Zur Dynamik von Perversion und Übertragung

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Zur Dynamik von Perversion und Übertragung
Sigmund-Freud-Vorlesungen 2011
Zur Dynamik von Perversion und
Übertragung
Fritz Lackinger
Einleitung
In den vergangenen 10 Jahren hat sich die psychoanalytische Literatur vervielfacht, die sich mit den
Besonderheiten der Übertragungsentwicklung bei der Behandlung von Patienten mit Perversionen
beschäftigt. Viele dieser neueren Publikationen gehen von einzelnen psychoanalytischen
Behandlungen aus, in deren Verlauf besonders schwierige Übertragungssituationen auftraten, die mit
perversen Symptomen oder Persönlichkeitszügen verbunden waren oder sich schließlich als mit
solchen verbunden heraus stellten (Baker 1994, Carignan 1999, Fornari-Spoto 2003, Frank 2003,
Golder 1998, Minerbo 1997, Ogden 1996, O’Shaugnessy 2003, Sohn 2003, Steffens 2003, Weiß 2002,
Wilde 2003, Winterhalter & Kläui 1998, Wurmser 2002).
Die Autoren greifen dabei auf theoretische Konzepte zurück, die aus verschiedenen
psychoanalytischen Traditionen stammen und die je nach ihren Besonderheiten geeignet sind,
unterschiedliche Aspekte des perversen Übertragungsgeschehens zu verdeutlichen. Ich werde in einem
ersten Abschnitt versuchen, einige dieser theoretischen Gesichtspunkte zusammen zu fassen.
Selten wird von den Autoren die Frage behandelt, welche besonderen Bedingungen die Behandlung
ihres Patienten in einer hochfrequenten Psychoanalyse möglich machten. Dies ist insofern
verwunderlich, als es nach wie vor eine vorherrschende Erfahrung von niedergelassenen
Psychoanalytikern zu sein scheint, dass Patienten mit sexuellen Perversionen selten in analytische
Behandlung kommen und noch seltener eine hochfrequente Analyse aufnehmen und durchhalten.
Ich will hier nicht die Debatte aufnehmen, inwieweit Perversion eine Struktur und inwieweit es ein
Symptom ist. Ausgehend von den Berichten in der psychoanalytischen Literatur als auch nach meiner
eigenen Erfahrung als Psychoanalytiker in freier Praxis gibt es offensichtlich Patienten mit perversen
Symptomen, die im Rahmen einer Standard-Psychoanalyse optimal behandelt werden können. In der
Regel sind das Patienten, deren Persönlichkeit grundlegend auf einem neurotischen Funktionsniveau
organisiert ist. Darüber hinaus werden auch gelungene Analysen mit Patienten berichtet, die eine
narzisstische Persönlichkeitsstörung mit perversen Symptomen aufweisen, sofern sie eine gewisse
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erhaltene Beziehungsfähigkeit und keine antisozialen Züge zeigen. Das gleiche gilt auch für
histrionische Persönlichkeitsstörungen, und in seltenen Fällen auch für schizoide und paranoide
Persönlichkeiten. Generell werden jedoch Patienten mit perversen Symptomen, wenn sie eine
Borderline-Persönlichkeitsorganisation aufweisen, besser mit psychoanalytischer Psychotherapie
behandelt.
In Fällen, wo die Tendenz zur Antisozialität sehr stark ist oder wo die psychische Struktur
psychotische Regressionen sehr wahrscheinlich macht, sind weitere Modifikationen der Technik
notwendig. Hier spreche ich nun als Psychoanalytiker, der als ehemaliger Leiter des Forensischtherapeutischen Zentrums Wien viel Erfahrung mit antisozialen und forensischen Patienten hat.
Im forensischen Kontext spielen Perversionen naturgemäß bei den Sexualdelinquenten eine
bedeutende Rolle, wiewohl fest zu halten ist, dass keineswegs alle Sexualdelinquenten eine Perversion
im deskriptiven Sinne aufweisen. Umgekehrt finden sich Perversionen jedoch bei manchen
Einbrechern, Brandstiftern und Gewalttätern. Da die psychische Struktur dieser Täter fast nie auf
neurotischer Ebene funktioniert und überdies meist die institutionellen und finanziellen Möglichkeiten
fehlen, spielt die Standard-Psychoanalyse in der forensischen Psychotherapie naturgemäß keine Rolle.
Übertragungsfokussierte Psychotherapie hat sich jedoch für einen Teil der Delinquenten als
brauchbare Therapiemodalität erwiesen. Ich habe mich in mehreren Arbeiten mit den Modifikationen
beschäftigt, die in der Behandlung solcher Patienten indiziert sind, und werde das ein kleines Stück
weit auch hier und heute tun.
Darstellung der Fragestellung
Zahlreiche Autoren haben auf die Schwierigkeit hingewiesen, Patienten mit Perversionen zu
behandeln. Die „klassische“ Schwierigkeit besteht darin, dass perverse Symptome oft dem Subjekt,
das sie zeigt, keine subjektiven Leidenszustände verursachen. In seiner subjektiven Wahrnehmung
erscheint es dem Perversen ja gerade so, dass ihn die von ihm kreierte Sexualität vor Leiden schützt
und ihm in diesem Sinne das „gute“ Objekt ersetzt, das er psychisch nicht repräsentiert und vermutlich
tatsächlich nie erlebt hat.
Die klinische Erfahrung niedergelassener Psychotherapeuten zeigt, dass Perverse v.a. dann in die
Praxis kommen, wenn ihre Perversion zu versagen beginnt. Ähnliches berichtet auch R. Reiche
(1996), der sich auf die Erfahrungen im Frankfurter Institut für Sexualwissenschaft stützen kann. Die
Patienten zeigen dann entweder depressive oder Angstsymptome, die sie behandelt haben möchten,
oder sie erleben heftige und unlösbar erscheinende Partnerschafts- oder Beziehungsprobleme. In aller
Regel wollen sie im Grunde nur ihr altes perverses Gleichgewicht wieder finden, nicht jedoch dem
Sinn und der Bedeutung ihrer perversen Wünsche selbst auf die Spur kommen. Häufig genügen ihnen
kleine Veränderungen, die ihnen eine neue oberflächliche Stabilität ermöglichen. Kaum hat die
Therapie begonnen, sind sie auch schon wieder weg, zu stark ist offensichtlich die
Schmerzberuhigungs- und Schutzfunktion ihrer perversen „Plombe“.
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Wenn also die Perversion (oder der Fetisch, oder – wie FREUD einmal meinte - der Trieb) an die
Leerstelle des idealisierten inneren Objektes tritt, so repräsentiert der konkrete Andere, der an der
perversen Szene beteiligt wird, immer auch eine Gefahr. Deshalb muss der Andere kontrolliert und
beherrscht, u. U. auch gedemütigt und gequält werden. Diese Tendenz zur Dehumanisierung des
realen Objekts kann dabei sehr unterschiedliche Ausmaße annehmen, je nachdem, wie sehr die inneren
Selbst- und Objektbilder fragmentiert, zerstört und dehumanisiert sind. Ich habe in einer früheren
Arbeit eine Differenzierung der Perversionen nach dem Grad ihres Angriffs auf das sexuelle
Selbstbestimmungsrecht des realen Anderen vorgeschlagen (Lackinger 2005) und dabei benigne,
transgressive und maligne Perversionen unterschieden.
Abhängig von der Schwere der Aggression, die in der perversen Szene ausagiert wird, ist nun die
Tatsache, dass Perverse oft kein subjektives Behandlungsbedürfnis haben, ein mehr oder weniger
großes Problem. So können die meisten Stammgäste in Swinger Clubs und SM-Shows als Vertreter
einer postmodernen sexuellen Vielfältigkeit betrachtet werden, über deren Pathologie oder NichtPathologie man problemlos verschiedener Meinung sein kann. Bei chronischen sexuellen Belästigern
hört sich die Möglichkeit zu solch quasi „politischer“ Toleranz allerdings bereits auf und gänzlich
unzweifelhaft ist die objektive Behandlungsbedürftigkeit bei pädophilen Kindesmissbrauchern oder
sexuellen Gewalttätern.
Gerade die forensische Dimension der Perversionsbehandlung hat die Frage nach der Therapierbarkeit
dieser Psychopathologie in neuer und scharfer Weise auf die Tagesordnung gebracht. Sexualstraftäter
haben beträchtliche Rückfallraten. Die einzige Alternative zu unproportional langen Freiheitsstrafen
scheint die Behandlung der Täter zu sein. Doch auch behandelte Sexualstraftäter werden immer noch
zu häufig rückfällig, wie uns so manche Katamnesestudie aus diesem Bereich zeigt (vgl. etwa Eher et
al. in diesem Band, aber auch Marshall et al. 1999).
Auf der Suche nach Optimierungsmöglichkeiten für die Behandlung von transgressiven und malignen
Perversionen schienen mir die häufiger werdenden Texte zu den Problemen der perversen
Übertragung und Gegenübertragung wichtige Hinweise zu geben. Scheitern so viele Behandlungen
von perversen Sexualstraftätern vielleicht deswegen, weil die Therapeuten und Therapeutinnen zu
wenig über die spezifischen Beziehungsstörungen Perverser wissen oder weil sie nicht bemerken, wie
sie selbst in der Behandlung in diese Beziehungsstörungen mit eingebaut werden? Hängt die
spezifische Schwierigkeit dieser Behandlungen damit zusammen, dass perverse Straftäter die
Fähigkeit besitzen, in den Therapeuten bestimmte Ängste und Abwehrmechanismen auszulösen,
sodass diese den klaren Blick verlieren und bei der Verleugnung ihrer Patienten mitmachen? Meine
klinische Erfahrung als forensischer Therapeut und Supervisor sagt mir, dass genau dies häufig der
Fall ist, auch wenn es vermutlich nicht der einzige Grund für das Scheitern von
Sexualstraftäterbehandlungen ist.
Auch wenn Übertragung und Gegenübertragung in psychodynamisch orientierten Therapien bewusst
als therapeutisches Instrument verwendet werden, bedeutet dies nicht, dass sie nicht auch in anderen
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Therapiemethoden zu Problemen führen könnten. Im Gegenteil, bei psychodynamisch orientierten
Therapeuten ist zunächst einmal die Chance größer, dass sie mit diesen Problemen zurecht kommen,
weil sie eben ein bewusstes Augenmerk auf die Übertragungsentwicklung legen. Daher könnten die
folgenden Überlegungen gerade auch für kognitiv- und dialektisch-behavioral orientierte
Psychotherapeuten im forensischen Feld von großem Interesse sein. Denn auch sie sind den
projektiven Identifizierungen und dem subtilen „Selbstvertauschungsagieren“ perverser Patienten
(Berner 1985) ausgesetzt und (re)agieren automatisch (d.h. unbewusst) mit, zumal sie auf diese
Probleme durch ihre Ausbildung nicht vorbereitet sind. Aber das soll keineswegs heißen, dass
tiefenpsychologisch und psychodynamisch arbeitende Psychotherapeuten davor gefeit wären, in ein
perverses Gegenübertragungsagieren hineingezogen zu werden. Da diese Problematik in den freien
Praxen selten auftritt, spielt ihre Reflexion auch in der Ausbildung der psychoanalytischen Institute
nur eine geringe Rolle. Forensische Psychotherapeuten sind daher alle mit dem Problem konfrontiert,
dass sie die Behandlung transgressiver und maligner Perversionen mit Dimensionen des eigenen
Erlebens in Verbindung bringt, die sich essentiell der Symbolisierung und damit auch der Reflexion
entziehen (Ogden 1996).
Es scheint mir angemessen, zunächst einen Blick in die psychoanalytische Literatur zu machen, um
zusammen zu fassen, was bisher der Stand der Erkenntnis in Bezug auf Übertragung der Perversion
und Perversion der Übertragung ist. Im Weiteren sollen dann einige begriffliche Klärungen
vorgenommen und schließlich einige wichtige Formen derartiger Übertragungen dargestellt werden.
Synopsis der psychoanalytischen Literatur zum Thema
Ich gehe aus von Freuds Vorstellung einer den Neurosen zugrunde liegenden primären, polymorphperversen Phantasietätigkeit (Freud 1905d), ebenso von Freuds Betonung des negativen
Ödipuskomplexes für die Entstehung von Perversionen (Freud 1919e) und halte auch seine
Entdeckung der Ich-Spaltung und der Verleugnung der weiblichen Penislosigkeit als spezifisch
perverse Abwehrmechanismen (Freud 1927e, 1940e) für nach wie vor aktuell.
Der nach Hanns Sachs so genannte „Sachs-Mechanismus“ machte aber schon 1923 klar, dass die
Verdrängung in der Perversion keineswegs völlig fehlt, wie zuvor angenommen wurde, sondern
lediglich selektiv suspendiert wird (Sachs 1923, Compton 1986).
Die Entdeckung der Charakterperversion (in Analogie zur Charakterneurose) in der amerikanischen
Ich-Psychologie stellte eine bedeutende Weiterentwicklung dar, weil damit das Verständnis des
gestörten Realitätsbezuges bei den Perversen über den unmittelbar sexuellen Zusammenhang
(weiblicher Penislosigkeit) ausgedehnt werden konnte. Während Arlow (1971) den genetischen
Zusammenhang zur sexuellen Ätiologie noch streng beibehielt, scheint Grossmann (1993) diesen
aufzugeben, was dann zur Gefahr einer Überdehnung des Perversionsbegriffes und zu einer
mangelhaften Analyse der unbewussten Hintergründe des Verleugnungsmechanismuses führt.
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Jedenfalls sind die pervers-verleugnenden Formen des Realitätsbezuges zu den wichtigen
Übertragungsmanifestationen der Perversion hinzu gekommen.
Die Selbstpsychologie stellte dann den Narzissmus, der schon von Freud (1922b) und Fenichel (1931)
gestreift worden war, ganz ins Zentrum der Perversionstheorie. Kohut (1971, 1972) überwand die
unfruchtbare Polarität zwischen Übertragungsneurosen und narzisstischen Neurosen und konzentrierte
sich auf ein Verständnis der narzisstischen Übertragungen (Idealisierung, Spiegelung), die vor ihm
kaum wahrgenommen worden waren. Goldberg vertiefte das selbstpsychologische Verständnis der
Perversion durch die Anwendung des Konzepts der vertikalen Spaltung auf die Übertragung des
Perversen: Ein Teil der Übertragung tendiert immer dazu, abgespalten zu bleiben und daran scheitern
viele Behandlungen solcher Patienten. Er verweist auch auf korrespondierende
Gegenübertragungsreaktionen bei Analytikern und Therapeuten (Goldberg 1985, 1997).
Die Selbstpsychologie brachte aber nicht nur Fortschritte, sondern verarmte die psychoanalytische
Tradition auch, indem sie der Psychodynamik, d.h. den inneren Konflikten zwischen Trieben und
Abwehr kaum noch Beachtung schenkte, ja diese zu Epiphänomenen der Selbstobjekt-Schicksale
degradierte. Außerdem geht bei ihr jenes Moment in der Ätiologie der Perversion, das der
kleinianische Gesichtspunkt ganz ins Zentrum stellt, nämlich die aggressiven und destruktiven
Dispositionen, gänzlich verloren. Freud hatte (abgesehen von einer Andeutung im Jahre 1892/93) v.a.
in der Analyse des erotischen und des moralischen Masochismus auf die ätiologische Beteiligung des
Todestriebes an der Perversion hingewiesen (Freud 1924c). In den späteren Fetischismus-Arbeiten
Freuds hatte dieses Moment dann wieder gefehlt.
Auch bei Morgenthaler (1974, 1977) erscheint die „sado-anale, rivalisierende“ Einstellung des
Perversen zum Analytiker nur als Reaktion auf dessen Empathiemängel und nicht als Aspekt einer
primären Destruktivität im Sinne eines eigenständigen, ätiologischen Faktors. Für die
psychoanalytische Psychotherapie ist Morgenthaler trotzdem sehr interessant, weil er auf eine
oszillierende Übertragung der Perversen hinweist, eine doppelte Oszillation eigentlich, zwischen
Idealisierung und Angriff einerseits und zwischen Selbst- und Objektbesetzung andererseits. Dies
entspricht vollkommen dem von Kernberg (1975) postulierten Übertragungsmuster von
Borderlinepatienten im Sinne eines raschen Positionswechsels zwischen „guten“ und „bösen“ Selbstund Objektanteilen. Sehr hilfreich ist auch der Morgenthalerische Gedanke, dass die Sexualität und
der Orgasmus von Perversen zur Stabilisierung ihrer flüchtigen Selbst- und Objektbilder verwendet
wird.
Bei Melanie Klein steht von Anfang an der Sadismus und die Destruktivität in den Phantasien der
kleinen Kinder im Zentrum der Aufmerksamkeit. Klein (1932) beschrieb die frühzeitige Entwicklung
genitaler Empfindungen als ein Mittel, den paranoiden Ängsten zu begegnen, die durch die
sadistischen und prägenitalen Impulse des Kindes ausgelöst werden. Damit hat sie im Grunde als Erste
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den Abwehrmechanismus der Sexualisierung beschrieben. Die genitale Erotisierung prägenitaler
Impulse mobilisiere beruhigende Liebes- und Kreativitätsimpulse, zugleich berge aber die vorzeitige
Genitalisierung auch die Gefahr in sich, dass daraus im Erwachsenenalter sexuelle Perversionen und
destruktive Erregungszustände entstehen. Sexualisierung erscheint also im kleinianischen Denken von
vorneherein als Abwehr der Aggression, während in der Selbstpsychologie sowohl Sexualisierung als
auch Aggression Folgen eines strukturschwachen, zerfallenden Selbst sind.
Rosenfeld (1964) hat das Konzept der narzisstischen Persönlichkeitsstörung im kleinianischen Kontext
entwickelt. Anders als bei Kohut spielen bei ihm pathologische Introjektions- und
Identifikationsvorgänge die entscheiden Rolle. Narzisstische Störungen entstehen durch die
Introjektion primitiver idealisierter Objekte und deren Verschmelzung mit einem von Aggression
„gereinigten“ Selbst, wobei die aggressiven Gefühle auf äußere Objekte projiziert werden.
Destruktiver Narzissmus entsteht durch die Idealisierung destruktiver Selbst- und Objektanteile und
deren Verschmelzung mit dem idealisierten Selbst (Rosenfeld 1971). Die daraus folgende
Idealisierung von Aggression und Zerstörung und der Hass auf alles Gute wird für die Kleinianer zur
theoretischen Matrix ihrer weiteren Perversionskonstrukte. Eine spezifische Verbindung zur Sexualität
muss nicht notwendigerweise vorhanden sein, obwohl Rosenfeld (1975) auch auf die omnipotente
Verleugnung der sexuellen Unterschiede und damit des sexuellen Mangels hingewiesen hat. Joseph
(1971) erweiterte diese Konzepte dadurch, dass sie sie konsequent in der Übertragung suchte und fand.
Patienten berauben den Analytiker manchmal seiner Kompetenzen, indem sie ihn am Denken hindern,
seine Deutungen entwerten und seine Kreativität für sich selbst beanspruchen. Gleichzeitig projizieren
sie ihre infantilen Abhängigkeitswünsche auf den Analytiker. Auch sexuelle Erregung wird projiziert
bzw. durch projektive Identifizierung im Analytiker auszulösen versucht, was einen zerstörerischen
Angriff auf die Behandlung darstellt. Bei Meltzer (1966, 1973, 1992) bezeichnet Perversion sexuelle
psychische Zustände, die durch die Führung eines destruktiven Persönlichkeitsanteils erzeugt werden.
Dieser ist von überwältigendem Neid gegenüber der Güte, Großzügigkeit, Kreativität, Harmonie und
Schönheit von guten Objekten geprägt. Die Analyse wird daher auf vielfache Weise angegriffen und
der Analytiker agiere mit, wenn es zu einem fetischistisches Spielen mit Deutungen, wie mit Peitschen,
komme.
Etchegoyen (1978, 1991) verbindet die kleinianische Betonung der Destruktivität mit einigen
Aspekten der Psychoanalyse nach Lacan. Indem die Verleugnung als gleichzeitiges Anerkennen und
Zurückweisen der Kastration konzeptualisiert wird, gewinnt er ein klares Unterscheidungsmerkmal
zwischen Perversion (einschl. der Übertragungsperversion) und Psychose (bzw. der
Übertragungspsychose). Viele Kleinianer hatten hier (ebenso wie Winnicott) nur verschiedene
Schwergrade einer Pathologie gesehen, die im Wesentlichen auf den exzessiven Gebrauch primitiver
projektiver Identifizierung zurück zu führen sei. Bei Etchegoyen ist die Übertragungsperversion v.a.
durch die (aggressiv motivierte) Erotisierung der Bindung und die ideologische und polemische
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Präsentation des (Sexual)lebens charakterisiert, ein Versuch den Analytiker in sterile Machtkämpfe zu
verwickeln.
Auch Steiner (1993) versucht mit seinem Konzept der Borderline-Position etwas Klarheit in die
unterschiedlichen Dynamiken von Neurose, Psychose und Perversion zu bringen. Durch seinen
Rückgriff auf Money-Kyrles „drei Grundtatsachen des Lebens“ erweitert er den Realitätsbereich,
dessen Verleugnung und gleichzeitige „kniffige Anerkennung“ zu den typisch-perversen Beziehungs(und damit auch Übertragungs)verzerrungen führt über den Geschlechtsunterschied hinaus.
Gleichzeitig begrenzt er den Bereich auch, eben auf die „Grundtatsachen des Lebens“ und vermeidet
damit eine endlose Überdehnung des Perversionsbegriffes. Übrigens scheinen die drei Grundtatsachen
des Lebens auch eine gewisse Korrelation zu Meltzers (1992) drei Claustren zu haben.
Frank (2003) hat einen Aspekt besonders heraus gearbeitet, der erwähnt zu werden verdient, nämlich
die potentielle Instrumentalisierung des nach-Bedeutung-suchenden, erkenntnis- und
entwicklungsbegierigen Selbstanteils durch den destruktiven, verleugnenden und
bedeutungsentleerenden Selbstanteil. Beide seien nicht nur gleichzeitig da und im Kampf miteinander,
der lebendige Anteil könne auch zur Irreführung, zur Illusionsbildung eingesetzt werden. Dies sei eine
wesentliche Form der perversen Übertragung.
Der Beitrag der britischen Mittelgruppe (oder Independents) zur Frage der perversen Übertragung liegt
v.a. im Aufzeigen der spezifischen Verwendung des „Wiedergutmachungstriebes“ durch Patienten, die
mit einer intimitätssüchtigen, idolisierenden Mutter identifiziert sind. Nach Khan (1978) unterstellen
diese dem Analytiker einerseits den Wunsch nach archaischer Intimität mit dem Patienten und
versuchen sich unbewusst diesem Wunsch anzupassen. Glasser (1986) nannte dies Simulation und
Pseudo-Identifizierung. Perverse Patienten versuchen entweder im Analytiker einen idolisierenden
Teil auszulösen oder behandeln ihn ihrerseits als idolisiertes Ding-Geschöpf (vgl. hiezu auch
Meltzers, 1973, Beobachtung einer Ehrfurcht vor dem Analytiker als einem Fäkalpenis). Andererseits
bleibt ihr Verhältnis zum Analytiker oberflächlich und sie entwerten ihn subtil (Khan) bzw. gehen sie
auf Distanz, geben sich arrogant und streitsüchtig oder hintergehen den Analytiker (Glasser). Ogden
(1996) hat speziell darauf hingewiesen, dass eine Gegenübertragungsverstrickung bei der Behandlung
von Perversen unvermeidlich sei. Therapeut und Patient inszenieren gemeinsam ein „perverses Subjekt
der Analyse“, dessen zentrale Funktion die Verhinderung des Erkennens der Leblosigkeit des
Subjektes wie auch der Leere des analytischen Diskurses ist, den es inszeniert. „Das perverse Subjekt
der Analyse ist der Erzähler des erotisierten, doch letztlich leeren, auf der analytischen Bühnen
geschaffenen Dramas“ (46).
Otto Kernberg steht für eine bestimmte Art der Integration struktur-theoretischer und
objektbeziehungstheoretischer Strömungen innerhalb der Psychoanalyse und er versuchte aus dieser
Integration mehrfach einen neuen Mainstream der Psychoanalyse zu definieren, der auch die
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Positionen der britischen Mittelgruppe und der französischen Neo-Freudianer einschließen soll
(Kernberg 2001). Dies reflektiert sich auch in seiner Position zur perversen Übertragung, in der
sowohl eine Balance zwischen Aggression und Eros gehalten wird, als auch eine gleichzeitige
Berücksichtigung von Triebaspekten und Narzissmus zu finden ist. Nach Kernberg (1992) ist die
perverse Übertragung dadurch gekennzeichnet, „dass der Patient voller Schadenfreude Liebe in Hass
und Vertrauen in Korruption verkehrt und das, was ihm am Therapeuten als gut und potentiell
hilfreich erscheint, in etwas Schlechtes und Schädliches verwandelt” (290). Dabei seien sowohl
libidinöse als auch aggressive Elemente beteiligt, die Liebe sei jedoch durch Hass zersetzt worden. Im
Unterschied zur psychopathischen Übertragung, in der die Unehrlichkeit und die Täuschung v.a. eine
Abwehrtaktik gegen das Aufkommen paranoider Einstellungen darstelle, werde die perverse
Übertragung selbst unmittelbar lustvoll erlebt.
Formen perverser Übertragung
Die in der Literatur beschriebenen Formen perverser Übertragung lassen sich aus einer integrativen
psychoanalytischen Perspektive folgendermaßen zusammenfassen:
1. Übertragungen aus dem Formenkreis des negativen Ödipuskomplexes: Unterwerfung unter einen
allmächtigen, gefährlichen, potentiell kastrierenden Vater-Analytiker; Regression zu analen
Erregungsformen zur Abwehr positiv-ödipaler Wünsche; passiv-homosexuelle und/oder
masochistisch-depressive Einstellungen zum Analytiker; Inszenierung spezifischer Vater-MutterKonflikte in der Übertragung aufgrund einer Identifizierung des Patienten mit seiner Mutter.
2. Übertragungen, die die Fixierung an prägenitale Entwicklungsstufen ausdrücken: Wünsche an
den Analytiker, die orale Gier und eine Unfähigkeit, Wünsche aufzuschieben, reflektieren;
Zunahme von analem Material in den Assoziationen des Patienten, wenn frühe traumatische
Autonomiekonflikte berührt werden usw.. In schweren Fällen, regressives Aktivieren der
Phantasie eines analen, sadomasochistischen Universums (im Sinne von Chassguet-Smirgel 1984)
oder eines analen Claustrums (im Sinne von Meltzer 1992).
3. Übertragung der Realitätsstörung: Vage, ungreifbare Beschreibungen realer Situationen;
Kopfabwenden oder Augenschließen bei Deutungen, Erzählen „unterhaltsamer Geschichten“ in
der Analyse; Versuche, den Analytiker auf eine falsche Fährte zu locken; Freude beim
„Aufdecken“ solcher red herrings.
4. Narzisstisch-perverse Übertragungen: Übertragungen, in denen übermäßige Idealisierung
und/oder massive Entwertung des Analytikers eine große Rolle spielen, wobei die
Idealisierung/Entwertung mehr oder weniger stark sexualisiert wird; erotisierte SpiegelÜbertragungen, also solche, die die Verwendung des Analytikers als „Selbstobjekt“ und die
Ungetrenntheit des Patienten von seinen inneren Primärobjekten signalisieren. Die Ungetrenntheit
kann sich auch als Angst vor Verschmelzung oder Vernichtung zeigen, als Angst, einer
Gehirnwäsche durch den Analytiker ausgesetzt zu werden oder in Form intensiv
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klaustrophobischer Gefühle im Behandlungszimmer. Die offensichtlichste Reaktion auf die
Vernichtungsangst ist vielleicht die „Flucht vor dem Objekt“, etwa in Form eines emotionalen
Rückzugs auf sichere Distanz.
5. Spaltungsübertragungen: Gleichzeitigkeit zwischen gegensätzlichen Einstellungen zum
Analytiker, wobei eine Einstellung verborgen und aus der Analyse draußen gehalten wird.
Bewusste und unbewusste Angst- und Schuldgefühle des Patienten bezüglich seiner perversen
Phantasien und Wünsche können leicht dazu führen, eine intellektualisierende, distanzierte,
„realitätsorientierte“ Haltung gegenüber dem Analytiker einzunehmen, während die regressiven,
infantilen und perversen Impulse „draußen“ bleiben.
6. Exzessive projektive Identifizierung: Der Analytiker wird zur „Toilette“, d.h. zum Entsorgungsort
für alle nicht erträglichen psychischen Zustände des Patienten, insbesondere für sadistischaufgeladene sexuelle Erregung; der Patient versucht sexuelle Erregung im Analytiker auszulösen,
um ihn zu korrumpieren und seiner Fähigkeiten zu berauben.
7. Idolisierende und fetischisierende Übertragungen: Hier wird eine erregende Pseudobeziehung
zwischen Patient und Analytiker aufgebaut, die beide in ein illusorisches Hochgefühl versetzt. Wie
schon bei der Perversität in der Übertragung ist auch diese Übertragungsform nicht ohne die
Komplementarität der Gegenübertragung diskutierbar. Der Analytiker wird dazu gebracht, den
Patienten für einen Musterpatienten zu halten, der ihm nicht nur Erfolg, sondern auch zahlreiche
Einsichten ermöglicht. Hier baut sich im Hintergrund aber eine wachsende Hassspannung auf, die
oft in einer gewaltigen Enttäuschung entladen wird.
8. Perversität in der Übertragung: Diesen Ausdruck verwendet Kernberg, um eine malignnarzisstische Pervertierung der Übertragung von der sonstigen perversen Übertragung
abzugrenzen. Hier werden die guten Teile des Selbst und der Objekte verwendet, um den Zielen
eines idealisierten destruktiven Größenselbst zu dienen. Das Stärkerwerden scheinbar gesunder,
reflexionsfähiger Anteile im Patienten bedeutet dann keinen tatsächlichen Fortschritt in der
Analyse, sondern kann eine besonders perfide Form sein, die Hoffnungen des Analytikers zuerst
zu wecken, um sie anschließend umso gründlicher zu enttäuschen und zu zerstören. Dieses
Syndrom setzt nicht das Vorhandensein einer sexuellen Perversion voraus, sondern kann auch
ausschließlich eine sehr schwere, maligne Charakterperversion reflektieren.
9. Gegenübertragungsperversion: Ein Stück mitagieren wird bei schweren perversen Übertragungen
mittlerweile für unvermeidlich gehalten, wenn man nicht dem alternativen Übertragungsangebot
der sterilen Distanziertheit erliegen will. Von einer Gegenübertragungsperversion spricht man aber
erst dann, wenn der Therapeut in der Übertragungsperversion des Patienten vollständig gefangen
ist. Die hohe Gefahr, in ein solches Agieren verstrickt zu werden, unterstreicht die Notwendigkeit
einer im TFP bereits routinemäßig geforderte laufende Supervision des Therapeuten.
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Jeder perversen Symptomatik liegen bestimmte unbewusste Phantasien zugrunde, die aus pathologisch
verzerrten internalisierten Objektbeziehungen aufgebaut sind. Die Struktur dieser Phantasien zeigt
einen primitiven, unreifen Aufbau, d.h. sie ist durch die Wirkung primitiver (präödipaler)
Abwehrmechanismen charakterisiert, die das psychische Geschehen in der frühen Kindheit prägen.
Der „Kernkomplex“ des Perversen (Glasser 1986) besteht in der Ambivalenz zwischen den Wünschen
und Ängsten des präödipalen Kindes in Bezug auf Trennung von bzw. Verschmelzung mit der Mutter.
Die diesem Kernkomplex zugehörigen Abwehrmechanismen der Spaltung, Verleugnung, primitiven
Idealisierung, Entwertung und omnipotenten Kontrolle, wie sie etwa auch im TFP-Manual
beschrieben sind, charakterisieren allerdings alle Persönlichkeitsstörungen auf Borderline-Niveau.
Spezifisch für die Patienten mit perversen Störungen ist die vorherrschende Rolle, die bei ihnen der
Abwehrmechanismus der Sexualisierung spielt. Die Differenzierung zwischen Perversion und
Sexualdelinquenz bzw. zwischen Sexualisierung und dem sexuellen Agieren kann schwierig sein.
Coen (1981) entwirft einen integrativen Ansatz zum Verständnis von Sexualisierung. Er schlägt vor,
den Terminus Sexualisierung ausschließlich zur Bezeichnung derjenigen Aspekte sexuellen
Verhaltens zu verwenden, deren Ziel und Funktion nicht sexuelle Erregung und sexuelles Vergnügen
sind, sondern Abwehr und Reparation. Dabei geht es zum Beispiel um das Erzielen eines Gefühl von
Vitalität und Lebendigkeit als Gegengewicht zu schmerzhaft-lähmenden realen Erfahrungen. Um die
illusionäre Anwesenheit einer tröstenden Person, die die mütterliche Dyade wiederherstellt. Um die
Illusion einer omnipotenten Kontrolle über sich und das Objekt in Form des Selbsterlebens als
unwiderstehlicher Verführer. Um die Bewältigung von Feindseligkeit gegen dieses Objekt durch
Verkehrung ins Gegenteil, durch Verführung des Angreifers und durch das sinnliche Erleben ihrer
beider Unversehrtheit und nicht zuletzt um die Differenzierung vom mütterlichen Introjekt durch
Überbesetzung der Selbstrepräsentanz als phallisch, männlich, unabhängig etc., also eine Form früher
(Pseudo)-Triangulierung im Sinne von Abelin.
Triebtheoretisch kann Sexualisierung aber auch die forcierte abwehrbedingte Genitalisierung von
eigentlich prägenitalen Erregungsmustern und Beziehungsmodi bedeuten. Sie geht teilweise auf die
von Freud (1905) beschriebene „libidinöse Miterregung“ durch nicht-sexuelle körperliche Vorgänge
zurück, die eintritt, sobald die Intensität dieser Vorgänge gewisse quantitative Grenzen übersteigt. Sie
geht aber weit über diesen zunächst rein physiologischen Prozess hinaus, da ihr Hauptzweck nicht
sexuelle Lust, sondern Abwehr ist. Abgewehrt werden unerträgliche Ängste, die aus exzessiven
prägenitalen Konflikten stammen.
Sexuelle Perversionen bei neurotischer Persönlichkeitsstruktur reflektieren eine partielle und
umgrenzte regressive Wiederbelebung eines präödipalen Grundkonflikts und damit assoziierter
primitiver Abwehrmechanismen, einschließlich der Sexualisierung. Dadurch bilden sie gewissermaßen
strukturelle Fremdkörper in der Persönlichkeit und werden dementsprechend ich-dyston erlebt. Für die
Übertragung in der Behandlung bedeutet dies, dass auch neurotische Perverse perverse
Übertragungsformen entwickeln (v. a. Unterwerfung, homosexuelle Erotisierung, Masochismus, aber
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auch Angriffe auf die analytischen Fähigkeiten des Therapeuten), dass sich diese aber rasch durch
Deutung in eine klassische Übertragungsneurose verwandeln.
Bei Patienten mit Persönlichkeitsstörungen auf Borderline-Niveau sind die frühen (präödipalen)
Konflikte und Abwehrmechanismen hingegen mit den ödipalen Themen vermischt und verdichtet.
Eine wirkliche Reifung im Sinne einer ödipalen Triangulierung hat nicht stattgefunden und deshalb
erscheint auch die perverse Struktur mehr oder weniger unmittelbar in die Persönlichkeitspathologie
eingebaut, d.h. nicht oder jedenfalls weniger persönlichkeitsfremd. Wenn die Perversion ich-dyston
ist, überwiegen die Scham- gegenüber den Schuldgefühlen. Bei Perversionen auf Borderline-Niveau
gibt es verschiedene Hauptmuster: einfach-narzisstische Perversionen, kombinierter
charakterologischer und sexueller Sadomasochismus, malign-narzisstische Perversionen,
psychopathische Perversität. Je nachdem sind die spezifisch perversen Übertragungsmuster mit jenen
allgemeineren Mustern kombiniert, die die jeweils zugrunde liegende Persönlichkeitspathologie
reflektieren.
Übertragungsprobleme in der Behandlung von Perversionen bei
schweren Persönlichkeitsstörungen
Perversionen können im Rahmen verschiedener Persönlichkeitsorganisationen vorkommen (Kernberg
1992) und sie implizieren sehr verschieden starke Angriffe auf die sexuelle Selbstbestimmung anderer
Menschen (Lackinger 2005). Im Zusammenhang dieses Artikels wird auf Perversionen auf
neurotischem Strukturniveau nicht weiter eingegangen. Auch perverse Manifestationen im Kontext
psychotischer Störungen werden unbeachtet gelassen. Der forensische Fokus legt eine Konzentration
der Untersuchung auf Perversionen im Rahmen schwerer Persönlichkeitsstörungen nahe, d.h. im
Rahmen von Persönlichkeitsstörungen auf „Borderline-Niveau“.
Um die Charakteristika der perversen Übertragung, die bei diesen Patienten auftreten, in eine
kohärente Theorie der übertragungsfokussierten Behandlung einbauen zu können, ist es notwendig,
zugleich jene Übertragungsformen zu rekapitulieren, die in Behandlungen von Patienten mit
Borderline-Persönlichkeitsorganisation erfahrungsgemäß auftreten und die daher in der
Übertragungsfokussierten Psychotherapie (TFP) besondere Aufmerksamkeit bekommen haben
(Clarkin et al. 1999).
Perverse Borderline-Übertragungen
Charakteristisch für die Borderline-Therapie ist die Tatsache, dass sehr schnell so genannte primitive
Übertragungen mobilisiert werden. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass sie meist mit heftigen
Affekten verbunden sind, aber auch rasch wechseln, m.a.W., dass ihnen die Dimension der Tiefe fehlt.
In ihnen widerspiegelt sich der Mangel des Patienten an einem stabilen Selbstgefühl oder an einem
stabilen Gefühl für bedeutsame andere Personen. Jedes primitive Übertragungsmuster kann sehr
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schnell in sein Gegenteil oder in irgendein anderes Muster umschlagen. Sie sind für den Therapeuten
fast immer verwirrend, wirken bizarr und manchmal bedrohlich. Diese primitiven Übertragungsmuster
herrschen bei echten Borderline-Patienten in der Regel vor, obwohl sie in sehr verschiedenen Formen
auftreten können. Theoretisch ausgedrückt handeln primitive Formen der Übertragung von infantilen
Teil-Objektbeziehungen, während reife Übertragungen zwar auch infantile, aber ganze
Objektbeziehungen widerspiegeln.
Sexualisierung ist bei Borderline-Patienten (siehe auch Dammann und Benecke 2007) ein sehr
weitverbreiteter Abwehrmechanismus. Sie spielt bei histrionischen und infantilen
Persönlichkeitsstörungen eine starke Rolle, deren sexuelle Provokationen im Vergleich zu
neurotischen Hysterikerinnen gröber und sozial weniger angepasst sind. Sexuelle Promiskuität ist bei
ihnen sehr häufig, sie hat einen haltlosen Charakter und die Objektbeziehungen sind äußerst labil
(Kernberg 1975). Bei Borderline-Persönlichkeitstörungen im engeren Sinne, wurde von
verschiedenen Autoren eine auffällige Wechselhaftigkeit und Vielgestaltigkeit in der Inszenierung der
Sexualität gefunden (Rohde-Dachser 1979, Berner 2000), wobei es häufig zum wechselnden Einsatz
mehrerer perverser Szenarien kommt. In der Literatur wurden auch sadomasochistische
Persönlichkeiten beschrieben, deren Objektbeziehungen generell einem Täter-Opfer-Muster folgen
und deren Sexualität ebenfalls davon gefärbt ist ohne dass sie notwendigerweise einen fixierten
sexuellen Sadomasochismus entwickeln (Kernberg 1988, Ornstein 1997).
Organisierte Perversionen auf Borderline-Niveau kommen jedoch ebenfalls vor. Z.B. weisen
bestimmte Voyeure, Exihibitionisten und Sadomasochisten typischerweise eine Borderlinestruktur auf.
Das Ausagieren eines sexuell-perversen Szenarios dient hier v.a. der Abwehr paranoider und
depressiver Ängste. Wenn solche Patienten delinquent sind, ist ihre Schuldwahrnehmung im
Unterschied zu neurotischen Straftätern meist stark beschönigend und sie können keine reflektierten
Zusammenhänge mit eigenen traumatischen Erlebnissen herstellen. Im Unterschied zu den malignnarzisstischen und psychopathischen Perversen haben sie aber oft einigermaßen intakte nichtdeliktischen Beziehungen, in denen auch selbstschädigende Verhaltensweisen vorkommen. Sie sind
sozial mäßig integriert. Ihre Delikte können offen sadistische Züge haben oder als pädophile
„Fürsorge“ rationalisiert sein. Meiner Erfahrung nach liegen organisierten Borderline-Perversionen
fast immer unbewusste sadomasochistische Urszenenphantasien zugrunde. Aufgrund der relativ
geringen Abgrenzung zwischen Perversion und Persönlichkeit weisen solche Patienten dann häufig
auch eine sadomasochistische Persönlichkeitsstörung auf.
Die unbewusst sadomasochistischen Phantasien über den elterlichen Geschlechtsverkehr prägen auch
die vorherrschenden Übertragungsthemen. Verschiedenste Formen des Quälens des Therapeuten
wechseln mit Inszenierungen, in denen im Therapeuten der Sadist geweckt werden soll. Die
Wirksamkeit der Sexualisierung zeigt sich häufig an der versteckten Lust an diesen Inszenierungen.
Auch die Inhalte oder deren Symbolik enthalten oft Hinweise auf sexuelle Bedeutungen in der
Übertragung. Viele der oben aufgelisteten Varianten an perverser Übertragung können hier eine Rolle
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spielen, etwa die Unterwerfung unter den Analytiker, die Simulation von Verständnis bei Glasser, oder
die von Arlow beschriebenen Schadenfreude in der Übertragung. Es geht hier nicht um eine
grundlegende Zerstörung der analytischen Arbeit wie bei den malignen Übertragungsformen, sondern
um die Verhinderung von echter Nähe und wirklichem Fortschritt bei gleichzeitiger Bewahrung der
therapeutischen Beziehung und einer gewissen Chance auf Fortschritt.
Klinisches Beispiel
Ein pädophiler Computertechniker zeigte in der frühen Phase der Behandlung die Eigenart, von mir
gegebene Deutungen oder Erläuterungen in einer Weise zu wiederholen, als wären es Einsichten, die ihm
gerade selber eingefallen wären. Er bestätigte praktisch jede Deutung von mir, kam immer zu früh zur
Stunde und benahm sich überhaupt in einer penetrant zuvorkommenden Weise. Gleichzeitig hielt er
pädophile Phantasien vor mir geheim und verdächtigte mich, hinter seinem Rücken Informationen über ihn
an das Gericht weiter zu geben. Beides konnte er mir erst viele Jahre später sagen. Abgesehen von dieser
eher paranoid-psychopathischen Dynamik, steigerte sich auch seine Unterwürfigkeit manchmal bis zur
Übergriffigkeit. Einmal hatte er per Zufall mitbekommen, dass mein Drucker kaputt war. In der Stunde war
er dann kaum davon abzuhalten, sein Fachwissen vorzuführen und den Drucker zu reparieren. Als ich ihm
sagte, dass er damit eine Grenze von mir überschreiten wollte, fühlte er sich tief gedemütigt.
Die allgemeine technische Regel im Umgang mit Borderline-Übertragungen besteht im wesentlichen
darin, beharrlich zu versuchen, jede Spaltungsübertragung zu erkennen und nach Möglichkeit
anzusprechen. Erkennbar sind solche Übertragungen an den vom Patienten angedeuteten Phantasien
über die gegenwärtige Beziehung zwischen Patient und Therapeut, an den vorherrschenden Affekten
und an den damit verbundenen Selbst- und Fremdbildern. Wie gesagt werden bestimmte Selbstbildund bestimmte Fremdbild-Fragmente abwechselnd auf den Therapeuten verschoben bzw. projiziert.
Durch den raschen Wechsel wird die Beziehung meist auch für den Therapeuten verwirrend. Dennoch
muss versucht werden, am besten innerhalb einer Stunde, beide Aspekte einer alternierenden
Übertragungsfigur zu deuten. Es ist üblich, dass solche Deutungen anfänglich nicht akzeptiert werden.
Erst nach einer gewissen Beharrlichkeit in der Deutung und bei Anlass eines besonders günstigen
Beispiels wird schließlich erstmals anerkannt, dass in den widersprüchlichen Gefühlen immer bisher
getrennt gehaltene Aspekte der Beziehung zwischen dem Patienten und dem Therapeuten aktiviert
werden, die eigentlich zusammen gehören. Die Integration der fragmentierten Selbst-ObjektInszenierungen ist lange Zeit das strategische Hauptziel der Borderline-Therapie.
Unterwürfiges und übergriffiges Verhalten wiederholten sich weiter abwechselnd in der Behandlung des
obigen Patienten. Der Patient beschrieb eine Situation in der er vier Jahre alt gewesen war und nach einer
Phimose-Operation am Penis von seiner Mutter eingepinselt werden sollte. Da er sich dem Einpinseln
entziehen wollte, habe ihn die Großmutter mit Gewalt unter dem Küchentisch hervorgezerrt und
festgehalten, während seine Mutter schmerzhaft die Wunde am Penis desinfizierte. Es sei wie eine
Vergewaltigung gewesen. Obwohl ein Zusammenhang zwischen dieser Gewalterfahrung und seinem
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Agieren in der Übertragung nahe lag, änderte sich lange Zeit nichts an seinem Verhalten. Erst nachdem
seine Versuche, mir in den Therapiesitzungen „etwas hinein zu drücken“ zahlreiche Male als Umkehrung
seines Erlebens, von mir „etwas hineingedrückt zu bekommen“, gedeutet worden waren, erhielt sein
Verhalten langsam eine größere innere Kohärenz. Schritt für Schritt wurde deutlicher, wie an diesem
Agieren Angst, Hass und Lust beteiligt waren. Querverbindungen zu seinen pädophilen Delikten wurden
möglich. Nach einiger Zeit begann er nun auch die erwähnte Kindheitserinnerung anders zu erzählen:
Mutter und Großmutter hätten wohl keine physische Gewalt angewendet, es sei jedoch so gewesen, dass auf
seine Scham- und Angstgefühle keine Rücksicht genommen worden sei. Paralell mit dieser „Korrektur“ der
biografischen Vergangenheit konnte nun auch die Vergangenheit der Behandlung „korrigiert“ werden. Ich
erfuhr von seinen paranoiden Ängsten und seinen Geheimnissen mir gegenüber und dass sich hinter seiner
oberflächlichen Idealisierung der Therapie auch massive Entwertung verborgen hatte.
Solange die Übertragungsreaktionen primitiv bleiben, sollten sich die Interventionen des Therapeuten
auf das ‘Hier und Jetzt’ konzentrieren. Bei Borderline-Patienten hat es keine positive Wirkung, zu
versuchen, die Interaktionen in der Therapie mit der Vergangenheit, v.a. der Kindheit, in Verbindung
zu setzen. Verfrühte genetische Deutungen lösen lediglich intellektualisierende Abwehrmechanismen
und manipulative Verzerrungen der Kindheitserlebnisse aus. Wichtig ist auch, dass von Anfang an
immer positive und negative Übertragung gedeutet werden. V.a. stark positive und idealisierende
Übertragungen sollten keinesfalls einfach stehen gelassen werden, weil sich hinter ihnen meist eine
massive negative Reaktion verbirgt, deren eruptivem Durchbruch nur durch frühzeitiges Ansprechen
vorgebeugt werden kann.
Die narzisstisch-perverse Übertragung
Narzisstische Patienten lassen charakteristischerweise keine Abhängigkeit von ihrem Therapeuten zu.
Sie können die Wichtigkeit des Therapeuten für ihre psychische Stabilität nicht anerkennen, da dies zu
intensivem bewussten und unbewussten Neid führen würde, der mit ihren grandiosen
Selbstvorstellungen unvereinbar wäre. Ein möglicher Ausweg besteht für die Patienten darin, Neid
und Abhängigkeit auf den Therapeuten zu projizieren. Es entsteht dann die Befürchtung, der
Therapeut könnte auf den Patienten neidisch werden und dieser müsse sich vorbeugend dagegen
schützen. Patienten mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung neigen daher dazu, die Bedeutung des
Therapeuten und der therapeutischen Beziehung zu entwerten.
Eine andere Variante der Neidabwehr führt zu dem Phänomen, dass solche Patienten sich scheinbar
selbst analysieren. Sie überschwemmen den Therapeuten mit Material, das sie anschließend gleich
selbst ordnen und mit einer Pseudobedeutung erfüllen, die jede Intervention des Therapeuten
überflüssig erscheinen lässt. Dem Therapeuten wird nur die Rolle des Zuschauers gelassen, was ihm
allerdings bei erst bester Gelegenheit zum Vorwurf gemacht wird, falls er sich tatsächlich darauf
einlässt. Häufige Gegenübertragungsreaktionen beim Therapeuten sind in diesem Zusammenhang
Gefühle der Langeweile und Schläfrigkeit.
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Ist die narzisstische Pathologie mit einer sexuellen Perversion kombiniert, dann kann die
Zuschauerrolle des Therapeuten zu einer voyeuristischen Position werden. Der Patient breitet sein
Sexualleben vor dem Therapeuten aus und versucht, diesen dadurch zu faszinieren oder zu erregen. Es
geht ihm überhaupt nicht darum, irgendetwas an seiner Sexualität zu verstehen, sondern er will den
Therapeuten aus seiner therapeutischen Haltung heraus locken und ihn zu einem „Mittäter“ und später
auch zu einem Opfer machen, wenn er ihm seine Komplizität vorwirft.
Diese Dynamik kann rasch zu einem Engpass in der therapeutischen Beziehung und zu der
Ankündigung des Patienten führen, die Therapie abzubrechen. Nur wenn es gelingt, die intensive
Furcht vor Abhängigkeit und die daraus resultierende Flucht in die Isolation bzw. in die
Übertragungsperversion anzusprechen und ein Stück weit bewusst zu machen, kann die Therapie
gerettet werden. Wenn so eine Bearbeitung gelingt, tritt in der Folge häufig eine paranoide
Grundtönung in der Übertragung auf, weil der Patient annimmt, dass der Therapeut die nun
zugelassene Beziehung mit dem Patienten ausnützen und missbrauchen wird. Eben diese paranoiden
Ängste vor Nähe waren ja der tiefere Grund für die narzisstisch-(perverse) Abwehr der
Beziehungsbedeutung gewesen.
Eine weitere narzisstische Form, den Gefahren von Nähe und Abhängigkeit zu entgehen, ist die
primitive Idealisierung des Therapeuten, wobei begierig alle Deutungen aufgenommen und scheinbar
akzeptiert werden. Meist dauert es allerdings nicht lange, bis sich herausstellt, dass die Deutungen
wirkungslos bleiben, weil sie als quasi magische Kommentare verstanden werden. Bewusst oder
unbewusst werden diese vom Patienten auch entwertet, etwa in dem Sinne, als hätte er das
Wesentliche eigentlich selber entdeckt oder als wären es ohnehin nur Allgemeinheiten, die jeder sagen
hätte können. Man erkennt wieder die Bemühung des Patienten, aufkeimenden Neid abzuwehren, weil
dessen Anerkennung als Verdammung zu einer hilflosen Position empfunden wird.
Die Idealisierung des Therapeuten bekommt eine explizit perverse Konnotation, wenn diese stark
sexualisiert ist und dadurch jede therapeutische Arbeit vollkommen verunmöglicht. Der Therapeut
fühlt sich dann bedrängt und lahm gelegt und vielleicht in einer beängstigenden Weise in seinen
Grenzen verletzt, sodass er kaum weiter arbeiten kann.
Klinisches Beispiel
Eine attraktive, 50-jährige Patientin, die wegen Impulsen, ihre Enkelkinder mit einem Messer zu erstechen,
in Behandlung gekommen war, entwickelte eine zutrauliche, den Therapeuten idealisierende Übertragung.
Ihr Mann sei ein kalter Geschäftsmann, der ihr zwar ein luxuriöses Leben ermögliche, sie aber auch
demütige. Eigentlich wolle sie mit ihm nicht mehr schlafen, er setze sie aber immer wieder unter Druck. Er
bringe ihr Rosen und mache ihr Komplimente, doch sie merke, dass sie ihm als Person ganz gleichgültig sei.
Mit dem Therapeuten sei dies anders, er habe Verständnis und Einfühlung, ginge auf ihre völlig
vernachlässigten seelischen Probleme ein. Anders als ihr Mann könne er sie auch in ihren künstlerischen
Ambitionen verstehen usw. Am Ende der letzten Stunde vor Weihnachten überreichte sie dem Therapeuten
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eine CD mit einer – wie sich herausstellte – romantischen Musik, die der verdutzte Therapeut annahm, weil
er keine Möglichkeit zur Besprechung einer Zurückweisung sah..
Der Therapeut reflektierte dies in der Supervision als Fehler, bei dem er einer starken projektiven
Identifizierung nach gegeben hatte. Er wäre sich als grausam vorgekommen, wenn er das Geschenk nicht
angenommen hätte.
Als der Therapeut das Geschenk, den ausgeübten Druck und sein Nachgeben nach der Weihnachtspause
thematisierte, konnte die Patientin daran nichts Problematisches entdecken. Sie habe nun beim Anhören
dieser Musik das Gefühl, sie würde dies mit dem Therapeut gemeinsam tun, und sie hoffe, dass er auch so
empfinde, denn das wäre ein überaus beglückendes Gefühl für sie. In weiterer Folge erzählte sie Träume
von sexuellen Begegnungen mit dem Therapeuten, an deren Deutung sie kaum interessiert war. Vielmehr
waren es offenkundige Botschaften an den Therapeuten, dass sie ihn als sexuelles Objekt begehrte.
Schließlich ging sie sogar soweit, den Therapeuten in ihre neue Wohnung einzuladen, denn wenn er die
Wohnung sähe, wie sie diese – nicht zuletzt unter dem Einfluss der Behandlung – eingerichtet habe, würde
er sie viel besser verstehen können.
Die sexualisierte Übertragung verhinderte zunehmend jedes therapeutische Arbeiten. Sie diente
insbesondere auch dazu, die sadistisch-destruktiven Phantasien, die sich im Symptom zeigten, aus der
Übertragung fern zu halten. Als der Therapeut diese Funktion der „verführerischen Angebote“ schließlich
unmissverständlich ansprach, kippte die Übertragung und sie empfand den Therapeuten nun als kalt und
berechnend und wollte die Therapie abbrechen.
Die Sexualisierung wird in der Übertragung dazu benutzt, das Auftauchen dissoziierter, primitiver
Beziehungsaspekte zu vermeiden. Das pathologische Größen-Selbst wird gleichzeitig als
Selbstidealisierung und als Idealisierung des Therapeuten inszeniert. Der Therapeut muss u.a. den
Mechanismus der omnipotenten Kontrolle deuten, mit dem der Patient den Therapeuten umzuformen
versucht. Wenn dieses Verhalten systematisch interpretiert wird, kommt es meistens zu Zorn, Wut und
einer plötzlichen Entwertung des Analytikers
Manifest negative Übertragungen beruhen meist auf der Aktivierung einer internalisierten Beziehung
zu einer bedrohenden, sadistischen, unaufrichtigen oder manipulativen Mutter oder kombinierten
Elterngestalt. Der Patient kann sich abwechselnd mit dem sadistischen Elternbild oder dem
komplementären Opferbild identifizieren.
Es gelang, den Abbruch der Therapie zunächst zu vermeiden, indem das Auftreten der entwertenden
Gefühle gegenüber dem Therapeuten als bisher unsichtbare Schattenseite der vorherigen Idealisierung
verständlich gemacht werden konnte. Die Patientin wurde depressiv und fand sich in ihren Assoziationen
vielfach an ihre karge Mutterbeziehung, an ihr Alleinsein als Kind und an einen kindlichen
Selbstmordversuch erinnert. Die Funktion der Sexualisierung als Abwehr von Gefühlen der Leblosigkeit
und Suizidalität wurde gedeutet, konnte von der Patientin aber noch kaum aufgenommen werden. Vielmehr
flackerten hinter ihrer Depression immer wieder massive Vorwürfe gegen den Therapeuten auf, wie sehr er
sie allein lasse, wie unnahbar er sei. In der Folge begann eine Phase, in der sich Idealisierung und
Entwertung rasch abwechselten.
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Aufgrund ihrer Projektion nehmen narzisstische Patienten an, dass der Therapeut kein echtes Interesse
an ihnen hat, sondern ebenso egozentrisch ist wie sie sich selber fühlen. Der Abbruch einer vorher
vielleicht „ideal“ erscheinenden Beziehung zugunsten paranoider Gefühle, repräsentiert die
Aktivierung einer realeren Ebene, auf der die vorher versteckten primitiven Teilobjektbeziehungen
angesiedelt sind.
Es ist keineswegs ungewöhnlich, dass es (wie im obigen Fallbeispiel) zu einem Schwanken zwischen
Perioden der Idealisierung und der manifest negativen Übertragung kommt. Im Idealfall kann im
weiteren Verlauf die manifest-sexualisierte Idealisierung durch reifere Formen der Idealisierung
ersetzt werden. Schließlich sieht der Patient den Analytiker nicht mehr als Projektion seiner
Selbstidealisierung, sondern als eine ideale Vater- oder Muttergestalt, die die primitive Aggression
überleben konnte. Diese Idealisierung enthält Elemente von Schuld, d.h. der Patient erkennt teilweise
seine Aggression an.
Die negativen Selbst- und Objektelemente können dann mit den dissoziierten idealisierten PartialObjektbeziehungen integriert werden, sodaß ein integriertes Selbstbild und ganze Objektvorstellungen
entstehen. Dies entspricht der Herstellung von Objektkostanz durch Integration guter und böser
Objektvorstellungen.
Perversität und psychopathische Übertragung
Bei der Behandlung von forensischen Patienten kommt es häufig vor, dass der Patient den
Therapeuten bewusst und absichtlich zu täuschen versucht. Dies kann in Form direkter Lügen
geschehen, oder aber durch manipulatives oder ausnützendes Benehmen. Es ist für den Therapeuten
oft eine große Schwierigkeit, sich selbst klar zu machen, dass er vom Patienten getäuscht wird, und
noch schwieriger ist es, dies dem Patienten zu sagen. Dabei ist es entscheidend, auch ein solches
Patienten-Verhalten als Übertragung zu verstehen. Der wichtigste Aspekt der Übertragung besteht
häufig darin, dass der Patient überzeugt ist, der Therapeut sei unaufrichtig und unehrlich. Er projiziert
also seine eigenen Tendenzen auf den Therapeuten. Kernberg (1992) bezeichnet dies als
psychopathische Übertragung.
Klinisches Beispiel
Ein stark narzisstischer, impulsiver und latent paranoider Gewalttäter hatte während seiner Haftzeit eine
erste Therapie gemacht, die damit begonnen hatte, seine antisozialen Grundeinstellungen abzuschwächen.
Nach seiner Entlassung kam er – aufgrund einer Weisung des Gerichtes – zu mir zu einer zweiten
Behandlung. Dass die Antisozialität noch keineswegs verschwunden war, kam bald durch einen
Kaufhausdiebstahl zum Ausdruck, bei dem es ihm gemeinsam mit seinem Bruder gelungen war, zwei
Computer aus einem Geschäft zu tragen, aber nur einen zu bezahlen.
Er schwor Besserung, kam pünktlich und regelmäßig zur Therapie und brachte auch verschiedenste
Schwierigkeiten in seinem Leben zur Sprache. Doch die Art, wie er über seine Probleme sprach, erzeugte in
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mir immer wieder das Gefühl, dass alles recht vorbereitet klang. Er schien zu wissen, dass man in einer
Therapie Probleme haben und besprechen musste, wollte sich aber zugleich niemals wirklich in die Karten
schauen lassen. Gemessen an seiner Vorgeschichte war seine Selbstdarstellung in der Therapie viel zu
ausgeglichen und souverän als dass sie wirklich glaubwürdig gewesen wäre. Es schien eine massive
paranoide Übertragung im Hintergrund zu sein, die die Therapie auf eine gewisse Seichtigkeit beschränkte.
Da ich für ein Lügen oder Verschweigen zunächst nicht mehr als mein Gefühl als Anhaltspunkt hatte,
versuchte ich alle Hinweise auf paranoide Phantasien des Patienten zu sammeln. Seine misstrauische
Einstellung versuchte ich weder durch einen Hinweis auf meine therapeutische Aufgabe zu widerlegen,
noch durch besonders freundliches oder unterstützendes Verhalten zu entkräften. Seine Vorsicht wuchs.
Dennoch schien mir die therapeutische Beziehung inzwischen stark genug zu sein, um die
Übertragungsbeziehung anzusprechen und zu deuten, dass er die therapeutische Beziehung derzeit so erlebe,
als ob ein wehrloser Gefangener von einem sadistischen Wärter in Schach gehalten würde. Er antwortete,
dass dies zwar eine Übertreibung sei, aber manchmal habe er schon das Gefühl, dass es uns
Justiztherapeuten Freude mache, Weisungspatienten in die Therapie zu zwingen und unsere Macht
auszuleben. Ich deutete ihm, dass er bei dem Kaufhausdiebstahl doch umgekehrt seine Freude daran gehabt
hatte, dass die Verkäufer so blöd waren, und seinen Trick nicht durchschauten. Vielleicht erlebe er mich nur
deshalb so sadistisch, weil er seine eigenen Neigungen, andere auszunützen, auf mich verschiebe und sich
dadurch als wehrloses Opfer erleben könne.
Obwohl er versuchte, dagegen zu argumentieren, wurde rasch klar, dass ich ihn irgendwie „erwischt“ hatte.
Er brach seine Argumentation ab und ging relativ betroffen nach Hause.
In den folgenden Stunden kam er nicht mehr direkt darauf zurück, aber die Stimmung in der Therapie hatte
sich deutlich verändert. Er schien seine Angst mir gegenüber vorübergehend überwinden zu können und
sprach nun offener über seine Wut- und Hassgefühle, aufgrund derer er inzwischen auch schon wieder
einmal in eine Rauferei verwickelt gewesen war.
Solche Übertragungen können nicht aufgelöst werden, indem man dem Patienten moralisierende
Vorwürfe wegen ihrer Unehrlichkeit macht. Die psychopathische Übertragung muss wie jede andere
auch gedeutet und verstanden werden. Allerdings muß die Unwahrhaftigkeit in der Beziehung als
erstes behandelt werden, bevor man sich anderen Themen zuwenden kann. Es geht dabei um die
Sicherung des therapeutischen Settings, die immer Vorrang vor anderen Themen hat. Dies
unzweideutig klar gemacht zu haben, kann als wichtiger Beitrag der TFP zur psychodynamischen
Settingsdiskussion gewertet werden. Jedes Abwarten bei der Besprechung von Lügen und
Manipulationen zerstört die Therapie.
Forensische Patienten versuchen manchmal, den Therapeuten zu taktischem oder unredlichem
Verhalten zu provozieren, und sie verwenden dann jeden solchen Vorfall, um dem Therapeuten selbst
Unaufrichtigkeit vorzuwerfen. Der Teil des Selbst des Patienten, der beständig eine Korrumpierung
der therapeutischen Situation zu inszenieren versucht, repräsentiert dabei meist eine unbewußte
Identifizierung mit einem korrupt und unaufrichtig erlebten Elternteil.
Wenn die Unehrlichkeit in der Übertragung lustvoll ausgelebt wird, indem der Therapeut durch
gezielte Irreführung in eine Falle gelockt wird und um triumphierend die therapeutischen Bemühungen
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scheitern zu lassen, sprechen wir von Perversität in der Übertragung. Nach Kernberg (1992, 2004)
bedeutet Perversität im Kern, dass Erotik und Liebe in den Dienst der Aggression gestellt werden dass
bewußt oder unbewußt etwas Gutes in etwas Schlechtes umgewandelt wird, Liebe in Haß, Sinn in
Sinnlosigkeit, Kooperation in Ausbeutung, Essen in Fäkalien u.ä.. Sie kann bei bestimmten schweren
sexuellen Perversionen auftreten, kommt aber auch unabhängig davon bei Psychopathen und Patienten
mit dem Syndrom des malignen Narzissmus vor. Perversität bezeichnet eine Art der Objektbeziehung,
in der Liebe und Angewiesensein auf andere Manschen für Zwecke der Aggression herangezogen
wird. Dabei geht es einerseits um sadistische Kontrolle von anderen, und andererseits um das
pathologische Selbstgefühl der Omnipotenz. „Diese Patienten ziehen alles aus dem Analytiker heraus,
was er an Gutem in sich hat, um ihn zu entleeren und zu vernichten; in sämtlichen anderen engen
Objektbeziehungen gehen sie genau so vor” (Kernberg 1992, S. 317).
Klinisches Beispiel
Ein 25-jähriger pädophiler Patient durchlebt während der Maßnahmenunterbringung eine suizidale Krise,
bei deren Bewältigung ihm eine Psychotherapeutin hilfreich zur Seite steht. Ohne tiefen Trauerprozess geht
seine Stimmung danach rasch in eine hypomane Betriebsamkeit über. Er absolviert Kurse, verbessert sein
Verhältnis zu seinen Eltern, findet erstmals Kontakt zu gleichaltrigen Mädchen, die ihn im Gefängnis
besuchen. Zu einer scheint sich eine engere Beziehung heraus zu bilden. Von seinen pädophilen Phantasien
ist in der Therapie immer weniger die Rede, sie scheinen mehr eine Belastung der Vergangenheit als ein
gegenwärtiges Problem zu sein. Der Patient kann seinen früheren Ruf, manipulativ und unehrlich zu sein,
bei seinen Betreuern abschütteln, wobei ihm sicher seine relative Jugend hilfreich ist. Er präsentiert sich als
jemand, dem spät, aber doch ‚der Knopf aufgegangen’ ist. Er bekommt Ausgänge, die er für Arbeit und
Entlassungsvorbereitung nützt. Nach einiger Zeit wird bekannt, dass seine Freundin schwanger von ihm ist.
Nun ist er völlig in Euphorie, spricht von der Verantwortung für ‚seine Familie’, möchte ein Haus bauen
und eine Firma gründen. Als er nach der Entlassung seine Pläne tatsächlich Schritt für Schritt umsetzt, ist
auch die Therapeutin zunehmend beeindruckt. Er ist bei der Geburt seiner Tochter dabei und kümmert sich
während des Wochenbettes rührend um Mutter und Kind. Mit Hilfe seiner Eltern erwirbt er ein altes
Bauernhaus und saniert dieses mit eigener Körperkraft. Aufgrund seiner besonderen technischen
Fähigkeiten kann er tatsächlich eine Firma gründen und freut sich über seine ersten Kunden. Die Pädophilie
ist in der Therapie nur noch als schattenhafte Erinnerung an eine unerfreuliche Vergangenheit präsent. Die
Therapeutin gewinnt zunehmend die Überzeugung, dass hier eine tatsächlich heilende Nachreifung gelungen
ist. Als ihr der Patient – jetzt schon ganz Geschäftsmann – einmal besonders preisgünstige Druckerpatronen
verkaufen will, willigt sie in das Geschäft ein, ohne den Übergriff wirklich zu bemerken, mehr in dem
Bewußtsein, seine positive Entwicklung durch diese Handlung quasi in der Realität anzuerkennen und dem
Patienten dadurch eine letzte Stabilisierung in seiner neuen Struktur zu vermitteln.
„Das Geschäft“ verändert jedoch die Therapie, die zunehmend zu einem reinen Erfolgsbericht verkommt.
Die Therapeutin ist verstrickt und versucht, ihre halbbewussten Zweifel an den „Erfolgen“ des Patienten zu
übergehen. Sie stimmt zu, als der Patient die Therapiefrequenz von zwei auf eine Wochenstunde verringern
will. Obwohl ihr die Therapie immer flacher und leerer erscheint, versucht sie sich damit zu beruhigen, dass
dies vielleicht das Zuendegehen einer erfolgreichen Therapie anzeigt.
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Als der Patient eines Tages nicht zur Therapiesitzung erscheint und sie durch telefonische Nachforschung
von seiner Verhaftung erfährt, ist sie vollkommen überrascht, ja eigentlich erschlagen. Der Patient hatte seit
einem halben Jahr mehrere minderjährige Buben sexuell missbraucht und dafür ausgerechnet jene Zeit
verwendet, in der früher die zweite Therapiestunde statt gefunden hatte. Er hatte seiner Frau nämlich nichts
von der Frequenzverringerung erzählt und die Zeit für seine pädophilen Kontakte genutzt. Auch seine
beruflichen Errfolge stellten sich als z.T. erfunden heraus.
Was wir hier sehen können, ist zunächst eine stark ausgeprägte, aber eigentlich nicht untypische
Spaltungsübertragung, durch die die perversen Anteile des Patienten zunehmend aus der Therapie „draußen“
gehalten werden und nur noch die relativ gesunden, starken Anteile überbleiben. Der Patient kann die Hilfe,
die ihm während seiner suizidalen Krise gewährt wurde, nicht mit einer dankbaren und abhängigen Haltung
beantworten, sondern flüchtet sich in die scheinbare „Gesundheit“. Da er dadurch von der Therapeutin
natürlich zunehmend weniger Halt und Hilfe erfährt, entsteht in ihm auch Wut auf die Therapeutin, weil sie
ihm „auf den Leim geht“ und nicht merkt, wie sich hinter seinen äußerlichen Erfolgen längst wieder ein
riesiges Loch auftut, das er nur mit seiner Perversion füllen kann. Und nun beginnt die Perversität in der
Übertragung: Er stellt der Therapeutin eine Falle. Wenn sie das Angebot annimmt, von ihm billige
Druckerpatronen zu kaufen, dann hat sie quasi zugegeben, korrupt bzw pervers zu sein, weil sie die
therapeutische Beziehung missbraucht. Damit ist für ihn auch bewiesen, dass er erstens keine Hilfe in seiner
Perversionsanfälligkeit erhalten kann, und zweitens hat er damit die beste Rechtfertigung für seinen
Missbrauch der Therapie. In nachträglichen Supervisionsstunden konnte heraus gearbeitet werden, dass die
Therapeutin bestimmte Gegenübertragungsgefühle ausgeblendet hatte. Im Grunde war ihr die ganze
Beziehung zu dem Mädchen und dann deren Schwangerschaft schon „zu glatt“ erschienen. Sie hatte dies ein
paar Mal angesprochen, sich aber immer wieder relativ leicht beschwichtigen lassen. Das Gleiche galt für
die beruflichen Erfolge des Patienten. Obwohl die Therapeutin Zweifel hatte, brachte sie es nicht fertig, den
Patienten mit dem Verdacht zu konfrontieren, dass er sie anlügen könnte. Zu sehr war sie angesteckt von
dem demonstrativen Optimismus des Patienten, der natürlich auch ihren eigenen Stolz erregte und sie vor
dem Gedanken zurück schrecken ließ, dies alles könnte nur eine große Luftblase sein. Natürlich hatte sie bei
dem Druckerpatronen-Geschäft auch ein schlechtes Gefühl, und fragte sich, was sie da mache. Aber alle
diese kritischen Fragen wurden wie vernebelt und zerstäubt durch den perversen Sog der Ereignisse, der
durch die panikbesetzte Selbstsuggestion ausgelöst wurde: Das kann doch nicht alles erfunden, erstunken
und erlogen sein! Die Unerträglichkeit der Vorstellung, so vollkommen belogen und betrogen zu werden,
lähmte aber nicht nur das Denken der Therapeutin, sondern vorher schon war sie es gewesen, die es dem
Patienten unmöglich machte, sich auf seine vertrauensvollen Selbstanteile zu verlassen. Vielmehr wurden
diese in die Geiselhaft jenes zynischen Selbst genommen, das die Therapeutin gezielt in die Falle lockte, nur
um sich zu beweisen, dass alle Menchen korrupt sind, und man daher blöd wäre, würde man nicht der
versuchen, der bessere Betrüger zu sein.
Entscheidend für die Behandlung nicht nur der psychpathischen Übertragung, sondern auch der
Perversität in der Übertragung sind daher
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a) die Sensibilität des Therapeuten gegenüber der eigenen Gegenübertragung bzw. seine Fähigkeit,
die eigenen Gefühle daraufhin zu untersuchen, inwieweit sie abgespaltene, verheimlichte und/oder
perverse Aspekte in der Übertragung reflektieren;
b) die Fähigkeit des Therapeuten, eigene korrupte und perverse Anteile bewusst zu machen und
deren Aktivierung auf die momentane Situation in der Übertragung/Gegenübertragung zu
beziehen;
c) der Mut und das Geschick des Therapeuten, den Patienten auf eigene Zweifel und Bedenken
anzusprechen bzw. ihn damit zu konfrontieren, auch wenn diese nicht auf objektive Fakten,
sondern nur auf bestimmte Gegenübertragungsreaktionen gestützt werden können.
Auf die Konfrontation durch den Therapeuten kann der Patient verschieden reagieren. Manche sind
über die Zweifel des Therapeuten aufrichtig besorgt, obwohl es ihnen auch weiterhin schwerfällt,
abgespaltene Aspekte der Realität in die Therapie zu bringen. Andere behaupten, über bestimmte
Dinge nicht in der Therapie reden zu wollen. Beide Reaktionsformen sind in der Weise bearbeitbar,
dass die Gründe für die Schwierigkeiten bzw. die Weigerung des Patienten, bei der Behandlung
mitzuarbeiten, analysiert werden. Noch andere lügen und manipulieren aber einfach unbeeindruckt
weiter und erklären die Zweifel des Therapeuten zu ausschließlich dessen Problem.
Bei all diesen Patienten findet man meist (in stärkerem oder schwächerem Ausmaß) die innere
Überzeugung, dass primär der Therapeut unaufrichtig oder pervers ist, und ihn nur aus finanziellen
oder Prestigegründen behandelt bzw. dass er aus Aspekten der Behandlung perverse Lust bezieht. Der
Patient mit dieser Überzeugung versucht, eine Gelegenheit zu inszenieren, bei der er dies beweisen
kann. Solche Patienten gehen davon aus, dass jede Nähe und jedes Vertrauen trügerisch sind, dass sie
sich der Bedrohung durch den Therapeuten nur durch vordergründige oder formale Unterwerfung
unter seine Regeln und durch die Inszenierung seiner Entlarvung erwehren können. Nur eine
rechtzeitige Analyse des Misstrauens, des Hasses und der Ängste vor Intimität und Abhängigkeit
können diese inneren Überzeugungen aufweichen.
Gar nicht selten verwandelt sich die Perversität in der Übertragung, wenn sie rechtzeitig thematisiert
werden kann, in eine paranoide Übertragung. Der Patient sieht zwar nun ein, dass die Therapie
Offenheit und Ehrlichkeit erfordert, er fürchtet dadurch jedoch vom Therapeuten angegriffen und
sadistisch behandelt zu werden. Er ist fest überzeugt, dass ihn der Therapeut für sein ‘Nachgeben’
verachten und daher bestrafen wird. Der Umgang mit paranoiden Übertragungen ist i9m TFP-Manual
ausführlich beschrieben, sodass an dieser Stelle darauf verwiesen werden kann (Clarkin et al. 1999,
164f. und 190f.)
Zusammenfassung
Der Hintergrund dieses Artikels sind die Bemühungen, die übertragungsfokussierte Psychotherapie
(TFP) für den forensischen Kontext fruchtbar zu machen. In zahlreichen Diskussionen darüber wurde
immer wieder die Frage aufgeworfen, ob sich die Arbeit mit der Übertragung bei der Behandlung von
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forensischen Patienten von jener in der normalen TFP unterscheidet. In diesem Artikel wird ein
spezieller Punkt dieser Fragestellung genauer beleuchtet. Dabei geht es darum, die besonderen
Übertragungsformen und Übertragungs-/Gegenübertragungskomplikationen zu untersuchen, die bei
der Behandlung von Patienten mit schweren Persönlichkeitsstörungen und zusätzlichen perversen
Manifestationen auftreten. Diese Frage erscheint für die psychodynamische forensische
Psychotherapie von besonderer Relevanz, da diese kombinierte Psychopathologie bei Sexualstraftätern
relativ häufig auftritt.
Zunächst wurde die psychoanalytische Literatur danach durchsucht, welche Beobachtungen und
theoretischen Konzeptualisierungen perverser Übertragungsmanifestationen sich dort finden,
insbesondere wie sich diese Phänomene in der historischen Entwicklung des psychoanalytischen
Denkens und – davon nicht zu trennen – in den verschiedenen schulenspezifischen Kontexten
widerspiegeln. Auf dem Hintergrund des für die TFP maßgeblichen integrativen
objektbeziehungstheoretischen Ansatzes werden die Ergebnisse dieses synoptischen Überblicks
strukturiert und geordnet. In einem zweiten Schritt wird versucht, das Verständnis der
Übertragungsmuster, das Kernberg und die anderen TFP-Autoren für die Behandlung von Patienten
mit Borderline-Persönlichkeitsorganisation entwickelt haben, mit dem Verständnis der perversen
Übertragung zu verbinden. Dabei werden drei besondere Ausprägungen detaillierter untersucht,
nämlich sadomasochistische Übertragungen im Rahmen einer Borderline-Pathologie, narzisstischperverse Übertragungen und der Zusammenhang von Psychopathie und Perversität in der
Übertragung. Für diese Ausprägungen wurden auch klinische Vignetten dargestellt und diskutiert.
Im Ergebnis kann gesagt werden, dass die Arbeit mit perversen Übertragungen in den allgemeinen
Rahmen der TFP-spezifischen Konfrontations- und Deutungstechniken integrierbar ist, dass sie aber
auf Seiten des Therapeuten eine spezifische Reflektiertheit bezüglich der Wahrnehmung korrupter und
perverser Selbstanteile und entsprechender projektiver Identifikationen durch den Patienten erfordert.
Es wurde auch darauf hin gewiesen, dass bereits in der Diagnostik bestimmte zusätzliche
Fragestellungen berücksichtigt werden sollten. Auf die Besonderheiten des therapeutischen Rahmens,
insbesondere des Therapievertrages, wird in einem anderen Artikel dieses Bandes ausführlich
eingegangen.
Fritz Lackinger
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