174 Bildung und Arbeit Forum der Eberhard von Kuenheim Stiftung

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174 Bildung und Arbeit Forum der Eberhard von Kuenheim Stiftung
Bildung und Arbeit
Forum der Eberhard von Kuenheim Stiftung
Bildung ist die Schlüsselressource der Zukunft. In der Wissensgesellschaft des
21. Jahrhunderts verspricht allein Bildung wirksamen Schutz vor Arbeitslosigkeit und Armut. Sie ist Grundbedingung für gesellschaftliche Teilhabe und ein
selbstbestimmtes Leben.
Die Formel leuchtet ein. Doch was besagt sie? Was genau ist unter Bildung zu
verstehen? Welche Inhalte gehören dazu? Ist nur noch solches Wissen wertvoll, das für den Arbeitsmarkt verwertbar ist? Lernen wir für die Arbeit oder bei
der Arbeit? Wie lässt sich mehr Bildungsgerechtigkeit gewährleisten? Welche
Chancen und welche Risiken birgt der Wandel der Arbeitswelt? Und schließlich: Welche Fähigkeiten müssen wir ausbilden, um nachhaltig zu lernen, zu
arbeiten und zu wirtschaften?
Wie das Verhältnis von Bildung und Arbeit sich gestalten wird, ist für die Wissensgesellschaft und für unsere Zukunft ausschlaggebend. Damit sind zahlreiche Fragen aufgeworfen, denen die Eberhard von Kuenheim Stiftung anlässlich ihres zehnjährigen Bestehens im Forum der UNIVERSITAS im Gespräch
mit Experten nachgehen möchte.
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Wortwechsel - Bildung und Arbeit - Forum der Eberhard von Kuenheim Stiftung
Bildung ist in aller Munde: Kein Politiker, kein Vorstandschef, der nicht vom
Wert der Bildung reden würde. Doch welchen Wert hat Bildung? Was müssen Kinder lernen, was sollen unsere Schulen vermitteln? Bernhard Bueb,
ehemaliger Leiter des Elite-Internats Schloss Salem, hat davon eine konkrete Vorstellung. Für seine Streitschrift „Lob der Disziplin“ bekam er viel
Lob, aber auch viel Widerspruch. Seine These: Schulen müssen mehr sein
als reine Lehranstalten, damit unsere Gesellschaft fit für morgen wird.
„Kinder müssen Gemeinschaft
erleben“
Philipp Grammes im Gespräch mit Bernhard Bueb
Grammes: Unter welchen Bedingungen wachsen Kinder und Jugendliche
heute auf?
Bueb: Kinder und Jugendliche haben keinen Schutzraum mehr vor der Welt
der Erwachsenen. Durch Fernsehen, Internet und Computer sind sie schon
sehr früh am Leben der Erwachsenen beteiligt. Dadurch müssen sie sich mit
Erscheinungen auseinandersetzen, die eigentlich nicht kindgemäß sind. Das
Zweite ist, dass ihre Zukunftsaussichten düster sind: Sie müssen fertig werden
mit der zunehmenden Sinnentleerung des Daseins durch den Rückzug der
christlichen Religion; mit einer wachsenden Überbevölkerung, verbunden mit
einer Vergreisung der westlichen Nationen; mit der Ausbeutung der Lebensgrundlagen der Menschen, mit der Klimakatastrophe; mit der strukturellen
Arbeitslosigkeit und nicht zuletzt mit einem vorherrschenden Materialismus.
Das alles führt zu einem großen Konsumdruck. Jugendliche reagieren so, wie
Erwachsene reagieren, wenn die Zukunft nicht rosig aussieht: Man genießt die
Gegenwart und geht darin auf. Dagegen gibt es nur ein Mittel, nämlich Bildung
und Erziehung. Worin soll diese vor allem bestehen? Darin, dass man junge
Menschen in ihrem Selbstwertgefühl stärkt.
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Grammes: Was brauchen Kinder und Jugendliche dafür vor allem?
Bueb: Sie brauchen Gemeinschaften, in denen sie groß werden können, und
sie brauchen Zuwendung von Erwachsenen. Genau an diesen beiden Bedingungen mangelt es aber heute. Die Jugendlichen wachsen heute sehr einzeln
auf: Schon die Straßengemeinschaften gibt es kaum mehr mangels Kindern,
die Großfamilien haben abgenommen, die Kirchen haben sich zurückgezogen aus der Jugendarbeit, das Vereinswesen nimmt ab, weil die Jugendlichen
nicht mehr in die Vereine gehen, und die Erwachsenen haben nicht genug Zeit
für Kinder und Jugendliche, vor allem Lehrer nicht. Lehrer sind ja ausschließlich für den Unterricht da, und die Persönlichkeits- und Charakterbildung findet anderswo statt – oder gar nicht.
Grammes: Gemäß dem schönen Bonmot, dass Lehrer Fächer unterrichten
und nicht Kinder.
Bueb: Genau. Dieser alte Satz der Reformpädagogik stimmt leider immer
noch – zumindest in der Sekundarstufe. Grundschullehrerinnen handhaben
das schon viel besser. Aber vor allem im Gymnasium ist dieser Satz noch sehr,
sehr gültig. Leider.
Grammes: Wie könnte es anders gehen?
Bueb: Für eine Idee gibt es eigentlich schon flächendeckend Konsens, und
das ist die Ganztagsschule. Allerdings nicht den ganzen Tag Schule, sondern
vormittags Unterricht, dann ein gemeinsames Mittagessen, und nachmittags
müssen Gemeinschaften entstehen, die durch Spiel bestimmt werden: Sport,
Theater, Musik, schöpferische Medienarbeit, aber auch Schülermitverantwortung als spielerische Einübung in Politik, naturwissenschaftliches Experimentieren und so weiter. Dieselben Erwachsenen, die vormittags unterrichten,
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müssen nachmittags Partner im Spiel werden. In so einer Schule wären die
beiden Bedingungen erfüllt, die bisher mangelhaft gegeben sind: Die Schüler
würden Gemeinschaften finden, die nicht reine Klassengemeinschaften sind,
und sie würden Lehrer haben, die sich ihnen als Person zuwenden, indem sie
mit ihnen zum Beispiel Theater spielen. Das Spiel ist der Königsweg, um Kin-
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der und Jugendliche in ihrem Selbstwertgefühl zu stärken. Das sagt Ihnen
jeder Pädagoge. Übrigens erfüllen alle Vorzeigeschulen im Lande im Prinzip
diese Bedingungen: Sie haben eine ganzheitliche Auffassung von Bildung. Sie
weichen ab vom vorherrschenden Bildungsbegriff der deutschen Schule, der
ja rein kognitiv ist, wo es letztlich nur um akademische Bildung geht. Erfolgreich ist im herkömmlichen deutschen Schulsystem nur jemand, der messbare kognitive Fortschritte gemacht hat. Ob er eine farbige Persönlichkeit ist,
ob er wunderbar Theater spielen oder musizieren kann – das schlägt sich in
den Zeugnissen der Schulen nicht nieder.
Das Spiel ist der Königsweg, um Kinder und Jugendliche in ihrem
Selbstwertgefühl zu stärken. Das sagt Ihnen jeder Pädagoge.
Grammes: Herzens- und Charakterbildung – beides propagieren Sie in Ihren
Büchern und Vorträgen. Was meinen Sie damit?
Bueb: Charakter hat jemand, der sich bejahen kann, der sich akzeptiert und
der sich treu bleibt. Er hat ein so starkes Selbstwertgefühl, dass er seinen
Charakter, seine Persönlichkeit in allen Situationen bewahrt. Diese Charakterstärke gewinnt er durch Anerkennung von Erwachsenen und von Gleichaltrigen in Gemeinschaften.
Grammes: Und Herzensbildung?
Bueb: Herzensbildung betont gegenüber der intellektuellen Bildung das Gemüt. Das ist ein Teil der Charakterbildung, wenn Sie so wollen. Es ist die emotionale Intelligenz, die gefördert werden soll, die Empathie, sich einfühlen zu
können in andere Menschen als Vorbedingung für ein gedeihliches Zusammenleben. Die Herzensbildung ist das Pendant zur kognitiven Bildung. Sie
entsteht durch das Zusammenleben in Lebensgemeinschaften. Damit das
passiert, sollte Schule einen Lebensraum bieten, eine Gemeinschaft sein von
Lehrenden und Lernenden. Hier lernen die Schüler, Rücksicht zu nehmen,
hilfsbereit und tolerant zu sein, andere zu akzeptieren, weil sie sich selber
akzeptieren, sich in andere hineinzufühlen und so weiter. Man lernt das nur
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durch Erfahrung, nicht durch Belehrung. Leider ist die deutsche Schule eigentlich eine Belehrungsschule. Die beglückende Erfahrung im Theaterspiel,
mit einer Gruppe von anderen zusammen unter der Leitung eines Regisseurs
eine wunderbare Aufführung zustande zu bringen – eine solche Situation bietet Erfahrungen, die Sie in keiner Belehrungsstunde finden. Die Angst, die ein
Kind überwinden muss, wenn es auf die Bühne steigt – das stärkt es in seinem
Selbstwertgefühl mehr als hundert Stunden Deutschunterricht.
Disziplin ist also ein Mittel, das ich Kindern an die Hand gebe,
damit sie ihr Ziel erreichen können. Das Schlimmste ist, wenn
man Disziplin zu einem Wert erklärt – was viele Leute tun.
Grammes: Sie sprechen als ehemaliger Leiter des Internats Schloss Salem.
Aber wie soll so etwas in Hauptschulen an sozialen Brennpunkten gelingen?
Dort kommen Schüler teilweise hungrig in die Schule. Hilft dort Theaterspielen wirklich weiter?
Bueb: Es gibt nicht wenige Schulen in solchen Brennpunkten, die begriffen
haben, dass man Gemeinschaften erzeugen muss. Die Rütli-Schule in Berlin-Neukölln zum Beispiel ist genau so ein Ort geworden, wo die Schüler eine
große Gemeinschaft bilden. Sie gestalten ihre Schule selbst, treiben viel Sport,
machen Hip-Hop und so weiter. Das ist heute eine lebendige Gemeinschaft
von Lehrenden und Lernenden an einem sozialen Brennpunkt. Das finden Sie
in ähnlicher Form in vielen Großstädten. Es gelingt in dem Moment, wo die
Erwachsenen – die Lehrer, die Leitung vor allem, und die Eltern – dahinterstehen. Die Bedingungen, die ich formuliert habe, gelten nicht nur für Privatschulen.
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Grammes: Wie sehen Sie die Rolle des Lehrers?
Bueb: Lehrer empfinden sich an solchen Schulen als Lernbegleiter, als Entwicklungshelfer, als Moderatoren – jedenfalls als Autoritäten, die den Kindern
„helfen, es selbst zu tun“. Dieser Satz von Maria Montessori ist die Vorgabe.
Die Aufgabe des Lehrers sollte es immer sein, das Kind in seinem Selbstver-
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trauen so zu stärken, dass es die Dinge selbst in die Hand nehmen kann. Also
nicht der belehrende, allwissende, große Priester, der vorne steht und sein
Wissen zu vermitteln sucht. Sondern der Lehrer ist derjenige, der Situationen
schafft, in denen Kinder selber Lernerfahrungen machen können. Viele der
guten Schulen arbeiten mit der sogenannten „vorbereiteten Umgebung“: Der
Lehrer bereitet im Klassenzimmer Lernsituationen vor, die es den Kindern erlauben, selbstständig zu arbeiten. Das ist natürlich ein unglaublicher Aufwand
für die Lehrer, den scheuen viele, das ist aber die Vision. Und die ist uralt, vor
über hundert Jahren hat Maria Montessori diese Vision formuliert.
Grammes: Im Verlauf unseres Gesprächs sind die Begriffe, für die Sie berühmt geworden und oft auch gescholten worden sind, noch gar nicht aufgetaucht: Disziplin. Führung.
Bueb: Es ist ja leicht erklärt, warum Disziplin dazugehört. Maria Montessori hat vom Lehrer gesagt, er sei der Hüter der Ordnung. Disziplin konkretisiert sich in den sogenannten Sekundärtugenden: Fleiß, Ordnungssinn, Sorgfalt, Gewissenhaftigkeit, auch verzichten können. Disziplin ist also ein Mittel,
das ich Kindern an die Hand gebe, damit sie ihr Ziel erreichen können. Das
Schlimmste ist, wenn man Disziplin zu einem Wert erklärt – was viele Leute
tun. Wenn man aber ein Kind oder auch einen Mitarbeiter in einem Betrieb
erklärt, warum er jetzt ordentlich sein soll oder pünktlich oder fleißig, und er
das einsieht, dann wandelt sich das zur Selbstdisziplin. Diese Disziplin ist unbedingt notwendig, um irgendetwas zustande zu bringen. Auf Disziplin kann
niemand verzichten. Mir wird immer unterstellt, ich sei für Disziplinierung
– also Disziplin als ein Mittel, um Kinder gefügig zu machen. Dabei ist es ein
Instrument, das man ihnen an die Hand gibt, damit sie selbstständig arbeiten
können.
Grammes: Stichwort Disziplinierung: Welche Rolle spielen Strafen?
Bueb: Es gibt keine Moral auf der Welt, die auf Strafen verzichten kann. Strafen heißt, ein Übel androhen für ein falsches Verhalten. Wenn ein Kind, ein
Jugendlicher oder auch ein Erwachsener nicht einsieht, dass es etwas nicht
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tun soll – oder der eigenen Einsicht nicht folgen kann, weil er zu schwach ist
–, dann muss man ihm androhen, dass das üble Folgen hat. Wir Erwachsenen
gehen doch selbstverständlich mit Strafen um: im Verkehr, im Steuerrecht,
überall. Warum sollte man Kindern und Jugendlichen diese Stütze vorenthalten?
Grammes: Wie strafen Sie?
Bueb: Strafen müssen meiner Meinung nach immer fünf Bedingungen erfüllen: Sie müssen vorher bekannt sein – „wenn Du unerlaubt fernsiehst, wird
die Kiste abgeschaltet“. Die Strafe muss angemessen sein – also nicht drei
Monate abschalten. Sie muss sofort erfolgen. Sie muss, wenn sie abgedient
ist, vergessen sein – ganz wichtiger Punkt: Damit ist die Sache abgeschlossen.
Und die fünfte Bedingung: Man muss Kindern immer helfen, aus der beschämenden Situation wieder herauszukommen – durch Wiedergutmachung oder
auf andere Weise. Wenn man Strafen so handhabt, ohne moralinsaure Miene, dann gehen Kinder und Jugendliche sehr sportlich damit um. Sie sind für
sie berechenbar, und sie sind besser als schmollende, gekränkte Eltern oder
Lehrer, die die Missbilligung über das falsche Verhalten in einer Art Liebesentzug ausdrücken.
Grammes: Was wahrscheinlich sogar die härtere Strafe ist.
Bueb: Genau! Weil das Kind sich gar nicht wehren kann! Es kann ja nicht sagen: „Ich mach jetzt etwas wieder gut oder ich tue etwas, damit das abgegolten ist.“ Stattdessen muss es erst das Herz der Mutter oder des Lehrers gewinnen. Der Umgang der Erwachsenen mit Strafen ist deshalb sehr wichtig.
Er muss sehr nüchtern sein und sehr klar. Es darf nicht doch noch eine Kränkung zurückbleiben, sondern wenn die Strafe abgedient ist, muss die Sache
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wirklich aus der Welt sein.
Grammes: Das Thema Strafen bringt mich zu drei tradierten Erziehungsleitsätzen, die ich Sie zu kommentieren bitten würde. Erstens: Wer nicht hören
will, muss fühlen.
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Bueb: Dieser Satz ist zwar im Prinzip richtig, stammt aber aus der Zeit der
Gehorsamspädagogik. Wenn man ihn umformulieren würde, müsste er heißen: Wer nicht vernünftig handelt, muss die Konsequenzen tragen. Mit diesem
Satz kann man leben. Bei dem Satz „Wer nicht hören will, muss fühlen“ steht
die Strafe für mein Empfinden zu sehr im Vordergrund. Denn mit jemandem,
der nicht hören will, kann man ja zunächst mal reden. Oder man kann ihn zur
Einsicht bringen wollen. Also ich würde den Satz in der herkömmlichen Form
heute nicht mehr als pädagogischen Leitsatz akzeptieren.
Das Glück der Anstrengung ist unendlich wiederholbar, ohne dass
es schal wird. Außerdem ist es die Form des Glücks, die man selber
herstellt. Man ist nicht von Fortuna abhängig.
Grammes: Aber wie verhindern Sie, dass Ihr konsequenter Erziehungsstil nicht zu Disziplin führt, sondern zu Gehorsam? Der Grat ist doch sehr
schmal.
Bueb: Gehorsam sollte letztlich immer aus Einsicht erfolgen. Wenn Sie bei der
Feuerwehr sind, müssen Sie natürlich Ihrem Hauptmann gehorchen. Aber Sie
tun es aus Einsicht, weil Sie wissen, dass sonst die Sicherheit gefährdet ist. Insofern ist Gehorsam kein falsches Wort – man muss es nur richtig begründen.
Der sogenannte blinde Gehorsam oder Kadavergehorsam ist des Teufels.
Grammes: Nächster Satz: Ohne Fleiß kein Preis.
Bueb: Den würde ich sofort unterschreiben. Der gilt nach wie vor.
Grammes: Aber Fleiß steht heute nicht mehr allzu hoch im Kurs in einer Gesellschaft, in der scheinbar alles jetzt und sofort zu konsumieren ist.
Bueb: Das kann man nur ändern, indem man Kindern und Jugendlichen zu
Glückserlebnissen verhilft. Glück ist ja fast immer Folge einer Anstrengung.
Wenn Sie mit ihnen Theater spielen, Musik machen, auf Berge steigen oder
Fußball spielen, können Sie Kindern und Jugendlichen zeigen, dass Disziplin
die Voraussetzung ihres Glückes ist. Das Glück der Anstrengung ist unendlich
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wiederholbar, ohne dass es schal wird. Außerdem ist es die Form des Glücks,
die man selber herstellt. Man ist nicht von Fortuna abhängig.
Grammes: Das führt uns zum nächsten Satz: Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.
Bueb: Da gibt es zwei Gesichtspunkte. Erstens: Vergnügen ist in unserer
Kultur häufig das Ergebnis von Arbeit. Sie sind dann glücklich, wenn Ihnen
eine Sache gut gelungen ist und Sie dafür Anerkennung bekommen haben.
Die Sache ist Ihnen aber gelungen, weil Sie fleißig waren. Arbeit ist also eine
notwendige, wenn auch nicht hinreichende Bedingung für Glück. Der zweite
Gesichtspunkt: „Nichts ist schwerer zu ertragen als eine Reihe von festlichen
Tagen“, hat Goethe gedichtet. Das heißt: Wenn Sie nur müßiggehen, werden
Sie kein glücklicher Mensch werden. Wir brauchen den Rhythmus von Anstrengung und Muße – oder von Arbeit und Vergnügen. Ich halte das für einen
weisen Erfahrungssatz.
Grammes: Heute liegt das Vergnügen aber augenscheinlich auf der Straße
beziehungsweise im Internet. Es ist leicht zu haben.
Bueb: Ja, weil viele Vergnügen und Glück als eine Animation von außen ansehen und nicht als eine eigene Leistung. Wir müssen die Jugendlichen wieder
erfahren lassen, wie viel größer das Vergnügen ist, wenn es Folge einer eigenen Anstrengung ist.
Grammes: Nun befinden wir uns in einer schweren Finanz- und Wirtschaftskrise. Glauben Sie, dass das zu einer stärkeren Entwicklung in die von Ihnen
skizzierte Richtung führen wird?
Bueb: Im Bildungsbereich gibt es einen sehr großen Konsens über die prin182
zipielle Richtung. Nur an der konsequenten Umsetzung mangelt es erheblich. Der Geist ist willig, doch das Fleisch ist schwach: Der Materialismus unserer Tage ist ungebrochen und ungezähmt. Er war früher gezähmt durch das
Christentum – gerade in den Hansestädten und der angelsächsischen Wirtschaftswelt. Die christliche Ethik ist heute weggefallen infolge der Globalisie-
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rung. Ich fürchte, dass der Materialismus immer wieder durchschlägt bis in
die Kinder- und Jugendseelen hinein und keine starke moralische Kraft in unserem Lande besteht, um diesem Materialismus standzuhalten.
Grammes: Vielleicht muss man den Spruch umwandeln: Viele Pädagogen
sind willig, aber die Politik ist schwach.
Bueb: So kann man das sagen. Alle Politiker sprechen von Bildung, aber kaum
einer lässt Taten folgen: kein Mut, keine wirklichen Einsichten, keine ernsthaften Handlungen. Alles bleibt beim Alten, obwohl alle von Änderungen reden.
Die Bildungspolitik ist gedankenreich, aber tatenarm.
Dr. phil. Bernhard Bueb, geb. 1938, Studium der Philosophie, katholischen Theologie (Promotion in Philosophie), Assistent am Lehrstuhl
für Pädagogik an der Universität Bielefeld. Lehrer und Erzieher an
der Odenwaldschule, 1974–2005 Leiter der Schule Schloss Salem.
1979–1999 Mitglied des Vorstandes der Studienstiftung des deutschen Volkes. 2006 erschien seine Streitschrift „Lob der Disziplin“,
2008 folgte „Von der Pflicht zu führen. Neun Gebote der Bildung“.
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