware betrachtet werden.
Nach einem „dårlig lyssatt drøm“ aus körnigen Bildern295 hat sich David „et tredve sekunder langt Quick-Time-klipp av Marie Kammer [...] som en endeløs loop“296 im Kopf festgesetzt. Mit diesem Vergleich werden Traum und Erinnerung in ihrer Ungenauigkeit, Bruchstückhaftigkeit und Unschärfe mit der bis heute schlechten Qualität audiovisueller OnlineInhalte verglichen – ein Hinweis darauf, dass die ‚neuen Medien‘ Wahrnehmungsmuster beeinflussen, was der Roman auch auf formaler Ebene spiegelt. Der zweite Hinweis ist in dem
Beinamen „drømmevever“297 verborgen, mit dem David Peach bezeichnet. Nicht nur auf metaphorischer Ebene (auch mit Flussers Formulierung vom träumenden kosmischen Gehirn
im Hintergrund298) ist das Bild des „Traumwebers“ Peach, der seine ideale Welt im Netz konstruieren will, treffend – Dreamweaver ist auch der Name einer Software zur Entwicklung
von Internet-Inhalten.
289
Dies liegt sicher auch an der zuvor schon angesprochenen Problematik vieler digitaler Produkte, noch
von einem ‚Autor‘ oder einem einzelnen ‚Werk‘ im weitesten Sinne sprechen zu können.
290
Honoré 2002, 110-117
291
Ebd., erstmals S. 35
292
Ebd., 45
293
Ebd., 121
294
Ebd., 81
295
Ebd., 95
296
Ebd., 97
297
Ebd., 181
298
Flusser 1999, 137
4.2 Intermediale Systemreferenzen
48
4.2 Intermediale Systemreferenzen
Nachdem bisher recht ausführlich zahlreiche intermediale Einzelreferenzen zur Sprache kamen, soll es nun darum gehen, die immer wieder angesprochene Funktion dieser Verweise als Marker für Systemreferenzen an Beispielen zu belegen. Wie oben erwähnt, teilt
Rajewsky die intermedialen Systemreferenzen in eine Vielzahl von Unterkategorien auf; dass
diese Trennung im Zusammenhang dieser Arbeit nicht so streng erhalten werden kann, werden die Beispiele zeigen. Dennoch soll die Untersuchung der Systemverweise zunächst von
den drei goben Kategorien ausgehen, die Rajewsky ausmacht: der Systemerwähnung, die
sowohl explizit (4.2.1) wie auch qua Transposition, also in Form einer Als-ob-Umsetzung des
fremdmedialen Systems im Text (4.2.2) erfolgen kann, und der Systemkontamination (4.2.4).
4.2.1 Polaroid-Fotos als Bezugssystem
Explizite Systemerwähnungen können laut Rajewsky extradiegetisch, also über Erzähler und Metaphorik, intradiegetisch, also über Figurensprache und -handlung, sowie paratextuell über Titel, Überschriften, Layout usw. im Text aktualisiert werden.299 Für das erste
Beispiel, die (analoge) Fotografie bzw. die Polaroids von Davids Jugendfreundin Emilia, können alle drei Strategien nachgewiesen werden.
Erzähler- und Figurensprache fallen in Orakelveggen häufig zusammen, da David über
weite Passagen als Ich-Erzähler auftritt. Das gesamte achte Kapitel ist ein Rückblick auf Davids Begegnung mit Emilia, die metaphorisch sofort an das Medium (Polaroid-)Fotografie
gekoppelt wird – eine Metaphorik, die dann das ganze Kapitel durchzieht: „Hva er dette ustabile kjemikaliet i hjernen, denne bristen, som gjør det aller første bildet man virkelig ønsker
å huske uklart og utflytende [...]?“300 Nur wenig später folgt mit der Erwähung von Emilias
Polaroidkamera und einem Hinweis auf die verzerrte Farbigkeit der Instant-Fotos die explizite Erwähnung des Bezugssystems, mit dessen Hilfe hier die Erinnerung intermedial metaphorisiert wird. Diese ‚erste Erinnerung als Foto‘ wird zudem an die ‚Erinnerung an das erste
Foto‘ gekoppelt, an Joseph Niépces Aufnahme von 1827, die im Prolog beschrieben wird.301
Die Polaroid-Technik in Emilias Händen illustriert anschaulich Flussers zentrale These, dass
Fotos eben „nicht Fenster sind, sondern Bilder“.302 Denn Emilia fotografiert Schatten auf der
Wand von Knut Isachsen Hagebyen Kirke, und auf den Fotos werden diese Schatten zu Engeln: „Skikkelsene trådte frem like tydelig som om de var antikke, halvt utviskede fresker“.303
299
Vgl. Rajewsky 2002, 82
Honoré 2002, 46
301
Die Schilderung von Erinnerung als mediales Erlebnis verweist auch darauf, dass das Gedächtnis selbst,
wie Medienprodukte, inszeniert und zumindest in Teilen fiktiv sein kann – der interessante Widerspruch,
über technische ‚Speichermedien‘ die Flüchtigkeit und Unzuverlässigkeit des Erinnerns zu thematisieren,
kann hier leider nicht näher untersucht werden, wäre aber mittels medientheoretischer Aussagen über die
mediale Konstruktion von Realität deutbar.
302
Flusser 1983, 15
303
Honoré 2002, 48. Über die Illusionswirkung von Freskenmalerei als „virtuelle Welt“ vgl. Wertheim 2002,
81. Baudrillard äußert über Polaroids: „Es ist, als ob sich die alte Physik oder Metaphysik des Lichtes erfüllt
hätte, derzufolge jedes Objekt Doppel oder Abbilder von sich abwerfe, die unserem Gesichtssinn entgegenkommen. – Ein reiner Traum. – Die optische Materialisierung eines magischen Prozesses. Das Polaroidfoto
ist wie ein vom wirklichen Objekt abgesondertes ekstatisches Negativ.“ (Baudrillard 1989, 120). Das beschreibt sowohl Emilias Projekt wie auch Davids faszinierte Reaktion zutreffend.
300
4.2.1 Polaroid-Fotos als Bezugssystem
49
David führt dies auf „svakhetene i polaroidteknologien“ zurück,304 in einem fast theoretischen Abschnitt reflektiert er, wie die verschobenen Farbwerte eine ‚Hyperrealität‘ verursachen – terminologisch parallel zu Jean Baudrillards Aussagen über die Medienwirklichkeit.305 Emilias Polaroids sind damit als (analoge) Form von Komputation zu deuten, die für
sie und auch für David die Realitätswahrnehmung (‚neo-magisch‘) beeinflusst.
Analog zu dieser Ästhetik und Realitätskonstruktion, die auf technischen Schwächen
beruht, wird Davids Faszination für Emilia beschrieben. Denn das katholische Mädchen mit
ihrer südländischen Körpersprache ‚passt‘ nicht ins Nachbarschaftsmilieu. Und, seinen
unscharfen Erinnerungen misstrauend, zweifelt David: „Her jeg sitter og forsøker å skimte
henne, kan jeg ikke bekrefte med sikkerhet om Emilia virkelig var så vakkert som jeg husker
henne, eller om hun bare var annerledes, eksotisk; at jeg [...] skapte henne“.306 So wie Emilia
ihre Vorstellungen in die Schatten auf der Kirchwand projiziert, konstruiert David sich seine
‚ideale Freundin‘. Dies und die Tatsache, dass, wie David berichtet, ihn heute nur noch Brüche faszinieren können, „en brist, en asymmetrie“307 wie die Narbe in Emilias Gesicht, schlägt
eine Brücke zu seiner späteren Faszination zur (nun eindetig konstruierten) <webchild>: „Og
nå ser jeg deg igjen: i det lille arret i et konstruert ansikt på nettet. Du er tilbake“.308 Aus diesem Grund ‚passiert‘ der Flashback auch in genau dem Moment, als Peach ihm das komputierte Foto im Netz zeigt: die Konstruiertheit des digitalen Bildes ruft in ihm die Erinnerung
an die hyperrealen Polaroids wach, die besonders durch ihre Echtzeit-Qualität309 als frühe
Vorläufer des digitalen Bildes angesehen werden können. In seiner Reflektion über die Auswirkungen der irrealen Farbwerte verweist David auf die Abhandlung Distortions des kanadischen Ästhetik-Theoretikers Robert Barfeld – wobei der Titel der Schrift wiederum intertextuell auf Davids Vorliebe und Bessenheit für Störungen verweist. Und schließlich wird der
Bezug auch paratextuell verankert; das Titelbild des Romans ist ein (farb-) manipuliertes
Foto der Osloer Innenstadt.
Die Motivation für den intermedialen Systemverweis ist es also, neben der angedeuteten Parallelführung von Erinnerung und (oder als) mediale Konstruktion, die Entwicklung
der Fotografie von Niépces erstem grobkörnigen Bild über die farbschwachen Polaroids bis
zu den komputierten Digitalbildern als die Geschichte eines Mediums zu beschreiben, das
noch nie ein ‚Abbild-‘ oder ‚Aufschreibsystem‘310 gewesen ist, sondern immer das eines bewussten oder unbewussten Schwindels ganz im Sinne der Bildtheorien von Flusser, Virilio
und Baudrillard. Ein weiterer Nebenstrang der Romanhandlung, die Beschreibung von Davids Großvater als fotografierender „Perspektivschwindler“,311 unterstreicht dies nur. Letzten Endes weist all das auch wieder den Text als Konstrukt und den Erzähler als unzuverläs304
Ebd.
Vgl. z.B. Baurillard 1978, 24f. Hier wird anhand von Disneyland gezeigt, wie Illusion und Simulation
nicht Fiktionales neben der Realität etablieren, sondern die Fiktionalität einer Realität betonen, die sich
mit Hilfe von Simulationen selbst beschreibt. Diese ‚neue‘ Realitätserfahrung nennt Baudrillard dann ‚hyperreal‘.
306
Honoré 2002, 52f.
307
Ebd., 53
308
Ebd.
309
Ihre Eigenschaft also, „fast im selben Moment das Objekt und dessen Bild vor sich zu haben“ (Baudrillard 1989, 120). Beim digitalen Bild fällt dann die Notwendigkeit eines ‚Objektes‘ als Ausgangspunkt fort.
310
Eine Kittlersche Terminologie; vgl. Kittler 1985
311
Vgl. Honoré 2002, 220ff. Die Tiefe des technischen Bildes gewinnt laut Virilio „Oberhand gegenüber den
drei Dimensionen des Volumens der tatsächlich gegenwärtigen Dinge und Orte“ (Virilio 2000, 20).
305
4.2.2 Sitcom, Roadmovie, Kino und Simulation als Bezugssysteme
50
sig aus, der ja rückblickend erzählt, verschiedene Perspektiven einnimmt, den Erzählfluss
bricht und Unregelmäßigkeiten der Geschehnisse zum Anlass für Ausschweifungen nimmt.
Auch das Medium Film wird als System an mehreren Stellen im Roman explizit erwähnt; in diesem Fall sind jedoch Grenzziehungen zu anderen Systembezügen fast nicht
mehr möglich. So soll hier nur darauf hingewiesen werden, dass über die oben behandelten
Einzelreferenzen immer auch das Filmsystem als Ganzes aufgerufen wird. Zwei weitere markante explizite Systemerwähnungen, die beide jedoch rein als solche unerklärbar bleiben,
finden sich einmal in der Schilderung eines Traums, den David als „en merkverdig film“ beschreibt und der ein Kino und die Filmrezeptions-Situation zum Gegenstand hat.312 Zum anderen sei wiederum der Epilog genannt, der mit der Situation eines Kinobesuchs und der
Referenz auf den Film American Beauty eingeleitet wird.313 Die komplexen Filmsystembezüge
sollen hingegen erst im folgenden Kapitel ausführlich zur Sprache kommen. Gleiches gilt für
den Bereich Computer, Internet und digitale Bilder, deren explizite Erwähnung im Roman so
offensichtlich ist, dass sie nicht einzeln nachgewiesen werden muss.
4.2.2 Sitcom, Roadmovie, Kino und Simulation als Bezugssysteme
Unter der Kategorie Systemerwähnung qua Transposition eröffnet Rajewksy die Unterkategorien evozierende, simulierende und teilreproduzierende Systemerwähnung, die
sich vor allem durch Art und Grad der Modifikation des sprachlichen Systems unterscheiden.
Neben einigen einzelnen Beispielen für jede Kategorie soll schließlich anhand eines komplexeren Systembezugs gezeigt werden, dass diese Dreiteilung bei der Analyse nicht zwingend
praktikabel ist – ausgehend von einer (intertextuellen) Einzelreferenz über verschiedene
Stufen der (intermedialen) Systemerwähnung führt jener Bezug nämlich bis hin zur Kontamination des gesamten sprachlichen Systems des Romans.
Die evozierende Systemerwähnung ist nach Rajewsky diejenige, die am wenigsten ins
sprachliche System eingreift – ihre Bezüge thematisieren lediglich das Bezugssystem über
Vergleiche und Metaphorik, einzelne Regeln des Bezugssystems werden übernommen. Als
ein typisches Beispiel kann man einen Bezug zum Fernsehgenre der Sitcom anführen, mit
dem David sein Gefühl der Absurdität beschreibt:
Det hele er en spøk! En velregissert, fabelaktig gjennomført kosmisk spøk. Noen der oppe eller der
ute kikket ned eller inn på oss og bestemte seg for at vi var de perfekte ofrene for en øvelse i absurd
teater. Noen i en annen dimensjon eller en parallel verden sitter akkurat nå med potetgullposen i
fanget og gumler og humrer over våre viderverdigheter, og det er ikke Detektimen de ser på, men
en slags psykedelisk situasjonskomedie: David & Peach, Peach & Dave, Punch & Judy, Marie & David,
Donny & Marie ... whatever, Webchild, whatever!314
Hier wird nicht nur mit genretypischen Titeln gespielt, um die Situation ironisch zu
unterwandern. Indem er David seine Realität als Inszenierung denken lässt, reflektiert der
Text seine eigene Fiktionalität (und auch Absurdität) anhand des offensiv unrealistischen
Genres der Sitcom mit ihrem Theaterbühnen-Interieur, den an Gagdichte orientierten Dialo312
Ebd., 205ff.
Ebd., 247
314
Ebd., 195f.
313
4.2.2 Sitcom, Roadmovie, Kino und Simulation als Bezugssysteme
51
gen und dem ‚Dosenlachen‘ des unsichtbaren Publikums. Gleichzeitig unterwandert dieser
Genrebezug explizit das im Roman scheinbar ‚dominante‘ Genre des Krimis,315 indem betont
wird: „det er ikke Detektimen“,316 und stellt überdies, mit dem augenzwinkernden Verweis
auf kosmische Beobachter, die alte Frage nach der Scheinbarkeit des Seins, die in Baudrillards Formel von der Realität als Simulation wieder aufscheint.
Die Silicon-Valley-Episode in Kapitel 13 von Orakelveggen kann als komplexeres Beispiel dienen. Das mediale Bezugssystem ist hier der Film, genauer das Genre des amerikanischen Roadmovies, das auch explizit erwähnt wird.317 Mit einer Reihe klischeehafter Bilder,
vom Erzähler als solche auch erkannt und ironisch kommentiert, werden Stereotypen dieses
Filmgenres im Leser aufgerufen: „Vi har akkurat oppdaget at det faktisk finnes bensinstasjoner med plakater som roper ‚Last chance gas & water!‘ [...] Det føles nesten skuffende at en
kafé som dette eksisterer i virkeligheten. Som om man stjeler magi fra filmene.“318
Auch über die ‚Tonspur‘ wird das Genre mit dem Verweis auf Ry Cooder aktiviert,319
sowie über zahlreiche Details, die im Leser eine Illusionswirkung hervorrufen dürften, welche von seiner Filmerfahrung gesteuert und geprägt ist: hierzu zählen der verrostete Buick,
die Silhouette eines Joshua-Baums, die Beschreibung des genretypischen Cafés. Auf diese
Weise wird das Filmgenre eigentlich nicht nur evoziert, sondern sogar teilreproduziert, indem die Klischees als medienunspezifisches Element faktisch in den Text übernommen werden.320 Trotzdem wird der Genre-Verweis ständig unterlaufen, und mit ihm auch die illusionsbildende Funktion des Systemverweises: durch die ironische Kommentierung der
Klischeehaftigkeit der Szenerie, die sie hyperreal erscheinen lässt;321 durch Bezüge zu anderen Genres;322 durch die untypische Wendung, dass die scheinbar so abgeschieden lebenden
Bewohner des Fleckens ihr Geld mit silikonhaltigem Sand für die Computerherstellung verdienen; durch den Einbezug anderer medialer Systeme;323 durch die Bewusstmachung der
Sprachbarriere, indem englische Vokabeln in die norwegischen Sätze eingebaut werden
(„Hun var jo rimelig ... weird“) und dies wiederum kommentiert wird: „Feil språk, feil tunge“;324 durch die Anbindung der Episode an das metaphorische Netz rund um das Begriffsfeld
„stjerne“, welches den ganzen Roman durchzieht;325 und schließlich durch die metaphorische Aktualisierung all dieser ‚Brüche‘ des Genrebezugs durch das Bild des St.-AndreasGrabens, welches die ganze Episode auch an die Haupthandlung des Romans, an David von
Unsicherheit geprägte Verfassung koppelt:326 „Står jeg her og nyter vissheten om at jeg ba315
S. die Ausführungen zur intramedialen Systemaktualisierung, S. 38.
Detektimen ist ein wöchentlicher Sendeplatz für Krimi-Serien freitags abends beim öffentlich-rechtlichen norwegischen Fernsehsender NRK1.
317
Honoré 2002, 99
318
Ebd., 98
319
Vgl. die Ausführungen zur intermedialen Einzelreferenz auf S. 41 f.
320
Auch an diesem einfachen Beispiel zeigen sich schon Probleme mit Rajewskys Schemabildung.
321
„At vi bare bytter bilder, drømmer, lik guttunger som bytter fotballkort“ (Honoré 2002, 102)
322
Etwa zu Science-fiction und Kriegsfilm über den Verweis auf „Area 52“ (Honoré 2002, 99) oder zum
Cyberpunk über die Beschreibung der Amerikanerin Jennie (Ebd., 101).
323
Deutlich sind die Verweise auf das System Musik: Ry Cooder, Toyah Wilcox, Paul Simon, und auf das Medium Computer, was dem eher romantischen Stil des Roadmovies entgegenläuft.
324
Honoré 2002, 104
325
Vgl. hierzu in Kapitel 4.2.4 die Ausführungen zur Systemkontamination mit Elementen der Linkstruktur
des Internets (s. S. 60)
326
„Hele sommeren har jeg observert ørsmå forskyvninger“, berichtet David zu Beginn seiner Erzählung
(Honoré 2002, 12). Baudrillard stellt für das „Zeitalter der Simulation“ fest: „Der Himmel fällt einem nicht
316
4.2.2 Sitcom, Roadmovie, Kino und Simulation als Bezugssysteme
52
lanserer på kanten av en tektonisk plate, at en ørliten geologisk forskyvning når som helst
kan styrte meg ned i San Andreas-forkastningen?“327 Die evozierende Systemerwähnung des
Kapitels dient also vor allem als Auslöser für eine Systemkontamination, die Elemente der
‚neuen Medien‘ (Brüche, Parodien, Dekonstruktionen, Unsicherheiten) in den Romantext
eindringen lässt.
Zwei weitere Beispiele für eine evozierende Systemerwähnung führen die angesprochene Strategie noch weiter, indem sie das System der ‚neuen Medien‘ als ein die Erzählerwahrnehmung punktuell bestimmendes aufzeigen. Zunächst sei jene Passage genannt, auf
die sich zuvor schon im Zusammenhang mit intertextuellen Verweisen328 und Verweisen auf
Musik329 bezogen wurde: Davids von ihm selbst halluzinatorisch gedeutete, albtraumartige
Wanderung durch Oslo, sowie sein daran anschließender Kino-Traum, der schon als Beispiel
für eine explizite Systemerwähnung zur Sprache kam.330
In surrealen, von elektro-optischen Medien beeinflussten Bildern beschreibt David
seine Eindrücke: „En prosesjon mennesker flimrer forbi meg“, „Lyset er feil“, „noen har sølt
melk utover himmelen. Kritthvit, fluorescerende væske over en blåsort duk“, „og nå jafser de
elektriske garasjeportene bak Spektrum etter meg, åpner og lukker seg som kjempekjefter“.
Diese chaotische, aggressive und bedrohliche Außenwelt scheint eine Spiegelung von Davids
Innerem zu sein; gerade hat Peach seine digitale Rachemaschinerie in Form des Trojaners
trial.exe losgelassen, und David hat in einem Gewaltausbruch Marie Kammer krankenhausreif geschlagen. Das ununterscheidbare Verschwimmen von Innen- und Außenwelt ist für
Baudrillard typisch für die Wahrnehmung im Zeitalter digitaler, ins tägliche Leben integrierter Technologie: „Das Virtuelle im allgemeinen ist weder real noch irreal, [...] weder innen
noch außen“.331 Auch Virilio konstatiert mit Bezug auf das elektronische Bild „die fortschreitende Vermischung der direkt sichtbaren Realität und ihrer medialen Darstellung“ und
spricht von „einer Welt, die sich langsam entmaterialisiert“.332
„Jeg hallusinerer, det må være forklaringen“, beschließt David. Tatsächlich beschreiben die Theoretiker das mediale Erleben genauso, „als Halluzinationsphänomen, das demjenigen von Drogen ähnlich ist“,333 oder als „Wachtraum“.334 Flusser stellt fest: „Die technischen Bilder sind psychedelisch“.335 Die in diesem Kapitel kulminierende Kopplung von
Wahn, Drogennutzung, Traum und verstörter Realitätswahrnehmung ist im ganzen Roman
angelegt: auch Peach bricht zuvor unter einer Überdosis Amphetamin und LSD zusammen.336
Wie zuvor erwähnt werden Davids Träume häufig als mediale Erlebnisse geschildert. An diemehr auf den Kopf, dafür rutscht einem der Boden unter den Füßen weg. Wir befinden uns in einem brüchigen Universum [...]. Das uns drohende Erdbeben bewirkt, auch in einem geistigen Sinn, einem (sic) Wegbrechen der Zwischenräume“. (Baudrillard 2003, 166). Und weiter, was geradezu als programmatisch für
die Erzählungs-Konstruktion des Romans, das ‚Einbrechen‘ zahlreicher Nebenhandlungen bis hin zum erzählerlosen Epilog, gelesen werden kann: An Stelle der historischen Großereignisse „treten, durch fortgesetzte Verschiebungen, die kleinen Ereignisse“ (Ebd., 172f.).
327
Honoré 2002, 104
328
S.o., S. 22 f.
329
S.o., S. 41 f.
330
Für alle folgenden Zitate s. Honoré 2002, 202-207
331
Baudrillard 1989, 126
332
Virilio 1986, 161f.
333
Virilio 1997, 48
334
Ebd., 61
335
Flusser 1999, 152
336
Vgl. Honoré 2002, 197
4.2.2 Sitcom, Roadmovie, Kino und Simulation als Bezugssysteme
53
ser Stelle jedoch kehren sich Traum- und Wachzustand um, wodurch die Wirklichkeit hyperreal wird – auch dies eine logische Konsequenz aus der Medialisierung der Welt, einer „Umkehrung von Information und Realem, die eine Unordnung von Ereignissen und völlig überdrehte Medienwirkungen erzeugt“.337 Ohne also das System der ‚neuen Medien‘ explizit als
Bezugssystem einzuführen, ruft der Text es über den erzählerischen Zusammenhang und die
Metaphorik im Leser auf, der bis zur Präsentation der ‚Lösung‘ (ein Sonnensturm und ein
Musikfestival sind der Grund für technische Pannen und Lärmkulisse) Davids halluzinatorischem Erzählerblick, seinem „technischen Delirium“338 ausgeliefert ist, das geprägt ist von
der „Vermischung der virtuellen Bilder des Bewusstseins, der Bilder des menschlichen Auges
[...] sowie der elektro-optischen [...] Bilder des computergestützten Videos“.339
Im anschließenden Traum kehrt sich das Verhältnis Realität / Traum / mediales Erlebnis nochmals um: er erscheint höchst real, und die mediale Situation (Kinobesuch) verwandelt sich in eine gestörte Form der Realität: „Dette burde vært et teater“, denkt David.340
Gleichzeitig kann diese Traumschilderung als allegorischer Kommentar sowohl der Romanhandlung als auch deren Prägung durch fremdmediale Elemente und der damit verbundenen
Auswirkungen auf die Art des Erzählens gedeutet werden. In einem Kinosaal sitzt David mit
den übrigen Hauptpersonen des Romans: seiner Frau Liv, Marie, Peach. Der Film ist
merkwürdig: „På lerretet beveger menneskene seg tilsynelatende planløst omkring, de
myser ut mot oss som om de leter etter noen i salen, kanskje en regissør som kan fortelle
dem hvilke posisjoner de skal innta“.341 Die Zuschauer haben Textbücher in den Händen, und
David vermutet, dass die Schauspieler danach suchen. Dann verschwimmen Illusion und
Realität: „Filmen blir enda merkeligere: Skuespillerne kommer ut av den, [...] de avleverer
stotrende, halve replikker mens andre fremdeles stirrer lengselsfullt ut mot dem fra sin
celluloidverden“.342 Nach einem elliptischen Bruch („Lysskift“) ist der Film zu Ende, und David soll am Ausgang des Kinos sein Textbuch zurückgeben, das er jedoch verloren hat. Nach
dem Aufwachen riecht er noch „en anelse av lavendel“, Marie Kammers Parfüm.
Als allegorischer Kommentar der Romanhandlung beschreibt der Traum Davids Situation: Er hat das ‚Skript‘ eigentlich in der Hand, er könnte verstehen, dass Peach längst <webchild> gekapert hat und für den Trojaner verantwortlich ist, trotzdem liest er es nicht und
verliert es sogar. Für die Ebene der Erzählung symbolisiert der Traum das Verschwinden
eines Regisseurs oder Erzählers; dass David sein Textbuch verliert, steht für seinen Autoritätsverlust als zentraler Erzähler. Auf medialer Ebene schließlich thematisiert der Traum die
schon angesprochene Vermengung von Realität und Medienerlebnis, und das auf mehreren
Ebenen: im Traum, den David in einem Kino wie einen Film erlebt, entwickelt sich der fiktionale Film zu einem interaktiven Theater.343 Ein Text verspricht Lösungen, geht jedoch verloren – hierin liegt auch ein autoreflexives Element, indem der Text sich selbst als unzulängli337
Baudrillard 1994, 171
Virilio 1986, 183
339
Virilio 1991, 26
340
Honoré 2002, 205
341
Ebd., 206
342
Ebd.
343
Die Konfusion von Zuschauer- und Schauspielerfigur und -rolle sind laut Lehmann (1999, 178f. und
185ff.) typische Merkmale des postdramatischen Theaters, hervorgerufen durch den „Verlust des Grundelements der Theaterfiktion, das als ‚Einheit der Zeit‘ bekannt ist“, was wiederum eine Folge der Struktur
der technischen Medien ist (vgl. Virilio 2000, 113).
338
4.2.2 Sitcom, Roadmovie, Kino und Simulation als Bezugssysteme
54
ches Instrument der ‚Welterklärung‘ thematisiert, zumal in einer medial vermittelten Welt.
Und der Lavendelduft beim Aufwachen schließlich schlägt eine Brücke zurück zum Prolog,
zur Entwicklung des ersten Fotos und zu den ersten Worten des Romans „Eimen av lavendel“.344 Damit wird das Traumbild im Sinne Flussers mit dem technischen Bild parallelgeführt,345 und Marie Kammer als Trägerin des Lavendel-Parfüms zu einer Person, die durch
ihre Erschaffung fiktionaler Persönlichkeiten wie Christina Carrera bzw. <webchild> und
durch ihre Kriegsbild-Kampagnen Simulation und Fotografie im digitalen Bild vereint.346
Was in der Schilderung dieses Traumes an intermedialer Referenz in der sprachlichen
Umsetzung angelegt ist, führt der Epilog konsequent zu Ende. „Herfra er alt drøm“, hieß es
im Prolog, und der Epilog schließt die Klammer dieser ‚Rahmenhandlung‘, indem er Traum,
Film, Realität, Fiktion und die verschiedenen Medienbezüge vollständig verschmilzt. Eingeleitet wird die Episode wieder durch einen Kinobesuch und einen markierenden Filmbezug
zur Videosequenz aus American Beauty.347 Eine weitere Verknüpfung mit dem ‚Binnentext‘
findet statt, indem auf die letzten Sätze des letzten Kapitels rekurriert wird. Hier knackt
Peach den CD-Code, um beim letzten Stück einer CD voller letzter Stücke bekannter Alben, A
Day in the Life von den Beatles, die Endlosschleife der innersten Rille der Vinyl-Ausgabe
auch im digitalen Medium CD zu realisieren. Dieses Motiv taucht im Epilog formal auf, da er
sich wie in einer Schleife auf den Prolog zurückbezieht, und inhaltlich, indem Niépces Sohn
auf der Seine einen Stein hüpfen lässt, der endlos immer weiter zu springen scheint.348 Eine
weiterer Rückbezug findet statt, indem das „Du åpner øynene“ des Prologs hier zu einem
„Ikke åpne øynene“349 wird, und das „Regarde, papa!“ des Sohnes zu einem „Écoute!“.350 Wo
der Prolog über Gerüche in den Roman einführte, schließt der Epilog ihn über die auditive
Ebene ab – dazwischen liegt die eigentliche Romanerzählung und ihr ausdifferenzierter visueller Diskurs mit zahlreichen Bezügen zu Bildkunst, Fotografie, Film und Digitalbildern.
Diese polymediale Prägung des Epilogs wird durch einen Verweis auf das in sich polymediale Medium Internet unterstrichen, wenn es heißt: „La denne setningen, denne hyperlinken, folde seg ut til et lite liv.“351 Nicht nur ist dies ein weiterer expliziter Marker für die
Kontamination der Erzählung mit Elementen des Mediums Internet, durch die sie zu einem
Geflecht von Erzählsträngen wird; bezogen auf den Epilog markiert der Verweis auf das Internet auch den erzählerischen Versuch, hier zahlreiche Medien zu verschmelzen: Die Mu-
344
Ebd., 7
Vgl. Flusser 1999, 137
346
Mit in dieses symbolische Feld gehört auch die Tatsache, dass Peach und seine Schwester an einer „Fotoallergie“ leiden, was Peach auf <webchild> projiziert (Honoré 2002, 65). Diese Krankheit lässt sie kein Sonnenlicht vertragen, auf ihrer Haut hinterlässt die Sonne ebenso Spuren wie auf der silbernitratbeschichteten Zinnplatte von Niépces ‚Heliographie‘. In <webchild>s Fall ist die Allergie aber auch im übertragenen
Sinne zu lesen: Als Nicht-Person hält sie keiner ‚Belichtung‘ durch eine herkömmliche, analoge Fotografie
stand, da sie als Komputation nur aus Brocken digitaler Bilder besteht.
347
S.o., S. 46 f.
348
In diesem Moment scheint die Zeit in der Endlosschleife eingefroren zu sein – dadurch erhält der Text
den Charakter einer Fotografie: aus Literatur über Fotografie wird „Literatur als Photographie“ (von Amelunxen 1995). Das Foto hebt die Zeit in seinem singulären „punctum“ auf und verweist den Betrachter auf
das „Es-ist-gewesen“ des Dargestellten (vgl. Barthes 1989), in diesem Fall darauf, dass Niépce und sein
Sohn, trotz ihres scheinbaren Verharrens im Moment, längst gestorben sind (vgl. auch Heitmann 2003, 51).
349
Honoré 2002, 248
350
Ebd., 250
351
Ebd., 249
345
4.2.2 Sitcom, Roadmovie, Kino und Simulation als Bezugssysteme
55
sik- und Geräuschebene der ‚blinden‘ Schilderung von Niépce und seinem Sohn;352 die Bildkunst über die Verweise auf die erstaunlich reifen Zeichnungen des Sohnes, die vom Klangerlebnis des Echos unter der Seine-Brücke beeinflusst werden;353 die Deutung des Epilogs als
„blinde variasjonene over et Hollywood-soundtrack“; der stilistische Bezug auf die Fotografie, der in der ‚zeitlosen‘, sich auf Einzelszenen und „tablå[er]“354 konzentrierenden Erzählweise zum Ausdruck kommt; und schließlich die erneute Aktualisierung des Computermediums, indem der Epilog mit eben jener Type mit den hochgestellten ‚t‘ gesetzt ist, die im
Roman Peachs gefälschte Internet-Texte markiert. Letzteres trägt mit dazu bei, dass die Erzählerfigur hinter diesem Epilog gänzlich unsicher bleibt; ein „du“ wird angesprochen, aber
nicht definiert.355 Es gibt Indizien, Peach als Verfasser dieser Zeilen auszumachen – oder einen Erzähler, der Peachs Standpunkt einnimmt bzw. simuliert: „Slik begynner et merkverdig, speilvendt forhold, der barnet er fortelleren, i kraft av sin gave, og faren loggfører og
kronologiserer historien“.356 So betrachtet wäre der Epilog eine erzähltechnisch umgesetzte
Fabel auf das Verhältnis von David und Peach, dessen Umwertung sich im Romantext formal
spiegelt und von David zudem mehrfach reflektiert wird.357
All diese Elemente zusammengenommen erklären, warum der Epilog hier als Systemerwähnung angeführt wird und so gut an das Ende eines Textes passt, der durch zahlreiche
intermediale Verweise seine eigene Fiktionalität, vor allem im Verhältnis zu den ‚neuen Medien‘ als Erzeuger einer ‚Realitätssimulation‘ thematisiert: punktuell ruft er durch seine Gestaltung die ‚neuen Medien‘ als Orte von oder Werkzeuge der Simulation auf. Diese ist laut
Baudrillard „eine Dissuasionsmaschine, eine Inszenierung zur Wiederbelebung der Fiktion
des Realen“,358 die „verbirgt, daß es außerhalb des künstlichen Umkreises nicht mehr Realität als in [ihrem] Innern gibt“.359 Nicht nur ist dadurch auch die ‚Autorlosigkeit‘ des Epilogs
begründet, die so typisch für die Erfahrung von Simulationen und anderen Produkten ‚neuer
Medien‘ ist;360 da er sich inhaltlich und formal aus der Handlung löst, betont der Epilog abschließend noch einmal die Fiktionalität des Romans, gerade indem er mit Niépce und seinem Sohn ‚reale‘ Personen der Geschichte zu den Akteuren einer Fabel macht, die typographisch im Romankontext als ‚Fälschung‘ markiert ist. Überdies wird auch die anscheinend
objektive Geschichtsschreibung selbst als subjektiv und unsicher präsentiert: „Hvorfor mistet Joseph interessen like etter at han hadde lyktes i å skape det aller første heliografiet?
352
Virilio spricht von einem „Sehen, das ohne Sehen auskommt“ (Virilio 1991, 13), bei dem die aktive Elektro-Optik den Beobachter passiviert, so wie hier der Erzähler als Figur verschwindet und auf seine auditiven und olfaktorischen Eindrücke beschränkt wird.
353
Honoré 2002, 253
354
Ebd., 248
355
Dies markiert den Schlusspunkt einer Entwicklung, die die Erzählhaltung des ganzen Romans durchzieht. Immer wieder spricht David ein „du“ an, doch verbergen sich dahinter verschiedene Personen: Emilia (vgl. Honoré 2002, 53), Liv (vgl. ebd., 162f.), Marie als ‚Nachfolgerin‘ von Peach (vgl. ebd., 229). Gleichzeitig wechselt das Pronomen „jeg“ punktuell schon zu „han“ (vgl. ebd., 53), und hinter weiteren „du“s verbirgt sich David selbst (vgl. ebd., 151-159), was die gänzliche Auflösung der Erzählerautorität im Epilog bereits früher im Text vorwegnimmt.
356
Honoré 2002, 249
357
S. besonders die Rollenlisten in Honoré 2002, 142f.
358
Baudrillard 1978, 25
359
Ebd., 26
360
Virilio spricht von der „Automatisierung der Wahrnehmung“ durch die „Sehmaschinen“, die „nicht nur
über wahr und falsch“ entscheiden, „sondern auch über das, was ist, und das, was nicht ist“. Die daraus
entstehende Ästhetik, und dieser Begriff scheint sehr gut auf Inhalt und Stil des Epilogs zu passen, nennt
Virilio „die Ästhetik des Verschwindens“ (Virilio 1991, 13).
4.2.3 Entfesselung des Blicks - ein komplexer intermedialer Systembezug
56
Hadde det med copyright å gjøre [...]? Du kunne si: Jeg har en annen teori.“361 Das „Ende der
Geschichte“,362 ihr Verschwinden in der medialen Aufbereitung, geht einher mit dem Verschwinden des ‚Autors‘ und dem Status des ‚Originals‘, die beide seit Niépces Erfindung, der
technischen Reproduzierbarkeit von Bildern und Abbildern, ebenso unhaltbar geworden
sind363 wie die Unterscheidung zwischen ‚real‘ und ‚fiktiv‘. Das Bild, so Baudrillard, „und mit
ihm die Information, unterliegt keinerlei Wahrheits- oder Realitätsprinzip“ mehr – sie werden frei zu lügen.364 Diese Freiheit ist es, die der Roman sich mit seinen intermedialen Verweisen auf ‚neue Medien‘ nimmt und mit denen er sie begründet.
4.2.3 Entfesselung des Blicks – ein komplexer intermedialer Systembezug
Um nach diesem Deutungsversuch des besonders ‚offenen‘365 Epilogs nun noch ein
Beispiel zu geben, anhand dessen sehr konkret gezeigt werden kann, wie ein intermedialer
Systemverweis quer durch die von Rajewsky aufgestellten Kategorien verlaufen und sie damit sprengen kann, soll ein Verweis auf das System Kino (bzw. allgemeiner: auf ‚optische
Bildmedien‘) nachvollzogen werden. Als Ausgangspunkt dient ein kurzer Satz, mit dem David
sich als Beobachter des Bahnhofsvorplatzes in Oslo von der zweiten Etage des Restaurants
Egon aus beschreibt: „Jeg er et fiberoptisk øye“.366 Diese Aussage kann als intertextuelle Anspielung auf den russischen Filmpionier Dziga Vertov gelesen werden, der seine entfesselt
bewegliche Kamera sprechen lässt: „Ich bin das Kinoauge. Ich bin ein mechanisches Auge.
Ich, die Maschine, zeige euch die Welt so, wie nur ich sie sehen kann.“367 Worauf es Vertov in
seiner Schrift ankommt ist, die Beweglichkeit der Kamera als eine Entfesselung des Blicks zu
beschreiben, der nun frei wird, Positionen einzunehmen und Bewegungen auszuführen, die
dem an den menschlichen Sehapparat gebundenen Blick unmöglich sind. Indem in Orakelveggen nun aus dem „mechanischen Auge“ ein „fiberoptisk øye“ wird, wird auch die Entfesselung weitergetrieben: der Blick wird zu einem Blick ins Innere des Bildes. Dies wird deutlich, wenn David beschreibt, wie er den Großbildschirm auf dem Dach des Einkaufszentrums
Byporten betrachtet: „Jeg er så nær skjermen at jeg kan se enkeltpunktene som frembringer
fotballspillerens svette, triumferende ansikt.“368 Sein Blick rastert das Bild in die Einzelpunkte auf, aus denen es komputiert ist. Auch dass diese Komputation einem digitalen Code folgt,
reflektiert er: „Jeg leter etter tall mellom null og én“.369 Gleichzeitig, und das folgt Flussers
Gedanken von der Rückkopplung des vorherrschenden Codes an die Art und Weise der
Wahrnehmung, betrachtet David die Menschenmenge auf dem Platz wie Bewegungen von
Pixeln auf der Bildoberfläche: „Nede på torget er menneskemønsteret i ferd med å tynnes ut.
[...] Ovenfra gir denne oppløsningen inntrykket av en fokusering. [...] Så klarner bildet. [...]
Til slutt er jeg fokusert nok. [...] Det minner meg om fotografier fra en åstedsbefaring.“370
361
Honoré 2002, 254
Baudrillard 1994, 48
363
Vgl. z.B. Flusser 1999, 106f.
364
Baudrillard 1994, 97
365
Im Sinne von Umberto Ecos Begriff vom ‚offenen Kunstwerk‘ (Eco 1977)
366
Honoré 2002, 150
367
Deutsch in Dziga Vertovs Schriften zum Film von 1973, zitiert nach Virilio 1986, 35f.
368
Honoré 2002, 150
369
Ebd.
370
Ebd.
362
4.2.3 Entfesselung des Blicks - ein komplexer intermedialer Systembezug
57
Deutlich wird hier die Parallelisierung von Maschinen- und Menschenblick im Zoomvorgang,
die Reduktion menschlicher Wahrnehmung auf Parameter seiner „Sehmaschinen“371 und, im
Vergleich zu Vertov, die Übertragung des analogen auf den digitalen Blick eines „universalen Voyeurismus“.372
Eine weitere Entfesselung des digitalisierten Blicks liegt darin, dass er z.B. im Kinofilm
nun Bewegungen vollführen kann, die nicht mehr an Seh-, sondern nur noch an (virtuelle)
Simulations-Maschinen gebunden sind. Als ein besonders beeindruckendes Beispiel mag
etwa die Anfangssequenz des 2. Teils von Peter Jacksons Herr der Ringe-Trilogie gelten, wo
in der computergestützten Animation der Kamera-Blick mitsamt dem Magier Gandalf und
dem feurigen Balrog trudelnd in die Tiefe stürzt. Hier ist der Blick endgültig entkörperlicht.
Diese Eigenschaften des „digitalen Sehens“ sind nun in der angesprochenen Passage von
Orakelveggen in Form einer simulierenden Systemerwähnung sprachlich umgesetzt. Zunächst ist die Metaphorik, wie das Zitat im vorigen Abschnitt zeigt, von filmischen Vokabeln
durchsetzt. Dann beschreibt David seinen ‚Blick von oben‘373 so: „Jeg er på reise. Det kan være
de dype skinnsetene som leder tankene til en togkupé. [...] Hvis dette er et skip, er vi på
cruise i Middelhavet.“374 Dieses ‚Sehen als Reisen‘ bezeichnet Virilio als typisch für die Rezeptionssituation technischer Bilder: es scheint „so zu sein, als würde das Ende dieses Jahrhunderts mit der kurz bevorstehenden Durchsetzung des audiovisuellen Vehikels, des statischen
Vehikels, einen Ersatz für unsere physischen Fortbewegungen [...] ankündigen. [...] Der
räumliche Abstand wird plötzlich allein vom zeitlichen Abstand abgelöst, womit die weitesten Reisen kaum noch Unterbrechungen darstellen.“ Anstatt zu reisen, wird man nun von
den Bildern bereist.375
Was David mit seinem Zugcoupé-Vergleich zunächst nur assoziiert, schlägt sich kurz
darauf in einem längeren Abschnitt als Einbruch des digitalen Systems einer „aktiven Optik“,376 als eine sprachliche Simulation dieses neuen Sehens, in der Erzählung nieder. Denn
kurz nachdem David aus der Menge der Menschen auf dem Platz das Gesicht von Peachs drogenabhängiger Schwester ‚herangezoomt‘ hat, beginnt ein mehrere Seiten andauerndes,
assoziativ verknüpftes Springen der Erzählung an fremde Orte und in vergangene Zeiten.377
Gleichzeitig zu diesem virtuellen ‚Trip‘ in Echtzeit378 vollzieht sich im Wechsel des ErzählerPronomens von „jeg“ zu „du“379 sprachlich die von Virilio konstatierte Passivierung des Bildreisenden durch die aktive Optik. Das ‚Ziel‘ der Reise ist ein Kinderheim in Bhaktapur, das
David mit seiner Frau Liv besuchte, und wo er beinahe den sexuellen Reizen eines elfjährigen
371
Ein Begriff von Paul Virilio: „Was aber Turin (sic) [Alain Turing, der Erfinder der ersten „Denkmaschine“, Anm.d.A.] zweifellos nicht ahnte, war, daß seine berühmte ‚Zahlenmaschine‘ dreißig Jahre später zum
Erscheinen der Sehmaschine führen sollte.“ (Virilio 1997, 93)
372
Virilio 2000, 63
373
Dieser nicht mehr horizontale, sondern nun vertikale Blick ist laut Virilio eine typische Eigenschaft des
elektronischen Bildes (vgl. Virilio 1986, 161) – als eine Folge von Luftbildfotografie und Radartechnik, die,
so eine von Virilios zentralen Thesen in Krieg und Kino, Teil einer allgemeinen Medialisierung und Virtualisierung des Krieges und, nach der Übertragung der Technologien auf den zivilen Bereich, der Wahrnehmung insgesamt geworden sind.
374
Honoré 2002, 149
375
Virilio 1997, 38 / 42
376
Ebd., 43
377
Honoré 2002, 151-158
378
Echtzeit und Flashback benennt Virilio als typische Merkmale des elektronischen Bildes und der „aktiven Optik“ von Fernsehen und Internet (vgl. z.B. Virilio 1993, 18 und 28).
379
Ebd., 151. Der Wechsel findet in den letzten drei Zeilen des zweiten Abschnittes statt.
4.2.3 Entfesselung des Blicks - ein komplexer intermedialer Systembezug
58
Mädchens erlag, sowie ein Besuch in Kathmandu, wo er und Liv „Kumari, die lebende Göttin“
in Gestalt eines jungen Mädchens sehen. Die Episoden dieser Reisen sind in einem hektischen
Stil als ein einziger fließender Satz ohne Punkte geschrieben, der jedoch, manchmal mitten
in einer Sinneinheit, zu Einzelsequenzen zerhackt wird. Formal ist das durch doppelte Absätze markiert, die Lücken im Textbild öffnen, und durch Kleinschreibung am Beginn der
Absätze. Fast könnte man die Passage als Gedankenstrom bezeichnen, doch der Strom ist zu
Fragmenten gebrochen,380 was durch fremdmedial gefärbte Metaphorik gespiegelt wird: „du
opplever det altså som en eneste ramme på en filmrull, et bilde som er kommet i klem mellom linsen og drivverket, et kornete, løsrevet fragment av en dokumentarfilm“.381 Auch sonst
werden Eindrücke oft mit solchen Metaphern beschrieben: der Jumbojet sieht aus der Entfernung aus wie ein Trojanisches Pferd;382 das aus Einzelteilen komputierte Waisenhaus
scheint David gewachsen zu sein wie „en åpen kode, eller improvisert musikk“;383 die wortlose Begegnung mit dem verführerischen jungen Mädchen erscheint David wie „et liv komprimert til en eneste billedramme“.384 Gleichzeitig enthalten die Fragmente ein reiches Reservoir an ‚Links‘ zu anderen Begebenheiten und Nebenhandlungen, die nicht einmal alle im
Roman vorkommen: zu einer Reise nach Berlin, Alexanderplatz; zu seiner Kindheit und zu
Emilia; zur zuvor schon angesprochenen Amerika-Reise; zu Erinnerungen an Davids Großmutter; zum Trompetenklang, der später das letzte Trojaner-Programm in Musik-Verpackung einleiten wird.
Insgesamt entsteht durch diese sprachliche Umsetzung der Eindruck eines sehr kurz
aufflackernden, stark assoziativen Bildgewitters, was sich in Davids eigener Ansicht bestätigt: „alt dette, som har hendt i løpet av et eneste øyeblikk“.385 In der Formulierung wird
nochmals die Passivität des Erzählerblicks deutlich, der sich einer achronologischen Optik
ausgeliefert sieht, die ferne Räume und Zeiten in Echtzeit zusammenkoppelt. In zwei Motiven verfestigt sich dieser Eindruck noch. Der Bilderstrom „legger seg på øyeeplet ditt i en ørliten pyramide av blod“, und gleichzeitig „ligner vannmerket i storskjermen ditt eget ansikt“.386 Der Verlust der Erzählerautorität manifestiert sich hier sowohl körperlich als auch
im nicht länger kontrollierbaren technischen Bild, das nun ‚den Erzähler erzählt‘.
Als ein letzter assoziativer ‚Link‘ dieser Episode kommt David ein Text ins Gedächtnis,
den er in der bekannten Type mit den hochgestellten ‚t‘ im Netz fand. Der kurze Artikel erzählt die Geschichte einer Mutter, die nach den Anschlägen vom 11. September, die ihr Sohn
im Fernsehen mit ansah, diesem am Abend Märchen zu erzählen beginnt, sich jedoch nur
noch an Bruchstücke erinnern kann und so eigene „klønete, forvirrende mønstre“ erfindet.
Als Rahmenerzählung bedient sie sich der Geschichte von Sheherazade, „for hele tiden
handler historiene om mennesker som gjennomlever det umulige, fordi noen fortsetter å
380
Analog zu Benjamins „kaleidoskopischem Blick der Zerstückelung“ der durch das technische Bild beeinflussten Erinnerung (vgl. von Amelunxen 1995, 222) und Wahrnehmung (ebd., 229).
381
Ebd., 152f. Dieses Bild entspricht Virilios Behauptung, dass „das menschliche Gedächtnis eine filmische
oder kinematische Funktionsweise“ hat (Virilio 1991, 8).
382
Ebd. Nach dem bekannten Holzpferd des Trojanischen Krieges ist ein Computervirus-Typ benannt, der
Programme unbemerkt in fremde Rechner einschleust – über dieses Bild beschreibt David also implizit
auch sein Gefühl, der ‚Eindringling‘ in einem fremden Land zu sein.
383
Ebd., 153
384
Ebd., 157
385
Ebd., 158
386
Ebd., 158f.
4.2.3 Entfesselung des Blicks - ein komplexer intermedialer Systembezug
59
fortelle“.387 Nicht nur erfüllt dieser kurze Einschub die schon häufiger genannte Funktion,
den Roman selbst als Fiktion erfahrbar zu machen. Ebenso klingt darin die seltsame Erfahrung an, dass die Live-Bilder des 11. September 2001 von vielen wie eine Fiktion gelesen
wurden.388 Zudem reflektiert der Abschnitt die Rolle eines Erzählers, der, wie hier zu zeigen
versucht wurde, in den vorherigen Abschitten deutlich an Autorität verlor, und dessen Erzählstrategie insgesamt vor allem darin besteht, Material zu sammeln, so dass daraus „en
fragmentasrisk rapport“ entsteht,389 und kein homogener Romantext – als formale Spiegelung von Virilios These der „Zunahme der ‚Blickwinkel‘“ durch die „kleinen Fenster“ der
Bildapparate.390 Und nicht zuletzt ist die Art und Weise, wie der Abschnitt sich zum Resttext
verhält, mit der Problematik von Realität und Fiktion aufgeladen, die typisch für Elemente
‚neuer Medien‘ ist: Er bedient sich, als Symbolisierung der aus Fragmenten mit unterschiedlichen Erzählern zusammengesetzten Erzählstruktur des Romans, eines (auf der Ebene der
Erzählung) gefälschten Online-Zeitungsartikels, der die Komputation von Märchen zu einer
neuen, fantastischen Geschichte zum Thema hat. In dieser kurzen Passage (neben dem Epilog) ist die Auflösung der Erzählerinstanz, die den Roman kennzeichnet, am deutlichsten zu
sehen, verweist also auf eine Technik, die die ganze Erzählung durchzieht. Damit ist sie, zusammen mit dem vorherigen ‚fragmentierten Gedankenstrom‘, ein Beleg für eine Systemkontamination, die kontinuierlich wichtige Merkmale der ‚neuen Medien‘ Internet und (aktive) Computeroptik im Text aktualisiert: das Verschwinden einer alleinigen, dominanten
Erzähler-Instanz; die Verwischung der Grenzen von Realität und Fiktion; die assoziative,
achronologische ‚Link‘-Struktur des Internets; das Verschwinden von räumlicher und zeitlicher Entfernung in der Echtzeit-Kopplung der „audiovisuellen Vehikel“.
Wie an diesen Ausführungen wohl deutlich wurde, scheint eine so kleinteilige Kategorienbildung, wie sie Rajewsky im Fall der „Systemerwähnung qua Transposition“ vornimmt,
zwar methodisch gerechtfertigt, aber in der Anwendung nicht sehr praktikabel zu sein. In
dem behandelten Beispiel verzahnen sich intertextuelle Bezüge, intra- und intermediale
Systemverweise so sehr, dass sie mit der strikten Trennung der verschiedenen Kategorien
gar nicht erfassbar wären. Das Beispiel kann daher wohl die zuvor schon getroffene Behauptung bestärken, dass gerade im Fall von intermedialen Bezügen eines Textes zum polymedialen Komplex der ‚neuen Medien‘, die Unpraktikabilität einer derart ausdifferenzierten Kategorienbildung nicht die Ausnahme sondern eher die Regel sein mag. Die hier getroffene,
exemplarische Anwendung zeigt aber auch, dass die systematische Trennung Rajewskys
387
Ebd., 159
Dies lag wohl vor allem am Loop-Charakter der Bilder, da der Einsturzvorgang in vielen Nachrichtensendungen im Hintergrund andauernd wiederholt wurde. Zum einen erhalten solche Loop-Sequenzen als Ganze den Status eines einzelnen Bildes, so wie geloopte Klänge nach einiger Zeit als Kontinuum aufgefasst
werden (vgl. Preikschat 1987, 144f.). Diese Wiederholungsstruktur ist laut Flusser typisch für die Realitätswahrnehmung schriftloser, „magisch“ denkender Gesellschaften (s. z.B. Flusser 1989, 12f.), aber ebenso für
die mündliche Überlieferung z.B. von Märchen, die auch auf Wiederholungen beruht. Darin besteht also
ein weiterer innerer Zusammenhang der angesprochenen Märchen-Geschichte in Orakelveggen. Zum anderen hatten die Bilder Ähnlichkeit mit allseits bekannten Katastrophen-Filmen, mit dem Unterschied,
dass sie wegen der von Hand aus großer Entfernung gefilmten Amateurvideo-Bilder eher enttäuschend als
bestürzend wirkten: „Wir, die von Hollywood Verdorbenen, konnten [...] nur an die atemberaubenden
Szenen der großen Katastrophenfilme denken. [...] Das Undenkbare, das geschah, war schon Gegenstand
der Fantasie“ (Zizek 2001). Dies wiederum ist ein weiteres Beispiel der Vermischung von Realität und Fiktion, die Peach mit den gefälschten Texten seines Desinformations-Trojaners remington.exe betreibt.
389
Honoré 2002, 14f.
390
Virilio 2000, 24
388
4.2.4 Kontamination des Romans mit Strukturen der ‚neuen Medien‘
60
terminologisch eine große Hilfe darstellen kann, um die verschiedenen Techniken intermedialer Bezugnahmen eines Textes in ihrer ganzen Komplexität aufschlüsseln zu können.
4.2.4 Kontamination des Romans mit Strukturen der ‚neuen Medien‘
In einem letzten Kapitel soll nun noch an einigen weiteren, die schon genannten Bezüge ergänzenden, vervollständigenden und zusammenfassenden Beispielen gezeigt werden,
wie das System der ‚neuen Medien‘ den gesamten Roman in seiner sprachlichen und formalen Struktur kontaminiert. Rajewsky unterteilt auch diese Systemkontamination nochmals:
in die Kontamination qua Translation, die kontinuierlich über einen Bezug zu Teilen des
fremdmedialen Systems die Makroform dieses Systems simuliert, wobei die Illusionsbildung
die narrative Struktur des Textes nachweisbar dekonstruiert; und zweitens in die teilaktualisierende Systemkontamination, bei der medienunspezifische oder deckungsgleiche Elemente
kontinuierlich zur Konstitution des Textes mit einbezogen werden. Auch bei dieser Unterscheidung treten in der Anwendung auf Orakelveggen Probleme auf, die vor allem der polymedialen Struktur der Bezugsmedien Computer und Internet geschuldet sind.
Als recht eindeutiges Beispiel für den Typ der teilaktualisierenden Kontamination soll
eine Bezugnahme auf das Medium Internet genannt werden, die, ohne explizit als solche
markiert zu sein, den gesamten Romantext durchsetzt. Ein ‚metaphorisches Feld‘ ist rund um
das Wort „stjerne“ auszumachen, dessen verschiedene Bedeutungen und bildhafter Gebrauch in verschiedenen Situationen sich auf vielfältige Weise miteinander vernetzen und
Querbezüge im Text erzeugen. Folgt man als Leser diesen Bezügen, so verlässt man notgedrungen die chronologische Leserichtung, die der Text vorgibt, und springt vorwärts und
rückwärts in der Handlung. Diese Lesehaltung entspricht nicht mehr dem Nachvollziehen
der in den Schriftcode codierten ‚Bedeutung‘ eines Textes, der vom Leser durch das lineare
Abtasten der Zeilen entziffert wird – also der linearen Rezeption des „eindimensionalen“,
„erzählerischen“ und. „historischen“ Schriftsystems.391 Vielmehr entspricht sie der Rezeption des durch Links zu einem Gewebe verknüpften „Hypertextes“ des Internets,392 der nicht
mehr ‚chronologisch‘ gelesen werden kann. Zweitens ist der im Netz lesbare Text stets nur
die ‚Oberfläche‘ oder Erscheinung eines zugrunde liegenden codierenden Textes,393 der in
einer der zahlreichen Programmiersprachen verfasst ist. Diesen Unterschied reflektiert Orakelveggen explizit, indem Peach die Programmiersprache wie Literatur liest:
Det er når jeg går inn bak bildene og leser manuskriptet, HTML-kodene, scriptene, at jeg virkelig ser
hvor vakker hun er. Ikke et eneste overflødig tegn, ikke en eneste overlappende kommando. Alt er
harmonisk og konsekvent [...].394
391
Vgl. Flusser 1989, 11
Der Begriff des Hypertextes ist etwas problematisch. Einerseits dient er als Bezeichnung von onlineTexten, die untereinander über Hyperlinks zu einem „multisequentiellen Netzwerk von Textblöcken“ verbunden sind. Andererseits beschreibt er im Rahmen der Intertextualität aus literaturwissenschaftlicher
Sicht einen auf andere Texte bezugnehmenden Text. Ein alternativer Terminus ist ‚Posttext‘; das Bezugsobjekt wird entweder als ‚Hypotext‘ oder ‚Prätext‘ bezeichnet (s. Rajewsky 2002, 198).
393
Diesen ‚Quelltext‘, wie er meist genannt wird, bezeichnet Flusser, die terminologische Situation weiter
verwirrend, als Skript oder wiederum als Prätext (Flusser 1989, 133f.).
394
Honoré 2002, 77
392
4.2.4 Kontamination des Romans mit Strukturen der ‚neuen Medien‘
61
Mit dieser Rezeptionshaltung läuft er Flussers Behauptung zuwider, dass sich Skripte
nicht mehr an Leser richteten, sondern zu einem reinen „Hilfscode“ geworden seien.395 Tatsächlich werden sie im Roman sogar zu Metaphern des Weltverständnisses, wenn David äußert: „Noe er i ferd med å gå galt [...]. Kanskje viste språket seg å være utilstrekkelig. Kodene
impotente.“396 Gleichzeitig dient die Programmiersprache Peach dazu, eine neue, klar strukturierte und logische Welt zu erschaffen – wie eine konsequente Anwendung des Foucaultschen Gedankens: „Welt ist nur durch Sprache zu ‚haben‘, wird durch sie nicht etwa repräsentiert, sondern (als diese bestimmte Welt) allererst konstituiert“.397
Diese beiden Eigenschaften des Hypertextes, seine Netzstruktur und sein Oberflächencharakter auf der Grundlage eines Quelltextes, spiegeln sich auch in der Struktur des metaphorischen Feldes rund um den Begriff „stjerne“.398 Einen ‚Knotenpunkt‘ in diesem Netz bildet die schon mehrfach genannte Silicon-Valley-Episode. In der Sandwüste glitzert Silikon
„som ligner stjerner“,399 welches als Rohstoff bei der Herstellung von Computerchips wichtig
ist. Über diese Assoziation wird die Episode als Flashback Davids auch eingeleitet: „Jeg [...]
stirrer ned på sandkassen i bakgården. Regndråpene glitrer, lik stjernene på magikerens
duk. Lik silikonstjerner.“400 Nicht nur wird hier metaphorisch die filmisch anmutende Überblendtechnik von einer Miniatur-Sandkasten-Landschaft zur amerikanischen Wüste unterstrichen; der Link verweist zudem auf einen anderen Themenblock: den Illusionisten <magician>. In der imaginären Beschreibung einer besonderen Zaubernummer für <webchild>
verwandelt er einen weißen Hengst in ein Einhorn.401 Dieses dient nicht nur als (sexuell aufgeladenes) Symbol in <webchild>s konstruiertem Universum,402 sondern auch für dieses,
wenn Peach schreibt: „Webchilds området av nettet får meg til å tenke på Monoceros; stjernebildet Enhjørningen“.403 Die beiden Sonnen im Zentrum des Sternbildes dienen Peach wiederum als Bild für die Beziehung zu seiner Schwester, indem aus den „tvillingssoler“ „tvillingssjeler“ werden. Der Vergleich zwischen Internet und Sternenhimmel wird noch
ausgeweitet: auch Oslo ähnelt nachts einer Sternenkarte,404 und die Aussage „stjernehimmelen er opphavet til all vitenskap, [...] utgangspunktet for all moderne teknologi“405 koppelt
die Metapher wieder zurück an die Computertechnologie und Silicon Valley.
Ausgehend von diesem ‚Strang‘ lassen sich weitere Bezüge innerhalb der Linkstruktur
ausmachen. Yoko Ono vergleicht in dem fiktiven Interview ihre Seesterne mit „stjerner på
himmelen“;406 in der Geschichte, die Peach zur Fälschung des Artikels inspirierte, geht es um
die Reise eines Anthropologen zu einem Südsee-Volk, das sowohl anhand der Sterne als auch
anhand der Bewegungen jener leuchtenden Seesterne auf dem Meer navigiert.407 David selbst
395
Flusser 1989, 134
Honoré 2002, 146
397
Winko 1997, 466
398
Zum besseren Verständnis der folgenden Ausführungen s. Abbildung 3 im Anhang, S. 69
399
Honoré 2002, 101
400
Ebd., 97
401
S. ebd., 85f.
402
Vgl. z.B. ebd., 36 und 97
403
Ebd., 189
404
Ebd., 188f.
405
Ebd., 238
406
Ebd., 111
407
Ebd., 238ff. Übrigens lässt sich diese Geschichte wiederum als Kommentar der Erzählsituation lesen, indem David Peach als „min navigatør“ (ebd.) bezeichnet, der ihn nicht auf dem Meer, aber im Netz leitet.
Und auch dort, wie in der Denkwelt des Südsee-Volkes, gibt es „Tabu-Orte“ – dort das Paradies verstorbe396
4.2.4 Kontamination des Romans mit Strukturen der ‚neuen Medien‘
62
beschreibt die zunehmenden Komplikationen der Ereignisse, die ja fast nur auf Träumen,
Hoffnungen und Illusionen beruhen, als „fabel“, auf die er sich einzulassen habe, um weiterzukommen: „Jeg må akseptere min nye drømmevevers premisser“.408 Dieser Eintritt in die
Netzwelt, zu <webchild>s Homepage auf den Servern von Marie Kammers Firma Zell Media,
gelingt ihm mit dem Passwort andromeda, dem Namen eines Sternennebels, auf den sich
Prefab Sprouts Liedtitel Andromeda Heights bezieht,409 und darauf wiederum Peachs poetische Beschreibung seines fiktiven Netzortes als „Andromedahøyden“.410
Auch die weiter oben genannten Bezüge zu Star Wars und Star Trek können als Teile
des metaphorischen Netzwerks genannt werden, ebenso wie der Vergleich des Theaterraumes mit dem Hyperraum.411 Auch abgerufen wird die popkulturelle Bedeutung von „stjerne“
im Sinne von „superstjerne“, was den Handlungsstrang rund um den Popstar Christina Carrera in das Linknetz eingliedert. Gegen den Willen Marie Kammers werden Christina Brustimplantate aus Silikon eingesetzt, was eine weitere Vernetzung der Silicon-Valley-Episode
darstellt. Während der Operation hört Christina im Narkosetraum „Sfærenes musikk. Skimter stjernestøv“.412 Ein letztes Beispiel ist der Roman Byen under stjernene des fiktiven Balkan-Kriegspräsidenten Milo Marovic,413 der als negatives Spiegelbild von Peachs „landskap
badet i mild stjernelys“414 verstanden werden kann – mit ähnlichen Auswirkungen bei der
Verwirklichung der jeweiligen Utopie: Marovic führt Krieg, Peach wird zum Mörder.
Das metaphorische Feld rund um das Wort „stjerne“ ist hier lediglich als ein besonders
klares Beispiel angeführt. Andere ‚Netze‘ ließen sich für die Sammlung tektonischer Vokabeln (Verschiebung, tektonische Platte, Riss, Bruch) oder für das Symbol der Wüste im wörtlichen und übertragenen (persönlichen und zwischenmenschlichen) Sinn nachweisen.
Die intermediale Funktionsweise dieser metaphorischen ‚Linkstrukturen‘ im Roman ist
nur schwer in den Kategorien von Rajewskys Schema erklärbar. Zunächst könnte man ja
argumentieren, dass die Bezugnahme eher eine intertextuelle sei, da das Bezugssystem wie
der Text selbst dem alphanumerischen Code unterliegt – besonders dann, wenn man den
weiten Intertextualitätsbegriff von Kristeva anlegt, der die „dialogische Relation aller Texte
untereinander“,415 die Idee von einem komplex verflochtenen Universaltext also, meint. Betrachtet man jedoch Internet-Hypertexte als Bestandteile der ‚neuen Medien‘, so wird die
Bezugnahme zu einer teilaktualisierenden Systemkontamination, indem strukturelle Äquivalenzen zwischen bezugnehmendem und Bezugssystem hergestellt werden – der Romantext wird dadurch selbst zu einer Art ‚Quelltext‘ im Sinne der Computer-Terminologie, und
die Linkstruktur, die er ‚ausdrückt‘ bzw. codiert, hat der Leser selbst in eine interaktive ‚Oberfläche‘ zu verwandeln, anhand derer er sich kreuz und quer durch den Romantext ‚klicken‘ kann. Auf diese Weise treten thematische und motivische Verbindungen zutage, die
bei der ‚normalen‘ Lesart verborgen geblieben wären – etwa die Kopplung von Christina Carner Kinder, im Netz Peachs Versuch, eine ‚heile Welt‘, einen geheimen, perfekten Ort für sich und seine
Schwester zu schaffen – ebenfalls die Projektion der Vorstellung von einer ‚ewigen Kindheit‘.
408
Honoré 2002, 181
409
Ebd., 182
410
Ebd., 225
411
Vgl. ebd., 139f.
412
Ebd., 67
413
Vgl. Ebd., 33
414
Ebd., 216
415
zitiert nach Rajewsky 2002, 47 (Texttafel 4)
4.2.4 Kontamination des Romans mit Strukturen der ‚neuen Medien‘
63
reras Operation an die Simulationswelt des Computers über das Wort „Silikon“, wodurch die
Operation des menschlichen Körpers als (unnötig gewordene) materielle Variante der BildKomputationen Marie Kammers lesbar wird.
Diese Lesart des Romans als ‚Quelltext‘, so könnte man argumentieren, wird durch den
Text selbst nahe gelegt, indem Peach den <webchild>-Quelltext seinerseits wie eine Kunstform mit literarischen Qualitäten rezipiert (s.o.). Gleichzeitig reflektiert der Roman auf diese
Weise seine Gebundenheit an den eigentlich streng linearen Schriftcode, sowie die ‚PseudoSchriftlichkeit‘ der Computer-Quelltexte, die nur noch unsichtbare „Vorschriften“416 im Hintergrund sind Außerdem werden so die Probleme deutlich, die durch eine intermediale Bezugnahme des einen Texttyps auf den anderen entstehen: eine Kontamination des sprachlichen Systems, die die gewohnte Lesehaltung unterläuft und so, wie andere genannte
intermediale Bezüge auch, die illusionsbildende Wirkung des Textes reflektierend bricht.
Die Kontamination des Romans mit Elementen des Systems ‚neue Medien‘ schlägt sich
noch auf einige andere Weisen im Text nieder, die sich fast alle im Bezug auf Analysen benennen lassen, die innerhalb dieser Arbeit schon vorgenommen wurden. Beispielsweise wird
die Erzählung immer wieder mit Schilderungen von Träumen angereichert, die stets als mediale Erlebnisse beschrieben werden – sei es in der Form von Davids Kino-417 und TheaterTräumen,418 die, wie er selbst rückblickend sagt, nie zuvor „så fargesterke, virkelighetstro“,
so filmisch also gewesen seien,419 was sich in jenen Passagen auch in Sprache und Metaphorik
spiegelt. Andere traumartige intermediale Bezüge sind weniger eindeutig als solche erkennbar. Hierunter fällt sowohl die schon mehrfach angesprochene Passage, in der Davids halluzinatorisches Großstadt-Erlebnis als das aggressive Einbrechen medialer Rezeptionsmuster
in die Alltagserfahrung geschildert wird, wodurch die Grenzen zwischen Realität und Traum
/ Halluzination / Illusion verwischen.420 Ein weiteres Kapitel kam bisher noch nicht zur Sprache, obwohl es ganz ähnlich verfährt, wenn auch stilistisch konträr und daher mit anderer
Wirkung. Eingeleitet von einer Anspielung auf die Terroranschläge in den USA am 11. September 2001 malt sich David auf einer Zugreise ein Katastrophenszenario aus.421 Anstatt jedoch das Unglück ebenfalls als medial geprägten Rausch oder Wahn zu beschreiben, orientiert etwa an der effektreichen Bildsprache von Katastrophenfilmen, ist die Sprache hier
betont kühl und sachlich, eine mediale Gewöhnung an die Katastrophe vermittelnd,422 unterstützt noch durch den Wechsel des Erzählerpronomens von „jeg“ zu „du“. Denn:
dette er et ukomplisert scenario: Noen (du) er tilfeldigvis et sted hvor det sorte hullet oppstår, det
er ikke din feil, ikke en konsekvens av dine valg eller handlinger (om det er en vakker sommerfugl
på Bali, et manglende anførselstegn i operativsystemet eller noe så banalt som solslyng vom forårsaket det, er uvesentlig), du forlater deg selv og din trygge, vante verden et øyeblikk for å mestre
det umulige, kvantespranget, og etterpå er alt forandret [...]. Enkelt og greit, ingen gråsoner, intet
uløselig dilemma. En verden for Peach. En verden for Emilia.423
416
Flusser 1989, 57
Honoré 2002, 205ff.
418
Ebd., 85f., 95ff., 128
419
Ebd., 15
420
S.o., S. 52 f.
421
Honoré 2002, 131ff.
422
Vgl. Virilio 2000, 37
423
Honoré 2002, 133f.
417
4.2.4 Kontamination des Romans mit Strukturen der ‚neuen Medien‘
64
An diesem kurzen Abschnitt wird einiges deutlich. Zum einen kontrastiert er sprachlich den ‚filmischen‘, emotionsgeladenen Kino-Traum mit einer präzisen, kühlen Sprache,
die eher der Natur einer Simulation entspricht, eines programmierbaren „Szenarios“ zu Versuchszwecken, eines von Apparaten kalkulierten Modells.424 Die Machtlosigkeit gegenüber
derart automatisierten Verläufen lässt sich mit Davids Situation im Roman vergleichen: fast
nie handelt er, sondern reagiert nur passiv auf die katastrophisch verlaufende Situation, in
die Peach ihn bringt und am Ende wieder befreit. Die Zug-Katastrophen-Situation und das
Gefühl des Ausgeliefertseins an sie ist, folgt man Baudrillard, symptomatisch für das Zeitalter
der Simulation: „Weder Handlungen noch Reden noch Verbrechen noch die politischen Ereignisse ziehen wirkliche Konsequenzen nach sich. [...] Man bekommt automatisch Lust [...]
auf ein fatales Ereignis“.425 Diese Ereignisse, das erkennt auch David, während er sich nüchtern die Katastrophe ausmalt, haben keinen ‚Grund‘ mehr – und mehr noch: „Nun ist aber
das Ereignis, das auch hätte nicht statttfinden können (das ‚reale‘ Ereignis), weniger interessant als jenes, welches keineswegs hätte nicht stattfinden können (das ‚fatale‘ Ereignis)“.426
Diese Ereignisse, so Baudrillard weiter, sind irreal und finden virtuell statt: es sind Medienereignisse, die die Lebenswelt prägen und hyperreal werden lassen wie Davids KatastrophenSzenario: „es gibt keine Akteure und keine Zuschauer mehr, alle sind in dieselbe Realität
verwickelt“.427
Dieser Bezug zur (Hyper-)Realität, die mit der Technik der ‚neuen Medien‘ einhergeht,
findet in den zahlreichen Traum- und Visionsschilderungen, Flashbacks und Imaginationen
durchgängigen Niederschlag im Roman. Zentrale Erkenntnisse ereilen David im Traum, seine
Medienerfahrungen schlagen sich in Halluzinationen nieder, das Zug-Szenario spiegelt seine
Verwicklung in Geschehnisse, die sich seiner Kontrolle entziehen: „jeg ville blitt sittende
fastfrosset, paralysert av tenkbare strategier og valg og selve det umulige i situasjonen“.428
Diese Auflösung des Gegensatzes von real und irreal in der Simulation,429 die in Form der
komputierten digitalen Bilder von <webchild> die Handlung erst anstößt, und die in Davids
Träumen von der technischen auf die Bewusstseinsebene wechselt,430 beeinflusst die Erzählsituation des Romans durchgängig. Fiktive, ferne Ereignisse wie der Monterbia-Krieg und der
Aufstieg der Superstars Christina Carrera werden von einem Erzähler geschildert, der in seiner Körperlosigkeit und annähernd auktorialen Haltung nicht mehr mit der Figur Davids
gleichgesetzt werden kann; andere Erzählerstimmen wie die Peachs dringen in den Text ein,
auch in Form gefälschter Texte im angeblich realitätsbezogenen Echtzeit-Medium der online-Zeitung; die Rahmenhandlung um Joseph Niépce und seinen Sohn ist als eine Fiktionalisierung der ‚objektiven‘ Geschichtsschreibung zu lesen, die sich im Epilog zudem vollständig
von einer erzählenden Figur löst und sich gleichsam selbst erzählt.
424
Flusser 1999, 48
Baudrillard 2000, 182f.
426
Ebd., 184
427
Ebd., 188
428
Honoré 2002, 134
429
Vgl. Baudrillard 1989, 126
430
„Webchild er i drømmene mine hver eneste natt, og jeg har bestemt meg. Jeg må oppsøke henne. Gjennom speilet, over stakittgjerdet og inn i bildet“ (Honoré 2002, 109). Im Inneren der Bilder, die Träumen ähneln, verliert David die Kontrolle: „Det kjennes som om det er noen som overtar historien [...]. Og det er
noe som skjer på skjermene. Inne i bildene.“ (Ebd., 171). Die Zug-Episode wäre dann ein gutes Beispiel, wie
der Erzähler „grensen mellom drøm og virkelighet“ (Ebd., 216) überquert und die Realitätsebenen sich
überschneiden lässt.
425
4.2.4 Kontamination des Romans mit Strukturen der ‚neuen Medien‘
65
Gleichzeitig zu dieser Automatisierung, die im Roman formal vor allem im Verlust der
Erzählerautorität bzw. in der Erzähler-Pluralität431 zu sehen ist, reflektiert das Zug-Kapitel
die digitale Verfasstheit einer ‚neuen Realität‘, ihre von naturwissenschaftlichen Gesetzen
beherrschte Logik: „kvantespranget“ und Verweise auf die Chaostheorie, die Schilderung des
Zugs als „denne høyteknologiske katakomben“, das Bild des Schwarzen Loches, mit dem die
vernichtende Kraft der „logiske, lineære begivenheter“ beschrieben wird, verlagern die ‚Entscheidungs‘-Prozesse auf die Ebene physikalischer Gesetzmäßigkeiten – eine Logik, die aus
der Welt „en verden for Peach“ macht, eine digitale Entweder/Oder-Welt. Diese Welt ist David seit der Kindheit bekannt. Denn Emilias „Orakelwand“, die dem Roman den Titel gibt, ist
eine Art primitive digitale Maschine, die den Kindern Entscheidungen abnimmt und sie, binär codiert, in die Hand des Zufalls legt: „Systemets kjerne var å formulere et spørsmål som
bare kunne besvares med ja eller nei [...]. Så ble loddet kastet, om vinteren altså i form av en
snøball. Hvis snøballen traff veggen, var svaret ‚ja!‘, hvis ikke var det ‚nei‘. Enkelt og klart,
ingen gråsoner; en verden for Emilia“.432 Nicht nur die wörtliche Übereinstimmung des letzten Satzes mit dem Zitat aus der Zug-Episode lässt dieses Kinderspiel als Bild für Davids Verstricktheit in die Geschehnisse erscheinen, die unbeeinflussbaren Mustern folgen.
Die Romanstruktur ist also durch die „Rückkopplungsschleife [...] aus Schreiben und
Schalten, die wir unsere Gegenwart oder das digitale Zeitalter nennen“,433 kontaminiert, indem die Erzählung ebenso eine Komputation aus Fragmenten unterschiedlicher Herkunft ist
wie etwa die <webchild>-Identität, oder wie jedes digitale Bild; indem die Pluralität und Anonymität, die für die Erzählersituation und die sprachstilistische Ebene des Romans beschrieben wurde, digitalen Erzeugnissen stärker anhaftet als materiellen Artefakten; indem typische Strukturen wie die Verlinkung des online-Hypertextes im Internet auf metaphorischer
Ebene in den Roman übernommen werden; indem reale, fiktive, simulierte und geträumte
Geschehnisse miteinander verschränkt werden, was ein zentrales Merkmal der durch technische Medien vermittelten Wirklichkeit zu sein scheint; indem elektronisch erzeugte und
improvisierte Musik als Metapher und strukturell analoges System behandelt wird.434 Diese
„im Realen von technischen Medien implementierte Graphie sich selbst aufschreibender
Ereignisse“435 ist im alphanumerischen Romantext mit intermedialen Verweisen auf solche
„selbstschreibenden“ digitalen Systeme umgesetzt: auf die Lichtschrift der ‚Foto-Graphie‘
und ihre Weiterentwicklung im Film, auf das digitale Bild als ‚Abbild‘ von in Computern codierten ‚Vor-Schriften‘, auf das Internet als virtueller ‚Nicht-Ort‘ ohne ‚Erzähler‘-Instanz, auf
den Vorgang des Schreibens selbst, der vom schöpferischen ‚Erzählen der Welt‘ zum reinen
Verwalten und Ordnen des ‚Copy & Paste‘ geworden ist.436 „Es ist der Riß einer im Denken
431
Reflektiert wird diese im Roman, wenn David beim ‚Einfädeln‘ der Erzählstränge über Monterbia und
Christina von „andre stemmer som tvinger seg inn i samtalen“ spricht (Honoré 2002, 32), oder wenn er
äußert: „Min rolle som allvitende forteller er kompromittert“ (Ebd., 171).
432
Honoré 2002, 52
433
Siegert 2003, 11
434
Eine Metapher wird sie in dem Moment, wo David rückblickend Peachs Rolle in der Geschichte und seine
Vermischung von <webchild> mit der eigenen Schwester analysiert: „Diskjockeyen spinner, vever og forteller. Mikser rytmene fra to vinylplater. Det vet jeg nå“ (Honoré 2002, 32). Als analog strukturiertes System zieht Honoré selbst die Musik als Vergleich für die Form seiner ersten beiden Romane heran: „De to
første romanene var nyjazz/elektronika“ (Holen 2005).
435
Siegert 2003, 14
436
Die emotionslose Haltung dieses neuen Schreibens schildert David so: „Jeg skriver med sorte fonter (Sabon 11 punkt) på en ren, hvit skjerm. Starter øverst i venstre hjørne, klipper, limer, skriver. Fyller skjer-
5 Ausblick
66
der Repräsentation verwurzelten Ordnung der Schrift, der die Passage des Digitalen freisetzt
und den Raum der technischen Medien eröffnet“.437 Durch diesen Riß (der Ausdruck ist selbst
Teil eines der metaphorischen Netze im Roman, s.o.), den der Text innerhalb seiner selbst
öffnet, um sich als gemacht und erdacht erkennen zu geben, dringen die Parameter der
technischen Medien ein, um ihn umzustrukturieren. Auf diese Weise kontaminiert das polymediale System der ‚neuen Medien‘ den Roman in seiner Großstruktur, seinen Erzählerinstanzen, seiner Metaphorik und Stilistik. Die Gestalten und Auswirkungen dieser intermedialen Bezüge zwischen Roman und ‚neuen Medien‘ aufzuzeigen, war Intention dieser Arbeit.
5 Ausblick
Erik Honorés Orakelveggen ist, wie die Analyse gezeigt hat, ein Sonderfall an Reichhaltigkeit und Komplexität, was seine Strategien der intermedialen Bezugnahme angeht. Zudem
geht er mit der Referenz auf technische und digitale Medien in eine Richtung, die mit klassischen Untersuchungen zu Text-Bild- oder Text-Musik-Relationen nicht mehr fassbar ist. Die
beispielhafte Anwendung eines Intermedialitäts-Konzeptes, das dieser Komplexität angemessen erschien einerseits, und der Einbezug von Medientheorien in die Analyse andererseits, zeigte zweierlei. Zum einen lässt sich ein literarischer Text auf diese Weise besser als
mit herkömmlichem, rein literaturwissenschaftlichem Werkzeug als verflochten mit der
kulturellen und medialen Situation seiner Entstehung und Rezeption untersuchen. Zum anderen wurde aber auch deutlich, dass die Feinheit des Analysewerkzeugs bei der konkreten
Anwendung an Grenzen stößt, zumal in einer Mediensituation, die von Hybridisierung und
Verschmelzung vormals getrennter medialer Bereiche geprägt ist. Gerade indem der Text
dies jedoch inhaltlich und strukturell reflektiert, bestätigt er Brüggemanns Vermutung, dass
die Literatur der Wissenschaft oft weit darin voraus ist, „den Dialog mit den medialen Wahrnehmungsformen“ aufzunehmen.438 Dies mag als Anreiz verstanden werden, die Bezüge zwischen Literatur und (nicht nur ‚neuen‘) Medien weiterhin und verstärkt in den Blick zu nehmen. Allein für die norwegische Literatur der letzten Jahre ließen sich viele sehr
unterschiedliche Gegenstände finden, von Jan Kjærstads enzyklopädischer, achronologischer
und bildgewaltiger Wergeland-Trilogie mit ihren Fernsehbezügen, bis hin zu Johan Harstads
komprimierter, strukturell und motivisch kunstvoll ‚verlinkter‘ Novellensammlung Ambulanse. Denn wenn das Schreiben, wie Flusser behauptet, immer auch eine Analyse unseres
Welt-Bildes mithilfe des Metacodes der Schrift ist, dann erklärt uns die Untersuchung dieser
Analysetechnik namens „Literatur“ nicht nur die Texte selbst. Dann kann sie auch etwas
darüber aussagen, wie wir uns selbst ein Bild von der Welt machen – sie kann helfen, „über
das Schreiben hinauszuschreiben“.439
men, lagrer, fortsetter. De rene tekstdokumentene gir meg en følelse av klarhet, av begrensede redigeringsmuligheter, og det er den eneste måten å samle dette materialet på.“ (Honoré 2002, 14)
437
Siegert 2003, 16
438
Brüggemann 2000, 14
439
Flusser 1989, 157
67
6 Anhang
6 Anhang
Abbildungsnachweis
Abbildung 1:
eigenes Schema, nach Irina Rajewsky 2002, 157
Abbildung 2:
www2.oakland.edu/users/ngote/images-full/niepce-balcony.jpg
Abbildung 3:
eigenes Schema
6 Anhang
Abbildung 1: intra- und intermediale Bezüge nach Irina Rajewsky
Abbildung 2: fotografischer Blick aus dem Arbeitszimmer von Joseph Niépce
68
6 Anhang
Abbildung 3: metaphorisches Feld rund um das Wort stjerne
69
70
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Lebenslauf
PERSÖNLICHE ANGABEN
Name:
Vorname:
Geburtsdatum :
Geburtsort:
Staatsangehörigkeit:
Pantel
Sebastian
23.11.1979
Wuppertal
deutsch
AUSBILDUNG
Schulbildung:
1990 bis 1999:
Erzbischöfliches St.-Anna-Gymnasium Wuppertal
Studium:
WS 2000/2001 bis SS 2002:
Skandinavistik, Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften
und Musikwissenschaften an der Universität zu Köln
SS 2002:
Zwischenprüfung in Skandinavistik und Theater-, Film- und
Fernsehwissenschaften
WS 2002/2003 bis SS 2003:
Nordistik und Medienwissenschaften an der NTNU Trondheim / Norwegen als ERASMUS-Student
WS 2003/2004:
Zwischenprüfung in Musikwissenschaften
WS 2003/2004 bis WS 2005/2006:
Fortsetzung des Studiums in Köln
SS 2006:
Magisterprüfung