als PDF - Kulturstiftung der Länder

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als PDF - Kulturstiftung der Länder
Das Magazin der
Kulturstiftung der
Länder
1 2016
IM SCHLOSS
VOM UMGANG MIT FÜRSTLICHEN SAMMLUNGEN
DEUTSCHLAND IM 19. JAHRHUNDERT: FRÜHE FOTOS FÜR MÜNCHEN
HESSEN: DIE SAMMLUNG JOHANN FRIEDRICH STÄDEL
EDITORIAL
Glanz und Gloria?
Isabel Pfeiffer-Poensgen,
Generalsekretärin der Kulturstiftung der Länder
Liebe Leserin, lieber Leser,
„Wi l l kom m“ d e r h es s is ch e n Förste r
Eh ren gab e an d en h es s i s c h en Regi er u n gs - u n d Fo rstse k re tä r
Geo rg Co n rad H ab er ko r n ( Wi n d h au s en 1692 - 1774 G rünbe rg)
S t raßbu rg 1 627- 1639
Si l b er, ve rgolde t
Mei s t erze iche n: H P
H ö h e: 52 c m, Gewicht: 9 53 g
Widmu n gsi n sch r i ft
S OV I EL H OLTZ M AN B EY U NS FÄL LT = S OV I E L SEEGEN,
G LÜC K U N D H EI L , WER D E U NS ER N C H E F ZUTH EI L .
D I ES ES WÜ NS C H EN AN NO 17 56
O b er fö r s t er G. E. Mü l l er, J. S. Eu l er, J. H . H u s c h ky, J.A. Wick
Rei t en d e Fö r s t er J. J. H o ff, J. A. H ar t man n , E .C . Re itz,
J. P. B ec k, G.C. Ch el i u s, , J. A. Sc h rau b, H.A. C ra me r
G.C. H ab er ko r n Regi er u n gs - u n d Fo r s t S e cre ta rius
O b er fö r s t er J. J. H ab er ko r n / F.W. H ab er ko r n / J.C. Ro t h / J. S chuhl
Rei t en d e Fö r s t er J. H . Wal t h er / J. L . Ni el s / G.C. H a be rkorn /
J. A. H u b er / C. Sc hwab / J. P. Rei t z / F. E.C. Ha be rkorn
J. P. St rec ker Regi er u n gs - u n d Fo r s t Se cre ta rius
G alerie N eus e Kuns thandel G mb H , Ac him N eus e Vo lker Wurster
Co ntres c arp e 1 4 , 2 8 2 03 Bremen, Tel. : 042 1 3 2 56 42 , w w w. galerieneuse .com
„Das ist eben das Unterscheidende der Monarchie,
daß sie auf den Glauben an einen höhergeborenen
Menschen, auf der freiwilligen Annahme eines Ideal­
menschen, beruht“, schrieb der junge Novalis 1798 im
Überschwang der beginnenden Romantik und brachte
damit die Grundlagen für die Faszination des König­
tums auf den Punkt. Auch wenn wir es heute besser
wissen und historische Wissenschaft und Presseöffent­
lichkeit, Revolutionen und Diktaturen erheblich am –
nicht immer „freiwilligen“ – Konstrukt des „idealen
Menschen“ kratzen, so lebt diese Idee doch auf mannig­
fache Weise fort.
Gefilde dieser Wunschträume und Projektionen
sind die Schlösser, die wie kaum ein anderer Bautyp
die Fantasie ihrer Besucher beflügeln oder gelegentlich
beunruhigen, wie die bewegten Debatten um Abriss
und Wiederaufbau so manchen deutschen Stadt­
schlosses zeigt. Von Schleswig-Holstein bis Bayern ist
unser Land, das aus bald 40 souveränen Fürstentümern und freien Städten bestand, ein vielfältiges
Schlösser­land. Was einstmals nur der höfischen Gesell­
schaft und ausgewählten Besuchern vorbehalten war, ist
heute oft ein Publikumsmagnet: vergangene Kulturleis­
tung und jetziger Standortfaktor in einem (wenngleich,
immerhin, 2015 das Schloss Neuschwanstein als belieb­
testes Reiseziel in Deutschland von einem badischen
Vergnügungspark verdrängt worden ist, der „Europa“
im Namen trägt).
Hinter allem Glanz aber erzählen Schlösser auch
eine andere Geschichte. Denn wie Sie in der Frühlings­
ausgabe von Arsprototo lesen können, berichten
Deutschlands Paläste immer auch von Aufstieg und
ARSPROTOTO 1 2016
Niedergang, Geschmackswandel und Neubetrachtung
– eingebettet in geschichtliche wie ideologische Zusam­
menhänge und bis heute als große finanzielle, juristi­
sche und ethische Herausforderung erlebt. So sind
Schlösser Brenngläser der Wechselfälle des 19. und
20. Jahrhunderts, wovon das Schicksal ihrer Bauten
und Sammlungen in Ostdeutschland nach 1945 nur
ein Kapitel von vielen ist, das uns bis heute beschäftigt.
Um so mehr freuen wir uns, dass es nun, nach jahre­
langen Verhandlungen, gelungen ist, einen Großteil
des historischen Inventars aus dem Eigentum der
ehemaligen Herzogsfamilie zu Mecklenburg für das
gleichnamige Land zu sichern. Was das insbesondere
für Schloss Ludwigslust bedeutet, davon berichtet
Ihnen unser Autor Michael Zajonz ab Seite 28.
Mir bleibt, Ihnen einen schönen Frühlingsanfang
zu wünschen und Ihnen ab Seite 50 unser Porträt des
Sammlers und Museumsstifters Johann Friedrich Städel
zu empfehlen, mit welchem wir das Land Hessen
würdigen möchten, dem diese Ausgabe von Arsprototo
gewidmet ist. Das Bürgertum, nicht die Krone, steht
hinter vielen großen Museumsgründungen. Erinnern
wir uns daran, dass dieses Engagement heute noch
genauso wichtig ist wie vor 200 Jahren.
Ihre
Schloss Rheinsberg: Blick durch die
Lange Kammer ins Schreibkabinett im
1. Obergeschoss
3
AUTOREN
SAMUEL WITTWER
Schlossherr Samuel Wittwer begibt sich für
Arsprototo auf einen Streifzug durch die
Räume und Säle seiner berühmtesten Liegen­
schaften in Schloss Sanssouci, dem Potsdamer
Neuen Palais und in Schloss Charlottenburg.
Originale Einrichtung der Fürsten oder
Mosaik der Jahrhunderte? Diese Kardinal­
frage an die Ausstattung der königlichen
Gemächer beantwortet der Direktor bei der
Stiftung Preußische Schlösser und Gärten
Berlin-Brandenburg durchaus unterschied­
lich: Je nach Vorgeschichte ergeben sich
andere, bisweilen sogar kreative Ansätze. Wo
einst Höflinge, Kammerzofen und Kaiser die
große Bühne betraten, kümmern sich nun
Kastellane und Konservatoren um den Prunk
vergangener Reiche. Fragen der Gestaltung
dieser Räume sind ein ständiges Thema für
Samuel Wittwer: Die historischen und
ästhetischen Bedingungen heutiger Muse­
umsschlösser untersucht denn auch gerade
ein von ihm mit-initiiertes Forschungs­projekt
zur Geschichte der staatlichen Schlösserver­
waltungen Deutschlands im 20. Jahrhundert.
––– Seite 20
BODO VON DEWITZ
Das Thema seiner Doktorarbeit fand Bodo
von Dewitz buchstäblich auf der Straße,
indem er Postkartenfotos aus dem Ersten
Weltkrieg sammelte und daraus die Kriegs­
erinnerungen und Erfahrungswerte der
Soldaten analysierte, parallel zu einem ersten
Ausstellungsprojekt über die fotografierende
Heimatfront. Mit dem Sammeln hörte der
Kunsthistoriker und langjährige Leiter der
4
IMPRESSUM
Fotografischen Sammlungen im Museum
Ludwig Köln nicht mehr auf: Spektakulär
gelang 2005 der Ankauf der kostbaren
Agfa-Photo Sammlung mit 11.000 Foto­
grafien für Köln. Aber auch den Ankauf der
historischen Bildersammlung von Robert
Lebeck ebenso wie die Erwerbung der
sowjetischen Fotografien von Daniella
Mrazkova verdankt Köln dem Sammeltrieb
Bodo von Dewitz’. Für Arsprototo breitet er
das Panorama einer einzigartigen Sammlung
von Fotografien des 19. Jahrhunderts aus:
Der Sammler Dietmar Siegert übergab seine
wertvolle Kollektion mit zahlreichen Inkuna­
beln der frühen Fotografie-Geschichte dem
Münchner Stadtmuseum. ––– Seite 40
GILBERT LUPFER THOMAS RUDERT Steuerschulden wurden konstruiert, private
Sammler enteignet, Devisen mit dem Verkauf
der Kunstwerke beschafft: Der Kunstraub in
der DDR ist ein noch weit­gehend im Dun­
keln liegendes Kapitel des untergegangenen
deutschen Staats. Die Provenienzforscher
Gilbert Lupfer und Thomas Rudert werfen in
ihrem Essay ein erstes Licht auf diese Enteig­
nungen, beleuchten aber auch die in der
Sowjetischen Besatzungszone organisierte
Zerschlagung von Großgrundbesitz sowie
die Eingliederung von geraubten Werken in
ostdeutsche Museen. Gemeinsam mit ihrem
Team sind die Wissenschaftler seit vielen
Jahren für die Provenienzforschung an den
Staatlichen Kunstsammlungen Dresden
verantwortlich. Gilbert Lupfer und Thomas
Rudert formulieren für Arsprototo An- und
Herausforderungen der Untersuchungen zu
DDR-Enteignungen, die zukünftig vom
Deutschen Zentrum Kulturgutverluste in
Magdeburg initiiert werden sollen.
––– Seite 60
Titelbild: Georg
David Matthieu,
Prinzessin Sophie
Friederike (Ausschnitt), 1776,
85 × 75 cm; Schloss
Ludwigslust
Arsprototo
Das Magazin der Kulturstiftung der Länder
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Herausgeberin Isabel Pfeiffer-Poensgen,
Generalsekretärin der Kulturstiftung der Länder
Projektleitung Dr. Stephanie Tasch
Chefredakteurin Carolin Hilker-Möll
Geschäftsführender Redakteur Johannes Fellmann
Redaktionelle Mitarbeit Jenny Berg,
Elisa Kaiser, Juliane Kummer
Senior Editor Dieter E. Beuermann
Consulting Editor Dr. Philipp Demandt
Konzeption und Gestaltung Stan Hema mit
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Vertriebsleitung, Abonnement, Internet
Johannes Fellmann
Anzeigen Jenny Berg, Telefon 030 - 89 36 35-21
Dr. Ursula Boekels (Zeit Kunstverlag),
Telefon 040 - 3280-1633
INHALT
3
EDITORIAL
TITELTHEMA IM SCHLOSS
4
AUTOREN / IMPRESSUM
8
P ASTOR KOHL von Paul Klee
20
10
MECKLENBURGISCHER
PLANSCHATZ DES 18. JAHRHUNDERTS
Abonnements Arsprototo – Abonnementservice,
Bessemerstraße 51, 12103 Berlin
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Jahresabonnement: 20 Euro
Erscheinungsweise Viermal jährlich
Erscheinungstermin dieser Ausgabe: 10.3.2016
Gedruckte Auflage dieser Ausgabe: 15.000
Nachdruck von Bildern und Artikeln, auch
auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung
der Redaktion.
Litho Mega-Satz-Service, Berlin
Herstellung Buch- und Offsetdruckerei
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Vertrieb OML KG , Berlin
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Arsprototo erscheint mit Unterstützung des
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Generalsekretärin Isabel Pfeiffer-Poensgen
Stellv. Generalsekretär Prof. Dr. Frank Druffner
Dezernenten Dr. Britta Kaiser-Schuster;
Dr. Stephanie Tasch
Leiterin der Verwaltung Erika Lancelle
Finanzbuchhalterin Angela Neumann-Bauermeister
Sekretariat Gabriele Lorenz, Monika Michalak
Assistentin des Vorstands Jenny Berg
TRAUMFABRIK
MIT BILDUNGS­
AUFTRAG Schlösser der Republik zwischen Umnutzung,
Rekonstruktion und methodischer Aus­
stattung — von Samuel Wittwer
WARTEN AUF
SCHWERIN 28
12NACHLASS von Marianne Hoppe
14VORLASS von Volker Braun
15
HIERONYMUS IM GEHÄUSE
aus der Schule des Joos van Cleve
16
T RINKSCHIFF von Hans Ludwig Kienlin d. Ä.
Mit dem Ankauf der Sammlung Herzogliches
Haus Mecklenburg-Schwerin konnte 25 Jahre
nach der deutschen Wiedervereinigung ein
langwieriger Restitutionsfall abgeschlossen
werden — von Michael Zajonz
Informationsgemeinschaft zur Feststellung
der Verbreitung von Werbeträgern e.V.
ARSPROTOTO 1 2016
5
INHALT
38
VERKALKTER KOLOSS LÄNDERPORTRÄT HESSEN
elfen Sie mit: Für den Herakles-Brunnen
H
des barocken Gartens bittet das hessische Schloss
Weilburg um Ihre Unterstützung
50
„ZUM BESTEN
HIESIGER STADT UND
BÜRGERSCHAFT“ KÜNSTLER, BÜRGER, KÖNIGE
40
Die einzigartige Deutschland-Sammlung
von Dietmar Siegert mit Fotografien des
19. Jahrhunderts gelangt ins Münchner
Stadtmuseum — von Bodo von Dewitz
Vorbildliche
Kunstförderung
2015
günther uecker
„Uecker“, K20, düsseldorf
otto Piene
„Licht“, LWL-Museum für Kunst und Kultur, Münster
heinz Mack
„Apollo in meinem Atelier“, MKM Museum Küppersmühle, duisburg
2016
thomas struth
Die Sammlung Johann Friedrich Städel in
Frankfurt am Main — von Uta Baier
46
PORTALE INS JENSEITS Der Freundeskreis der Kulturstiftung der Länder
unterstützte die Restaurierung eines klazome­
nischen Sarkophags in Leipzig
48
NEUE BÜCHER
49
SPENDEN / ABONNIEREN / BILDNACHWEIS
56
KUNST UND KULTUR IN DEN LÄNDERN
60
S CHLOSSBERGUNG, REPUBLIK­
FLUCHT, KUNST GEGEN DEVISEN –
PROVENIENZ­FORSCHUNG IN OSTDEUTSCHEN MUSEEN „Nature & Politics“, 04.03. – 29.05.2016, Museum Folkwang, essen
Johannes brus
„Probe zu: Tanzen für Brâncuși“, 17.03. – 16.05.2016, Lehmbruck Museum
und „Einerlei wo außerhalb der Welt“, Museum DKM, duisburg
tony cragg
„Retrospektive“, 19.04. – 14.08.2016, Von der Heydt-Museum, WuPPertal
— von Gilbert Lupfer und Thomas Rudert
64
NACHRICHTEN
65
E INE DYNASTIE PRÄGT EUROPA Thüringens Landesausstellung widmet sich dem
mächtigen Fürstenhaus der Ernestiner
66
S CHÖN IM DEPOT Alexander Klar über Fritz Erlers Gemälde
„Soldaten“ im Museum Wiesbaden
richard deacon
„Drawings 1968 – 2016“, 26.08. – 13.11.2016, Museum Folkwang, essen
Ausgezeichnet mit der „Nadel der Medici 2014“
national-bank.de
6
ERWERBUNGEN
PUNKTEN MIT KLEE
In wenigen schwungvollen Linien entwarf Paul
Klee (1879 –1940) die Physiognomie eines
Geistlichen mit Kragen und Hut und knüpfte
mit seiner überzeichneten Porträtdarstellung
an die ironischen, karikaturhaften Arbeiten
seines Frühwerks an. Indem er „Pastor Kohl“
aus einem rechteckigen, leicht verzogenen
Raster kleinster Farbfelder zusammensetzte,
ließ Klee die Farb­struktur vibrieren. Durch
Tiefe und Transparenz entfaltet sich ein leben­
diger Bildraum, aus dem sich der Pfarrer zu
lösen und beinahe zu schweben scheint.
Nannte Klee selbst seine Malweise „pointillie­
ren“, waren es doch weniger die Einflüsse der
französischen Maler des Pointillismus, sondern
mehr die kurz zuvor besuchten byzantinischen
Mosaiken von Ravenna, die ihn inspirierten:
Klee erprobte die Zusammenklänge der
Farben, ihre Wirkung und Kontraste. Ohne
Farbverlauf grenzte er in „Pastor Kohl“ die
Farben sorgsam gegeneinander ab, legte sie in
winzigen Formen mosaikengleich neu aus.
Von den Nationalsozialisten aus seinem Amt
als Professor der Düsseldorfer Kunstakademie
vertrieben und als „entarteter“ Künstler ge­
brandmarkt, verließ Klee Ende des Jahres 1933
Deutschland in Richtung Schweiz; ab 1937
wurden seine Arbeiten aus den Museen ent­
fernt. Klees 1932 entstandenes Pastorenbildnis
verblieb auch während des Exils und nach dem
Tod des Künstlers 1940 im Besitz der Familie
Klee. Die Bayerischen Staatsgemäldesamm­
lungen erwarben mit „Pastor Kohl“ aus dem
Nachlass des Künstlers ein wertvolles Haupt­
werk, das in der Pinakothek der Moderne
München auf gute Gesellschaft trifft: Die
erlesene Sammlung der Klassischen Moderne
zählt bereits über 20 Arbeiten des Malers.
Paul Klee, Pastor Kohl, 1932, 50 × 65 cm;
Pinakothek der Moderne, München
Förderer dieser Erwerbung:
Kulturstiftung der Länder, Ernst von Siemens
Kunststiftung, PIN. Freunde der Pinakothek
der Moderne e.V.
8
KUNST AUF LAGER
SCHWERINER
SCHATZ
Prominenz statt Provinz: Der zufällige
Fund eines einzigartigen Plankonvoluts bewertet die höfische Architektur
Mecklenburg-Vorpommerns neu. Fast
200 Jahre war der sogenannte Mecklenburgische Planschatz unangetastet
geblieben. Bei Recherchen zur Baugeschichte von Schloss Ludwigslust im
Landeshauptarchiv Schwerin entdeckte die zuständige Kunsthistori­
kerin 2011 auf der Rückseite eines
Dokuments den entscheidenden
Verweis. So konnte ein wertvoller
Schatz gehoben werden, der all die
Jahre unentdeckt in einer Kiste in der
Landesbibliothek Mecklenburg-Vorpommern „Günther Uecker“ lagerte:
Rund 600 unerforschte Architekturpläne des 18. Jahrhunderts aus der
herzoglichen Plankammer – darunter
Skizzen des Ludwigsluster Schlosses,
die als verschollen galten. Die Blätter
umfassen Zeichnungen geplanter und
realisierter Hofbauten, Entwürfe für
Garten­anlagen, Ländereien und
Kirchen sowie Gouachen, Kupfer­
stiche und Lithografien schönster
Schlossfassaden. Die fortlaufende
wissenschaftliche Aufarbeitung des
Fundes verdeutlicht, dass das mecklenburgische Bauwesen zu Unrecht
unterschätzt wird: Im Konvolut
enthalten sind Blätter von bedeutenden französischen Architekten wie
Jean Laurent Legeay (1710 –1786)
und Jean de Bodt (1670 –1745), die
den Bauherren Mecklenburg-Vorpommerns offensichtlich als Inspiration
dienten. Der Planschatz setzt die
Architektur des Gebietes in prominenten Bezug, offenbart die ambi­
tionierte Planung und Ausrichtung an
internationalen Baukunstzentren wie
Paris, Rom oder Wien. Im Rahmen
des Bündnisses „Kunst auf Lager“
fördert die Kulturstiftung der Länder
nun die Restaurierung bedeutender
Blätter aus dem Schweriner Museum,
die im Zusammenhang mit dem
Planschatz stehen – darunter seltene
und unikale Blätter. Die Erhaltung
von 163 beschädigten Werken er­
möglicht die für 2018 geplante
Aus­stellung des Planschatzes, die
schließlich jedweden Verdacht des
Provinziellen im mecklenburgischen
Bau­wesen verfliegen lassen dürfte.
Planausschnitt für Gartenanlagen
und ein Lustschloss, 26,5 × 42 cm;
Staatliches Museum Schwerin
10
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ERWERBUNGEN
AUGEN-BLICKE
DES THEATERS
Eine Schauspielerin auf dem Gipfel ihres Erfolgs:
Die Fotografie von Heinz Köster zeigt Marianne
Hoppe (1909 – 2002) an der Seite von Gustaf
Gründgens (1899 –1963) Anfang der 50er Jahre
in der Inszenierung von T. S. Eliots „Die Cocktail
Party“ in Düsseldorf. Kraftvoll und distanziert,
zerbrechlich und differenziert spielte sie in ihrer
über 70-jährigen Karriere am Theater, begeisterte
ihr Publikum aber auch im Film. Hoppe, die bereits
1927 ein Engagement am Deutschen Theater in
Berlin erhielt, erlebte die Theaterarbeit der Weima­
rer Republik, im Dritten Reich sowie in der Nach­
kriegszeit. Von Max Reinhardt und Gustaf Gründ­
gens, mit dem sie von 1936 bis 1946 verheiratet
war, über Heiner Müller bis hin zu Robert Wilson
reicht die Riege der Regisseure, mit denen sie zu­
sammengearbeitet hat. Ihr überaus reicher, theatersowie zeitgeschichtlich gewichtiger Nachlass, den
das Deutsche Theatermuseum jetzt erwerben
konnte, macht die große Kunstleistung der Schau­
spielerin Marianne Hoppe in unterschiedlichsten
Zeugnissen ihrer beruflichen wie privaten Vergan­
genheit greifbar. Den schönsten Rückblick auf das
Gelebte und Geleistete erlaubt der lückenlos erhal­
tene fotografische Nachlass. Die über 1.500 Auf­
nahmen bewahren eindrucksvolle Augenblicke der
überaus wandelbaren Mimin. Hoppes Nachlass hält
mit geradezu virtuos geschriebenen Tagebüchern
sowie Notizen ihre persönliche Weltanschauung
facettenreich fest. Handschriftlich bearbeitete
Rollen­manuskripte spiegeln ihren künstlerischen
Duktus ebenso wie die zahlreichen Briefe, die
Hoppe von prominenten Kollegen der Theaterwelt
empfing. Das Deutsche Theatermuseum verfügt
nun über einen umfassenden Quellenfundus zur
Film- und Theatergeschichte des vergangenen
Jahrhunderts, der das lebhafte Bild einer der großen
Schauspielerinnen ihrer Zeit bewahrt.
Tagebücher von Marianne Hoppe aus der Zeit ihrer
Ausbildung an einer Handelsschule in Weimar
1926 /27 (unten) sowie aus der Zeit nach Kriegsende
1945 /46; Deutsches Theatermuseum München
Förderer dieser Erwerbung:
Kulturstiftung der Länder, Freistaat Bayern,
Deutsche Forschungsgemeinschaft
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13
ERWERBUNGEN
KUNST AUF LAGER
DER VERGÄNG­
LICHKEIT ENTGANGEN
Vorausschauender
Rückblick
Nur gegen erhebliche Widerstände der
DDR-Zensur gelangte sein Werk „Großer
Frieden“ 1979 auf die Bühne, Gedichte wie
„Das Eigentum“ (1990) entfachten zur und
nach der Wende heftige Debatten, sein
Stück „Iphigenie in Freiheit“ (1992) wurde
als „höhnisches Pamphlet auf das vereinte
Deutschland“ betitelt (Die Zeit): Immer
wieder stellte der 1939 in Dresden geborene
Schriftsteller Volker Braun etablierte Verhält­
nisse in Frage und entwickelte sich so schon
früh auch für das internationale intellektuelle
Publikum zu einer festen gesellschaftskriti­
schen Instanz und Größe. Heute gehört der
Lyriker, Dramatiker, Prosaautor und Essayist
zu den künstlerischen Schlüsselfiguren des
literarischen Lebens in der DDR; seine
Arbeiten gelten als Spiegel der historischsozialen Entwicklungen jener Zeit.
Mit Unterstützung der Kulturstiftung der
Länder konnte die Akademie der Künste in
Berlin nun das vollständige Archiv des GeorgBüchner-Preisträgers erwerben. Die rund 150
Kästen aus den Jahren 1960 bis 2014 enthal­
14
ten neben Tage- und Arbeitsbüchern, Ent­
würfen, Druckbelegen, Kritiken und Thea­
terplakaten die ca. 20.000 Blatt umfassende
Korrespondenz mit einem breiten Spektrum
bedeutender Namen aus Literatur und
bildender Kunst. In seinem sorgfältig ange­
legten Vorlass dokumentiert Braun, der von
2006 bis 2010 als Direktor der Sektion
Literatur an der Akademie der Künste tätig
war, die zahlreichen Entstehungsstufen seiner
berühmten Werke mit einer Fülle von kom­
mentierten Unterlagen, Zeitungsausschnitten
und Fotos. Doch auch die Bibliothek des
Autors mit Widmungs­exemplaren und
annotierten Büchern ebenso wie rund 50
Notizbücher mit Gedicht­entwürfen, unver­
öffentlichten Texten und Notaten werden die
Forschung zu Werk und Wirken des Schrift­
stellers, aber auch zum literarischen Leben in
Deutschland bereichern.
Förderer dieser Erwerbung:
Kulturstiftung der Länder, Deutsche
Forschungsgemeinschaft
Hieronymus' knorriger Zeigefinger, entschlossen auf den Totenschädel vor ihm
deutend, lässt keinen Zweifel an der Mahnung des Alten: Bedenke, dass du sterben
musst! Eine Mahnung, die im Gemälde
„Hieronymus im Gehäuse“ aus der Schule
des Joos van Cleve (1485 –1541) in Gestalt
verschiedener Vergänglichkeitssymbole
widerhallt und das gesamte Studierzimmer
erfüllt. Nebst Sinnbildern der stetig verrinnenden Zeit – wie die erloschene Kerze und
die prächtige goldene Wanduhr – vergegenwärtigt ein konkretes Memento Mori die
düstere Conditio des Seins: Das Schriftstück, an die Rückwand des Zimmers
geheftet, erinnert sinngemäß daran, dass
das Wissen um die eigene Endlichkeit ein
sündenfreies Leben birgt. Das Zitat entspringt der sogenannten Vulgata, Hieronymus' eigener Übersetzung der Bibel aus dem
Gelehrtenlatein in ein volksnahes Latein.
Versunken in Kontemplation, sitzt der
Heilige vor einem offenen Buch, das eben
jene Bibelübersetzung enthält. Zusammen
mit dem breitkrempigen, scharlachroten
Kardinalshut weist sie den studierten
Hieronymus als einen der vier westlichen
Kirchenväter aus.
Das auf die Zeit um 1510 datierte Tafelbild
– eine von 13 Variationen desselben Bild­
themas – zitiert in der Verwendung der
Attribute die für die Renaissance typische
Bild­tradition um den Heiligen. Inspirieren
ließ sich Joos van Cleve, der „Leonardo des
Nordens“, von Albrecht Dürers ikonischen
Darstellungen des Hieronymus. Trotz der
hohen Relevanz für die Sammlung des
Kurhaus Kleve konnte das Museum das
Gemälde bisher nicht präsentieren: Der im
Bild so prominent thematisierten Vergänglichkeit war das Werk im Laufe der Zeit
selbst unterlegen. Abgeplatzte Malschichten
und Holzwurmbefall hatten dem Motiv
zugesetzt, ein Ausstellen schien unmöglich.
Dank des Bündnisses „Kunst auf Lager“
konnte mit Hilfe der Kulturstiftung der
Länder der „Hieronymus im Gehäuse“
restauriert werden. Von den Zeichen der
Zeit befreit, wird das Bild fester Bestandteil
der Sammlungsschau und mahnt dort
nunmehr lediglich metaphorisch die Endlichkeit des Seins an.
Aus der Schule des Joos van Cleve, Heiliger
Hieronymus im Gehäuse, um 1510,
38,4 × 29 cm; Museum Kurhaus Kleve
ERWERBUNGEN
EIN SCHIFF WIRD
BLEIBEN
Dekorativer Tafelschmuck und Spielerei für
gesellige Runden zugleich, unterhielt das auf
1650 datierte Trinkschiff aus ziseliertem,
größtenteils vergoldetem Silber als exquisites
Kuriosum große Tischgesellschaften: Beim
Festmahl füllte man den mit Rädern versehenen Rumpf mit Wein und rollte das Schiffchen
zur allgemeinen Erheiterung über den Tisch;
derjenige Gast, vor dem das Gefährt stehenblieb, musste es in einem Zug durch das am
Bug angebrachte Rohr leeren. Seit fast 80
Jahren gehört das Trinkschiff zum Sammlungsbestand des Ulmer Museums, wo es die Kunstfertigkeit seines Schöpfers, des Ulmer Silberschmiedemeisters Hans Ludwig Kienlin d. Ä.
(1591–1653), dokumentiert. Das Jahr 1937,
in dem das Werk ins Ulmer Museum gelangte,
verweist jedoch auf die tragischen Hintergründe des Ankaufs: Das Trinkschiff war Teil
der Kunstsammlung des in Hamburg ansässigen jüdischen Ehepaars Budge. 1937 wurden
die rund 2.000 Objekte an den Erben vorbei
durch den Kunstauktionator Hans W. Lange in
Berlin versteigert. Das Trinkschiff erstand der
damalige Ulmer Kulturbeauftragte Carl Kraus
für das Ulmer Museum. Auf der Basis der
Washingtoner Erklärung von 1998 entschied
sich das Ulmer Museum nun zur Rückgabe des
Trinkschiffs an die Erbengemeinschaft nach
Emma Budge, mit der auch eine Einigung über den Ankauf des Werkes
erzielt werden konnte. Das
kostbare Trinkschiff, das die
rare Gattung der
Scherzgefäße aus
Ulmer Produktion aufs Schönste
illustriert, bleibt
somit der Sammlung des Ulmer
Museums erhalten.
Hans Ludwig Kienlin
d. Ä., Trinkgefäß
in Form eines Schiffes,
um 1650, Silber, teilweise
vergoldet, 20,5 × 18 × 7 cm;
Ulmer Museum
Förderer dieser Erwerbung: Kulturstiftung der Länder, Ernst von
Siemens Kunststiftung,
Stadt Ulm
16
KUNSTVOLL
FÖRDERT KULTURELLE BILDUNG
IN FRANKFURT RHEINMAIN
Kulturelle Bildung für alle! Es gibt viele Wege zu diesem Ziel. Für den Kulturfonds
Frankfurt RheinMain führt der wichtigste über die Schule. Daher bringt der Kulturfonds mit seinem Jugendprogramm KUNSTVOLL seit dem Schuljahr 2013/2014 die
Kunst buchstäblich in die Schule. In enger gemeinsamer Arbeit gestalten Schüler
und Künstler aus Frankfurt RheinMain über Monate ein Projekt und präsentieren
es der Öffentlichkeit. Auf diese Weise leistet der Kulturfonds seinen Beitrag, an den
Schulen der Region Zugänge zu herausragender kultureller Bildung zu schaffen.
BEWERBUNGSSCHLUSS FÜR DAS SCHULJAHR 2016/2017
IST DER 11. MAI 2016
INFORMATION, BERATUNG UND BEWERBUNGSADRESSE
Gemeinnützige Kulturfonds Frankfurt RheinMain GmbH
z. H. Claudia Oberschäfer
Ludwig-Erhard-Anlage 1–5 · 61352 Bad Homburg v. d. Höhe
Tel 06172.999.4695 · [email protected]
www.kulturfonds-frm.de/kunstvoll
In einem Europa der Regionen wollen wir die starke Position
von Frankfurt RheinMain festigen und weithin sichtbar machen.
Mit diesem Ziel führen wir die kulturellen Aktivitäten unserer
Region enger zusammen und fördern neue Kulturprojekte mit
nationaler und internationaler Ausstrahlung.
Getragen wird der gemeinnützige Fonds vom Land Hessen, von Frankfurt am Main,
dem Hochtaunuskreis und dem Main-Taunus-Kreis, Darmstadt, Wiesbaden und Hanau.
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Samuel Wittwer über
die Schlösser der Republik
zwischen Umnutzung,
Rekonstruktion und
methodischer Ausstattung — Seite 20
Michael Zajonz über
die Sammlung Herzogliches
Haus MecklenburgSchwerin in Schloss
Ludwigslust — Seite 28
TITELTHEMA IM SCHLOSS
VON SCHLOSSMUSEEN UND MUSEUMS­
SCHLÖSSERN
Wilhelm Barth, Ludwigslust, undatiert,
56 × 74,5 cm; Staatliches Museum Schwerin
18
ARSPROTOTO 1 2016
19
TITELTHEMA IM SCHLOSS
TRAUMFABRIK
MIT BILDUNGS­
AUFTRAG
Schlösser der Republik zwischen
Umnutzung, Rekonstruktion
und methodischer Ausstattung
von Samuel Wittwer
W
ir kommen nun in das Konzertzim­
mer des unteren Fürstenquartiers,
einen Raum, in dem sich die Gäste
des Königs zum Musikgenuss versam­
melten. Die großen Gemälde an der
Wand hatte einst Kaiserin Maria
Theresia verkauft, und Friedrich der
Große erwarb sie über einen Kaufmann, aber erst als
Folge einer kleinen Intrige, und das war so: …“
So oder ähnlich lernt der Besucher im Rahmen
seines Rundgangs durch das Neue Palais in Potsdam
einen wichtigen Raum des Erdgeschosses kennen und
erfährt Verschiedenes zu Künstlern, zur Ausstattung,
über Materialien und die Nutzung im 18. Jahrhundert
(Abb. rechts). Die Zeit ist stehengeblieben, wir tauchen
ein in die Geschichte, stehen mitten in einer „authenti­
zitätsschwangeren“ Atmosphäre und haben das Gefühl,
der König sei nur eben mal im Urlaub. Sind Schlösser
Zeitmaschinen? Ja und nein.
Wenn wir uns zunächst fragen, was denn heute ein
Anreiz für uns sein kann, auf die Bootsfahrt, den Kino­
besuch oder das Buch auf dem Sofa zu verzichten und
ein Schloss zu besuchen, so kommt man auf vier grund­
sätzliche Beweggründe: Schlösser sind „Geschichts-­
Rhetorik“, sie überzeugen kraft ihrer Aura des Ortes von
der Wahrheit der Geschichte, ihre Argumente sind
beispielsweise Interieurs und Ausstattungen. Zugleich
sind sie eine „Ästhetikschule“: Die Komposition ihrer
Räume und Gärten – wohl durchdacht und auf Wir­
kung hin konzipiert – kann Beiträge zur Geschmacks­
20
Potsdam, Neues Palais im Park
Sanssouci, Unteres Konzertzimmer,
Aufnahme von 2016
ARSPROTOTO 1 2016
21
bildung, zum Stilempfinden, zur Sensibilität in Mate­
rialfragen leisten und hilft mit, Qualität erkennen zu
können. Darüber hinaus sind Schlösser „Traumfabri­
ken“, denn als zeitliche und ästhetische Gegenwelten
erzählen sie von anderen Lebensformen, plaudern
bisweilen von Reichtum, Größe, Einfluss oder Schön­
heit und regen damit die Fantasie an. Wie beim Durch­
blättern eines Adelsmagazins steht man plötzlich mitten
drin. Und schließlich sind sie „a place to see“: Viele
Schlösser und ihre Interieurs sind Sehenswürdigkeiten
und Tourismusmagnete. Das obligatorische Foto vor
der Silhouette von Neuschwanstein, auf den Terrassen
von Sanssouci oder im Dresdner Zwinger gehört für
viele Reisende zum Nachweis des Besuchs einer be­
stimmten Region. Die vier Faktoren spielen ineinander,
doch eines ist ihnen gemein: Schlösser sind nicht ein­
fach nur Gegenstand, sondern sie sind anregende Projek­tionsflächen.
Diese Mechanismen funktionieren, weil die meis­
ten Schlösser von Anfang an für ein breites Publikum
gebaut wurden, von Höflingen, Bediensteten, Reisen­
den und Teilen der Bevölkerung zu allen Zeiten be­
trachtet werden sollten und konnten, um etwas über
den Besitzer zu erfahren. So neu ist es also nicht, dass
Gäste eine Erwartungshaltung haben, wenn sie aus
unbestimmter Neugier oder mit konkreter Absicht ein
Schloss besuchen. Heute begegnet man aber kaum
noch einem adligen Bewohner, in vielen Fällen gehören
sie der Öffentlichen Hand. Im Folgenden soll deshalb
mit einem Blick in die jüngere Geschichte skizziert
werden, was die staatlichen Schlösser heute über ihren
Eigentümer, die Republik, aussagen können.
Im Rahmen des zunehmenden Geschichtsinteresses
des 19. Jahrhunderts wurden Schlösser, oder zumindest
Teile davon, zunehmend musealisiert. Neben den
Wohn- und Verwaltungsbereichen des Hofes bildeten
sich Erinnerungsorte an Vorfahren oder Ereignisse
Potsdam, Schloss Sanssouci, die Bibliothek
Friedrichs des Großen, Aufnahme von 2012
22
heraus, die aus einzelnen Räumen (Bibliothek in Sans­
souci) oder ganzen Häusern (Schloss Pfaueninsel)
bestanden. Persönliches Erinnerungs- und Repräsen­
tationsbedürfnis der Fürsten und akademische Ge­
schichtswissenschaft gingen Hand in Hand. So waren es
unmittelbar vor der Revolution 1918 zum großen Teil
Bürger (Bedienstete des Hofes, Wissenschaftler), die das
Bild vom Schloss prägten bzw. vermittelten, womit hier
nicht die Künstler und Ausstatter gemeint sind, son­
dern beispielsweise Kastellane als Schlossführer oder
(Kunst-)Historiker als Zuständige für fürstliche Kunst­
sammlungen und Museumsbereiche. Es war aber kein
aktuelles Bild des Schlosses, das sie vertraten, sondern
ein historisierendes, indem sie Räume bzw. Schlösser
als Geschichtsmonumente darstellten und damit die
Bedeutung der Dynastie hervorhoben.
Die Novemberrevolution 1918 und die Abschaf­
fung der Monarchie schufen eine Situation, die inner­
halb Deutschlands seit der in Folge des Reichsdepu­
tationshauptschlusses 1803 erfolgten Säkularisation
kirchlicher Besitztümer nicht mehr gegeben war. Der
Staat sah sich jetzt mit der Aufgabe der Verwaltung
umfangreicher Immobilien konfrontiert. Schlösser,
teilweise in städtebaulicher Ideallage, boten sich für
zahlreiche verschiedene Nutzungsformen an, sei es für
Wohnungen, für die Aufnahme von Verwaltungs- oder
Bildungseinrichtungen, für die Musea­lisierung oder zur
Schaffung großflächiger, repräsentativer Versammlungs­
räume. Genau dies waren die Schlösser unter anderen
Vorzeichen auch schon vor 1918, so dass solche Nut­
zungen ohne allzu große bauliche Veränderungen zu
realisieren waren. Die Musea­lisierung wurde besonders
von jenen bürger­lichen Kreisen bevorzugt, die die
Schlösser schon vor 1918 als Orte der nationalen Ge­
schichte und der Kunst begriffen hatten. Für sie wirk­
ten besonders die Bindungen, die die Geschichts­
schreibung des 19. Jahrhunderts zwischen der breiten
Bevölkerung und historischen Mitgliedern der Hohen­
zollern geschaffen hatten, auch über die Revolution
hinweg und gaben deren Wirkungsstätten neue Bedeu­
tung. Anders ausgedrückt: Nur weil der Kaiser ins Exil
geschickt und die Demokratie eingeführt wurde, wur­
den Friedrich der Große und Königin Luise als dessen
Vorfahren nicht zu personae non gratae. Ganz im Ge­
genteil war die Aussicht, deren Lebensorte nun unein­
geschränkt besichtigen zu können, ein wesentliches
Motivationsmoment. An keiner Stelle in den preußi­
schen Schlössern wurde dagegen das Lebensumfeld
Kaiser Wilhelms II. und seiner Familie unmittelbar
zugänglich gemacht. Die Erhebung des Schlosses zum
Denkmal und Identifikationsort mit älterer Geschichte
vollzog sich gleichsam automatisch und prägte auch die
fachliche Diskussion, die die Vermögensauseinander­
setzung zwischen 1918 und 1926 begleitete. An mehre­
ren Denkmalpflegetagen zwischen 1919 und 1924
Potsdam, Neues Palais im Park Sanssouci,
Unteres Konzertzimmer, um 1900
wurde heftig darüber debattiert, ob die herausragends­
ten Kunst­werke in situ erhalten, oder aber in Museen
über­führt werden sollen. Die Diskussion tendierte
schließlich dahin, dass es um die Einheit von historisch
Gewachsenem gehe, das heißt nicht allein um Ästhetik,
sondern um ein authentisches, künstlerisches Vermächt­
nis. Nicht dem vormaligen Fürsten und seiner Familie
kam damit die zentrale Bedeutung zu, sondern der Gemeinschaftsleistung von Künstlern am Schloss. Dies
wiederum bedeutete aber, dass die Einrichtungen
ARSPROTOTO 1 2016
präzise historischen – und damit politisch unverfäng­
lichen – Zuständen entsprechen mussten, weshalb ein
großes Umräumen und Neueinrichten nach Inventaren
früherer Zeit begann. Für das Neue Palais hielt der
Kunsthistoriker Charles Foerster diesen Prozess im
Vorwort seines Schlossführers von 1923 fest: „Dieser
Führer […] verzeichnet […] die Ergebnisse einer kürz­
lich […] vorgenommenen Neuaufstellung der beweg­
lichen Ausstattung. Ihr Ziel war, nach Ausscheidung
des in neuerer Zeit [= Kaiserzeit] hinzugekommenen
23
Potsdam, Neues Palais im Park Sanssouci,
Unteres Konzertzimmer, Aufnahme von 1930
Mobiliars die Einrichtung nach Möglichkeit wieder so
herzustellen, wie sie zur Zeit des Erbauers gewesen und
durch Beschreibungen des 18. Jahrhunderts sowohl, wie
durch die älteren Inventarien belegt ist.“ (Abb. S. 23
und S. 24 o.) Die Aneignung der Schlösser durch den
neuen Souverän (das Volk) führte zu einem Ersetzen
des gewachsenen Zustands (d. h. der Lebenswelt des
letzten bewohnenden Eigentümers) durch ein neues,
methodisch konstruiertes Erscheinungsbild.
Damit entstand eine neue Museumskategorie, jene
des Museumsschlosses, das den gesamten Organismus
des Gebäudes in bestimmten Zeitschichten vermittelt.
Im Gegensatz dazu wurden in einem Schloss unterge­
brachte Sammlungen ohne unmittelbar mit dem Ort
verbundene Struktur als Schlossmuseen bezeichnet –
Potsdam, Neues Palais im Park Sanssouci,
Unteres Konzertzimmer, Aufnahme von 1965
24
eine Kategorisierung, die heute sicherlich einer Revision
bedürfte.
Als 1949 die Bundesrepublik Deutschland und die
Deutsche Demokratische Republik gegründet wurden,
hatten sich diese Typen innerhalb der Museumsgattun­
gen etabliert. Die umfangreichen Kriegszerstörungen
an Städten und Kulturdenkmälern schärften den Blick
auf Vorhandenes, führten zu teilweise weitreichenden
Neuplanungen und forderten eine inhaltliche Ausein­
andersetzung mit den mit dem Schloss verbundenen
Werten, sei es vor dem Hintergrund der Diskussion um
Wiederaufbau oder – im Osten Deutschlands – vor
demjenigen politischer Ideologie. Denn hier stellte sich
eine Situation ein, die wieder sehr an 1918 erinnert:
Erneut ging es dem Staat, nun der DDR, nicht zuletzt
auch um materielle Werte, deren Aneignung im Rah­
men der Bodenreform durch das sozialistische Gesell­
schaftssystem legitimiert wurde. Allerdings konnte es
unter dieser Voraussetzung kein Ziel sein, die mit den
zuvor privaten Schlössern und Gutshäusern verbundene
Lebenskultur zu erhalten oder gar zu zeigen. Nur in
seltensten Fällen wurden diese Schlösser in ähnlicher
Weise auf historische Formen zurückgeführt und muse­
alisiert, wie dies die Weimarer Republik mit zahlreichen
Häusern der zuvor regierenden Fürsten getan hatte. Im
Vordergrund stand nun vielmehr eine öffentliche Nut­
zung nach praktischen Gesichtspunkten und für mög­
lichst soziale Zwecke: Die Umwandlung der meist
großen, aber nur bedingt geeigneten Häuser in Bil­
dungsstätten, Altenheime, Militäreinrichtungen und
Krankenhäuser öffnete die Schlösser den Bauern, Arbei­
tern und Soldaten und sorgte für einen großen, einfach
verständlichen Kontrast. Für die neue Gesellschaft
durfte die sich in den Schlössern spiegelnde Geschichte
eines adligen Wertesystems, das in Folge der Revolution
1918 von Bürgern musealisiert wurde, nur noch punk­
tuell fortgeschrieben werden und zwar in erster Linie in
denjenigen Häusern, die schon vor dem Krieg museal
betrieben waren. Obwohl im Osten und im Westen
gleichermaßen der Abriss der Ruinen beschädigter
Residenzen diskutiert wurde, so wurden darüber hinaus
gerade im Osten die Stadtschlösser geopfert, ihre Nutz­
losigkeit von der Regierung betont und an ihnen ideo­
logische Exempel statuiert.
Aber auch aus anderen Gründen veränderte sich
die Situation für die Interieurs in den nach dem Krieg
museal weiter betriebenen Schlössern: Im Osten wie im
Westen fehlten wesentliche Teile der Ausstattung, sei es
als Folge von Zerstörungen, Plünderung oder durch die
organisierten Abtransporte von Großteilen der Ausstat­
tung durch die sowjetischen Trophäen­kommissionen.
Im Neuen Palais waren damit beispiels­weise die um
1923 erfolgten Bemühungen um ein möglichst authen­
tisches, friderizianisches Erscheinungsbild zunichte
gemacht. Auch die großen Mengen an Kunstwerken
und Mobiliar, die als Folge der Bodenreform in soge­
nannten Schlossbergungen aus verstaatlichten Gutshäu­
sern und Schlössern abtransportiert und teilweise auf
Museen verteilt wurden (siehe dazu auch den Essay ab
Seite 60 in diesem Heft), halfen den Museumsschlös­
sern nicht viel weiter. Die Qualität dieser jahrhunderte­
lang in privaten Familien vererbten Stücke entsprach so
gut wie nie der Qualität, die Ersatzstücke für verlorenes
ehemals fürstliches Inventar haben mussten. In beiden
deutschen Hälften führte die Wiederherstellung der
Museumsschlösser mit erhaltenen Originalstücken,
Werken aus vernichteten oder umgenutzten Schlössern
und reinen Ersatzstücken zu ähnlichen Lösungen (Abb.
S. 24 u.). In sehr vielen Fällen wurden Appartements
nach ästhetischen, kunsthistorischen und didaktischen
Kriterien eingerichtet. Verweise, konstruierte Zusam­
menhänge und manchmal auch Zufälligkeiten domi­
nierten die bisweilen sehr akademischen und auf die
Vermittlung konzentrierten Kompositionen, die anders
als in den Museen ganze Räume oder sogar Gebäude­
teile umfassten. Ein gutes Beispiel ist die sogenannte
Grüne Vorkammer im Barockappartement von Schloss
Berlin, Schloss Charlottenburg,
Grüne Vorkammer, Aufnahme von 2016
ARSPROTOTO 1 2016
25
Charlottenburg, wo die Türwandungen mit Boiserien
nach Inventaren der Zeit von Sophie Charlotte verklei­
det, kleine Wandbereiche mit gelber Seide wie zur Zeit
von Friedrich dem Großen ausgeschlagen und dazu
eine kostbare Tapisserienfolge aus dem zerstörten Pots­
damer Stadtschloss aufgehängt wurde, wobei sich in
diesem Raum nie eine solche Wandverkleidung befun­
den hatte (Abb. S. 25). Über die Kostbarkeit hinaus
diente die in den Teppichen dargestellte Geschichte von
Amor und Psyche aber in der Vermittlung dazu, darauf
hinzuweisen, dass die ursprünglichen Deckenbilder bis
zu ihrer Zerstörung 1943 Szenen derselben Erzählung
gezeigt hatten. Kurzum: Der Kunsthistoriker erforschte,
interpretierte, suchte nach Möglichkeiten, trotz der
kriegsbedingten Lücken dem Raum eine Aussage zu
geben und konstruierte schließlich bewusst einen
Zustand. Das daraus resultierende Interieur könnte
man als methodische Ausstattung bezeichnen.
Ist es denn nun ein „Makel“, dass wir es heute
überwiegend mit Kunsthistoriker-Schlössern zu tun
haben – was, wie wir sahen, in Ansätzen schon auf
das frühe 20. Jahrhundert zurückgeht? Und ist es eine
Zumutung, wenn dem Besucher – wie eingangs geschil­
dert – ein Raum als Konzertzimmer der Gästewohnung
Friedrichs des Großen vorgestellt wird, obwohl er in
der Kaiserzeit anders genutzt wurde und seit 1945 die
meisten Möbel fehlen bzw. sich eher gebastelte Ersatz­
stücke darin befinden? Sicherlich nicht. Die Darstel­
lung und Vermittlung von Geschichte ist immer eine
von vielen Faktoren beeinflusste Konstruktion, ein
Übersetzungsprozess. Und die Interieurs und Gärten
in Schlössern waren stets auf Effekt und Aussage hin
komponierte „Bilder“. Insofern sind Interieurs in
Schlössern heute noch genauso authentisch wie ein
Schloss Rheinsberg, Schlafkammer in der Wohnung des Prinzen
Heinrich, Zustand nach Umnutzung zu einer Reha-Klinik in der
DDR, Aufnahme von 1990
mehrfach restauriertes Altmeistergemälde im Museum.
Es wäre ebenso ein Fehler zu glauben, man befinde sich
mittels Zeitmaschine an einem unveränderten Ort, den
sein Erbauer genau so auch gesehen habe, wie anzuneh­
men, dass das Gemälde präzise den Eindruck wieder­
gebe, den es beim Verlassen des Ateliers des Künstlers
schon zeigte. In Schlössern geht es heute vielmehr
darum, die Mehrdimensionalität von Kunst, ihre Un­
trennbarkeit von Geschichte und Menschen zu thema­
tisieren. Und dies nicht nur in Bezug auf eine Zeit,
sondern auf den Zeitverlauf: So ist das Konzertzimmer
Schloss Rheinsberg, Schlafkammer in der Wohnung des Prinzen Heinrich, Aufnahme von 1924
26
Schloss Rheinsberg, Schlafkammer in der Wohnung
des Prinzen Heinrich, Aufnahme von 2009
noch heute ein perfektes Beispiel zur Vermittlung des
reifen friderizianischen Rokoko, es vermittelt mit der
Geschichte seiner Wandbilder einen Aspekt der Kunst­
politik Friedrichs des Großen und seiner Zeit, wogegen
die Heizungsgitter und die in die Boiserie geschnittene
Dienstbotentür die veränderte Nutzung im späten
19. Jahrhundert vor Augen führen, und schließlich die
offensichtlichen Leerstellen der derzeitigen Möblierung
vom traurigen Schicksal des Schlosses in der Nach­
kriegszeit zeugen (Abb. S. 21).
Alle diese Elemente tragen zu einer spezifischen
Atmosphäre bei, die je nach Erwartungshaltung dem
einen einleuchten, dem anderen zu nüchtern sein mag.
Eine Atmosphäre, die aber unmittelbar an den Genius
Loci gebunden und letztlich der Grund ist, weshalb
Schlösser besucht werden. Und indem die Schlösser
nach wie vor besucht, bestaunt und befragt werden,
erfüllen sie ungebrochen einen ursprünglichen Auftrag,
den sie neben Wohn- und Verwaltungszwecken stets
hatten, wenngleich sich der Besucherverkehr verändert:
Ging es nach der Revolution in erster Linie um die
Bewahrung und Verwaltung eines Teils des kulturellen
Erbes und um dessen bildungswirksame Öffnung, so
nahm im Laufe des Jahrhunderts das Reise- und Aus­
flugsvolumen breiter Bevölkerungsschichten und die
ARSPROTOTO 1 2016
damit verbundene ökonomische Abhängigkeit einzelner
Regionen in einem Maße zu, dass heute Aspekte wie
touristische Standortentwicklung in den Schlösserver­
waltungen eine mindestens so große Rolle wie Kultur­
pflege und Bildung spielen – vor allem in den neuen
Bundesländern. Aber nicht nur an Reisende richtet sich
die leichte Verschiebung des Schlösserauftrages. Über
die Unterstützung der Regionalentwicklung hinaus
schwingt stets auch mit, dass Schlösser aufgrund ihrer
Lage und oftmals schon allein als Folge ihrer Größe
Orientierungspunkte in der Umgebung sind, damit
etwas wie Zen­trumsqualität schaffen und schließlich
daraus abgeleitet zu mehr oder weniger bewussten
Identitätsmomenten für die ansässige Bevölkerung
werden. In einer Zeit, in der Mobilität wie ein Grund­
recht betrachtet wird, in der es zwischen Globalisierung
und Stärkung von Lokalkolorit immer wieder abzu­
wägen gilt, bilden die Schlösser eine wichtige Spange
zwischen außen und innen, fremd und ansässig, inter­
national und lokal, früher und heute. Die Republik
hat seit nahezu hundert Jahren ihre eigene, bewegte
Geschichte und muss sich nicht mehr im Verhältnis
zur vorgehenden Monarchie behaupten, ebenso haben
sich die Schlösser im 20. Jahrhundert eigenständig
entwickelt. 27
TITELTHEMA IM SCHLOSS
WARTEN
AUF
SCHWERIN
Mit dem Ankauf der Sammlung
Herzogliches Haus MecklenburgSchwerin konnte einer der
langwierigsten Restitutionsfälle seit
der deutschen Wiedervereinigung
abgeschlossen werden
von Michael Zajonz
M
it wachem, misstrauischem Blick fixiert
er sein Gegenüber, den Unterkiefer
trotzig vorgeschoben. In der rechten
Hand präsentiert der Herzogliche
Kammerdiener Johann Völler einen
Schlüssel, und es scheint noch nicht
ausgemacht, ob er ihn herausgeben
wird. Der mecklenburgische Hofmaler Georg David
Matthieu malte Völler sowie andere Angestellte und
Familienmitglieder der Herzogsfamilie von Mecklen­
burg-Schwerin vor rund 250 Jahren täuschend echt
als beinahe lebensgroße Aufstellbilder in Ölfarben auf
Holz. Eine Art Zimmertheater der Rokokozeit. Insge­
samt sieben Aufstellbilder Matthieus konnten nun
mit der Sammlung Herzogliches Haus MecklenburgSchwerin durch das Land Mecklenburg-Vorpommern
erworben werden. Der Herr der Schlüssel darf weiterhin
im Schloss Ludwigslust seinen Dienst tun, als stünde er
leibhaftig vor uns. Die Zeit scheint still zu stehen.
Mecklenburger Zeitgefühl ist sprichwörtlich.
Reichskanzler Otto von Bismarck soll gesagt haben:
„Wenn die Welt untergeht, gehe ich nach Mecklenburg.
28
Georg David Matthieu, Aufstellfigur des Kammerdieners
Johann Völler, 154 × 50 cm; Schloss Ludwigslust
Karl Friedrich Schinkel
(Entwurf ), Prunktisch, vor
1816/17; Schloss Ludwigslust. Geschenk von König
Friedrich Wilhelm III. zur
Hochzeit von Alexandrine
und Paul Friedrich von
Mecklenburg-Schwerin
ARSPROTOTO 1 2016
29
Dort passiert alles hundert Jahre später.“ Dem Dichter
Fritz Reuter wird ein ähnlicher Ausspruch zugeschrie­
ben; belegen lässt sich keines der beiden Zitate. Licht
ins Dunkel der Überlieferung brachte der Direktor des
Schweriner Stadtarchivs mit dem Hinweis, der älteste
Nachweis für eine vergleichbare Äußerung stamme aus
dem Jahr 1919. Damals erklärte der SPD-Abgeordnete
und Landesminister Franz Starosson vor dem Schwe­
riner Landtag: „Auch in Mecklenburg endlich wird die
Demokratie Herr sein, hier bei uns in einem Lande,
von dem man gesagt hat, dass alles 500 Jahre später
kommen will.“
Es war kein Weltuntergang, aber ein Epochen­
umbruch, den Starossons Zeitgenossen selbst im be­
schaulichen Mecklenburg-Schwerin zu spüren beka­
men. Das jähe Ende des „langen 19. Jahrhunderts“ in
den Revolutionsjahren um 1918, vor allem jedoch der
politisch-gesellschaftliche Umbruch nach 1945 haben
eigentumsrechtliche Fragen aufgeworfen, mit denen
sich nun – fast hundert Jahre nach dem Ende der Mo­
narchie – auch das Land Mecklenburg-Vor­pommern
und die Kulturstiftung der Länder auseinander­setzen
mussten. Konkret ging es dabei um die oben erwähnte
Sammlung, mithin um Fürstenkultur vom Feinsten,
die das intime Lebensumfeld und die private Erinne­
rungskultur einer privilegierten Familie und zugleich
das berechtigte kulturhistorische Bildungsinteresse einer
breiten Öffentlichkeit berührt.
Die Sammlung Herzogliches Haus MecklenburgSchwerin umfasst neben Georg David Matthieus
­Aufstellbildern etliche nicht nur landesgeschichtlich
bedeutsame Gemälde von ihm und anderen für den
Schweriner Hof tätigen Malern, dazu kostbare Möbel,
Skulpturen, Porzellane, aber auch Gebrauchsgegen­
stände wie Brieföffner und Musikinstrumente. Zusam­
mengefasst in 252 Inventarpositionen, werden die aus
dem privaten Besitz der Großherzöge von Mecklen­
burg-Schwerin überlieferten Stücke seit Jahrzehnten
museal erschlossen und ausgestellt. 1945 im Zuge der
Bodenreform mit dem Grundbesitz enteignet, seither
im Staatlichen Museum Schwerin / Ludwigslust /
Güstrow bewahrt, wurden die Kunstwerke 1997 (an­
ders als das Land) an die herzogliche Familie restituiert
und konnten 2014 – wenige Monate vor dem Ende
des gesetzlich befristeten Nießbrauchrechts – schließlich
dauerhaft für das Museum erworben werden. Dazu
kommen sechs weitere hochkarätige Stücke, von denen
sich die heute in Schleswig-Holstein lebende Familie
vorerst nicht trennen möchte. Zehn Jahre bleiben sie
als unentgeltliche Leihgaben in Schwerin, das Land
sicherte sich zudem ein zeitlich unbeschränktes Vorkaufsrecht.
Für den Erwerb eingesetzt wurden neben Mitteln
des Landes Mecklenburg-Vorpommern Fördermittel
der Kulturstiftung der Länder (KSL) sowie der Bundes­
30
Georg David Matthieu,
Aufstellfigur der Sophie
Friederike von Mecklenburg-Schwerin als Kind,
1766, 125 × 111 cm;
Schloss Ludwigslust
Rudolf Suhrlandt, Herzog Gustav von Mecklenburg,
1839, 96 × 74 cm; Schloss Ludwigslust
beauftragten für Kultur und Medien. Seit 2001 war die
KSL maßgeblich an den Verhandlungen zwischen dem
Land und der herzoglichen Familie beteiligt. Es war der
langwierigste Ankaufsvorgang, den die Stiftung bisher
betreut hat. Mit der erzielten Einigung gewinnen alle
Seiten: Familie, Museum, Öffentlichkeit. „Die Samm­
lung ist in ihrer Gesamtheit ein wichtiger Teil des
kulturellen Erbes und ein wichtiger Teil mecklenburgi­
scher Landesidentität“, erklärte im Juni 2014 Mecklen­
burgs Kulturminister Mathias Brodkorb anlässlich der
Vertragsunterzeichnung im Schweriner Schloss, mit
dem sich das Land für die Welterbeliste der UNESCO
bewirbt. „Heute erleben wir einen wichtigen Tag für
Mecklenburg, seine Kulturgüter und unsere Familie.
Ein großer Traum, der so oft zu platzen drohte, geht in
Erfüllung“, kommentierte Donata Herzogin zu Meck­
lenburg-von Solodkoff, eine Enkelin von Großherzog
Friedrich Franz IV. (1882 –1945), das glückliche
Ende der komplexen Verhandlungen.
Warten auf Schwerin: Dass die im Ent­
schädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz
von 1994 geregelte Rückgabe der ab 1945
in der Sowjetischen Besatzungszone
enteigneten mobilen Kunst- und Kultur­
güter aus Privatbesitz im Schweriner
Fall erst am Ende der vom Gesetz­
geber gewährten 20-jährigen
Schonfrist in einen Ankauf durch
das Land mündete, illustriert die historische Gemenge­
lage. Das Ende des Großherzogtums war 1918 keines­
wegs mit hundertjähriger Verspätung eingetreten. Am
14. November, fünf Tage nachdem Scheidemann und
Liebknecht in Berlin die deutsche Republik ausgerufen
hatten, erklärte Großherzog Friedrich Franz IV. von
Mecklenburg-Schwerin seinen Thronverzicht – und
lag damit im Mittelfeld der zwischen dem 8. und
30. November abdankenden deutschen Landesfürsten.
Keinesfalls verzichten wollte der Großherzog auf sein
umfangreiches Privateigentum – eine Rechtsauffassung,
die in den anschließenden Verhandlungen bestätigt
wurde. Recht zügig gelang bis zum Dezember 1919
die Eigentumsregelung mit dem bei Kriegsende nach
Dänemark geflüchteten Friedrich Franz, was umso
mehr erstaunt, weil die verfassungsrechtliche Stellung
des Landesherrn in Mecklenburg-Schwerin bis 1918
von vormodernen Vorstellungen geprägt gewesen war.
Beinahe alle deutschen Teilstaaten wie auch das
Deutsche Reich im Ganzen hatten sich im 19. Jahr­
hundert konstitutionelle Verfassungen gegeben, in
Mecklenburg-Schwerin hingegen galt noch immer
Ständerecht. Die Herzöge, seit 1815 Großherzöge,
waren vom ritterschaftsfähigen Landadel abhängig,
eine Separierung von Eigentumsrechten
zwischen Staat und Herzogsfamilie war nie
erfolgt. Das betraf auch die bereits im 18.
Jahrhundert von ausländischen Reisenden
gerühmten Kunstsammlungen der Herzöge,
etwa die Sammlung niederländischer und flämischer
Malerei, für die 1882 in Schwerin eigens ein Galerie­
gebäude am Alten Garten eröffnet wurde – bis heute
der Hauptstandort des Staatlichen Museums.
Walter Josephi, der als Direktor dieses Großherzog­
lichen und ab 1919 Staatlichen Museums wesentlich
zur Einigung zwischen dem Freistaat MecklenburgSchwerin und dem Herzogshaus beitrug, resümiert
1920 die schwierige Ausgangssituation: „Dauernd blieb
hier zwar die sehr volksfreundliche, aber doch veraltete
Regelung von Bestand, daß der Großherzog mit seinem
Privateigentum und auf eigene Kosten dem Lande ein
Museum unterhielt, dem die Regierungskasse nur ganz
unbedeutende Zuschüsse gewährte […]. Die durch den
Umschwung des Novembers 1918 geschaffenen Zu­
stände waren also für Mecklenburgs Kunstbesitz beson­
ders gefährlich; die durch die Revolution aufgerollten
Fragen waren hier schwieriger als allerorts, weil niemals
eine Scheidung von Staatsgut und Krongut bzw. Privat­
vermögen des Landesherren stattgefunden hatte. Die
Ansichten über das, was Rechtens sei, gingen himmel­
weit auseinander: Nach der einen Ansicht war das
gesamte Domanium (fast die Hälfte des Landes) nebst
den Schlössern mit Ausstattung und dem Museum
Privateigentum des Großherzogs, während nach der
gegnerischen Ansicht ihm eigentlich garnichts gehörte.“
31
Der erzielte Kompromiss von 1919/20 stellte beide
Seiten zufrieden, wie die Kunsthistorikerin Sabine Bock
in ihrem 2014 erschienenen Buch „Großherzogliche
Kunst im Schloss Ludwigslust. Fürstenabfindung,
Enteignung und Restitution“ anhand erstmals publi­
zierter Quellen heraus­arbeitet. Das Museum mit seinen
berühmten Holländern, den großartigen Tierporträts
des Pariser Hofmalers Jean-Baptiste Oudry und bemer­
kenswerten kunstgewerblichen Sammlungen sowie das
Schweriner Schloss mit Teilen des Inventars gingen
1919 gegen die Überlassung von mehreren tausend
Hektar Land sowie die Zahlung von knapp 3,5 Millio­
nen Reichsmark an den Großherzog in Staatsbesitz
über. Friedrich Franz behielt Schloss Ludwigslust, das
Jagdschloss Gelbensande sowie umfangreichen Gutsbe­
sitz. Aus dem Schweriner Schloss und anderen von ihm
aufgegebenen Schlössern und Herrenhäusern übernahm
er kostbares Inventar: Bilder, Möbel, Hausrat.
Ende 1920 bezog die herzogliche Familie den
Ostflügel von Schloss Ludwigslust. Das „kleine Ver­
sailles des Nordens“ hatte Friedrich Franz’ Vorgänger
Herzog Friedrich der Fromme 1772 bis 1776 nach
Entwürfen seines Hofarchitekten Johann Joachim
Busch als spätbarocke Nebenresidenz 50 Kilometer
südlich von Schwerin errichten lassen. Nun betätigte
sich der einstige Landesherr Friedrich Franz IV. dort als
Museumsdirektor. In den Repräsentationsräumen des
Westflügels ließ er ein Privatmuseum einrichten, dessen
Programm sein ehemaliger Oberhofmarschall Cuno
von Rantzau folgendermaßen umriss: „Ich meine, man
sollte die in Frage kommenden Räume des Ludwigslus­
ter Schlosses mit den besten Stücken des Louis XV.,
Die Herzogliche Sammlung
ist viel mehr als die Summe
ihrer Teile
Louis XVI. und allenfalls der Empirezeit, soweit solche
nicht in den Wohnräumen Verwendung finden, mit
guten Gemälden der betreffenden Zeiten, in Stilreinheit
zu Räumen von seltener Schönheit gestalten, wozu die
wundervolle Innenarchitektur sie schon ohne weiteres
prädestiniert.“ Historische Fotos bestätigen die Erlesen­
heit der Interieurs. Der 1912 geborene Christian
­Ludwig Herzog zu Mecklenburg erinnerte sich an seine
Kindheit im Museumsschloss: „Man mußte in Kauf
nehmen, daß an den Tagen, an denen Führungen
stattfanden, der Haupteingang immer voller Menschen
war. Wir gingen daher in dieser Zeit durch den Hinter­
eingang aus und ein […].“
Schloss Ludwigslust bot bis 1945 Raum für vieles,
was nun im Rahmen der Sammlung Herzogliches
Haus Mecklenburg-Schwerin zurückerworben werden
32
konnte. Der 1996 verstorbene Herzog Christian L
­ udwig
wurde zur historischen Brückenfigur, der das Kriegsende
in Ludwigslust ebenso erlebte wie den Beginn der
Restitutionsverhandlungen zwischen dem Land Meck­
lenburg-Vorpommern und seiner Familie nach 1990.
Ludwigslust hatten zunächst Amerikaner und Briten,
am 1. Juli 1945 schließlich Einheiten der Roten Armee
besetzt. Augenzeugen berichten von chaotischen Zu­
ständen. Das von der herzoglichen Familie besonders
geschätzte Staatsporträt der Königin Charlotte von
Großbritannien und Irland – einer ge­borenen Prinzessin
von Mecklenburg-Strelitz – aus der Werkstatt von
Thomas Gainsborough etwa soll zeitweilig als Ab­
deckung eines Hühnerstalls gedient haben. Es wurde
geborgen und, wie viele Stücke aus Ludwigslust, in den
Nachkriegsjahren vom Schweriner Museum übernom­
men. Nun ist es eines jener sechs Kunstwerke, die
gesichert für weitere zehn Jahre als Leihgabe der her­
zoglichen Familie im Museum verbleiben.
Eigentumsfragen meinte man in der SBZ und in
der DDR mit der Bodenreform und anderen Ent­
eignungs­vorgängen gelöst zu haben. Dass damit Un­
recht geschah, das nach 1990 nur teilweise rückgängig
gemacht werden konnte, hat die Verhandlungen über
zu restituierendes Kulturgut meist nicht erleichtert. Im
Fall der Sammlung Herzogliches Haus MecklenburgSchwerin kam hinzu, dass Umfang und Bewertung
dessen, worüber man nach der Grundsatzeinigung
1997 zwischen Land und Familie verhandelte, fließend
erschienen. War zunächst das Land Mecklenburg-­
Vorpommern in Vorleistung gegangen und hatte 152
Stücke, die man für verzichtbar hielt, ohne Bedingun­
gen an die Familie zurückgegeben (zwei Drittel davon
wurden 1999 versteigert), musste andererseits der
sogenannte Dachbodenfund, ein 1987 in Ludwigslust
wiederentdecktes Konvolut nicht inventarisierter und
teils stark restaurierungsbedürftiger Stücke, in die
Gesamtbetrachtung einbezogen werden. Auch die Zahl
der Herausnahmen – Stücke, die die herzogliche Fami­
lie lediglich als Leihgabe zur Verfügung stellen wollte –
differierte je nach Verhandlungsstand stark. Politisch
nicht durchsetzen ließ sich 2011 die Idee der damaligen
Landesregierung, einen Teil der Kaufsumme durch die
Überlassung von staatseigenem Wald abzugelten. Da­
mals wären die Verhandlungen beinahe gescheitert. Es
verdankt sich auch dem Engagement der Kulturstiftung
der Länder „als Förderer, […] Vermittler und Mode­
rator beider Parteien“, wie die Generalsekretärin der
Stiftung Isabel Pfeiffer-Poensgen bei der Vertragsunter­
zeichnung 2014 betonte, dass daraus doch noch eine
Erfolgsgeschichte werden konnte.
Was den Mecklenburgern und ihren Besuchern
entgangen wäre, ließ sich erstmals zum Jahreswechsel
2014/15 in der Schweriner Ausstellung „Gesichert!
Kunst für das Land“ kennenlernen. Doch erst durch die
Objekte aus der für Schloss Ludwigslust gesicherten Sammlung Christian
Ludwig, Herzog zu Mecklenburg (im
Uhrzeigersinn, beginnend oben links):
Bodenstanduhr des Ludwigsluster Hofuhrmachers Johann Conradt Beneke,
wohl 1776, Höhe 224 cm; Sofa mit
Seidenbespannung und vergoldeten
Elementen, um 1775, Breite 134 cm;
Pappmaché-Büste Friedrichs des
Frommen von Mecklenburg, Rudolf
Kaplunger, 18. Jh., 76 × 56 × 36,5 cm;
Bodenstanduhr von David Roentgen
und Peter Kinzing, ca. 1785 – 95,
185,2 × 53,2 × 20,2 cm, Leihgabe der
Herzogin Donata zu Mecklenburg-von
Solodkoff; Kommode mit Einlege­arbeit und vergoldeten Metall­­beschlägen, Mitte 18. Jh., Höhe 85 cm;
Schreibschrank, Frankreich oder
Deutschland, um 1775, Höhe 132 cm
ARSPROTOTO 1 2016
33
Schloss Ludwigslust
Georg David Matthieu, Herzog Friedrich zu Mecklenburg-Schwerin,
1772, 196 × 145 cm; Schloss Ludwigslust
34
feierliche Eröffnung des denkmalgerecht sanierten
Ostflügels von Schloss Ludwigslust am 5. März 2016
wird mit den 1919 übernommenen Teilen der Herzogs­
kunst und den Neuerwerbungen von 2014 endlich
zusammengeführt, was zusammengehört. Gefeiert
werden darf in Ludwigslust die Einebnung einer
Grenze, die politischen Verwerfungen des 20. Jahr­
hunderts geschuldet war. Dirk Blübaum, als Direktor
des Staatlichen Museums Schwerin / Ludwigslust /
Güstrow Hausherr des Schlosses, verweist darauf, dass
erst die beweglichen Teile des Interieurs, die nun dauer­
haft zurückkehren, ihre architektonische Hülle als Teil
eines Gesamtkunstwerks definieren. Ludwigslust macht
erlebbar, dass die Sammlung Herzogliches Haus Meck­
lenburg-Schwerin viel mehr ist als die Summe ihrer
Teile.
Das „Abbild des Lebens im Schloss“ unter Herzog
Friedrich dem Frommen und Großherzog Friedrich
Franz I., also zwischen 1756 und 1837, erklärt
Blübaum, „ist hier in einer Geschlossenheit zu erleben,
wie wir sie sonst nirgendwo haben“. Folgerichtig holte
man aus dem Schweriner Museum nicht nur etliche
der grandiosen Gemälde exotischer Wildtiere von
Jean-Baptist Oudry (als bedeutendste Oudry-Kol­
lektion außerhalb Frankreichs mecklenburgischer
Staatsbesitz seit 1919) nach Ludwigslust – dort­
hin, wo sie schon einmal bis Anfang des 19. Jahr­
hunderts hingen. Exzen­trisch großgeblümte
Wandbespannungen aus Seide, im Zuge der
Restaurierungsmaßnahmen nachgewebt, eignen
sich jedoch ebenso als Hintergrund für Georg
David Matthieus Rokokoinszenierungen des
Mecklenburger Hofes. Ein 1776 – dem Jahr der
Fertigstellung von Schloss Ludwigslust – gemaltes
Kniestück zeigt Herzog Friedrich als Kunstken­
ner beim Durchblättern eines Stichwerks von
Giovanni Battista Piranesi. Auf anderen Bild­
nissen des Herzogs stellte Matthieu im Hin­
tergrund die neuen Ludwigsluster Bauten
Ferdinand Bertoud, Pendule
Uhr, Frankreich um 1770, Höhe dar: die Kaskade oder die Stadtkirche
(Abb. S. 34), deren theaterkulissenmäßiges
36 cm; Schloss Ludwigslust
ARSPROTOTO 1 2016
Inneres übrigens äußerst sehenswert ist. 48 Gemälde
und acht hölzerne Aufstellfiguren zählt der Bestand
an Matthieu-Werken im Schwerin / Ludwigslust /
Güstrower Museums­verbund nun insgesamt – 15
davon wurden mit der Sammlung Herzogliches Haus
Mecklenburg-Schwerin erworben.
Von Christoph Friedrich Reinhold Lisiewsky,
Matthieus Onkel und Nachfolger als Hofmaler (er
wurde vor einigen Jahren dank einer von der Kulturstif­
tung der Länder geförderten Ausstellung in Dessau und
Schwerin wiederentdeckt), konnte mit der Sammlung
Herzogliches Haus das 1780 entstandene Porträt von
Herzogin Ulrike Sophie, einer Schwester Herzog Fried­
richs, übernommen werden. Selbst wer ihre Lebensum­
stände nicht kennt, begreift hier durch Anschauung,
dass auch kleinere Höfe zu Zeiten der Spätaufklärung
von bemerkenswert nichtprovinziellen Köpfen domi­
niert worden sind. Weitere mit charakteristischen
Arbeiten vertretene mecklenburgische Hofkünstler –
Maler wie Bildhauer – aus diesem Konvolut sind
­Christian Ludwig Seehas, Dietrich Findorff, Theodor
­Schloepke, Gaston Lenthe, Rudolf Suhrland, Rudolph
Kaplunger (Abb. S. 33) und Christian F. Genschow.
Überregionale Bedeutung beanspruchen die Werke
Johann Alexander Thieles. Im Oktober 1748 unter­
nahm der Dresdner Hofmaler eine einmonatige Reise
nach Mecklenburg, da ihn Herzog Christian Ludwig II.
mit einem größeren Auftrag an den Schweriner Hof
binden wollte. Die bestellte Serie von 28 Gemälden
konnte Thiele vor seinem Tod im Mai 1752 nicht mehr
fertigstellen. Geliefert hat er neben kleineren Ansichten
die beiden großen Prospekte von Schwerin und von
der Festung Königstein, die den umfangreichen Zeich­
nungsbestand Thieles im Schweriner Kupferstich­
kabinett ergänzen und für die nächsten zehn Jahre als
Leihgaben im Museum bleiben.
Arbeiten „ausländischer“ Künstler wie die bereits
erwähnte Werkstattwiederholung Gainsboroughs ver­
danken sich dynastischen Verbindungen und diploma­
tischem Austausch. Prominent im Schweriner Schloss
hingen, wie ein Inventar von 1794 beweist, die Staats­
porträts Franz von Lothringens und der Kaiserin Maria
Theresia von Michael Christoph Emanuel Hagelgans
nach Martin Mytens. Bereits 1704 hatte sich der spä­
tere Herzog Christian Ludwig II., der kunstsinnige
Begründer der Schweriner Sammlungen, von Michael
Dahl in London malen lassen; 1807 stand Erbprinz
Friedrich Ludwig in Paris François Gérard Modell
(Abb. S. 37). Jens Juel, Caspar David Friedrichs Lehrer
an der Kopenhagener Akademie, malte Erbprinz Fried­
rich von Dänemark mit seiner Frau, der mecklenburgi­
schen Prinzessin Sophie Friederike, und ihren Kindern.
Aus dem Berlin König Friedrich Wilhelms III. sind mit
dem Maler Franz Krüger (Bildnisse von Zar Nikolaus I.
und Herzog Wilhelm von Mecklenburg-Schwerin),
35
dem Bildhauer Christian Daniel Rauch (zwei Büsten
der Prinzessin Alexandrine von Preußen, die 1822 den
späteren Großherzog Paul Friedrich von Mecklenburg
heiratete) sowie dem Architekten Karl Friedrich Schin­
kel (ein zur Aussteuer gehörender vergoldeter Bronze­
tisch, Abb. S. 29, sowie KPM-Porzellane nach seinem
Entwurf ) gleich drei prominente Künstler präsent.
Unter der großen Zahl erworbener Möbel ragen
neben dem Schinkel-Tisch eine Pariser Rokoko-Kom­
mode „aux dragons“ aus der Werkstatt von Pierre
Roussel sowie zwei David Roentgen und Peter Kinzing
zugewiesene Bodenstanduhren (letztere als Leihgaben)
heraus. Besonderes kulturhistorisches Interesse darf eine
Gruppe von Möbeln und Skulpturen ganz oder teil­
weise aus Papiermaché beanspruchen, die aus der von
Herzog Friedrich geförderten Ludwigsluster „PappFabrique“ stammen. 1773 wies der Landesherr seine
Verwaltung an, ausgediente Akten für die Produktion
bereitzustellen und tatsächlich lassen sich zerkleinerte
Finanzabrechnungen als Recyclingmaterial in einigen
Stücken nachweisen. Die spätere Herzogliche Carton­
fabrik blieb bis in die 1830er Jahre aktiv. Die nun
erworbenen Gegenstände, darunter ein Schrank und
eine Standuhr (Abb. S. 33), gehören sicher zur Erstaus­
stattung von Schloss Ludwigslust, für das man seiner­
zeit auch Teile der Wanddekorationen, so im Goldenen
Saal, aus Papiermaché gefertigt hat.
Ganz und gar nicht von Pappe ist und bleibt die
Aufgabe, Schloss Ludwigslust zu sanieren und museal
umfassend neu zu konzipieren. 1986 war das zuvor
vom Rat des Kreises Ludwigslust genutzte Schloss in die
Obhut des Staatlichen Museums Schwerin übergegan­
gen und schrittweise zugänglich gemacht worden. Seit
2009 ließ das Land Mecklenburg-Vorpommern für
13,09 Millionen Euro den Ostflügel des Barockbaus
denkmalgerecht sanieren, wobei der größte Teil der
Maßnahmen aus EU-Mitteln für die Entwicklung des
ländlichen Raums (ELER) gefördert werden konnte. Ab
2019 soll die Grundinstandsetzung des Westflügels mit
geschätzten Baukosten von 11 Millionen Euro folgen.
Rolf Christiansen, der Landrat des Kreises LudwigslustParchim, betont die große Bedeutung dieses Engage­
ments für die Region: „Wenn in kulturellen und touris­
tischen Zusammenhängen von unserem Landkreis die
Rede ist, dann immer auch vom Schloss Ludwigslust.
Nicht zuletzt in Verbindung mit herausragenden Aus­
stellungen und Konzerten zieht das Ludwigsluster
Schloss jährlich viele tausend Besucher aus aller Welt
an. Dass sich das Land als Hausherr sehr für die weitere
Entwicklung der musealen Aspekte und die Restaurie­
rung engagiert, schätze ich außerordentlich.“
Schon der irische Reiseschriftsteller Thomas Nu­
gent, der den Kunstbesitz der Herzöge von Mecklen­
burg-Schwerin 1768 mit den besten fürstlichen Kollek­
tionen Deutschlands verglich, sah die Notwendigkeit,
36
Max Sauerlandt, der erste Direktor des Max Sauerlandt, der erste Direktor des Städtischen
Museums Städtischen Museums
Christoph Friedrich Reinhold Lisiewsky, Prinzessin Charlotte Friederike von Mecklenburg, 1791, 100 × 75 cm; Schloss Ludwigslust
den Bekanntheitsgrad der Sammlung zu erhöhen.
Dieses „würde die Enthüllung eines Schatzes ermög­
lichen, der, sozusagen, jetzt in einer Ecke Deutschlands
begraben liegt“. Heute sind die Schätze der Mecklen­
burger längst gehoben und in der Mitte Deutschlands
angekommen. Der glückliche Erwerb und die in ihr
historisches Umfeld integrierte Präsentation der
Sammlung Herzogliches Haus Mecklenburg-Schwerin
in Ludwigslust und Schwerin beweisen es einmal
mehr. Michael Zajonz ist Kunsthistoriker und
Journalist in Berlin. Staatliches Museum Schwerin / Ludwigslust /
Güstrow
Kunstsammlungen, Schlösser und Gärten
Museum Schloss Ludwigslust
Schlossfreiheit 1, 19288 Ludwigslust
Telefon 03874 - 5719 15
Öffnungszeiten:
15. Oktober bis 14. April Di – So 10 – 17 Uhr,
15. April bis 14. Oktober Di – So 10 – 18 Uhr
www.museum-schwerin.de
Förderer dieser Erwerbung:
Kulturstiftung der Länder, Beauftragte der
Bundesregierung für Kultur und Medien,
Land Mecklenburg-Vorpommern
François Gérard, Erbprinz Friedrich Ludwig von MecklenburgSchwerin, 1807, 66 × 54 cm; Schloss Ludwigslust
ARSPROTOTO 1 2016
37
HELFEN SIE MIT:
VERKALKTER KOLOSS
Für den Herakles-Brunnen
des barocken Gartens
bittet das hessische
Schloss Weilburg um
Ihre Unterstützung
von Johanna Hohmann
Brunnenfigur „Herakles und Antaios“
vor der oberen Orangerie im Schlossgarten
Weilburg
38
S
chloss Weilburg, eindrucksvoll auf
einem Bergsporn hoch über der
Lahn gelegen, geht auf eine mittel­
alterliche Burg aus dem 10. Jahrhundert
zurück. Mit der Erbteilung des Hauses
Nassau im Jahr 1255 gehörte Weilburg
fortan zur walramschen Linie. Infolge
weiterer Teilungen und Wiedervereini­
gungen des Grafenhauses wurde Weil­
burg schließlich Residenzstadt. Dies
machte den Umbau der Burg zu einem
repräsentativen Schloss erforderlich. Im
16. Jahrhundert entstand eine Vierflügel­
anlage, zu Beginn des 18. Jahrhunderts
erweiterte man das Schloss zu einer
barocken Residenz mit zahlreichen
Nebengebäuden, einer Kirche und einem
repräsentativen Garten. Das Hochschloss
beheimatet heute das Schlossmuseum.
Die Brunnenfigur „Herakles und Anta­
ios“, zu finden auf der oberen Terrasse
des Schlossgartens, stammt aus dem 18.
Jahrhundert; das Brunnenensemble – in
der Mitte der Kampf des Herakles mit
Antaios, umgeben von den vier antiken
Gottheiten der Elemente Luft, Erde,
Feuer und Wasser – wurde 1967 wegen
drohender Zerstörung aus dem Neuen
Schloss Büdesheim nach Weilburg über­
führt und dort 1969 im Rahmen der
Rebarockisierung vor der oberen Oran­
gerie aufgestellt. Die Schlösser und
Gärten Hessen bitten Sie nun herzlich
um Ihre Unterstützung für die dringend
notwendige Reinigung des Brunnens,
denn massive Kalkablagerungen bedro­
hen die Substanz der zentralen Figur. Die
dargestellte Kampfszene entführt uns in
die Antike: Dort traf Herakles auf dem
Weg zu seiner zehnten Aufgabe den
riesigen und nahezu unbesiegbaren
Antaios. Zunächst schien auch Herakles
wie alle seine Vorgänger machtlos gegen
Antaios zu sein, doch dann erkannte er,
dass dessen immer fortwährende Kräfte
vom Kontakt mit dem Boden kamen,
denn Antaios war der Sohn der Erdmut­
ter Gaia. Herakles stützte sich deshalb
auf einen Baumstumpf, hob Antaios in
die Luft und erwürgte ihn dort, wo er
seine überlegene Stärke verloren hatte.
Die betroffene Figur ist aus mittel- bis
grobkörnigem Sandstein gefertigt und
präsentierte sich ursprünglich grau-ocker.
Das aus dem Mund des Antaios spru­
ARSPROTOTO 1 2016
Detail der Brunnenfigur „Herakles und Antaios“
mit starker Kalksinterkruste
delnde Wasser ist als Symbol des Aushau­
chens des Lebens zu sehen, die Brunnen­
figur erfährt dadurch eine intensive
Berieselung. Ein flächendeckender
weißer, krustenartiger Belag, stellenweise
mit Tropfnasen, umhüllt das Objekt,
dadurch entsteht eine starke Verteigung
der bildhauerischen Konturen. Es finden
sich bereits diverse Abplatzungen, zu­
meist im Zusammenhang mit dem
Belag, z. B. hinten am Oberschenkel von
Herakles. Die Schichtbildung der Abla­
gerungen ist bereits weit fortgeschritten,
zuletzt sind auffällig viele neue Abplat­
zungen hinzugekommen, was die oberen
Gesteinsschichten in Mitleidenschaft
zieht. Dringendes Handeln ist angezeigt,
da sich die Abwitterung nun beschleu­
nigt fortsetzt. Eine Analyse des Belags
hat ergeben, dass es sich um eine reine
Calcitschicht handelt, also Kalkablage­
rungen. Verschiedene arbeitstechnische
Versuche an Stellen mit unterschiedlich
ausgebildeter Kalkkruste lassen eine
Kombination von mechanischen und
chemischen Reinigungsverfahren am
Vielversprechendsten erscheinen. Der
Brunnen in Weilburg ist kein Lauf­
brunnen, sondern wird im Frühjahr mit
Wasser befüllt: Nach erfolgter Reinigung
und Sicherung des Brunnenensembles
soll dieses Wasser in Zukunft durch eine
Neutralisationskartusche geleitet werden,
um die Kalkanteile herauszufiltern. Für
die notwenige Restaurierung werden
20.000 Euro veranschlagt. Aus Eigenmit­
teln können 10.000 Euro aufgebracht
werden, die Schlösserverwaltung bittet
nun für die verbleibenden Kosten um
Ihre Mithilfe bei der Rettung des kost­
baren Brunnens.
Johanna Hohmann ist Referentin
des Direktors der Staatlichen
Schlösser und Gärten Hessen.
Schloss Weilburg
Schlossplatz 3, 35781 Weilburg / Lahn
Telefon 06471-91 27- 0
http://schloesser-hessen.de/weilburg.html
Wir bitten Sie herzlich, liebe Leserin
und lieber Leser, um Unterstützung für
Schloss Weilburg. Spenden Sie für die
Restaurierung der Brunnenfigur
„Herakles und Antaios“ und über­
weisen Sie bitte unter dem Stichwort
„Schloss Weilburg“ auf eines der
Konten der Kulturstiftung der Länder.
Überweisungsträger finden Sie im Heft
nach der Seite 66. Vielen Dank!
39
ERWERBUNGEN
KÜNSTLER,
BÜRGER, KÖNIGE
Die Deutschland-Samm­
lung von Dietmar Siegert
mit Fotografien des 19.
Jahrhunderts gelangt ins
Münchner Stadtmuseum
von Bodo von Dewitz
E
r habe sich jetzt „entschlossen, in
jährlichen Sommerreisen eine grö­
ßere Sammlung von den meisten in
mannigfachen Fächern hervorragenden
Persönlichkeiten zu begründen und zu
gleicher Zeit nach mehreren Richtungen
hin die berühmtesten Baulichkeiten,
Monumente und Nationaltypen aufzu­
nehmen“, schrieb der Lithograph und
frühe Fotograf Hermann Biow am
9. Juni 1846 an den Leipziger Verleger
T. O. Weigel. Derartige konzeptionelle
Überlegungen waren neu, ungewöhnlich
weitreichend, und seine Porträts u. a.
von Alexander von Humboldt, Christian
Daniel Rauch und König Friedrich
Wilhelm IV. (heute alle im Museum für
Kunst und Gewerbe Hamburg) gehören
neben den Bildnissen von Parlamenta­
riern der Frankfurter Paulskirche zu den
besten Darstellungen aus den frühen
Jahren der Fotografie. Gleichzeitig sind
Biows Geschäftigkeit und sein erwiesenes
Können beispielhaft für die enormen
Kräfte, die die Erfindung Daguerres
freisetzte und die zu einer komplexen
Geschichte der Fotografie im deutschen
Sprachraum führten.
Vielleicht können wir Biows Plan
dahingehend interpretieren, dass er mit
dem Medium der Fotografie eine gewisse
umfassende nationale Repräsentation
herstellen wollte. Wir kennen nur wenige
40
Äußerungen von Fotografen aus dieser
Zeit, in denen Absichten und Pläne
geäußert wurden. Wir kennen aber
repräsentative Werke wie z. B. Hermann
Krones Städtealbum oder August Lorents
Bilderatlas von Denkmalen des Mittel­
alters aus Württemberg bis hin zu reprä­
sentativen Ansichtswerken z. B. von
Berlin als Hauptstadt Preußens und des
Deutschen Reichs. Die Fotografie-Pro­
duktion durchzog häufig der Gedanke
einer national oder zumindest territorial
geschlossenen Repräsentation, die latent
mit nationalen Sehnsüchten assoziiert
werden kann. Erst um 1900 forderte der
Hamburger Kunsthallen-Direktor Alfred
Lichtwark im Zusammenhang mit der
zunehmenden Anerkennung der Foto­
grafie als künstlerisch bedeutendem
Sammlungsgut: „Und wird nicht von
heute ab das Material gesammelt, so ist
es nicht mehr vorhanden, wenn die
immer einen Posttag zu spät aufwa­
chende Wissenschaft sich danach sehnt.“
Sein Wirken zur Förderung der
künstlerischen Amateurfotografie durch
Ausstellungen, Publikationen und
Sammlung hatte zunächst eine gewisse
Breitenwirkung: Gewerbe- und Kunst­
museen z. B. in Hamburg, Krefeld, Darmstadt, Leipzig und Dresden begannen
Fotografien als Kunst- und Kulturgut zu
sammeln. Aber kaum eine Initiative
wurde nach dem Ende des Ersten Welt­
krieges fortgesetzt. Dann griffen in den
Jahren der Weimarer Republik neue
Initiativen wie die von Carl Georg Heise
in Lübeck oder von Curt Glaser in
Berlin, um Sammlungen künstlerischer
Fotografien aufzubauen, bis durch NSZeit und Zweiten Weltkrieg auch diese
Anfänge abbrachen.
Mühsam entwickelte sich nach 1945
ein neues öffentliches Interesse an der
Fotografie. Wollte man Fotografien aus
der Geschichte und/oder der Gegenwart
sehen, musste man zur Industriemesse
Photokina nach Köln kommen. Das
Sammeln von Fotografien wurde mit
ganz wenigen Ausnahmen der Privat­
initiative Einzelner überlassen.
Deshalb würde der öffentliche Besitz
an Kulturgütern der Fotografie heute
eine traurige Bilanz ziehen, wenn es
nicht die privaten Sammler gegeben
hätte, mit denen schlussendlich allseitig
befriedigende Übereinkünfte über den
Verbleib ihrer Sammlungen getroffen
worden sind. Beste Beispiele für diese
Entwicklung sind die Ankäufe der
Sammlungen von L. Fritz Gruber und
Robert Lebeck für die Museen der Stadt
Köln 1977 und 1994, die Erwerbung
der Sammlung Erich Stenger 2005, als
dominanter Teil der Sammlung Agfa, für
das Museum Ludwig in Köln, und der
Kauf der Sammlung Wilfried Wiegand
für das Frankfurter Kunstmuseum Städel
im Jahr 2011 (Arsprototo 2/2011).
Eine solche überaus wunderbare Über­
Alois Löcherer zugeschrieben, Der Münzmeister an der Münchner
Münze mit seiner Familie vor dem gemalten Hintergrund der Stadt Speyer,
um 1855; Münchner Stadtmuseum
Joseph Albert, Der Bildhauer Herrmann Oehlmann und ein
Unbekannter stellen den Wettlauf des Igels mit dem Hasen dar,
München 1862; Münchner Stadtmuseum
ARSPROTOTO 1 2016
41
einkunft ist kürzlich zwischen dem
umtriebigen und äußerst kenntnisrei­
chen Sammler Dietmar Siegert und dem
Münchner Stadtmuseum getroffen
worden: Das Museum erhält dank der
Förderung der Kulturstiftung der Länder
und anderer Geldgeber dessen so be­
zeichnete Deutschland-Sammlung, die
Fotografien aus der Zeit von 1840 bis
1890 und damit vom Biedermeier bis
zur Gründerzeit enthält. Diese Samm­
lung ist ein Bilderschatz von ganz einzig­
artiger Qualität. Sie umfasst die Themen
Porträt, Naturstudien, Topographie,
politisches Ereignis, Kunst und Theater
sowie Architektur. Nahezu alle wichtigen
in- und ausländischen Fotografen sind in
dieser Kollektion vertreten.
Sensationell ist das Porträt des
Dichters, Weltreisenden und Revolutio­
närs Harro Harring (Abb. S. 6), welches
der Daguerreotypist Carl Ferdinand
Stelzner 1848 in Hamburg herstellte.
Die Geschichte dieses verwegenen Man­
nes, der C. D. Friedrich, Heinrich Heine
und Lord Byron kannte, der politisch zu
radikalen Positionen neigte und – von
den revolutionären Bewegungen seiner
Zeit enttäuscht – sich 1870 das Leben
nahm, wäre ohne dieses Porträt gar nicht
entdeckt geworden. Das Repräsenta­
tionsbedürfnis eines Münchner Münz­
meisters kommt in einem Familienbild­
Georg Koppmann‚ Bei den Mühren, von
der Mattentwiete aus gesehen, Hamburg
1884; Münchner Stadtmuseum
nis vor Stadtkulisse treffend zum Ausdruck (Abb. S. 40), während sich der
gelehrte Naturwissenschaftler Justus von
Liebig im wohl inszenierten Einzelbild
selbstbewusst darzustellen verstand. Das
sind nur drei Beispiele aus dieser reich­
haltigen Bildnis-Sammlung, die Künst­
ler, Bürger, Schauspieler und Könige
umfasst. Jede Fotografie besticht durch
eine oft hervorragende Qualität. Die
berühmtesten Fotografen der Zeit wie
Carl August von Steinheil, Alois Löche­
rer, Franz Hanfstaengl und Joseph Albert
Franz Hanfstaengl, Wilhelm von Kaulbachs Atelier, aufgenommen wenige Tage
nach dessen Tod am 12. April 1874, München 1874; Münchner Stadtmuseum
42
Franz Hanfstaengl, Der Chemiker Justus
von Liebig, München 1856; Münchner
Stadtmuseum
sind mit besten Aufnahmen vertreten.
Wie sehr das Anschauungsmaterial der
Fotografie im 19. Jahrhundert von
Künstlern in Anspruch genommen
wurde, belegt die umfassende Sammlung
von Naturstudien, die Georg Maria
Eckert fotografiert hat. Und wie umfang­
reich das Museum von kunstgewerb­
lichen Gegenständen des Freiherrn von
Minutoli in Liegnitz/Schlesien gewesen
ist, belegen einzig und allein die Fotogra­
fien, die Ludwig Belitski in bestechender
Bildqualität herstellte, bevor die Samm­
lung verkauft und aufgelöst wurde.
Fast alle Städte des deutschspra­
chigen Raums sind mit herausragenden
Bildern vertreten: Eine Ansicht zeigt den
großzügigen Blick zur Feldherrenhalle
und Theatinerkirche in München aus der
Zeit um 1854 von Franz Hanfstaengl,
viele großformatige Fotografien von
Georg Koppmann die engen Wohnvier­
tel in der Hafenstadt Hamburg, die bald
der Sanierung zum Opfer fallen sollten,
und die preußische Hauptstadt ist mit
ihrem schönsten Platz, dem Gendarmen­
markt, in einer Aufnahme von Leopold
Ahrendts vertreten. Die Metropolen und
Provinzen des deutschen Sprachraums
sind in dieser Sammlung der vielen
spektakulären Aufnahmen in ihrer Bau­
substanz und oft auch atmosphärischen
Ausstrahlung glänzend dokumentiert.
Der dänisch-deutsche Krieg von
1864 und der deutsch-französische Krieg
von 1870/71 sind in frühen Fotografien
vertreten. Bedenkt man die ungeheuren
technischen und logistischen Schwierig­
keiten der damaligen Fotografie, dann
erschließt sich die Bedeutung des Wid­
mungs-Albums des Fotografen Friedrich
Brandt aus dem Krieg von 1864 als
eine wirkliche Sensation. Spannend und
selten sind auch die Aufnahmen von
Stationen des Kriegsgeschehens in Frank­
reich 1870/71, die der Verlag Friedrich
Bruckmann verlegt hat. Sinnträchtig
wird das militärische 19. Jahrhundert
mit Manöverbildern der Brüder Franz
und Oscar Tellgmann aus Eschwege
abgerundet, aber auch mit faszinierenden
Bilddokumenten von den Siegesfeiern
nach dem Sieg von Sedan über das Reich
Napoleons III. Dass der Fotograf Franz
Richard mit einem verwegenen Gerüst in
schwindelnder Höhe die Heidelberger
Schlossruine aufzunehmen trachtete,
belegt eine sensationelle Fotografie aus
den frühen 1860er Jahren. Wie am
Kölner Dom nach Jahrhunderten der
Stagnation mühsam weitergebaut wurde,
dokumentieren die Aufnahmen von J. F.
Michiels und besonders von Charles
Marville aus den 1850er Jahren, als er
das Mappenwerk „Les Bords du Rhin“
(1853) vorbereitete. Hermann Emden ist
mit seinem Folianten über den Dom zu
Mainz, Jakob August Lorent mit heraus­
ragenden Fotografien des Klosters Maul­
bronn vertreten.
Diese Aufzählung möge ausreichen,
um diesen ganz besonderen Bilderschatz
zu charakterisieren und neugierig auf
diese einzigartige Sammlung zu machen.
Dietmar Siegert hat eine komplexe
Sammlung zur Kunst- und Kulturge­
schichte des 19. Jahrhunderts zusam­
mengetragen. Viele Bilder sind von
ausgezeichneter Qualität und stammen
aus der besten Zeit der Fotografie, bevor
höhere Auflagen hergestellt wurden und
ein zunehmend inflationärer Gebrauch
des Mediums einzusetzen begann. Diese
Bilder dokumentieren die Kunst- und
Kulturgeschichte des spannenden 19.
Jahrhunderts in besonderer Anschaulich­
keit und sie verweisen auf traditionelle,
aber auch neue Sichtweisen und Ge­
brauchsformen der Fotografie, des ältes­
ten der neuen Medien, deren Erfindung
ARSPROTOTO 1 2016
Friedrich Brandt, Ansicht der Schanzen III und IV
in Düppel, 1864; Münchner Stadtmuseum
gerade erst am 19. August 1839 in Paris
euphorisch begrüßt worden war.
Als vor wenigen Jahren das Konvolut
„Lebende Bilder“ mit Märchendarstel­
lungen aus Münchner Künstlerkreisen
auf dem Markt erschien (Abb. S. 41),
war das Erstaunen ob dieser gänzlich
unbekannten Bilderfolge groß. Nun
befindet sich dieses Mappenwerk im
Bestand Siegert als ganz einzigartige
Bilderserie, die dem Münchner Hoffoto­
grafen Joseph Albert zugeschrieben
werden konnte. Kein Museum hätte
damals mitbieten können, aber der
private Sammler Dietmar Siegert konnte
es und hatte Erfolg. Jetzt können wir uns
alle mit dem Münchner Stadtmuseum
freuen, dass dieser Bilderschatz sicher im
Museum angekommen ist. Denn diese
Fotografie-Kollektion repräsentiert nicht
nur in vielen Facetten den deutschspra­
chigen Raum von 1840 bis 1890, sie ist
eine Sammlung von nationaler Bedeu­
tung, die in vergleichbarem Umfang, in
der besonderen Vielseitigkeit und außer­
ordentlichen Qualität in keinem Museum der Bundesrepublik zu finden ist.
Münchner Stadtmuseum
St.-Jakobs-Platz 1, 80331 München
Telefon 089 - 233 22370
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Mo geschlossen
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Förderer dieser Erwerbung:
Kulturstiftung der Länder, Ernst von
Siemens Kunststiftung, Wüstenrot
Stiftung, Hypo Kulturstiftung
43
Fernöstliche Träume
Die Ernst von Siemens Kunststiftung fördert
den Erwerb einer Schokoladentasse mit Unterschale für die
UNESCO-Welterbestätte Schlösser
Augustusburg und Falkenlust in Brühl
Doppelhenkelige Schokoladentasse mit Unterschale aus dem
Schokoladen-, Kaffee- und Teeservice des Kurfürsten Clemens August von Köln,
Meißen 1735. Foto: Bonhams 1739 Ltd.
Schon seit Beginn der Handelsbeziehungen Europas mit
dem fernen Osten galt das „Land der Seide“ als phantas­
tisch und unvorstellbar schön. Kauffahrer brachten neben
der Seide auch Porzellan aus China und Japan mit, das als
„weißes Gold“ als ebenso kostbar angesehen war wie das
Edelmetall. Die zerbrechlichen Pretiosen mit ihren exoti­
schen Malereien begeisterten vor allem im sinnenfrohen
18. Jahrhundert europäische Fürsten und die galante hö­
fische Gesellschaft. Ludwig XIV. von Frankreich hatte mit
seinem „Trianon de Porcelaine“ im Park von Versailles
bereits 1670 das Vorbild für einen Palast aus Porzellan
geliefert, August der Starke von Sachsen-Polen versuchte
1732, es ihm mit dem Japanischen Palais in Dresden nach­
zutun, ausgestattet mit nunmehr in Meißen hergestellten
Porzellanen.
Auch der als kunstsinnig geltende Kurfürst und
Erzbischof von Köln, Clemens August von Bayern
(1700/23 –1761), war ein begeisterter Anhänger der China­
mode. Im Park seines Sommerschlosses Augustus­burg in
Brühl ließ er zwei fernöstlich anmutende Bauten errichten:
Das erste, als „Indianisches Haus“ oder „maison sans gêne“
(um 1745) bezeichnet, ist ein frühes Beispiel für Lustbau­
ten im chinesischen Geschmack und war der perfekte Ort
für Gartenfeste. Es lag inmitten einer exotischen Garten­
gestaltung, die eine Fasanerie mit seltenen Wasservögeln
beherbergte. Der Bau, der die zeitgenössische Vorstellung
chinesischer Paläste vermitteln sollte, bestand aus drei
zweigeschossigen Pavillons auf einem breiten Sockel. Die
seitlichen Pavillons waren mit kleinen Appartements aus­
gestattet und durch eingeschossige Galerien mit dem mitt­
leren, größeren Pavillon verbunden. Zeitgenossen berich­
teten begeistert über die Ausstattung des Schlösschens und
die kostbaren Sammlungen: Im Sockelgeschoss waren in
zahlreichen Vitrinenschränken 154 Porzellanstücke ausge­
stellt, darunter auch ein 84 Teile umfassendes Service für
Schokolade, Kaffee und Tee.
Dieses Service hatte Clemens August wohl selbst in
der Meißner Manufaktur in Auftrag gegeben. Eine vollstän­
dige Datumsnennung auf einigen Serviceteilen deutet auf
eine Anfertigung zu seinem 35. Geburtstag am 16. August
1735. Nach dem Tode des Kurfürsten wurde das Service am
18. Februar 1761 gezählt. Die Inventarliste nennt zwei Kaf­
feekannen, je zwei Tee- und Zuckerdosen (davon eine mit
Unterschale), eine Teekanne und ein Milchkännchen sowie
zwei Spülkummen, eine Konfitüreschale und je 12 Schoko­
laden-, Kaffee- und Teetassen mit Unterschalen.
Auf sämtlichen Gefäßen ist auf der einen Seite das
von Löwen präsentierte Wappenbild Clemens Augusts zu
sehen, auf der anderen Seite jeweils eine schwarz kon­
turierte Goldkonsole mit einer vierpassigen Reserve. Da­
rin finden sich chinoise Hafen- oder Kauf­fahrerszenen in
Purpurcamaieu-Malerei. Die Konsole dient sogenannten
Höroldt-Chinesen als Plattform für ihre heiteren Unterneh­
mungen. Erwachsene Chinesen und Chinesenkinder agie­
ren auf allen Geschirrteilen mit den Initialen des Kurfürs­
ten „CA“, dem vollständigen Namenszug oder mit seinen
Insignien. Der Umgang mit den fürstlichen Initialen ist mal
heiter und sorglos, mal untertänig und ehrfurchtsvoll. Die
} www.ernst-von-siemens-kunststiftung.de
Szenen waren ganz der geltenden Annahme verhaftet, das
ferne China bzw. die Länder des Fernen Ostens, die man
allgemein als „indianisch“ bezeichnete, seien von ewigem
Frühling und ständiger Heiterkeit geprägt. Teile der Vorla­
gen für die auf jedem Stück des Services individuell gestal­
teten Malereien finden sich in einem später zusammenge­
tragenen Musterbuch, dem sogenannten Schultz-Codex.
Die hier gesammelten Blätter zeigen auf, wie die Gestaltung
von vielteiligen Servicen als einheitliche Kunstwerke mög­
lich wurde – auch wenn die Malerei von der Hand verschie­
dener Porzellanmaler der Manufaktur angefertigt wurde:
In diesem Fall neben Höroldt auch Christian Friedrich He­
rold und Philipp Ernst Schindler d. Ä. Unter diesen Servicen
zählt das des Kurfürsten Clemens August von Köln zweifel­
los zu den Spitzenleistungen.
Von den 1761 gezählten 12 Schokoladentassen mit
Doppelhenkel sind heute noch acht zum Teil in Sammlun­
gen, zum Teil im Privatbesitz befindlich bekannt. Auf der
Tasse, die nun mit der Unterstützung der Ernst von Sie­
Das Indianische Haus im Park von Schloss
Augustusburg in Brühl. Ansicht von Osten.
Öl auf Leinwand, François Rousseau, um 1760
Foto: Achim Bednorz
mens Kunststiftung für Schloss Augustusburg angekauft
werden konnte, sind auf der Konsole drei Chinesen zu se­
hen, links zwei Kinder, rechts ein erwachsener Mann, der
vor einem verdorrten Baum steht, an dessen Stamm ein
Zettel mit der Aufschrift „Clement / August / 1735“ ange­
heftet ist. Auf der Konsole der Unterschale sitzt rechts ein
erwachsener Chinese auf einem Stuhl, ein links stehender
Mann reicht ihm die ineinander verschlungenen Initialen
„CA“, während ein Kind in Rückenansicht in der Mitte steht
und zusieht.
Damit kehrt eine zweite Schokoladentasse mit Un­
terschale aus diesem einzigartigen Service an seinen ur­
sprünglichen Ort zurück. Zwar wurde das „Indianische
Haus“ 1822 abgebrochen, die Tradition der Porzellan­
sammlung des Kurfürsten wird jedoch in seinem, seit 1984
zum UNESCO-Weltkulturerbe gehörenden Sommerschloss
Augustusburg fortgesetzt.
Christiane Winkler
UNESCO-Welterbestätte Schlösser Augustusburg
und Falkenlust, Brühl
FREUNDESKREIS
PORTALE
INS JENSEITS
Der Freundeskreis der
Kulturstiftung der Länder
unterstützte die Restaurie­
rung eines klazomenischen
Sarkophags in Leipzig
von Frank Druffner
36 Kilometer westlich von der türki­
schen Stadt Izmir liegen ausgedehnte
Ruinenfelder. Es sind die Reste der
ionisch-griechischen Stadt Klazomenai.
Die Bedeutung der Siedlung lässt sich
daran ermessen, dass sie einer der ersten
Orte war, an denen im antiken Grie­
chenland Silbermünzen geprägt wurden.
Wichtige Erwerbszweige waren die
Herstellung von Olivenöl (eine Presse
aus dem 6. Jahrhundert v. Chr. hat
sich im Grabungsareal erhalten) und
die Produktion der nach ihrem Entste­
hungsort benannten „klazomenischen
Sarkophage“.
Ein Merkmal dieser in Klazomenai
gefertigten Sarkophage ist die aufwän­
dige Gestaltung ihrer oberen Ränder. Die
Aufmerksamkeit, die die Kunsthand­
werker dem Rahmen widmeten, wirft
ein Licht auf das antike Begräbnisritual:
Die aus gebranntem Ton gefertigten
Sarkophage wurden bis auf den Rand
im Erdreich versenkt und, nachdem der
in feierlicher Prozession zum Begräbnis­
ort verbrachte Leichnam in ihm lag, mit
einer Steinplatte abgedeckt. Schließlich
warf man über ihm einen Erdhügel auf.
Im Augenblick der Grablegung war
von dem in einem Stück gebrannten
Sarkophag also nur der Rahmen zu
sehen, woraus sich dessen Ausschmü­
ckung erklärt. Zunächst beschränkte sich
diese nur auf Ornamente, nach 530 v.
Chr. treten in der Kopf- und Fußzone
vermehrt auch figürliche Darstellungen
auf. Der in Tücher gehüllte Tote lag vor
dem Verschließen des Grabes in einem
gerahmten Gehäuse – und blickte wie
aus einem geschmückten Türfeld heraus
auf die um ihn versammelte Trauerge­
meinde, allerdings in liegender Position.
Von den weltweit etwa 200 erhalte­
nen Exemplaren solcher klazomenischer
Sarkophage befanden sich vor dem
Zweiten Weltkrieg drei Stück im Anti­
kenmuseum Leipzig. Durch Kriegsein­
wirkung wurden zwei davon fragmen­
tiert, der dritte, am wenigsten geschädigte konnte 2013 bis 2014 mit Hilfe
des Freundeskreises der Kulturstiftung
der Länder restauriert werden. Der
Rahmen, der als der einzig geschmückte
Bestandteil des Sarkophags noch am
Ausgrabungsort von der schmucklosen
Wanne abgeschlagen und wie ein Bilder­
rahmen abtransportiert worden war, ist
gereinigt und gefestigt worden. Seine
aufgefrischten Malereien sind nun wie­
der in den Sammlungen des Antiken­
museums der Universität Leipzig zu
besichtigen.
Das restaurierte Stück zeigt unmit­
telbar oberhalb der „Schwelle“ florale
Motive, denen sich an den Längsseiten
einfache Winkelmuster anschließen. In
Kopfhöhe des Leichnams sitzen zwei sich
zugewandte Profilgesichter von Jünglin­
gen. Die obere Querstrebe trägt in ihrem
Zentrum eine Palmette. Links und rechts
von ihr erscheinen nach außen schrei­
tende, die Köpfe jedoch zu ihr umwen­
dende Löwenfiguren. Der Schmuck
gehört dem fortgeschrittenen Typus der
Sarkophage mit figürlichen Motiven an.
Datiert wird der Leipziger Sarkophag in
die Zeit um 510 bis 460 v. Chr.
Abgesehen von seiner Bedeutung als
Zeugnis der frühgriechischen Malerei ist
das Exponat ein rares Beispiel internatio­
nalen Mäzenatentums. Es kam nämlich,
zusammen mit zahlreichen anderen
Artefakten aus der Antike, im Jahr 1912
als Schenkung an das Antikenmuseum
der Universität Leipzig. Der Wohltäter
war eine schillernde Figur: Edward Perry
Warren, Amerikaner von Geburt, ver­
schrieb sich der klassischen Archäologie
und lebte seit 1888 vorwiegend in Eng­
land – in offener Lebensgemeinschaft
mit einem Mann, dem Archäologen John
Marshall (Warren verfasste 1928-30
unter Pseudonym eine dreibändige
„Defence of Uranian Love“, eine Vertei­
digungsschrift für Homosexualität).
Warren bereiste Europa, erwarb Antiken
für Museen und für den eigenen Besitz
und betätigte sich als Förderer verschie­
dener Sammlungen. Unter der Direktion
von Franz Studniczka erlebte die ins
frühe 18. Jahrhundert zurückreichende
Leipziger Sammlung neuen Aufschwung,
und die beiden angelsächsischen Kenner
zollten ihr ihre Anerkennung, indem sie
rund 300 wertvolle Objekte stifteten,
darunter der besagte klazomenische
Sarkophag. Auch wenn die beiden Män­
ner zum Zeitpunkt der Schenkung nicht
mehr zusammenlebten (Marshall hatte
bereits 1907 zur großen Bestürzung
Warrens eine Frau geheiratet), wirken die
beiden Jünglingsprofile auf dem Sarko­
phagrahmen fast wie ein zeitloses Denk­
mal ihrer ungewöhnlichen „uranischen“
Beziehung.
Prof. Dr. Frank Druffner ist stellvertretender Generalsekretär der Kulturstiftung
der Länder und Geschäftsführer des
Freundeskreises.
Der digitale
Kunstführer
für das
Ruhrgebiet
Restaurierter Sarkophag des
Hopkinson-Malers, oberer Abschluss der beiden Längsseiten mit
den Metopenbildern und dem
Kopfende mit dem Figurenfries,
um 510 – 460 v. Chr.; Antiken­
museum der Universität Leipzig
46
gefördert durch die
ARSPROTOTO 1 2010
2016
www.kunstgebiet.ruhr
47
NEUE BÜCHER
ADOLPH MENZEL
Mit schonungsloser Genauigkeit machte Adolph
Menzel (1815 –1905) bereits in seinem Früh­
werk klar: Die Zeiten idealistischer Ansichten
sind vorbei. Menzel zeichnete Baugerüste vor
seinem Zimmerfenster, fertigte Zeichnungen
sterbender Soldaten an, malte die königliche
Festgemeinschaft. Indem er sich dem Schönen
und Schrecklichen, dem Bedeutungsvollen und
Nebensächlichem gleichermaßen widmete,
erfasste der Maler die vielschichtige Wirklichkeit
mit größter Präzision aus einem ganz eigenen
Blickwinkel: Nicht zuletzt durch seine geringe
Körpergröße von nur einem Meter vierzig blieb
Menzel von vielen Lebensbereichen ausgegrenzt.
Jenseits der Familie hatte der als Außenseiter
geltende Künstler keine engen Bindungen,
wurde für militäruntauglich erklärt, blieb
unverheiratet. Dieses nicht gelebte Leben
versuchte sich Menzel ersatzweise zumindest
visuell anzueignen. Um Selbstachtung ebenso
wie um Bestätigung ringend, folgte er mit
feinem Spürsinn den Impulsen der Zeit. Werner
Busch beleuchtet in seiner reich bebilderten
Monographie das Gesamtwerk des Künstlers:
Von Menzels Anfängen als Gebrauchsgraphiker
sowie als Illustrator von Franz Kuglers „Ge­
schichte Friedrichs des Großen“ über seine
farbigen Ölskizzen bis hin zur kritischen Aus­
einandersetzung mit der Historienmalerei (die
Menzel ablehnte) und schließlich zu Menzels
Parisaufenthalten 1855, 1867 und 1868 entfaltet Busch das gesamte Spektrum von Menzels
künstlerischer Arbeit. Einfühlsam folgt er
biografischen wie historischen Umbrüchen, die
er in klaren Einzelbildanalysen von Menzels
Werken nachzeichnet. Dabei sensibilisiert der
Berliner Kunsthistoriker für gesellschaftliche
Wendungen und knüpft Verbindungen zu den
epochemachenden Pionierleistungen des großen
Künstlers Adolph Menzel.
Werner Busch, Adolf Menzel. Auf der Suche
nach der Wirklichkeit. Verlag C. H. Beck,
München. 304 Seiten mit 167 Abbildungen,
58 Euro
48
DER GARTENKÜNSTLER
PETER JOSEPH LENNÉ
Joseph Peter Lenné (1789 –1866) – ein intrigan­
ter Schmeichler? Ein ruhmsüchtiger Schurke und
Betrüger? Oder doch eher der größte Land­
schaftsgärtner seiner Zeit, ein Ausnahmetalent,
eine Künstlernatur? Für sein jüngst erschienenes
Buch wertet Clemens Alexander Wimmer –
selbst renommierter Gartenarchitekt und Denk­
malpfleger in Potsdam – den Nachlass des
berühmten Gartenkünstlers sorgfältig aus und
liefert anlässlich seines 150. Todestages eine
Biografie auf dem neuesten Stand der Forschung.
Ausgehend von der durch Krieg und Not gepräg­
ten Kindheit Lennés in Bonn schildert der Autor
den Aufstieg des ehrgeizigen Hofbeamten, der
sich geschickt gegen einflussreiche Konkurrenten
durchsetzte und rasch die Gunst der preußischen
Könige eroberte. Besonderes Augenmerk legt
der Biograf auf die überlieferten Äußerungen von
Lennés Zeitgenossen und schreckt dabei auch
vor kritischen, gar boshaften Stimmen nicht
zurück. Wimmer befreit Lenné von der überhol­
ten Mythifizierung seiner Person als singuläres
Künstlergenie und porträtiert den Schöpfer
zahlreicher Gartenanlagen wie Sanssouci, die
Pfaueninsel oder den Berliner Tiergarten, als
komplexen, charismatischen Charakter und
fähigen Künstler.
Clemens Alexander
Wimmer, Der
Gartenkünstler Peter
Joseph Lenné. Eine
Karriere am preußischen Hof. Lambert
Schneider Verlag,
Darmstadt. 224
Seiten mit 50
Abbildungen,
davon 30 in Farbe,
29,95 Euro
FERDINAND HARDEKOPF
— BERLINER BRIEFE
Seine Berlin-Feuilletons, die er in einer ProvinzZeitung – der Eisenacher Tagespost – veröf­
fentlichte, erzählen von der großstädtischen
Atmosphäre des Berlins der Jahrhundertwende.
In knappen Texten von virtuoser, spielerischer
Sprache schildert der junge Journalist Ferdinand
Hardekopf (1876 –1954) die Eindrücke der Ber­
liner Straßen, Cafés und Theater, beschreibt mit
Witz das illustre Leben des Großstädters. Stets
dem ephemeren Moment verschrieben, war das
Medium seiner Wahl nicht das auf Ewigkeits­
werten beruhende Buch, sondern die „Gazetten“,
wie Hardekopf die Zeitungen und Zeitschriften
nannte. Nur diese, empfand er, würden seinem
schnellen Stil gerecht. Unter verschiedenen Pseu­
donymen schrieb er Hunderte von Aphorismen,
Kritiken, Essays, Erinnerungen, Porträts und
Feuilletons. Letztere aus den Jahren 1899 bis
1902 – erst kürzlich wiederentdeckt – sind im
Band „Briefe aus Berlin“ zusammengefasst. Das
Buch bildet den Auftakt zu einer Reihe mit dem
programmatischen Titel „Unbegrenzt haltbar“, in
welcher der Verlag literarische Wiederentdeckun­
gen präsentieren möchte.
Bernhard Echte
(Hg.), Ferdinand
Hardekopf – Ber­
liner Briefe. Feuilletons 1899 –1902.
Nimbus Verlag,
Wädenswil am
Zürichsee. 224
Seiten mit zahlreichen SchwarzweißAbbildungen,
28 Euro
GEORG FORSTER
Georg Forster (1754 –1794) war ein Mann
weiter Horizonte: Noch als Jugendlicher nahm er
mit seinem Vater Reinhold von 1772 bis 1775
an James Cooks zweiter Weltumsegelung teil;
drei Jahre, die ihn mit ihren Strapazen und
ungeahnten Eindrücken zwischen Antarktis und
Tahiti auf immer prägen werden. Jürgen Gold­
stein, Professor für Philosophie, zeichnet die
intellektuelle Biographie Forsters nach und
identifiziert die Verbindung von Natur und
Politik als die Eckpunkte seines revolutionären
politischen Denkens. Forster, der 1793 die
„Mainzer Republik“ als erste Republik auf
deutschem Boden ausrief, verband „Wahrheit,
Freiheit, Natur und Menschenrecht“ in seinem
Denken und seinem politischen Handeln. Aber
Forsters schwärmerischer Geist zerbrach an den
Realitäten: Weder mündeten die außerordent­
lichen Erfahrungen der Weltreise in eine ange­
sehene Gelehrtenkarriere, noch hielten seine
Visionen dem politischen Alltag der Revolution
und der direkten Anschauung des revolutionären
Terrors von 1793 statt. Forster stirbt 1794
vereinsamt in Paris; was bleibt, sind die Auf­
zeichnungen seiner „Reise um die Welt“ – und
das biographische Denkmal des Weltbürgers
und unruhigen Geistes in einer Zeit voller
Umbrüche.
Jürgen Goldstein,
Georg Forster.
Zwischen Freiheit
und Naturgewalt.
Verlag Matthes und
Seitz, Berlin. 302
Seiten, 24,90 Euro
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dem Stichwort „Schloss Weilburg“
und helfen Sie bei der Restaurierung
der Brunnenfigur „Herakles und
Antaios“.
––– Siehe Seite 38
Haben Sie weitere Fragen zu den Projekten?
Rufen Sie die Redaktion unter 030 - 89 36 35 27 an.
DIE KULTURSTIFTUNG
DER LÄNDER
Die Kulturstiftung der Länder ist eine Stiftung bürger­
lichen Rechts und verfolgt ausschließlich gemeinnützige
Zwecke. Sie hat die Berechtigung, steuerlich wirksame
Spendenbescheinigungen auszustellen. Spenden an die
Kulturstiftung der Länder sind steuerlich abzugsfähig.
Die Kulturstiftung der Länder wurde 1987 von den
Ländern der Bundes­republik Deutschland gegründet
und nahm am 1. April 1988 in Berlin ihre Arbeit auf.
Im Oktober 1991 traten die neuen Bundesländer bei.
Die Kulturstiftung der Länder unterstützt und
berät deutsche Museen, Bibliotheken und Archive
bei der Erwerbung und Bewahrung von national
­wertvollem Kulturgut. Darüber hinaus widmet sie
sich wichtigen kulturpolitischen Themen wie dem
„Deutsch-Russischen Museumsdialog“ und hat mit
„Kinder zum Olymp!“ eine erfolgreiche Bildungs­
initiative für Kinder und Jugendliche ins Leben
gerufen. ––– www.kulturstiftung.de
BILDNACHWEIS
Titel: © Staatliches Museum Schwerin / Foto: Gabriele Bröcker; S. 3 o.: © Oliver Helbig; S. 3 u.: © Stiftung
Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg / Foto: Leo Seidel, S. 4 l. o.: © Autor privat; S. 4 l. u.:
© Autor privat; S. 4 r.: © Barbara Bechter, S. 5 l.: © Staatliches Museum Schwerin; S. 5 r. o.: © Kunst- und
Kulturverein Rheinsberg e. V.; S. 5 r. u.: © Staatliches Museum Schwerin / Foto: Michael Setzpfandt; S. 6 l.:
© Münchner Stadtmuseum, Sammlung Siegert; S. 6 r.: © Städel Museum, Frankfurt am Main / Foto: Städel
Museum – U. Edelmann – ARTOTHEK, S. 8/9 © Bayerische Staatsgemäldesammlungen München, Pinakothek
der Moderne; S. 10/11 © Staatliches Museum Schwerin; S. 12/13 , © Deutsches Theatermuseum München,
Archiv Heinz Köster / Foto Heinz Köster, © Benedikt Hoppe, S. 14 vorn: © Joachim John, hinten: © Volker
Braun; S. 15: © Annegret Gossens, Kleve 2015; S. 16: © Ulmer Museum / Foto: Karl-Friedrich Mühlensiep,
Neu-Ulm; S. 18/19: © Staatliches Museum Schwerin / Foto: D. Klose; S. 20/21, 25, 27: © Stiftung Preußische
Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg / Foto: Leo Seidel; S. 22: © Stiftung Preußische Schlösser und
Gärten Berlin-Brandenburg / Foto: Hans Bach; S. 23-24, 26 u.: © Stiftung Preußische Schlösser und Gärten
Berlin-Brandenburg; S. 26 o.: © Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg / Foto:
Wolfgang Bittner; S. 28, 30, 31, 34, 36 o., 36 u.: © Staatliches Museum Schwerin / Foto: Gabriele Bröcker; S.
29, 37: © Staatliches Museum Schwerin / Foto: Elke Walford; S. 33: © Staatliches Museum Schwerin / Fotos:
Michael Setzpfand, Gabriele Bröcker; S. 35: © Staatliches Museum Schwerin / Foto: Michael Setzpfand; S. 38:
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1/2013, 1/2014, 4/2014
PATRIMONIA
Die Kulturstiftung der Länder gibt seit 1988 die
Schriftenreihe PATRIMONIA heraus, in der sie ihre
wichtigsten Förderungen ediert. Bislang sind über
350 Bände erschienen. Einzelhefte können Sie bei der
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Kurzbeschreibungen der einzelnen Bände und Preis­
angaben finden Sie auf unserer Webseite.
© Fotostudio Yasmine Schüßler, 2015; S. 39: © VSG, 2010; S. 40-43: © Münchner Stadtmuseum, Sammlung
Siegert; S. 44/45: © Antikenmuseum der Universität Leipzig / Foto: Marion Wenzel; S. 48 l. o.: © Verlag C. H.
Beck; S. 48 m.: © WBG-Verlage; S. 48 r.o.: Nimbus-Verlag; S. 48 r. u.: © Verlag Matthes und Seitz; S. 50 – 55:
© Städel Museum, Frankfurt am Main / Foto: Städel Museum – ARTOTHEK; S. 56 l.: © VG Bild-Kunst, Bonn
2016; S. 56 2. v. l.: © VG Bild-Kunst, Bonn 2016 / Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau, München;
S. 56 3. v. l.: © Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie / Foto: Andres Kilger; S. 56 r.: © Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg; S. 57 l.: © Louisiana Museum of Modern Art, Schenkung Jytte
und Dennis Dresing; S. 57 2. v. l.: © Succession Picasso / VG Bild-Kunst, Bonn 2016; S. 57 3. v. l.: © Successió
Miró / VG Bild-Kunst, Bonn 2016; S. 57 r.: © VG Bild-Kunst, Bonn 2016; S. 58 l.: © Museumsberg Flensburg; S.
58 2. v. l.: © VG Bild-Kunst, Bonn 2016 / Foto: Imaging Department, Courtesy of President and Fellows of Harvard College; S. 58 3. v. l.: © Stiftung Arp e.V. Rolandswerth/Berlin, unbekannter Fotograf; S. 58 r.: © Gregor
Hildebrandt; Courtesy Wentrup Gallery / Almine Rech Gallery / Galerie Perrotin. Foto: Tom Gundelwein; S. 59 l.:
© Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Foto: J. Karpinski; S. 59 2. v. l.: © Hahnloser/Jaeggli Stiftung / Reto
Pedrini, Zürich; S. 59 3. v. l.: © Nolde Stiftung Seebüll; S. 59 r.: © Bayer & Mitko, München / VG Bild-Kunst,
Bonn 2016; S. 64: Foto: Frîa Hagen; S. 65 o.: © Stiftung Schloss Friedenstein Gotha; S. 65 u.: © Sandstein
Verlag; S. 66 © Oliver Mark
49
LÄNDERPORTRÄT HESSEN
Johann Nepomuk Zwerger,
Bildnisbüste von Johann
Friedrich Städel, 1829; Städel
Museum, Frankfurt am Main
Christian Georg Schütz d. Ä., Markttag am Frankfurter Römerberg,
1754, 104 × 123 cm; Städel Museum, Frankfurt am Main
Die Sammlung
Johann Friedrich Städel
„ZUM BESTEN HIESIGER STADT UND
BÜRGERSCHAFT“
Der Frankfurter Händler und Bankier Johann Friedrich Städel
begründete das erste öffentliche,
bürgerliche Kunstmuseum in Deutschland und schrieb
mit seinem Testament Rechtsgeschichte
W
ir wissen fast nichts über ihn. So lautet
der meistgeschriebene Satz über Johann
Friedrich Städel. Dabei trägt eines der
bedeutendsten Museen in Deutschland
seinen Namen. Dabei gilt seine Stiftung
als beispielhaft für privates Mäzenatentum. Und sein
Handeln für die Frankfurter Bürger ist das immerwäh­
rende Vorbild für Frankfurter Bürger. Sie unterstützen
ihr Bürgermuseum, sie schenken Kunst, spenden für
Ankäufe und Baumaßnahmen in großer Höhe und mit
beeindruckender Stetigkeit – all das im Sinne Johann
Friedrich Städels, der 1816 seine Kunstsammlung der
Frankfurter Bürgerschaft stiftete und außerdem ver­
fügte, dass sein Vermögen zur Ausbildung von Künst­
lern genutzt werden solle. In Städels Testament klingt
das so: „Grundlage eines zum Besten hiesiger Stadt
und Bürgerschaft hiermit von mir gestiftet werdenden
Städelschen Kunstinstituts soll meine Sammlung von
Gemählden, Handzeichnungen, Kupferstichen und
Kunstsachen, sammt dazu gehörigen Büchern“ sein.
Zum Umgang mit der Kunst hatte Städel klare Vorstel­
lungen: Die Sammlung sollte erhalten, vermehrt und
bei „vorkommenden Gelegenheiten durch Austausch
der vorhandenen schlechten und mittelmäßigen Stücke
gegen bessere, vollkommenere“ verändert werden.
Der Name Städel ist zum Inbegriff bürgerlichen
Engagements und Vertrauens in die Bürgerschaft ge­
worden. Der Stifter selbst jedoch ist seltsam fremd
geblieben. Die Eckdaten seines Lebens und Wirkens
mögen bekannt sein – geboren 1728, gestorben 1816.
Was für ein Mensch er war, liegt trotz intensiver For­
schung im Dunkeln. Auch die Kunsthistorikerin Corina
Meyer, die für ihre 2013 erschienene Dissertation allen
verfügbaren Informationen nachging und sie in ihrem
überaus fakten- und detailreichen Buch „Die Geburt
des bürgerlichen Kunstmuseums – Johann Friedrich
Städel und sein Kunstinstitut in Frankfurt am Main“
zusammenführte, muss konstatieren: „Die Person des
Johann Friedrich Städel ist schwer zu greifen.“ Meyer
nimmt an, dass er „ein introvertierter, aber durchaus
offener, moderner Mensch war, der sich zwar um sein
Selbstbild nicht kümmerte, doch schon Wert darauf
legte, dass seine Stiftungen seinen Namen tragen“.
Dass es eine große Unkenntnis über den Menschen
Städel bis heute gibt, war – so steht es zu vermuten –
durchaus in seinem Sinne. Wäre er an persönlichem
Nachruhm interessiert gewesen, hätte er zu Lebzeiten
Johann David Passavant
(zugeschrieben), Porträt
Johann Friedrich Städel,
um 1850 (?), 39,4 × 25 cm;
Städel Museum, Frankfurt
am Main
von Uta Baier
50
ARSPROTOTO 1 2016
51
dafür sorgen können, ebenso wie für ein Porträt,
schließlich war er ein reicher und bekannter Großhänd­
ler und Bankier mit entsprechend zahlreichen Verbin­
dungen. Doch auch ein repräsentatives Porträt gibt es
nicht. Allein eine ziemlich dilettantische Bleistiftzeich­
nung des Frankfurter Kunstschriftstellers Johann David
Passavant befindet sich in der Städelsammlung. Die
Marmorbüste von Johann Nepomuk Zwerger, die heute
im Museum steht, entstand nach einer früheren Passa­
vant-Zeichnung und mehr als zehn Jahre nach Städels
Tod. Eine gewisse Idealisierung abgerechnet, ist hier ein
freundlicher älterer, asketisch wirkender Herr zu sehen,
der gleichzeitig große Ruhe und große Willenskraft
ausstrahlt. Ausschweifend und laut scheint nichts an
ihm. Ein solcher Mann feiert keine glamourösen Feste,
er führt vertrauensvolle Gespräche, versenkt sich in ein
Kunstwerk, verhandelt für ein gutes Geschäft.
Ob Städel solche Spekulationen gerecht werden,
wird sich nicht mehr klären lassen, denn seine persön­
lichen Aussagen sind spärlich, allein Geschäftsbriefe
im üblichen korrekt-förmlichen Stil der Zeit haben sich
erhalten. Fest steht: Der Frankfurter Gewürzhändler
und Bankier Johann Friedrich Städel tat Großes für
die Bürger seiner Stadt und für alle, die Kunst sehen
wollen. Aber nicht nur das.
Völlig ungeplant schrieb er auch Rechtsgeschichte,
denn bis sein Testament eröffnet wurde, hatte noch
niemand einer noch nicht bestehenden Stiftung sein
ganzes Vermögen hinterlassen. Die Rechtsgültigkeit
dieser Verfügung zweifelten daher sofort nach seinem
Tod zwei entfernte Verwandte aus Straßburg an. Ihr
Argument: Niemand könne Erbe sein, der zum Zeit­
punkt des Erbantritts noch gar nicht existiert habe. Es
dauerte mehr als zehn Jahre, bis das Problem um die
Stiftung mit einem Vergleich gelöst wurde: Die ent­
fernten Verwandten bekamen ein Drittel des Vermö­
gens. Die endgültige rechtliche Klärung kam später.
Paragraph 84 im Bürgerlichen Gesetzbuch bezieht sich
auf diesen besonderen Fall und gibt Städel im Nachhin­
ein Recht, denn er lautet: „Wird die Stiftung erst nach
dem Tode des Stifters als rechtsfähig anerkannt, so gilt
sie für die Zuwendungen des Stifters als schon vor
dessen Tod entstanden.“
Die beschenkten Bürger staunten nicht schlecht
über das Städelsche Vermächtnis, das neben der Kunst­
sammlung aus 1,3 Millionen Gulden bestand. Damit
war Städel der drittreichste Frankfurter. Das war damals
offenbar nicht bekannt – was ein weiterer Hinweis auf
Städels Bescheidenheit ist. Selbst Goethe, durchaus ein
Kenner und Besucher von Sammler und Sammlung,
glaubte an einen Kommafehler, als er von der Summe
erfuhr. Dabei lag das Handeln Städel im Blut – schon
sein Vater war Händler und besaß ein Spezereien­
handelsgeschäft. Sohn Johann Friedrich arbeitete dort
mit und führte es auch nach dem Tod des Vaters 1777
52
Flämisch (Nachfolge Rubens oder Van Dyck), Trabender
Schimmel in einer Flachlandschaft vor einer Stadt, ca. 1648 –53,
101,2 × 67,9 cm; Städel Museum, Frankfurt am Main
weiter. Außerdem war er Bankier und Spediteur. Wie
sein Vater übernahm er Verantwortung im Bürgeraus­
schuss der Stadt, dem sogenannten 51er Kolleg. Sein
Haus baute Städel an der damals exklusivsten Adresse
Frankfurts, am Rossmarkt. Über dieses Haus war bisher
fast nichts bekannt, denn der Gebäudekomplex wurde
um 1900 von der Stadt abgerissen und das Archiv des
Frankfurter Bauamts verbrannte im Zweiten Weltkrieg.
Erst die Forschungen von Corina Meyer brachten
einige Klarheit über Städels Haus, das er nach dem Tod
des Vaters erwarb, umbaute und als Geschäfts-, Wohnund Ausstellungshaus nutzte. Im Erdgeschoss befanden
sich die Verkaufsräume, darüber zwei aufwändig ausge­
stattete Geschosse für seine Gemäldesammlung. Nach
Sichtung verschiedener Akten schließt Städel-Forsche­
rin Corina Meyer auf ein ambitioniertes Ausstattungs­
konzept der Säle, die reine Schauräume waren. Eine
Vermischung von Kunst und Wohnen, wie bei vielen
Privatsammlern üblich, lag offenbar nicht in Städels
Interesse. Vielmehr entschied er sich bei der Zurschau­
stellung in seinen Privaträumen für eine museale Prä­
sentation und unterschied sich nicht nur darin von
anderen Frankfurter Sammlern.
Denn im reichen Frankfurt gab es viele Privat­
sammler, doch ihre Sammlungen waren nicht unbe­
dingt beständig und wurden nach 20 oder 30 Jahren
Deutscher Meister, Bildnis eines Mädchens in Schäfertracht,
1665, 86,1 × 67,2 cm; Städel Museum, Frankfurt am Main
ARSPROTOTO 1 2016
53
Pieter Soutman (?), Bildnis eines Kindes mit rotgefüttertem Strohhut,
ca. 1640, 36,8 × 31,7 cm; Städel Museum, Frankfurt am Main
wieder verkauft oder zerstreuten sich durch Vererbung
und die damit verbundene Aufteilung. Nicht so die
Sammlung Städels – er sammelte 50 Jahre lang bis zu
seinem Tod. Die ersten beiden Bilder kaufte er 1763,
für 1814 ist der letzte Kauf mehrerer graphischer Blätter
nachweisbar. Diese Kontinuität war sowohl Ausdruck
seines ungebrochenen Erfolgs als Geschäftsmann, seines
anhaltenden Interesses an der Kunst wie auch seines
Lebens als unverheirateter, kinderloser Bürger. Das war
ihm durchaus klar, denn er schrieb 1811 in einem Brief:
„(m)eine Vermögens-Umstände in Verbindung mit
dem ledigen Stande, begünstigten sowol in Rücksicht
der nöthigen Muße, als des erforderlichen Aufwandes
diesen Kunsthang, so dass ich meine Samlung an Ge­
mälden, Kupferstichen und andern Kunst­sachen für
ansehnlich halten darf.“ Wenn Städel „ansehnlich“ sagt,
gibt er sich bescheiden und stolz zugleich, denn bei
54
seinem Tod umfasste die Sammlung 476 Gemälde von
200 Künstlern sowie 4.600 Handzeichnungen und
graphische Blätter. Die Hälfte der Gemälde stammte
aus den Niederlanden, die andere Hälfte war zu etwa
gleichen Teilen deutsch und italienisch. Städel besaß vor
allem Landschaften, Historien mit christlichen Sujets,
auch Genreszenen und Porträts. Stillleben interessierten
ihn hingegen weniger, denn es zählten nur 13 zur
ursprünglichen Sammlung. Die Vorliebe für bestimmte
Themen war zeittypisch, die Begeisterung für italie­
nische Kunst etwas Besonderes. Zum Städelschen Besitz
zählten – nach damaliger Zuschreibung – Vermeer und
Rubens, Parmigianino und Tintoretto, Tizian und van
Dyck, Frans Hals, Willem Kalf, Angelika Kaufmann
und Antonio Canal – um nur einige wenige zu nennen.
Trotz einer eigenhändigen Auflistung seines Kunst­
besitzes lassen sich längst nicht alle Bilder identifizieren,
denn heute sind aus der Ur-Sammlung nur noch 70
Gemälde im Museumsbesitz. Von den 4.600 Hand­
zeichnungen sind 1.900 übrig. Das hat nicht nur mit
der – für einen privaten Sammler ungewöhnlich un­
eitlen – testamentarischen Verfügung zu tun, Schlechte­
res zu verkaufen, um Besseres für die Sammlung kaufen
zu können, sondern mit Administratoren, die allzu
intensiv an die eigene Unfehlbarkeit glaubten. So be­
fand der Jurist Karl Friedrich Starck, dass die meisten
Gemälde als minderwertig zu betrachten seien und
begann sofort nach Städels Tod mit dem Verkauf. Zu
einer gänzlich anderen Einschätzung über die Qualität
waren verschiedene Besucher der Städelschen Samm­
lungen gekommen. Zum Beispiel Johann Isaak von
Gerning, ebenfalls ein Sammler. Er schrieb im Jahr
1800: „Mehr im italienischen oder im höheren welt­
bürgerlichen Kunstgeschmack ist das reiche Städelische
Kabinet (...).“ Goethe urteilte in „Ueber Kunst und
Alterthum“ 1816: „Der Decan aller hier lebenden
ächten Kunstfreunde, Hr. Städel, genießt in seinem
hohen Alter noch immer der lebenslänglich mit Ein­
sicht und Beharrlichkeit gesammelten Kunstschätze, in
dem wohlgelegensten Hause. Mehrere Zimmer sind mit
ausgesuchten Gemälden aller Schulen geschmückt, in
vielen Schränken sind Handzeichnungen und Kupfer­
stiche aufbewahrt, deren unübersehbare Anzahl, sowie
ihr unschätzbarer Werth den öfters wiederkehrenden
Kunstfreund in Erstaunen setzt.“
Nun ist es weder ein Qualitätskriterium, dass
Goethe etwas nicht beziffern und im Wert schätzen
kann, noch dass ihn etwas in Erstaunen versetzt. Doch
Goethe ist nicht allein mit seinem Urteil. Jochen San­
der, stellvertretender Direktor des Städelmuseums und
Sammlungsleiter der deutschen, holländischen und
flämischen Malerei vor 1800, lobt: „Was sie besonders
machte und auf Städels eigene Geschmacksbildung und
Kunstvorstellung verweist, ist der beachtliche Anteil
Aert van der Neer, Nächtliche Feuersbrunst in einer holländischen Stadt,
38 × 54,4 cm; Städel Museum, Frankfurt am Main
ARSPROTOTO 1 2016
Canaletto (Giovanni Antonio Canal), (vermutlich
Canaletto-Nachfolge), Ansicht einer venezianischen
Brücke, 68,6 × 98,9 cm; Städel Museum, Frankfurt
am Main
von Werken der italienischen und sonstigen romani­
schen Schulen sowie der Anteil an erzählenden Bildern,
an Historien.“ Und Corina Meyer konstatiert nach
ausführlichen Vergleichen mit zeitgenössischen Frank­
furter Sammlungen: „Städel hatte beim Einkauf auf
große Namen geachtet (van Eyck, Ruisdael, Rubens.
Tizian, Tintoretto, Lorrain etc.).“
„Als erster Bürger im deutschsprachigen Raum
begründete er ein öffentliches Kunstmuseum und eine
Kunstakademie“, lobt der aktuelle Städel-Direktor Max
Hollein. Heute ist die Kunstakademie eine staatliche
Schule. Das Museum jedoch, das erst in Städels Haus
eingerichtet wurde, zwischenzeitlich in einem Palais an
der Neuen Mainzer Straße residierte und 1878 in das
neu gebaute Ausstellungshaus am Schaumainkai zog,
blieb ein Bürgermuseum. Wie die Sammlung an den
verschiedenen Standorten präsentiert wurde, hat das
Museum in den vergangenen Jahren intensiv erforscht.
Seit Frühjahr 2016 kann der Besucher der Internetseite
www.staedelmuseum.de die historischen Hängungen
in 3D-Rekonstruktionen erkunden.
Anlässlich des 200. Todestages Johann Friedrich
Städels am 15. März 2015 gab es nicht nur dem Anlass
entsprechend angemessene Feiern. Das Städelmuseum
eröffnete einen unterirdischen Erweiterungsbau, der
zu 50 Prozent durch private Spenden finanziert wurde.
Zeitgleich bekam das Museum zwei Kunstwerke ge­
schenkt. Guido Renis „Himmelfahrt Mariens“ von
1596/97 finanzierte der Museumsverein, die Zeichnung
„Studie eines Aktes“ von Edgar Degas eine Frankfurter
Mäzenin. Sie alle handelten in bester Städel-Tradition
und erfüllten, was Johann Friedrich Städel sich für sein
Erbe gewünscht hatte: Vermehrung des Bestehenden.
Zu einer solchen Vermehrung in seinem Sinne fühlten
sich in den vergangenen 200 Jahren viele Frankfurter
Bürger aufgerufen und haben damit die Bedeutung
ihres Museums befördert. Städels Stiftung einer priva­
ten Kunstsammlung steht damit nicht für eine beispiel­
lose Entwicklung, doch sehr wohl für eine beispiel­
hafte. Uta Baier ist Kunsthistorikerin und Journalistin in Berlin.
55
KUNST UND KULTUR IN DEN LÄNDERN
BREMEN
HAMBURG
HESSEN
MECKLENBURG-VORPOMMERN
Jean Miró bei der Arbeit an Blau II (Bleu II),
1961
Lyonel Feininger, Marine mit Barke, 1912
von Carolin Hilker-Möll
BADEN-WÜRTTEMBERG
BAYERN
BERLIN
BRANDENBURG
Pablo Picasso, Liegende mit Buch, 1939
Per Kirkeby, Brett — Felsen, 2000
August Kopisch, Die Pontinischen Sümpfe bei
Sonnenuntergang, 1848
Gabriele Münter, Jawlensky und Werefkin, 1909
DER BLAUE REITER KEHRT
ZURÜCK
Joseph Beuys, Bruno Corà-Tee, 1975
JOSEPH BEUYS UND ITALIEN
Von seiner Landschaft, Geschichte
und Kultur gleichermaßen ins­
piriert, fühlte sich Joseph Beuys
(1921–1986) zeitlebens eng mit Ita­
lien verbunden: Als junger Soldat
war der Künstler im mediterranen
Raum stationiert, seine erste Einzel­
ausstellung in Neapel führte ihn 30
Jahre später zurück in die Region.
Joseph Beuys’ Liebe zu Italien mani­
festiert sich in Zeichnungen, Multi­
ples und Objekten aus unterschied­
lichen Schaffensphasen. Einige der
eindrucksvollsten Werke, wie die
Installation „Terremoto in Palazzo“
(1981), in der sich Beuys mit der
Erdbebenkatastrophe in Neapel aus­
einandersetzte, sind nun in Heil­
bronn zu sehen.
Kunsthalle Vogelmann, Heilbronn
www.museen-heilbronn.de
bis 29.5.2016
ELGER ESSER — ZEITIGEN
Anlässlich der Verleihung des Os­
kar-Schlemmer-Preises 2016 an
Elger Esser zeigt die Staatliche
Kunsthalle Karlsruhe Arbeiten des
1967 geborenen Künstlers. Indem
Esser auf Techniken und Stilmittel
der Piktorialisten Bezug nimmt und
Kompositionen der Landschafts­
malerei aufgreift, schafft er in seinen
teils malerisch anmutenden Foto­
grafien wahre Zeit-Räume: Essers
Werke, die verlassene Nutz- und
Sakralbauten oder zeitlose Land­
schaften vorweisen, setzen sich mit
Momenten des Vergehens und Ver­
gessens auseinander.
Staatliche Kunsthalle Karlsruhe
www.kunsthalle-karlsruhe.de
bis 10.7.2016
56
Franz Marc, Wassily Kandinsky,
Paul Klee und weitere Künstler
aus dem Kreis des „Blauen Reiter“
gelten als entscheidende Pioniere
der modernen Kunst des 20. Jahr­
hunderts. Gleichberechtigt stell­
ten Kandinsky und Marc im 1912
erschienen Almanach „Der blaue
Reiter“ die Werke alter europäischer
Meister neben Volks- und Kinder­
kunst, afrikanische Schnitzereien,
bayerische Hinterglasmalerei sowie
ägyptische Schattenbilder. Im Len­
bachhaus spiegeln sich die facetten­
reichen künstlerischen Anreize nun
in der neuen Präsentation der welt­
weit größten Sammlung zur Kunst
des „Blauen Reiter“.
Lenbachhaus, München
www.lenbachhaus.de
Dauerausstellung
NIEDERLÄNDISCHE
ZEICHNUNGEN — NEU ENTDECKTE WERKE AUS DEM
GERMANISCHEN NATIONALMUSEUM
Der Bestand des Germanischen Na­
tionalmuseums umfasst niederlän­
dische Zeichnungen des 15. bis 18.
Jahrhunderts – die 90 schönsten
Werke werden nun in einer Sonder­
ausstellung präsentiert. Von Figu­
renskizzen und Landschaftsdarstel­
lungen über Genreszenen bis hin zu
religiösen Motiven zeigt die Aus­
stellung nicht nur eine für die hol­
ländischen und flämischen Meister
charakteristische Themenpalette,
sondern zeugt zudem von techni­
scher Vielfalt und Finesse: Schließ­
lich besaß die Zeichnung – von der
ersten Ideenskizze bis hin zum auto­
nomen Kunstwerk – verschiedenste
Funktionen.
Germanisches Nationalmuseum,
Nürnberg
www.gnm.de
bis 22.5.2016
AUGUST KOPISCH — MALER,
DICHTER, ENTDECKER,
ERFINDER
Graf von der Groeben, Aquarell, um 1850
DIE GÄRTEN PETER JOSEPH
LENNÉS ZWISCHEN SCHLESIEN UND POMMERN
Historienmaler, Schriftsteller,
Briefautor, Librettist, Historiker,
Zeichner, Ingenieur, Forscher und
Entdecker der Blauen Grotte auf
der Insel Capri: August Kopisch
(1799 –1853) ist einer der vielsei­
tigsten Künstler der ersten Hälfte
des 19. Jahrhunderts. Seine Werke
als Maler sind von besonderer poeti­
scher Intensität und Strahlkraft der
Farben. Schon der preußische König
Friedrich Wilhelm IV. schätzte sein
bevorzugtes Bengalisches Blau oder
seine schwelgerischen Rottöne und
wurde zum wichtigsten Förderer
und Sammler seiner Kunst. Erstmals
widmet nun die Nationalgalerie
dem Multitalent Kopisch eine Aus­
stellung und zeigt die Vielfalt seines
außergewöhnlichen interdisziplinä­
ren Wirkens.
Gartengestalter, Stadtplaner, Ko­
ordinator von Gärtnern, Blumen­
zucht, Baumschulen und Land­
wirtschaft: Peter Joseph Lenné
(1789 –1866) wird in diesem Jahr
anlässlich seines 150. Todestages ge­
feiert. So vertraut uns seine deut­
schen Parkanlagen sind, so verbor­
gen liegen seit dem 2. Weltkrieg
einige jener Landschaftsprojekte,
die er und seine engsten Mitarbei­
ter auf der anderen Seite der Oder,
in den ehemaligen östlichen Provin­
zen Preußens, verwirklichten. Die
Besucher der zweisprachigen Aus­
stellung können bedeutende Land­
schaftsgärten im heutigen Polen in
Fotografien kennenlernen sowie
fast vergessene Wirkorte Lennés
wiederentdecken.
Alte Nationalgalerie, Berlin
www.smb.museum
19.3. – 17.7.2016
Schloss Caputh, Caputh
www.kulturforum.info
1.5. – 24.7.2016
WIR SUCHEN DAS WEITE — REISEBILDER VON ALBRECHT
DÜRER BIS OLAFUR ELÍASSON AUS DEM KUPFERSTICHKABINETT
HERZ HAUS MESSER
KREUZ — MALEREI, GRAFIK,
PLASTIK, OBJEKTE AUS DER
SAMMLUNG MUSEUM JUNGE
KUNST FRANKFURT (ODER)
Die schönsten, verlockendsten und
kuriosesten Reisebilder aus über
fünf Jahrhunderten zeigt das Kup­
ferstichkabinett diesmal in seiner
Sommerausstellung, bei der sich der
Bogen von der Renaissance bis in
die Gegenwart spannt: von pracht­
voll illustrierten Büchern aus der
Zeit um 1500 über die Kunst um
Humboldt, die rätselhaften Para­
diese Paul Gauguins und die aus­
drucksstarken Südsee-Aquarelle
Emil Noldes bis hin zu Ed Ruschas
60er-Jahre-Tankstellen irgendwo
in Amerika und Franz Ackermanns
farbexplorierenden „Mental Maps“.
Die weitläufige Rathaushalle bildet
den Rahmen für Gegensätz­liches:
Leben und Tod, Liebe und Hass,
Utopien und Katastrophen, Ma­
terielles und Spirituelles sind die
Themen, die in den rund 100 prä­
sentierten Arbeiten aufgefächert
werden. Gemeinsam ist den 37
Künstlern, dass sie sich mit zeichen­
haften Situationen wie kollekti­
ven Symbolen oder Piktogrammen
auseinandersetzen.
Kupferstichkabinett, Berlin
www.smb.museum
18.3. – 25.9.2016
Museum Junge Kunst, Frankfurt
(Oder)
www.museum-junge-kunst.de
bis 11.9.2016
PER KIRKEBY — WERKE AUS DEM LOUISIANA MUSEUM OF MODERN ART
Als einer der vielseitigsten Gegen­
wartskünstler Dänemarks und zu­
gleich als promovierter Geologe
macht Per Kirkeby (*1938) die Na­
tur zum Hauptthema seiner Arbeit:
In Malereien, Zeichnungen sowie
Modellen aus Bronze greift er, zwi­
schen Konkretem und Abstraktem
changierend, stets natür­liche For­
men auf. Wie aufgetürmte Erd­
schichten legt Kirkeby seine Farb­
ebenen übereinander. Wirken seine
frühen Bilder geheimnisvoll-distan­
ziert, inspirierte das Licht des Nor­
dens Kirkeby im späteren Schaf­
fen zu einer helleren Farbpalette.
Die sinnlichen sowie expressiven
Arbeiten aus dem Louisiana Mu­
seum of Modern Art in Humlebæk,
Dänemark, werden nun in Bremen
gezeigt.
Paula Modersohn-Becker Museum,
Bremen
www.museen-boettcherstrasse.de
bis 5.6.2016
KINDER, KERLE, CHARAK- TERE — DAS DRUCK-­
GRAPHISCHE WERK
ADRIAEN VAN OSTADES
Adriaen van Ostade (1610 –1685)
kannte die Geheimnisse der Ra­
dierkunst: Er wusste die Ätztechnik
nicht nur detailreich umzusetzen,
sondern erreichte durch sensible
Lichtwirkungen eine große Nähe
zu seinen Themen. Nicht ohne Hu­
mor schilderte er das zeitgenössische
Leben in aller Vielseitigkeit: Ställe,
Hütten und Wirtshäuser, einfa­
che rauchende, trinkende, tanzende
und spielende Leute begegnen dem
Betrachter auf seinen 50 Radierun­
gen. Die Radiertechnik des heraus­
ragenden Künstlers illustrieren in
der Kunsthalle Bremen auch dessen
Vorzeichnungen und Ätzplatten.
Kunsthalle Bremen
www.kunsthalle-bremen.de
6.4. – 3.7.2016
ARSPROTOTO 1 2016
PICASSO — FENSTER ZUR WELT
Als Vermittler zwischen innerer und
äußerer Welt ist das Fenster aus dem
Œuvre Picassos nicht wegzudenken.
Über viele Jahre sowie verschiedene
Schaffensphasen hinweg, hielt ihn
das Fenstermotiv bis in sein spä­
tes Werk fest. Immer wieder kam er
auf das lichte Thema zurück: Es war
Symbol der Malerei, Sinnbild des
Sehens und stand stellvertretend für
den Maler selbst. Das Fenster gab
Picassos Arbeit einen Rahmen: Mit
ihm orientierte er sich immer wie­
der neu, behandelte darüber hinaus
künstlerische Grundfragen, die sich
an den Grenzen zwischen Skulptur
und Malerei sowie in der fortwäh­
renden Auseinandersetzung mit
Henri Matisse stellten. Das Bucerius
Kunstforum zeigt u.a. Leihgaben
aus Paris, London, Barcelona und
New York.
Bucerius Kunstforum, Hamburg
www.buceriuskunstforum.de
bis 16.5.2016
ECKERSBERG: FASZINATION WIRKLICHKEIT — DAS
GOLDENE ZEITALTER DER
DÄNISCHEN MALEREI
In der Hamburger Kunsthalle wer­
den die eindrucksvollen Werke des
Dänen Christoffer Wilhelm Eckers­
berg (1783 –1853) gezeigt. Mit ei­
nem tragbaren Malkasten ausge­
stattet, zog er durch Rom und die
Campagna, gab seine Erfahrungen
des direkten Naturstudiums dann
als Lehrer an der Kopenhagener
Akademie weiter. Innovative Per­
spektiven sowie radikale Kompo­
sitionen verbinden sich in seinen
Werken mit einer großen stofflichen
Unmittelbarkeit.
Hamburger Kunsthalle
www.hamburger-kunsthalle.de
bis 16.5.2016
JOAN MIRÓ — WANDBILDER,
WELTENBILDER
Innerhalb seines Œuvres schuf Joan
Miró (1893 –1983) Großes: In mo­
numentalen Formaten entwarf er
physische, haptische Bildwelten
auf weiß grundierten Leinwänden,
in die er teilweise Jute, Faserplat­
ten, Sand- oder Teerpappen ein­
band. Fasziniert von seinen Bildern
auf Wänden, aber umgekehrt auch
von Wänden in seinen Bildern, griff
Miró das Thema immer wieder auf.
Statt die Wirklichkeit einfach wie­
derzugeben wollte sich Miró vom
Bildträger lösen, dazu setzte er Bild­
fläche und Wand gleich. Die Schirn
Kunsthalle widmet sich in einer
Sonderausstellung Wand-Bildern
des Künstlers aus unterschiedlichen
Schaffensphasen von seinen Traum­
bildern der 1920er Jahre bis hin zu
den monumentalen Werken „Blau
I-III“ und „Malerei I-III“ aus den
1960er und 1970er Jahren.
Schirn Kunsthalle, Frankfurt a. M.
www.schirn.de
bis 12.6.2016
ALLES NEU! 100 JAHRE NEUE
TYPOGRAFIE UND NEUE
GRAFIK IN FRANKFURT AM
MAIN
Das Museum Angewandte Kunst in
Frankfurt präsentiert in seiner von
der Kulturstiftung der Länder ge­
förderten Schau Höhepunkte der
Typografie und Grafik. In enger
Beziehung zum Gestaltungs- und
Modernisierungsprojekt „Das Neue
Frankfurt“ siedelten sich in der
Stadt nach 1945 Verlage wie Suhr­
kamp und S. Fischer sowie Werbe­
agenturen an. Nicht zuletzt durch
dieses kreative Umfeld entwickelte
sich ein bis heute lebendiges Zent­
rum für Typografie und Grafik.
Museum Angewandte Kunst,
Frankfurt a. M.
www.museumangewandtekunst.de
25.3. – 18.9.2016
LYONEL FEININGER: RÜGEN,
RIBNITZ, USEDOM — REISEN
AN DIE OSTSEE VON 1892
BIS 1913
Der Besuch des Kunstmuseums Ah­
renshoop ist in jeder Hinsicht ein
Wiedersehen mit dem Meer: In den
Jahren 1891–1913 bereiste Lyonel
Feininger Orte auf den Inseln Rü­
gen, Usedom sowie an der Ribnitzer
See mit angrenzender Boddenland­
schaft vor Ahrenshoop. Zahlreiche
prägnante Kompositionsideen sowie
charakteristische Bildmotive, die
Feininger vorerst in Skizzen entwarf,
dann in späteren Jahren immer wie­
der aufgriff, haben ihre Quelle in
diesen frühen Ostseeaufenthalten.
Von der Naturnotiz über die Druck­
graphik bis zum Gemälde verfolgt
die Ausstellung diese Verbindung in
einigen konsistenten Werkfolgen.
Kunstmuseum Ahrenshoop,
Ahrenshoop
www.kunstmuseum-ahrenshoop.de
19.3. – 17.7.2016
DIETER GOLTZSCHE — SCHÖNE ZEICHNUNG
Mit großer Freiheit im Ausdruck,
leicht und zugleich sicher im künst­
lerischen Gestalten schafft Dieter
Goltzsche auserlesene Zeichnun­
gen, die zwischen Phantasie und
Realität oszillieren. 1934 in Dres­
den geboren, arbeitet er seit 1960
freischaffend in Berlin und wurde
mit zahlreichen Preisen geehrt: dem
Käthe-Kollwitz-Preis, dem HannahHöch-Preis sowie dem Hans Theo
Richter-Preis. Die Sonderausstel­
lung in der Kunstsammlung Neu­
brandenburg präsentiert Zeichnun­
gen aus dem 2014 erschienenen
Werkverzeichnis.
Kunstsammlung Neubrandenburg
www.kunstsammlung-neubrandenburg.de
10.3. – 12.6.2016
57
NIEDERSACHSEN
NORDRHEIN-WESTFALEN
Jacob Nöbbe, Wilhelm Dreesen als Landschaftsmaler, 1893
Fernand Léger, Les Plongeurs, 1943
MYTHOS HEIMAT — WORPSWEDE UND DIE EUROPÄISCHEN KÜNSTLERKOLONIEN
Angelockt von unverfälschter Na­
tur, ländlicher Beschaulichkeit oder
markanten Lichtverhältnissen, ent­
schieden sich im 19. und frühen
20. Jahrhundert Künstler in ganz
Europa für das gemeinschaftliche
Leben in Künstlerkolonien. Entle­
gene Orte wie Worpswede, Barbi­
zon, Ahrenshoop und viele weitere
boten einerseits außergewöhnliche
Motive, zum anderen eine idylli­
sche Heimat. Im Künstlerkollektiv
herrschte ein kreatives Umfeld; der
stete gegenseitige Austausch schlug
sich nieder in inspirierenden Na­
turansichten. Über 200 Werke aus
rund 20 Künstlerkolonien Europas
geben im Landesmuseum Hannover
faszinierende Einblicke in künstle­
rische Lebenswelten fernab der städ­
tischen Kunstzentren.
Landesmuseum Hannover
www.landesmuseum-hannover.
niedersachsen.de
18.3. – 26.6.2016
VITAMINBOMBE — FRÜCHTEBILDER VON PICASSO BIS WARHOL
So vitamin- wie variantenreich:
Früchte beschäftigen Maler schon
seit jeher und bleiben selbst in
der Gegenwartskunst aktuell. Die
Kunsthalle Emden präsentiert aus­
gewählte Fruchtstücke des 20. und
21. Jahrhunderts aus der fast 300
Gemälde, Zeichnungen, Aquarelle,
Graphiken sowie plastische Werke
umfassenden thematisch fruchtba­
ren Sammlung des Unternehmers
und Wissenschaftlers Rainer Wild,
darunter Arbeiten von Max Pech­
stein, Karl Schmidt-Rottluff, Georg
Baselitz, Jörg Immendorf und Emil
Nolde.
Kunsthalle Emden
www.kunsthalle-emden.de
bis 29.5.2016
58
FERNAND LÉGER — MALEREI
IM RAUM
Gelb, Rot, Blau, Grün und wie­
der Gelb – das sind die Farben,
die als breite Balken formiert den
Hintergrund für die Silhouetten
zweier verschlungener Figuren bil­
den. Fernand Légers (1881–1955)
Wandgemälde „Les Plongeurs“ (Die
Taucher), 1942, bildet das Herz­
stück der Ausstellung im Museum
Ludwig. Vom Haus des Architekten
Wallace K. Harrison, für das es der
französische Künstler ursprünglich
konzipierte, wurde es vor 30 Jahren
vom Ehepaar Ludwig für den gleich­
namigen Museumsneubau erwor­
ben. Hier veranschaulicht es nun die
Beziehungen zwischen Architektur
und Raum, mit denen sich der ku­
bistisch inspirierte Künstler intensiv
auseinandersetzte.
Museum Ludwig, Köln
www.museum-ludwig.de
9.4. – 3.7.2016
THOMAS STRUTH — NATURE & POLITICS
So unterschiedlich die Orte sind,
die Thomas Struth (*1954) foto­
grafiert, ist den großformatigen,
farbintensiven Ansichten von Er­
lebnisparks, Kirchenräumen oder
Forschungs­instituten doch vieles
gemeinsam: Die menschengemach­
ten Räume bieten eine oszillierende
Fülle an Details, die bekannt und
doch geheimnisvoll anmuten. Auch
wenn die Fotografien das techni­
sche Können ihrer Erbauer sowie
dessen Vorstellungskraft beeindru­
ckend präsentieren, lassen sie auch
die Möglichkeit der Überforderung
anklingen.
Museum Folkwang, Essen
www.museum-folkwang.de
bis 29.5.2016
RHEINLAND-PFALZ
SAARLAND
Gregor Hildebrandt, Ausstellungsansicht
Saarlandmuseum, 2015
Hans Arp, Tristan Tzara, Hans Richter
vor dem Hotel Elite, Zürich 1918
GENESE DADA — 100 JAHRE
DADA ZÜRICH
In Remagen sind Auflehnung und
Provokation zu erleben: Anlässlich
des 100. Geburtstags von Dada wid­
met sich das Arp Museum in einer
durch die Kulturstiftung der Län­
der geförderten Ausstellung jener
Kunstrichtung des 20. Jahrhunderts,
die sich radikal vom traditionellen
Kunstbegriff sowie von etablierten
bürgerlichen Werten absetzte. In der
Zürcher Künstlerkneipe „Cabaret
Voltaire“ fand die Bewegung 1916
ihren Ursprung. Statt gängigen
Kunstpraktiken zu folgen, suchte
die Gruppe internationaler Künst­
ler um Hans Arp, Emmy Hennings
und Hugo Ball eine Alternative. In
Gedichten, Kunst, Tanz und Theater
hießen sie zufällige, banale, absurde
Ausdrucksformen willkommen.
Arp Museum Bahnhof Rolandseck,
Remagen
www.arpmuseum.org
bis 10.7.2016
„SIND BRITEN HIER?“ — DIE
ENGLÄNDER AN RHEIN UND
MOSEL
Ein Dampfschiff, das 1816 das erste
Mal von London nach Köln fuhr,
schlug große Wellen: Zwar hatten
auch schon vorher Engländer die
malerische Rhein- und Moselland­
schaft besucht, doch stieg die tou­
ristische Beliebtheit nach 1816 stark
an. Nicht zuletzt neugierig gemacht
von Lord Byrons Gedicht „Cast­
led Crag of Drachenfels“, kamen
zahllose englische Touristen, dar­
unter Dichter und Künstler, um
rheinische Motive zu entdecken,
aber auch in Bildern für die Heimat
festzuhalten.
GREGOR HILDEBRANDT — STERNE STREIFEN DIE
FLUTEN
Schallplatten, Kassetten und die
Musik rhythmisieren Gregor Hilde­
brandts (*1974) Arbeiten. Mit über
1.000 Vinylplatten gestaltet er me­
terhohe Wände, Tonbänder ordnet
er auf Leinwänden an. Teils minu­
tiös setzt er aus den analogen Da­
tenträgern nicht nur Muster oder
Motive zusammen, sondern schafft
darüber hinaus Möglichkeiten des
Erinnerns: Bewahren die Datenträ­
ger Songs seiner Lieblingsmusiker
wie The Cure oder Tocotronic, ru­
fen sie beim Ausstellungsbesucher
eigene musikalische Erinnerungen
wach. So werden ganz persönliche,
möglicherweise fast vergessene Lieb­
lingsklänge, Lieder und Lebenserin­
nerungen lebendig.
Saarlandmuseum, Moderne Galerie,
Saarbrücken
www.kulturbesitz.de
bis 24.4.2016
INSPIRATION ANTIKE — EUGEN VON BOCH UND DIE
ARCHÄOLOGIE IM 19. JAHRHUNDERT
Suchen, Sammeln, Sichern: Als
ein Vorreiter der Archäologie in
Deutschland hatte Eugen von Boch
(1809 –1898), der erfolgreiche
Steingutfabrikant, die Ambition,
eine keramische Universalsammlung
zusammenzutragen, die alle Epo­
chen und Regionen umfasst. Seine
umfangreichen Projekte spannen ei­
nen weiten Bogen zwischen Ausgra­
bungen, Restaurierungen und Alter­
tumsforschung. Glanzpunkte seiner
privaten Antikensammlung treffen
nun auf bedeutende Leihgaben aus
internationalen Museen.
Museum für Vor- und Früh­
geschichte, Saarbrücken
www.kulturbesitz.de
16.4. – 11.9.2016
SACHSEN
Becken mit Perlmuttmosaik, Indien 16. Jh.,
Fassung: Elias Geyer, Leipzig, um 1600
WELTSICHT UND WISSEN UM 1600
Die von Kurfürst August (1526 –
1586) gegründete Kunstkammer
stellt die Welt im Kleinen dar: Sie
zeigt ein buntes Spektrum von
Garten­geräten über Kunstkammer­
schränke bis hin zum vermeint­
lichen Horn des Einhorns – einem
Narwalzahn. In kostbaren, kunstvol­
len und kuriosen Gegenständen von
Nah und Fern spiegelt sich die Ent­
deckung fremder Länder. Ebenso
umfasst die kurfürstliche Sammlung
technische und wissenschaftliche Er­
rungenschaften. Das Dresdner Resi­
denzschloss zeichnet in seiner neuen
Dauerausstellung ein lebhaftes Bild
künstlerischen, technischen und
wissenschaftlichen Schaffens der
Spätrenaissance.
Staatliche Kunstsammlungen
Dresden, Rüstkammer im
Residenzschloss
www.skd.museum
Dauerausstellung, ab 19.3.2016
SACHSEN-ANHALT
SCHLESWIG-HOLSTEIN
Paul Cézanne, Provenzalische Landschaft,
1883–85
Emil Nolde, Glühender Abendhimmel, 1945
MAGIE DES AUGENBLICKS
EMIL NOLDE — DAS SPÄTWERK
Das Kunstmuseum Moritzburg prä­
sentiert 150 Meisterwerke aus der
Sammlung des Ehepaares Arthur
und Hedy Hahnloser-Bühler aus
Winterthur bei Zürich. Von den
frühen Vertretern der Moderne
wie Cézanne und van Gogh über
Rodin, Bonnard, Redon bis hin zu
Matisse und Renoir reicht die Riege
der französischen Künstler, mit
denen das Sammlerpaar in regem
Austausch stand oder freundschaft­
lich verbunden war. Zwischen 1906
und 1936 entstand so eine außer­
ordentliche Privatsammlung des
Post-Impressionismus und Fauvis­
mus. Ausgewählte Gemälde, Aqua­
relle, Zeichnungen, Druckgraphiken
sowie Bronzegüsse machen nun in
Halle Station.
1926 zog Emil Nolde (1867 –1956)
nach Seebüll, das ihm zur Heimat
wurde und der Ursprungsort seines
späten Schaffens ist. 1937 als „entar­
tet“ verfemt, setzte sich Noldes Ver­
folgung fort: Seine Bilder wurden
beschlagnahmt und verkauft, 1941
erhielt er ein Berufsverbot als profes­
sioneller Künstler und setzte seine
im Geheimen erarbeiteten Ideen
nach dem Krieg frei. Im Spätwerk
vermehrt das Verhältnis zwischen
den Menschen aufgreifend, schuf
Nolde vielfältige Motivwelten an
den Grenzen zwischen Abstraktion
und Gegenständlichkeit. Die in See­
büll gezeigte Auswahl eröffnet einen
farbfreudigen Einblick in die Tiefe
des künstlerischen Spätwerkes. Kunstmuseum Moritzburg,
Halle (Saale)
www.stiftung-moritzburg.de
12.3. – 11.9.2016
VON ZINGG BIS ZILLE — HANDZEICHNUNGEN DES DER BERLINER SKULPTUREN- 19. JAHRHUNDERTS
FUND „ENTARTETE KUNST“
Wurden zuvor Porträts, idealisierte
IM BOMBENSCHUTT
Vor dem Roten Rathaus in Berlin
wurden 2010 bei archäologischen
Grabungen 16 lange verschollen ge­
glaubte Skulpturen entdeckt und ge­
borgen. 1937 als „entartet“ verfemt
und aus deutschen Museen entfernt,
tragen die aus Keramik, Bronze,
Messing, Marmor und Steinguss
geschaffenen Kunstwerke deutliche
Narben ihrer Vergangenheit: Brand­
spuren zeugen von der Bombardie­
rung 1944. Die Skulpturen werden
in Görlitz, wo sie anlässlich einer
Wanderausstellung zu sehen sind, zu
ausgewählten Objekten der Samm­
lung in Beziehung gesetzt.
Kulturhistorisches Museum Görlitz
www.museum-goerlitz.de
bis 29.5.2016
Landschaften und religiöse Motive
festgehalten, erfasste das Genre der
Zeichnung im 19. Jahrhundert neu­
artige Themen: Grotesken und Kari­
katuren, Dokumentarischem sowie
banalen Alltagserfahrungen galt nun
das Augenmerk der Zeichner. Die
Sonderausstellung im Kulturhisto­
rischen Museum spürt dem Wandel
der Kunstauffassung mit Zeichnun­
gen und Aquarellen u.a. von Adrian
Zingg, Ludwig Richter, Friedrich
Wasmann, Moritz von Schwind,
Caspar Scheuren, Sascha Schneider
und Heinrich Zille nach.
Kulturhistorisches Museum
Magdeburg
www.khm-magdeburg.de bis 22.5.2016
Nolde Stiftung Seebüll
www.nolde-stiftung.de
bis 30.11.2016
BESTE FREUNDE — KUNSTWERKE FÜR SCHLOSS GOTTORF
Seit mehr als 65 Jahren unterstützt
der Freundeskreis Schloss Gottorf
e. V. das Landesmuseum für Kunst
und Kulturgeschichte. Die Anschaf­
fungen von Kunstwerken und die
Unterstützung von Projekten sind
heute die prominentesten Aufgaben
des Freundeskreises. Die Ausstellung
„Beste Freunde“, die nur etwa zwan­
zig Prozent der rund 1.000 durch
den Freundeskreis gewonnenen
Dauerleihgaben zeigt, spiegelt die
Moden und Vorlieben der jeweiligen
Sammlungsausrichtungen in dieser
großen Zeitspanne.
Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloss Gottorf, Schleswig
www.schloss-gottorf.de
bis 5.6.2016
THÜRINGEN
Hans Purrmann, Blick auf Collioure, 1911
HANS PURRMANN: DIE FARBEN DES SÜDENS — GEMÄLDE
UND ZEICHNUNGEN
Überwältigt von der künstleri­
schen Avantgarde der Fauves, reiste
der junge Absolvent der Münch­
ner Kunst-Akademie Hans Purr­
mann (1880 –1966) gemeinsam mit
seinem Freund und Lehrer Henri
Matisse nach Südfrankreich. Unter
freiem Himmel entwickelte er dort
seinen ganz eigenen Stil – gekenn­
zeichnet durch den Umgang mit
möglichst reinen, unvermischten
Farben. Inspiriert von der sonnigen
Landschaft des Südens, verschlug
es den Künstler weiter nach Lan­
genargen am Bodensee über Ischia
und Florenz bis nach Montagnola.
Das Angermuseum in Erfurt rückt
den außergewöhnlichen Koloristen
nun in den Fokus einer Ausstellung
und präsentiert eine Auswahl von
114 herausragenden Gemälden und
Zeichnungen.
Angermuseum, Erfurt
www.erfurt.de
bis 16.5.2016
ALTENBOURG IM DIALOG IV— PAUL ELIASBERG
Paul Eliasberg (1907–1983) steht
im Mittelpunkt des vierten und
letzten Dialogs der Altenburger
Ausstellungsreihe. Den Zeichner
und Graphiker verband eine enge
Freundschaft mit Gerhard Alten­
bourg, beide standen im regen Aus­
tausch miteinander. Das LindenauMuseum stellt erstmals das Werk der
Künstlerkollegen einander gegen­
über und beleuchtet die verbinden­
den Elemente ihrer Druckgraphi­
ken. Kern der Schau bilden sieben
– mit persönlicher Widmung verse­
hene – Radierungen von Eliasberg
aus Gerhard Altenbourgs Nachlass.
Lindenau-Museum Altenburg
www.lindenau-museum.de
bis 16.5.2016
Mittelrheinmuseum Koblenz
www.mittelrhein-museum.de
bis 12.6.2016
ARSPROTOTO 1 2016
59
ESSAY
Schlossbergung, Republikflucht, Kunst gegen Devisen –
Provenienzforschung in
ostdeutschen Museen
von Gilbert Lupfer und Thomas Rudert
P
rovenienzforschung ist werkbezogene
Kontextforschung. Interessant sind der
Entstehungszusammenhang eines Werkes,
seine meist mehrstufigen Erwerbungs- und
möglichen Entziehungskontexte, aber auch
die Bedingungen seiner historischen und
aktuellen Präsentation. Deren Untersu­
chung erfordert differenzierte Fragestellungen und
Methoden; sie ist eingebunden in je eigene Rechts­
kontexte. Das gilt auch für die Zeit der sowjetischen
Besatzungszone (SBZ) und die der DDR, also für die
Zeit zwischen 1945/49 und 1990.
Unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Welt­
kriegs beschlagnahmten die Trophäenbrigaden der
Roten Armee in den Bergungsdepots der SBZ all jene
Bestände, die als Kompensation für die eigenen
Kriegsverluste an Kulturgütern geeignet erschienen;
diese Werke waren damit Teil der sowjetischen Repara­
tionsforderungen. Die Anzahl der Stücke, die 1945/46
nach Moskau, Leningrad und Kiew abtransportiert
wurden, war siebenstellig. Nach einem Jahrzehnt der
völligen Tabuisierung kehrten 1955 die Gemälde der
Dresdner Galerie zurück, 1958 folgten dann weitere
erhebliche Konvolute von Kunstwerken. Doch nach
wie vor fehlen den Museen nicht nur der ehemaligen
DDR zahlreiche Stücke, von denen sich manche noch
in russischen oder ukrainischen Museen befinden,
andere in Privatsammlungen. An deren Identifizierung
mitzuwirken, ist eine Aufgabe für die Provenienz­
forschung ostdeutscher Museen. Zu diesen sensiblen
Fragen gibt es seit Jahren Konsultationen mit der
Russischen Föderation und anderen Nachfolgestaaten
der UdSSR, insbesondere mit der Ukraine. Abschlie­
ßende Lösungen sind zwar noch nicht in Sicht, doch
existieren mit dem Deutsch-Russischen Museumsdialog und der Deutsch-Ukrainischen Kommission
für Kulturgüterrückführung erprobte institutionelle
60
Rahmenbedingungen, um miteinander im Gespräch
zu bleiben. So konzentriert sich der 2005 in Berlin
auf Initiative der Stiftung Preußischer Kulturbesitz,
der Kulturstiftung der Länder und über 80 deutschen
Museen gegründete Deutsch-Russische Museumsdialog (DRMD) bei seiner Arbeit auf die Aufklärung
der kriegsbedingten Verlagerungen von Kunst- und
Kultur­gütern beider Seiten sowie den wissenschaft­
lichen Austausch (vgl. Arsprototo 4/2014). Die
Staatlichen Kunstsammlungen Dresden haben im
Rahmen des DRMD die Bestände der Gemäldegalerie, der Skulpturensammlung sowie des KupferstichKabinetts untersucht, und sie sind seit deren Gründung
Mitglied der deutsch-ukrainischen Kommission.
Erst seit einigen Jahren ist übrigens bekannt
geworden, dass die Problematik dieser Kriegsverluste
auch westdeutsche Institutionen betrifft. Ausführlich
publiziert ist der Fall des Aachener Suermondt-LudwigMuseums. Dortige Bestände waren – aus heutiger Sicht
wenig strategisch – noch im Februar 1941 und Oktober
1942 in Bergungsdepots auf die Albrechtsburg Meißen
verlagert worden, wo größere Teile davon den Trophä­
enbrigaden der Roten Armee in die Hände fielen.
Ende 1945 waren alle Museen von Bedeutung
zwischen Magdeburg und Frankfurt/Oder, sofern sie
baulich und institutionell überhaupt noch existierten,
weitgehend leergeräumt – und in der Logik der
damaligen historischen Situation war nicht damit zu
rechnen, diese Bestände jemals wiederzuerlangen. Zu
den Ambivalenzen in der Kulturpolitik der sowjetischen
Besatzungsmacht gehörte, dass gleichzeitig der Befehl
erging, die Museen so schnell wie möglich wieder zu
eröffnen. Parallel dazu war in der SBZ seit September
1945 die sogenannte Bodenreform angelaufen, in der
nicht nur tausende Güter und Schlösser entschädi­
gungslos enteignet wurden, sondern in der sogenannten
Schlossbergung auch deren mobile Ausstattung:
Kunstsammlungen, Archive, Bibliotheken, aber auch
Wohnungsausstattungen ohne Kunstwert und sonstige
persönliche Habe. Aus gegenwärtiger Perspektive
erscheint der Begriff „Schlossbergung“ in einer merk­
würdigen Ambivalenz, doch war er von den damals an
der Bergung beteiligten Museumsleuten offenbar nicht
so zynisch gemeint, wie er uns heute anmutet.
Gesetzliche Grundlage war die am 11. September
1945 erlassene „Bodenreformverordnung“, die auf alle
Güter mit mehr als 100 Hektar landwirtschaftlicher
Nutzfläche zielte; ferner auf das Eigentum von Kriegs­
verbrechern und aktiven Nazis und von Mitgliedern der
Reichs- und Landesregierungen. Tatsächlich wurde die
Bodenreformverordnung darüber hinaus aber auch als
Instrument der Repression gegen politisch Missliebige
eingesetzt und war flankiert von brutalen Verfolgungs­
maßnahmen gegen adlige Familien, unabhängig von
deren politischer Haltung im „Dritten Reich“.
Zuständig für die „Verwertung“ der enteigneten
Sachwerte in Sachsen, dem wegen seiner hohen
Güterdichte von der Schlossbergung wohl am stärksten
betroffenen Gebiet der SBZ, war die Landesbodenkom­
mission (LBK), die vom Innenminister geleitet wurde,
der ein von der Besatzungsmacht ausgewählter und
geschulter kommunistischer Kader war. Das Interesse
der LBK richtete sich primär auf eine kommerzielle
Nutzung, nicht auf die Sicherung von wertvollen
Stücken für die Museen. So wurde – ausgerechnet im
Albertinum an der Brühlschen Terrasse, dem einzigen
Museumsgebäude Dresdens, das den Krieg halbwegs
unbeschadet überstanden hatte – von der LBK eine
Verkaufsstelle für Schlossbergungsbestände eingerichtet.
Für die Jahre 1948 –50 ist ein penibel geführtes Ver­kaufsbuch erhalten geblieben. Es listet neben dubiosen,
bereits während der NS-Zeit aktiven Kunsthändlern,
neben Parteien und Behörden, auch eine Reihe honori­
ger Dresdner Bürger als Käufer auf: etwa von Gemäl­
den, Graphiken, Möbeln, Schmuck, Taschenuhren,
Münzen und Geschirr.
Auch die Museen versuchten, ihre Lücken mit
Werken aus ehemaligem Adelsbesitz zu füllen, deren
exzeptionellste den Dresdner Wissenschaftlern natürlich
bekannt waren. Es entwickelten sich langjährige heftige
Konflikte mit der LBK. Zunächst ging dieser Konflikt
häufig zu Ungunsten der Museen aus. Erst ab Ende
der 1940er Jahre änderte sich das sukzessive; die volle
Verantwortung für die Schlossbergungsbestände – so­
weit diese noch nicht anderweitig „verwertet“ waren
– ging in Sachsen schließlich erst nach der Auflösung
der LBK im Juli 1952 an die Museen über.
Mit dieser Verantwortung wurde dann ganz
unterschiedlich umgegangen: In einigen Museen
inventarisierte man die als museumswürdig kategori­
sierten Stücke gleich, in anderen fand erst später eine
Nachinventarisierung statt. In der Dresdner Gemälde­
ARSPROTOTO 1 2016
galerie wurden in den 1950er Jahren zwei Sonderinven­
tare angelegt: das S-Inventar („S“ von Schlossbergung)
und das Mo-Inventar („Mo“ von Schloss Moritzburg
bei Dresden, einem der beiden Großdepots für Gemäl­
de und Möbel aus der Schlossbergung). In diese bis
heute genutzten Sonderinventare fanden rund 6.000
Gemälde Aufnahme, von denen seit 1994 die meisten
an die damaligen Bodenreformopfer bzw. deren Erben
zurückgegeben werden konnten. Es geht beim Thema
Schlossbergung also um hohe Stückzahlen, so dass der
Bearbeitung und gegebenenfalls Restitution dieser
Bestände im Gesamtspektrum der Provenienzforschung
in den ostdeutschen Museen auch quantitativ eine
herausragende Bedeutung zukommt.
Rechtliche Grundlage für den Umgang mit
Schlossbergungsfällen ist das „Gesetz über staatliche
Ausgleichsleistungen für Enteignungen auf besatzungs­
rechtlicher bzw. besatzungshoheitlicher Grundlage“
von 1994, kurz auch „Ausgleichsleistungsgesetz“ oder
EALG genannt. Danach gilt, dass in der Bodenreform
enteignete Immobilien nicht physisch restituiert
werden; hingegen regelt § 5, dass enteignete Mobilien
zurückzugeben sind, soweit sie sich in öffentlichem
Besitz befinden. Dies betrifft vor allem Stücke in
Museen. Auch wenn das Gesetz – etwa wegen seiner
kulturpolitischen Folgen für öffentliche Sammlungen
– nicht ohne Kritik geblieben ist, wurde doch immer­
hin ein verwaltungsrechtlich abgesicherter Verfahrens­
weg etabliert, der sich bewährt hat, sowohl aus Muse­
umssicht als auch aus Sicht der Anspruchsberechtigten.
Bei zuständigen „Ämtern zur Regelung offener Vermö­
gensfragen“ auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene
waren und sind die Restitutionsverfahren anhängig,
deren Entscheidungen gerichtlich nachprüfbar sind.
Die Museen agieren, wie die Alteigentümer oder deren
Erben, als Verfahrensbeteiligte; sie stellen also weder
Erbberechtigungen fest noch fällen sie Restitutionsent­
scheidungen. Doch verkennen auch die Museen nicht
ein dem EALG inhärentes Problem: das der seinerzeit
recht knapp bemessenen Fristsetzung für die Anmel­
dung von Ansprüchen. Allerdings sind für Sachsen nur
sehr wenige Einzelfälle bekannt, in denen keine fristgerechten Anträge gestellt worden sind.
Auch der Umgang mit Ansprüchen der bis 1918
regierenden Fürstenhäuser fällt in den „neuen“ Bundes­
ländern in den Geltungsbereich des EALG. In Sachsen
wählte die Staatsregierung den Weg von direkten
Verhandlungen mit dem Haus Wettin, das seine
umfangreichen, aus den Schlossbergungen resultieren­
den Ansprüche fristgerecht geltend gemacht hatte. Es
dürfte sich um eines der größten und kompliziertesten
Verfahren dieser Art gehandelt haben, das im Wege des
Vergleichs inzwischen zu einem einvernehmlichen
Abschluss gekommen ist. In einen anderen historischen
und juristischen Kontext gehören offene Vermögens­
61
fragen mit Bezug auf den Zeitraum 1949 –1990. Diese
liegen nicht im Geltungsbereich des EALG, sondern
des „Gesetzes zur Regelung offener Vermögensfragen“,
das die Volkskammer der DDR noch im September
1990 verabschiedet hatte. Es behandelt nicht nur offene
Vermögensfragen aus der Zeit der DDR, sondern auch
die Wiedergutmachung von Schäden aus NS-Verfol­
gung, soweit diese in der DDR unterblieben war.
Offene Vermögensfragen der Zeit von 1949 –1990
werden bisweilen pauschal als aus „DDR-Unrecht“
resultierend bezeichnet. Das ist sicherlich zu undifferen­
ziert, da es sich dabei um ganz unterschiedliche
Entziehungskontexte handelt: solche, die selbst nach
Die Geschichte des privaten
Sammelns und des privaten
Kunsthandels in der SBZ/DDR
ist bisher ungeschrieben
DDR-Recht staatliche Willkürakte darstellten; solche,
die nach DDR-Recht legal, nach heutigem Verständnis
aber grob rechtsstaatswidrig waren; und schließlich
auch solche, die sowohl nach DDR-Recht als auch nach
heutigen rechtsstaatlichen Maßstäben nicht zu bean­
standen sind. Letzteres kann etwa Teilaspekte von
Steuerstrafverfahren gegen Sammler und/oder Händler
in der DDR betreffen, bei denen auch heute bundes­
deutsche Finanzämter oder -gerichte eine Steuerschuld
feststellen würden – und dies von Fall zu Fall auch tun.
Damit soll freilich nicht der grundsätzlich rechts­
staatswidrige Charakter des spätestens seit den frühen
1970er Jahren in der DDR etablierten Verfahrens der
Enteignung von Sammlern und/oder Händlern durch
konstruierte Steuerstrafverfahren in Zweifel gezogen
werden. Denn deren Ziel war die systematische
Beschaffung von Kunstwerken aus DDR-Privathand
zum Verkauf gegen Devisen. Exemplarisch für diese
Opfergruppe des DDR-Unrechts steht der Dresdner
Sammler und Händler Helmuth Meißner. Im März
1982 fand bei ihm eine durch massiven Einsatz von
Inoffiziellen Mitarbeitern des Ministeriums für Staats­
sicherheit vorbereitete Haussuchung statt. Der Sammler
selbst war zuvor zwangsweise in eine psychiatrische
Anstalt eingewiesen worden, wo er ohne jede medizi­
nische Indikation ein dreiviertel Jahr festgehalten
wurde; auch sein behandelnder Psychiater war IM.
Währenddessen wurden Wohnung, Geschäft und Lager
komplett geräumt; die vom „VEB Antikhandel Pirna“
aufgestellte Schätzliste umfasste rund 5.000 Positionen.
Der Direktorin der Dresdner Staatlichen Porzellan­
sammlung gelang es, einen seltenen Meißner Porzellan­
krug aus der Meißner-Sammlung zum national wert­
vollen Kulturgut der DDR erklären zu lassen, für ihr
62
Museum zu reklamieren und damit dessen Verkauf ins
westliche Ausland zu verhindern. Dabei „half“ ihr
Ehemann, Direktor des Dresdner Grünen Gewölbes,
Mitglied der Kulturgutschutzkommission der DDR
– und ebenfalls IM. Der bei weitem größere Teil der
Sammlung Meißner jedoch ging über das Mühlenbe­
cker Lager der Kunst & Antiquitäten GmbH (K&A) in
den Verkauf Richtung Westen und ist deshalb bis heute
einer Restitution entzogen – selbst wenn man weiß, wo
sich einzelne Werke heute befinden.
An diesem Fall lässt sich das ambivalente Agieren
von Museumsdirektoren und -konservatoren in der
DDR sinnfällig erläutern. Viele von ihnen wirkten als
Gutachter und Schätzer in Strafverfahren sowie bei
Fällen von „Republikflucht“ und legaler Ausreise mit.
Dabei hatten sie auch die Interessen ihres Museums
im Blick. In Einzelfällen dachte mancher wohl auch –
das soll nicht verschwiegen werden – an seine private
Sammlung. Doch sind dies nach derzeitigem For­
schungsstand Einzelfälle.
Bei aller Ambivalenz ist zu konstatieren, dass durch
diese spezielle Form der „Musealisierung“ Kunstwerke
in öffentlicher Hand blieben, die sonst auf dem
westlichen Kunstmarkt verschwunden und damit heute
für die Opfer der Enteignungen nicht mehr greifbar
wären. Erst der Verbleib in Museen auf dem Boden der
ehemaligen DDR macht solche Stücke heute zum
Gegenstand von Restitutionsverfahren nach dem
„Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen“. So
auch bei dem erwähnten Deckelkrug aus Meißner
Porzellan: Er wurde 2005 an den Sohn von Helmuth
Meißner restituiert, dann durch das Entgegenkommen
des Erben für die Porzellansammlung erworben und ist
heute – mit einem Ausstellungshinweis auf Sammler
und Erwerbungskontext – im Dresdner Zwinger zu
sehen.
Vor jeder Beurteilung des Agierens von DDRMuseumsmitarbeitern ist also genau zu prüfen, wie
und mit welcher Motivation sie damals handelten. Die
Museen und ihre Mitarbeiter waren in keinem der hier
erörterten Entziehungskontexte Urheber der Enteig­
nungen. Aber sie waren als Hinweisgeber und Gutach­
ter Teil des etablierten Systems von Kunstgutentziehun­
gen, und mitunter waren sie nicht nur Handlanger,
sondern auch Profiteure.
Die Hauptakteure dieses politisch zentral gesteuer­
ten Entzugs gehörten dem Bereich „Kommerzielle
Koordinierung“ beim Ministerium für Außenhandel
der DDR an bzw. der diesem attachierten, Anfang 1973
gegründeten K&A, die speziell für den Verkauf von
Kunstwerken und anderen Kulturgütern gegen Devisen
eingerichtet worden war. Ideengeber und Organisator
dieser Aktivitäten war Alexander Schalck-Golodkowski,
eine schillernde Figur der deutsch-deutschen Nach­
kriegsgeschichte. Er war Staatssekretär im DDR-Minis­
terium für Außenhandel und als Offizier im besonderen
Einsatz (OibE) zugleich Oberst des Ministeriums für
Staatssicherheit.
Der K&A ging es jedoch nicht nur um Werke aus
Privateigentum, sondern ausdrücklich auch um Anti­
quitäten und Museumsbestände aus dem „staat­lichen
Fundus“. Das lief auf einen systematischen Ausverkauf
des qualitätvollen Kunstbesitzes der DDR hinaus. In
den Verwaltungsregistraturen der DDR-Museen sind
für die 1970er und 1980er Jahre regelmäßige, mehr und
mehr insistierende Anfragen aus dem Kulturministe­
rium an die Museen überliefert, Werke zum Export
freizugeben, um die zuvor bereits zentral eingeplanten
Millionenbeträge zu „erwirtschaften“.
Doch auch hier agierten die Museumsmitarbeiter
unterschiedlich und ambivalent. Die Spanne möglicher
– und durch das Ministerium letztlich akzeptierter –
Handlungsoptionen reichte von vorauseilendem
Gehorsam bis hin zu passivem Widerstand. Die
Zimelien der Sammlungen versuchte man in aller Regel
zu schonen. Da exzeptionelle, zumal publizierte Werke
am Markt wiedererkennbar gewesen wären, traf sich
dies mit der naiven Absicht der Partei- und Staatsfüh­
rung, die Herkunft der Werke und die Mechanismen
ihrer Beschaffung möglichst diskret zu behandeln – was
von Anfang an aussichtslos war. An den Staatlichen
Kunstsammlungen Dresden (SKD) beispielsweise hatte
die Direktorenkonferenz unter Generaldirektor Man­
fred Bachmann beschlossen, keine Stücke aus dem
eigenen Altbestand herauszugeben, sondern auf Werke
der Schlossbergung zurückzugreifen. So gelangten
hunderte von Gemälden aus sächsischen Adelsfamilien
in den Handel.
In der Agonie der späten DDR allerdings kehrte
sich diese Konstellation in ihr Gegenteil. Zwischen
November 1989 und September 1990 waren wichtige
Museen der DDR Kunden der K&A. Für die SKD sind
mehrere Einkaufsreisen von Museumsmitarbeitern in
das Lager Mühlenbeck dokumentiert. Diese Erwerbun­
gen versuchte man mit den konkurrierenden Kollegen
aus Berlin und Potsdam zu koordinieren. Für mehr als
800.000 DDR-Mark, die das Kulturministerium aus
Sondermitteln zur Verfügung gestellt hatte, erwarben
die SKD in Mühlenbeck Gemälde, Graphiken, Skulp­
turen, Münzen, Porzellane, Möbel und andere kunst­
gewerbliche Objekte. Meistens – allerdings nicht immer
– sind diese Zugänge in den Inventaren mit der
Provenienz „Mühlenbeck“ ausgewiesen. Die Spuren
konnten bisher nicht weiter zurück verfolgt werden,
denn von den umfangreichen Aktenbeständen der
K&A waren bisher lediglich allgemeine Geschäftsakten
zugänglich, nicht jedoch die stückgenauen An- und
Verkaufslisten. Das hat sich inzwischen geändert: Seit
Frühjahr 2015 befinden sich auch letztere endlich im
Bundesarchiv Berlin.
ARSPROTOTO 1 2016
Die erwähnten K&A-Aktenbestände aus Mühlenbeck
sollten nach der geplanten Erschließung möglichst
bald und systematisch ausgewertet werden. In diesem
Zusammenhang wäre ein größeres Forschungsprojekt
zur detaillierten Auswertung der Geschäftsakten
vorstellbar. Einerseits ermöglichte dies, die Kenntnis
über diese historischen Vorgänge endlich auf eine
breitere empirisch-wissenschaftliche Basis zu stellen.
Andererseits könnte auch die Geschichte des privaten
Sammelns und des privaten Kunsthandels in der SBZ/
DDR, die bisher – abgesehen von einigen wenigen
Einzeluntersuchungen – ungeschrieben geblieben ist,
erheblich davon profitieren. Und schließlich ist es die
Pflicht der Provenienzforschung an ostdeutschen
Museen, sich Klarheit über die Voreigentümer der aus
Mühlenbeck stammenden Werke in ihren Beständen zu
verschaffen. Mutatis mutandis gilt dies auch für den
umfangreichen Komplex der Schlossbergungen.
Derartige Grundlagenforschungen könnten auch
zur Klärung beitragen, wie viele ungelöste Fälle, wie
viele nicht vollzogene Restitutionen es noch gibt – bis­
her liegt dazu wegen der oft verschlungenen, mitunter
auch grenzüberschreitenden Wege, die diese Werke
in der späteren DDR gegangen sind, keine sichere
Datengrundlage vor. Westdeutsche Museen, Händler
und Sammler spielten bislang im hier skizzierten
Kontext noch überhaupt keine Rolle. Doch auch auf sie
als Akteure und Profiteure sollte sich der wissenschaft­
liche Blick der Provenienzforschung richten. Zwar ist
die Rechtslage dazu eindeutig, so dass Restitutionen
hier nicht zu erwarten sind. Doch wäre ein Bewusstsein
dafür zu wecken, dass der größere und qualitätvollere
Teil der in der SBZ/DDR entzogenen Kunstwerke und
Kulturgüter nicht im Osten geblieben ist. Denn ihr
zentral initiierter und gesteuerter Entzug erfolgte zum
Verkauf ins westliche Ausland.
Es ist gut und sinnvoll, dass diese Thematik nun
endlich stärker in den Fokus der öffentlichen Wahr­
nehmung der Bundesrepublik rückt; ebenso, dass
Grund­lagenforschung und konkrete Rechercheprojekte
zukünftig vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste
gefördert werden können. Wenn auf Grund von
versäumten, weil kurz bemessenen Anmeldefristen in
Einzelfällen DDR-Unrecht bisher nicht getilgt werden
konnte, so wäre auch das zu diskutieren – allerdings
nicht allein von den Museen, sondern auch von
politischen Entscheidungsträgern und vom Gesetz­
geber. Denn von den Museen in solchen Fällen pole­
misch-populistisch „moralisches Handeln“ zu verlangen
– was konkret heißt das eigentlich? – ist wohl wenig
zielführend. Öffentliche Museen sind ihren Trägern
gegenüber verpflichtet und haben jenseits geltenden
Rechts klar definierte Grenzen für eigene Entschei­
dungsspielräume.
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NACHRICHTEN
WER LEITET DIE
MUSEEN VON
MORGEN?
Museion 21. bietet Akademieprogramm für Nachwuchsführungskräfte
Deutschen Museen steht ein Genera­tionswechsel auf Leitungsebene bevor. Die aktu­
ellen und zukünftigen Museumsleiter sehen
sich dabei vielfältigen Herausforderungen
gegenüber, für deren Bewältigung eine
fachliche Qualifikation allein kaum aus­
reicht. Eine Förderallianz aus Körber-Stif­
tung, Volkswagen Stiftung, Alfred Toepfer
Stiftung F.V.S. und Kulturstiftung der
Länder bietet daher seit 2014 mit Unter­
stützung des Deutschen Museumsbundes
ein Akademieprogramm für Nachwuchsfüh­
rungskräfte an, welches jetzt zum dritten
Mal ausgeschrieben wird.
Museion 21. Die Museumsakademie richtet
sich an die diejenigen, die in naher Zukunft
eine Führungsaufgabe im Museum anstre­
ben oder gerade eine solche übernommen
haben. Das Programm fördert engagierte
Museumsmitarbeiter unterschiedlicher
Fachrichtungen und Funktionsbereiche,
die sich mit der Frage beschäftigen, welche
Eigenschaften sie zu einer Führungsper­
sönlichkeit machen, und die sich gezielt
auf diese Rolle vorbereiten möchten.
In vier Modulen durchlaufen die Teilneh­
menden die Stationen zukünftiger Heraus­
forderungen: von der Reflexion der eigenen
Wirksamkeit über die Visions- und Strate­
gieentwicklung für das Museum der Zu­
kunft, weiter zu Fragen der Umsetzung und
Organisation bis hin zur Konfrontation
mit Krisen und Konflikten. Anhand unter­
schiedlicher Lern- und Arbeitsformate
werden Szenarien durchgespielt, Kompeten­
zen trainiert, Beispiele guter Praxis analysiert
und Netzwerke erweitert. Profilierte Perso­
nen aus Museumswelt, Wirtschaft, Politik
und Kulturförderung geben Impulse und
leiten die Workshops.
Zwei Jahrgänge mit je 20 Teilnehmern
haben das Programm bereits durchlaufen
und halten das entstandene Netzwerk
weiterhin aktiv. Dr. Marie Luisa Allemeyer,
Direktorin der Zentralen Kustodie der
Universität Göttingen und Absolventin des
1. Jahrgangs, beschreibt es so: „Das Pro­
gramm hat eine ungeheure Schubkraft auf
mich ausgeübt: durch die Trainer, die sehr
gezielt und zugleich auf vielfältige Weise
dazu anregen, eigene Potentiale zu erkennen
und wirkungsvoll einzusetzen; durch die
eingeladenen Experten, die extrem wertvolle
Einblicke in ihre Arbeit und ihre Strategien
geben und ganz besonders durch diese
unglaubliche Teilnehmergruppe: zwanzig
Museumsleute mit unterschiedlichster
Erfahrung und unbändiger Lust, konstruk­
tiv, kreativ und kooperativ zusammen zu
denken, zu diskutieren und gemeinsam die
Vision einer zukünftigen Museumsland­
schaft zu entwickeln.“
Museion21. wird operativ von der Toe­p­
fer Stiftung betreut. Weitere Informationen
zu Ausschreibung, Bewerbungsfirst und
Programm finden Sie unter: http://toepferstiftung.de/museion-21/
Das Akademieprogramm findet im Seminarzentrum
Gut Siggen der Toepfer Stiftung in Ostholstein statt
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Haupt­
mann auf
Hiddensee
Mit Hilfe des Freundes­
kreises der Kultur­
stiftung der Länder
wurde eine Graphik­
sammlung des Dichters
Gerhart Hauptmann
­gesichtet und gesichert
Die Ostseeinsel Hiddensee liegt nicht nur
abgeschieden vom hektischen Treiben jeder
Großstadt, sie besticht außerdem durch
landschaftliche Weite, atmosphärische
Ansichten und das Meer. Der Dichter
Gerhart Hauptmann (1862 –1946) besuchte
die Insel ab den 1890er Jahren regelmäßig.
1930 erwarb er hier ein eigenes Haus, in
dem er bis 1943 die Sommer verbrachte.
Nahezu so, wie der Dramatiker seine
Arbeits- und Lebensstätte verlassen hatte,
erlaubt das Gerhart-Hauptmann-Haus in
Kloster intime Einblicke in Hauptmanns
Kunstgeschmack; denn zum Bestand zählt
eine aus ca. 70 Blatt bestehende Graphiksammlung. Der Dichter, der ursprünglich
Bildhauer hatte werden wollen, regte besonders mit den frühen Arbeiten bekannte
Künstler der Klassischen Moderne, wie
Käthe Kollwitz und Heinrich VogelerWorpswede, zu bedeutenden Zyklen an.
Zu seiner Kollektion gehören Arbeiten
der Klassischen Moderne: Emil Orlik,
Johannes Avenarius, Ivo Hauptmann,
Eggert Gustavs, Käthe Kollwitz u. a. sind
vertreten. Porträts des Dichters, wie die
Arbeiten von Spiro und Orlik, gesellen sich
zu graphischen Auseinandersetzungen mit
Hauptmanns Werk. Die Sammlung zeichnet
sich nicht nur durch ihren eigenständigen
künstlerischen Wert aus sondern vermittelt
zudem die intensive Nähe, die zwischen
Hauptmanns Literatur und der Bildenden
Kunst herrschte.
Durch die Unterstützung des Freundeskreises der Kulturstiftung der Länder konn­ten die einzigartigen Graphiken gesichtet
und Schäden erkannt werden. Alle Blätter
wurden auf Pappen aus säurefreiem Museumskarton aufgelegt, anschließend mit
Seidenpapier abgedeckt. Lagerten die
Graphiken bislang in Hauptmanns originalen Einbauschränken im Arbeitszimmer,
konnte das Gerhart-Hauptmann-Haus
durch die Förderung nun einen Graphikschrank erwerben, der die Arbeiten adäquat
schützt.
AUSSTELLUNGEN
EINE DYNASTIE PRÄGT
EUROPA
Thüringens Landesausstellung widmet sich dem
mächtigen Fürstenhaus der Ernestiner
von Jenny Berg
J. F. Löber, Theaterszene mit Friedrich III. und Luise Dorothea von
Sachsen-Gotha-Altenburg, um 1751; Stiftung Schloss Friedenstein Gotha
Über 20 Jahre hatten die Brüder Ernst
und Albrecht ihr väterliches Erbe bereits
gemeinsam regiert. Doch dann war
Schluss: Im November 1485 besiegelten
die Kurfürsten und Herzöge von Sachsen
das Ende und unterzeichneten in Leipzig
den Teilungsvertrag. Dieser mutige
Schritt hatte nicht nur territoriale Konse­
quenzen: Aus dem bedeutenden und
traditionsreichen Adelsgeschlecht der
Wettiner gingen dauerhaft die Dynastien
der Albertiner und Ernestiner hervor.
In den einstigen Residenzstädten Gotha
und Weimar widmet Thüringen letzteren
nun eine umfassende Landesschau, die
das politische und kulturelle Wirken des
Fürstenhauses zwischen Reformation
und Revolution vorstellt. Auf mehr als
4.000 qm präsentiert die u. a. von der
Kulturstiftung der Länder geförderte
ARSPROTOTO 1 2016
Ausstellung hochkarätige Exponate aus
mehr als vier Jahrhunderten thüringi­
scher und europäischer Geschichte und
rückt damit das einst mächtige, heute
fast vergessene Adelsgeschlecht wieder
in das öffentliche Bewusstsein.
Wie gelangten die Ernestiner zu
politischem Einfluss? Wie sicherten sie
ihre Position im Heiligen Römischen
Reich Deutscher Nation, insbesondere
nach dem Verlust der Kurwürde im Jahre
1547? Die herrschaftlichen, religiösen
und finanziellen Ziele stets im Blick,
verfolgten die Ernestiner eine ausgeklü­
gelte Heiratspolitik, die es ihnen ermög­
lichte, wichtige Verbindungen zu ein­
flussreichen Dynastien zu knüpfen. Bis
heute befinden sich unter den europäi­
schen Monarchen Nachkommen des
ruhmreichen Adelsgeschlechts – sogar
die britische Königin Elizabeth II. zählt
zu ihnen. Eine ebenso große Rolle für
das Schicksal und Selbstverständnis des
Herrscherhauses spielte die Reformation.
Als Hüter des „wahren Luthertums“
trugen die Ernestiner wesentlich zur
Verbreitung des protestantischen Glau­
bens bei. Doch nicht nur theologische
Fragen trieben die Ernestiner um: Schon
seit dem frühen 16. Jahrhundert ver­
schrieben sie sich der Wissenschaft,
erforschten die Naturgesetze, gründeten
Universitäten und bauten Wissensspei­
cher kontinuierlich aus. Vom nachhal­
tigen wissenschaftsfördernden Engage­
ment legen die Universität in Jena, die
Herzogin Anna Amalia Bibliothek in
Weimar und die Sternwarte in Gotha ein
beeindruckendes Zeugnis ab. Als weiteres
Merkmal der ernestinischen Politik
thematisiert die Thüringer Landesaus­
stellung die Förderung von Kunst und
Kultur. Die Fürsten standen in regem
Kontakt zu Malern, Bildhauern und
Komponisten, zudem wurden Theater
begründet, wie das barocke Ekhof-Thea­
ter auf Schloss Friedenstein samt inno­
vativer Bühnenmaschinerie, und die
Grundlagen für die heutigen musealen
Sammlungen mit kostbaren Kunst­
schätzen geschaffen. Die einzelnen Höfe
waren eng miteinander vernetzt und
tauschten sich über alle Landesgrenzen
hinweg intensiv aus. So schufen die
Kleinstaaten die Grundlage für eine
einzigartige und – wie die Schau beweist
– bis in die Gegenwart erfahrbare kultu­
relle Vielfalt Thüringens. Jenny Berg ist Assistentin des Vorstands der Kulturstiftung der Länder.
Die Ernestiner. Eine Dynastie prägt Europa
Thüringer Landesausstellung
Neues Museum und Stadtschloss Weimar
Herzogliches Museum und Schloss
Friedenstein Gotha; 24.4. – 28.8.2016
Die Ernestiner. Eine
Dynastie prägt
Europa. Hg. v.
Friedegund Freitag,
Karin Kolb, Klassik
Stiftung Weimar,
Stiftung Schloss
Friedenstein Gotha.
Sandstein Verlag,
Dresden. 540 Seiten
mit ca. 350 farbigen
Abbildungen, 34,90
Euro (erscheint am
24. April)
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SCHÖN IM DEPOT
Was verbergen Sie eigentlich vor uns, Herr Klar?
Alte Nationalgalerie –Staatliche Museen zu Berlin
Museumsinsel Berlin
Bodestraße 1–3, 10178 Berlin
Die Ausstellung wird ermöglicht
durch den Verein der Freunde der Nationalgalerie
und unterstützt durch die Volkswagen Aktiengesellschaft.
Der Krater des Vesuvs mit dem Ausbruch von 1828 (Detail), 1828 © Privatbesitz
100 Jahre
Dada
Zürich
Das Bild „Soldaten“ von Fritz Erler (1868 –
1940) entdeckte ich bei einem meiner viel
zu seltenen Besuche in unseren Depots.
Es gehört zu einer Gruppe von fünf Kriegs­gemälden Erlers, die dieser nach mehreren
Frontbesuchen 1916 und 1917 malte.
Eine Recherche ergab, dass die Bilder dem
Museum 1954 aus einer Firmensammlung
„aus dokumentarischen Gründen“ geschenkt wurden und bis auf eine zweijäh­
rige Ausleihe an die Wehrbereichsverwal­
tung in Wiesbaden Ende der 50er Jahre das
Depot nie wieder verlassen haben. Es ist
nachvollziehbar, dass die Gemälde im
Gefolge zweier von Deutschland ausgegan­
genen Weltkriege nicht mehr gezeigt
wurden, der erste Blick auf ihre Sujets
(„Der Kompanieführer“, „Kämpfer vor
Verdun“) legt auch nahe, dass sie der
Obersten Heeresleitung genehme Propa­ganda waren. Blickt man jedoch genauer
hin, stellt man fest, dass sie – bis auf eines
– über geplante Propaganda weit hinaus­gehen. Es sind auch durchaus sachliche
Blicke auf den Terror des Krieges, der sich
hier bei Freund und Feind gleichermaßen
zeigt: Eine Kolonne russischer Kriegsgefan­
gener zieht an einem deutschen Bewacher
vorbei, Bewacher wie Gefangene vereint ein
blutiger Kopfverband, ebenso der allen
gemeinsame Gesichtsausdruck eines grim­migen Fatalismus. Die Monumentalität des
Bildes symbolisiert hier auch nicht etwaige
kriegerische Heroik, sondern eher die
Dimension des Desasters dieses Krieges.
100 Jahre nach ihrer Entstehung scheint es
mir an der Zeit, einen neuen Blick auf die
fünf Bilder zu werfen und ihre Botschaft
neu zu lesen, was wir in einer Ausstellung
in diesem Sommer unternehmen werden.
Dr. Alexander Klar, Direktor des Museums
Wiesbaden, mit Fritz Erlers Gemälde „Sol­
daten“ von 1916 im Depot des Museums,
­fotografiert von Oliver Mark
A
D
A
D
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S
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14. Februar
bis
10. Juli
2016
In Kooperation mit dem Cabaret Voltaire, Zürich
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Seit 2013 hat unser Born to Be-Programm die
Zukunftsperspektiven von über 1,3 Millionen
Kindern und Jugendlichen mit mehr als 170
Bildungsprojekten in 19 Ländern verbessert.
Born to Be unterstützt junge Menschen dabei,
ihr volles Potenzial zu entfalten, indem es
Kompetenzen fördert, ihren Ehrgeiz weckt
und ihnen neue Chancen eröffnet.
Unsere Born to Be-Projekte rund um die Welt:
DB.COM/LIFECHANGER