Armenien-Resolution im Bundestag: Ein bedauerlicher Faux

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Armenien-Resolution im Bundestag: Ein bedauerlicher Faux
Armenien-Resolution im Bundestag: Ein bedauerlicher FauxPas
Die Armenien-Resolution im Bundestag am 2.6. ist politisch und juristisch ein bedauerlicher FauxPas. Politisch heuchlerisch und inkonsistent und juristisch unhaltbar, weil unbegründet. Worum geht
es eigentlich?
von Luz María De Stéfano Zuloaga de Lenkait
Von Völkermord zu sprechen ist partout diskutabel. Allerdings ist die Genozid-Konvention der
Vereinten Nationen von 1948 Maßstab für diese strafrechtliche Bezeichnung. Durch ihre
Unterzeichnung und Ratifizierung 1954 wurde sie in die Rechtsordnung der Bundesrepublik
eingefügt. Umso gesetzlich und völkerrechtlich verpflichtender war es für die Adenauer-Regierung,
die Auslieferung von Adolf Eichmann zu ersuchen, was aber unterblieb, um andere Nazis in hohen
Regierungspositionen zu schützen. Deshalb gab es gezielte Bemühungen der Adenauer-Regierung,
die Anklage gegen Eichmann in Israel einzugrenzen.
Hätten die Israelis nicht hartnäckig darauf gedrungen, wäre ihnen von der Bundesregierung als
Rechtsnachfolger des Dritten Reichs kein Schadensentschädigungs- und Schmerzensgeld gezahlt
worden, und der Völkermord an den Juden wäre bis heute noch in Deutschland nicht anerkannt. Die
Vernichtung der Juden war unbestritten Völkermord, Genozid. Was genau dieses Verbrechen der
Nazis als einzigartig stigmatisiert, war der offenkundige Wille der Nazis,
„die Erde nicht mit dem jüdischen Volk und einer Reihe anderer Volksgruppen zu teilen,
als ob sie und ihre Vorgesetzten das Recht gehabt hätten zu entscheiden, wer die Erde
bewohnen soll und wer nicht“. So explizit und präzis die Philosophin Hannah Arendt.
(Aus dem SZ-Artikel „Was im Kopf der Täter passiert“ von Ronen Steinke, SZ, 3.6.)
Die juristische Kategorie des Völkermordes
Die juristische Kategorie des Völkermordes besteht lediglich nach dem Nazi-Genozid an den Juden.
Als Idee oder typifizierte Straftat gab es diese Kategorie vorher gar nicht.
Der Massenmörder Adolf Eichman wurde 1961 des Völkermordes schuldig gesprochen,
der Verbrechen gegen das jüdische Volk“. Unter diesem Namen hatte der Staat Israel die
Genozid-Definition der UN von 1948 in sein nationales Recht eingefügt. (Aus dem SZArtikel „Was im Kopf der Täter passiert“ von Ronen Steinke, SZ 3.6.)
Der Prozess und die Verurteilung Eichmans in Israel war deshalb recht- und gesetzmäßig. Man kann
aber das gundsätzliche strafrechtliche Prinzip des „lex locum regit actum“ einwenden, nämlich dass
„das Gesetz am Tatort regiert“. Dem gemäß ist die Bundesrepublik Deutschland, Rechtsnachfolger
des Dritten Reichs, als Tatort zu bestimmen, da der Entschluss zum Völkermord auf deutschem
Territorium erfolgte. Aber damals in den 50iger und 60igerer Jahren waren Nazis an der Regierung
Konrad Adenauer beteiligt, hohe Beamte, die sich weigerten, die Auslieferung von Eichmann zu
fordern, um ihn vor ein deutsches Gericht zu stellen, denn viele andere Nazis in der Adenauer
CDU/CSU-Regierung hätten auch vor Gericht gestellt werden können und müssen. Dieses Kapitel
deutscher Nachkriegsgeschichte ist niemals offiziell untersucht worden und die CDU/CSU hat sich
auch nicht von ihrer Post-Nazi-Vergangenheit substantiell verabschiedet oder eindeutig distanziert.
Verlogene Resolution: Bis heute massenmörderische deutsche Außenpolitik
Bis heute noch bleiben die Konservativen in alten Nazi-Schablonen des Antikommunismus
verankert und sind untauglich, sich von einer massenmörderischen Außenpolitik zu verabschieden:
Irak, Libyen und vor allem Syrien klagen sie heute an. Die Bundesrepublik verhält sich würdelos,
wenn sie sich in Sachen Völkermord nicht zurückhaltend zeigt, solange sie ihre Lehre für die
Gegenwart aus diesem dunkelsten Kapitel ihrer Geschichte nicht zieht. Diese Lehre besteht einzig
darin, sich nicht an weiteren Massenmorden zu beteiligen. Die verlogene Resolution, die nicht
einmal andere Massaker verurteilt, an denen deutsche Soldaten auch beteiligt waren, wie die
Massaker gegen Afrikaner im damaligen Deutsch-Südwestafrika, ist ein Skandal für die junge
Generation, die die volle Wahrheit der deutschen Untaten zu erfahren verdient, um ein für alle Male
die Gegenwart Deutschlands auf saubere Seiten zu schreiben.
Warum anstatt „Völkermord“ keine Resolution zum Massenmord an Armeniern als Verbrechen
gegen die Menschlichkeit, das nicht verjährt?
Die Debatte, ob ein Massaker ein Völkermord ist oder nicht, kann lange unter Juristen andauern.
Warum haben sich deutsche Parlamentarier auf eine Resolution eingelassen, die nicht einfach klipp
und klar das Massaker an Armeniern in der Zeit des Osmanischen Reiches als Massenmord
bezeichnet und den Massenmord, der indiskutabel ist, verurteilt? Der Tatbestand eines
Massenmordes ist ein anderer als der Tatbestand des Völkermordes, der ein Sonderfall des
Massenmordes darstellt und den Willen zur systematischen Vernichtung einer ganzen
Menschengruppe voraussetzt. Nicht alle Staaten haben diesen Tatbestand in ihre Rechtsordnung
eingefügt. Wie auch immer, Massenmord bleibt Massenmord und als solcher ein Verbrechen gegen
die Menschlichkeit, das nie verjährt. Das Motiv des Verbrechers ändert nichts am jeweiligen
Tatbestand. Das Motiv kann nur das Strafmaß beeinflussen.
Ausgerechnet jetzt Massenmord an den Armeniern wichtig, aber Massenmord überall das
abscheulichste Verbrechen gegen die Menschlichkeit
Warum ist der deutschen Politik ausgerechnet der Massenmord an den Armeniern im Osmanischen
Reich plötzlich nach über hundert Jahren so wichtig? Was ist mit der Massenvernichtung von
Algeriern durch das koloniale Frankreich? Warum unterlässt es der Bundestag, Großbritannien und
die Niederlande für ihren Massenmord und Kriegsverbrechen in Südafrika zu verurteilen? Wieso
keine Verurteilung der Vereinigten Staaten von Amerika für ihre nukleare Massenvernichtung der
japanischen Bevölkerungen in Hiroshima und Nagasaki 1946, die ein grausames Kriegsverbrechen
und ein ungeheueres Verbrechen gegen die Menschlichkeit war? Massenvernichtung ist überall das
abscheulichste Verbrechen gegen die Menschlichkeit, das bestraft werden muss, egal wer der
Massenmörder ist, ob die USA, Großbritannien, Frankreich oder die Türkei.
Deutsches Reich damaliger Verbündeter des Osmanischen Reichs und Komplize beim
Massenmord an Armeniern
Die Täter von Massenmorden müssen vor ein Strafgericht kommen. Wenn nicht, weil sie wie im
Fall des Osmanischen Reiches faktisch nicht mehr existieren, müssen sich die jeweiligen
Regierungen als Rechtsnachfolger dafür verantworten. Das schließt auch Deutschland ein, denn das
Deutsche Reich war damaliger Verbündeter des Osmanischen Reich und Komplize, ja sogar Täter
solcher Verbrechen auf dem osmanischen Territorium. Hochrangige deutsche Offiziere, die damals
im Osmanischen Reich stationiert waren, beteiligten sich aktiv an den Verbrechen gegen die
Armenier. Eine historische Untersuchungskommission muss feststellen, ob es sich dabei um eine
systematische Vernichtung handelte, die dann zweifellos einen Völkermord gestaltet.
Welche Lehren sind aus solchen Massakern zu ziehen?
Eine historische Kommission von Experten zur Aufarbeitung deutscher Geschichte sollte gebildet
werden, um die Ereignisse von 1915 und die gegenwärtigen Untaten der Bundesrepublik
Deutschland zu untersuchen. Welche Lehren sind aus solchen Massakern zu ziehen? Diese Frage
gilt natürlich besonders für die deutsche Regierung und Mitglieder der Parteien
Bündnis90/DieGrünen und SPD, denn sie sind die Sponsoren einer solcher missglückten
Resolution, die nur für sie gilt, für ihre eigene Aufklärung hinsichtlich der deutschen Geschichte,
nicht aber für die Türkei.
Deutsche Abgeordnete und Regierungsvertreter ohne ausgeprägten Würdesinn
Alle Erklärungen der türkischen Führung lassen keinen Zweifel darüber, dass die deutsche
Bundestagsresolution keine Bedeutung für die Türkei hat. Der türkische Außenminister meint,
Deutschland wolle die dunklen Kapitel der eigenen Geschichte überdecken, indem „die Geschichte
anderer Länder angeschwärzt wird“. Und der türkische Justizminister rät Deutschland: „Kümmere
Dich um Deine eigene Geschichte“. Hätten die deutschen Abgeordneten und Regierungsvertreter
einen ausgeprägten Würdesinn, hätten sie sich niemals auf eine Resolution über Völkermord
eingelassen. Wollten sie dadurch die monströse Nazi-Massenvernichtung der Juden relativieren und
verharmlosen? Wollten sie den Finger auf andere zeigen, um davon abzulenken? Nicht zu
vergessen, dass deutsche Staatsanwälte bis in die 70iger Jahre nicht willens waren, Nazi-Verbrechen
zur Verurteilung vor Gericht zu bringen. In mindestens einem wichtigen Fall führte erst die
energische Einschaltung von Beate Klarsfeld dazu, die Justiz-Paralyse in der Bundesrepublik zu
brechen.
Massenmörderische Außenpolitik gegen Syrien: Menschliches Empfinden von SZ-Journalisten
bleibt aus
Heute ist die Paralyse der deutschen Justiz gegenüber den Kriegstreibern einer massenmörderischen
Außenpolitik gegen Syrien blamabel und verhängnisvoll. Das menschliche Empfinden von SZJournalisten, ihr verhältnismäßiges Urteil über die hiesige Geschichte von Menschenhass bleibt aus.
Kein Signal von Menschlichkeit und Empfinden für das Leid und die Ungerechtigkeit, die die
verfehlten Handlungen der jüngsten deutschen Regierungen anderen Völkern angetan haben und
immer noch antun. Keine Kritik an völkerrechts- und grundgesetzwidrigen Regierungshandlungen
in bezug auf eine kriminelle Interventionspolitik, um ein Regierungswechsel in einem souveränen
Land zu verursachen. Das höchst unmenschliche Kapitel der Geschichte Deutschlands und die
daraus resultierende Verantwortung hat auch die deutsche Justiz vernachlässigt. Beate Klarsfeld
musste sich kräftig und bravourös in den 70iger Jahren engagieren, um Nazi-Verbrechen vor
Gericht zu bringen. Sie ist Zeuge von der an höchsten Stellen vorherrschenden Gleichgültigkeit
darüber. Deshalb war sie als Bundespräsidentin unter den gegenwärtigen Umständen nicht
erwünscht.
Völkerrechtliche Pflicht zur Nicht-Einmischung in der Charta der Vereinten Nationen
Aktueller denn je als der Massenmord an Armeniern vor über 100 Jahren sind in der Tat
gegenwärtige Massenmorde und Massenvernichtung, an denen sich aktuell die Bundesrepublik
zusammen mit anderen europäischen Staaten gegen die Völker im Irak, in Syrien, Libyen und
Afghanistan beteiligt. Allein in Syrien verursacht die westliche terroristische Intervention, die
inzwischen fünf Jahre lang andauert, den Tod von über 250.000 Menschen und Millionen von
Flüchtlingen. Das ist die verbrecherische Einmischung, die die Charta der Vereinten Nationen (UN)
definitiv untersagt. Daran ist nichts zu ändern, denn der Frieden und die Stabilität eines Landes
verdienen hohe internationale Achtung. Der SZ-Journalist Stefan Ulrich erkennt diesbezüglich
richtig: „die Vereinten Nationen bauen darauf auf. Gemäß deren Charta sind alle Staaten souverän
und gleich. Keiner soll gegenüber dem anderen zu Gericht sitzen.“ Jedoch unterlässt Stefan Ulrich
zu erwähnen und explizit klarzustellen, dass gerade die westliche Interventionspolitik zum
Regimewechsel im Irak, Libyen und Syrien mit diesem grundsätzlichen Prinzip der NichtEinmischung der UN-Charta brutal und eklatant bricht, ein völkerrechtlicher Grundsatz, der
lediglich der Westen wegen seiner egoistischen Interessen infrage stellt. Die völkerrechtliche Pflicht
zur Nicht-Einmischung in der Charta der Vereinten Nationen bleibt die eindeutige Rechtsnorm für
alle Staaten der Weltgemeinschaft und nicht das Gegenteil, wie die SZ im US-Interesse suggeriert.
Gegen die UN-Charta zu verstoßen, bedeutet die Zündschnur zu unzählbaren Kriegen zu legen und
anzustecken. Gerade das ist bereits geschehen und die verhängnisvolle Konsequenz müssen
Deutschland und Europa jetzt für ihr Mittun an der irregeleiteten US-Interventionspolitik erleiden.
Freundschaft zur türkischen Regierung, der Massenmörder von heute, eine erbärmliche
Schande deutscher Außenpolitik
Eine Bundestagserklärung, die einen zurückliegenden Massenmord in einem anderen Land
verurteilt, als Einmischung zu bezeichnen, wie in der Süddeutschen Zeitung vom 3.6. geschehen, ist
Unsinn, vollkommener Unfug, denn eine solche Verurteilung ist eher ein Maßstab für den
Bundestag selbst, für diejenigen, die sie verabschieden, um zu wissen, wie mit einem
Massenmörder weiter umzugehen ist. Die Beziehung zu einem solchen Verbrecher, der sich auf
neue mörderische Aggressionen ungestraft einlässt (in Syrien, im Irak und gegen die Kurden) als
„Freundschaft“ zu bezeichnen, wie es die Kanzlerin Merkel hinsichtlich der Türkei gedankenlos tat
(2.6.), ist völlig unangebracht, inkonsistent und fehl am Platz. Das zeigt noch einmal öffentlich, wie
unglaubwürdig, oberflächlich und heuchlerisch die Bundespolitik wirkt. Eine erbärmliche Schande.
© Luz María De Stéfano Zuloaga de Lenkait
Quellenangaben:
• Süddeutsche Zeitung (SZ) vom 3.6.16: Kommentar „Völkermord-Pflicht zur Einmischung“
von Stefan Ulrich; Artikel „Armenien-Resolution im Bundestag . Auch wenn es weh tut“
von Stefan Braun und „Was im Kopf der Täter passiert“ von Ronen Steinke
*Luz María De Stéfano Zuloaga de Lenkait ist eine chilenische Rechtsanwältin und Diplomatin
(a.D.). Studium der Rechtswissenschaften an der Katholischen Universität in Santiago de Chile mit
Spezialisierung auf das Völkerrecht und Praxis im Strafrecht. Nach ihrer Arbeit im
Außenministerium war sie Diplomatin in Washington D.C., Wien und Jerusalem und wurde unter
der Militärdiktatur aus dem Auswärtigen Dienst entlassen.
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Datum: Sonntag, 05. Juni 2016
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