Auf den Spuren von

Transcription

Auf den Spuren von
Cäsar Ritz (links), Alphons von Pfyffer (Mitte), Auguste Escoffier
HOTELIER MARKUS CONZELMANN
(GRAND HOTEL NATIONAL LUZERN)
Auf den Spuren von
Cäsar Ritz
Grand Hotel national luzern.
«Man wird hier in fast jeder ecke
mit der vergangenheit des Hauses
konfrontiert.»
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Szene Rendez-vous Markus Conzelmann
Er gilt auch heute noch, 95 Jahre nach seinem Tod, als König der Hoteliers:
Cäsar Ritz. Der Bauernsohn aus Niederwald (Goms) schuf neue Werte für Hygiene,
Komfort und Eleganz – und er definierte die Gastfreundschaft in der Grand-Hotellerie
neu. Was viele nicht wissen: Seine erste Stelle als Direktor trat Cäsar Ritz im Grand
Hotel National in Luzern an, bevor er als Hotelpionier Europa eroberte. Fast hundert Jahre
später führt Markus Conzelmann (48) das traditionsreiche Hotel. Wie fühlt man
sich als indirekter Nachfolger des ungekrönten Hotelkönigs?
Markus Conzelmann.
«Hotels haben mich schon
immer fasziniert.»
M
arkus Conzelmann,
was wissen Sie
über Cäsar Ritz?
Einst flog er aus
der Schule, weil er ein Taugenichts war. Später bezeichnete man ihn als «König der
Hoteliers und Hotelier der
Könige». Ritz hatte offensichtlich eine unglaubliche Begabung und ein immenses Verständnis für Menschen und
deren Bedürfnisse. Seine Gäste
studierte er sehr genau und analysierte deren Verhalten. Ritz
ist eine Schweizer Persönlichkeit, der man – auch wenn man
nicht im Gastgewerbe tätig ist –
zwangsläufig überall begegnet.
Glaubt man all den Büchern und
Schriften, so war Cäsar Ritz ein
ehrgeiziger und sehr neugieriger Mensch.
Wie viel Cäsar Ritz steckt
in Ihnen?
Gute Frage (lacht)! Mal abgesehen von unseren ähnlichen
schulischen Erlebnissen ist
«Hotelier sein» für mich auch
heute noch eine Berufung. Es
macht mir unheimlich Spass,
die Bedürfnisse meiner Gäste
zu erforschen und in Dienst4I2013
leistungsangebote umzusetzen. Wie heisst es so
schön: Man muss Menschen mögen. Man muss
versuchen, sie zu verstehen und zu begeistern.
Sie führen das Grand Hotel National in Luzern seit
knapp zwei Jahren. Ist der Geist des grossen Cäsar
Ritz irgendwie noch spürbar in diesen alten Mauern?
Ja. Schauen Sie sich mal die grossen Säle an!
Diese sechs Meter hohen Räume, die Seidentapeten, Stuckaturen, Marmor- und Parkettböden.
Die riesigen Lüster aus dem vorletzten Jahrhundert. Man wird hier in fast jeder Ecke mit der Vergangenheit des Hauses konfrontiert. Man steht
in einem Saal, schliesst die Augen – und plötzlich fühlt man sich in jener Zeit, als Französisch
noch die Sprache der Grand-Hotellerie und Gastronomie war … Als Kellner und Portiers durch die
langen Gänge huschten, als die Gäste mit steifen
Kragen oder mit rauschenden Roben den Speisesaal betraten … In meinem Büro hängen noch alte
Postkarten aus jener Zeit.
Gibt es Gäste, die «auf den Spuren von Cäsar Ritz»
hier im National absteigen?
Sie meinen Gäste, die extra wegen Cäsar Ritz ins
National kommen? Eher selten. Ihnen bieten wir
individuelle und ausführliche Hausführungen
an. Doch wir erhalten immer wieder Anfragen
von Studenten, die mehr wissen möchten über
das National und Cäsar Ritz.
Wie stark gewichten Sie die Geschichte um
Cäsar Ritz im Marketing? Ritz und National –
ein hervorragendes Verkaufsargument!
Es geht ja nicht nur um Cäsar Ritz, sondern um
die Geschichte des Hauses. Da gibt es viele spannende Anekdoten und Details. Fast jeder Saal, das
Restaurant, die Zimmer – fast alle Räume haben
eine eigene Entstehungsgeschichte. Die Autorin
Sibylle Birrer hat diese Geschichten zusammengetragen und erzählt sie in ihrem Buch «Grand
Hotel National Luzern, Luxus und Gastlichkeit
seit 140 Jahren». Alte Fotos und auch von Hand
geschrieben Protokolle der Herren Ritz und Escoffier geben dem Leser einen tollen Einblick in
diese Zeit. In der Hotellerie geht es ja stets um
Emotionen. Die Geschichten aus dem National
sind Emotionen pur! Haben Sie gewusst, dass
Thomas Mann, Rainer Maria Rilke und auch
Hermann Hesse Gäste waren im National? Hier
verkehrten Künstler, Könige, Kaiser und Adelige
aus ganz Europa. Doch das Haus erlebte auch
viele Krisen.
Nicht nur Cäsar Ritz war im National tätig, sondern
– von Ritz angeheuert – auch August Escoffier,
der französische Meisterkoch, der mit seiner «Guide
Culinaire» Weltruhm erlangte. Welche Art von
Küche bietet das National heute?
Wir bieten den Gästen eine leichte französische
Küche, natürlich inspiriert von Auguste Escoffier! Seine Rezepturen dienen uns immer noch
als Basis der Gerichte. Sie wurden jedoch verfeinert, abgeändert und neu interpretiert. Ein
Gericht auf der Karte ist übrigens im Originalrezept abgedruckt!
Ritz führte im National unter anderem elektrisches
Licht und private Badewannen ein. Mit welchen
Ansprüchen sehen Sie sich heute konfrontiert?
Es wird in der Tat immer schwieriger, alle Erwartungen der Gäste zu erfüllen. Wichtig ist, dass wir
auf jeden Gast einzeln eingehen und seine individuellen Bedürfnisse wahrnehmen. Der Gast will
ja nicht einfach abgefertigt werden! Es sind oft die
kleinen Dinge, die heute zählen.
Zu den Zeiten von Cäsar Ritz war das National im
Winter geschlossen, der Wintertourismus noch
nicht «erfunden». Wie sehen heute die Belegungszahlen im Winter aus?
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Szene Rendez-vous Markus Conzelmann
history
Speisesaal im Grand Hotel National um 1900.
In Luzern ist der Sommer
ganz klar die Hauptsaison. Im
Winterhalbjahr steigen hier
vor allem Geschäftsleute und
Konferenzteilnehmer ab. Doch
unser Ziel ist es, Luzern auch als
attraktive Winterstadt zu posi­
tionieren.
Cäsar Ritz hat seinerzeit die
Kellnerlehre abgebrochen, ging
nach Paris, um dort im Service
anzuheuern. Wussten Sie immer
ganz genau, wo Ihr Weg Sie
hinführt?
Ich stamme aus einer Musikerfamilie. Schon als kleiner Junge
war ich – zusammen mit meinen
Eltern – viel unterwegs, habe in
tollen Hotels im In- und Ausland
gewohnt. Hotels haben mich
immer fasziniert. Die grossen
Hotelhallen, die langen Korridore, diese riesigen Speisesäle
– fantastisch! Schon als achtjähriger Junge stand für mich
fest: Ich will später mal in der
Hotellerie arbeiten. Jahre später besuchte ich die Hotelfachschule Luzern. Mein Wunsch
ging also in Erfüllung!
Und jetzt sind Sie sogar der
indirekte Nachfolger von Cäsar
Ritz, dem «König der Hoteliers» …
Was will man mehr!
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Cäsar Ritz und das National Luzern
1870 von Oberst Maximilian Alphons von Pfyffer erbaut,
betraute dieser 1877 den jungen Cäsar Ritz mit der Leitung
des Grand Hotel National in Luzern. Für Ritz war dies die erste
Direktorenstelle, war er zuvor doch als Oberkellner im RigiKulm Hotel tätig gewesen, wo von Pfyffer auf ihn aufmerksam
geworden war.
Cäsar Ritz machte sich sofort daran, das National neu einzurichten – und zwar nach dem Geschmack des europäischen
Adels, den er während seiner Kellner-Aufenthalte in Paris und
Wien gründlich kennengelernt hatte. Private Badewannen,
elektrisches Licht, Zimmertelefone, geräumige Schränke – Ritz
wusste, was gewünscht war. Er las den Gästen im wahrsten
Sinne des Wortes die Wünsche von den Augen ab, erinnerte
sich an jedes noch so kleine Detail und überraschte so seine
verwöhnte Klientel immer wieder aufs Neue.
Ein Jahr nach seinem Amtsantritt holte er den damals bereits
bekannten französischen Meisterkoch Auguste Escoffier
ins National. Mit dem Team Ritz-Escoffier erlangte das Hotel
internationalen Ruf. Bedeutende Persönlichkeiten, darunter
zahlreiche Mitglieder des deutschen Kaiserhauses, Sissy,
Kaiserin Elisabeth von Österreich, Maharadjas aus Indien –
alles, was Rang und Namen hatte, liess sich im Hotel National verwöhnen.
1890 starb National-Erbauer von Pfyffer an einer Grippe und
Ritz verliess das National, um – getrieben von seinem Tatendrang – in England, Frankreich und Italien zu wirken. Neben
seiner Beratung von Hoteliers erbaute er an der Place Vendôme sein eigenes Luxushotel: das Ritz Paris, das 1898 eröffnet wurde und wo Aguste Escoffier als Küchenchef tätig war.
Und das Grand Hotel National? Das wurde während der
nächsten 60 Jahre vom Sohn des Erbauers, Hans Pfyffer,
erfolgreich geführt. Heute ist die THP Touristic & Hotel Projects Ltd. mit dem Management des legendären Hauses
betraut. Gesellschafter sind der Hotelexperte Pierre Vacher,
der Luzerner Unternehmensberater Bodo von Düring, Hotelier
Gabriele Pedrazzetti (Hotel Continental Park) und der Luzerner
Unternehmer Ernst Maréchaux (Maréchaux Elektro AG).
Cäsar Ritz: Sein Leben
Cäsar Ritz wurde 1850 als dreizehntes Kind des Niederwaldner Gemeindepräsidenten Johann-Anton Ritz und seiner Frau
Kreszentia geboren. Im Sommer hütete er die Ziegen, im Winter ging er zur Schule. Nach der Grundschule besuchte er das
Kollegium in Sion, wo er etwas Französisch lernte. Nach drei
Jahren nahm ihn sein Vater wegen Faulheit aus der Schule
und liess ihn als Kaffeekellner im Hotel Couronne et Poste in
Brig arbeiten. Sein Patron eröffnete ihm jedoch nach einem
Jahr, er werde es in diesem Gewerbe zu nichts bringen. «Aus
dir wird nie etwas in der Hotellerie. Dafür braucht es eine
gewisse Begabung und ein besonderes Flair. Das geht dir vollkommen ab!» Der Siebzehnjährige reiste nach Paris, wo eben
die Weltausstellung eröffnet worden war.
Im Hôtel de la Fidélité arbeitete er zuerst als Schuhputzer,
dann als Träger und schliesslich als Zimmerkellner. Wegen
einer Liebschaft, angeblich mit einer russischen Baronin,
wurde Ritz davongejagt. Daraufhin bewarb er sich im Erstklasshotel Le Voisin um eine Lehrstelle, wo der nunmehr
Zwanzigjährige das Metier von Grund auf kennenlernte.
Zudem kam er mit vielen berühmten Persönlichkeiten aus der
feinen Welt in Kontakt.
1873, mit 23 Jahren, zog Cäsar Ritz nach Wien, wo er im
französischen Restaurant Les Trois Frères Provençaux
mit zahlreichen gekrönten Häuptern zu tun hatte. Dann arbeitete er für das Grand Hôtel in Nizza, später für das Rigi-Kulm
Hotel. Hier lernte er den Bauherrn Maximilian Alphons von
Pfyffer kennen, der ihm die Leitung des Grand Hotels National
in Luzern übergab. Zusammen mit von Pfyffer und Auguste
Escoffier führte Ritz das Hotel zwischen 1878 und 1890 so
erfolgreich, dass Gäste aus ganz Europa kamen.
Da das «National» im Winter geschlossen war, leitete Ritz
in den Wintermonaten anfänglich Hotels in Cannes, Menton, Nizza und Biarritz. Später kamen andere dazu; zeitweise
führte Ritz zehn Hotels gleichzeitig. 1888 erwarb er das HotelRestaurant Maison de la Conversation in Baden-Baden, wo
die anwesende Prominenz seinen Namen weiter bekannt
machte. Mit 38 Jahren heiratete er 1888 die gebürtige Elsässerin Marie-Louise Beck. Das Paar hatte zwei Söhne; René,
der jüngere, der 1918 ein paar Monate vor seinem Vater an
den Folgen eines Unfalles starb, und Charles, der nach dem
Tod von Cäsar noch lange Jahre das Ritz präsidierte.
Bis 1893 war Ritz ständig unterwegs und reiste zwischen
London, Cannes, Monte-Carlo, Aix-les-Bains, Rom, Biarritz
und Frankfurt am Main hin und her. In London baute er das
«Carlton» und das «Savoy» auf, in Rom das «Grand-Hotel»,
in Frankfurt den Frankfurter Hof. Er lieh seinen Namen zahlreichen Hotels, beriet Hoteliers aus Europa und den USA als
international anerkannter Fachmann. In dieser Zeit gründete
er auch die «Gesellschaft zur Verbreitung der Hotellerie», die
weitere Hotels in Kairo, Madrid und Johannesburg plante.
1898 baute Ritz an der Place Vendôme das Haus Nummer 15
in ein Hotel um und gab ihm seinen Namen. Die Leitung der
Küche übertrug er Auguste Escoffier. Nach der prunkvollen
Eröffnung des Le Ritz folgten die Gründungen des Ritz London
und Ritz Madrid.
1903 fand sein Arbeitsleben durch einen körperlichen Zusammenbruch ein jähes Ende. Danach litt Ritz an einer langjährigen tiefen Depression, aus der er sich bis zu seinem Tod
1918 nicht mehr erholte. Die Arbeit wurde von seiner Ehefrau
Marie-Louise zusammen mit Sohn Charles Ritz weitergeführt.
Das Ritz Paris gehört heute dem Ägypter Mohamed Al Fayed
(auch Besitzer des Warenhauses Harrods in London). Das
Haus ist derzeit geschlossen, denn es wird total saniert – für
rund 140 Millionen Euro.
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