zum Anpassungsmechanismus der Regelsätze bei Sozialhilfe und

Transcription

zum Anpassungsmechanismus der Regelsätze bei Sozialhilfe und
Bundesministerium für
Arbeit und Soziales
Berlin, den 4. November 2007
Bericht
zum Anpassungsmechanismus der Regelsätze bei Sozialhilfe und
Grundsicherung für Arbeitsuchende
-2-
1. Auftrag
Angesichts der im Sommer 2007 angekündigten Preiserhöhungen für Lebensmittel wurde in der
Öffentlichkeit eine mögliche Anhebung der Regelsätze/Regelleistungen nach dem SGB XII und
SGB II diskutiert, teils gefordert. Bundesminister Franz Müntefering kündigte am 10. August
2007 eine Prüfung an,
„1. wie sich Preisentwicklungen in 2006 und 2007 für Empfängerinnen und Empfänger von Sozialhilfe und von Grundsicherung (ALG II) ausgewirkt haben oder in den kommenden Monaten
auswirken werden;
2. welche Konsequenzen sich ergeben, wenn der zum 1. Juli 1997 durchgeführte Wechsel der
jährlichen Anpassung der Sozialhilfe hin zum Rentenanpassungsfaktor weiter gilt oder durch
andere Regelungen, etwa die Inflationsrate oder den Verbraucherpreisindex, ersetzt würde.“
Außerdem sollte geprüft werden, in welchem Umfang durch Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns die Ausgaben für die Grundsicherung (ALG II) gesenkt werden können und
dadurch finanzieller Handlungsspielraum gewonnen werden kann.
Die Bundesregierung hat am 24. August 2007 auf ihrer Klausurtagung das BMAS beauftragt,
einen Bericht zum Anpassungsmechanismus vorzulegen.
2.
Ergebnisse des Prüfauftrags
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat das Statistische Bundesamt gebeten, die
notwendigen Berechnungen zur Preisentwicklung und anderer alternativer Anpassungsmechanismen vorzunehmen.
Aktuelle Entwicklung der Lebensmittelpreise
In der Öffentlichkeit wurden in letzter Zeit aufgrund der Ankündigung erheblicher Preissteigerungen für einzelne Lebensmittel starke allgemeine Preissteigerungen vermutet. Bei näherer
und längerfristiger Betrachtung zeigt sich aber, dass sich die Lebensmittelpreise, die bei den
Konsumenten mit relativ niedrigen Einkommen besonders ins Gewicht fallen, vergleichsweise
moderat entwickelt haben.
Tatsächlich sind die Preise für Butter (+ 43,1 Prozent), Brot (+ 9,9 Prozent) und Milch (+ 11,7
Prozent) von September 2007 im Vergleich zum Vorjahresmonat September 2006 deutlich angestiegen. Dieser Anstieg relativiert sich aber, da die Ausgaben für diese Nahrungsmittel nur
einen kleinen Anteil an den Gesamtausgaben der Verbraucher ausmachen.
-3-
-3Tabelle 1: Preisentwicklung ausgewählter Nahrungsmittel in Prozent
Butter*
2007 Sept
zu 2007 Mai
2007 Sept
zu 2006 Sept
2007 August zu 2006 August
+41,0
+43,1
+36,6
Milch**
+9,8
+9,9
+7,8
Brot*** Preisindex insgesamt****
+ 1,7
+11,7
+ 9,6
+ 0,5
+ 2,4
+ 1,9
*deutsche Markenbutter, **H-Milch, ***Roggenbrot, ****allgemeiner Verbraucherpreisindex
Im Ergebnis ist festzuhalten, dass es punktuell deutliche Preissteigerungen gibt, dass der Preisindex insgesamt aber moderate Veränderungen zeigt und dass sich die Notwendigkeit für eine
Modifizierung der Regelsatzanpassung daraus nicht ergibt.
3. Regelsatzberechnungen nach alternativen Anpassungsmechanismen
Die Anpassung der Regelsätze erfolgt jährlich nach dem Anpassungsfaktor der Renten. Das
Statistische Bundesamt wurde beauftragt, Berechnungen für Anpassungsalternativen vorzunehmen. Bei Anwendung alternativer Anpassungsmechanismen hätten sich zum 1. Juli 2007
folgende Eckregelsätze ergeben:
Tabelle 2: Rechnerische Eckregelsätze zum 1. Juli 2007 nach Anpassungsalternativen
Basis 345 Euro im Jahr 2003
Variante 0:
Variante A:
Variante B:
Variante C:
Variante D:
Variante E:
Anpassung an die Rentenentwicklung (IST-Regelung)
Allgemeiner Preisindex (mit allgemeinem Wägungsschema)
Allgemeiner Preisindex ohne Wohnungskosten und Heizung
(mit allgemeinem Wägungsschema)
Speziell auf Basis des regelsatzrelevanten Verbrauchs
ermittelter Preisindex mit allgemeinem Wägungsschema
Wie C, nur mit Wägungsschema der
regelsatzrelevanten Güter und Dienste
Gesamtwirtschaftliche Nettolohn- und -gehaltsentwicklung
347 Euro
367 Euro
365 Euro
359 Euro
355 Euro
353 Euro
4. Schlussfolgerungen
Beibehaltung des bisherigen Verfahrens
Die weitere Verwendung des Rentenanpassungswertes für die Fortschreibung des Eckregelsatzes ist sachgerecht. Mit dem erwarteten Anstieg der Renten in den kommenden Jahren wird
es jeweils auch - wie zwischen 1997 und 2003 und wie 2007 - einen Anstieg der Eckregelsätze
für Empfängerinnen und Empfänger von Leistungen nach dem SGB II und SGB XII (einschließlich der Grundsicherung im Alter) geben.
Eine Berücksichtung aktueller Preissteigerungen bei der Anpassung der Regelsätze und Regelleistungen würde zu einer ungerechtfertigten Besserstellung der Transferleistungsempfänger
-4-
-4gegenüber den Erwerbstätigen und Rentnern führen und damit den Gleichklang der Entwicklung von Sozialleistungen in Deutschland in Frage stellen.
Verkürzung des Erhebungszeitraums
Das Verfahren auf der Basis der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) sollte beibehalten werden. Eine Verkürzung des Erhebungszeitraums der EVS von bisher fünf auf drei Jahre ist aber sinnvoll und anzustreben. Es relativiert die Bedeutung des Anpassungsmechanismus. Dabei muss der erforderliche Umfang der Erhebungen sowie die qualitative Aufbereitung,
Analyse und Auswertung der Daten des Statistischen Bundesamtes gewährleistet sein. Eine
Gesetzesänderung ist erforderlich.
Überprüfung der Angemessenheit der Kinderregelsätze
Mit dem Vorliegen der Ergebnisse der EVS 2008 ist der Verordnungsgeber gesetzlich verpflichtet, die Regelsatzbemessung zu überprüfen und gegebenenfalls weiterzuentwickeln (§ 28 Abs.
3 Satz 5 SGB XII). Bei dieser Gelegenheit soll es auch eine spezielle Überprüfung der Angemessenheit der geltenden Kinder-Regelsatz-Relationen (60 % bzw. 80 %) geben.
Einmalleistungen für Schulanfänger
Für Kinder, die erstmals die Schule besuchen, haben Eltern, die SGB II- oder SGB XIILeistungsempfänger sind, Anspruch auf ein „Schulstart-Paket“ von einmalig 150 Euro (voraussichtliche Kosten von ca. 20 Mio. Euro zu Lasten SGB II und ca. 150.000 Euro für SGB XII).
Zusätzliche konkrete Hilfen für Kinder
Vor dem Hintergrund der besonderen Verantwortung für die Entwicklungschancen der Kinder
aus Familien mit geringem Einkommen ist es angesichts der besonderen Preissteigerungen für
Lebensmittel zielführend, ergänzend zu den Eckregelsatz-Leistungen und unabhängig von ihnen für gesunde und ausreichende Ernährung von Kindern in Kitas und Schulen seitens des
Bundes bis auf weiteres jährlich rd. xxx Mio. Euro als Zuschuss an die ausführenden Kitas und
Schulen zur Verfügung zu stellen.
Flächendeckender Mindestlohn
Mit einem flächendeckenden Mindestlohn wird der Bundeshaushalt im Bereich SGB II um jährlich rd. 1,5 Mrd. Euro entlastet.
-5-
-5Zur Erläuterung
Regelsatzbemessung auf Basis EVS und Anpassung auf Basis des aktuellen Rentenanpassungsfaktors
Die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) ist die Basis für die Regelsatzbemessung.
Sie wird alle fünf Jahre erhoben (zuletzt 2003), in diesem Turnus findet eine Neubemessung
der Regelsätze statt. In den Jahren zwischen zwei Erhebungen wird der Regelsatz seit 1997
jährlich mit dem aktuellen Rentenanpassungsfaktor angepasst.
Beim Statistikmodell wird in Abweichung zum Warenkorbmodell von der Annahme ausgegangen, dass die Verbrauchsgewohnheiten, die für die Gesamtbevölkerung auf Basis dieser repräsentativen amtlichen Erhebung erfasst werden, auch für die Ermittlung der Verbrauchsausgaben im unteren Einkommensbereich und damit für den regelsatzrelevanten Verbrauch geeignet
sind. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales legt im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Finanzen durch Rechtsverordnung und mit Zustimmung des Bundesrates Bemessung, Aufbau und Fortschreibung der Regelsätze fest. Die Regelsätze werden dann von den
Ländern durch eigene Rechtsverordnung festgesetzt. Sie bestimmen, ob sie die von der Bundesregierung ermittelten Werte der bundesweiten Auswertung der EVS übernehmen oder regionale Auswertungen der EVS zugrunde legen, um landesspezifische Besonderheiten zu berücksichtigen.
Mit dem Vorliegen der Ergebnisse der EVS 2003 hat sich die Bundesregierung zu einer Weiterentwicklung der Regelsatzbemessung entschieden. Seit 2007 gilt erstmalig eine gesamtdeutsche Verbrauchsstruktur und ein einheitlicher gesamtdeutscher Eckregelsatz. Dieser Regelsatz
gilt auch für die Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II (Arbeitslosengeld II). Die
Höhe des Arbeitslosengeldes II wird im Bundesgesetzblatt bekannt gegeben.
Die Anpassung der Regelsätze erfolgt in der Regel zum 1. Juli eines Jahres mit der aktuellen
Veränderung des Rentenwerts. Die Fortschreibung entsprechend dem aktuellen Rentenanpassungsfaktor stellt über diesen Weg den Gleichklang der Sozialleistungen in Deutschland sicher.
Als eindeutig feststellbare Größe wird er aufgrund der Bruttolohn- und Gehaltsentwicklung der
Arbeitnehmer im Vorjahr ermittelt und vom Statistischen Bundesamt zur Verfügung gestellt. Die
Orientierung an der Rentenentwicklung gilt seit der Einführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende zum 1. Januar 2005 auch für die Regelleistung des SGB II. Die jüngste Anpassung
der Regelleistung auf 347 Euro wurde zum 1. Juli 2007 im Bundesgesetzblatt bekannt gegeben.
Auf der Basis der EVS 2003 ergab sich zum 1. Januar 2007 ein Eckregelsatz von 345 Euro; er
wurde zum 1. Juli 2007 gemäß dem aktuellen Rentenanpassungsfaktor auf 347 Euro angehoben.