Bilder und Bildung. Vom Bild zum Abbild bis zum Wiederauftauchen

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Bilder und Bildung. Vom Bild zum Abbild bis zum Wiederauftauchen
Dieses Buch wurde vom Verlag in der unkorrigierten vorletzten Fassung publiziert
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Dieses Buch wurde vom Verlag in der unkorrigierten vorletzten Fassung publiziert
KarI-Josef Pazzini
BILDER UND BILDUNG
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Dieses Buch wurde vom Verlag in der unkorrigierten vorletzten Fassung publiziert
INHALT
1.
Einleitung
1 - 11
Riß ( 1 ) * Symbolische Form,'�)� Symbolische Form - Zentralperspektive (4) * Bild und
Spiegelung (5) * Bildung (6) * Montage (6) * Methode (7) * Blick (9) * Sehen und Wissen
( 1 1 ) * Identität ( 1 1 ) * Zweidimensionalität ( 1 1 )
2.
Vorhergehende Bemerkungen zum Inhalt und zur Methode
13 - 35
Einleitende Überlegungen ( 13 ) * 1 . Bild: Pädagogik- Sehen Blick, Gesehenwerden, Spie­
gel ( 13 ) * 2. Bild: Blickauslöser, Perspektive, Liebe: ( 13 ) * Liebe und Perspektive ( 1 4 ) *
Perspektive: ein didaktisches Problem ( 15) * Perspektive: Ein pädagogisches Moment ( 15 )
* Zentralperspektive und Surrealismus ( 1 9 ) * Pädagogik? (20) * Zum Verhältnis von
Inhalt und Methode (21 ) * Wovon die Rede ist (23) * Wovon immer nicht die Rede ist und
oft auch schwer sein kann- Dilettantismus (28) * Wie die Rede davon sein wird ( 3 1 )
3.
Bevor das Bild zum Abbild wurde:
Über einen nicht nur etymologischen Zusammenhang
37 - 50
Vorbemerkung (37) * Zum Zusammenhang: Schicksal des Bildes und Anforderung an die
Bildung (37) * Zur Begriffsgeschichte (39) * Bildung als Freisetzung (40) * Das Bild ist
kein Seiendes ( 4 1 ) * Mit einem "kleinen" Bildehen bildlos (42) * Spiegel (44) * Bild und
Urbild sind eins (45) * Bildung- Ent-Bildung (45) * Wirken, Einbilden und Bilderverbot
(46) * Bildung - ein subversiver Begriff (47) * Vorbild (48) * Ausblick (48)
4.
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Karl-Josef Pazzini ; Bilder und Bildung
- Münster: Lit,
Einbilden und Entbilden ; Bd.
ISBN
(
©
1992
3-89473-097-8
Lit Verlag
1)
Dieckstr. 56
4400 Münster
0251/235091
Hallerplatz 5
2000 Hamburg 13
0 40/446446
St,;u�t- u. Univ.-B�1.
Frankfurt am Moin
Als das Bild zum Abbild wurde
51 - 81
Die Erfindung der Zentralperspektive ( 5 1 ) * "Urszene" des Sehens ( 5 1 ) * Blick zurück aus
dem laufenden Verfahren - Künstlichkeit ist erfordert (5 1 ) * Photographie - Fluchtpunkt
des Projektes "naturgemäße Darstellung der Welt" (53) * Brunelleschi- "an era of storm
and stress, of bitter conflict" (54) * Die verlorenen Gemälde (55) * Perspektive als Wissen­
schaft (56) * Die Aufzeichnung des Baptisteriums (58) * Zur nachhaltigen Bedeutung der
Experimente Brunelleschis (63) * Neben dem perspektivischen Blick (64) * Was hat das
alles mit (ästhetischer) Bildung zu tun? - Ein Hinweis. (66) * Die Verstopfung des kleinen
Lochs ( 67) * Herauslösung aus der Metaphysik des Sehens (69) * Der neue Blick (74) * Die
Formalisierung von Brunelleschis Experiment produziert auch Unbewußtheit. (75) *
Symbolische Form, Bildung (75 )
II
Inhalt
5.
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III
Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion
83 - 1 06
Vorbemerkungen (83 ) * Vorsatz (83 ) * Die visio perspectiva verzerrt (83) * Wunsch nach
Irritationsfreiheit: Mathematik (84) * Tote Winkel - Unsichtbarkeit- Montage (85) *
Zurück zum Spiegel (88) * Lacans Schrift über das Spiegelstadium (88) * Ohnmacht und
vorweggenommene Macht ( 9 1 ) * Irritation und Fragment als Anfang ( 9 1 ) * Vorweg­
genommene Einheit (94) * Relative Sicherheit im methodischen Selbstzweifel durch die
Absenz von Bilder (95) * Ovids Narcissos in Auszügen (97) * Bild bei Lacan (99) * Bildner
(99) * Beispiel: Eine Abbildung wäre mißlungen. ( 1 0 1 ) * Bildersammlungen ( 1 02 ) *
Nostalgie des Ganzen ( 1 03 ) * Bild und Abbild ( 105)
6.
Inhalt
8.Schreber sen.:
Versuch der Abbildung durch Blicke unter Zurhilfenahme von Geradhaltern
1 57 - 170
Alberti: Kommunikation durch Blicke ( 157) * Schreber: Geradhalter für die größere Dis­
tanz - Berührungslosigkeit ( 159) * Schreber: Aufklärung in "hypothesi" ( 1 59) * Gerad­
halter als Schutz ( 1 60) * Daniel Gottlob Moritz Schreber ( 16 1 ) * Schreber: Ein schwarzer
Pädagoge? ( 1 62) * Geradhalter zur Überbrückung des Risses zwischen Natur und Kultur
( 1 65) * Schutzmauer gegen das Innenleben durch Blicke ( 1 67) * Dürers andere Voraus­
setzung der Vermittlung ( 1 68) * Anders bei Schreber im 19. Jh. ( 1 69) * Schrebers Gerad­
halter als Orientierung für den Erzieher ( 169) * Bemerkung ( 1 70)
Über die Zentralperspektive als Abbildung
1 07 - 133
Abbilder sitzen Bildern auf ( 1 07) * Zur Rationalisierung der Bilder ( 1 09) * Zweidimen­
sionalität ( 1 1 1 ) * Zentralperspektive - naturgemäß? ( 1 12) * Abbildung und radikal im­
manente Bildung ( 1 13 ) * Transsubstantiation der Bilder ( 1 1 5 ) * Widersprüchliches
Beispiel für ein zentralperspektivisches Abbild: Leonardos Abendmahl ( 1 1 5 ) * Zum Bild
( 1 18) * "Verstöße" gegen die Regeln ( 1 2 1 ) * Paradoxe Züge der Perspektive ( 122) * Zwei
große und zwölf kleine Sichtweisen ( 1 22 ) * Individuum und Gruppe ( 1 23 ) * Immanenz
( 124) * Erwägungen zu Judas ( 125) * Zwei radikalisierte Versionen des Abendmahles
( 1 27) * 1 . Das "Abendmahl" in Bunuels Film "Viridiana" ( 1 27) * Zurück zu Leonardo
( 129) * 2. Das Abendmahl von Willikens ( 1 29)
7. Das Lehren und Vermitteln des Abbildens und der Abbildung
9. Die Folgen der abbildenden Blicke und die Wiederkehr der Bilder: Schreber j un.
171 - 189
Schreber (Vater) - Schreber (Sohn) - Freud: Eine Interpretationsgemeinschaft im Spiegel­
kabinett ( 1 72) * "Wahrheitskern" ( 1 73 ) * Daniel Paul Schreber ( 1 74 ) * "Denkwürdigkei­
ten" ( 176) * Ergriffen von der Objektivität ( 1 77) * Leiden am Verwandlungsschwund
( 178) * Der erstarrte Zeichner ( 1 78) * Erziehungsoptimismus ( 1 79) * Die andere Seite des
Gitternetzes ( 1 80 ) * Imago Dei ( 1 80) * Die Verrückung ( 18 1 ) * Identität als Gefahr ( 182)
* Ausschließende Unterscheidung ( 183) * Zentralperspektive als Qual im Wahn ( 184 ) *
Perspektive, Tod, Supervision ( 1 85) * Gefahr durch Bilder ( 1 88) * Schizophrenics Ano­
nymous ( 1 88)
10.
Über die Berührung von Wissenschaft und entstellten Bildern: Freud
135 - 155
191 - 208
Ablösung vom Meinen ( 135) * Zwischenbemerkung: Individualität im Übergang ( 135) *
Der perspektivische Blick als kleinster gemeinsamer Nenner ( 137) * Technologie des Blicks
( 138) * Die "Underweysung der Messung" ( 138) * Geradhalter ( 138) * Die Messung mit
und als Grund ( 139) * Punkte ( 139) * Ein Apparat ( 14 1 ) * Haltung ( 1 43 ) * Verände­
rungen des Blicks ( 1 45 ) * Dauerreflexion - die Einverleibung des Spiegels ( 1 45 ) * Die
Weiterentwicklung der Haltung - ein Ausblick in Bildern ( 1 47) * Mimikry und Mimesis
( 1 48) * Stillstand und Halter ( 149 ) * Einübung des more geometrico ( 1 50) * Beschleu­
nigung (15 1 ) * Rationalisierung des Blicks ( 1 5 1 ) * Lesepause 1 ( 1 53 ) * Lesepause 2 ( 1 54)
* Anhalten der Zeit ( 1 55) * Distanz ( 1 55)
Vorbemerkung ( 19 1 ) * "Das Wort ist eine Sache der Einbildungskraft" (Feuerbach) ( 1 92)
* "Einheit der Richtung als Einheit des Wesens" (Cassirer) ( 193 ) * "Schweigen" (Wittgen­
stein) ( 194) * Novellen ( 1 95) * Traumdeutung - Rebus ( 1 97) * Das aufsitzende Ich ( 199)
* Freuds Perspektive (200) * Freud als heimlicher Künstler ( 20 1 ) * Die Kreuzung von
Theorie und Wahn (202) * Illusion der Identität (206)
11.
Auf dem Weg zur Wiedergewinnung des Bildes: DaH - Lacan
209 - 229
Letzte Lockerung (21 1 ) * Das durchschnittene Auge (212) * Motiv des Narziß (215) * Ex­
kurs ( 1 ) : Über personale Identität bei Leibniz (218) * Exkurs (2) : Über das" Transzenden­
tale Ich" als Imago Dei (Kant) (220) * Verschärfung der Bedeutung der Spiegelung (22 1 ) *
Selbstportrait in Anekdoten (224) * Dali: Metamorphose des Narziß ( 225) * Die para­
noisch-kritische Methode (226) * Surrealistische Pädagogik? (227) * Surrealismus, Hyste­
rie, Psychoanalyse: "pas de sens" (229)
IV
Inhalt
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12.
1. Einleitung
Über die Schwierigkeiten, die Abbildung zu verlassen.
23 1 - 250
Riß * Symbolische Form * Symbolische Form - Zentralperspektive *
Bild und Spiegelung * Bildung * Montage * Methode * Blick * Sehen und Wissen *
Identität * Z weidimensionalität
Ein pädagogischer Blick nach Pollock ( 23 1 ) * Alkohol und Geschwindigkeit (232) * Bewe­
gung und Imagination (234) * Trouble in doing away with the frame (236) * Pollocks Be­
griff vom Malen und vom Bild ( 238) * Der "ungebildete" Maler (24 1 ) * Die andere Mime­
sis ( 244) * All-over und Drip (245) * Balance und Rhythmus an Stelle des " Stand­
punktes " ( 247)
13.
Riß
"Dennoch" - Schlußwort
251 - 257
L iteraturverzeichnis
259 - 281
Abbildungsverzeichnis
282 - 286
Abb. 1 : Tansey gibt dem Bild den Titel "Ungläubiger Thomas" 1.
1
1 986
2
Einleitung
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Auf dem Gemälde von Mark Tansey sehen wir durch das Bild einen Riß laufen. Daß dies
ein Gemälde ist und keine Fotografie wird erst auf den zweiten Blick erkannt. Zumal in der
Reproduktion .
Der Riß läuft von der Bildoberkante bis zur Bildunterkante, vom Hintergrund bis zum
V ordergrund, durch verschiedene Gesteinsschichten, durch die Straße hindurch, unter dem
geparkten Auto hinweg.
Ein Mann, der Beifahrer, ist ausgestiegen, die Frau am Steuer wartet mit eingelegtem
Gang. Der Wagentyp ähnelt einer Jaguarlimousine, die so seit Ende der fünfziger Jahre ge­
baut wird. Der Mann legt prüfend die Hand in den Riß auf der Straße, als ob er einen Luft­
zug erfühlen wolle, oder vielleicht Feuchtigkeit, Wasser. Er greift nicht zu, nimmt keine
Gesteinsprobe, zerbröselt keine Erd- oder Asphaltstücke prüfend zwischen den Fingern.
Ungläub Ig staunend stellt er einen Riß fest. Etwas ängstlich hält er sich vom Rand zurück.
Der Riß hat die gerade Mittellinie der Straße etwas versetzt. Der Mann kniet mit Abstand
vor dem Riß. Ein Rätsel. Nicht nur das Rätsel des ungläubigen Thomas, das weit über die
Bedeutung hinausgeht, daß er nun nachprüfen wolle, ob es sich an Jesu Leib um wirkliche
Wunden handelte, ob er also wirklich tot war und nun wieder lebendig. Denn es entgeht zu­
mindest einem psychoanalytisch infizierten Blick nicht, daß die Form der Wunde Jesu und
die sie ertastende Hand auch etwas mit dem Rätsel des Geschlechtsunterschiedes zu tun hat,
und mit dem Versuch, die daraus erwachsende Spannung aufzuheben.
Diese Abbildung fand ich während des Schreibens. Bei mir war eine Aufmerksamkeit
entstanden, die sich nur schwer genau als Methode beschreiben läßt. Ebenso fand ich Texte,
Theoriefragmente. Die Bilder und Texte konfigurierten sich, und ich griff sie auf, setzte sie
zusammensammen, transponierte sie in einen fortlaufenden Text mit Bildern. Erst in die­
sem Prozeß formierte sich meine Intention: Mit Hilfe von Theorien und Bildern ein Pro­
blem neu zu strukturieren, nicht zu lösen.
Der Kristallisationskern, um den sich die Texte und Bilder gruppierten, wurde der Be­
griff der Bildung, die Vorstellungen, die mit ihm verbunden sind, seine Etymologie und
Geschichte.
Ausgegangen war ich von folgender Idee, die sich als Frage so formulieren läßt: Ist es
vielleicht so, daß dem in der Erziehungswissenschaft, in der Psychologie, insbesondere in
der Entwicklungspsychologie , in der Sozialisationstheorie, in,�inigen Spielarten der
Psychoanalyse so häufig gebrauchten Begriff der Identität eine Struktur von Bildern, Bil­
dern aus dem Bereich der bildenden Kunst, entspricht?
Der Begriff "Identität" wurde meinem Eindruck nach seit den siebziger Jahren zu einem
von den Humanwissenschaften bis in die Umgangssprache hineinreichenden Signal für
eine Persönlichkeitsvorstellung, die gegen allen Wandel und Wechsel Einheit, Ganzheit und
Sicherheit festzuhalten beabsichtigte, eine wesentlich defensive Vorstellung, die durch eine
im Begriff selber zugrundeliegende Abstraktheit mit Assoziationen aufgefüllt werden
mußte und konnte, was letztlich aber zu einer Art Spiegelung führt: mit sich selbst durch
alle Wandlungen hindurch identisch sein, werden oder bleiben. Von dieser Auffanglinie,
die im mathematisch -logischen Kern des Begriffs liegt, und immer wieder auf Einheit, Ge­
schlossenheit zurückführt, geht ein nicht geringer Druck aus, an dem viele lebenspraktisch
zu scheitern drohen. Auf der theoretischen Ebene führt dies zu immer neuen Nach­
besserungen im Begriffverständnis 2 .
Einen guten Überblick über die Wanderungen und Wandlungen des Begriffs der ( Ich)-Identität gibt
Dubiel ( 1 976, 1 47ff ) . - Vgl. F. Schweitzer ( 1 985, 1 9 ) , der Identität aufgrund seiner Untersuchung als
"Leitbegriff pädagogischer Theo riebildung ( versteh t ) , der in seiner Reichweite die a nderen Erzie­
hungsziele bei weitem übertrifft" und Hansmann ( 1 988, 2 �. 54 ) , der die " sogenannten 'theoretischen
Ä quivalente' von 'Bildung' untersucht und als ein solches Aquivalent den Begriff der Identität heraus­
stellt. Am s elben Ort analysiert Schweitzer wiederum, wie problematisch die Einführung des Identi-
3
Für viele andere sei der Psychoanalytiker3 Caruso zitiert: "Aus dem glücklichen Eins ­
Sein mit sich selbst im Leib der Mutter zuerst, dann im 'sozialen Uterus ' (A. Portmann) aus dem Narzißmus - heraus, wird der Mensch zur Sozialisation gelangen. S ein Ziel wird
immer das nämliche bleiben: eben das glückliche Eins-Sein mit sich selbst, auch Identität
genannt . . . . Die ökonomische Struktur der Gesellschaft ruft die Entfremdung in allen
Bereichen des bewußten und unbewußten Lebens des Individuums hervor. So kämpft der
Mensch lebenslänglich um die Herstellung der Identität, ohne zu dem Eins-Sein mit sich
selbst zu gelangen . . . " (Caruso 1 976, 124)4.
Soll hier suggeriert sein, daß die "ökonomische Struktur" nur abgeschafft werden muß ?
- Welche? - Ist irgendwie doch unter nur günstigeren Voraussetzungen eine Ganzheit, ein
.
Eins-Sein herstellbar?
Noch während ich an der vorliegenden Arbeit schrieb, begann erneut die Diskussion um
eine Rekonstruktion des Bildungsbegriffs, der durch den Begriff der Identität aus dem Zen­
trum des Kategorienrahmens der Erziehungswissenschaft verdrängt worden war5. Das Wie­
deraufleben des Begriffs "Bildung" verstärkte erneut mein Interesse am Zusammenhang
von Bildern und Persönlichkeitsvorstellungen, da im Begriff der Bildung anders als in dem
der Identität, das Bild selber anklingt. In der gegenwärtigen pädagogischen Diskussion
wurde also in der intentio obliqua selber der Zusammenhang von Identität/Bildung und
Bild angesprochen.
Um die beiden Bereiche - vorläufig bezeichnet mit Wissenschaft und Kunst - miteinander
zu verbinden, Strukturen aus dem einen Bereich (Wissenschaft, z.B . Erziehungswissen­
schaft) mit Strukturen aus dem anderen Bereich (Kunst, z. B. Malerei) in Beziehung zu
setzen, bedarf es der Möglichkeit der Vermittlung.
Symbolische Form
In einem ersten Anlauf sah ich diese Möglichkeit gegeben in der Rede von der "symbo­
lischen Form" bei Cassirer. Sie gab mir den Mut zu einem solchen Brückenschlag, einem
strukturellen Vergleich zwischen ganz unterschiedlichen Arten von Symbolisierung:
Zu einer ersten Verständigung sei Cassirers Fassung des Begriffs vorangeschickt:
"Unter einer 'symbolischen Form' soll jede Energie des Geistes verstanden werden, durch
welche ein geistiger Bedeutungsgehalt an ein konkretes sinnliches Zeichen geknüpft und
diesem Z eichen innerlich zugeeignet wird" (Cassirer 1 92 1 , 1 75) 6 .
tätsbegriffs anstelle von Bildung in den 60er Jahre war und geworden ist. Er nimmt dabei schon auf die
neuerliche 'Wende zur Rekonstruktion des Bildungsbegriffs Bezug, die die "ungeschichtliche Einführung
des Identitätsproblems" wiederum nicht reflektiert. An diesem Mangel arbeite ich hier. - Von dem Aus­
tausch des Bildungsbegriffs gegen den Lernbegriff in der Didaktikdiskussion sehe ich hier ab .
3 Freud hat im übrigen den Begriff der Identität nie in theoretisch relevanter Weise benutzt.
4 Ich behaupte nicht, daß dies die wissenschaftlich elaborierteste Form ist, über Ich-Identität zu spre­
chen. Hier wird nur die Struktur sehr deutlich: Einheit, Identität vor der Geburt, ( mißlingender) Kampf
für die ( Wieder-) Herstellung im Leben. Eine fortgeschrittenere Formulierung findet sich bei Habermas
1 9 76 .
5
2
Einleitung
vgl. z. B. HansmannlMarotzki 1 988 .
6 Eine Interpretation dieser "Definition" und ihre Aufschlüsselung findet sich bei Krois ( 1 987, insbeson­
dere 33
7 1 ) . - Krois unternimmt in seiner Stu die den Versuch einer Rekons truktion der gesamten
Cassirerschen Philosophie und weist auf ihre verkürzte Rezeption im deutschen Sprachraum hin. - Eine
Erläuterung Krois möchte ich hier anführen, weil sie für das Folgende erhellend ist: " This definition is so
broad that it admits much more to constitute a 'symbolic form' than the cultural forms of language, art,
myth that Cassirer refers to in the essay in which he gives his definition. Cassirer speaks the language of
German idealism when he refers to an Energie des Geistes. The word Geist ( usually rendered in English
-
4
Einleitung
Einleitung
5
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Cassirer grenzt sich in seinem Vortrag, den er 1921 in der Bibliothek Warburg ,gehalten
hat, von einem Begriffsgebrauch ab, der lediglich unterschiedliche Formen gegenüberstellt,
etwa wie man innerhalb der Kunst eine Darstellungsweise unterscheiden kann, " die ledig­
lich auf Herausgestaltung des sinnlich anschaulichen Inhalts geht(,(. von einer, " die sich alle­
gorisch-symbolischer Mittel des Ausdrucks bedient(,(. (Cassirer 1 92 1 , 1 74 ) .
" Was dagegen hier durch den Begriff der symbolischen Form bezeichnet werden soll (,(. ,
fährt Cassirer fort, "ist ein anderes und allgemeineres(,(. (Cassirer 1 92 1 , 174 ) .
Dementsprechend faßt er die symbolische Form. weiter: "Es handelt sich darum, den
symbolischen Ausdruck, d.h. den Ausdruck eines 'Geistigen' durch sinnliche ' Zeichen' und
'Bilder', in seiner weitesten Bedeutung zu nehmen; es handelt sich um die Frage, ob dieser
Ausdrucksform bei aller Verschiedenheit ihrer möglichen Anwendungen ein Prinzip zu­
grundeliegt, das sie als ein in sich geschlossenes und einheitliches Grundverfahren kenn­
zeichnet. Nicht also, was das Symbol in irgendeiner besonderen Sphäre, was es in der
Kunst, im Mythos, in der Sprache bedeutet und leistet, soll hier gefragt werden; . . . (,(. (Cas­
sirer 1921, 1 74 ) 7 .
Die folgenden Überlegungen basieren nun nicht direkt auf Cassirers Überlegungen,
höchstens auf deren strukturalen Kern. Bedeutsam ist, daß hier schon ein Versuch vorliegt,
auf der Ebene symbolischer Strukturen, von Sprache im weitesten Sinne, eine D enk­
möglichkeit für den Zusammenhang von Persönlichkeits- und Bildstrukturen (Kunst) zu
fassen und damit auch für Bildung.
Symbolische Form - Zentralperspektive
Eine konkrete Verbindung zwischen Cassirers Philosophie und der Malerei findet sich bei
Panofsky. Im Bereich der bildenden Kunst spricht Panofsky von der "symbolischen Form
der Perspektive(,(. (Panofsky 1 927) . Diese wird in der Renaissance entwickelt.
Setzt man die Umstrukturierungsprozesse . . . Renaissance - so fließend diese auch immer
waren - als Beginn der Vorstellung . . . Identität, dann ist mit dem Entwurf von Panofsky
eine erste konkrete Brücke . . . geschlagen.
D ie Herausarbeitung der Zentralperspektive als einer Methode der Darstellung des Wahr­
nehmungseindrucks, der Vermittlung von Innen und Außen, gelingt über die Neubestim­
mung des Lichts. Die Zentralperspektive war Vorläuferin der Fotografie und des Films, ge­
folgt von ihrer digitalen Transformation, die keines sich einschreibenden Lichtes mehr be­
darf8 . Die neuen Abbildungs- und zuletzt Simulationsmöglichkeiten sind, wenn auch nicht
überall gleichzeitig, in die alltägliche Kommunikation und Interaktion eingesickert.
as 'mind' or ' spirit' ) immediatly calls to mind Hegelianism, whereas the term Energie reveals Cassirers
debt to the great German linguist Wilhelm von Humboldt, whose word he discusses at length in the first
volume of PSF (Philosophie der symbolischen Formen, KIP) . In a famous passage Humboldt distin­
guished between language as a formal system of rules and as a living, formative force, calling the former
ergon and the latter energia ( In der Fußnote ist hier Humboldt zitiert, KIP) . This distinction is more fa­
miliar today in Saussure's expressions langue and parole or in Chomsky' s terminolgy, competence and
performance. When Cassirer calls a symbolic form an ' energy' he has in mind Humboldts conception of
language as an ongoing process. Cassirer' s idea of symbolic form is not limited to natural languages but
refers to all types of signs. Thus 'Energie des Geistes' means any act of interpretation, either finding or
giving meaning" (Krois 1 987, 50f) .
7 Alle Hervorhebungen in Zitaten sind aus dem Original übernommen, wenn nicht anders gekennzeich­
Daraus resultierten eine Menge Schwierigkeiten für das Verständnis der Welt, für die
'
Wahrnehmungsvoraussetzungen beim Menschen, für das Verhältnis von Realität und <fere n
�naturgetreuer Nachahmung(,(. und damit für die Unterscheidung von Wirklichkeit �nd
Simulation 9 .
Die neuen Techniken zur Abbildung und Simulation1 0 von Wirklichkeit blieben nicht
ohne Wirkung auf die Formierung der menschlichen Sinne und stellten neue Anforde­
rungen an deren Organisation. Die erforderte und sich allmählich in der Geschichte um­
setzende Umstrukturierung der gesamten Sinnlichkeit des Menschen wirft heute erhebliche
Unsicherheiten in pädagogischen Zusammenhängen auf. Es macht also Sinn, sich mit der
Genese des Problems zu befassen.
In der p erspektivischen Konstruktion ist der Produzent des Bildes und der spätere Be­
trachter selber in einer besonderen Weise "im Bild(,(. im Unterschied zur Malerei in den vor­
angegangenen Jahrhunderten. Er ist nicht in erster Linie als Abgebildeter im Bild; das
kommt auch vor, und das gab es schon in der Darstellung des Stifters im Mittelalter. Es
kommt zu einer nach geometrisch-mathematischen Regeln konstruierbaren Beziehung von
Bild und Betrachter. Er ist mit Distanz über die Sehstrahlen ans Bild "gebunden(,(. Über
diese Regeln, die im übrigen strukturell die gleichen sind in der Astronomie, in der Geogra­
phie' in der Mathematik, im Bankwesen 1 1, in der Navigation . . . , setzt er sich von einem
wohl definierten Standpunkt aus ins Verhältnis zu anderen Menschen und kommt zu
diesen hin, auch über die Ozeane.
Im heuristischen Sinne ist mit Cassirers symbolischer Form, Panofskys " Perspektive als
Symbolischer Form(,(. und der Möglichkeit der Untersuchung der konkreten Erfindung der
" Zentralperspektive(,(. und deren Implikationen eine Brücke geschlagen für Überlegungen
zum Zusammenhang von Bild- und Persönlichkeitsstrukturen.
Bild und Spiegelung
Auf einige dieser Implikationen möchte ich hier vorweg hinweisen: Sozial- und psycho­
historisch geht mit der Erfindung der " Zentralperspektive(,(. eine Herauslösung des Indivi­
duums aus bis dahin " naturwüchsig(,(. erscheinenden Bezügen einher. Diese Herauslösung
liegt in den Erfordernissen der Konstruktion eines zentralperspektivischen Bildes selber,
wie noch genauer gezeigt werden wird (siehe Kap. 4 ) . Das zum Subjekt werdende empi­
rische Individuum muß über sich, d. h. seinen j eweiligen Standpunkt reflektieren, muß in
sich auf sich selber sehen, sich in si�� spiegeln, d.h. reflektieren. Das Thema der Spiege­
lung wird sich durch die folgenden Ubeilegungen hindurchziehen, weil sich in ihm nicht
nur metaphorisch - oder ganz wörtlich genommen doch metaphorisch: hinübertragen eine GelenksteIle zwischen Bild und Denken, zwischen Kunst und Wissenschaft auffinden
läßt.
diglich zur Erleichterung der ersten Entwürfe bei der Konstruktion der software. Die Abbilder müssen
nicht mehr in ein Trägermaterial eingeschrieben werden. Sie können " immateriell" bleiben.
9
"Simulation" gebrauche ich hier in der Bedeutung wie im Kompositum " Flugsimulator" . - vgl. hierzu
auch Raulet 1 988
net.
10
8 Gegenwärtig können mithilfe des Computers über digitalisierte Bildverarbeitung " naturgetreu" erschein­
1 1 In den mathematischen Lehrbüchern der Zeit, gab es in ein und demselben Werk sowohl Abschnitte
über Logik, wie über Perspektive, wie über doppelte Buchführung und Architektur.
ende Abbilder ohne Kamera hergestellt und wie im Film animiert werden. (Ab- )Bildvorlagen dienen le-
vgl. hierzu z . B . Lenzen 1 985, 1 09f, 240, 242ff
6
Einleitung
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Bildung
Mit der " Zentralperspektive" kommt ein neu es Verständnis von Bild auf. Dieses bezeich­
net man der besseren Unterscheidung wegen präziser als Abbild. Ältere Qualitäten des Bil­
des geraten in Vergessenheit, weil sie nicht den Anschluß an den neuen Modus der Darstell­
barkeit, der Repräsentation finden.
Nun hatte aber Bildung einmal eine inhaltlich nahe Beziehung zum Verständnis von
Bild. Als das Bild nun zum Abbild wurde, ging diese Nähe auch für das Sprachgefühl ver­
loren. Erst beim zweiten Hinsehen oder -hören erkennt man zumindest den Wortbestand­
teil "Bild" . Der Sache nach, wenn auch vergessen, ist Bildung ohne Bild nicht möglich. D.
h. die vergessenen Qualitäten des Bildes wirken auch, ohne daß sie in wissenschaftliche
Reflexion aufgenommen sind, weiter, sind m �twirkend im Bildungsprozeß, führen aber
.
dort ein Kümmerdasein (Kap . 3 und 4) . Der Ubergang vom Bild zum Abbild schlägt sich
in unserem heutigen Verständnis von Bildung in zweifacher Weise nieder:
( 1 ) In der Entwicklung des Bildungsverständnisses hat der Prozeß vom Bild zum Abbild
Spuren hinterlassen und die Bildhaftigkeit der Bildung von der Oberfläche verdrängt.
(2) Das Bild ist dennoch auch ungewußt an j eglicher Bildung beteiligt (Kap . 5 ).
Daß das Abbild als Grundstruktur zum Aus druck, zur Genese und zur Reflexion des
individualisierten Subj ektes nicht reicht, läßt sich daran ersehen, daß seit Ende des letzten
Jahrhunderts in der bildenden Kunst, insbesondere in der Malerei, die Perspektive keines­
wegs mehr "leitende" symbolische Form ist.
Um einen Namen zu nennen: Mit Cezanne setzt eine immanente Kritik dieser Form ein,
die zuächst noch auf den Malprozeß selber bezogen ist. Im Dadaismus und Surrealismus
nimmt sie programmatische Formen an, die weit über den engen Bereich der bildenden
Kunst hinaus greifen.
Montage
Die neue "leitende" symbolische Form könnte man als Montage bezeichnen12. Montagen
sind auf dem Weg, die Abbildung zu verlassen. Es geht wieder um Bilder.
Mit der Montage ist immer ein Vorgang der Auswahl aus vorhandenem Material verbun­
den. Die Montage ist eklektizistisch. Es geht um Zusammensetzung von Material unter­
schiedlicher Provenienz, unterschiedlicher symbolischer Qualitäten, meist ohne Glättung
der Nahtstellen, Fragmente sind erkennbar, ein vielschichtiger Zusammenhang entsteht
und kommt ohne die Bezüge zu den vorangegangenen Zusammenhängen nicht aus . Die
Montage ist auf eine andere Weise raum- und zeitgreifend als die Zentralperspektive.
Was entspricht dem auf der Seite pädagogischen Theoretisierens und HandeIns, was ent­
spricht dieser Einsicht in der Kunst auf Seiten der Psychologie? Erwartbar wäre gemäß
meiner Konstruktion, daß sich eine Kritik an der Vorstellung individueller, subj ektiver
Identität einstellt. Dem ist aber nicht so . Im Gegenteil: Der Begriff der Identität hat seit den
siebziger Jahren wieder und erst recht Konjunktur. Gleichzeitig läßt sich beobachten, daß
der Identitätsbegriff mit vielen Zusatzannahmen, Begriffserweiterungen, emphatischen
Beschwörungen daherkommt. Ferner gibt es Erhebungen über die Zunahme von sogenann­
ten " Identitätsstörungen " , die die Persönlichkeit in ihrem zentralen Kern betreffen 1 3. Das
1 2 Begleitendes Motiv innerhalb der bildenden Kunst bleibt der Spiegel und die Spiegelung.
13 vgl. z. B. Mentzos 1 985, 265. - Pathologisierend werden die Identitätsstörungen, die den Kern der Per­
s önlichkeit betreffen, als Borderline-Störungen beschrieben. Die Schwierigkeiten solcher Klassifikation
Einleitun g
7
therapeutische Angebot und auch die Nachfrage steigen dementsprechend. In den An­
preisungen ist von Identität, Identitätserweiterung die Rede.
Meine Vermutung ist: Die real existierende Persönlichkeitsstruktur ist nach der "symbo­
lischen Form der Montage" modelliert. Das bringt Schwierigkeiten mit sich. Um diese ab ­
zuwehren wird kontrafaktisch an einem Ideal, an einer Idealisierung festgehalten, was auch
Machtausübung ermöglicht 14 . Denn wer sich defizitär fühlt, ist bereit sich Kuren ver­
schreiben zu lassen. Wer mit seinen Zöglingen die richtigen Ziele nicht erreicht, wird aus­
beutbar über seine Schuldgefühle.
Methode
Die symbolische Form der Montage hat es nun an sich, wie in der Kunst zu sehen ist, daß
sie andere als die an der Perspektive geschulten Methoden der Herstellung und Auslegung
verlangt. Das ist die Herausforderung an die Darstellung meiner Argumentation. Ich werde
montierend vorgehen. Ich montiere Texte, Theorien, .�ssayistische Zwischenstücke und vor
allem auch Bilder in Sprache und als Abbildungen. Uber Montage werde ich nicht schrei­
ben. Ebenso schreibe ich nicht über Identität, wiewohl beide durchgehend Thema sind. Es
wird nur in der intention obliqua über Identität gesprochen werden. So hoffe ich zu
präsentieren, wie der Identitätsbegriff als Problem einer anderen Strukturierung bedarf.
Das andere im Vorstadium befindliche Verständnis soll sich im Gewebe eigener und
fremder Gedanken zeigen, die hier zu diesem Zweck zusammengehalten werden. Ich habe
eine Art Denk- und Assoziationsapparat konstruiert, mit dem sich über Bildung nachden­
ken lassen soll. Diese Maschine soll helfen, etwas zusammen und gleichzeitig zu sehen, wo­
gegen sich unsere kulturellen, wissenschaftlichen Techniken sträuben, insofern sie an
Schrift gebunden sind.
Ich habe Protokoll geführt über das, was mir beim Nachdenken zugefallen ist. Es muß
sich erweisen, ob dies eine Möglichkeit ist, Denken anzuregen.
Diese methodische Entscheidung klingt vielleicht radikal und läßt die Befürchtung auf­
kommen, hier sei vor der wirklichen Durcharbeitung eine Entscheidung getroffen worden,
die gar keine anderen Ergebnisse mehr zuläßt als die in der obigen hypothetischen Kon­
struktion angestrebten. Ich tue aber im Grunde nichts anderes , als bei anderen wissen­
schaftlichen Arbeiten der Fall ist: Ich treffe eine methodische Entscheidung, führe dazu An­
läße und Gründe an. Ich definiere die Methode allerdings nicht vorweg, sondern tue das im
Prozeß der Darstellung selbst. Das "Ergebnis " wird nicht in der Form einer Antwort ge-
lassen sich an der Bestandsaufnahme der Theorien zur Borderline-Symptomatik und deren Behandlungs­
möglichkeiten bei Rohde-Dachser 1 983, 3 nachlesen. Die deutlich sichtbaren theoretischen Schwierig­
keiten müßten m. E. zu einer Revision des Maßstabs führen, der der Pathologisierung zugrunde liegt. Mühelos ließen sich alle Menschen, die montierend leben, arbeiten, reden in folgender Charakteri­
sierung, die einen typischen Zug von Borderline-Patienten herausstellen soll, unterbringen: "Der ständige
Wechsel des Standortes verwirrt den Zuhörer, der sich auf einen engen Bezug zum Patienten einläßt. Er
hat das Gefühl, 'jetzt verstehe ich überhaupt nichts mehr' . Verwirrung und Orientierungslosigkeit treten
auf, wie beim Anblick einer optischen Täuschung, wo eine Treppe sowohl nach aufwärts wie nach
abwärts führt, je nachdem wie man hinschaut" (Rudolf 1977, 1 1 2 zit. in Rohde-Dachser 1 983, 5 6 ) . hier wird im übrigen sehr schön deutlich, daß Rudolf am Paradigma der Zentralperspektive orientiert ist.
Die vorliegende Arbeit hat demnach eine gewisse Borderline-Charakteristik. - Rohde-Dachser nennt die
Klagen der Borderline-Patienten "eine karikaturhafte Übersteigerung der Klagen des 'modernen Men­
schen" (Rohde-Dachser 1 983, 70 ) . Im selben Buch berichtet sie über das immense Ansteigen der
Borderline-Störungen ( die Schätzungen bezogen auf die Gesamtzahl von psychisch Leidenden schwan­
ken demnach zwischen 30% und 70% (Rohde-Dachser 1 983, 25f) .
14 siehe oben das Zitat aus Caruso.
8
:2.E inleitun::tg
9
___
______________
Einleitung
Dieses Buch wurde vom Verlag in der unkorrigierten vorletzten Fassung publiziert
geben, einer Conclusio, sondern als eine Konfiguration aus den einzelnen Abschnitten, die
sich - wenn sie gelingt - im Leser herstellt und idealerweise neue Fragen anregt.
Es sei noch vermerkt,
daß die Methode so neu
nicht ist1 5 . Ist diese
Struktur wider allen
systematischen Schein
nicht von vornherein
ein Kennzeichen der
Moderne ? Montage und
Zitat meinen ja nicht
Beliebigkeit. Sie bilden
vielmehr die Möglich­
keit einer Form, das ,
was in der Tradition
bereitliegt, in die Ge­
genwart hineinzubrin gen, aufzuheben, sich
dem Vergangenen anzu­
verwandeln. D a durch
geht freilich ein strenges
Verstän dnis von B e ­
greifen und Begriff flie­
ßend in metaphorisches
Sprechen, in Metaphern
über. Ab er sollte das
wirklich ein Nacheil
Abb. 2 : E scher: Bildgalerie (1956 ) . - Ins Zentrum setzt Escher seine Sig- sein ?
Ahb. 3 : Magritte: La magie blanche (1936 ) .
natur, seine Identität. führt man dort die in der Konstruktion angelegten
Linien weiter, bricht die Konstruktion d�r Verwebung von Innen und Außen zusammen.
" ... man muß diese versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen,
daß man ihnen ihre eigene Melodie vorsingt!" (Marx 1844, 379) .
" Von j eher liebte man es, den Wi�� als die Fertigkeit zu definieren, Ähnlichkeiten zwi­
schen Unähnlichem, also versteckte Ahnlichkeiten zu finden. Jean Paul hat diesen Gedan­
ken selbst witzig so ausgedrückt: 'Der Witz ist der verkleidete Priester, der jedes Paar
traut. ' Th. Vischer fügt die Fortsetzung an: 'Er traut die Paare am liebsten, deren Verbin­
dung die Verwandten nicht dulden wollen. ' Vischer wendet . ?her ein, daß es Witze gebe, bei
denen von Vergleichung, also auch von Auffindung von Ahnlichkeit, keine Rede sei. Er
definiert also den Witz mit leiser Abweichung von Jean Paul als die Fertigkeit, mit überra­
schender Schnelle mehrere Vorstellungen, die nach ihrem inneren Gehalt und dem Nexus,
dem sie angehören, einander eigentlich fremd sind, zu einer Einheit zu verbinden." (Freud
1 905, 1 5 ) 1 6 .
15 Kann Eklektizismus nicht die französische Aufklärung zum Zeugen nehmen?
16 vgl. auch die Zusammenfassung seiner Untersuchung über den " Witz und seine Beziehung zum Unbe­
wußten" ( 1 90 5 ) , die Freud auf S. 2 1 9 seiner Abhandlung macht.
Blick
�
[
r
I
)
I
I
I
"Befragt man die Etymologie, so erfährt man, daß die französische Sprache, um da� ge­
:
richtete Sehen zu bezeichnen, das Wort ' regard' zu Hilfe nimmt, dessen Wurzeln ursprung­
lich nicht den Akt des Sehens bezeichnet, sondern eher Erwartung, Sorge, Wache, Achtung,
Schutz - sie alle von jener Beharrlichkeit affiziert, welche die Vorsilbe der Verdoppelung
oder Rückkehr ausdrückt . . . . Der Akt des Blickes erschöpft sich nicht auf der Stelle: Er
enthält einen Aufschwung zur Dauer, eine trotzige Wiederholung . . . Was mich interessiert,
ist das Schicksal der ungeduldigen Energie, welche den Blick bewohnt und etwas anderes
begehrt, als ihm gegeben ist . . . 1.1. ( Starobinski 1 984, 6f) .
10
Einleitung
Einleitung
11
Dieses Buch wurde vom Verlag in der unkorrigierten vorletzten Fassung publiziert
Sehen und Wissen
"Als ich im College war studierte ich Philosophie ja das war's man wußte nicht was man
sah weil man sagte man sähe was man wüßte, und wenn man es sähe wüßte man ' s nicht
mehr weil man dann zwei geworden wär" ( Gertrude Stein 1988, 122)
Identität
"Ich bin ich weil mein kleiner Hund mich kennt.
Ist er er wenn er mich nicht kennt.
Dies kommt manchmal vor.
Das heißt sein Mich-Nicht-Erkennen.
Wenn es nicht vorkommt versucht er manchmal es vorkommen zu lassen.
Ist er also wenn er mich nicht kennt.
Und wenn er mich nicht kennt.
Und wenn er mich nicht kennt bin ich dann ich.
Aber gewiß so ist es nicht obwohl es eigentlich ganz ehrlich doch so ist"
(Gertrude Stein 1988, 137) .
Ahb. 4 : Escher: Auge. - und danach
r
Wen n d ie Menschen
v rnunftiger wären,
brauchte die E r de
keinen SUPER·
MANI Ich würde
gern auf meine
Kräfte ver ...
Abb. 5: The face of modern Psycholgy. - Der
wissenschaftliche Blick vor seiner Weitung . . .
Abb. 6 : Supermann. - Ein Pädagoge auf dem Weg zu
seinen Zöglingen.
Zweidimensionalität
Der Schriftsteller Hermann Burger schreibt aus der Zeit, als er noch Architekturstudent
war, einen Traum auf. Der steht in dem Buch "Die allmähliche Verfertigung der Idee beim
Schreiben" :
"Am Himmel über meinem Heimatdorf schwebte bedrohlich ein aggregatförmiges Alu­
miniumprofil in voller Rotation. Ich war ihm, wie auch immer ausgeliefert. Da kam mein
Freund, ein Ingenieur, und schob dem Himmelskörper ein weißes Blatt als Landebahn un ­
ter. Das Ding legte sich, wurde zweidimensional und stand als Zeichnung auf dem Papier"
(Burger 1 986, 13f) .
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2. Vorhergehende Bemerkungen zum Inhalt und zur Methode
Einleitende Überlegungen * 1 . Bild: Pädagogik- Sehen Blick, Gesehenwerden,
Spiegel * 2. Bild: Blickauslöser, Perspektive, Liebe: * Liebe und Perspektive * Perspek­
tive: ein didaktisches Problem * Perspektive: Ein pädagogisches Moment * Zentral­
perspektive und Surrealismus * Pädagogik? * Zum Verhältnis von Inhalt und Methode *
Wovon die Rede ist * Wovon immer nicht die Rede ist und oft auch schwer sein kann Dilettantismus * Wie die Rede davon sein wird
Einleitende Überlegungen
1. Bild: Pädagogik - Sehen Blick, Gesehenwerden, Spiegel
Jahrhundertelang standen Lehrer1 die meiste Zeit während ihrer Tätigkeit mit dem Rük­
ken zur Wand. Nur ab und zu unternahmen sie Ausflüge, meist aber Strafexpeditionen oder
auch nur Kontrollgänge ins Feindesland.
Hinter dem Rücken kann der Lehrer nicht sehen. Er hat hinten keine Augen. Bevor er
also den Schutz der Wand aufgab, mußte er die Klasse im Griff haben.
Verläßt der Lehrer den Schutz des Bühnenaufbaus, hat er den Rücken nicht mehr frei.
Weil er hinten nicht sehen kann, muß er ein anderes Sensorium entwickeln. Jetzt wird er
von unterschiedlichen Seiten gesehen. Er ist den Blicken rundum ausgesetzt.
Die Konzentration der Schüler auf einen Punkt, auf ihn, den vorn stehenden Lehrer, ist
dahin. Die Klasse wird nicht mehr als eine homogene, stetige Gemeinschaft angesprochen.
Auch ein Spiegel nähme die Bedrohung, die von hinter dem Rücken kommen könnte,
nicht weg. Er würde sie verschärfen. Denn der Spiegel sieht nicht hinter den Rücken, es sei
denn jemand stünde zwischen zwei Spiegeln. Aber auch das funktioniert nicht. Rechts und
links noch zwei Spiegel und oben und unten. Das ist dann Wahn und Dunkelheit.
Didaktische Reflexionen werden zum Nothelfer; sie treten an die Stelle der unmittelbaren
Zwangsmittel.
2.
Bild: Blickauslöser, Perspektive, Liebe:
Das folgende Bild fing meinen Blick. Dann eine Kopflebendigkeit ohne Anschluß an einen
Ausgang. Was es in mir auslöst ist nur schwer zu formulieren. Beim Betrachten des Bildes
- ich sah es zunächst zielsicher in Briefmarkengröße am Rande einer Rezension in einer
Tageszeitung - kommt mir die Idee, daß dieses Bild viel über das sagt, was ich schreiben
1 Ich verwende hier wie im Folgenden die männliche Form. Damit möchte ich kennzeichnen, daß ich als
Mann schreibe, nicht, daß das Genannte nicht auch von Frauen oder aus der Sicht von Frauen gesagt
werden könnte. Die angeborene und und in der konkreten Mischung erworbene Geschlechterdifferenz ist
durch die ,.,Androgynität" einer liberaleren, unverbindlicheren und so oft ungenauen Formulierung wie
etwa " Lehrerlnnen" nicht aufzuheben.
14
2. Vorhergehende Bemerkungen zum Inhalt und zur Methode
2 . Vorhergehende Bemerkungen zum Inhalt und zur Methode
15
Dieses Buch wurde vom Verlag in der unkorrigierten vorletzten Fassung publiziert
will. Es trifft auf eine Disposition, die wohl noch unterhalb der Bewußtseinsschwelle für
das liegt, was ich als Projekt oft formuliert habe.
Ich erfasse zunächst blitzschnell das sich umarmende Paar, wobei ich sehr schnell an den
Augen des Sitzenden hängenbleibe, von dem ich wie selbstverständlich annehme, daß er
der Mann ist, das andere die Frau. Sie wirken - sieht man auf die Komposition - wie aus ­
geschnitten und eingeklebt. Der Raum könnte ein Beispiel für perspektivische Konstruk­
tion sein: Kachelfußboden, Guckkasten. Beim Nachmessen sieht man, daß dem doch nicht
ganz so ist. Eine Art "Fischgrätperspektive" . Es gibt keinen gemeinsamen Fluchtpunkt.
Die " Fluchtpunkte " liegen auf einer gemeinsamen Achse in der Mitte des Bildes.
Der Betrachtete sieht
den Betrachter an. Die
Frau ist abgewandt, sie
b emerkt die Blicke
nicht, kann sie nicht
bemerken im eigenen
Rücken. O der ist das
Einbildung ? Sieht der
Mann doch die Frau
an, nicht aus dem Bild
herau s ? B eziehungs­
wahn, Aufm erksam ­
keit, Übersensib ilität
für ' s Angeschautwer­
den?
Zwei Nischen im Hin­
tergrund erinnern mich
an s akrale Gebäude .
Ansonsten leerer, ge­
Abb. 7: aus Colonna: Hypnerotomachia Polifili2
zeichneter Raum. Er
dient in seiner Zeichnung fast nur zur Wiedergabe des Ortes, an dem es stattfindet. Veror­
tung. Egal was stattfindet.
und große,
liebenswürdig seid, war die Ursache, daß ihr von vielen Frauen geliebt wurdet,
einen Geals
mehr
auf
die
auch
hat
So
Bäche.
kleine
in viele Arme geteilte Flüsse werden
.
genstand verteilte Liebe wenig Kraft"
Stimmt das ?
Perspektive: ein didaktisches Problem
Abb. 8
-
Dürer: Ein Mann zeichnet eine liegende Frau (1538)
das Re­
Z eigt der Holzschnitt Colonnas die (anfängliche) Beherrschung der Perspektive,
innere
die
sultat eines Konstru ktionsp rozesses , so zeigt Dürer seine Bedingungen und
t
eingeüb
Struktu r der Beziehu ng zwische n Mann und Frau, wie sie seit der Renaiss ance
wird.
Dürer führt vor: man o der frau können
nicht p erspektivisch zeichnen o der gezeich­
net werden, ohne sich zu verändern o der
sich bemerkt oder unbemerkt in bestimm­
ter Weise verändert gehabt zu haben. Das ist
ein pädagogisches Problem.
Persp ektive:
Ein pädagogis ches Moment
Liebe und Perspektive
Innerhalb eines Baukörpers befindet sich das Paar. Jeder hat hier eine Nische, der Bau­
körper und die beiden Körper. Sie sind noch nicht genau eingefügt in die räumlichen
Bezüge, wirken sehr " flach" .
Die visuelle Perspektive, die Ausrichtung von Blick und Verliebtheit treffen in diesem
Bild zusammen. Beginnende, heimliche Privatheit wird abbildbar und vorbildlich. Es
handelt sich um die Illustration für den Höhepunkt der Geschichte der Hypnerotomachia,
die Vereinigung, das Einswerden von Poliphilio( ! ) und Polia( ! ) von Colonna ( 1499) . Jetzt
ist es jeweils nur noch einer, noch eine. Keine Vielheit mehr, keine Vielheit der Blicke. Aus­
richtung auf eine Person auf eine Beschäftigung. Gesehen von einem Betrachter.
So heißt es bei Castiglione ( 1524, 3 13 ) : " . . . daß ihr jedoch so aufrichtig liebt, wie ihr
sagt, darüber bin ich ziemlich' zweifelhaft und vielleicht auch die anderen. Denn daß ihr zu
2 vgl. hierzu Gombrich 1 980, 1 25ff.
Abb. 9 : "Durch die Schulen, die in allen grösseren
Städten erstanden, wurden die aufgestellten Regeln
festgestellt, sie wurden einer gründlichen Durchbe­
rathung unterzogen, die Lehrsätze geordnet, die
Fechtkunst wurde mit einem Worte zur Wissen­
schaft erhoben" (Hergesell 1 896, 2 1 ) .
Seit der Renaissance mußte der kurz skiz­
zierte p erspektivische Blick aktiv eingeübt
werden. Dieser Blick wurde auch vermittelt
über andere Übungen nicht nur in der Form
des Zeichnens selber: Fechten, Ballett, Mili­
tär, Astronomie, Mathematik, Geometrie,
Bankwesen, also in vielerlei strukturell sehr
ähnlichen Übungen.
16
____
___
__
2. Vorhergehende Bemerkungen zum Inhalt und zur �� t h o d e
2. Vorhergehende Bemerkungen zum Inhalt und zur Methode
_ _ ___ _
Dieses Buch wurde vom Verlag in der unkorrigierten vorletzten Fassung publiziert
------- ._-------
Der perspektivische Blick reflektiert sich und übt sich wie von selbst ·ein: Architektur und
ihre Darstellung, Darstellung und ihre Architektur, Architekturdarstellung und Sehen und
Sehen in der Stadt.
Ahb. 13
Abb . 10
"Das B estreben der Meister gieng dahin,
ihre Lectionen mit viel Geheimnisthuerei zu umgeben,
überhaupt ihre Kunst durch philosophische Sentenzen
und mathematische Abhandlungen zu einer geheim­
nisvollen Wissenschaft zu erheben" (Hergesell 1896,
43).
Abb . 16: Uffizien/Florenz 1744
Abb . 11
Ahb. 15
Abb. 11 - 15: Aus der F echtlehre des Capo Ferro :
"Der italienische Meister (Aggrippa, KJP) sagt dies­
bezüglich: ' Ein in gerader Linie nach vorwärts ge­
führter Stoss mitte1st des kürzesten Weges, gestützt
auf das Gewicht des Körpers, kann nur das Resultat
einer vollkommenen Theorie oder langjähriger Praxis
sein" (Hergesell 1896, 98). Diese Übung am Leibe
Abb. 12
des Menschen, was den Leib allmählich zum Körper
machte, sickerte immer mehr aus dem Verhalten in
die Gegenständlichkeit, die Institutionen menschlichen Zusammenlebens . Allmählich stieß dann der per­
spektivisch geübte Beobachter auf immer mehr perspektivisch geformte Gegenstände. Im Resultat war die
perspektivische Form dann fast überall "gratis" vorhanden.
17
Abb . 17: U-Bahnhof/Frankfurt
18
2. Vorhergehende Bemerkungen zum Inhalt und zur Methode
2. Vorhergehende Bemerkungen zum Inhalt und zur Methode
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Zentralperspektive und Surrealismus
'I
Abb. 19: Hans Vredemann de Vries: Interieur mit Spindeltreppe ( 1604)
Abb. 18: Peter Reuter: Stadtbad ohne Ding. 1975
Abb . 20 : " First Papers of Surrealism", 14. 10. -07.1 1. 1942. Ausstellung in der Whitelaw
Reid Mansion, 451 Madison Avenue, New York . Inszenierung : A. B reton und M. Du ­
champ ( 16 miles of string) .
19
20
2. Vorhergehende Bemerkungen zum Inhalt und zur Methode
2. Vorhergehende Bemerkungen zum Inhalt und zur Methode
21
Dieses Buch wurde vom Verlag in der unkorrigierten vorletzten Fassung publiziert
Nach 500jähriger Geschichte wird ein gewisser pädagogischer Standard von den umge­
benden Gerätschaften, den Sitten, den Landschaften, den Städten, den Formen der Körper­
fertigkeiten, der Denkgewohnheiten gehalten. Er wird durchgesetzt, vermittelt, garantiert
dadurch, daß anders eine Orientierung kaum möglich wäre. Ohne diesen Standard könnte
sich niemand verständigen, käme es zu keinerlei Ansätzen gesellschaftlicher Synthesis .
Ist jetzt der Fremde, sei es nun ein Kind oder jemand aus einer anderen Kultur, aus einer
bestimmten Art von Anstrengung zur Einheitlichkeit, zur Identität entlassen? Was ge­
schieht, wenn die Identitätsformung zur Ausrichtung durch die nach den perspektivischen
Regeln geformten Umgebung, ob Mensch oder Ding, wird? - Was geschieht, wenn diese
Form, die ich im Anschluß an Panofsky ( 1 927) die ,.,symbolische Form der Perspektive"
nenne, ubiquitär geworden ist, sich als Fessel erweist?
Was wurde von den perspektivischen Regeln nicht erfaßt? - Was blieb übrig? - Was
wurde durch sie als Rest erzeugt und bekam ein ganz anderes Dasein als es ohne diese Ent­
mischung durch Erfassung unter bestimmte Regeln gehabt hätte? Denn auch das nicht per­
spektivisch Darstellbare fällt ja unter die Regeln der Perspektive, wenn sie die herrschen­
den Regeln sind.
Pädagogik
In welcher Situation findet sich die Pädagogik, wenn die Grenzen und Möglichkeiten der
symbolischen Form der Perspektive erreicht sind?
In der Pädagogik geht es oft nicht mit rechten Dingen zu. Trotz vieler Aufklärung scheint
immer auch noch etwas anderes wirksam zu sein als das, worauf gerade das Augenmerk
liegt. Das scheint nicht einholbar und auch nicht heilbar.
Es geht nicht an, perspektivisch ungedeckte Schecks auf die Leiden und Entbehrungen,
die durch Eltern und Erzieher auf uns gekommen sind, bzw. von dort her gekommen zu
sein scheinen, bei allen möglichen Institutionen als berechtigte Forderung einzubringen.
Auch eine zukünftige optimale Pädagogik und Erziehungswissenschaft kann dies nicht
einholen.
Es scheint ein Charakteristikum pädagogischer Prozesse zu sein, daß immer etwas an­
deres zumindest auch wirksam ist als das, was endlich in rationaler, wissenschaftlich
differenzierter Weise ausgesagt werden kann. Pädagogik, ein Hase-und-Igel-Spiel, das je­
den, �� r nervös wird, zu rigorosen Reaktionen re.�zt, zu Abspaltungen, Rationalisierungen,
Verdrangungen, Projektionen, zu destruktiven Ubergriffen, um einige Möglichkeiten zu
nennen; Notwehr.
Verbindliche Orientierungslinien, die mit Macht (notfalls mit Gewalt) durchgesetzt wer­
den könnten, fehlen3. - Das ist ein Verdienst der immer weiterbohrenden Ideen der Aufklä­
rung4, die nurmehr gewaltsam zeitweise unterdrückt werden können. Die Identität der Mei­
nungen kann mit rationalen Mitteln nicht hergestellt werden. Die Kategorien von ,.,Falsch"
und ,., Richtig"5 sind auf Pädagogik bezogen kraftlos geworden, auch wenn sie sehnlichst
kräftiger erwünscht sind. Einfache Addition von Motiven, Ideen, Geschichten sind aber zu
bedrohlich, als daß sie lebbar wären. Ich möchte versuchen, gegen diese Bedrohung zu
schreiben.
3 vgl. hierzu Giesecke 1985, 67
4 Zu diesen gehört wohl auch die antiautoritäre Erziehung, insbesondere in der Z eit, als sie noch ein poli­
tisches Motiv hatte.
5 vgl. Giesecke 1985, 118ff
Ich schreibe in einer Zeit, in der die Welt nicht mehr s o sehr Gegenstand ist, die Natur
nach geläufiger Annahme nicht mehr Gegnerin, sondern ,., Sozialhilfeempfängerin" . Es ist
deutlich, daß Welt, das Ausschnitte aus ihr, ganz unterschiedliche Bedeutung haben, und
daß kein cartesianischer Wahrheitsbegriff, erst recht kein scholastischer, mehr denkbar ist.
Die adaequatio intellectus et (ad) rem ist nicht möglich. Die Beziehung von Signifikant und
Signifikat ist arbiträr.
Pointiert: ,.,�ie Welt ist nicht mehr ein Gegenstand, gegen den wir stoßen, die Welt ist
uns jetzt eine Unterlage, ein Schirm, ein Feld von Möglichkeiten, auf das wir Sinn projezie­
ren. Wir neigen uns nicht mehr über die Welt, um sie zu entziffern, sondern wir entwerfen
im Gegenteil auf die Welt unsere eigene Bedeutung" (Flusser 1988, 26) .
Der Vorgang der Projektion scheint immer wichtiger geworden. Er ozilliert zwischen den
beiden Bedeutungen des naturwissenschaftlichen Verständnisses und des übertragenen
Verständnisses in der Psychoanalyse.
Diese Projektion ist aber keineswegs naturgemäß.
Zum Verhältnis von Inhalt und Methode
Daß auch mit strengeren, abgesicherteren wissenschaftlichen Darstellungen inhaltlich ein
..
.
.
asthetIsches Objekt hergestellt wird, wird oft übersehen oder als akzidentell erachtet . Ich
setze darauf.
Die Arbeit bewegt sich in der Nähe von (Film- ) Montagen, Videoclips, der Ordnung von
Schubladenschränken oder kleinen Kisten, etwa der Art wie Duchamp sie hergestellt hat.
Die Arbeit ist in gewisser Weise auch
ein Theoriemuseum mit verschiedenen
Abteilungen, deren Trennschärfe und
Auswahl sehr von der Person des Sam­
mlers geprägt sind. Nur so kann der
Pädagoge sein. So ist er nicht Philo­
soph. So reduziert er nicht das auf wis­
senschaftliche Kategorien, was mit ei­
ner älteren Bezeichnung Kunstpädago­
gik heißt, und mit guten Gründen die
Bezeichnung ,.,Ästhetische Erziehung"
erhielt6. Er versucht vielmehr die Ei­
genarten einer Fachrichtung der Erzie­
hungswissenschaft für diese zu er­
schließen.
Duchamp: ,.,Ich beendete 'Grand Verre '
nie, nachdem ich acht Jahre an ihm
gearbeitet hatte, fing ich wahrschein­
Abb. 21: Duchamp: La mariee mise a nu par ses celibalich an, mich für etwas anderes zu intaires, meme ( Boite Verte) , September 1934
teressieren . . . Es mag sein , daß ich
unb�,:ußt nie beabsichtigte, � s zu beenden, weil das Wort >beenden< das Akzeptieren
tradItIOneller Methoden und Ihres begleitenden Zubehörs implizierte" (Duchamp ) 7 - Es
6.
�
Ic beziehe mich auf diese Bezeichnung einer Fachrichtung der Erziehungswissenschaft, auch wenn
SIch 1m Rahmen der Entwicklung des Faches damit Unschärfen und Beliebigkeiten entwickelt haben.
7
In: Kuh 1962, 81 - 83; zit. n. Moure 1984, 204
2. Vorhergehende Bemerkungen zum Inhalt und zur Methode
22
2. Vorhergehende Bemerkungen zum Inhalt und zur Methode
23
Dieses Buch wurde vom Verlag in der unkorrigierten vorletzten Fassung publiziert
scheint mir nicht zufällig, daß "La mariee mise a nu par ses celibataires, meme (Boite
Verte) " im Zusammenhang mit "Grand Verre('/' steht: Grand Verre ist Duchamps Auseinan­
dersetzung mit dem perspektivischen Blick. Und zu einer anderen Schachtel - 'A I 'infinitif
(Bolte Blanche) , 1 967' - schreibt Duchamp: - "Sie ( die Notizen, KJP) waren Bemerkungen
auf einem Stück Papier, sehen Sie. Welche Idee mir auch in den Kopf kam, ich würde sie
auf einem Stück Papier niederschreiben, irgendeinem Stück Papier, so daß diese Papiere
alle möglichen Formen haben, zerrissene Formen. Sie sind allgemein ohne nennenswertes
Ziel, nur Ideen, die man bekommt, wenn man ein biß ehen träumt oder wenn man liest,
und ich legte sie nieder für einen eventuellen Gebrauch, falls notwendig(,/. (Duchamp ) 8 . - Zu
Boite-en-Valise schreibt er: "Eine andere Form des Ausdrucks . Anstatt etwas zu malen,
hatte ich die Idee, einige der Bilder, die mir sehr gut gefielen, im Kleinformat zu reprodu­
zieren, so daß sie nur wenig Platz wegnehmen würden. Ich wußte nicht, wie ich das anstel­
len sollte. Ich dachte an ein Buch, aber diese Idee sagte mir nicht zu. Dann hatte ich die
V orstellung von einer Schachtel, in der alle meine Werke gesammelt wären wie in einem
Miniaturmuseum, ein tragbares Museum , deshalb brachte ich es in einem Koffer unter('/'
(Duchamp 1 975, 160f) 9.
von Lincoln(,/. (Clair 1983 , 12) . Dabei wird ganz deutlich, daß ein perspektivisches Bild
von der Richtung abhängig ist, aus der es betrachtet wird. Das Bild von rechts betrachtet
erscheint vollständig. Die Untiefen, die dazwischen liegen, werden erst deutlich im Weiter­
gehen. Das Bild zerfällt und aus der neuen Richtung erscheint ein ganz anderes. Dazwi­
��hen gibt es keinen Ubergang, nur einen gemeinsamen Bildträger. Dieser Effekt wird als
Uberraschung nur möglich, weil wir gewohnt sind, flach, d.h. zweidimensional zu sehen.
Das Funktionieren des zweidimensionalen Blicks wird aber erst deutlich, wenn die Linea­
rität des Sehens durch eine weitere Dimension, die zunächst verborgen bleibt, durchbro­
chen wird und die Bewegung des Betrachters dazukommt. - Bei " Grand Verre('/' sieht der
Betrachter durch das "Bild(,/. hindurch. Zunächst entspricht das der Forderung der perspek
tivischen Malerei "wie durch ein Fen­
ster sehen zu können('/' . Nur hier sieht
er hindurch und sieht einen Raum,
den Ausstellungsraum, in dem sich
mit großer Wahrscheinlichkeit �Ien­
/
sehen bewegen. Der Betrachter muß
also dauernd die Akkomodation der
Augen ändern. Dahinter bewegt sich
etwas. Es erscheint zuweilen wie auf
einem Bildschirm . D ort kann es
nicht festgehalten werden, nicht al­
lein durch den Blick. Das auf dem
.:
Glas Sichtbare bleibt stehen und
nimmt doch immer wieder andere
Bedeutung an durch das, was dahin­
ter geschieht. Diesen Prozeß simu­
liere ich in dieser Arbeit.
Wovon
Abb. 22: Duchamp: La Boite-en-Valise, 1936
Duchamp experimentierte mit dem Wilson-Lincoln-Effekt. "Es ist ein kleiner optischer
Zeitvertreib, wie er um die Jahrhundertwende beliebt war. Er setzt sich aus zwei Einzelbil­
dern zusammen, die über eine prismatische Oberfläche in einer Weise geklebt wurden, daß
das Bild, wenn es von links betrachtet wird, ein Gesicht zeigt - nämlich das von Präsident
Wilson z. B . -, und wenn es von rechts betrachtet wird, ein anderes Gesicht - nämlich das
8 Siegel
9
Die Montage - Metapher für die Me­
thode - greift auf die Inhalte aus. Sie
greift den Begriff der Identität an, der
in der gesamten Arbeit im Hinter­
grund mitbe dacht wird, Identität
verstanden als einem Ziel und zu­
gleich einem Zustand der Persönlich­
keitsentwicklung.
Damit wird eine zentrale Kategorie
der Pädagogik der letzten Jahre und
Abb. 23: Duchamp : Grand Verre ( 19 15 - 1923)
einiger Spielarten der P sychoanalyse, besonders amerikanischer Provenienz, zur Frage . In der amerikanischen Psychoana­
lyse fand auch der entscheidende Paradigmenwechsel statt, der die Psychoanalyse für die
Erziehungswissenschaft leichter rezipierbar machte: "So hat es sich ergeben, daß wir uns
gerade zu einem geschichtlichen Zeitpunkt mit der Identität beschäftigen, da diese proble­
matisch geworden ist. 1 0 Und zwar beginnen wir damit in einem Land, in dem sich eben aus
1968; zit. n. Moure 1984, 205
zit. n. Moure 1984, 218
die Rede ist
1 0 Erikson war vor den Faschisten geflohen.
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2 . Vorhergehende Bemerkungen zum Inhalt und zur Methode
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2 . Vorhergehende Bemerkungen zum Inhalt und zur Methode
Dieses Buch wurde vom Verlag in der unkorrigierten vorletzten Fassung publiziert
aus all den, durch die Einwanderer importierten Identitäten eine Super-Identität ( ! , KIP)
bilden will; und der Zeitpunkt unseres Unternehmens ist der der rasch wachsenenden Me­
chanisierung, welche die im wesentlichen bäuerlichen und patriarchalischen Identitäten
auch in den Ursprungsländern aller dieser Einwanderer zu vernichten droht. Das Studium
der Identiät wird daher in unserer Zeit zu einer genau so strategischen Frage, wie es das
Studium der Sexualität zu Freuds Zeiten war" (Erikson 1 976, 278) .
Wie bei Erikson anklingt, ist der Frage nach der Identität von Anfang an klar, daß es
ohne Einbeziehung von Biographischem nur schwer einen Weg zu ihrer Entfaltung geben
kann 11. Das muß - zum Glück für Autor wie Leser1 2 - nicht nacherzählend sein. Sie wird
sich in den angeschlagenen Themen und der Struktur wiederfinden.
Ich vermute, daß jede Pädagogik, auch wenn sie zur Wissenschaft gebracht wird, verbor­
gene Autobiographik ist, sei es - in den selteneren Fällen- eine bewußt verschwiegene oder
eine, die sich unter der Hand - also beim Schreiben - in die Inhalte und Strukturen des
Textes einschreibt.
Ich meine das nicht in dem trivialen Sinne, daß jede Äußerung auch irgendwie etwas mit
einem selbst zu tun hat, mit dem der spricht, schweigt oder schreibt. Pädagogik kann nicht
betrieben und nicht geschrieben werden ohne Bezug auf die eigene Biographie, auf die ei­
gene Erziehung, sei es bejahend, verneinend, abwägend oder einfach sie vergessend oder
verdrängend, so oder anders fortführend. Privates, Abgesondertes spielt so in den öffent­
lichen Prozeß des Erziehens. Kaum ein Beruf hat derart programmatisch eine Wiederho­
lung, natürlich anders und besser, zum Inhalt.
Zum Eskapismus, zum Ersparen von Widersprüchen, zum Wunschdenken, zum Bewah­
ren eines von illusionärer Unmittelbarkeit geprägten Raumes führen in pädagogischen
Prozessen immer wieder die Spannungsfelder , in denen das Individuum steht, das sich als
Subjekt bilden soll, das eine Identität oder die Identität erreichen soll. Der Druck pro­
duziert geradezu das Gegenteil: Zerrissenheit, Fragmentarisierung. Wird doch gesellschaft­
lich gleichzeitig dauerndes Lernen, dauernde Veränderung, Mobilität, Flexibilität, gar Dis­
ponibilität gefordert. Die Beziehungen der Individuen untereinander sollen beweglich blei­
ben. Sie entbehren immer mehr der Aura und Energiezufuhr von rational abgesicherten
Institutionen. Die Bildung von Identität wird öffentlich gefordert, aber ihre Verwirklichung
weitgehend in den Bereich des Privaten abgedrängt1 3 . In der Privatheit des �.inzelnen soll
unverwechselbare Identität produziert werden. Das führt zu Verengung und Angstlichkeit.
Identitätserweiterung wird in Kleinanzeigen jede Menge angeboten.
Identität hat ein ahistorisches Begriffs- und Realitätsmoment. Sie ist gerichtet gegen die
Veränderung, gegen den Wandel, muß diesem unter Mühen abgerungen werden. Die
Möglichkeit Identität zu finden und zu formulieren stammt aus der von Luther verstärkt
kultivierten biographischen Selbstbeobachtung und Selbstauslegung. Die hat "sowohl im
Umgang des einzelnen Individuums mit sich selbst als auch in seinem Umgang mit ande-
ren zwei bedeutsame Vorteile. Zum einen werden alle Einzelerlebnisse und Ereignisse ei­
nem - zwar im Zeit- und Lebensverlauf sich immer wieder verändernden, aber der Struk­
tur nach geordneten - Sinnzusammenhang zugeordnet: Die Zufälle verschwinden, alles
wird motiviert, steht in einem Motiv- bzw. Kausalzusammenhang. Zum anderen entsteht
ein kommunizierbares Repertoire von relativ geschlossen � n Geschichten - ei � mitte� b�res
Medium der Selbstdarstellung. Es entstehen - konzis auJeznander bezogen - dle Modl eznes
selbstreflexiven autobiographischen Subjekts: ein sich selbst beobachtendes, sich selbst
auslegendes, ein erzähltes und ein erzählendes Subjekt " (So.eff� er 1 985, 92) .
.
Den sich durchhaltenden Kern zu bilden, wird heute mIt eIner Besetzung des eIgenen
Körpers zu erreichen versucht. Er ist hierfür na �h der Entl�st�ng von körperlich sch�e�er
.
Arbeit als Matrix freigeworden, als Rohstoff fur Body-buIldIng und das dazu gehonge
Identity-building. Der Körper wird so im Dienste der Identität zwangsläufig vermehrt mit
narzißtischer Libido besetzt1 4 .
Die sich hieraus ergebenden Modi des Fühlens und Denkens gehören dem Imaginären an
und führen tendenziell zu narzißtisch gestörtem, autistischem Verhalten, nicht zum (öf­
fentlichen) Austausch15. Dies ist Identität, die aus einer Isolation entsteht .
Demnach: Die vorliegende Arbeit und der Weg zur Explikation der Frage nach der Art,
wie Identität vorzustellen sei, sind Blicke in Spiegel. Eine Spekulation wird die Arbeit in
weiten Teilen sein.
Der Spiegel - seine Funktion für Erziehung und Sozialisation- wird bei der Frage, was
denn Identität sein könnte, zu einem weiteren Motiv dieser Arbeit.
Der Blick in den Spiegel wird notwendig zur Selbstkontrolle und möglicherweise zur
Falle. Die Bildungsmöglichkeiten werden zu -notwendigkeiten. Sie schaffen den Eindruck
von Omnipotenz. Kaum jemand kann es sich leisten, das, was möglich wäre an eigener Bil­
dung - sei es mehr "äußerlicher" oder "innerlicher" �a�ur - nicht auch � � verwirklichen.
.
Es scheitert an den knappen Zeitressourcen, alle MoglIchkelten
zu realISIeren, kaum an
anderen Widerständen. Die mögliche Gestaltung solcherart privatisierter Identität gehorcht
in weiten Teilen eher ästhetischen Strukturen als solchen die aus geschichtsphilosophischen
abgeleit�� sind:
.
.
.
'
"Die AsthetIk der OmnIpotenz treIbt
das moderne Subjekt dazu" , schreIbt dIe Psychologin Silvia Finzi, "sich in einem fü� vielfältige Lösu? gsmöglic�ke�t �n offene ? Ron: an
.
zu entwerfen, sich als 'work in progress zu leben, das dIe IrreversibIhtat der ZeIt negIert
und den Tod durch stets erneute Wiedergeburten zu bannen versucht. Was indessen im un­
endlichen Gespräch der Selbstdarstellung verkannt wird, ist die biologische Zeit, ihr un­
aufhaltsames Fortschreiten zur Auslöschung des lebenden Organismus, das lautlose Werk
.
14 Vgl. hierzu Kirchhoff ( 1980 ) , insbesondere den Abschnitt "Körper und Schrift" ( 1 43 - 1 60 )
1 1 Hierauf weist auch Aigner ( 1 987, 1 0f) hin.
1 2 Gegen die Vermengung oder distanzlose Veröffentlichung des Privat-Intimen argumentiert Senett
( 1 983 ) , wenn auch konservatorisch und pessimistisch.
13 Begonnen hatte das bei Luther. So schreibt der Soziologe Soeffner: "Müntzer kämpft - Luther heiratet.
B eide sehen ihre 'Taten' als Demonstration einer konsequenten Haltung an. Bezeichnend für Luther ist
dabei, daß die 'private' Lebensführung als öffentliche Demonstration und als öffentliches Argument
genutzt wird: Er bekämpft nicht in einer öffentlichen Arena als Repräsentant einer neu entstehenden eine
alte Institution, sondern als Vertreter einer Glaubens- und Lebenshaltung einen 'verfälschten' Glauben
und eine ' unchristliche' Lebensführung. Die ' eigentliche' Kirche Gottes auf Erden ist für ihn letztlich
keine öffentliche, sichtbare Institution" ( 1 985, 84 ) .
15 "Entscheidend für die Ausformung des lutherisch-protestantischen Biographietypus ist . . . , daß e r ent­
steht aus den Erinnerungen und Reflexionen eines in erster Linie mit sich selbst kommunizierenden Ichs .
.
Das soziale Gegenüber, die anderen, sind für diese Ichs nur Lieferanten von Selbsterfahrungsmatenal,
Dienstleute eines vorwiegend mit sich selbst beschäftigten Souveräns. So ist es auch nicht weiter v�rwun­
derlich, daß die zunehmende Verfeinerung u nd Kunst der Selbs tbeobachtung und Selbstempfmdung
j ene inzwischen sprichwörtlich gewordene Empfindsamkeit, modern: 'Sensibilität' , des Subjekts hervor­
bringt, eine Sensibilität, die das Subjekt so unvergleichbar bei sich selbst vorfindet und bewundert, daß
sie ihm - zwangsläufig - von keinem anderen ebenso entgegengebracht ,: erden kann, ,:' eshal es � � �n­
so zwangsläufig - diesen Mißstand an seinem Gegenüber beklagt und dIeses zu verstarkter SensIblllSlerung ' für j enes Fremd-Ich auffordert, das man se st ist . Soll � �n zv.; ei Men � chen ieses Typu s a� �i nan­
. .
.
dertreffen , so ist in dem strukturellen Gefälle ZWIschen JeweIlIger Selbst- und Fremdsenslblhtat , der
Stoff für eine soziale Kommödie angelegt, die von den beiden Protagonisten allerdings als Tragödie des
' Nicht-miteinander-kommunizieren-Kännens ' erlebt wird" ( Soeffner 1 985, 97f)
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2 . Vorhergehende Bemerkungen zum Inhalt und zur Methode
2. Vorhergehende Bemerkungen zum Inhalt und zur Methode
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des Todestriebes. Mit der biologischen Zeit verdrängt wird aus der individuellen Erfahrung
auch die a-subj ektive der Sexualität als einer Kraft, die an der Reproduktion der Gattung
im Rahmen einer Ö konomie arbeitet, für die das Individuum nur das kontingente Glied
einer es transzendierenden Kette ist� (Finzi 1 988, 72 ) .
Damit sind einige weitere Motive genannt, die i m Folgenden wieder auftauchen werden.
Sie gehören zum Grundgewebe der vorliegenden Arbeit. Sie sind nicht unbedingt immer
sichtbar:
Es wird um die ästhetischen Dimensionen von Bildung gehen, die Angst vor dem Tod
und dessen Verdrängung. Des weiteren wird es um die nicht der Identitätserweiterung oder
ähnlichen Proj ekten gleichschaltbare Sexualität gehen, deren im Sinne indivi dueller
Lebenspläne anarchischen Kern.
Und dieser Roman ist sicher keiner, der sich strikt nach herkömmlichen Dramaturgien
erzählen läßt, es sei denn, daß Vieles ausgeblendet wird.
Michael Rutschky formuliert eine ähnliche Erfahrung, Beobachtung so: "Was wir vor
Augen haben, läßt sich offensichtlich kaum mit soziologischen Kartegorien triftig fassen,
eher mit ästhetischen: es handelt sich nämlich um eine Collage. Elemente höchst unter­
schiedlicher Herkunft sind darin vereinigt, aus ihren eigentlichen Zusammenhängen her­
ausgebrochen und doch an sie erinnemd� (Rutschky 1982, 382 ) . Auch Rutschky führt zur
Beschreibung ästhetische Kategorien ein, insbesondere die "Collage� . Bei mir ist die Ein­
führung des Begriffs Montage durch eben diese Beobachtung motiviert. Montage scheint
mir der weitere Begriff zu sein und ist nicht sosehr auf die Konnotation des Klebens ange­
wiesen, hat stattdessen technische Konnotationen 16 .
Angesichts dieser Lage braucht es Theoreme, die die Aufgabe bewältigen, solcherlei äs­
thetische Dimensionen, und seien sie nur in der Not metaphorisch gemeint, nicht abzu­
stoßen . Es gibt da eine vor einer Symbolisierung (in Sprache) liegende Intentionalität, die
aber dennoch nur in Sprache erscheinen kann. Wo sonst. Dadurch entsteht aber immer
wieder ein unsagbarer Rest, im Sinne Lacans das "Reale� , das nicht in der symbolischen
Ordnung aufgeht und aus dem Imaginären heraus ist (vgl. auch Finzi 1988, 70) .
Dieser Rest ist uns "unheimlich� , er ist nirgendwo zu Hause, fremd. Diese Fremdheit,
Unheimlichkeit ist aber nicht nur außen, sie ist für das Subjekt, das mit sich identisch sein
will/ muß, selber konstitutiv. Das Subjekt ist von Geburt an "alieniert� 17 , nicht ganz bei
sich. Dies ist nie einzuholen: Es bleibt mehr oder weniger ungebärdig als das beängstigende
Spüren von Mannigfaltigkeit1 8 , Vielheit, Rissen, Fragmentarisierungen19.
27
Die Ausgangsfrage war die nach der Identität. Es kam die Reflexion, die Selbstreflexion
und die Spekulation dazu. Es tauchte die Frage sofort auf: wie werden Identität und die mit
ihr zusammenhängenden Strukturen repräsentiert. Hier wird behauptet, das Mittel, das
mit der Aus-Bildung von personaler Identität zu tun hat, ist die Zentralperspektive. Sie
wird als eine symbolische Form verstanden, die nicht auf die Malerei oder später die Foto­
grafie und den Film beschränkt bleibt.
Die symbolische Form der Zentralperspektive von der ich behaupten werde, daß sie
viele Strukturen mit der Struktur personaler Identität gemeinsam hat - wurde um die
lahrhundertwende in der Malerei zum Problem. Die Auseinandersetzung mit der " Zentral­
persp ektive � 2 0 , die Auslotung ihrer Möglichkeiten, die Überformung der Inhalte, die sie
faßt, die Auslotung des bisher durch sie nicht Faßbaren bleibt bis zum heutigen Tag ein
wichtiges Motiv der Bildenden Kunst.
Ich behaupte, die Bewegung, die in der Kunst stattfindet, gesehen von dem Feld der Pä­
dagogik aus, könne Aufklärung geben für die in Frage gestellte Kategorie personaler Iden­
tität.
Anlaß und Anregung, diese Behauptung aufzustellen, gab mir die Nichtbefassung der
Ästhetischen Erziehung2 1 mit den Auslösern und Gründen für die Kritik an der " Zen­
tralperspektive� und, was vielleicht noch bedeutsamer ist, mit den Bedingungen und den
Möglichkeiten einer solchen Kritik.
Eine mögliche Kritik sehe ich in der heute bedeutsamen symbolischen Form, die an die
Stelle der Zentralperspektive getreten ist, die "Montage�22 oder " Collage�23 .
-
ist im Französischen der dem Deutschen "Entfremdung" entsprechende Ausdruck. Darin
steckt "Andersheit" .
künstlerische Vorwegnahme der Psychologie des Selbst" ( 1 98 1 , 279) z u sprechen. Auch hier ein Anklang
an Freud: Freud hatte gesagt, daß er plötzlich entdeckte, daß er wie ein Schriftsteller schreibe ( 1 895,
227 ) , und daß Künstler schon vor ihm das erfaßt hatten, was er nun wissenschaftlich formuliere. Kohut
sagt das viel stärker und damit ganz anders : Er spricht von der "Hypothese der künstlerischen Vorweg­
nahme", der große Künstler sei seiner Zeit voraus. "Der ( ? , der große? ,KlP) Künstler fungiert gleichsam
als Stellvertreter seiner Generation: nicht nur der allgemeinen Bevölkerung, sondern sogar der wissen­
schaftlichen E rforscher der sozialpsychologischen Szene" ( 1 98 1 , 279 ) . Freud war es immerhin noch um
Psychoanalyse gegangen. Und weiter: "So wie das unterstimulierte Kind . . . nun zum Paradigma für das
zentrale Problem des Menschen in unserer westlichen Welt geworden ist, so ist das sich auflösende, frag­
mentierte, geschwächte Selbst dieses Kindes und später . . . Erwachsenen das, was die großen Künstler
der Z eit beschreiben - in Ton und Wort, auf Leinwand und in Stein - und zu heilen versuchen . . . . Sie
alle bilden das Auseinanderbrechen des Selbst ab und versuchen, durch Wiederzusammensetzen und
Neuordnen der Fragmente neue Strukturen zu schaffen, die Ganzheit, Vollkommenheit, neuen Sinn
besitzen" ( Kohut 1 98 1 , 280 ) . Der Künstler/Psychoanalytiker als Heiler. Es soll wieder Ganzheit und Voll­
kommenheit sein. Ich stelle dem ein Zitat aus Adornos "Ästhetischer Theorie" ( 1 970) aus dem Abschnitt
über Montage gegenüber, wo es um deren verkürztes Verständnis geht: "Unverbundenes wird von der
übergeordneten Instanz des Ganzen zusammengepreßt, so daß die Totalität den fehlenden Zusammen­
hang der Teile erzwingt und dadurch freilich aufs Neue zum Sehen von Sinn wird" (Adorno 1 970, 233 ) .
18
20
1 6 Holländer
17 Alienation
1 970, 2 1 4
Siehe oben die Namen der beiden in der Zeichnung Colonnas: "Poliphilio" und "Polia" .
19 Ich nutze die Stelle, um mich von einer psychoanalytischen Richtung abzugrenzen, die nicht unwe­
sentlich die bundes republikanische Pädagogik der letzten 1 0 Jahre beeinflußt hat und für die der Name
Kohut steht. Dies geschieht hier nicht über eine eigentlich notwendige, differenziert immanente Kritik,
sondern gleichsam physiognomisch, intuitiv an einer Stelle, von der ich behaupte, daß sie für die Inten­
tionalität seiner gesamten Arbeit steht, und die Berührungspunkte zu d �.m hier thematisch Angeführten
hat. In seinem Buch "Heilung des Selbst" ( 1 9 8 1 ) klingt schon in der Uberschrift eine medizinalisierte
Auffassung von Psychoanalyse an, die ihren schrägen Blick auf die gesellschaftliche Realität verloren hat
und an die Stelle religiöser, innerweltliche Heilserwartungen setzt. Dabei übernimmt er implizit Wertein­
steIlungen, die gut an die amerikanische Realität angepaßt sind: Er spricht ohne nähere Bestimmung von
" erfolgreich lieben und arbeiten" ( 1 98 1 , 277) als Kriterium der Heilung. Freud hatte von der Fähigkeit
zu lieben und zu arbeiten gesprochen. Das ist ein Unterschied ums Ganze. Dann kommt Kohut auf " die
"Zentralperspektive" schreibe ich immer dann, wenn ich die symbolische Form meine, die nicht auf
die Malerei beschränkt zu denken ist.
21 Ä sthetische Erziehung, ästhetisch also mit großem Anfangsbuchstaben, schreibe ich immer dann, wenn
ich das Schulfach meine.
22
" Collage" und "Montage" schreibe ich immer dann, wenn ich mehr meine, als eine Technik, die auf
den Bereich der Kunst beschränkt ist. Um anzudeuten, was ich meine: Wer sich beispielsweise mit Sur­
realismus als Phase, Epoche, Stil innerhalb der modernen Kunst beschäftigt, wer die Werke des Sur­
realismus theoretisch auf den Hintergrund der gesellschaftlichen und historischen Bedingungen bezieht,
wer sich sogar einfühlend, ästhetisch-praktisch mit Werken aus dieser Zeit beschäftigt, muß keineswegs
von selber mit den Bedingungen der Kritik an der " Zentralperspektive" konfrontiert worden sein. So ist
auch die Erlaubnis , im Unterricht auf (kleinerem Format) so zu malen wie Pollock, etwas gänzlich an­
deres als das, was Pollock 1 943 getan hat. Aber das spricht noch nicht gegen eine solche Praxis. Nur de-
2 . Vorhergehende Bemerkungen zum Inhalt und zur Methode
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2. Vorhergehende Bemerkungen zum Inhalt und zur Methode
Dieses Buch wurde vom Verlag in der unkorrigierten vorletzten Fassung publiziert
'
Wovon immer nicht die Rede ist und oft auch schwer sein kann - Dilettantismus.
;
Die im Motto zitierte Aussage Reins ist, wenn auch antiquiert, unabgegolten. Sie hat, so­
weit ich sehe, noch keine angemessene Theoretisierung erfahren, auf deren Grundlage sie
abzulehnen oder weiterzuentwickeln wäre. Sie wird aus der wissenschaftlichen Didaktik
weitgehend ausgeklB:!llmert oder schamhaft verschwiegen. Der Pädagoge als Künstler, naja,
19. Jahrhundert . . . Uber Bildung als dem abstrakteren Begriff, wiewohl er denselben Kon­
text des Künstlerischen hat, kann leichter verhandelt werden.
Eine Theoretisierung von Reins Aussage kann zwar auch hier nicht eingelöst werden, ich
versuche mich dem in einem Ausschnitt zu nähern, indem ich z. B. auf ein zunächst der
Kunst zurechenbares Verfahren, die Montage, zurückgreife.
Ein solcher Versuch läßt sich auch aus der aktuellen Diskussion in der Erziehungswis­
senschaft begründen. Dazu möchte ich einige Aussagen Tenorths heranziehen, ohne diese
inhaltlich zu diskutieren. Tenorth setzt sich in einem Beitrag mit dem Titel "Lehrerberuf s.
Dilettantismus" , indem er einen Verweis aus Reins Encyclopädischen Handbuch der Päda­
gogik zum Titel nimmt24 , mit der " systemtheoretisch inspirierten Betrachtung pädago­
gischer Probleme von Luhmann" ( 1 986, 275) auseinander. Dabei geht es insbesondere um
den Begriff des Verstehens in der Pädagogik. Luhmann leite ab, "daß Verstehen unmöglich
sei und daß sich der Lehrer nicht einmal selbst verstehen kann; . . . " (Tenorth 1 986, 275) .
Tenorth stellt im Anschluß daran die These auf, " daß die 'hermeneutische Pädagogik' als
Typus einer eigenständigen Erziehungswissenschaft nicht mehr ist als die theoretisch
unreflektierte Transformation eines Professionsproblems in die Sprache geisteswissen­
schaftlicher Theorie; diese Transformation geschieht, ohne daß eine Lösung von Schwierig­
keiten für die Praxis der Erziehung vorgeschlagen würde" (Tenorth 1 986, 276f) . Tenorth
weist also auf zweierlei hin: die hermeneutisch orientierte Pädagogik stehe als Theorie auf
recht wackligen Fundamenten, indem sie sich auf eine geisteswissenschaftliche Methode
bezieht, und zweitens, die wissenschaftliche Pädagogik entferne sich damit von Problemen
der Praxis, indem sie davon ausgehe, die Prozesse der Erziehung und die Individualität, die
P ersönlichkeit von Lehrern und Schülern verstehen zu können 25 . Kritisiert wird ein
Methodenmonismus, so verstehe ich Tenorth, der sich von der Struktur pädagogischer
ren B:deu �u�g m� ß eingeschätzt werden können. - Vgl. hierzu was Mollenhauer ( 1 988, 457) in Bezug
auf dIe Moghchkelten von Kunst .nach der Jahrhundertwende im Unterricht schreibt: "Die Reflexionszu­
mutung, die in den symbolischen Figurationen liegt und, auf der anderen Seite des Vorgangs, die äußer­
s� e Sch:,ie�igkeit, die � ich bei dem Versuch einstellt die Erfahrung des eigenen l Innengrundes' in symbo­
.
lIsch MItteIlbares zu ubertragen, lassen pädagogische Praktiken ästhetischer Erziehung wie beschwichti­
gungsformeln oder gelegentlich wie Dressurakte erscheinen. Aus diesem Grund auch reagierte Adorno auf
die ' musikpädagogische Musik' so allergisch-aggressiv (Adorno 1 973 , 67ff, 1 08ff) . . . " .
23 Vgl. Pazzini 1 984
2 4 Rein 1 904, Bd. 2 ,
25
230 -249
Vgl. Tenorth 1 986, 277f
Praxis z u weit entfernt. Der Handlungskontext des Praktikers erfordere - s o Tenorth "nicht luzi de Analysen von Schwierigkeiten, sondern Hilfen zu ihrer Bewältigung.
IDennoch ! heißt die Devise der Pädagogen - weil sie auch keine andere Wahl haben; denn
sie handeln unter Ungewißheit und Risiko, bei ' Mangel an Zeit zum Nachdenken,
Abwägen, Kontrollieren, Darüberreden ' (Luhmann 1 986 , 84 ) . In dieser Situation liefere
eher die Topik des Berufs Anhaltspunkte zur 'Konzentration' des Handeins als die sozial­
wissenschaftliche Forschung, eher auch als die systemtheoretische Wissenschaft von der
Erziehung("' , so Tenorths Schlußfolgerung (Tenorth 1 986, 322 ) . Diese Analyse weist auf
erhebliche Probleme in der Erziehungswissenschaft hin und gibt die Richtung für eine Al­
ternative an: Erforschung der " Topik" des Berufs.
Diese Topik des Berufs ist auch nach den Kriterien von Rein 26 in weiten Bereichen als
dilettantisch zu bezeichnen. Dieser Tatsache ist nicht voluntaristisch zu entgehen. Man
kann sich lediglich dazu stellen. Das muß keine Kränkung sein.
Ich stimme Tenorth im obigen Punkt insofern zu, als ich versuche, der Realität pädago­
gischen Alltags auf der Ebene der Reflexion mich zu nähern. Dies geschieht hier aber nicht
über die Analyse von bestimmten pädagogischen Handlungen, sondern indem ich dem
Vergessen des Bestandteils "Bild" im Bildungsbegriff nachgehe. Ich behaupte damit den
symbolischen Formen, in denen pädagogischer Alltag zu Bewußtsein kommt, zu folgen .
l?ie Reflexion des pädagogischen Alltags geschieht vermeintlich in der rationalen Form, die
Ahnlichkeiten hat mit der "Perspektive als symbolischer Form" (Panofsky) , latent ge­
schieht aber die Orientierung unter den von Tenorth aufgeführten Vorzeichen von Unge­
wißheit und Risiko, Mangel an Zeit zum Nachdenken, Abwägen, Kontrollieren, Darüber­
reden in der symbolischen Form der Montage. Dem versuche ich mich mimetisch 27 auf der
Ebene von Theorie zu nähern. Das muß und kann nicht heißen, daß nur unmittelbar
Probleme der pädagogischen Praxis im engeren Sinne, etwa der konkreten Arbeit in der
Schule, verhandelt werden 28 . Zur pädagogischen Praxis gehört auch die Praxis des Er­
ziehungs-Wissenschaftlers, der sich auf Pädagogik bezieht. Hierfür versuche ich ein an­
deres Modell zu demonstrieren.
Zwischentext: "Genialer Dilettantismus"
Hermann-Josej Ortheil schreibt über die " Theorie des 'genialen Dilettantismus ' ", einen
Begriff, den er bei Blixa Bargeld, Tabea Blumenschein, Alexander von Borsig und vielen
anderen geborgt hat: "Ich meine, daß sich an diesen Energieumwandlungen genialen
I
"Mit dem pädagogischen Beruf ist es so wie etwa vergleichsweise mit dem künstlerischen.
Zum Malen, zum Dichten, zum Tonsetzen kommt man nicht durch Lesen von Schriften
über Malerei, Poesie, Musik; j edoch auch nicht durch bloßes Pinselführen Versernachen
Notenschreiben. Um Künstler zu werden, braucht man vor allem Begabu g, den Genius
dann die ernste Schule. Alles Talent reicht noch nicht aus , man muß die Kunst vom
rechten Meister lernen . . . " (Rein 1 904, 23 1 )
�
29
2 6 Siehe Rein (2, 1 904, Bd. 2, 238 - 248 ) . - Eine Ä ußerung sei zitiert: "Die Hauptursache des Dilettan­
tismus in der Pädagogik ist die verfehlte Einrichtung der Bildungsverwaltung. Von daher rührt die dilet­
tantische Beeinflussung der inneren Schulgestaltung im Punkt des Lehrplans, der Lehrmittel, des Unter­
ri �hts , der Vorbildung für den Lehrberuf und Fortbildung darin wie endlich der Beaufsichtigung. E s
WIrd einmal als eine Unbegreiflichkeit bezeichnet werden, daß die letzte Entscheidung i n den Bildungs­
.
angelegenheIten, Angelegenheiten des Geistes, ja sogar schon die Vorentscheidung darin im wesentlichen
in die Hände von Juristen in unseren Zeiten gelegt werden konnte" (247 ) .
2 7 Mit meinem Verständnis von Mimesis, das ich noch etwas näher i m Kapitel 1 2 erläutere, weiche ich
von dem bloßer Nachahmung ab, die in einem platonischen Verständnis (im "Staat" ) dann am Urbild
überprüft werden könnte. Mimesis verstehe ich als eine "repräsentative Aktion" (vgl . Feldmann 1 988, 1 1
u . 1 7 ) ; es geht u m Formwerdung, nicht verfestigte Prozesse, die Aktion gegen die Erstarrung im Schrek­
ken vor dem angstmachend Fremden, ein "poietischer Prozeß des Darstellens" (vgl. Feldmann, 1 988,
1 8 ) , der durch Sich Annähern Distanz hervorbringt zu dem, dem er sich nähert. Der Distanz entspricht
im Erleben eine Enttäusch �.ng, weil eine Verschmelzung nicht gelungen ist. Daraus entsteht das Ich. Vgl. hierzu auch Gebauers Uberlegungen zu Proust ( 1 986, 550f) .
2 8 "Die Unmittelbarkeit authentischer Probleme erfährt man ja schon alltäglich, dazu bedarf es nicht der
Wissenschaft" ( Tenorth, 1986, 322)
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2 . Vorhergehende Bemerkungen zum Inhalt und zur Methode
2. Vorhergehende Bemerkungen zum Inhalt und zur Methode
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Dilettierens etwas studieren läßt. Dieses Eintauchen in die anonyme Geräuschkulisse,
dieses Mitschwingen, dieses Antworten, diese Entstehung eines Geflechts, diese Ent­
wicklung selbstorganisierender Schwingungen - fern vom Gleichgewicht -: dies alles kenn­
zeichnet mir einen Zusammenhang. . . Die intensive, meditative, konzentrierte A rbeit des
"genialen Dilettantismus " bildet für mich etwas wie den Untergrund zu jenen Texten der
A utoren und Leser, deren Gestalten ich nicht mehr auseinanderzuhalten bereit war. . . .
Sinn - das ist nichts, was man vorfindet, nichts, was man durch prozeßhaftes Arbeiten er­
hält. Sinn ist das Unbestimmbare - diese Offenheit, fern vom Gleichgewicht, der Span­
nungszustand, den man von außen nicht wird greifen und bemänteln können. Der Leser
dringt vielmehr nur, indem er ihn vollzieht, vor, hinein in diese Höhle, durch das Gestrüpp,
das man beiseiteräumen, zur Seite schieben muß "29 (Ortheil 1 985, 31f).
Bei der Erörterung des (bisher) Nicht-Gesagten ist zu berücksichtigen: Wenn etwas gesagt
und geschrieben wird, finden Entscheidungen, Differenzierungen statt. Das ist wohl der
Hauptinhalt und Effekt von Schreiben und Sprechen. Beim Differenzierungsprozeß fallen
lauter Makro- und Mikroentscheidungen. Sie scheiden das, was gesagt wird, von dem, was
nicht oder so nicht gesagt wird. Es wird also immer etwas auch nicht gesagt. Es scheidet
etwas, was vor der Entscheidung noch in Fluß war, aus . Das bleibt unhörbar, unlesbar,
vielleicht dann auch ver,gessen, abgespalten, ausgeschieden. Weg ist es nicht. Das hat mit
allem Nachdruck Freud gezeigt, wenn ,er über Verdrängung, Fehlleistungen, Träume, Wie­
derholungs-zwang schreibt.
Zuweilen kann es wiederkommen, in anderer Form wiederauftauchen, von selbst oder
mit Anstrengung. Das, was für die Psyche Freud schon um die Jahrhundertwende ent­
deckte, das kommt uns j etzt in Hinsicht auf die "äußere Realität(,(. in Form von toten Rob­
ben wieder an Land. Die Beispiele ließen sich vermehren3o.
Nicht die Notwendigkeit der Differenzierung wird hier in Frage gestellt, sondern zum
einen die Art und Weise, die Entscheidungsmuster, der Rahmen, der gezogen wird und
ausgrenzend wirkt. Zum anderen die Nichtbeachtung der Tatsache, daß etwas ausgeschie­
den ( ! ) wird, und was damit auf Dauer geschieht.
Die Kunst, zumal die Malerei übt seit der Jahrhundertwende Kritik an den Differen­
zierungsmechanismen. Sie gibt ein anderes Modell als das der wissenschaftlichen und der
immer mehr daraus abgeleiteten alltäglichen Zugriffsweisen3 1 . In der Kunst sind die Gren­
zen, D ifferenzierungsschnitte oftmals anders, vielleicht weicher, vielleicht nicht so a­
dichtend. Und im Leben auch.
Auch wenn das, was abfällt, nicht ganz in den Differenzierungsprozeß zurückgenommen
werden kann, so müßte es möglich sein, ab und zu den Diskurs nicht ganz dagegen abzu­
dichten.
Warum geht es überhaupt um diese Grenzen, warum interessieren sie ? Warum kann
nicht einfach das Ungesagte, das Vergessene, das Unaussprechbare so bleiben ? - Ich be­
haupte: Solange kein Erleben dieser Grenze möglich ist, gibt es kein Lernen; es entsteht
stattdessen Dummheit. Aber nichts ist schädlicher als partiell durch Dummheit gelähmte
Rationalität.
Deshalb müßte es Ästhetische Erziehung geben als eine, die sich zur Aufgabe macht, die
Grenzen zwischen dem rational Formulierbaren, zwischen dem Widerspruchsfreien, d. h.
31
Konfliktfreien und dem Ausgegrenzten, Verdrängten, Verschobenen, Vergessenen im päd­
agogischen Prozeß durchlässig zu halten. Als zweitwichtigstes Motiv für die Beschäftigung
mit dem Ausgegrenzten sehe ich dessen krankmachende Wirkung3 2 .
Wie die Rede davon sein wird
Wie schon ersichtlich dient mir als Methode eine Art von Montage. Aber zugleich ist diese
recht affirmative Aussage einzuschränken. Die Montage ist kein Werkzeug, keine
Sammlung von Regeln, die für sich schon vorher Existierendes zusammenfügen würde. " . . .
die Montage fügt nichts zusammen, das jeweils für sich existiert hätte . Montage ist keine
Verwendung, keine Methode, keine Filmgrammatik(,(. (Kötz 1986 , 136ff) .
Ich lasse Kötz weiter für mich sprechen: " Über dem, was Montage ist, liegt die Schicht
ihrer Verkennung, wonach geglaubt wird, verwendbare Teile würden aneinandergefügt,
und in der Montage als dem Resultat des Zusammensetzen stelle sich auf wunderbare Weise
die Wirkung des Ganzen als 'Effekt' ein ( die Rätselhaftigkeit dieses Effekts ließe sich
wiederum auf Seiten der Wissenschaft durch Regelgrammatiken 'einholen' t (Kötz 1986,
136) .
Hier ist die Gelegenheit, sich von einem anderen weit verbreiteten Verständnis von Mon­
tage abzugrenzen: Hier geht es nicht um Montage anstelle von inhaltlich auch mit her­
kömmlichen Mitteln wissenschaftlich Sagbarem, das aus Gründen der Didaktik und der
Herbeiführung einer emotionalen Betroffenheit mit Bildern angereichert wird. Ein solches
Verfahren der Montage ist das, "was wir eine ideologische Verkennung der Montage nen­
nen (,(., sagt Kötz, dem ich mich auch darin anschließe33.
Montage ist für mich mit der Möglichkeit von Mimesis verknüpft. Mimesis gebrauche ich
ebenso neben dem üblichen Sprachgebrauch wie Montage, aber nicht abseitig.
Zunächst die Negation: Ich meine mit Mimesis nicht Abbildung. Das, was gegenwärtig
unter Abbildung verstanden wird, ist sehr eng an eine Auffassung der Form der Perspektive
gebunden, die "naturgemäße Abbildung(,(. mit Mitteln der Geometrie. Mit Mimesis meine
ich die Fähigkeit zu einer nicht dauernd abgegrenzten Mitbewegung ohne gesicherte
Abgrenzung von Subjekt und Objekt als0 34 .
32
Ortheil spielt hier auf den Zugang zum Übungsraum der Gruppe "Einstürzende Neubauten" an, der
unter dem Brückenpfeiler einer Autobahnbrückke liegt.
Der Zusammenhang, den ich hier mit einer Begrifflichkeit in Anlehnung an die Psychoanalyse formu­
liere, könnte auch mit p hilosophischen, erkenntnistheoretischen Mitteln weitergetrieben werden. Es
würde zu weit führen, hier beispielsweise die Erwägungen von Gotthard Günther einzufügen. Nur ange­
deutet: Er versucht sich der Konstruktion einer "Negativsprache" anzunähern, einer mehrwertigen Logik,
�ach einer " heterarchischen Ordnung " : " Obwohl die zweiwertige Grundoperation des tradierten begriff­
lIchen D enkens, nämlich die Negation, ein streng symmetrisches Umtauschverhältnis darstellt, tendieren
wir dazu, in dem Verhältnis von designierender Positivität und designationsfreier Negativität ein Rangver­
hältnis zu sehen. Das führt zu einer hierarchischen Struktur aller theoretischen Reflexion. Die berühm­
teste fraglos akzeptierte Demonstration dieses Vorurteils ist die jahrtausendealte Platonische Begriffspyra­
mide . . . Demgegenüber fand der Neurologe McCulloch, daß die Neuronen des Gehirns diese Vorurteil
nicht teilen und zulassen; daß ihre Aktivität unter bestimmten Bedingungen auch zyklischen Gesetz en
unterliegt . . . Hier wird gezeigt, daß die Inkonsistenz (Widersprüchlichkeit) der zirkulären Relation: A hat
Vorzug vor B, B vor C, aber C vor A nur scheinbar ist. Sie suggeriert stattdessen die Folgerichtigkeit einer
Ordnung, die zu hoch ist, als daß man sie noch auf der Ebene der Platonischen Weltordnung abbilden
könnte" ( Günther 1 980, 22f) - An spätere Stelle sagt er, daß das Problem d er Negativsprache um das
Problem kreist: " Gibt es etwas, das selber noch nicht Begriff oder Idee ist, was aber als Baustein dienen
muß, wenn Sinn und Idee erschaffen werden sollen? " ( Günther 1 980, 44) .
30
Manche liegen auch tot in der Badewanne.
33
31
Siehe oben Duchamp
3 4 Dies
29
Kötz ( 1 986, 1 37ff) expliziert das am Beispiel von Eisensteins Aufassung der Montage.
werde ich an Bildern Pollocks erläutern (vgl. Kap . 1 2 ) .
32
2 . Vorhergehende Bemerkungen zum Inhalt und zur Methode
2 . Vorhergehende Bemerkungen zum Inhalt und zur Methode
Dieses Buch wurde vom Verlag in der unkorrigierten vorletzten Fassung publiziert
Es geht mir bei diesem Vorgehen auch um eine Gegenübung gegen den Druck einer
scheinbar nur das Bewußtsein ergreifenden wissenschaftlichen Methodik im Rahmen von
Erziehungsprozessen, um eine Einübung eines " Stils C.l. von Pädagogik, die auf die Erfah­
rung mit der Psychoanalyse eingehen kann. Dies meine ich nicht so sehr inhaltlich, im
Sinne von wissenschaftlichen Ergebnissen, sondern im Umgang mit einem Ärgernis, das
die Psychoanlytikerin Millot so festhält: Mittels psychoanalytischer Überlegungen und Er­
fahrungen kann gezeigt werden, daß "man nicht über das Unbewußte gebietet, daß man
die Wirkungen des Einflusses, den man auf ein anderes Wesen ausübt, ebensowenig be­
herrscht wie man sein eigenes Unbewußtes beherrscht. Keine pädagogische Theorie erlaubt,
die Auswirkungen der Methoden, die man anwendet, zu kalkulieren, denn zwischen die
pädagogische Maßnahme und die Resultate, die man erzielt, tritt das Unbewußte des Päd­
agogen und des Zöglings C.I. (Millot 1982, 177 ) .
Ganz ähnlich dieser Struktur des angedeuteten Verhältnisses von Psychoanalyse und
Pädagogik ist das von Psychoanalyse und Kunst: Die Berührungsflächen p ädagogischer
Theoriebildung und ästhetischer Reflexion sind Probleme der Individuation und deren
Formulierung. Die konkrete pädagogische Situation und die beteiligten Menschen müssen
ein Stück weit der subsumatorischen Kraft des Allgemeinen, der Theorie entzogen werden
und entziehen sich dieser auch, um als Besonderes begriffen werden zu können. Zum Ver­
hältnis von Kunst und Psychoanalyse heißt es bei Christian Schneider: "Daß Psycho­
analyse und Kunst beide an der Idee partizipieren, am Einzelnen des Allgemeinen inne zu
werden - und zwar in der paradoxen Weise seiner partiellen Suspendierung - macht ihre
Verwandtschaft aus . Aus ihr erwächst jedoch auch ihre Konkurrenz. Im Zentrum ihres
Konfliktes steht der Begriff eines j enseits verstandes mäßiger Qual itäten anzusiedelnden
Vermögens, welches die Differenz ihrer jeweiligen Erkenntnisweisen zur, im Innersten der
Logik deduktiven Schlusses verpflichteten, diskursiven begründet. Der Begriff des Unbe­
wußten, der dies für die Psychoanalyse leistet, beansprucht deshalb nicht zufällig den Rang
einer Schlüsselkategorie auch für eine ästhetische Theorie, die sich nicht mit der Klassifika­
tion subjektiver Eindrücke sogenannter Rezipienten bescheidetC.l. (Schneider 1 986, 230 ) .
In dieser Struktur liegt auch ein Moment der von Tenorth erneut in die Diskussion ge­
brachten Topik des p ädagogischen Verhältnisses, die von rein verstandesmäßigen Kate­
gorien nur unzureichend erfaßt werden kann.
Es scheint mir aber gefährlich, sobald der Bereich der alltäglichen Arbeit des Analytikers
verlassen wird, in dem das Unbewußte als Begriff kaum vorkommt, eher als etwas, womit
zu rechnen ist, mit dem man aber nicht rechnen kann, vom dem Unbewußtem als einem
gleichsam substantiellen Begriff zu reden und ihn als ein verallgemeinerbares, verallge­
meinertes Mittel zur Deutung benutzen. So käme zu dem jeweiligen Repertoire an Erklä­
rungsmodi nur ein weiteres dazu35 . Das führt leicht zu psychologistischem Reden: Hier
habe sich das Unbewußte gezeigt . . . , das Unbewußte habe dies und j enes bewirkt . . . Eine
solche Denk- und Redeweise fällt auf identifizierendes Denken zurück, wobei es aber um
Differenz geht, einer Aufmerksamkeit für Differenz, nicht um eine neuerdings verdinglichte
Instanz. Alle Montagenähte zusammengenommen, ohne Umgebung, das ist das Unbe­
wußte .
Bei einer Überführung von unbewußten oder dem Unbewußten nahen, phantasierten In­
halten in ein anderes Medium, z. B. in der künstlerischen Tätigkeit, wie es Freuds Rede-
35 Schneider weist auf die Grenzen von Freuds Kunstauffassung hin; sie habe z. T. etwas " zutiefst Ba­
nausisches" ( 1 986, 2 3 6 ) , wenn Freud davon spreche, daß ein Material solange geformt werde, "bis es
zum einern getreuen Ebenbild seiner ( des Künstlers , KJP ) Phantasievorstellung geworden ist, . . . " ( Freud
1 9 16 - 17, 366 ) .
33
weise i n den "Vorlesungen ist, schleicht sich hinterrücks wieder eine bewußtseinsnahe
Intention ein. Das Nicht-Intentionale, was ja das Beunruhigende ist, verschwindet wieder.
Dieses "DefizitC.l. in der Freudschen Theoriedarstellung reizt zu anderen Versuchen, die
selber wahrscheinlich immer nur kurze Zeit tragen . Hier liegt ein ähnlicher " Verschleiß C.I.
vor, wie beim provozierenden Charakter von Kunstwerken - ein ganz anderer Verschleiß als
der, dem Theorien unterliegen. Andersherum : Ästhetische Theorie beispielsweise kann
Kunstwerke vor dem Vergessen bewahren, an ihren provozierenden Kern erinnern.
Adorno bietet in der "Asthetischen TheorieC.l. ein Beispiel für eine von Freud unterschie­
dene Vorgehensweise. Hier benutzt er anstelle eines verdinglichten Instanzenbegriffes, wie
dem Unbewußten, den Begriff der Idiosynkrasie. Dieser bleibt an eine besondere Person
und Situation gebunden. "Unverkennbar trägt der Idiosynkrasiebegriff in diesem Zusam­
menhang (in dem der " Ä sthetischen TheorieC.l. , KIP ) die Züge eines Gegenentwurfs zum
psychoan�lytischen Begriff des Unbewußten. Kritisiert Adorno an diesem gleichsam einen
falschen Uberhang des Allgemeinen, so soll jener die Ausdrucksqualität des Besonderen im
Verhältnis von noch nicht individuierten Momenten zu den historisch latent gebliebenen
Produktivkräften der Gattung bezeichnen C.I. (Schneider 1 986, 24 1 ) .
Oder in Adornos Worten3 6 : "Der subj ektive Anteil am Kunstwerk ist selbst ein Stück Ob ­
jektivitätC.l. (Adorno 1 970, 68) . Adorno geht es an dieser Stelle um die Frage, wieweit sich
das Subj ekt in ein Kunstwerk hinein abbilde, ob das Kunstwerk "mehrC.l. ist als das Subjekt
oder der Künstler mehr sein müsse als sein Werk. Er kritisiert mit den Mitteln negativer
Dialektik mit obigem Satz diese polarisierten Gegenüberstellungen und fährt fort: " Wohl
ist das der Kunst unabdingb are mimetische Moment seiner Substanz nach ein Allgemeines,
nicht anders zu erlangen jedoch als durchs unauflöslich Idiosynkratische37 der Einzel­
subjekte hindurchC.l. . Hier klingt das schon oben erwähnte Motiv der Mimesis an. Es geht
um den Versuch der Vermittlung von Allgemeinem und Besonderen als einem Modus
poietischen Verhaltens jenseits der Trennung von Kunst und Theorie, von diskursiver und
präsentativer Darstellung, ohne diese Vermittlung zum Verschwinden zu bringen . In
C.I.
36 Da ich im Folgenden Adorno recht umfänglich zitiere, das Zitat aber mit Kommentaren unterbreche,
gebe ich es hier im Zusammenhang wieder: "Der subjektive Anteil am Kunstwerk ist selbst ein Stück Ob ­
jektivität. Wohl ist das der Kunst unabdingbare mimetische Moment seiner Substanz nach ein Allgemei­
nes , nicht anders zu erlangen j edoch als durchs unauflöslich Idiosynkratische der Einzelsubjekte hin­
durch. Ist Kunst an sich im Innersten ein Verhalten, so ist sie nicht vorn Ausdruck zu isolieren, und der
ist nicht ohne Subjekt. Der Übergang zum diskursiv erkannten Allgemeinen, durch welchen zumal poli­
tisch reflektierende Einzelsubjekte ihrer Atornisierung und Ohnmacht zu entlaufen hoffen, ist ästhetisch
ein Übedaufen zur Heteronomie. Soll die Sache des Künstlers über seine Kontingenz hinausreichen, so
hat er dafür den Preis zu erstatten, daß er, anders als der diskursiv Denkende, nicht über sich und die
objektiv gesetzte Grenze sich erheben kann. Wäre selbst einmal die atomistische Struktur der Gesellschaft
verändert, so hätte die Kunst nicht ihre gesellschaftliche Idee: wie ein besonderes überhaupt möglich sei,
dem gesellschaftlichen Allgemeinen zu opfern: solange Besonderes und Allgemeines divergieren, ist keine
Freiheit . . . Im ästhetischen Fürsichsein steckt das von kollektiv Fortgeschrittenem, dem Bann Ent­
ronnene . Jede Idiosynkrasie lebt, vermöge ihres rnimetisch-vorindividuellen Moments , von ihrer selbst
unbewußten Kräften. Daß diese nicht zur Regression treiben, darüber wacht die krititsche Reflexion des
wie immer auch isolierten Subjekts" (Adorno 1 970 , 68f) .
3 7 Ich halte zum Verständnis dieses etwas schwierigen Begriffs die Erläuterung aus dem Historischen
Wöterbuch der Philosophie (Ritter/Gründer 1 976, 1 87) ganz hilfreich, die ich hier wiedergeben möchte :
"Idiosynkrasie, umgangssprachlich für 'Abneigung ' , ist eigentlich ein medizinischer Begriff. Die ur­
sprünglich Form ist ursprünglich ' Idiosynkrisie' . . . In dieser Form ist der terminus offenbar von der anti ­
ken Ärzteschule der Methodiker geprägt worden, um sowohl die besondere Konstitution des Individuums
als auch seine abweichende Reaktionsbereitschaft zu bez eichnen. Unter diesen Umständen stehen Begriff
und Sache von Anfang an eigentümlich zwischen den Sphären des Normalen und Pathologischen . . . " .
34
2. Vorhergehende Bemerkungen zum Inhalt und zur Methode
2 . Vorhergehende Bemerkungen zum Inhalt und zur Methode
Dieses Buch wurde vom Verlag in der unkorrigierten vorletzten Fassung publiziert
Anklang daran wäre "Mimesis'"' an das ähnlich gelagerte Problem in der Pädagogik heran­
zutragen. Denn auch in der " Topik'"' der Pädagogischen Situation geht es um eine jedesmal
neu zu erfindende V ermittlung von Besonderem und Allgemeinem, für das ein von der
Abbildung abweichendes Bildverständnis hilfreich sein kann.
Weiter bei Adorno: "Ist Kunst an sich im Innersten ein Verhalten, so ist sie nicht vom
Ausdruck zu isolieren, und der ist nicht ohne Subj ekt. Der Übergang zum diskursiv er­
kannten Allgemeinen, durch welchen zumal politisch reflektierende . .Einzelsubjekte ihrer
Atomisierung und Ohnmacht zu entlaufen hoffen, ist ästhetisch ein Uberlaufen zur Hete­
ronomie'"' . Ich möchte erläutern: Dies ist so, weil der Durchgang durchs mimetische Mo­
ment übersprungen wird und damit die Ungewißheit in der Auseinandersetzung mit dem
nicht vorausplanbaren, rationalisierbaren Kontakt zwischen Besonderem und Allgemeinem
in der je besonderen Situation durch einen Rückzug auf die scheinbare Sicherheit eines in
Theorien mit verläßlichen Methoden aufgehobenen Zugriffs. Und: " Soll die Sache des Kün­
stlers über seine Kontingenz hinausreichen, so hat er dafür den Preis zu erstatten, daß er,
anders als der diskursiv Denkende, nicht über sich und die obj ektiv gesetzte Grenze sich
erheben kann'"'.
Ist das soweit von pädagogischen Problemen unter den Vorzeichen einer Erziehung zur
Mündigkeit entfernt, wie es Rousseau bereits benannt hat ? " Wäre selbst einmal die ato­
mistische Struktur der Gesellschaft verändert, so hätte die Kunst nicht ihre gesellschaftliche
Idee: wie ein besonderes überhaupt möglich sei, dem gesellschaftlichen Allgemeinen zu
opfern: solange Besonderes und Allgemeines divergieren, ist keine Freiheit . . . Im ästhe­
tischen Fürsichsein steckt das von kollektiv Fortgeschrittenem, dem Bann Entronnene.
Jede Idiosynkrasie lebt, vermöge ihres mimetisch -vorindividuellen Moments, von ihrer
selbst unbewußten Kräften. Daß diese nicht zur Regression treiben, darüber wacht die
krititsche Reflexion des wie immer auch isolierten Subj ekts'"' (Adomo 1 970, 68f) .
Das wird ein dauernder Balanceakt bleiben, eine Offenheit; also keine conclusio.
Die methodische Offenheit hängt mit dem Thema zusammen: Es geht um Bilder und Bil­
dung. Die ersten Bilder, abgekürzt könnte man sie als Spiegelbilder3 8 bezeichnen, resul­
tieren aus vorsprachlichen Beziehungen. Sehen und Gesehenwerden, (Hören und Gehört­
werden39), lassen dort die ersten Bilder entstehen, hier begin nt die Bildung, also noch vor
der Einführung in die Sprache, aber erst durch diese nachträglich generiert. Nachträglich
wird mit Mitteln der Sprache gearbeitet. Das Sprechen und Schreiben hat die Funktion
einer Metasprache, die immer in Gefahr steht, den Kontakt zu dem, was sie bespricht, zu
verlieren. Dem möchte ich beim Schreiben und beim Lesen vorbeugen, indem ich die
Metasprache nicht auf einer Ebene ansiedele, sondern in unterschiedlichen Entfernungen
zum "Gegenstand'"' schreibe. Es ist nicht an eine Eins-zu-eins-Abbildung gedacht. Die
metasprachlichen Ebenen der Erörterung schieben sich sozusagen übereinander. Daraus er­
geben sich vielleicht Interferenzen, die die noch nicht symbolisierten Motive zum Vorschein
bringen, beim Lesen anklingen lassen. Hiermit soll dem Unbewußten eine Chance zu
erscheinen gegeben werden.
Damit ist auf dem Hintergrund modernen Wissenschaftsverständnisses eine Unmöglich­
keit eingeführt. Das, was als "unbewußt'"' zu bezeichnen wäre, ist dann, wenn es dargestellt
ist, selbstverständlich nicht mehr unbewußt. In einer obj ektivistischen Sprache wird dem
Unbewußten der Garaus gemacht. Das ist auch unter Psychoanalytikern nicht allgemein
38
Ausführlich im Kapitel 5.
Das Hören und das Geh � �t-werden ist hier eingeklammert, da es hier nicht in extenso untersucht wird,
nicht zum Gegenstand der Uberlegungen wird. Dies wäre zweifellos wichtig.
39
35
bekannt. Dies kann man insbesondere in der amerikanisierten und/oder medizinalisierten
Psychoanalyse nachlesen. Ein solches Vorgehen beruft sich dann meist auf das Freudsch e
Diktum: " Wo Es ist, soll Ich werden'"' . Das Unbewußte wird als Dschungel vorgestellt, der
zu roden und zu kultivieren sei. Aus dem Zusammenhang des Freudschen Denkens läßt
sich aber zumindest nicht eindeutig beweisen, daß damit ein Ersetzungsverhältnis gemeint
ist, als das es dann bei den Nachkommen gedacht wird . Vielmehr scheint es darum zu
gehen, daß sich das Ich, der bewußte Teil des Ichs mit dem dem Es, mit dem Unbewußten
konfrontiert, Kontakt aufnimmt, die Kräfteverhältnisse richtig einschätzt. Wie anders wäre
zu verstehen, daß Freud zur gleichen Zeit schreibt, daß das Ich dem Unbewußten aufsitzt
wie der Reiter einem wilden Pferd. Geht es doch auch in der gesamten Freudschen Theorie
darum zu zeigen, daß mit den herkömmlichen Mitteln eines naturwissenschaftlich orien­
tierten Denkens die menschliche Psyche nicht zu verstehen ist, daß sie gar daran leidet.
Die Rede vom Unbewußten darf demnach nicht objektivistisch sein. Dies gelingt nur, in­
dem sie sich der "Rede'"' der Kunst annähert. Sie bewegt sich auf der Grenze zwischen Prä­
sentation und Repräsentation. In dieser Balance, wenn sie denn gelingt, kommt Psychoana­
lyse in die Nähe der Theologie und der Kunst. Sie unterscheidet sich von der Theologie,
indem sie in Fortsetzung neuzeitlicher Religionskritik (Feuerbach) den Mechanismus ent­
mündigender Projektionen zu kritisieren hilft, von der Kunst, indem sie argumentiert und
die symbolische Präsentation an wissenschaftliches Denken heranführt und damit verwebt.
Sie ist im Hinblick auf Theologie und Kunst Kritik, nicht Negation, indem sie in Bewe­
gung bringt und dogmatische Grenzen, die der Abwehr dienen, angreift. Sie ist Kritik,
in � em sie auf die Spitze treibt.
Ahnlich formuliert es Peter Schneider, wenn er schreibt: "Für die Paradoxien und Apo­
rien, in die die Vernunft gerät, wenn sie erforschen will, was sich ihrer binären Identitäts­
logik entzieht, und von ihr als bloßer Denkmüll ausgeschieden werden muß, hat die Theo­
logie seit alters her Denkmodelle zur Verfügung gestellt - bis hin zum 'Credo quia absur­
dum ' . was die Theologie mithilfe von Gott und Teufel, Sterblichkeit und Ewigkeit, mit
personifizierten Vermittlungsbegriffen wie Heiligen und Engeln, Priestern und Sündern im
Spannungsfeld von Immanenz und Transzendenz gedacht hat, das stellt sich der Psycho­
analyse als zu ergründende Widersprüchlichkeit, die dem Subjekt selbst innewohnt. Die
Theologie lieferte - was oftmals vergessen wird - über lange Zeit neben Denkverboten auch
ein Begriffsinstrumentarium, das zu denken, was in anderen Begriffen nicht denkbar wäre'"'
(Schneider 1988, 43 ) .
In diesem Sinne greife ich den Begriff der Bildung auf.
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3. Bevor das Bild zum Abbild wurde:
Über einen nicht nur etymologischen Zusammenhang1
Vorbemerkung * Zum Zusammenhang: Schicksal des Bildes und Anforderung
an die Bildung * Zur Begriffsgeschichte * Bildung als Freisetzung * Das Bild
ist kein Seiendes * Mit einem ."kleinen" Bildchen bildlos * Spiegel * Bild und Urbild
sind eins * Bildung - Ent-Bildung * Wirken, Einbilden und Bilderverbot *
Bildung - ein subversiver Begriff * Vorbild * Ausblick
Vorbemerkung
Bildung nehme ich im folgenden beim Wort: Bildung hat mit ."Bild" und ."bilden" zu
tun. Ich möchte zeigen, daß Bildungsprozesse auch dann immer bildliche, ästhetische Qua­
lität haben, wenn das im Gebrauch des Wortes längst untergegangen ist.
Zum Zusammenhang: Schicksal des Bildes und Anforderung an die Bildung
Das Schicksal des Bildes ändert sich mit der Renaissance. Es erhält eine neue Form. Die
symbolische Form der Perspektive ist in der Renaissance bis in Auswirkungen in die Ge­
genwart hinein als der vorläufige Höhepunkt des Versuches anzusehen, den Blick in etwas
Beständiges umzuwandeln, das außerhalb des Körpers des Wahrnehmenden, genauer des
Sehenden, existiert. "Der Mensch der derartiges versucht, momentanen Empfindungen
Dauerhaftigkeit zu verleihen, um sie so zum Gegenstand der Erkenntnis zu machen, bewegt
sich fortan in einem Labyrinth, welches sich ihm als ein unendliches Geflecht von Rätseln
darstellt" ( Zec 1 983, 3 9 ) .
Um den Grundriß des Labyrinths z u durchschauen, wird die Vernunft differenziert. Die
Vernunft, die in der Renaissance ihre differenzierbare Form findet, indem sie sich neuen
Anforderungen ausgesetzt sieht, hat sich in vielen Motiven weiterentwickelt aus den Formu­
lierungen, die Platon 2 ihr gegeben hat3 .
1 In diesen Text sind kleinere Teile einer früheren Veröffentlichung eingegangen, allerdings ist die ge­
samte Argumentation revidiert (vgl. Pazzini 1 988 ) .
2 Dies ist eine Vereinfachung. Genauere Analysen finden sich bei Bloch ( 1 972 ) , BucklHeitmann ( 1 983 ) ,
Burke ( 1 98 4 ) , Cassirer ( 1 927), Heller ( 1 98 2 ) , Kristeller ( 1 974 ) , Otto, 8t. ( 1 98 4 ) , Vorländer ( 1 965 ) . In
den Neuplatonismus der Platonischen Akademie in Florenz gingen natürlich auch aristotelische, jüdisch­
mysthische und arabische Traditionen ein.
-
3 Der italienische Philosoph Colli schreibt: ,, ' Philosophie' , Liebe zur Weisheit nennt Platon sein eigenes
Forschen, seine erzieherische Tätigkeit, die an den schriftlichen Ausdruck, an die literarische Form des
Dialogs gebunden ist. Mit Ehrfurcht sieht Platon auf die Vergangenheit, auf eine Welt, in der es wirklich
noch die ' Weisen' gegeben hatte. Die spätere Philosophie dagegen, das, was wir darunter verstehen, ist
nichts anderes als eine Fortsetzung, eine Entwicklung der literarischen Form, die Platon eingeführt hat"
(Colli 1 98 1 , 1 5 ) .
38
3 . Bevor das Bild zum Abbild wurde: lJner einen nicht nur etymologischen Zusammenhang
3 . Bevor das Bild zum Abbild wurde: Üb er einen nicht nur etymologischen Zusammenhang
Dieses Buch wurde vom Verlag in der unkorrigierten vorletzten Fassung publiziert
Platon versucht zum Zwecke der Vermittlung, zur Fixierung rechter "erzieherischer Tä­
tigkeit" , die Spannung zu lösen, die in den oft parodoxen Formulierungen der Vorsokrati­
ker und der Orakelsprüche Delphis liegt. Dies ist der En�stehung einer Zukunft geschuldet,
die sich nicht einfach aus dem Mithandeln mit den Alteren ergibt, die es erforderlich
macht, in einer bestimmten Weise gebildete Menschen hervorzubringen. Nicht zufällig er­
scheint mir das in Platons "Politeia" zentrale Höhlengleichnis eine Vorwegnahme späterer,
erst mit den wissenschaftlichen Mitteln der Renaissance und deren Weiterentwicklung,
möglich gewordenen Proj ektionsapparate zu sein. Platons Höhle gleicht einer Camera
obscura, mehr noch einem Kino.
An die Stelle der Paradoxa, der Rätsel, tritt bei Platon die "vereinfachte" Form der Dia­
lektik. "Die Dialektik besitzt ihren Ausdruck in der Diskussion, deren Ausgang nicht mehr
wie beim Rätsel offen ist, sondern darauf drängt eine Entscheidung zu treffen. Entweder
das eine oder das andere, nicht aber das ausgeschlossenen Dritte ist in der Diskussion zu
ermitteln" ( Zec 1 983 , 40) .
Colli und Zec, der sich auf ihn bezieht, übersehen dabei einen Zwischenschritt: Auch das
Rätsel drängt .�uf eine Entscheidung. Derj enige, der sich Orakelsprüchen stellt, muß nach­
her handeln. Odipus, der sich der Sphinx stellt, entscheidet sich, auch wenn er nicht weiß .
Die Veränderung, die sich im platonischen Dialogverfahren abzeichnet, ist die V orweg­
nahme der E ntscheidung durch Denkoperationen vor der Handlung. Das, was Ö dipus
widerfuhr, soll sich nicht ungebrochen wiederholen, sondern soll auf eine symbolische
Ebene gehoben, nicht dem Zufall überlassen werden.
Damit beginnt die Säkularisierung der Vernunft, sie wird entbunden vom religiösen
Hintergrund, von der Rätselstruktur des Orakels. Sokrates wird so folgerichtig der Got­
teslästerung angeklagt von denen, deren "naturwüchsige " Macht mit Mitteln einer sich
autonomisierenden Vernunft angegriffen wurde. Damit wird ein Machtkampf eröffnet, in
dem die Vernunft selber zum Mittel wird - auch zum Mittel der Unterweisung, der Bil­
dung. Gelungene Argumentationen werden aufgeschrieben, deren Argumentationsfiguren
werden zur Rhetorik, einer Didaktik des Argumentierens, schließlich zu einer Methode der
Gewinnung von Macht. Dies geschieht genau da, wo nicht mehr in der Diskussion entschie­
den wird, sondern durch die Rede .
"In der Diskussion kämpft der Frager, um den Antwortenden zu unterwerfen, ihn mit ·
den Schlingen seiner Argumentation zu fangen, in der rhetorischen Rede dagegen kämpft
der Redner, um die Menge seiner Zuhörer zu unterwerfen. Im ersten Fall ist der Sieg erfoch­
ten, wenn die Beweisführung durch die Erwiderung des Antwortenden selbst vollendet, also
von der letzten Schlußfolgerung bestätigt wird; im zweiten Fall gibt es für den Beweisgang
des Redners keine immanente Bestätigung, und um den Sieg zu erringen, bedarf es außer
der dialektischen Form noch eines emotionalen Elements, das heißt, die Zuhörer müssen
überzeugt werden. Damit werden sie unterworfen, und der Sieg wird dem Redner zuer­
kannt" (Colli 1 98 1 , 93 )4 .
Bei dieser Entwicklung der Vernunft bleibt ein uneindeutiges, rätselhaftes Bild als Ga­
rant und Angelpunkt der Rede, das in der Form und im Inhalt an religiöse Hintergründe
gebunden ist, wie noch im Mittelalter, eine Quelle von Anfechtung, von Gefährdung, von
Unklarheit.
39
In der Renaissance gelingt e s nun erstmalig dem Bild diese religösen Mucken auszutrei­
ben. Die vermittelnde (später instrumentalisierte) Vernunft tritt in die Dienste des Bildes
und umgekehrt. Es erscheint j edenfalls so. Auch in der Renaissance hat dies wie im antiken
Athen mit Zentralisierung von Macht in der Stadt zu tun. "Die Rolle, die die Dialektik in
der Bewegung der Vernunft spielt, entspricht in etwa der perspektivischen Raumbetrach­
tung in der Bewegung des Bildes. Mit Aufkommen eben dieser Betrachtungsweise geht auf
seiten des Bildes mehr und mehr das Orakelhafte verloren, was sich darin ausdrückt, daß
Anspielung auf eine metaphysische Distanz zentralperspektivisch ersetzt wird durch die
exakt mathematisch definierte Distanz" ( Zec 1 983 , 4 1 ) .
Der Blick des Betrachters wird auf einem Schirm aufgefangen: Auf diesen Schirm trifft
das "Bild" des zum Objekt Gewordenen. Die Kosten liegen in de! Verkürzung der minde­
stens drei Dimensionen, wenn die Zeit schon ausgeklammert ist, auf zwei Dimensionen.
Das Bild wird vom Körper abgezogen. Es entsteht der geometrische Raum. Das Bild wird
von einem Ausschnitt der Wirklichkeit getrennt, der Blick vom Körper entfernt.'
Zur Begriffsgeschichte
Aber etliche liute wellent got mit den ougen ansehen, alse sie ein rint ansehent, unde
wellent got also minnen, als sie ein rint minnent. Die minnest du umbe die milch und
umbe die kreese und umbe dinen eigen nutz (Eckhart;!» .
Die Begriffsgeschichte des Bildungsbegriffs zeigt, daß er nicht nur von einer oberflächlich
etymologischen Ebene her mit dem Begriff Bild zu tun hat, sondern auch inhaltlich.
Sieht man in das "Historische Wörterbuch der Philosophie", so liest man dort zum Ur­
sprung des Bildungsbegriffs: "Das althochdeutsche Grundwort hat mit der körperlichen
Bedeutung 'abbilden, Bildnis ' und ' Gebilde, Gestalt' - bis Winckelmann und Goeth e vor­
herrschend - bereits einen Bezug ebenso zu 'imago' und 'forma' wie zu 'imitatio' und 'for­
matio ' , etymologisch aber schon zu ' Sinnbild, Zeichen' " (Lichtenstein6 ) .
Als Beispiel für den Begriffsursprung und seiner Beziehung zum Individuum 's ei Hein­
rich Seuse, Schüler des Meister Eckhart, zitiert: "Die Seele muß etwas Bildliches haben, das
minnigliche Bild Jesu" ( Seuse7) . Sie ist nicht Bild, sie hat kein Bild. Sie muß etwas Bild­
liches haben8 .
Bildlichwerden - später "gebildet sein" , heißt so: Das Bild( en) Gottes - das Urbildliche in sich aufnehmen, sich Gott einbilden. Meister Eckhart spricht vom "inbilden " Gottes in
die Seele, deren " vernünfticheit" der Tempel Gottes ist. Die Vernünftigkeit selbst ist dabei
aber schon Merkmal der Gottesebenbildlichkeit des Menschen. Hier wird Ähnliches durch
Ä hnliches "erkannt" (Mimesis) . Eine zeitliche Reihenfolge einer strengen Ursache-Wir­
kungs-Beziehung wird hier nicht gedacht. Auch scheint eine strenge Unterscheidung von
Subjekt und Obj ekt nicht gegeben. Es geht um ein Einbilden in etwas, was schon bildlich
ist9. Beide sind Subj ekt-Obj ekt.
5
in: Pfeiffer ( 1 9 1 4, 70)
-
Meister Eckhart (Deutsche Predigten Nr. XIV)
6 in: Ritter 1 9 7 1 , Bd. 1 , 921ff
7
4
Für Bildungsprozesse b leibt dies ein grundlegendes Dilemma bis auf den heutigen Tag. Erziehung kann
auf Elemente der Rhetorik nicht verzichten, müßte aber ihren Zielsetzungen gemäß mindestens dialo ­
gisch vorgehen, wenn nicht sogar die denkerische Vorwegnahme der Zukunft zunächst aussetzen, was
aber nur bei ganz harmlosen Entscheidungsprozessen möglich sein wird, die dann aber schon wieder von
einem übergreifenden Konzept getragen sein düdten. Dies ist selbst bei Neill der Fall .
zit.n.Lichtenstein in: Ritter 1 9 7 1 , 922
8 Haas ( 1 979, 2 1 0 ) weist nach, daß "bild" inhaltlich und quantitativ zu den zentralen Begriffen im Werk
Eckharts gehört und daß Seuse von seinem Verständnis nur unwesentlich abweicht.
9
Im folgenden isoliere ich das Verständnis des Bildes und der Bildung b ei Eckhart aus dem Kontext
seiner gesamten theologischen Philosophie. Das muß notwendig zu Verkürzungen führen. Ich halte dies
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3 . Bevor das Bild zum Abbild wurde: Über einen nicht nur etymologischen Zusammenhang
3 . Bevor das Bild zum Abbild wurde: Über einen nicht nur etymologischen Zu sammenhang
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Bildung als Freisetzung
Gebildet werden die Kräfte der Seele. Die Seele kann nicht ohne die anderen menschli­
chen Fähigkeiten und Kräfte gedacht werden. Die Kräfte der Seele ruhen auf den anderen
Kräften auf.
Gebildet sein heißt Differenzierung und Freisetzung der Kräfte. Das Freiwerden aller­
dings ist nicht aus einem Rückzug aus der Welt zu gewinnen. Andererseits plädiert Eckhart
auch nicht für eine unmittelbare ."politische" Einmischung, wie das z . T. die Bettlerorden
oder deren vielfältige Untergruppierungen (z. B. die Fratizellen) tun, die den schon spür­
baren Umbruch der Neuzeit teilweise auch unter Endzeiterwartung verarbeiten 1 0 . Er
kommt ins Gemenge.
Eckharts Schriften werden im Umfeld des ausgehenden Mittelalters und der beginnenden
Neuzeit zu Dokumenten über die Entstehung der neuzeitlichen Subjektivitätl i . Bildung noch nicht im heutigen Verständnis - spielt dabei eine Rolle in der Separation der ."höheren
Seelenkräfte" , ." deren Natur und Wirken unvermischt ist mit dem Fleisch und die in der
Seele Lauterkeit stehen, von Zeit und Raum und von allem abgeschieden, was noch irgend­
einen Bezug oder Hinneigung hat zu Zeit und Raum, (vielmehr) mit nichts (Kreatür­
lichem) mehr etwas gemein haben, in denen der Mensch nach Gott gebildet, in denen er von
Gottes Geschlecht und Gottes Sippe ist. Und doch, da sie nicht Gott selbst sind und in der
Seele und mit der Seele geschaffen sind, so müssen sie ihrer selbst entbildet und in Gott
allein überbildet und in Gott und aus Gott geboren werden, auf daß Gott allein (ihr) Vater
sei, denn so auch sind sie Söhne Gottes und Gottes eingeborener Sohn. Denn alles dessen bin
ich Sohn, was mich nach ihm und ihm gleich b ildet und gebiert" (Eckhart: Liber
benedictus. siehe Ruh 1 985, 120f) .
Bildung steht bei Eckhart für die Freisetzung aus überkommenen wissenschaftlichen und
weltanschaulilchen Traditionen. Das läßt sich sowohl aus den Predigten und Schriften wie
aus der Wirkung von Eckharts Tätigkeit sehen. Erst kürzlich hat Flasch ( 1 988b) darauf
wieder hingewiesen: E ckhart paßt nicht in die Schemata überkommener ."Theorietypen" ;
ihn als Mystiker zu bezeichnen hatte eindeutig die Funktion ihn zu entschärfen, bzw. ihn
verurteilen zu können. Nach den Beweisen, die Flasch dafür vorlegt, scheint mir jede päd­
agogikhistorische Position, die Eckharts Bildungsbegriff der Mystik zuschlägt, überholt
und in ihren Schlußfolgerungen falsch. ." So lese ich gerade jetzt zum hundersten Male, My­
stik habe es immer und überall gegeben und als bedeutendster und einflußreichster My­
stiker des abendländischen Mittelalters gelte wohl mit Recht Meister Eckhart. Es besteht,
scheint es, in unserer Gesellschaft ein Bedürfnis nach Mystik. Man kann die Konjunkturen
präzise angeben - gegen 1 9 1 0, erste Hälfte der fünfziger Jahre und dann wieder die acht­
ziger Jahre. Es ist nicht originell, sondern eher der dumpfe Vollzug eines obj ektiv begrün­
deten' aber undurchschauten Bedürfnissens, heute wieder einmal nach Meister Eckhart zu
aber für zulässig, um das für den späteren (pädagogischen) Bildungsbegriff hier angelegte, aber verges ­
sene Muster für meinen Zusammenhang zurückzugewinnen.
1 0 Einen Einblick in das Klima dieser Auseinandersetzungen und verschiedenen Verarbeitungsformen git
Eco in seinem Roman "Der Name der Rose" ( 1 982 ) . - Eine Form der Mystik, gegen die sich Eckhart ab­
grenzt, ist dort in der Person des Ubertin von Casale verkörpert, der ziemlich genau dem historischen
Vorbild Ubertino von Casale nachgebildet ist (vgl. Ickert/Schick 1 986, 59f) . - Zitate aus Meister E ckhart
finden sich beim greisen Adson. Hier charakterisieren sie die mittlerweile eingetretene Distanz zu seinem
Lehrer William.
11
vgl. hierzu die philosophiegeschichtlichen Überlegungen bei Flasch 1 988a, 4 06ff.
41
rufen. Wenn die Undurchsichtigkeit zunimmt, zieht man es vor, sie en bloc zu verehren,
statt en detail zu analysieren. . . . Man braucht heute wieder Eckhart als Mythos . Folglich
schnürt man dies Paket nicht gerne auf. Vermutlich toleriert man es übel, wenn die eigens
dafür angestellten Spezialisten sich weigern, den Denker Eckhart dem tiefempfundenen
gesellschaftlichen Bedürfnis nach einer Tiefe, in der sich zu versinken lohnt, zum Fraße
vorzuwerfen" (Flasch 1988b , 1 0 0f) .
Der Bezug auf Bilder diente Eckhart dazu, sich von den eingefahrenen platonischen und
aristotelischen Diskursen zu befreien . ."Mysticus" heißt im mittelalterlichen Latein ."bild­
lich, parabolisch, symbolisch" , wie Fischer ( 1 963) gezeigt hat 12 . Als Mysticus zu sprechen
war ein Verfahren der biblischen Exegese . Eckhart wendet dies aber in Abgrenzung davon
und ausdrücklich auf philosophische Fragestellungen an 13 . Das war lange Zeit auch der
Philosophiegeschichtsschreibung noch präsent. Brucker schreibt 1 734 ( 894f) im 5 . Teil
von ." Kurtze Fragen aus der Philosophischen Historie": ."Er war, wie man vorgibt, ein
Prediger Mönch, und hatte seiner Zeit seines gleichen nicht in der Aristotelischen Philo­
sophie; weil er aber, wie Trithemius, de Script. Eccl. c.537 p. 1 3 0 . berichtet, der Philoso­
phie gar zu sehr nachgieng, und überall in der Theologie neue terminos curieuser weise
einmischte, so grieff man ihm auf die Haut, und beschuldigte ihn der Ketzerey; wie dann
siebenzehen Articuli von Papst Johanne XXII. verdammt worden, conf. Raynaldi Annales
A. 1329, n . 70, T.XV p .389. Er florierte in Oesterreich um A. 1 33 0 " 1 4 . In der philoso­
phisch-theologischen Tradition hatte der Bezug auf Bilder, die im Wegsehen von den
gültigen Ordnungen auftauchten ( myein = die Augen schließen ) , subversives Potential:
"Das Wort mystisch hatte dabei nichts oder wenig mit subjektiven 'Erlebnissen' zu tun. Es
sagte, daß man nicht autoritätsbezogene Dogmen- oder Bibelwissenschaft treiben wollte,
sondern daß man Autoritäten und Bibel 'symbolisch' , d. h. im Sinne der plotinisch-pro­
klischen negativen Theologie, deutete: Das war in sanfter, frommer Diktion ein schneiden­
der Eingriff in den Traditionsbestand; es war die Installierung einer formelübersteigenden
Philosophie des Christentums" (Flasch 1988b, 97) .
Das Bild ist kein Seiendes
Eckhart attackiert also die festgefahrenen Ordnungen mittelalterlicher Theologie und
Philosophie. Er bezieht ausdrücklich Stellung gegen Thomas von Aquin. In den Pariser
"Quaestiones" kehrt er die bisherige Kausalitätsrelation um: ."Gott erkennt nicht, weil er
im höchsten Maße ist; er ist, weil er erkennt" (Flasch 1988a, 4 08) . Er stützt diese Um­
kehrung mit dem Beginn des Johannesevangeliums ."Am Anfang war das Wort" heiße es
dort und nicht ."Am Anfang war das Seiende" (vgl. LW V 37 - 48) 15 . Wenn Gott von sich
sage, er sei das Wort und die Wahrheit, so bezögen sich Wort und Wahrheit auf den In­
tellekt und nicht auf Seiendes. Vor allem stößt sich Eckhart in dieser Pariser Quaestio an
der Bestimmheit und Endlichkeit des Seienden. Demgegenüber sei das Wissen und Er­
kennen weder gänzlich bestimmt noch endlich noch geschaffen. Eckhart erläutert den
Gegensatz von Seiendem und Nicht-Seiendem am Bild:
1 2 Vgl. dazu Flasch 1 9 88b , 1 04
1 3 Dies findet sich zu Beginn seines Iohanneskommentars. - Vgl. Fischer 1 963 und Flasch 1 988b, 1 05 .
14
zit. nach Flasch 1 988b, 1 03 .
1 5 Die Präexistenz des Worte, der Sprache wird später bei Lacan wieder eine Rolle spielen.
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3 . Bevor das Bild zum Abbild wurde: Über einen nicht nur etymologischen Zusammenhang
3 . Bevor das Bild zum Abbild wurde: Über einen nicht nur etymologischen Zusammenhang
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,., ' Je mehr du ein Bild als Seiendes auffaßt, umso mehr führt es dich ab von der Erkennt­
nis des Abgebildeten ' 1 6. Das Bild als Bild verstehen heißt, es als Nicht- Seiendes denken.
Der ontologisch Denkende (als solcher) verfehlt Repräsentationsphänomene. Das Wort als
Seiendes denken, Bilder als Naturdinge konzeptualisieren, Gott, der die Wahrheit ist, als
das subsistierende Sein bestimmen, dies alles heißt, nach Eckhart, am Gesuchten vorbei­
gehen. Es heißt zugleich sich selbst verfehlen. Jemand, der denkt und spricht, gehört wie
unvollkommen immer, auf die Seite der 'Weisheit' , die nicht erschaffbar ist. Aber solange
er ontologisch denkt, faßt er sich als ein Ding unter Dingen; er unterbestimmt sich, er ver­
dinglicht sich" (Flasch 1988a, 409f) .
Argumente gegen eine Feststellung, für Beweglichkeit, für Unbestimmtheit. Es sieht so
aus, als markiere er schon die Gefahren eines definitorischen, positivistischen Denkens.
Bedenkt man, daß Eckhart gleichzeitig mit der "Erfindung" der Perspektive schreibt,
wird deutlich, daß er auch gegen ein Bedürfnis nach naturgetreuer Abbildung, nach Ver­
dinglichung schreibt. Was der Verdinglichung verlorengeht, ist das Sprechen von dem, was
nicht ist, die Kraft der Negation, die das Denken auszeichnet, die es dynamisiert. Eckharts
theologische Philosophie ist noch mehrdeutig. So sehr die Dynamisierung des Denkens, die
Polemik gegen Verdinglichung schon als Warnung vor den Folgen des neuzeitlichen
Denkens geles,en wierden kann, so ist sie doch die Voraussetzung der Objektivierung der
Natur. Denn indem cler Intellekt als ganz anders als die Naturdinge beschrieben wird, kann
erst die Natur zum distanzierbaren Objekt werden.
Im Vorwort zum unvollendeten "Opus tripartiturn " faßt Eckhart seine Kritik an der
scholastischen Philosophie zusammen: Das Urbild ist nicht ohne das Bild zu denken.
Bildung stellt demnach eine Beziehung her, die ohne einseitige Abhängigkeit ist. "In der
metaphysischen Tradition hatte man aber gerade behauptet, das metaphysisch 'Frühere '
( der Grund) könne sein ohne das ' Sp ätere ', nur nicht umgekehrt. D as sind im Aufbau der
mittelalterlichen Gesellschaft höchst politische Sätze, da sie jede Hierarchisierung an­
greifen. Eckhart wurde der Prozeß gemacht" .
Mit einem "kleinen" Bildehen bildlos
Das Bild, um das es bei Meister Eckhart geht, ist jenseits von Raum und Zeit und Leib ­
lichkeit. Das muß aber nicht heißen, wie Dohmen schreibt, " daß es sich hier um spiritu­
elle, abstrakte Bilder handelt" (Dohmen, 1 964, 4 0 ) 1 7 . Das Bild Gottes läßt sich lediglich
nicht verorten, läßt sich nicht anschaulich definieren, ist nicht unmittelbar den Sinnen zu­
gänglich. ,.,Spirituell, abstrakt" darf j edenfalls nicht als einfacher Gegensatz zu "anschau­
lich faßbar" eingesetzt werden. Es geht hier um einen von Abbild verschiedenen Modus des
Bildes, der etwas mit strukturellen Übereinstimmungen zu tun hat, ohne daß ein Proj ek­
tionsschirm zwischengeschaltet wäre, der das Bild dem Auge erscheinen läßt. Das heißt
aber nicht, daß die Sinnlichkeit von dieser Art Bild nicht affiziert werde.
Das Auge allerdings ist für Meister Eckhart noch nichts, was an eine photographische
Maschine erinnert: ,., Keine Seele vermag in einem Leibe zu wirken außer in dem, dem sie
zugeordnet ist. Auch das Auge duldet keinen fremden Eindruck (Er muß erst vermittelt
sein , KJP ) . Ein Meister sagt: Wäre kein Vermittelndes, so sähe man nichts. Soll ich die
16
17
Farbe an der Wand sehen, s o muß sie zuerst verfeinert werden im Lichte und in der Luft
und ihr Abbild in mein Auge getragen werden (Das Abbild entsteht also nicht im Auge oder
im Gehirn. - Jetzt folgt eine andere Ebene, KJP ) . Sankt Bernhard spricht: Das Auge gleicht
dem Himmel; es nimmt den Himmel in sich auf. Das tut das Ohr nicht: es hört ihn nicht
. . . Zum zweiten: Das Auge ist rund gestaltet wie der Himmel. Zum dritten: Es steht hoch
wie der Himmel; darum empfängt es den Eindruck des Lichtes, denn es hat die gleiche
Eigenheit mit dem Himmel gemein: Der Himmel empfängt keinen fremden Eindruck
( ,.,Rondo ", KJP) . Wohl empfängt der Leib fremden Eindruck, und auch die Seele empfängt
fremden Eindruck, solange sie im Leibe wirkt (Ich nehme an, daß dies so vorzustellen ist
wie Stoß oder Berührung, KJP ) . Soll die Seele etwas erkennen, was außerhalb ihrer ist,
etwa einen Engel . . . , so muß sie es mit Hilfe eines 'kleinen ' Bildchens bildlos tun"
(Eckhart 1 955, 4 0 1 ) 18 .
Eckhart sah keine Notwendigkeit, sein Verständis des Bildes in einer Abgrenzung von
,.,rein spirituell, abstrakt" oder ,.,sinnlich, anschaulich" zu diskutieren. Er rechnete wohl
mit einem anderen Verständnis. Aus der Lektüre der Stellen, an denen Eckhart über das
Bild handelt, scheint mir nur deutlich zu werden, daß solche Unterscheidungen für Eck­
hart kein Thema ist.
Gegen einen Ausschluß von sinnlichen Anteilen am Bild, der Auffassung eines rein gei­
stigen Bildes in Polemik gegen die Sinne, spricht auch das Umfeld. So spricht Eckhart in
den ,.,Reden der Unterweisung" (DW II, 2 1 1 , 8f) 19 davon, daß der Mensch in seinem Leben
nicht ohne Tätigkeit sein könne, daß es um den rechten Umgang mit den Dingen gehe. Von
Weltflucht ist keine Rede. Die Ebene der Spiritualität des Bildes ist vielmehr als eine Art
Übung vorzustellen, um in einen ,.,höheren" Modus zu gelangen. Eckhart verdeutlicht das in
seinen Predigten immer wieder am Schreibenlernen. Für den Geübten bedürfe es nicht
mehr der Konzentration auf die einzelnen Buchstaben und die Tätigkeit des Schreibens
selber. Für ihn genüge es, daß er die Schreibkunst betätigen wolle; er müsse sich dessen
nicht ständig bewußt sein; woran er auch denke, er vollbringe sein Tun aus dem Können
heraus (vgl. DW II, 207, 1 0 - 208, 1 0) 20 .
Gegen schon zu seiner Zeit erkennbare Mißverständnisse wendet sich Eckhart direkt:
,.,Nun (aber) sagen unsere biederen Leute, man müsse so vollkommen werden, daß uns kei­
nerlei Freude mehr bewegen könne und man unberührbar sei für Freude und Leid. Sie tun
unrecht daran . . . " (Quint 1979 , 28, 287) .
Das, was heute also als spirituell und abstrakt vielleicht charakterisiert werden könnte,
ist lediglich Eckharts Wendung gegen die Negation von ,., Vernünftigkeit" , gegen das Ver­
harren im Imaginären, auf der Ebene des Narzißmus . Eckhart sagt: ,.,Ouch hin deren sich
viI gu ( 0 21 )ter menschen irer volkommenheit damit, da sy bleibent allein vff der menscheit
vnsers lieben herren Jesu Christ, vnd das sy sich zu( 0) viI lassen an visionen, daz ist, daz sy
sehen biltliche ding in irem geist, es seien engel oder menschen, oder die menscheit Christi,
1 8 Eckhart spielt mit dem Ausdruck " kleine" Bildchen wahrscheinlich auf die sich bis ins Mittelalter er­
haltende Vorstellung vom Sehen der Atomisten an . Diese sprechen von den "eidola" , eine Art körperliche
Bildchen, die sich durch das Zusammendrücken der Luft zwischen Sehendem und Gesehenem vom Ge­
genstand ablösen. Näheres siehe bei Lindberg ( 1 987, 1 8ff) .
19
20
Quaest. Par. I n. 1 2 LW 5, 47, 1 5 .
Im Verhältnis z u r heutigen Funktion des Bildes i s t allerdings ein Abstraktions- und Vergeistigungs­
prozeß feststellbar. Vgl. hierzu z . B . Galling u.a. ( 1957) , Bd. l , 1 268 Genaueres zum Verhältnis von Vor­
bild und Abbild siehe Haas 1 979, 2 1 4ff) .
-
43
DW
=
D eutsche Werke; Meister Eckhart ( 1 936 ff)
vgl. hierzu auch die Auseinandersetzung Eckharts mit weltabgewandten Formen der Mystik, wie sie
bei Trusen ( 1 988, 49) referiert wird.
21 Die hier in Klammern eingefügten Buchstaben stehen im Original in kleinerer Schrift über dem vor­
angegangenen Buchstaben.
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3. Bevor das Bild zum Abbild wurde: Über einen nicht nur etymologischen Zusammenhang
3 . Bevor das Bild zum Abbild wurde: Über einen nicht nur etymologischen Zusammenhang
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vnd glauben der ansprach, ob sie ho( e )ren, ob sie die liebsten seyen, . . . vnnd hieran werden
sy dick betrogen" (Eckhart22 ) .
E s geht demnach nicht um (Ab )Bild( ung) im Sinne der späteren "naturgemäßen" Ab­
b ildung, die von der Struktur her in einem Algorithmus zu fassen wäre. Bei Eckhart wird
eine Art energetischer Austausch mitgedacht, der in der späteren Form der Abbildung, die
auf mathematisch-geometrischen Regeln beruht, nicht mehr mitgedacht wird.
Spiegel
Die " vernünfticheit" wirkt nach Eckhart wie ein Spiegel 23 . In ihr bildet sich Gott ab - in
einem Bild seiner selbst. Und die Seele bildet sich ein in Gott. Dieser Vorgang spielt sich
ohne willentliche Beteiligung und ohne Erkenntnistätigkeit im Sinne heutiger Wissenschaft
ab, vielleicht eher noch im Sinne des alttestamentarischen "Erkennens" . Voraussetzung für
die Ein-Bildung ist die "Ent-Bildung" , die Aufnahmebereitschaft.
Es ist schwierig, Eckharts Rede vom Bild und vom Spiegel in ihrem für exakte Wissen­
schaft nicht leicht festzustellenden Sinn zu belassen. In der Eckhart-Literatur wird immer
wieder der Versuch unternommen zu vereindeutigen, Eckharts Stellung zwischen der
thomistischen und der mystischen Tradition zugunsten der mystischen Seite zu verein­
deutigen.
Als ein Beispiel hierfür sei Haas ( 1 979) genannt. Er zitiert aus einer deutschen Predigt
Eckharts: "Man vraget, wa daz wesen des bildes aller eigentlichest si: in dem spiegel oder in
dem, von dem ez uzgat? Ez ist eigenlicher in dem, von dem ez uzgat. Daz bilde ist in mir,
von mir, zuo mir. Die wile der spiegel glich stat gegen minen antlite, so ist min bilde dar
inne; viele der spiegel, so vergienge daz bilde (DW I, 1 54, 1 - 5 ) " (Haas 1 979, 2 1 2 ) . Haas
leitet dieses Zitat ein mit dem Satz: "Das Bild hat in sich keinen Seinsgrund, sondern hat
sein --Wesen in seinem Vor- und Urbild" , was deutlich den Äußerungen von Eckhart
widerspricht, wo er die Relation von Ursache und Wirkung ablehnt. Und Haas fährt ganz
konventionell ontologisierend nach dem Zitat fort: "Das Spiegelbild ist ontologisch an den
Bildspender, an den Gegenstand, den es abbildet, gebunden. Von ihm empfängt es sein
Sein, ohne doch selber ein Seiendes zu sein" (Haas 1979, 2 1 2 ) .
Eckhart beantwortet aber die Frage, ob das Wesen des Bildes im Spiegel oder in dem, von
dem es ausgeht liegt, zunächst einmal mit einem Komparativ: "ez ist eigen lieh er in dem,
von dem ez uzgat". Er hätte "eigeniich" sagen können, unterstelle ich. Das tut er nicht. Er
sagt weiter, daß das Bild in dem ist, von dem es ausgeht, und von dem, von dem es aus­
geht. Das würde Haas Interpretation wieder stützen. Dann aber sagt er, es ist zu dem, von
dem es ausgeht. Hier wird ein Standpunktwechsel vollzogen. Die Richtung kommt aus dem
Spiegel. Und weiter ist dann das Bild im Spiegel. Es ist nicht nur in dem, von dem es aus­
geht, wenn der Spiegel genau gegen das Antlitz steht. Und mehr noch: Das Bild vergeht,
wenn der Spiegel fällt24 .
45
Bild und Urbild sind eins
Meine Interpretation sehe ich gestützt durch eine andere Äußerung E ckharts: "Wohlan,
nun get scharf acht und behaltet dies wohl, - denn die ganze Predigt habt ihr darin (be­
schlossen) . Bild und Urbild ist so völlig eins und miteinander vereint, daß man da kei­
nerlei Unterschied erkennen kann. Man kann wohl das Feuer ohne die Hitze denken und
die Hitze ohne das Feuer. Man kann wohl (auch) die Sonne ohne das Licht denken und das
Licht ohne die Sonne. Aber man kann keinerlei Unterschied erkennen zwischen Bild und
Urbild. Mehr noch sage ich: Gott mit seiner Allmächtigkeit vermag da keinerlei Unter­
schied zu erkennen, denn es wird miteinander geboren und stirbt miteinander. Wenn mein
Vater stirbt, so sterbe darum nicht auch ich. Stirbt einer, so kann man nicht mehr sagen: er
ist sein Sohn, wohl aber sagt man er war sein Sohn . . . Seht ebenso ist es hier. Verginge das
Bild, das nach Gott gebildet ist, so verginge auch das Bild Gottes" (Eckhart 1 955, 347f) 25.
Bildung - Ent-Bildung
Der Zusammenhang von Bildung und Ent-Bildung ist Motiv der gesamten mystischen
Tradition. So heißt es beispielsweise bei Ruusbroec: "Er (Gott, KJP ) macht uns bloß von
allen Bildern und zieht uns in unseren Anfang: da finden wir nichts anderes als wilde,
wüste, ungestalete Blöße, die allzeit der Ewigkeit entspricht" ( zit. n . Huizinga 1 975,
3 1 9 ) 26 . Mit der Ent-Bildung ist der Wechsel vom Licht zur Finsternis verbunden, zur
Dimensionslosigkeit. Bevorzugtes Bild in den Schriften und Predigten ist die Einöde, die
Wüste, die j a faktisch nur zwei Dimensionen aufweist, da nach den damaligen Vorstel­
lungen Einöde mit Ebenen assoziiert ist; von dort der Wechsel in den finsteren Abgrund27 .
Anders formuliert heißt Ent-Bildung28 auch bei Eckhart die Aufgabe eines Zweck-Mittel­
Denkens - ein weiterer Angriff auf die Institution Kirche: Die Seele muß begreifen, daß sie
nicht willentlich in das Reich Gottes eingehen kann. Sie muß die aktive Suche aufgeben
und ihren eigenen Weg gehen: "Und allhie so stirbet si iren hohsten tot. in disem tot ver­
leuset die sele alle begerung und alle bild und alle verstentnüzz und alle form und wirt
beraubt aller wesen" (zit.n. Huizinga 1 975, 320) 2 9 .
25 Mojsisch sieht in der Eckhartschen Korrelation von Urbild und Bild einen Bruch mit der Tradition.
Eckhart denkt den Menschen, "sofern er Gerechter als Gerechter oder Bild als Bild ist, als integratives
Moment dieser Prozesse ( univok-korrelationaler Prozesse, KJP ) , als Moment, durch das diese Prozesse
überhaupt erst möglich werden, indem die Momente sich wechselseitig setzen ( mutuo se ponunt) , ohne
ihre E inheit zu verlieren" (Mojsisch 1 983, 8 1 ) . - Nach den Untersuchungen Mojsischs ( 1 98 3 ) und auch
dem, was ich entfaltet habe, liegt Schilling ( 1 96 1 , 1 9f) offensichtlich mit seiner Interpretation falsch,
wenn erbehauptet, daß dem Bildungsbegriff bei Meister Eckhart nichts Dynamisches anhaftet.
26 Huizinga
zitiert hier aus Ruusbroek: Die Spieghel ewigher salicheit, cap . 1 9 , 1 44 . ed. David en Snel­
laert (Maatsch. der Vlaemsche bibliophilen) , 1860.
27
22
zit.n. Trusen 1 988, 50
Hat das etwas mit dem in der Geometrie definierten dimensionslosen Punkt zu tun? Vielleicht gar mit
dem Augenpunkt, dem Punkt, an dem Außen in Innen umschlägt, in dem die Spitze der Sehpyramide
liegt, die sich dann nach innen (d. h. im Dunkeln) wieder öffnet?
23
24
siehe hierzu weiter unten die Erörterungen zu Lacan.
28 Schilling
Diese oszillierenden Ä ußerungen kehren später bei Lacan wieder. - Bei Haas finden sich weitere Fehl­
interpretationen ähnlicher Art, z. B. in Bezug auf das Gleichnis der Sonne, die sich in einem Spiegel im
Wasserbecken spiegelt. Vgl. Haas 1979, 228.
( 1 96 1 ) weist auf die beiden Traditionstränge hin, die in dieser Imago -Dei-Lehre lägen und
logisch nie zur Deckung gebracht würden: Die scholastische Philosophie und die negative Theologie der
Neuplatoniker. Vgl. auch von Balthasar ( 1 976, 11, 1 82, Anm. 1 4 ) .
29
Huizinga zit. hier nach F. Jostes ( 1 895 ) : Meister Eckhart und seine Jünger. Freiburg (Schweiz ) , 95.
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3 . Bevor das Bild zum Abbild wurde: Über einen nicht nur etymologischen Zusammenhang
3 . Bevor das Bild zum Abbild wurde: Über einen nicht nur etymologischen Zusammenhang
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Die Tradition einer Bestimmung, wonach das Bild Gottes im Menschen zu suchen sei,
nimmt Eckhart nur insoweit auf3o, als er sagt: Das "Bild1.4 Gottes ist in der Vernunft des
Menschen zu suchen. ,, 'Das Bild' ist nach Augustin da zu suchen, wo die Seele wahrhaft
Licht ist, wo es nicht durch die Berührung mit dem Leib ausgelöscht ist; wo nicht Zutritt
hat, was ' die Gestalt dieser Welt' ( 1 Kor 7, 3 1 ) trägt; wo das Oberste, wo der Scheitel der
Seele an das Licht der Engel rührt1.4 (LW31 4, 421, n. 505) . Daraus eine Unsinnlichkeit, d.
h. Abstraktheit oder "Nurl.4- Spiritualität32 herausinterpretieren zu wollen, scheint mir für
Meister Eckhart nicht zutreffend. Seine Intention liegt bei der Abwehr von inhaltlich genau
umschreibbaren Bestimmungen und damit der Freiheit des Intellekts für vielerlei Ak­
tionen: Freiheit von den gängigen Diskursen. Eckhart spricht an diesen Stellen nicht von
Idee oder Prinzip, sondern er bleibt bei dem Terminus "Bildl.4 . Er meint daher nicht nur
Intellekt im Sinne von Kognition, er meint einen komplexeren Prozeß, den der Bildung.
Wirken, Einbilden und Bilderverbot
Der Verzicht auf abbildbare, festschreihbare Inhalte hat mit der negativen Theologie Eck­
harts zu tun. "Es kann niemand von Gott das im eigentlichen Sinne aussprechen, was er
ist1.4 (Meister E ckhart, DW I, 329,9f) . Jenseits des Gesprochenen, Gehörten, überhaupt Er­
fahrenen bildet sich etwas, wenn die Bereitschaft dazu da ist. Auch der oben schon zitierte
Heinrich Seuse sagt, sich auf eine lange Tradition berufend: "Dionysius spricht, daß Gott
ein Nichtwesen oder ein Nichts sei, und das ist so zu verstehen, . . , daß wir ihm nicht in
kreatürlicher Art Eigenschaften zulegen können. Denn was wir ihm in grober Weise zu­
schreiben, das ist alles gewissermaßen falsch, in der Negierung indes wahr1.4 (zit. n. Ruh
1 985, 57) . Die Imago Dei kommt so in überraschender Weise dem Verbot der Abbildung
nahe, dem aus dem Judentum bekannten Bilderverbot. Dieses war ein Abbilderverbot, ein
Verbot der Festlegung im Sinne eines Herausnehmens aus Spannungsfeldern, aus Pro­
zessen. Eckhart schreibt: "Das Wirken und das Werden aber ist eins. Wenn der Zimmer­
mann nicht wirkt, wird auch das Haus nicht. Wo die Axt ruht, ruht auch das Werden. Gott
und ich, wir sind eins in diesem Gewirke; er wirkt und ich werde1.4 (DW33. I, Pr.6, S . 1 14, 2
- 5).
Dietmar Mieth kommentiert diese Stelle so: "Diese Z eitlichkeit wird aber bei Eckhart
nicht räumlich gedacht, wie eigentlich bei geschichtlichem Fortschritts- und Evolutions­
denken anzunehmen wäre, sondern die Analogie zwischen Werden und Wirken hat ihr
Zentrum im Wirken ( davon der mittelhochdeutsche Ausdruck 'wirklichkeit' ) ; was wird ist
weniger entscheidend, als daß wird, daß also nichts Irdisches sich erhält indem es - was
bei Gott möglich ist - bei sich bleibt1.4 (Mieth 1 986, 24) .
Von dem Irdischen entfernt sich der Mensch durch Ubung. Die Entfernung bedeutet aber
nicht Negation. Am ehesten wäre hier vielleicht der spätere Freudsche Begriff der Subli­
mation einzusetzen.
Was "wirklich ist kann nicht festgestellt, festgehalten werden. Jede Momentaufnahme
nimmt aus der " Wirklichkeit1.4 Wirksamkeit heraus, tötet ab, läßt erstarren.
Wenn diese Interpretation denn zutrifft, sind in ihr zwei wichtige Aspekte benannt, die
im folgenden noch weiter expliziert werden:
1 . Die Verräumlichung unseres Denkens und sein Zusammenhang mit einer Restriktion
des Bildbegriffs auf die Fläche, die Raum illusioniert: Bewegung wird zur Strecke ge ­
bracht.
2. Mit der Verräumlichung wird ein fester Standpunkt für den Menschen nötig; eine Möglichkeit, die, wenn überhaupt, im Mittelalter nur Gott zukam, die sich j etzt der Mensch un­
ter dem Stichwort Identität aneignen will/muß .
Der Begriff der Bildun g - s o zeigt die Begriffsgeschichte - ist eng mit theologischen Moti­
ven verbunden, mit der Uberzeugung von der Existenz Gottes, am Ende mit pantheistischen
Vorstellungen. So kann Paracelsus sagen. "Alle Dinge sind gebildet1.4 (zit. n. Lichtenstein in
Ritter 1 97 1 , 922 ) , was heißen soll, daß ihnen durch die Einbildung34 Gottes in ihre
natürliche Matrix ein inneres Zielbild vorgegeben ist. Das Zielbild ist aber nicht einfach da.
Die menschliche Einbildungskraft, Imagination muß die von Gott eingebildete innere
Formgerichtetheit in ein von �1enschen faßbares "Bild1.4 vergegenwärtigen. Mittels der Ima­
gination kann der Mensch die Einbildungen Gottes beeinflussen. "Die bildliehe Vorstellung
führt zur Lust bzw. Begierde, zum Willen, und strebt von da zur Verwirklichung des Be­
gehrten. Paracelsus spricht in diesem Sinne von der ' Lust der Bildung ' . (vgl. Dohmen
1 964, 73 ) 35.
1.4
1.4
Bildung - ein subversiver Begriff
Aus der Geschichte des Begriffs der Bildung, wie sie bei Eckhart in der deutschen Version
beginnt, läßt sich erkennen, daß dieser tendenziell subversiv ist. Er hat j edenfalls hier die
Tendenz gehabt, vorhandene Rahmen für Vorstellungen dauernd in Bewegung zu halten
oder zu sprengen . Meister Eckhart selber kam deswegen schon in Konflikt mit der kirch­
lichen Obrigkeit seiner Zeit. Vermutlich nicht zuletzt deswegen, weil er Bildung als einen
Selbstformungsprozeß begriff, einer Ein-Bildung des Bildes Gottes, daß nicht gegen den
Willen des je sich Bildenden vorstellbar war, nicht durch Indoktrination und nicht si­
chergestellt durch hierarchisch verfaßte Institutionen.
Zusammenfassend: Es kam Eckhart mehr auf den Prozeß der Formung selber an, als auf
die Aneignung bestimmter Wahrheiten, das Ansammeln von Erkenntnissen. Diese konnten
geradezu hinderlich sein. Eckhart spricht deshalb immer wieder von der Ent-Bildung als
Voraussetzung und Weiterführung von Bildung und Ein-Bildung. Die Versuchung zur
Stillegung und Verdinglichung des Begriffs sind ' groß. Es wird deutlich, daß die mit dieser
historischen Fassung des Bildungsbegriffs verknüpften Vorstellungen nur schwer auf
organisierte Erziehungs- und Lernprozesse hin zu formulieren sind36.
34
30 "Auch wenn er die altüberlieferten Bestimmungen wieder aufnimmt, wonach das göttliche Bild sich in
35
31 L W
36
den drei Kräften memoriaJ intellectus und voluntas oder in der menschlichen Freiheit spiegle, so tut er
das mit wenig Begeisterung" (Haas 1 979, 224) .
=
Lateinische Werke; Meister Eckhart ( 1936ff)
3 2 Vgl. Dohmen ( 1 964) und Schilling ( 1 96 1 )
3 6 D W Deutsche Werke; Meister Eckhart
=
47
was nichts mit Fiktion zu tun hat.
Wenn der hier noch gesellschaftliche, intakte und für die Gesellschaft konstitutive religiöse und theo­
logische Hintergrund zur Privatsache und säkularisiert wird, muß das hier angesprochene Moment anders
formuliert werden.
Gadamer zählt 1 965 (2) "Bildung" unter die Humanistischen Leitbegriffe, "wohl der größte Gedanke
des 1 8 . Jahrhunderts" ( 1 965, 7 ) . Bei Gadamer steht der Begriff im Zusammenhang einer anderen Be­
stimmung des Verhältnisses von Naturwissenschaft und Geisteswissenschaft. - Mit Hinweis auf Gadamer
schreibt der amerikanische Philosoph Rorty : " . . . der bildende Diskurs soll nicht normal sein, und durch
48
3 . Bevor das Bild zum Abbild wurde: Über einen nicht nur etymologischen Zusammenhang
3. Bevor das Bild zum Abbild wurde: lJ"ber einen nicht nur etymologischen Zusammenhang
49
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Vorbild
Die Begriffsgeschichte des Bildungsbegriffs deutet darauf hin, daß Bildung etwas mit
Bildern und Vorstellungen zu tun hat. Eckharts Konzeption wurde verurteilt, weil er nicht
in der damals gewünschten Klarheit ein hierarchisches System von Urbild/Vorbild und
Abbild neu bestätigte. Bis dahin war in der Rede von der Imago Dei fast nur von einer Art
Vorbild die Rede. Die daraus folgende Bewegung war eine Angleichung. Bei Eckhart ent­
steht das Bild - auch das Urbild - erst im Einbilden. Darauf soll eine Ent-Bildung, ein
Leerwerden folgen, das erst ein Moment von Autonomie gegenüber überkommenen Ord­
nungen konstituiert. Wir sahen, wie das zu (fast) paradoxalen Formulierungen führt. Sie
weisen daraufhin , daß in einem in seiner Bildlichkeit ernstgenommenen Bildungsbegriffs
andere als nur mit herkömmlichen Mitteln logisch einwandfrei erfaßbare Prozesse ent­
halten sind - zumindest in jener Zeit des ausgehenden Mittelalters.
Nicht ein zu imitierendes Äußeres liegt vor und kann eingebildet und/oder begrifflich
erfaßt werden. Es bedarf vielmehr intellektueller und affektiver Fähigkeiten, umfassender
Bewegungen, eines Oszillieren zwischen Deutlichkeit und Uneindeutigkeit.
Dieses Oszillieren ist Moment im Prozeß der Gewinnung von Individualität. Die mittelal­
terliche Subsumtions- und Deduktionslogik wird von Eckhart attackiert, in der Individu­
elles nicht gedacht werden kann, bestenfalls Typisches, sich Wiederholendes. "Individuum
est ineffabile" hatte es immer wieder bei den mittelalterlichen Philosophen geheißen (vgl.
Gurjewitsch 1 982, 346ff) .
Ausblick
Bildung - so können wir jetzt sagen - muß im Kontext von Pädagogik37 von der Begriffs­
geschichte her betrachtet in eine Krise kommen, wenn sie erstens um die Dimension einer
Bildlichkeit, die nicht Abbild ist, gekürzt wird, und zweitens , wenn unter eben diesen
Vorzeichen Urbilder oder Vorbilder nicht mehr klar zu umreißen sind3 8 . Dieses Schicksal
trifft die Vorbilder gerade dann, wenn sie zunächst fixiert werden, dann aber notgedrungen
einem Erosionsprozeß unterliegen39.
Die Konturen von Vorbildern verschwimmen z.B. dann, wenn die Generation der Erzie­
henden keinen prinzipiellen Vorsprung mehr vor den zu Erziehenden hat4 o . Diesen V or­
sprung mögen sich die Erziehenden einbilden, eingebildet haben, er ist aber nicht mehr
die Kraft seiner Fremdartigkeit aus unserem alten Selbst herausführen, dazu beitragen, daß wir andere
Wesen werden" ( Rorty 1 987, 390 ) .
37 E s kann hier nicht darum gehen, den Weg nachzuzeichnen, welche Geschichte der Begriff der
Bildung genommen hat, wie er in den direkt pädagogischen und dann erziehungswissenschaftlichen Kon­
text geriet (vgl. dazu Dohmen 1964 ) . Wenn ich im folgenden mit dem Begriff arbeite, so benutze ich ihn
nicht als einen, der einer b estimmten pädagogischen Richtung zuzurechnen wäre, sondern als den Be­
griff, den ich oben mit seiner deutschen Begriffsgeschichte aufgeladen habe, nämlich mit dem Moment
von Bildlichkeit.
gegeben. Die Erwachsenen selber haben einen Orientierungsverlust41 erlitten, der auch nur
noch schlecht durch die Macht relativ geschlossener ideologischer Systeme kompensiert
werden kann.
Dies stimmt allerdings so ganz glatt nicht: Selbstverständlich haben Erwachsene in be­
stimmten Bereichen Vorsprünge, sie sind aber nicht weiter, sie sind an einem anderen Ort
in ihrer Lebenszeit und ihrer Erfahrungswelt und haben Probleme, die so für die Zöglinge
nicht auftauchen werden, wenn sie so alt sind, wie die jeweiligen Erwachsenen. Und um­
gekehrt können gegenwärtig Erwachsene nur sehr begrenzt auf Erfahrungen zurückgreifen,
die sie im gleichen Alter wie die Kinder gemacht haben. Das, was ehedem tatsächlicher oder
mit Macht und Gewalt durchgesetzter Vorsprung war, der dann das Vorbild abgeben
konnte, wird lediglich zu einer anderen Sichtweise, zu einer anderen Problemlage, bedingt
durch eine andere Geschichte. Auch wenn das vielleicht faktisch schon länger so ist, so kann
dies unter dem Anspruch von Reflexivität gegenwärtig nicht mehr geleugnet werden. Damit
entfällt die so gängige Möglichkeit der "Klage", der Anklage der Erwachsenen, der Eltern,
der Erzieher, der zum Beschuldigungs- und Entschuldigungsmechanismus gleichermaßen
werden kann.
Die Imitatio einer imago Dei oder auch seiner Stellvertreter auf Erden, jedweder Eltern,
wird bei der Ende des 19. Jahrhunderts deutlicher werdenden Krise der bürgerlichen Ge­
sellschaft von Freud als Beeinflussung durch das Üb er-Ich identifiziert. Zunächst konnte
dieses Überich - im Verhältnis zum Vorbild "Gott" schon relativ entmachtet - noch in sei­
ner Abkunft von greifbaren Eltern ( " mit Vorsprung" ) ausgemacht werden kann. Dies fällt
aber zunehmend schwerer. Die Anonymisierung der Einflüsse auf die Entwicklung des
Kindes und die Überforderung der Eltern4 2 - gemessen an der Forderung, Vorbild zu sein läßt die Grenzen zwischen Ich und Ü berich verschwimmen und verlangen nach neuen
Kategorien. Freud rief mit seinen Formulierungen, indem er auf den unbewußten Aspekt
dieses Geschehens hinwies, einen mittlerweile abgespaltenen Aspekt von Bildung wieder ins
Bewußtsein: Es geht beim Bildungsprozeß nicht ausschließlich um kognitive Lernprozesse.
Die Aufzehrung des Vorsprungs der älteren Generation beginnt mit dem "Fortschritt" ge­
gen Ende der "ursprünglichen Akkumulation" (Marx) , was gleichbedeutend ist mit der zu­
nehmenden Verstädterung, der Trennung von Wohnung und Arbeitsplatz, usw. Von da an
wird Bildung zum Problem, da sie in immer größer werdenden Maßstab angeleitet und
organisiert werden muß . Mir scheint sogar die erste ausführliche deutsche Fassung des Be­
griffs bei Meister Eckhart schon Reaktion auf einen einsetzenden Individualisierungsprozeß
zu sein. Die Möglichkeiten der Bildung werden angesichts der damals erstmalig auftau­
ehen den Probleme noch einmal zurückgerufen.
Ich meine, dies ließe sich in Andeutungen aus "Die rede der unterscheidunge" (DW V
137 - 376 ) heraushören: Es geht mehrfach um das "freigewordene" (ledige) Gemüt, das
keine Bilder mehr in sich hat, verknüpft mit der Aufforderung "Nim din selbes war" .
Reaktion auf diese Selbstbesinnung scheint zumindest unter den Ordensleuten eine
Fluchttendenz aus der Welt gewesen zu sein, denn Meister Eckhart sagt: "Ich wurde gefragt:
Manche Leute zögen sich streng von den Menschen zurück wären gerne gänzlich allein, und
darin läge ihr Friede und daran, daß sie in der Kirche wären. Ob dies das Beste wäre ?
Daraufhin sprach ich: Nein ! und merke warum. Wer im Rechten steht, wahrlich, der steht
so an allen Stätten und unter allen Menschen . . . " (200 , 1 0 - 201 ,7) .
38 Es wird weiter unten noch deutlich werden, daß ich hier nicht im geläufigen Sinne von Bildern spre­
che.
3 9 Vgl . Adomo 1 967
4 1 Hier sei nur auf die von Habermas so apostrophierte "neue Unübersichtlichkeit" verwiesen.
4 0 Vgl. z. B. Giesecke 1 985
42 Vgl. Giesecke 1 98 5
50
3 . Bevor das Bild zum Abbild wurde: Über einen nicht nur etymologischen Zusammenhang
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Im 2 1 . Kapitel derselben Schrift - so formuliere ich j etzt also unzeitgemäß - geht es unter
den Vorzeichen einer Individualisierung um die drängender werdende Anforderung an die
Ich-Abgrenzung nach Innen und Außen: Um das Ziel, "in den Werken ungebunden" zu
sein. Es kommt aüf einen Balanceakt in der Bezogenheit von Bildung und Ent-Bildung an.
"Dazu gehört ein gar behender Eifer und insbesondere zwei Dinge: Das eine, daß sich der
Mensch in seinem Innern wohl verschlossen halte, damit das Gemüt geschützt sei vor den
Bildern der Außenwelt, damit sie außerhalb seiner bleiben und nicht in ungemäßer Weise
mit ihm wandeln und umgehen und keine Stätte in ihm finden. Das andere, daß sich der
Mensch weder in seine inneren Bilder, seien es nun Vorstellungen oder das Erhabensein des
Gemüts, noch in äußere Bilder oder was es auch sein mag, was dem Menschen gegenwärtig
ist, verliere noch zerstreue noch sich veräußere an das Vielerlei. Daran soll der Mensch alle
seine Kräfte gewöhnen und darauf hinwenden und sich sein Inneres gegenwärtig halten"
(276, 3 - 12) .
4. Als das Bild zum Abbild wurde
Die Erfindung der Zentralperspektive * "Urszene" des Sehens * Blick zurück aus
dem laufenden Verfahren - Künstlichkeit ist erfordert * Photographie - Fluchtpunkt des
Projektes "naturgemäße Darstellung der Welt" * Brunelleschi - "an era of storm and
stress, of bitter conflict" * Die verlorenen Gemälde * Perspektive als Wissenschaft * Die
Aufzeichnung des Baptisteriums * Zur nachhaltigen Bedeutung der Experimente
Brunelleschis * Neben dem perspektivischen Blick * Was hat das alles mit ( ästhetischer)
Bildung zu tun? - Ein Hinweis. * Die Verstopfung des kleinen Lochs * Herauslösung
aus der Metaphysik des Sehens * Der neue Blick * Die Formalisierung von Brunelleschis
Experiment produziert Unbewußtheit. * Symbolische Form, Bildung
Die Erfindung der Zentralperspektive
"Urszene" des Sehens
Brunelleschi erfindet im Jahre 1 425 1 die Konstruktion der Zentralperspektive. Diese ist
nicht ganz neu2. Brunelleschis Experiment ist eine Art Wiedererfindung, Rekonstruktion.
Und diese rekonstruiere ich nun im folgenden nicht nur ihrem Verlauf nach, sondern auch
im Hinblick auf ihre implizite Bedeutung.
Bei der Perspektive, der "naturgemäßen" Darstellung der menschlichen Umwelt, bei
dem Vorgang der S imulation dreidimensionaler Weh auf der Fläche geht es um eine Art
"Urszene" menschlichen Sehens, (um dem Versuch der (Mutter) Natur treu zu werden/zu
bleiben ) .
Blick zurück aus dem laufenden Verfahren - Künstlichkeit ist erford ert
Bei me �ner Rekonstruktion geht es aber nicht darum, diese Szene der Erfindung exakt zu
reprodUZIeren, sondern darum - wie Lyotard es ausdrückt - die "Moderne zu redigieren"
(Lyotard 1 988b) . Es geht nicht um die Stunde Null, in der alles neu anfing. Es fing wieder
.
einmal an. Keine Rückkehr zum Anfang3.
1 Die� e Jahreszahl ist nur wahrscheinlich, nicht aber gesichert. So schreibt M. Kemp : "Evidence that this
date IS no later than 1 4 1 3 is promised in the forthcoming publication of the 1 977 Brunelleschi Con­
ference in Florence" ( Kemp 1 978, 1 43 ) .
2 vgl. hierzu Schneyder 1 966, der die Vorformen i n der Antike untersucht.
Nicht ein neuer Anfang wird gemacht, " sondern eher das, was Freud Durcharbeitung ( p erlaboration)
genannt hat, d.h. eine Arbeit, die das bedenkt, was uns vom Ereignis und seinem Sinn konstitutiv verbor­
gen ist, und zwar nicht nur durch das vergangene Vorurteil, sondern durch Dimensionen der Zukunft wie
zum Beispiel das Pro-j ekt, das Pro-gramm, die Pro -spektierung ( im Italienischen wird für die Bezeich3
52
4 . Als das Bild zum Abbild wurde
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Der Blick zurück erfolgt aus einem "laufenden Verfahren", nicht nach dessen Abschluß,
nicht aus der Post-moderne4 heraus, sondern aus einem bestimmten Stadium, das der Mo­
derne angehört. Das Leiden an der Moderne hat das Subjekt sich in einem Zustand der De­
zentrierung wiederfinden lassen. Dieses Leiden motiviert die Analyse. Auf Seiten des Analy­
tikers bedarf es der freischwebenden Aufmerksamkeit. Diese kann neue Sichtweisen, neue
Empfindungen zulassen. Sie macht die "Urszene" gegenwärtig, nicht wie einen Gegenstand,
"sondern wie eine A ura, eine leise wehende Brise, eine Anspielung. Prousts ' Suche nach der
verlorenen Zeit' und Benj amins 'Einbahnstraße ' oder 'Berliner Kindheit' verfahren nach
eben dieser techne (natürlich ohne sich darauf reduzieren zu lassen) " (Lyotard 1 988b, 2 0 ) .
B e i diesem Verfahren kommt es z u keinem Ende, zu keiner Conclusio, z u keiner Heilung
o der Ganzheit, zu keinem neuen Zentrum, zu keiner Versöhnung von Bewußtem und Unbe­
wußtem, vielleicht zu einer Annäherung an eine Realität, die außerhalh eines übersichtlich
planbaren Zugriffs liegt; jedenfalls aber zu neuen Texten und Kontexten. Diese Prozedur ist
unendlich, "weil für das Subjekt die Enteignung - seine Unterwerfung (sujetion) unter eine
Heteronomie - konstitutiv ist. Was an ihm in-fans ist - an Unhervorbringbarem -, ist irre­
duzibel" (Lvotard 1 988b, 23 ) .
4 . Als das Bild zum Abbild wurde
53
Bei einem solchen Verfahren gibt e s keine rational immer und j ederzeit konsistente
Orientierung S . Eine gewisse Künstlichkeit ist erfordert, eine Technik, eine Haltung. Bei
Freud ist es die freie Assoziation, die versucht die Regeln einer normalen Logik des Alltags
in Ansätzen und zeitweise zu suspendieren, ebenso ethische und ästhetische Werte als Re­
geln der Verknüpfung zwischen Einfällen.
Orientierung bietet einzig - auch wenn das in sogenannten rein wissenschaftlichen Kon­
struktionen oft verborgen bleibt - ein " Anhören " des GefÜhls 6 . Hier taucht bei Lyotard7 eine
ähnliche These auf, wie wir es zuletzt bei Eckhart sahen 8 . "Kein Ergründen (raisonne­
ment) , kein Argumentieren, keine Vermittlung. Indem man so vorgeht, kommt man all­
mählich einer Szene nahe: der Szene von etwas. Man beschreibt sie. Man weiß nicht, was sie
ist. Man ist sich nur sicher, daß sie sich auf die Vergangenheit bezieht, auf die entfernteste
ebenso wie auf die nächste; auf die eigene ebenso wie auf die der anderen. Die verlorene Zeit
wird nicht wie auf einem Bild9 repräsentiert, sie wird nicht einmal präsentiert. Sie präsen tiert vielmehr die Bestandteile des Bildes, eines unmöglichen Bildes. Redigieren heißt, die­
se aufzuzeichnen" (Lyotard 1988b, 19) .
Photo graphie - Fluchtpunkt des Projektes "naturgemäße Darstellung der Welt"
Brunelleschi macht eine "Erfindung" , die Ausgangspunkt für eine Entwicklung wird, an
deren einem Ende die Photographie steht. Die Photographie gilt als das Abbild überhaupt.
An eine Photographie denken wohl die meisten, wenn sie sich ein naturgetreues Abbild der
Realität vorstellen. Mit der Photographie wird ein intermediärer " Raum" geschaffen, der
die Unterscheidung von Subj ekt und Obj ekt erschwert, der den Eigentumsbegriff ver­
schwimmen läßt, der den Zeitbegriff verunsichert, zumal dann, wenn man sich selbst auf
dem Photo betrachtet. "Denn die Photographie ist das Auftreten meiner selbst als eines an­
deren: eine durchtriebene Dissoziation des Bewußtseins von Identität" (Barthes 1 985, 2 1 ) .
Das hat etwas Wahnhaftes, erinnert an das Motiv des Doppelgängers. Und: Wem gehört die
Photographie ? "Dem (photographierten) Subjekt oder dem Photographen? Ist nicht auch
das Landschaftsbild eine Art Anleihe beim Besitzer des Grundstücks ? Zahllose Prozesse
haben, wie es scheint, diese Unsicherheit einer Gesellschaft zum Ausdruck gebracht, für die
das Sein auf das Haben gegründet war. Die Photographie hat das Subjekt zum Objekt ge­
macht und sogar, wenn man so sagen kann, zum Museumsobjekt: für die ersten Portrait­
aufnahmen (um 1840) war es erforderlich, daß der Abzubildende in langen Sitzungen un­
ter einem Glasdach in vollem Sonnenlicht ausharrte; Objekt werden hieß, wie unter einem
chirurgischen Eingriff leiden; man erfand daher einen Apparat, Kopfhalter genannt t eine
Art Prothese, die für das Obj ektiv unsichtbar war; sie gab dem Körper bei seinem Uber­
gang in die Unbeweglichkeit Halt und hielt ihn fest: dieser Kopfhalter war der Sockel der
Abb . 24: Superstudio. D er neue Friedhof von Modena ( 1973 ) .
nung d e r P erspektive ein anderes Präfix verwendet "prospettiva", KIP ) und sogar die Pro-position und
den Vorsatz ( propos ) , eine Psychoanalyse zu machen" ( Lyotard 1 988b, 9 ) .
4 "Die Postmoderne ist keine neue Epoche, sondern das Redigieren einiger Charakterzüge, die die Mo­
derne für sich in Anspruch genommen hat, vor allem aber ihre Anmaßung, ihre Legitimation auf das Pro­
j ekt zu gründen, die ganze Menschheit durch die Wissenschaft und die Technik zu emanzipieren. Doch
dieses Redigieren ist, wie gesagt, schon seit langem in der Moderne s elbst am Werk" ( Lyotard 1 988b, 25 ) .
S Auch an dieser Stelle kann der Text so gelesen werden, als ob er sich auf eine pädagogische Praxis be­
zöge, etwa derart, daß ein Lehrer vor einer Klasse steht.
6 Ich vermeide mit Absicht an dieser Stelle den Begriff Introspektion, weil der Blick verdorben ist und
erst über das Hören, das ja auch vom Blick durchwirkt ist, eine andere Qualität bekommen mu ß.
7
vgl. Lyotard 1988b, 19.
8
Ähnliches taucht auch bei Warburg auf; siehe Ende Kap. 4 .
9 In meiner Terminologie müßte hier Abbild stehen.
4 . Als das Bild zum Abbild wurde
54
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Statue, die ich werden solltel 0 , das Korsett meines imaginären Wesens '"' 1 1 (Barthes 1 985,
2 1 f) .
Könnte Barthes auch gesagt haben: " . . . die Ich werden soll'"' ? - Erinnert mich das mit
Grund an Freuds Satz: "Wo Es ist, soll Ich werden'"' ? - Um die Zeit der ersten Portraitauf­
nahmen "erfand'"' Schreber ebenfalls Kopfhalter. Freud analysiert später die "Denkwürdig­
keiten'"' des geradgehaltenen Sohnes von Schreber und findet sich in der Spannung von
Wahn und Theorie (vgl. Kap. 7 - 9) .
Barthes schreibt weiter: "Ich ahme mich unablässig nach, und aus diesem Grund streift
mich jedesmal, wenn ich photographiert werde (mich photographieren lasse) , unfehlbar
ein Gefühl des Unechten, . . . In der Phantasie stellt die Photographie . . . j enen äußerst sub­
tilen Moment dar, in dem ich eigentlich weder Subjekt noch Objekt, sondern vielmehr ein
Subj ekt bin, das sich Obj ekt werden fühlt: ich erfahre dabei im kleinen das Ereignis des
Todes . . . '"' (Barthes 1 985, 22 ) .
Das ist der Fluchtpunkt des Projektes "perspektivische Darstellung der Welt'"' .
Brunelleschi - "an era of storm and stress , of bitter conflict"
Die Zeit, in der Brunelleschi lebte, war alles andere als ruhig und harmonisch, war kei­
neswegs durch und durch der heiteren und ganzheitlichen intellektuellen Aktivität gewid­
met, wie dies die spätere humanistisch und neuhumanistisch geprägte Geschichtschreibung
vielleicht suggerieren könnte. Diesen Eindruck kann lediglich eine isolierte Betrachtungs­
weise einzelner Werke der Renaissance nahelegen. Vielmehr: "Like so many creative peri­
ods, the E arly Renaissance was an era of storm and stress, of bitter conflict, of challenges
never more than partly met'"' (HaIe 1981 , 1 4 1 12 ) .
Brunelleschi ( 1377 - 1 446) ist in der Hauptsache bekannt als Florentiner Architekt. Er
war ausgebildeter Goldschmied und wendete sich der Architektur zu, nachdem er den Wett­
bewerb um die Türen des Baptisteriums gegen Ghiberti verloren hatte, eben j enes Baptis­
teriums, von dem er später die erste bekannte perspektivische Zeichnung anfertigte. - Seine
Glanzleistung als Architekt war die Konstruktion der Domkuppel. Während der Diskus ­
sionen in der Opera deI Duomo mußte er wild um sich schlagend hinausgetragen werden,
weil er ob der Begriffstutzigkeit seiner Kollegen zu toben anfing. Er entwarf eine sich selbst­
tragende Konstruktion, die selbst im Aufbau keines aufwendigen Gerüstbaus bedurfte. Dies
gelang ihm sozusagen aber erst im zweiten Anlauf, nachdem sich erwiesen hatte, "daß sich
die statisch-konstruktiven Probleme einer gewölbten Kuppelschale ungleich komplizierter
als die von Befestigungsmauern erwiesen und daß seine mathematischen und systematisch­
analytischen Fähigkeiten dem nicht gewachsen waren'"' (Sellenriek 1 987, 126) . Erfolg hatte
er erst in der Zusammenarbeit mit dem Mathmatiktheoretiker Paolo Toscanelli. Beiden zu­
sammen gelang es, durch die Integration von handelnd- experimenteller Erfahrung, des
messenden Versuchs, und der Kalkulation das zukünftige Verhalten einer Baumaßnahme
vorherzubestimmen, "analog dem Kaufmann, der den gewünschten Effekt eines Geschäftes
4 . Als das Bild zum Abbild wurde
55
vorauskalkuliert'"' ( Sellenriek 1 987, 1 2 6 ) . Die proportionalen Systeme seiner Bauten waren
Verfeinerungen, die von romanischen Bauten wie dem Baptisterium abgeleitet waren 13 .
Die verlorenen Gemälde
"We do not know the exact date of the lost paintings of the Baptistery and the Palazzo
Vecchio in which Brunelleschi demonstrated the application of geometrical principles to the
perspectival representation of 3- dimensional space on a plane surface. Immediatly adopted
by his friends Donatello and Massacio, and diffused by Alberti in his treatise of painting,
linear perspective became a dominant preoccupation of Italian Renaissance painting an re­
lief sculpture, as weIl as conditioning ways of looking at architectural and urban space .
Brunelleschi's own tendency to see buildings of a perspectival point 0/ vue can be inferred
from his unfulfilled project to reorientate S . Spirito on to an open piazza facing the river,
and from the way his buildings exploit an axial approach (Pazzi Chapel) or articulate the
soace around them (Innocenti Loggia)'"' (Hale 198 1 , 60f) .
Die nicht erhaltenen Darstellungen des Baptisteriums können auf diesem Hintergrund
im Kreuzungspunkt seines Schaffens gesehen werden.
Brunelleschi "erfand'"' die Perspektive als eine in allen Schritten rekonstruierbare mathe­
matisch geometrische Methode mit experimentellen und präsentativen Momenten 14 . Der
Darstellung eines Ausschnittes von Welt war eineindeutig die Position des Betrachters zuge­
ordnet 15 . Der Betrachter wird in seinem Standpunkt und in seiner Haltung eindeutig fest­
gelegt. Er darf sich nicht bewegen und muß im Prinzip mit einem Auge sehen. Als eine
Darstellungsweise der dreidimensionalen Welt auf einer zweidimensionalen Fläche war die
Perspektive - wahrscheinlich sogar mit der Möglichkeit der Konstruktion eines Flucht­
punktes - seit der Antike bekannt1 6 . Erst die Konstruktion der Distanzpunkte, durchge­
führt am Problem der " richtigen " Verkürzung von Fußböden mit quadratischen Fliesen,
brachte den Anstoß und die Möglichkeit der Entwicklung eines in sich geschlossenen theo­
retischen Systems der Perspektive.
Die gesamte Strenge und Genauigkeit einer perspektivischen Konstruktion mit den ent­
sprechenden Rekonstruktionsmöglichkeiten der realen Anordnung im Raum findet sich bei
Piero della Francesca. Mit HaIe (vgl. 1981, 244 ) sind viele Kunstwissenschaftler der Mei­
nung, daß es den ersten Renaissancemalern, die die Perspektive anwandten, nicht darauf
1 3 vgl zu diesem biographischen Abriß HaIe 1 9 8 1 , 60; ein ausführlicher Versuch, Brunelleschis Leben
aus den Bedingungen des sich zur modernen Stadt wandelnden Florenz zu vestehen , findet sich bei
Sellenriek 1 987, 1 24ff.
14 "Das Ereignis hat alle Eigenschaften eines wissenschaftLichen Experiments . Erstens findet ein Ver­
gleich statt zwischen einem vom Menschen hergestellten Gegenstand, eben dem Bild Brunelleschis, und
' der Wirklichkeit' . Zweitens ist der Vergleich nicht der Willkür des Experimentators überlassen; er sieht
die Sache nicht einfach an, er untersucht sie unter strengen Bedingungen. . .. Drittens wird der zu beur­
teilende Gegenstand, also das Bild, nicht einfach hingemalt, sondern nach RegeLn konstruiert . . Fünftens
führen die noch immer s ehr intuitiven Handlungen des Brunelleschi bald zu einer umfassenden auch
schon etwas doktrinären Theorie der Malerei . . . (Alberti,KJP) . . . " ( Feyerabend 1 9 84, 18ff) .
.
1 0 hervorgehoben, KIP
11
12
Wir werden sehen, daß dies schon früher begann (siehe Kap . 7 ) .
Hartt führt dies weiter aus . Vg l . zum historischen Hintergrund auch Piper 1 978; Sellenriek 1 987,
1 1 6ff; Batkin 1 9 8 1 ; Heller 1 982; Borkenau 1 934; Burke 1984 und 1 98 6 ; Baxandall 1 977; Ginzburg
1 983, um nur einige zu nennen.
15
Eine relativ kontinuierliche Darstellung der Entwicklung der perspektivischen Darstellung hat Abels
( 1 981 ) gegeben. Ihr geht es allerdings rein um den "Erkenntniswert des Kunstwerks" ( 1 98 2 , 3 7 ) , die in
ihm sichtbare Wahrnehmungsgeschichte. Dabei arbeitet sie in Annäherung an den Ansatz der Kritischen
Psychologie (Holzkamp ) , der in unserem Zusammenhang zu kurz greift.
1 6 Vgl . hierzu den Abschnitt über die szenographische Perspektive in Sellenriek 1 987, 5 8f und Schney­
der 1 9 66 .
56
4 . Als das Bild zum Abbild wurde
57
4. Als das Bild zum Abbild wurde
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Hier wurde vom Mathematiker Pacioli
die Linearperspektive integriert19. Eben
jener Luca Pacioli hat 1 484 eine " Sum­
ma arithmetica geometrica proportioni
et proportionalita" herausgegeben, de­
ren einer Bestandteil die Darstellung der
doppelten Buchführung war. War noch
in Roger Bacons " Opus majus" klar,
daß die Untersuchung der Gesetzmäßig­
keiten der Optik eine Möglichkeit war,
die Verteilung und das Empfangen der
Gnade Gottes zu studieren20, so wird all­
mählich durch die E rweiterung der
mathematischen Wissenschaften in Flo­
renz der bildliche Hintergrund "verges­
sen". Dies geschieht im Zuge eines Be­
deutungswandels der Optik, deren Zen-:­
trum der Mensch als Betrachter wird,
nicht mehr Gott als Verteiler der Gnade .
Vernunft wandelt sich dementsprechend
vom Gebrauch als Wahrnehmungsorgan
angekommen sei, illusionistische Effekte zu erzielen, da die meisten Fresken und Altäre
einen Fluchtpunkt hatten, der weit über dem Kopf der Betrachter lag 1 7. Ebenso seien die
Distanzpunkte häufig so gewählt worden, daß sie in den Ecken der Gemälde lagen, was
einen Betrachterwinkel von 90 Grad ergibt und damit einen ziemlich kurzen Abstand für
den Betrachter, wenn er ideal stehen will. Diesen ziemlich kurzen Abstand vom Altar hatten
j edenfalls die Priester. Es ist vielleicht auch die Frage, ob gerade in den Anfängen, die
Maler ihre Auftraggeber im Atelier von der neuen Methode überzeugen mußten, also dort,
wo der Cartoon gemalt wurde . Ferner meine ich, daß das Experiment von Brunelleschi
dem widerspricht.
Perspektive als Wissenschaft
Brunelleschi hat selber keine Aufzeichnungen über sein Procedere hinterlassen, die bei­
den im zugeschriebenen perspektivischen Zeichnungen sind nicht erhalten. Sein Schüler
Manetti ( 1 423 - 1 497) behauptet seine beiden Tafelbilder seien streng nach den Prinzipien
der mathematischen oder linearen Perspektive gemalt.
"During the same period he propounded and realized what p ainters today call per­
spective, since it forms part of that science which, in effect, consists of setting down pro­
perly and rationally the reductions and enlargements of near and distant obj ects as per­
ceived by the eye of man: buildings, plains, mountains, places of every sort and location,
with figures and objects in correct proportion to the distance in which they are shown. He
originated the rule that is essential to whatever has been accomplished since his time in that
area" (Manetti 1480, 40) .
Die Perspektive wird von Manetti als Teil der " Wissenschaft" eingeführt, als Teil der
Geometrie . Im Sinne einer Grenzziehung zwischen dem, was wir heute Kunst nennen und
dem, was wir Wissenschaft nennen, wurde noch nicht gedacht.
Der Bezugspunkt für die Darstellung ist der menschliche Beobachter. Auf ihn hin wird
verkleinert und vergrößert. Der Beobachter selber bleibt stehen, er ist sozusagen der Fix­
punkt. Die Wissenschaft legt fest, was richtig und vernünftig ist. Zu dieser Wissenschaft
gehörten Arithmetik, Geometrie, Astrologie, Musik, Architektur und Kosmologie 18 .
17 Das trifft beispielsweise gerade nicht für das erste erhaltene zentralperspektivische Bild, das Fresko
der Heiligen Dreifaltigkeit in Santa Maria Novella von Masaccio zu (wahrscheinlich 1427 ) . Dort liegt die
Horizontlinie und dementsprechend auch der Augenpunkt auf der Blickebene des Betrachters (vgl. hier­
zu Bellosi 1 987, 223 ; Hertlein 1 979, Abb . 6 und 7 ) . Es macht auch überhaupt keinen Sinn diesen Illusi­
onismus abzustreiten, es sei denn man meint mit Illusionismus einen schon fast moralischen (Minder-)
Wert, der abzulehnen sei. - Das Fresko in S . Maria Novella ist ausdrücklich an der Stelle, wo sich an­
sonsten der reale Raum einer Dreifaltigkeitskapelle befinden würde, (wenn denn an dieser Stelle ge­
nügend Platz gewesen wäre) (vgl. hierzu Hertlein '!. 979, 4 1 ff) . Als illusionistisch wurde das Fresko auch
von Vasari gepriesen: " Sehr schön ist in diesem Bilde außer den Figuren ein Tonnengewölbe perspecti­
visch gezeichnet und in rothe Felder abgetheilt, welche so gut abnehmen, daß sie durch die Mauer zu­
rückzuweichen scheinen" (Vasari 1 837, 1 55 ; vgl. auch 154 über ein anderes Werk von Masaccio: " . . . er
ließ auch die Farben so verduften, daß jedes Gebäude sich sehr täuschend dem Auge allmählich verliert" .
Dem widerspricht auch die Tatsache, daß schon Giotto seine Fresken in der Arena-Kapelle auf einen in
der Mitte stehenden Betrachter gut ausgerichtet hat. Vgl . hierzu White 1 957, 57ff; Bunim 1 940, 1 42;
Lindberg 1 987, 263 .
1 8 Gebser ( 1 96 6 , 24) weist auf die Bedeutur.g der E rweiterung der Zahl der Künste auf Acht hin. Er
kann aufweisen, daß in verschiedenen europäischen Sprachen eine G egenüberstellung von Acht und
Nacht existiert ( Acht, die das negierende N nicht besitzt) . "Die n -Iose A cht ist in allen Sprachen unbe­
wußter Ausdruck der Wachheit und Helligkeit, im Gegensatz zu der n-tragenden und dadurch negiert-
betonten Nacht; . . . " ( 1 966, 25) . Das gibt na­
türlich für weitere Spekulationen Anlaß: Ist
hierin vielleicht ein zusätzliches Motiv für die
Wahl des Baptisterium ( Taufkirche) als Ob ­
jekt zu sehen: Der Grundriß hat acht Seiten? Abb . 2 5 : Uccello : Perspektivische Studie eines Kelches Gebser führt eine andere immer wieder er­
- Voraussetzung für die spätere D igitalisierung der wähnte Schlüsselsituation für den Beginn der
perspektivischen Weltsicht ein: Petrarcas Be­
Bilder
steigung des Mont Ventoux, bzw. seinen Brief
darüber ( Gebser 1 966, 1 8ff) : " . . . die allseitige Bindung mit Himmel und E rde, die noch eine fraglose,
eine unperspektivische Bindung war, zerreißt in dem Augenblicke, da ein Teil der ' Natur' , durch seinen
persönlichen Blick räumlich aus dem Ganzen herausgelöst, zu einem Stück Land wird, das er schafft" .
Eben dieses Aussch neiden eines Sektors geschieht auch mit der S ehpyramide. Die Folgen sind die
glei chen .
-
19 in seiner Schrift "Divina proportione" ; vgl. Edgerton ( 1 976, 3 9 ) - Zum Wissenschaftstatus der Per­
spektive, der durch die Herauslösung aus dem Korpus der mittelalterlichen Metaphysik erfolgt, ist noch
dessen vielfältige Auswirkung anzumerken: Die Prospectiva wird zur neuen allegorischen Figur (vgl.
Edgerton 1 976, 9 1 ) . Diese hält ein Astrolabium in der Hand (Pollaiuolo 1 4 93 ) . - Nach E dgerton bestehen
nachweisbare Zusammenhänge zwischen dem Auftauchen des Ptolemäischen Atlas in Florenz und der
Entfaltung und Durchsetz ';J:ng der Zentralperspektive. Die Methoden der Cartographie und der Z entral­
perspektive weisen große Ahnlichkeit auf. So z.B die Gitternetztechnik, die sich nachweisbar in Masac­
cios Trinitätsfresko findet: Übertragung von kleinen Skizzen auf große Flächen, ohne Übersicht über die
Gesamtkomposition. VgL hierzu Polzer 1 9 7 1 , 18 - 59, insbes. 55 - 58. - Alberti zeichnete einen Stadtplan
von Rom (Edgerton 1 976, 1 1 5 ) .
Die Gitternetztechnik findet sich außerdem' bei Uccello . - Christoph
Columb us war mit Brunelleschi befreundet, der hinwiederum mit Toscanelli, dem Mathematiker, der in
einem Brief an den portugiesischen König eine neue Route zu den " Westlichen" Ländern vorschlägt.
-
2 0 vgl . E dgerton 1 976, 74 und 75 : "In other words, optics seemed the model by which God spread his
grace to the world. To understand the physical laws of optics meant that one might gain insight into the
very nature of God ! " .
58
4. Als das Bild zum Abbild wurde
4 . Als das Bild zum Abbild wurde
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für das Bild Gottes bei Meister Eckhart zu einer Qualität von Wissenschaft und einer Eigen­
schaft des Betrachters, der sich an Regeln der Wissenschaft hält2 1 .
Die Aufzeichnug des neuen Wahrnehmungsmodus verlangt nach Manetti Allgemeinheit.
Egal um welches Objekt es sich handelt, es kann nach den gleichen Modi dargestellt wer­
den.
Manetti 22 nun bezeugt, er habe die Tafeln, die Brunelleschi gezeichnet habe, mit eigenen
Augen gesehen23 und die Tafeln in Händen gehalten. Eine doppelte Versicherung für etwas,
was jedenfalls nicht leicht geglaubt wurde. Nicht nur gesehen haben will Manetti die Ta­
feln. Er hat sie berührt. Spricht das für die noch nicht volle Glaubwürdigkeit des Mit-ei­
genen-Augen-gesehen-Habens ? - Führen wir uns die Prozedur der Aufzeichnung des Bapti­
steriums vor Augen.
Die Aufzeichnung des Baptisteriums
Es spricht einiges dafür, daf� Brunelleschi in etwa so vorgegangen ist:
Er geht zunächst2 4 auf den Platz vor
dem noch unvollendeten Dom in Flo­
renz. Später wird er an diesem Dom sel­
ber weiterarbeiten, die Kuppel konstru­
ieren, selbsttragend. Er vermißt dort
das vor dem Dom stehende Baptisteri­
um. Überträgt die Maße in eine Grund­
riß- und eine Aufrißzeichnung. Der
. Aufriß zeigt die dem Portal des Domes
zugewandte Seite.
Das ist eine für damalige Architekten
meiner Kenntnis nach durchaus unge­
wöhnliche Verhaltensweise. Die Aufriß­
und Grundrißkonstruktion war zwar
Bestandteil des Könnens in den Dom­
bauhütten 2 5, diente aber der Konstruk­
tion, dem Aufbau. Brunelleschi aber
vermißt ein schon vorhandenes Ge­
. t
bäude, für das er keinerlei Bauauftrag
26
Abb. 26: Rekonstruktion Brunelleschi' s Frontalper- hatte. Eine Re-Konstruktion .
Schon
diese
Re-Konstruktion
erlaubte
spektive vom Florentiner Baptisterium
einen Vergleich mit dem "real-existie­
renden" Bauwerk und vorangegangenen Abbildungen, war doch das Baptisterium vielfach
21
22
Abb . 27: Reconstruction of Brunelleschi' s visual angle
Abb . 2 8 : Krautheimers Rekonstruktion
abgebildet. Die Schwierig­
keiten der Abbil dung waren
auch bekannt 27 . Es scheint
außerdem nicht unerheb ­
lich, daß Masaccio , mit
dem zusammen Brunelles­
chi ca. drei Jahre später das
Trinitätsfre sko konstru ­
ierte , zur Zeit der vermu­
teten Herstellung der Tafel
Prior in der Signoria von
Florenz war, als Repräsen­
tant des Viertels von San
Giovanni dessen Zentrum
( ! ) das Baptisterium ist 28 .
Das Banner dieses Viertels
zeigt das Baptisterium. Damit
bekommt die ganze Aktion von
Anfang an den Charakter einer
V orführung, einer demonstratio
ad oculos.
Es handelt sich bei der Wahl
des Baptisteriums auch in ei­
nem weiteren Sinn um eine Re­
Konstruktion: Es geht um einen
Rückgang auf die Antike, auf
römische Bauwerke als Vorbil­
der. Das Baptisterium wurde zu
j ener Zeit durchaus als rö­
misches, nicht als romanisches
Bauwerk verstanden . Der Ge­
genstand der ersten perspekti­
vischen Zeichnung, von der wir
Kenntnis haben, ist also in viel­
facher Weise ein Programm, ein
Muster für die von den Huma­
nisten betriebene Re- Form 2 9 .
Dafür sprechen auch Brunelleschis Reisen nach Rom.
Die Grund- und Aufrißzeichnung alleine aber hat wahrscheinlich, wie Edgerton in Kritik
an Krautheimers30 Rekonstruktion der Darstellung des Baptisteriums aufzeigt 3 1 , nicht
gereicht, um eine Vorstellung von der Überlegenheit einer perspektivischen Darstel-
vgl. hierzu Bellosi 1 987, 2 1 8f
ca. 1480; vgl. Edgerton 1 976, 125.
23
"I have had the painting in my hand and have seen it many times in those days, so 1 can give testim­
ony" (Manetti zit.n. Edgerton 1 975, 1 26 ) .
24 ca 1 425;
vgl. Edgerton 1 976, 1 24 .
25 vgl. Sellenriek 1987
2 6 Dies könnte man durchaus
nennt.
als ein Modell dafür sehen, was Lyotard die "Re-daktion der Moderne"
27 vgl. Gombrich 1 987, 132f.
28 vgl dazu Edgerton 1 976, 1 3 3 und die von ihm unter Anm. 14 angeführten Belege.
29 vgl. hierzu auch Gombrich 1 987, 1 1 4 - 1 3 5 . Hier geht es im Zusammenhang der Korrespondenzen
von Brunelleschi und Niccoli um die Reform der Schrift, die Wiedergewinnung der antiken Proportionen.
30
vgl. hierzu Edgerton 1 976, Anm.7, 1 85
3 1 vgl. Edgerton 1 976 , 129ff.
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4 . Als das Bild zum Abbild wurde
4 . Als das Bild zum Abbild wurde
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lungsweise zu erhalten, also einer Abbildung, die von einem zentralen Augenpunkt ausgeht.
Folgt man Krautheimer, so hätte Brunelleschi das Abbild des Baptisteriums alleine durch
Konstruktionszeichnungen gewonnen. Die spätere Präsentation des Abbildes hätte dann in
ihrer doch recht komplizierten Art bloßen Demonstrationscharakter gehabt, nicht die
Funktion Sehen und Zeichnen im Produkt gleichzusetzen.
Wenn Brunelleschi, wie von Kraut­
heimer (Edgerton 1 976 , 1 29 - 1 32 ) und
P anofsky ( 1 979, 3 78) angenommen
Diagram X- J
wird, zunächst Aufriß und Grundriß
des Baptisteriums gezeichnet hat, dann
wahrscheinlich, um seine Vorstellung,
sein geplantes Experiment mit Hilfe ei­
ner Spiegelung ein Abbild zu konstru­
ieren, besser zu plazieren. In einen Auf­
riß des Baptisteriums mit Eintragung
des Standpunktes des Malers/ des spä­
teren Betrachters läßt sich genauer die
vorhan dene Größe des Spiegels ein­
tragen und damit auch die erforderte
Größe der Tafel und der Distanz vom
Baptisterium.
Ich möchte diesen Details hier im
weiteren nicht nachgehen. Mir erscheint
wichtig festzuhalten, daß nur über eine
Kombination von vorhandenem geome­
trischem und architektonischem Wissen
und einem Experiment die "Erfindung
der Zentralperspektive" möglich war3 2 .
Dieses Experiment konnte im wesent­
Abb . 29: Edgerton: " . . . Brunelleschi most likely set up lichen nur gelingen über den Gebrauch
his twelve-inch-s quare mirror in the central portal . . "
des Spiegels.
( 1 976, 1 4 5 ) .
Brunelleschi befestigt nach E dgertons
Interpretation der Notizen von Manetti einen relativ kleinen ca. 30 x 30 cm großen Spiegel
auf einer Staffelei. Diese Staffelei stellt er in den Eingang des Domes. Er blickt dabei in
Richtung des Hauptaltars und steht somit mit dem Rücken zurIl Baptisterium. Der Spiegel
.
3 2 Das bestätigen auch die nach den Veröffentlichungen von Krautheimer und Panofsky entdeckten Vor­
zeichnungen für das Trinitätsfresko von Masaccio, dessen Konstrukteur Brunelleschi gewesen sein muß
(vgl. Sellenriek 1 9 87, 1 3 4 ) . Nach Sellenriek läßt sich daraus sogar deutlich ersehen, daß Alberti nicht als
unabhängiger Erfinder der perspektivischen Funktion der Diagonale in Betracht kommt. - Mit den Ana­
lys en Sellenrieks wäre auch die Polemik von Arnheim ( 1 978) gegen die Zuschreibung der "Erfindung
der Perspektive" an Brunelleschis widerlegt, da kaum anzunehmen ist, daß Brunelleschi , wenn er nur ein
geschickter Handwerker war, der ,über keine neuen Kenntnisse des perspektivischen Z eichnens verfügte,
in der Lage gewesen wäre, die Kasett�ndecke des Trinitätsfreskos zu konstruieren. Auch Wright bestätigt
die Rekonstruktion Edgertons, ohne sie zu nennen (vgl. 1 983, 55ff) - Es scheint sich also zu bewahrhei­
ten, was Vasari .�ber Biunelleschi schreibt: " Filippo beschäftigt sich viel mit Perspective, worin man da­
mals gar keine Ubung hatte, und eine Menge Dinge falsch ausführte. . .. bis er eine vollkommen richtige
Methode fand, nämlich die von Grundriß und Profil ausgeht und sich durchschneidender Linien bedient
. . . Vornehmlich lehrte er diese Kunst dem Maler Masaccio , seinem Freunde . . . , wie die Gebäude in
seinen Gemälden bezeugen" ( Vasari 1 837, 1 70f) .
ist in der Höhe so angebracht, daß ein Auge Brunelleschis sich etwas unterhalb der Mitte
spiegelt. Dieser Punkt ist auf dem Spiegel markiert und kann wiedergefunden werden. So
stehend, sein Gesicht im Spiegel, das zu zeichnende Objekt im Rücken, markiert
Brunelleschi die wichtigsten Punkte auf dem Spiegel . Diese kann er dann verbinden und
diese Vorzeichnung auf eine ebenfalls in gleicher Höhe daneben auf der Staffelei befestigte
Tafel übertragen. Er kopiert das Spiegelbild unter Weglassung des eigenen Gesichts auf die
Tafel. Nur wenn er sich zur Seite wendet erscheint das gespiegelte Bild des Baptisteriums
vollständig im Spiegel. Dann sieht Brunelleschi aber vom "falschen" Punkt aus. "Richtig"
sieht er dieses Bild aber nur, wenn er sich wieder vor den Spiegel stellt. Dabei hinwiederum
verdeckt er Teile des zu zeichnenden Objekts. Er kann nur mittels des Wechsels der Fixie­
rung des Augenpunktes mit dem rechten und dann mit dem linken Auge allmählich das
Bild vervollständigen. Aber auch das kann nur mit Hilfe des vorher angefertigten Aufrisses
gelingen. Er erhält so ein seitenverkehrtes Bild des Baptisteriums.
Während dieser Prozedur hilft ihm wahrscheinlich die relative Dunkelheit des Eingangs
( -tunnels) , seine Konzentration aufrechtzuerhalten. Außerdem wird durch die seitliche Ab ­
schirmung des Lichtes das Spiegelbild deutlicher, der Spiegel hebt sich besser von der Um­
gebung ab.
Der von Brunelleschi benutze flache Spiegel aus Glas, das mit einer Bleischicht auf der
Rückseite versehen ist, war zur damaligen Zeit ein höchst seltenes und kostbares Gerät33.
Dieses neue technische Gerät, von den Malern schon lange ersehnt, lag wahrscheinlich kaum
in größeren Varianten vor.
Die Benutzung des Spiegels aber führt nicht unmittelbar zum Abbild, wie man leicht
meinen könnte. Oft wird irrtümlich angenommen, daß der Spiegel automatisch ein zwei­
dimensionales Bild einer dreidimensionalen "Realität" liefere. Die Spiegelfläche ist zwar
zweidimensional, das Spiegelbild selber ist aber nicht auf dieser Oberfläche. Das kann man
leicht mittels einer Spiegelreflexkamera nachvollziehen: Es wird dann deutlich, daß im
Spiegelbild naheliegende Gegenstände anders akkomodiert werden müssen, wie weiter ent­
fernte Gegenstände . Das Abbild ist auf eine immer wieder faszinierende Weise �im Spie­
gel" . Man könnte nun sagen, daß derart durch die Benutzung eines Spiegels im Hinblick
auf eine Hilfe beim Zeichnen nichts hinzugewonnen würde . Alleine aber schon durch die
Rahmung des Blickfeldes in einem Ausschnitt wird eine höhere Aufmerksamkeit provo­
ziert, Außerdem verfremdet die Seitenverkehrung im Spiegel den unmittelbaren Eindruck
und schafft Distanz. Je kleiner der Spiegel ist, umso mehr wird auch die Hauptsehachse
beibehalten. Der Spiegel Brunelleschis war relativ klein.
Nach Manetti war Brunelleschi klar, daß eine naturgemäße Wirkung, eine Simulation
des einen Blicks auf das Baptisterium durch eine Abbildung nur erreicht werden konnte,
wenn dem Betrachter ähnlich strenge Regeln der Betrachtung auferlegt würden, wie dem
Produzenten des Bildes. Um das zu erreichen, dem Betrachter dabei behilflich zu sein, legte
Brunelleschi die Betrachtungsweise technisch fest. Die Weise der Betrachtung hebt die Ver­
kehrung wieder a�f. Er bohrte durch die Tafel genau im Augenpunkt ein Loch. Zur Bild­
seite hin war die Offnung nach Manetti gerade so groß wie die Linse des Auges, zur Rück­
seite hin etwas größer.
Das Loch selber war also kegelförmig. In derselben Distanz, nämlich ungefähr einen Arm
lang, die bei der Produktion der Maler von der Tafel gehabt hatte, hält nun mit der ande­
renfreien Hand der Betrachter eben jenen Spiegel in der Hand, der von der Spuren der Vor
33 vgl. hierzu Hartlaub 1 9 5 1 , 42f und Roche
u.
a. 1 986, 1 Off.
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4 . Als das Bild zum Abbild wurde
4. Als das Bild zum Abbild wurde
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zeichnung befreit war. Dabei
wird die Entfernung des Spie­
gels vom Gesicht gesteuert
durch die schon fertige Zeich­
nung' die sich unmittelbar
vor dem Auge befindet: Der
Spiegel wird dann in der
richtigen Entfernung gehal­
,
t
ten, wenn er genau das Bild,
:
das er spiegelt aufnimmt. Der
t
- - - .j
Betrachter steht nun mit dem
Rücken zum Hauptaltar des
D omes und blickt in Rich­
tung des Baptisteriums. Aber
ebensowenig wie vorher Bru­
nelleschi kann er das Baptisterium sehen, denn er blickt
von
hinten durch das kleine
Abb. 30: Schema des p erspektivischen Betrachtungsgerätes von
Loch der gezeichneten Tafel in
Brunelleschi .
einen Spiegel, der das Bapti­
sterium verdeckt. Und er sieht es dennoch. Denn im Spiegel spiegelt sich die Tafel mit dem
Baptisterium. Der obere Teil der Tafel ist zusätzlich noch so präpariert, daß sich in ihm die
über dem Dach des Baptisteriums vorbeiziehenden Wolken direkt spiegeln können. Das
Abbild ist also unterteilt in eine sozusagen eingefrorene Spiegelung und eine aktuelle Spie­
gelung. Die aktuelle Spiegelung besteht aus dem sich spiegelnden Himmel und dem sich
spiegelnden kleinen Augenpunkt des Betrachters .
Der Betrachter ist mit seinem eigenen Auge im Abbild. "The peep-hole in the back of the
panel, Brunelleschi may weIl have explained, acts like the pupil in the eye itself, while the
mirror represented the sensitive anterior membrane of the crystalline lens . Thus the obser­
ver could imagine hirnself, as he was led through this demonstration, to be looking into an
actual eye through its pupil, to be observing the image being formed in the way that the op­
tical scientist adduced" (Edgerton 1 976, 1 52) .
Der Blick in das eigene Auge ist das eine wichtige Moment: Über die Darstellung der äu­
ßeren Welt wird die Frage nach dem Vorgang der Abbildung im Inneren eingeleitet, der
Vorgang der Abgrenzung von außen und innen selber. - Das kleine Loch gehört zum Modus
des Oralen. - Der andere Aspekt, der ohne die Verwendung des Spiegels wenig plausibel
wäre, ist der Vorgang der (fast) selbstätigen Abbildung der Umwelt, eines Automatismus,
der in der Photographie g ipfelt. "Jene praktischen Verfahren der Bildwiedergabe stehen in
einer charakteristischen Ubereinstimmung mit der Cartesischen Dioptrik und darüber hin­
aus mit den wissenschaftlichen Grundüberzeugungen der Neuzeit bis ins 1 9 . Jahrhundert.
Die heimliche Grundabsicht war, die Bildsprache zu einer 'Natursprache34 , werden zu las­
sen, die sich selbst ausspricht, welches Ziel mit della Portas camera obscura im Dienste
der Maler anvisiert und mit der Erfindung der photographischen Platte schließlich erreicht
wurde" (Boehm 1969, 32 ) . Diese Platte ist sozusagen ein registrierender Spiegel, ein em--- --- - - - _ . - - -. - .. - . - - ,
,
,
34 Dies im Unterschied zum Mittelalter, wo Bilder in einer ganz anderen Weise Sprachcharakter hatten:
Sie waren S chriftersatz : "Bil der sollten nach Möglichkeit gestalthafte Wort-für-Wortüb esetzungen s ein.
Sie sollten den Augen gerade soviel mitteilen, als in den Texten den Ohren mitgeteilt ist, . . . " (perrig 1 987,
64 9f) .
pfindlicher Spiegel, der auf chemische Weise mit Entdeckung des Chlorsilbers, die Netz­
haut außeralb des Körpers simuliert. Das Bild Eckhartschen Verständnisses verschwindet
zugunsten einer Ursache-Wirkungsbeziehung zwischen abzubildendem Gegenstand und
Abbild. Der Wechselwirkungsrozeß ist nicht durch Einbildung verstellt. - Nach derselben
Struktur ist vielleicht auch die naturgemäße Erziehung gedacht. Und diese ist ebenso
künstlich, wie das oben aufgezeigte Verfahren, wenn sie etwas bewirken will. Ansonsten
bleibt sie eine Illusion35 .
Es fällt - so sagt man - ins Auge, daß hier so getan wird, als sei der Mensch in direkter
Verbindung mit der Natur: Über die Sehstrahlen. Die Natur verursacht das "Bild", das der
Mensch sieht. E r kann nicht anders gemäß des neuen Standards. - Es findet aber "heim­
lich" eine Auswahl unter den Sinnen statt. Die Wahl fällt auf das Auge, weil dieser Sinn
sich am besten steuern läßt3 6 . Gleichzeitig wird der Vorgang auch wie ein Tasten vorge­
stellt. Die Sehstrahlen tasten das Objekt ab. Sie hinterlassen Spuren auf der Tafel.
Zur nachhaltigen Bedeutung der Experimente Brunelleschis
Manetti berichtet nicht nur über Brunelleschis Konstruktion des ersten zentralperspekti­
vischen Bildes, der Abbildung des Baptisteriums in Florenz . Im Bericht gleichwertig
kommt die Vorführung des Ergebnisses dieses Abbildens vor.
Das Verfahren ist kompliziert und der Bericht von Manetti ist zugegebenermaßen nicht
ganz deutlich. Erstaunlich ist dennoch, daß sich bis auf den heutigen Tag immer wieder
Wissenschaftler mit ganz unterschiedlichen Ergebnissen mit diesem Experiment beschäf­
tigen. Sie unterscheiden sich im Detail, wie in der Gesamteinschätzung. Wie wir sahen, be­
zieht sich die ,Bemühung um die Rekonstruktion im wesentlichen auf die konkrete Durch­
führung des Experiments (und manchmal auch der Vorführung des Ergebnisses ) .
Bei diesen Rekonstruktionen - besonders i m kunsthistorischen Zusammenhang - wird
aber aus einer späteren Sicht heraus beschrieben, aus einer Sicht, der die Beschreibungen
und weiteren theoretischen Ausarbeitung von Alberti, Vasari und Leonardo u.a. bekannt
sind. Sie stellen das Experiment Brunelleschis eindeutig in den Zusammenhang einer spä­
teren Präzisierung der Methode des zentralperspektivischen Zeichnens37.
35 Auf die Illusion der Natürlichkeit, die auch in der Illusion einer gewaltlosen Erziehung beinhaltet ist,
weisen auch Bourdieu/Passeron hin: ",Die Ideologien der PA (pädagogischen Aktion, K1P ) als einer ge­
waltlosen Aktion - handele es sich nun um die sokratischen oder neosokratischen Mythen eines weisungs­
losen Unterrichts, die rousseauistischen Mythen einer natürlichen Erziehung oder die p seu dofreudia­
nischen Mythen einer nicht-repressiven Erziehung - zeigen die Gattungsfunktion der pädagogischen Ideo­
logien in ihrer klarsten Form, indem sie . . . dem Widerspruch zwischen einer objektiven Wahrheit der PA
und der notwendigen ( unvermeidbaren) Vorstellung dieser willkürlichen Aktion als einer notwendigen
( 'natürlichen ' ) aus dem Wege gehen" ( 1 97 3 , 22f) . - Was das im Rahmen der Diskussion von Bildungs­
theorie bedeutet führt Koring 1 988, 2 75ff aus . - In der Struktur der Abbildung wird dem perspekti­
vischen Verfahren und der in ihm liegenden Tendenz zum Automatismus als einem Bürgen für die Rich­
tigkeit noch ein ganz anderes pädagogisches Vorgehen ähnlich: Das Auswendiglernen (vgl. dazu Schwenk
1 974, 1 1 - 22 ) .
36 " Perspektive bedeutet Anpassung der Dinge an das Auge des Betrachters. Die Obj ekte im Bild erleiden
einen Verlust an E igengesetzlichkeit, und das Gesetz der Darstellung wandert von jenem zum aufneh­
menden Subj ekt. . . . Der Mensch als Empfänger des Bildes verwandelt sich in das neu eingegrenzte Indi­
viduum, auf das die Bildstruktur abzielt, weil erst in seinem Auge die Linien der Darstellung zu einem
sinnvollen Ganzen werden" (Schweitzer 1 95 3 , 1 8 ) .
3 7 Auf die " Rationalisierung" der Methode von Brunelleschi und Masaccio durch Alberti weist auch Aiken
( 1 986, 265 ) hin: Gegenüber der Vereindeutigung und Theoretisierung durch Alberti bezeichnet er Ma-
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4 . Als das Bild zum Abbild wurde
4 . Als das Bild zum Abbild wurde
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Die Frage lautet bei diesen Untersuchungen etwa so: Wie ist denn wirklich die Erfindung
der Zentralperspektive durch Brunelleschi verlaufen? Es geht fast nur um einen Nachvoll­
zug der Faktizität des sozusagen "empirischen� Vorgehens Brunelleschis, um auf diesem
Wege dem Geheimnis des perspektivischen Sehens auf die Schliche zu kommen, weil dieses
Sehen wohl immer noch trotz des hohen Vertrautheitsgrades etwas Unheimliches, etwas Ir­
ritierendes, etwas Faszinierendes behalten hat.
Diese Fragerichtung ist immer nur a posteriori möglich. Denn wir kennen das Verfahren,
wir kennen es gar so gut, daß uns eine andere Art naturgemäßen Abbildens schwer vorstell­
bar ist: diese ist uns selbstverständlich geworden. Es ist schwierig, von der Bekanntheit ab­
zusehen. Die Fragen und ihre Antworten rutschen immer wieder auf die Schiene des Be­
kannten und dennoch bleibt ein Rest an Unverständnis, an Unverstandenem, Der Rest
führt zu Wiederholungen.
Pointiert gesagt: Der perspektivische Blick auf den perspektivischen Blick hat es schwer
den Rest zu verstehen.
Neben dem perspektivischen Blick
Es gibt allerdings mittlerweile Denkformen, die auch die Abspaltungsprodukte des per­
spektivischen Blicks auf die Welt miteinzubeziehen versuchen, da die Kosten dieses diffe­
renzierten und eingeschränkten Blicks auf die Weh deutlich geworden sind. Als eine solche
Denkform gilt mir die Freudsche Psychoanalyse, insbesondere in den Reformulierungen
bei Lacan. Mittels der in der Psychoanalyse enthaltenen Reflexionsvorschlägen möchte ich
folgende These plausibel machen:
Abb . 3 1 : Carracci: Perseus tötet die Medusa, ihr Spiegelbild im Schilde Athenas ins Auge fassend. C arracci ( 1 5 60- 1 609 ) nimmt ein mythologisches Thema wieder auf. Reflexion schützt vor Gefahr.
Die Prozedur der perspektivischen Abbildung ist von Bildern durchsetzt, die aber mittels
der neuen Form selber nicht mehr dargestellt, wahrgenommen und tradiert werden kön­
nen. Diese Bilder gehen in die Produktion von Unbewußtheit ein, das in dieser Form mit
der neuen Autonomisierung des Individuums, mit seiner Subj ektwerdung einhergeht3 8 .
Eines dieser "Bilder� ist vielleicht das Oszillieren vor dem "Objekt� .
Beim Abbilden entsteht gemäß dieser These nicht nur das intendierte Abbild, sondern es
fallen beim Hersteller wie beim Rezipienten Bilder an, es bleiben Bilder bestehen, die keine
sichtbare, bewußte Repräsentations form mehr finden, aber dennoch nicht einfach unter­
gehen.
Ich will damit auch
sagen, daß mit den spä­
/
I
teren Theoretisierungen
!t
und Formalisierungen
des p e rsp ektivischen
Sehens und Z eichnens
weniger und mehr ge­
meint ist, als Brunel­
leschi tat. Das Mehr zu
bestimmen ist noch re­
lativ einfach: Es liegt in
der Stringenz der Dar­
stellung der Methode, in
den Vereinfachungen,
in der Rationalisierung
in des Wortes mehr­
facher Bedeutung. Das
Weniger liegt darin,
daß die Situation der
V orführung des Ergeb­
nisses wegfällt, daß die
Reste der alten Methode
des Abbildens in der
Abb. 32: Wolfgang Mattheuer: Draußen, drinnen und Ich ( 1 986) .
weiteren D isku s - sion
und der Formalisierung
wegfallen, daß die D arstellung auf dem Niveau eines neuen Paradigmas des Sehens erfolgt,
das um die Reste bereinigt ist, so daß z. B. der Spiegel und damit der Narzißmus als kon­
stitutives Moment der Abbildungsgewinnung selber nicht mehr auftaucht, sondern ledig­
lich als ein Hilfsmittel der Konstruktion, als ein Verfremdungsmittel, zur Optimierung der
Abbildung (Leonard039) , oder noch heutigentags als Teil eines Apparates (z. B. der Spiegel­
reflexkamera) erhalten bleibt.
Einschub : D iese Folgerung gilt natürlich erst einmal nur für den technisch-methodischen
Aspekt des Abbildens und der Konstitution des bürgerlichen Subj ekts, das dem Objekt im
Bewußtsein distanziert gegenübertritt.
In der Malerei bleibt und wird der Spiegel neu Gegenstand der Darstellung.
Bei der vorwiegend auf Abbildungstechnik bezogenen Auffassung der Spiegelung geht
verloren, daß Brunelleschi die Schwierigkeit meistern mußte, daß er selber immer wieder
.
3 8 Wahrscheinlich wähle ich damit eine Betrachtungsweise, die in einem ähnlichen Verhältnis zum Ex­
saccios Vorgehen als "a wild patchwork of graphie techniques. The Trinity fresco also shows that this new
artist' s method depended as much on raiding the acient an medieval tradition of mathematical graphics as
on perceptual or apperceptual acuity".
periment Brunelleschis steht, wie seine Theoretisierung bei Alberti, Pierro della Francesca, Leonardo und
folgenden .
39 Leonardo empfiehlt in seinen Notiz en, das fertige Bild sich im Spiegel anz usehen, damit Fehler deut­
licher hervortreten .
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4. Als das Bild zum Abbild wurde
4 . Als das Bild zum Abbild wurde
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im Spiegel erschien, bzw. ein Teil von ihm, sein Kopf in der Vorderansicht, sein Gesicht.
Sein Gesicht wird erst wirklich dabei zum Ge-Sicht. Selbst im Resultat seiner Konstruktion
war dieses Spiegelungsmoment noch erhalten, das sich nicht nur auf die Umkehrspiegelung
seines fertigen Abbildes des Baptisteriums bezog, sondern auch auf die Spiegelung wieder­
um eines kleineren Teil des Gesichts, des äußerlich sichtbaren Zentrums des Auges, der Pu­
pille, streng genommen sogar einen Blick freigab ins Innere des Gesichtszentrums, des
Auges4o.
Was hat das alles mit (ästhetischer) Bildung zu tun ? - Ein Hinweis.
leh habe versucht die Begriffe Bild und Abbild auseinanderzuhalten. Das entspricht aber
nicht dem allgemeinen Sprachgebrauch. Wenn im pädagogischen Zusammenhang von Bil­
dung gesprochen wird und der Wortbestandteil Bild dabei überhaupt noch realisiert wird,
dann liegt eine Assoziation in der Richtung dessen nahe, was ich unter Abbild verstehe. Die
Assoziation liegt um so näher, j e stärker sich die "symbolische Form der Perspektive" , also
, :p; !ozesse " von Rationalisierung, Aufklärung, Mathematisierung oder V erwissenschaft­
, lich,:ung im Öffentlichen Alltagsleben durchgesetzt haben. In diesem Prozeß werden j a
:"automatisch" die Bilder z u Abbildern und die Pädagogik wird zur E rziehungswissen­
, , sch aft.
Der Gebrauch des Bildungsbegriffs steckt also in einem - zumindest - konnotativen Di,' lemma: Einerseits kann beim Gebrauch wohl kaum die vorperspektivische Vorstellung von
Bi�d und Bildung assoziiert werden, da dies nicht die Bilder sind, die den Alltag bestim­
men : Hinzu wird in den Rekursen auf die Geschichte des Bildungsbegriffs in pädago­
gischeri Zusammenhängen Meister Eckhart zumeist als Mystiker (v)erkannt41 , der Bruch
züm ra,tionalen Verständnis wird damit verstärkt. Andererseits hat der Bildungsbegriff,
seit er in der Pädagogik der Neuzeit wieder gebraucht wird, immer auch oppositionelle, wi­
de�ständige Motive ( nicht nur, aber auch ! ) gegen eine Rationalisierung der Kindererzie.' hung. Er kämpft um ein Mehr, um ein Anderes, was wichtig sei, um leben zu können, gera­
, �e, in der rationalisierten Welt. Ich möchte nun einer neuen Theoretisierung des Bildungs­
begriffs zusätzliche Mittel zur Verfügung stellen, die zwar nicht immer ausgesprochen wer­
den, aber in seinem Zentrum angelagert sind, wenn man seine Struktur und Genese be­
trachtet. Es geht also nicht um ein Additum: Der Begriff "Bild" steht hier nicht für mehr4 2
ästhetische Bildung. Dies bliebe bei den Vor- und Nachteilen einer Kompensation, die
meist einer Kulturkritik entstammt.
Wird im Zusammenhang von Kulturkritik ästhetische Erziehung oder Bildung hochge­
h �lten, , läuft dies auf eine Stärkung von Subjektivität hinaus, gegen die Üb ermacht der
"Objektivitatszumutungen der überlieferten Kulturformen " . Das "Asthetische " , die Kunst
werde dabei der Subjektivität zugeordnet, wie Mollenhauer verkürzend schreibt ( 1 984,
443 ) . Richtig gesehen ist, daß hier etwas außerhalb des schon formierten geblieben ist,
JO' ysl- dazu Edgerton 1 976, 1 52: Diese Stelle brachte mich auf die Idee : Die Anordnung die Brunelleschi
zur 'Uberptüfung der Richtigkeit s einer Z eichnung des Baptisteriums aufbaut, kann man verstehen, wie
ejnen Blick durch die Pupille ins Innere des Auges. Vielleicht könnte deshalb auch hier eine Geschichte
des Blicks in das Innere des Körpers beginnen, der versucht ohne ein Aufschneiden auszukommen, z. B.
eine : Geschichte des Röntgens.
41 s. o. Kap. 3
42 im quantitativen Sinne
daß dies i n der Kunst vielleicht noch einen Ort hat43 . Zutreffend ist das ein wichtiges Mo­
ment des Bruchs oder der ,.,Kluft", wie Mollenhauer sagt, zwischen ,.,dem sich bildenden Ich
und den zwar raffiniert, aber fremd erscheinenden Produkten der herrschenden Kultur" ge­
rade konstitutiv für die moderne Subj ektivität ist. Der Bruch ist keiner allein auf der Linie
zwischen Subjekt und Objekt, sondern geht mitten durch beide hindurch. Auf diese zweite
Kluft möchte ich aufmerksam machen. Dieser Bruch, so möchte ich deutlich machen, ge­
hört zur condition humaine und tritt seit der Renaissance schärfer hervor denn j e, weil sie
sich dieses Bruches bedient um produktive Spannungen zu erzeugen44•
Seit eine gesellschaftliche Entwicklung ahnbar war, die etwa Lukacs oder Adorno, in an­
derer Weise Simmel als Verdinglichung bezeichnen, so läßt sich jetzt mit den Worten Mol­
lenhauers fortfahren: ,.,seit Schillers ' Ästhetischer Erziehung' also, hat es immer wieder na­
hegelegen, einen Ausweg oder eine Kompensation über Konzepte der ästhetischen Bildung
und Erziehung zu suchen, weil derartige Konzepte zu versprechen schienen - über Katego­
rien wie ' Form ' oder ' Stil' - das Nicht-Prognostizierbare des subj ektiven Ausdrucks den­
noch in die obj ektiven Verhältnisse der Kultur einfädeln zu können; das machte sie - die
Kunsterzieherbewegung, die neukantianische und die geisteswissenschaftliche Pädagogik,
die ästhetische Theorie des Bauhauses, die anthroposophischen Kunstauffassungen - für
Pädagogen empfehlenswert" . Sinnentätigkeit als neuer Ausgangspunkt für Bildungspro­
zesse, als Ausdruck der inneren Natur.
Mollenhauer geht von dieser zu recht skeptischen Einschätzung aus den Weg über die Dif­
ferenzierung ästhetischer und nicht-ästhetischer Urteile von Kant zu Schiller, über den da­
raus sich entwickelnden Symbolbegriff und weist darauf hin, daß eine Symbolisierung, die
dem Anspruch an Repräsentation von Subjektivität gerecht werden könnten, das Niveau
der Produkte künstlerischer Tätigkeit in der Moderne nicht allzuweit verfehlen dürfte . Ins­
besondere sei deren existentielles Risiko nicht zu umgehen. Diesen Risiken gegenüber neh­
men sich ,., die pädagogischen Veranstaltungen - ' Zeichenunterricht' , ' Genius im Kinde' ,
' ästhetische Kommunikation' , Didaktik der 'Waren- Ästhetik' usw. - wie Dressur-Akte,
wie kleine Zirkus-Nummern" aus . ,.,Jenes Risiko indessen, das mit dem Weg verbunden
ist, eine kulturell eingespielte Symbolik zu transformieren, ohne dabei den Bezug zum
'nicht-konfrontierten Spüren' zu verlieren, könnte nur dann auch Sache von 'Pädagogik'
sein, wenn diese ihren Normalitätsentwurf aufgeben würde. Dergleichen aber ist, so scheint
mir, nicht in Sicht" (Mollenhauer 1 988,452f) .
Ich versuche einen anderen Weg:
Die Verstopfung des kleinen Lochs
In der auf Brunelleschi folgenden Geschichte des zentralperspektivischen Abbildens wird
das kleine Löchlein in der Bildmitte, das den Augenpunkt präsentiert, weggelassen, elimi­
niert, verstopft. Das Bild ist geschlossen. Es ist Abbild. Der Blick wird äußerlich. Auch die
Ausrichtung des Blicks auf Innenansichten macht das Gesehene äußerlich, zum Objekt. Ge­
lingt diese Obj ektivierung nicht - ein Beispiel hierfür werden wir in den ,.,Denkwürdig­
keiten" Daniel Paul Schrebers kennenlernen45 - besteht die Gefahr des Wahnsinns, der
43 Mit sehr ähnlichen Intentionen schreibt z. B. Rumpf 1 987, 47ff
44 siehe ausführlicher dazu Kap. 5
4 5 vgl . hierzu Kap. 9
4 . Als das Bild zum Abbild wurde
68
4 . Als das Bild zum Abbild wurde
69
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Blick richtet sich auf die Nerven selber; sie gehen ohne Grenzen von innen nach außen und
umgekehrt. Es scheint kein Mangel mehr zu herrschen.
Gegen das Verrücktwerden schützt in manchen Situationen die Vermeidung des Blicks in
den Spiegel 46 . In vielen Gegenden werden heute noch die Spiegel verhangen, wenn ein To­
desfall die Gemeinschaft bedroht hat47•
Mit der Verschließung des kleinen Lochs im Augenpunkt des Bildes, durch das in einen
Spiegel gesehen wurde, wird gleichzeitig auch die Seitenverkehrung aufgehoben. Das Ab ­
bild wird konstituiert als Spiegelbild des Spiegelbildes. Die Gefahr, der Narzissos ausge­
setzt war, wird scheinbar vermieden. So konstituiert sich das Objekt unter geometrischen
Regeln.
Der Betrachter steht vor dem jetzt fertigen Abbild, er muß es nicht selber durch eine Akti­
vität seinerseits fertigstelIen, meint er, sprich umkehren und durchblicken. Ein Rest des
Durchblicks vor der Produktion des perspektivischen Bildes hat sich heute nur noch im
Blick durch den Sucher der Spiegelreflexkamera erhalten. Hier dient der Blick durch den
Sucher aber der richtigen Quadrierung des Objektes im Sehfeld. Für den Vorgang der Auf­
nahme selber wird der Spiegel weggeklappt. Der Betrachter spiegelt sich nicht mehr in
einem Teil seiner selbst. Die Spiegelung wandert in die Konstruktion ein und verschwindet
dort: Der Betrachter ist über die Transformation mittels geometrischer Gesetzmäßigkeiten
im Abbild. Sein Standpunkt läßt sich bei Kenntnis der Brennweite rekonstruieren. Aber
dies ist nicht nur und erst bei dieser maschinisierten Form der Abbildung der Fall.
An Brunelleschis Experiment ist der enge Zusammenhang zwischen einer Spiegelung
seiner selbst und der Spiegelung dessen, was abgebildet wird, noch sichtbar. Selbstreflexi­
on und Abbildung sind ein Vorgang. Beide Momente des Vorgangs überschneiden sich,
durch Kunstgriffe wird die Interferenz ausgeschaltet. Dabei wird der Produzent nur noch
durch die Augenhöhe in seiner Körpergröße repräsentiert und sein Auge im Augenpunkt.
Gleich zu Beginn dieses Momentes im Prozeß der Individualisierung muß allerdings so et­
was wie die durchschnittliche Größe des Betrachters mitgedacht werden. Es setzt im Kern
der Individualisierung eine Verallgemeinerung ein.
Im Sinne der Spiegelung ist das Abbild zunächst an einen bestimmten, allseits bekannten
Ort gebunden, ansonsten kann die Fertigkeit des Malers nicht überprüft werden. Ohne
schon vorhandene Obj ekte spiegelt sich nichts, kommt nichts aufs Bild. Will über das bloß
V orhandene hinaus etwas ausgesagt werden, müssen zwei Richtungen eingeschlagen wer­
den: Die Welt der Objekte wird arrangiert speziell für die 'geplante Bedeutung dieses Abbil­
des und der Spiegel wird durch geometrische, wissenschaftliche Gesetzmäßigkeiten substi­
tuiert' so daß prinzipiell Alles und noch mehr jedenfalls in Ausschnitten dargestellt werden
kann .
4 6 An dieser Stelle möchte ich eine weitere ausführliche Studie über Brunelleschi ' s Experiment erwäh­
nen, die der Historiker Martin Kemp ( 1 97 8 ) vorgelegt hat. Er bestreitet darin alle vorangegangenen Re­
k �nstruktionen und legt eine neue vor, die im wesentlichen auf geometrischen Überlegungen, kombiniert
mit dem gesunden Menschenverstand ( "evidence " ) , beruht und sich gegen Spekulationen ( ! ) wendet. Er
bestreitet insbesondere den von Edgerton beschriebenen Gebrauch des Spiegels bei der Konstruktion.
Sein Vorschlag, der sich aus Landvermessungsmethoden ableitet, ist aber nur eine Präzision ( 1 978, 1 4 4f)
und macht deutlich, wie Brunelles chi die Schwierigkeiten gemeistert haben könnte, daß sich b eim
seitlichen usweichen vor dem Spiegel seine Blickrichtung verschiebt. - "The image of a mirror is a very
.
shppery
thmg" ( Kemp 1 978, 1 48 ) . Aus diesem Grund wählt Kemp eine Rekonstruktionsmethode, die an
Poppers Falsifikationspostulat orientiert ist (vgl. Feyerabends schlagende Kritik 1 976) und damit für
Brunelleschi eine Denkweise supponiert, die zweifelsfrei in der Renaissance so noch nicht ausgebildet
war.
�
47 siehe Handwörterbuch des Aberglaubens, Bd. IX, 547 -577
Herauslösun g aus der Metaphysik des Sehens
Die Herauslösung des Individuums, die Unterscheidung von Subjekt und Obj ekt, wird
erst durch eine Herauslösung der Perspektivtheorie aus der Metaphysik möglich. Erst in
der zum Algorithmus gezähmten Form kann die Spiegelung in den Dienst der Unterschei­
dung von Subjekt und Obj ekt treten. Davor war sie als Katoptrik (die Lehre von der Spie­
gelreflexion) Paradigma für die Einflüsse, denen alle Dinge und auch Menschen unter­
liegen. In der mittelalterlichen Vorstellung des Sehens sollte gezeigt werden, wie dieselbe
ansonsten verborgene Naturkraft unterschiedlich wirkt, je nach Verschiedenheit dessen,
worauf sie trifft und damit wirkt48 . Dabei sind aber gleichzeitig alle Dinge und Menschen
in das göttliche Licht eingetaucht. "Das Mittel der Einheit sind die ' influentia' des Seins,
welche sich von oben nach unten verbreiten und durch die Seienden weitergegeben werden.
Im Licht gießen sich die Formkräfte der himmlischen Körper in die Hierarchie der Dinge
aus. Indem es so an seinem Ursprung bleibt, aber als Vermittlungs kraft sich zugleich in die
Ausdehnung der Körper erstreckt, wird es zum Strahl49, auch darin Abbild des göttlichen
Lichtes, das sich ausstrahlt. . .. " (Boehm 1 968, 147)5 0 . Eine Trennung in eine isolierende
Subjekt-Objekt Beziehung findet in dieser Vorstellung keinen Platz51 .
Mit welchen Mitteln wird die Herauslösung des Sehens aus der mittelalterlichen Ordnung
vorangetrieben? - Es wird eine Illusion hergestellt.
Denn: Brunelleschis Experiment dient der Herstellung einer illusionären Wahrnehmung.
Dadurch überzeugt es. Wesentlich bei dieser Herauslösung, bei der Herstellung der Illusion
ist der Spiegel, den Brunelleschi zweifach benutzt. Einmal bei der Produktion und einmal
bei der Präsentation des Ergebnisses . Hilfsweise wird ein dritter Spiegel eingesetzt: Die
spiegelnde Fläche über dem gemalten Baptisterium. Das gerade modernisierte Hauptin­
strument der antiken Optik, der Spiegel, der zum perfekten flachen Spiegel gemacht wer­
den konnte, bildet den Katalysator5 2. Die Optimierung des Spiegels besteht aber nicht nut
48 vgl . Boehm 1 968, 1 47.
4 9 an dieser Stelle verweist Boehm auf Witelo.
50 vgl. dazu den Brauch der "Heiltumfahrten" in Goldberg ( 1 9 8 5 ) , 1 3 8f. : " . . . Germany, in particular, not
anly catered to the wealthy but made a great number of mirrors for the religious trade, an enterprise that
ple�sed the devout, who, every seven years, took part in holy pilgrimages, or Heiltumfahrten, to designated
shrmes . Thc most important shrine was in Aachen. There, at the Liebfrauen Cathedral, we displayed the
four most sacred relics of Christianity: the Virgin' s garment, the swaddling clothes of the Infant, the loin
clo �h of Christ, and the kerchief of St. lohn the Baptist. The holy nature of mirrors lay in the manner in
whlch they were employed by the pilgrims. They would hold these mirrors up to the sacred relics to catch
them in a reflection. When they returned to their villages, they exhibited their mirrors to friends and
relatives, boasting that they had brought back physical evidence as weIl as the inspirational qualities of
their pilgrimage because their mirrors had captured the reflection fo the sacred scene . . . The manufacture
of thes e mirrors was untertaken by 10hannes Gutenberg, the inventor of movable type . This is
docu � ented in a lawsuit that arose as a result of unexpected financial difficulties . Gutenberg and his
a: soclates formed a business to exploit an Aachen pilgrimage scheduled for 1439. But to their dismay the
.
pllgnmage was postponed to the fol lowing year. Because there were money problems the p artners
quarreled and the dis agreement led to a lawsuit. Gutenberg won the suit.The testimony shows that he
taught a new method of mirror making to his partners . . .
"
51 vgl. Boehm 1 968, 1 48 .
5 2 vgl. Goldberg ( 1 985 ) , 1 3 5 : " . . . The modem glass mirror, o r looking glass, was born i n the Renaissance.
The metal mirror of the past virtually disappeared. During this period the Venetians discovered the pro-
4 . Als das Bild zum Abbild wurde
70
4 . Als das Bild zum Abbild wurde
71
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darin, daß er nunmehr eine Ebene, wenn auch noch relativ kleine Fläche aufweist, er
kommt durch die Verwendung von Glas dem denkbaren Idealfall des Spiegels nahe : Er ab­
sorbiert keinerlei Licht53 . Er unterscheidet sich hiermit radikal von anderen Gegenständen,
deren Oberflächen immer Anteile des einfallenden Lichte absorbieren. " damit nämlich das
Objekt zu einem sichtbaren Objekt wird - d. h. damit seine Oberfläche zu einer visuellen
Erscheinung gelangt - ist eine Differenz zwischen dem Weg des Lichts und dem des Blicks
erforderlich, die darin besteht, daß das Licht an der Oberfläche zwar reflektiert wird, der
Weg des Blickes jedoch an dieser Oberfläche sein Ende findet . . . . Die sichtbare Erscheinung
eines Obj ekts ist also das Aufscheinen einer Differenz, die Oberfläche fungiert als der
Differenzpunkt54, der den Weg des Lichtes von dem des Blickes scheidet: Der Oberfläche des
Objekts als Spiegel für das Licht steht dieselbe Oberfläche als Wand für den Blick entge­
gen" (Rudel 1985, 136 ) .
Der (ideale) Spiegel wirkt aber nun nicht wie eine Wand für den Blick, sondern wie ein
Fenster; dennoch wird der Weg des Blickes von dem des Lichtes getrennt. Der Spiegel ist
lediglich ein imaginäres Fenster. Er zeigt das, was ein j enseits des "Fensters" plazierter
Anderer sehen würde, "wenn er - mir zugewandt - von dem Punkt aus, an dem sich mein
Augenpunkt spiegelt, durch den Spiegel wie durch ein Fenster blicken würde" (Rudel
1 985, 137) .
Wenn demnach das Spiegelbild als eine Obj ektrepräsentation erkannt werden soll, be­
darf es einer Reflexion auch innerhalb der Wahrnehmung, innerhalb des Wahrnehmungs­
bewußtseins. Es müssen "beide" Augenpunkte besetzt werden, der reale und der imaginäre
(als imaginärer, wodurch er aber erst zum imaginären wird) . Und es muß die Koppelung
der beiden Augenpunkte durchschaut werden. Gelingt dies, gelingt eine Subjekt-Obj ekt­
Trennung möglicherweise auch. Diese Subj ekt-Obj ekt-Trennung ist wesentlich für die
Genese des neuzeitlichen individuellen Subj ekts, ebenso wie die Reflexionsfähigkeit, die
Standpunktübernahme, die Unterschiedung zwischen me und I (Mead) .
Beim von der strikten Versuchsanordnung ':Brunelleschis befreiten zentralperspekti­
vischen Abbild liegt eine Koppelung der Augenpunkte nicht notwendig vor. Der Betrachter
kann auch aus dem "falschen" Winkel vom "falschen" �tandpunkt auf das Abbild sehen.
Ist der Betrachter allerdings am realen Augenpunkt so "gefesselt" , daß er sich nicht seitlich
oder vor und zurück bewegen kann, entstent eine Koppelung, die zwar für den Blick das
Abbild nicht als Wand entstehen läßt, für das Licht aber schon. Das hat für die Wahr­
nehmung zur Folge, daß die Trägerwand des Abbildes zu einem Fenster wird. Dann und
nur dann stimmt also die aus der Renaissance von verschiedenen Autoren geäußerte Rede
"von dem Blick (wie) durch ein Fenster" (Alberti, Leonardo) .
In Brunelleschis Experiment geschieht nun eine doppelte Koppelung, die - wie oben ge­
sagt - der Herauslösung aus der mittelalterlichen M etaphysik des Lichtes und des Blicks
dient. Die Doppelbindung entsteht durch die Betrachtersituation, die eine Fesselung ent­
hält, indem ( 1 ) nur dann etwas gesehen werden kann, wenn durch das kleine Loch gesehen
•
t
cess for making clear, colorless glass and the means of backing in with a bright silvery reflecting surface
to produce brilliant images never seen before. Good, flat glass mirrors were made that produced clear anCl
accurate reflections. This new clarity and fidelity of the mirror reflected the spirit of the Renaissance,
which saw a philosophy of world reality and natural clarity overtake the metaphysical world of religion
seen "through a glass, darkly" . The virtues of this new looking glass were quickly adopted by painters and
led to an altered metaphoric application by the poets of the time, but the moral implications of self­
administration still clung to the mirror throughout the period . . . "
,
53 vgl.hierzu auch Rudel 1 985, 1 3 7f.
54 "Differenzfläche" wäre wohl der angemessenere Ausdruck, KJP.
wird, und zwar so, daß das Auge direkt sich am Loch befindet, und (2) die Spiegelung des
zentralperspektivischen Abbildes durch richtiger Haltung gelingt.
Durch die Doppelbindung verhüllt Brunelleschi dem Betrachter zwei Differenzen: Die
Differenz der Zeitlichkeit und die der Räumlichkeit.
Die Differenz der Zeit­
lichkeit löscht Brunelles ­
chi durch den anstelle ei­
nes gemalten Himmels ins
Abbild eingesetzten Spie­
gel : D arin bewegen sich
(gespiegelte) Wolken wäh­
rend der Betrachtung. Das
"mußte" so sein, da die
Gewöhnung an ein Stand­
foto, an einen gefrorenen
Augenblick noch nicht ge­
geben war. Ansonsten wä­
re der Illusionismus sehr
schnell durchschaut wor­
den. Diese Löschung erhält
noch eine Sicherung durch
den zweiten Spiegel, den
der Betrachter als Spiegel
in der Hand hält: Der Be­
trachter weiß - im Unter­
schied von dem Spiegelan­
teil, der sich auf dem Ge­
mälde selber befindet von diesem Spiegel. Er hat
Abb . 3 3 : D er Teufel im Spiegel ( 1 496 ) .
ihn als Spiegel in die
Han d genommen . Im
Spiegel kann er aber ein aktuelles ( imaginäres) Abbild erwarten. Da er noch nicht mit der
möglichen Präzision der Abbildungtechnik des Brunelleschi vertraut war, lag eine
Täuschung nahe.
Der in der Hand gehaltene Spiegel hat aber noch einen zweiten optischen Effekt: Er läßt
auch von gespiegelten Abbildern ein gerade wegen des in die Wahrnehmung integrierten
Wissens um die Aktualität eine gewisse räumliche Tiefe entstehen, die stärker wirkt, als auf
dem " Original" .
-'
Die Differenz der Räumlichkeit wird durch den Standpunkt des Betrachters im Raum vor
dem B aptisterium aus der Wahrnehmung eliminiert. Vom Domportal aus würde er das
Baptisterium in gleicher Größe s ehen, wie er es jetzt sieht - freilich als Abbild55.
55 vgl . dazu die Ausführungen von Rudel 1 985, 144f. Er �tellt diese in den Zus amm enhang einer Philo­
sophie der Wahrnehmung, die zur philosophischen Erhellung der kinematographischen Technik dient.
Mir kommt es hier auf die Herauslösung, Autonomisierung des Individuums an. Rudel verfolgt die hier
anders akzentuierte und ausgeführte Spur auch an der zweiten · überlieferten Abbildung Brunelleschis,
der Abbildung des Palazzo dei Signori, die keine rechteckige Begrenzung aufweist, sondern an der Ober­
kante j eweils da endet, wo die gezeichneten Gebäude enden. Dies wahrscheinlich, so kann Rudel einsich­
tig machen, um die in der doppelten Spiegelung auftretende, wenn auch minimal� Parallaxe zu vermei-
72
4 . Als das Bild zum Abbild wurde
4. Als das Bild zum Abbild wurde
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Die Herauslösung des Individuums aus der mittelalterlichen " Symbiose" von Lebensraum
und -zeit56 , von Arbeit und umgebender Gruppe, von zyklischer Zeit und begrenztem
Raum, erfolgt also über eine Bindung in einem begrenzten Feld, das die Reflexivität der
Wahrnehmung der Aussenwelt, wie dann auch der Innenwelt allererst ermöglicht. Die Dop ­
p elbindung b leibt in
der Neuzeit b estehen ,
wenn sie auch in andere
Formen transformi ert
wird. Insbesondere der
Spiegel
als reales In­
s trument
wird
elimi­
niert und geht s ozusa­
gen schon bei Alberti in
eine
Art
Algorithmus
des Sehens auf, in geo­
metrische Konstrukti­
o nsvorschriften .
D er
Abb. 3 4 : Patrick Hughes : Deja V u - Weil i m Spiegel das Bedrohliche von
hinten Kommende zu sehen ist, wird ihm auch nachgesagt, man könne
mittels des Spiegels in die Zukunft sehen.
Spiegel wird in der er­
wach senen Wahrneh­
mung
sub stitui ert5 7 ,
wird aber keineswegs
überflüssig. Er bleibt Bildner der Ichfunktion58 , ist aber in all seinen Konnotationen, die
dann als irrational gekennzeichnet werden l?:nd nur noch im Handwörterbuch des deut­
schen Aberglaubens zu finden sind, aus der Offentlichkeit des Bewußtsein verbannt (Abb .
33 ) .
Hierzu einige Assoziationen (Abb. 34) :
Der Spiegel spielt bei den neuplatonischen Mystikern als ein Medium der Selbsterkenntnis
Gottes eine Rolle, so z. B. bei Paracelsus und Böhme - - - Spiegel des Wahnsinns, Zer-
trümmerung des Spiegels des Wahnsinns (Cocteau) . . . Wahrnehmung der Welt im A uto­
spiegel --Spiegelästhetik des Gebäudes der "Deut-sehen Bank " in Frankfurt --- Schatten und Spie­
gelbild das gleiche Wort. Spiegel = Schattenbehälter (ahd.)- - - Wasser und Spiegel. (Der
Glanz der Oberfläche: Reibung, Polieren der Oberfläche führt zu deren Negation. Es er­
scheint etwas dieseits der oberfläche hinter der Oberfläche.) --- Zauber: Wasseroberflä­
che, A uge, geölte Haut, polierter Fingernagel sind äquivalent. --- Seitenverkehrung. Der
Spiegel sieht mehr als ich sehe. Denn er sieht das, was hinter mir ist. Wissender Spiegel.
Motiv für Fernsehen. A ngst: Ungedeckter Rücken. --- Verdoppelung. Mehrung. Gute Ernte
- Nachkommenschaft. ----- Die vielfältigen Vorstellungen, Phantasien, die mit dem Spiegel verbunden sind, scheinen etwas mit der Irritation zu tun zu haben, mit dem, was der spiegel aufreißt. Dieser Riß
wird zugesprochen. Weitere Motive: Schönheit, lugend ...... Altern, Aufhalten des Alterungs­
prozesses - Verweigerung, Sprödigkeit - Rache - Illusion - Schatten (Daseinform der Toten
im Hades) - totes und lebendiges Bild - Erkenntnis am Ande.ren (Differenz), Erfahrung des
Selbst (Identität) - Vergleich des inneren Bildes mit einem Außeren - der Trug der Ober­
fläche, Plädoyer für die Tiefe - ent-täuschende Erkenntnis, reaktive Todeswünsche - Dop ­
pelgängermotiv - der tote Spiegel, der verpfii ndete Schatten59 Mit der Konstruktion des Abbildes wird eine weitere Differenz und Differenzierung in den
Menschen eingebracht: die Möglichkeit einer besser gelingenden Abgrenzung gegen die
Macht der Bilder. Die Bedrohlichkeit des einfachen Zugangs der Bilder durch das Auge als
Pore des Leibes, wie es z. T. noch gängige Auffassung im Mittelalter war, wird reduziert.
Das werdende, sich autonomisierend� Subjekt selber bestimmt nun, wann es wie unter wel­
chen Bedingungen wahrnimmt, was als ein naturgemäßes, also stimmiges Bild von seiner
Umgebung zu gelten hat. Auf dem Hintergrund der mittelalterlichen Metaphysik des
Sehens geht es also nicht nur um eine Disziplinierung des Auges und damit des Körpers,
sondern ebenso um eine Disziplinierung der Bilder selber. Disziplinierte Bilder sind das,
was ich als Abbilder bezeichnet habe. Bildung könnte man auf diesem Hintergrund seit der
Renaissance dann auch als einen Vorgang zur Entmachtung der Bilder bezeichnen, als Aus­
den. Hier konnte der Betrachter direkt den Himmel sehen. Dabei kann aber die . Eliminierung der Zeit­
lichkeit nur schwer gelingen.
56 Hans Urs von Balthasar spricht in seiner Theologik über die Wahrheit als Geheimnis. Darin enthalten
ist ein Abschnitt über "Perspektive" . Diese sieht er im engen Zusammenhang mit der Individualisierung:
Eine immer weitergehende Determinierung eines Subj ektes durch Soseinsmerkmale, die im Prinzip je­
dem Individuum zukommen können. "Die besondere Zusammenstellung erzeugt das , was im starken
und schicksalsmächtigen Sinne des Wortes Konstellation heißt. '" Stellt man sich das Subjekt als im Mit­
telpunkt dieser Konstellation stehend vor, so sieht man, daß die Wahrheit für es dadurch perspektivisch
geworden ist. Es hat inmitten seiner Konstellation einen bestimmten Gesichtswinkel, aus dem es die Welt
der Dinge und der Geltungen betrachtet . . . So entstehen eine Unzahl persönlich gefärbter Weltbilder und
Weltanschauungen . . . " ( 1 985 I, 207f) .
57 Wir haben es hier mit dem Motiv der "Nachträglichkeit" zu tun: Freud schreibt an Fließ: "Du weißt,
ich arbeite mit der Annahme, daß unser psychischer Mechanismus durch Aufeinanderschichtung entstan­
den ist, indem von Zeit zu Zeit das vorhandene Material von Erinnerungsspuren eine Umordn ung nach
neuen Beziehungen, eine Umschrift erfährt. Das wesentliche Neue an meiner Theorie ist also die Bhaup­
tung, daß das Gedächtnis nicht einfach, sondern mehrfach vorhanden ist, in verschiedenen Arten von
Zeichen niedergelegt" (Freud 1 986, 2 1 7 ) . Die rein geometrisch, mathematische Formulierung der zetral­
perspektivischen Konstruktion halte ich für eine solche Umordnung, der dann eine neue Bedeutung zu­
kommt, die auch einen Teil der alten verdeckt.
58 Ein Vorgriff auf das folgende Kap. 5
bil dung .
"Naturgemäß" heißt demnach übersetzt: Die Bilder gelten als naturgemäß, die. sich der
Abgrenzung, Abdichtung gegen die Natur verdanken und einen Anschluß an diese nur über
einen kontrollierbaren engen Kanal im Spektrum der Möglichkeiten des Auges erhielten.
Der vornehmste und dem Gehirn am nächsten liegende Eingang des gegen die Umgebung
porösen Leibs, das Auge, steht damit unter Kontrolle, j edenfalls wird ein kontrolierbarer
Bereich ausgegrenzt. Iedesmal, wenn ein ungewohnter Modus des Sichtbaren auftaucht,
warnen Pädagogen vor dem nun drohenden sittlichen Verfa1l6o•
Das waren nun Aussagen über eine Richtung: von außen nach innen. Entsprechend - um
die Abgrenzung zu optimieren - werden die Wege von innen nach außen einer Kontrolle
unterworfen . Hartmut Böhme weist darauf hin: "Das Riechen wird zur zivilisatorischen
Leistung erst, wo natürliche oder künstliche Duftstoffe zum Dekor oder zur Verhüllung des
Leibes werden: die Parfüms als auratisches Kleid des Körpers . . . Die Neutralisierung der
natürlichen Gerüche macht den Körper zur weißen Oberfläche, auf die tausendfache Kunst­
reize eingetragen werden" (Böhme
1 984, 37) .
Genau wie beim Auge werden damit die Mög-
59 Dazu und des weiteren siehe Wahl 1985, 1 4ff; Nibbrig 1 988; Hartlaub 1 95 1 ; Arnheim 1 978; Attali
1 9 8 1 ; Baltrusaitis 1986; Bulling 1 960; Dolto 1 987; Eco 1 988; Grabes 1 973 ; Hentzen 1 973; Horke 1977;
Kreisel 1 953; Meyer zu Eissen 1 978; Roche u . a. 1 985; R6heim 1 9 1 9; Schickel 1 975; Schöning 1984;
60
Tillmann hat dies erst kürzlich wieder zusammer ostellt ( 1988 ) .
74
4 . Als das Bild zum Abbild wurde
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lichkeiten vervielfältigt, Be deutungen zu
differenzieren. Der Nachteil ist al-erdings,
4 . Als das Bild zum Abbild wurde
75
mer mehr. Die Kenntnis der dargestellten Geschichten muß allerdings allmählich eine an­
dere Struktur bekommen; sonst sind die Bilder nicht zu deuten: Die Geschichten müssen in
daß der eigene Leib (oder ist es schon der
ihrer diskursiven Struktur auf das Abbild appliziert werden können. Mit Geometrie wird
Körper ? ) einem ekelhaft wird, wenn er
Bedeutung hergestellt.
nicht zum weißen Blatt präpariert ist.
Ekelhaft, unsauber, schmutzige B il der­
fluten. Aus dem Bereich des Geruchsekels
wird die Metaphorik für die Anmutungs­
qualitäten p ädagogisch nicht wertvoller
Bilder gewonnen.
Die Formalisierung von Brunelleschis Experiment produziert Unbewußtheit.
Zusammenfassend läßt sich also sagen:
Der perspektivische Blick hat das Bild, das, was Bilder alles können, im wesentlichen auf
eine Operation beschränkt; er hat aus Bildern Abbildungen gemacht, er hat Bilder in die
Funktion des Abbildes "gezwungen" . Diese eine Möglichkeit eines Bildes hat der perspekti­
vische Blick erzeugt, neu " erfunden" und zu hoher Differenzierung gebracht. Dahinter steht
ein phylogenetischer, wie später dann auch ontogenetischer Erziehungsprozeß . Von selbst
Der neue Blick
In der perspektivischen Malerei wird von
einer leeren Malfläche ausgegangen, die
entsteht kein perspektivischer Blick; von selbst ist kein perspektivisch konstruiertes Bild
entschlüsselbar. Dies haben vergleichende kulturpsychologische und -soziologische For­
mes ist, der unendlich und zunächst ein­
schungen ergeben63 .
D as Moment von Zwang, das in diesem Blick liegt, produziert Unbewußtheit, schließt et­
mal leer ist. In diesem Raum, der darge­
was aus dem Bewußtsein aus, was vorher, d. h. in mittelalterlichen Vorstellungen vom
stellt werden soll, b efinden sich Personen
und Gegenstände, o der sie werden in ihn
Bild, durchaus noch erfahren und b eschrieben wurde. In Brunelleschis Experiment sind
beide Seiten noch erhalten. Imwesentlichen kristallisiert sich das noch nicht rationalisierte
hineingestellt und mittels eines Spiegels,
um den widerspenstigen Gebrauch des Spiegels herum.
gleichzeitig schon Repräsentant eines Rau­
später nach den mathematisch geome­
Im Prozeß der Individuierung, der durch die " Zentralperspektive" befördert wird, spielt
trischen Regeln der Projektion ( dazu spä­
der Spiegel eine Rolle. An ihm hängt noch eine Irritation, die aber sehr schnell aus dem Be­
ter mehr) abgebildet. Dieser Struktur muß
reich wissenschaftlicher Reflexion über das Verfahren und die Bedeutung des perspektivi­
schen Blicks ausgeschlossen wird. Die aus dem (perspektivischen) Blick geratenen Irritatio­
sich der Inhalt anpassen. Der Inhalt wird
gleichsam
ein geklemmt
zwischen
der
Sichtbarkeit aus dem einen Auge eines
(vorgestellten) Individuums und der Grö­
ße der Proj ektionsfläche, die aber als Flä­
nen werden erst wieder neu bedacht, als das individuelle Subjekt sich mit seinen Illusionen
über die Rationalisierbarkeit der Welt und seines eigenen Verhaltens Rechenschaft ablegen
muß , als die ausschließlich naturwissenschaftliche B etrachtungsweise dem menschlichen
Leiden nicht mehr gerecht wird.
che negiert wird.
Die Bedeutung etwa eines dargestellten
Heiligen ist unter den B edingungen der
Zentralperspektive kaum mehr aus einer
direkten "heiligen" Darstellung zu erken­
nen. Er ist in der Regel nicht größer als ein
Abb. 3 5 : Masaccio: Trinitätsfresko ( 1 4 28 ) . - Die
Menschen sind keine verklärten Heiligen. Im Gegen­
teil, sie werden mit ganz " natürlichen" Gefühlsaus­
drücken dargestellt. Erst durch den Titel, den Ort
des Freskos und einige Attribute wird die andere
Identität deutlich6 1 .
normaler Sterblicher. Erst aus Attributen,
Die im vorangegangenen skizzierte Interpretation der "Erfindung der Z entralperspektive"
wurde von Panofsky kurz zusammengefaßt als die "Erfindung" der "Perspektive als sym­
bolische Form" ( 1 927) bezeichnet. Ich möchte auf die Motivation dieses Begriffes aus dem
die wie im Mittelalter die Kenntnis der Ge­
schichte beinhalten, wird eine Identifika­
tion möglich. E s gibt keinen Goldgrund
mehr. der Heiligenschein wird immer "re­
alistischer" 6 2 , d. h . auch er schrumpft im-
6 1 Vgl. hierzu z. B. Sims on 1966 - und: "Die byzantinische Kunst kannte . . . keine Komposition, keinen
künstlerischen, weil keinen menschlichen Bezug zwischen Einzelgestalten, . . . die Komposition (ist) eine
äußerlich geforderte, ein Z usammensein, kein Zusammenhang" (Y orck von Wartenhurg 1 927 zit. n.
Boehm 1 968, 1 3 3 ) .
6 2 "Das
Symbolische Form, Bildung
Bild muß i m alten Sinne untergehen, damit e s i m neuzeitlichen Sinne, der wesentlich ikonokla­
stisch ist, ' Bild' werden kann. 'Die reine Bildlichkeit wird aufgelöst und hinter die Flächenhaftigkeit zu-
rückgegangen . . . ' . " (Boehm 1 968, 1 9 ) . ( zit. wird Yorck v. Wartenhurg 1927 ) . Damit bekommt das bilder­
stürmerische Abbild einen anderen Charakter: " Primitive Darstellungen wollen nicht Reproduktionen
sein, die mit der ' Wirklichkeit' übereinstimmen müssen, das in ihnen vorliegende Verhältnis ist das der
Vertretung einer als machtvoll erfahrenen Gottheit. Das Bild gewinnt sein Sein aus dem Urbild" ( Boehm
1 968, 24; dort finden sich auch weitere kulturhistorische Hinweise) . Der versteckte Ikonoklasmus der
perspektivischen Darstellung liegt noch in einem anderen Moment: Das aus der Methode resultierende
Abbild ist dem Sehen mit einem Auges partiell angepaßt: "Perspektive bedeutet Anpassung der Dinge an
das Auge des Betrachters . Die Objekte im Bild erleiden einen Verlust an Eigengesetzlichkeit, und das Ge­
setz der Darstellung wandert von jenen zum Aufnehmenden Subjekt" (Schweitzer 1953, 1 8 ) . Wobei na­
türlich "Auge des Betrachters" heißt: Das Auge insoweit sich seine Funktion mit geometrisch, mathema­
tischen Mitteln zur Zeit der Renaissance rekonstruieren lassen.
6 3 vgl. hierzu beispielsweise Gregory 1972, 1 5 1 - 1 63
76
4 . Als das Bild zum Abbild wurde
Dieses Buch wurde vom Verlag in der unkorrigierten vorletzten Fassung publiziert
Umfeld seiner Entstehung am Ende dieses Abschnittes eingehen. Im Nebenstrang ergibt
sich eine Kritik wissenschaftlicher Institutionen:
Das Umfeld, in dem Panofsky seine Rede von der Perspektive als symbolischer Form
führt, ist die Bibliothek Warburg. Gemäß der ausführlichen Untersuchung von Iesinghau­
sen-Lauster die unter dem Titel "Die Suche nach der symbolischen Form. Der Kreis um die
kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg" erschienen ist, ging es im Kreis um Warburg
um das Problem der Neuorganisation der Einzelwissenschaften. Dies wurde virulent, nach­
dem die Philosophie ihre alte Funktion des Zusammenfassens und Vermitteins zwischen
den einzelnen Disziplinen der Natur- und Geisteswissenschaften nicht mehr wahrnehmen
konnte. Die wissenschaftlichen Organisationsformen waren nicht mehr in der Lage, die aus
der Segregation der Einzelwissenschaften folgenden Probleme zu erkennen, geschweige
denn zu bearbeiten. Der Kreis um Warburg erkannte, "daß die grundlegende Verbesserung
der wissenschaftlichen Möglichkeiten und Erträge nicht ohne eine Verbesserung der institu­
tionellen Grundbedingungen selber erfolgen kann. Die Institution muß dem Problem und
den Erfordernissen seiner Lösung angepaßt werden. Mangelnde Flexibilität der Institutio­
nen schafft die Situation, von der Warburg und seine Freunde ausgehen" (Iesinghausen­
Lauster 1 985, 1 4 ) . Es ging somit um eine Reform der Wissenschaft. Zentral wurde neben
der "Institution" der Bibliothek Warburg, die Rede von der symbolischen Form, die ein
Gefäß bildete, die Reform begrifflich aufzunehmen. In diesem Begriff wurde, nachdem
Cassirer zu diesem Kreis stieß, der den Begriff von seiner "Reform" der Philosophie her in
den Kreis einführte, eine Möglichkeit gesehen, die zwei Seiten des Problems, das der Kreis
hatte, zu fassen: "Die historische Frage nach dem Zusammenhang der drei Hauptepochen
und nach den treibenden Kräften, die sich an einzelnen repräsentativen Kulturphänomenen
konkretisiert, mündet ein in die systematische kulturanthropologische Frage nach den Ver­
mittlungsinstanzen zwischen dem Mensch und dem, was sich als Äußeres, Naturhaftes Ge­
schichtliches, Gesellschaftliches, Transzendentes entgegentritt. Die zweite, strukturelle Seite
des Problems zielt also auf die Erkenntnis eines überhistorischen Bestands im historisch
verlaufenden Austausch von Mensch und Welt. Die Formen und die Formgesetze, in denen
dieser Austausch sich vollzog, die 'symbolischen Kulturformen' , als die Ernst Cassirer My­
thos, Sprache, Kunst, Literatur und Wissenschaften betrachtet, sowie deren Zusammen­
hang b ilden diesen Bestand" (Iesinghausen-Lauster 1 985, 1 5 ) . D iese Problemstellung war
der Hintergrund für die Rezeption der philosophischen Ansätze von Cassirer6 4; die Rede
von der symbolischen Form war eher die Kurzfassung dieses Problems als deren Lösung.
Mit der Rede von der symbolischen Form wird also eine Reform der Wissenschaft und
ihrer Institutionen gefaßt, die ohne Bezug auf die Künste nicht formuliert werden kann.
Die Problemstellung sieht in meiner Arbeit etwas anders aus und dementsprechend hat
der Begriff der "symbolischen Form" nicht ganz denselben Stellenwert. Mit der Benutzung
des Begriffs übernehme ich die Erkenntnis des Warburg-Kreises, daß die vorgegebenen ein­
zelwissenschaftlichen Grenzen, die schon etwas ältere "neue Unübersichtlichkeit" nicht nur
nicht beseitigen kann, sondern diese institutionalisiert. Die Nutzung des Begriffs "symbo-
64 Zur Einführung des Begriffs siehe Genaueres bei Iesinghausen-Lauster 1 985, 57ff : Hier ist z . B. die
abstrakte Gegenübersetzung von Rationalität und Mystik deutlich, von der Cassirers Ansatz geprägt ist,
was ich aber aufgrund des vorausgegangenen Kapitels ( 3 ) nicht teilen kann. Ferner wird die "historische
Wende" in Cassirers Philosophie der symbolischen Formen analysiert ( 64f) . Es wird gezeigt, daß Cassirer
nicht einfach mit der Ettikettierung "Neukantianismus" zu fassen ist ( 66ff, insbesondere 69) . - Wie
(post)modern Cassirer argumentiert, läßt gegen den Strich der Darstellung Iesinghausen-Lausters sich an
dem so bezeichneten ,.,Rückfall Cassirers in eleatische Aporien" ( 77 ) und "seinen Eklektizismus" noch
ausarbeiten.
4. Als das Bild zum Abbild wurde
77
lische Form" erinnert an die Notwendigkeit einer anderen Organisation und Methodik des
wissenschaftlichen Arbeitens. In dieser Arbeit nimmt diese nicht die Form einer Bibliothek
und eines Kreises an, sondern imitiert sozusagen den großen Kreis von Wissenschaftler
durch eine Theorien- und eine Argumentationsmontage, durch eine nur bis zu einem gewis­
sen Maß geglättete Struktur von "Einflüssen" . Eine ähnliche Struktur hat wohl auch die
alltägliche Arbeit eines jeden Pädagogen. Insofern ist meine Vorgehensweise mimetisch.
Auch geht meine Benutzung des Begriffs mit einer anderen Fragerichtung einher: Es, geht
mir nicht um sich gegen alle Veränderungen durchhaltende überhistorische Bestände. Daß
es soetwas gibt, ist Anlaß für Verwunderung. Warum zum Beispiel erhält sich die symbo­
lische Form der Perspektive über ihre historische " Wahrheit" hinaus in mutierten Formen
in den Vorstellungen von Persönlichkeit, wie sie sich im Identitätsbegriff ausdrückt? Dabei
gehe ich auch nicht von einem konstanten Gefüge von Subjekt und Objekt aus, das zwischen
sich unterschiedliche Formen symbolischer Vermittlung entwirft. Die Tendenz zielt eher
dahin, die symbolischen Formen als "Subj ekt" zu umschreiben.
Dies sieht jetzt sehr nach großer Entfernung von dem aus, was einmal mit "symbolischer
Form" gemeint war. Iesinghausen-Lauster umschreibt die symbolischen Formen aller­
dings in einer Weise, die meiner Argumentationsrichtung recht nahe kommt, wenn man
die Art der Aussagestruktur beim Wort nimmt. "Sie ( die symbolischen Formen, KIP ) kön­
nen als nach außen gekehrte psychische Instanzen, ja Institutionen beschrieben werden, die
den Austausch zwischen Subj ekt und Objekt regeln" (Iesinghausen-Lauster 1 985, 1 5 ) .
Subjekt sind in diesem Satz "die symbolischen Formen" .
Der Begriff der symbolischen Form führt i m Gebrauch und der Weiterentwicklung weg
von einem bloßen Vermittlungsbegriff zu einem "tätigen Subjekt". Das zielt in Richtung
auf Lacans Rede davon, daß das Subj ekt gesprochen wird und nicht das Subjekt spricht.
Wenn nun der Begriff der symbolischen Form seine erste konkrete Präzisierung im War­
burg-Kreis am Beispiel der " Zentralperspektive" durch Panofsky erfährt, ist das in mehr­
facher Weise bedeutsam:
In der Renaissance waren nach heutiger Kenntnis die Einzelwissenschaften und die Kunst
nicht in der gegenwärtigen Weise separiert, sondern miteinander verwoben. Die Verknüp­
fung von symbolischer Form und Perspektive ist als Denkbewegung vielleicht zu charakte­
risieren mit dem französischen Sprichwort "Reculer pour mieux sauter" . Ferner stellt der
Begriff der symbolischen Form, konkretisiert an der Perspektive das von der neuzeitlichen
Philosphie gescholtene Bild, die Metapher, an eine wichtige Stelle im V ermittlungszusam­
menhang auseinanderdriftender Einzelwissenschaften. Und der Verknüpfung ist darin und deshalb ist der Rückgriff auf die " Zentralperspektive" keine Regression - ein Kontra­
punkt zum sich seit der Renaissance verengenden Bildbegriff (Abbild) gesetzt. Die gegen
eine einfache Regression gerichtete Denkweise des Kreises um Warburg bestätigt auch
Winds Analyse des Ansatzes von Warburg im Gegensatz zu gleichzeitig geläufigen kunsthis­
torischen Ansätzen, die sich von Wölfflin und Burckhardt herleiteten: "Er ( Warburg, KIP)
muß vielmehr die doppelte Frage stellen: Was bedeuten diese übrigen Funktionen - Reli­
gion und Dichtung, Mythos und Wissenschaft, Gesellschaft und Staat - für die bildhafte
Phantasie ? Was bedeutet das Bild für diese Funktionen? " (Wind 1 93 1 , 406 ) .
Der i m Warburg-Kreis bei der Explikation eines Bildes für konstitutiv gehaltene Z usam­
menhang läßt sich nicht herstellen allein durch die Akkumulation von Wissen aus den
oben genannten Bereichen, ihren Theorien und Wissensvorräten. Sie läßt sic� nicht errei­
chen, indem das Bild zu einem Dokument in Ermangelungen schriftlicher Uberlieferung
gemacht wird (vgl . hierzu Ehmer 1 987 ) . "Die Methode, durch die dies erreicht wird" ,
schreibt Wind, "kann nur eine indirekte sein. Man muß durch das Studium aller Arten von
Urkunden, die sich mit dem Bil d nach historisch kritischer Methode in Verbindung brin ­
gen lassen, einen Indizienbeweis führen für die Tatsache, daß ein im einzelnen aufzuwc�
4 . Als das Bild z u m Abbild wurde
78
79
4. Als das Bild zum Abbild wurde
Dieses Buch wurde vom Verlag in der unkorrigierten vorletzten Fassung publiziert
sender Vorstellungskomplex an der Gestaltung des Bildes mitgewirkt hat" ( Wind 1 93 1 ,
4 0 6 ) . Hier kommt in der Metaphorik der Sprache Winds deutlich benannt ein kriminalis­
tisches Moment zum Tragen. Dies hat große Ähnlichkeit mit Motiven Freuds65 . Und diese
Verwandschaft im Ansatz läßt sich weiter bekräftigen: "Das Wort j.1VTlj.1OO"UVTl , das er ( War­
burg,KJP ) über den Eingang seines Forschungsinstitutes hat setzen lassen, ist in diesem
minus auch für die Kunstgeschichte nutzbar zu machen, als eine j ener ' symbolischen For­
men ' bezeichnet werden, durr,h die ein geistiger Bedeutungsinhalt an ein konkretes sinn 1iches Z eichen geknüpft und diesem Zeichen innerlich zugeeignet wird ' ; und es ist in die­
sem Sinne für die einzelnen Kunstepochen und Kunstgebiete wesensbedeutsam, nicht nur,
ob sie P erspektive hab en, sondern auch welche P erspektive sie hab en" ( Panofsky
1 927,
doppelten Sinne zu verstehen: als Aufforderung an den Forscher, sich darauf zu besinnen,
1 08) .
daß er, indem er Werke der Vergangenheit deutet, Erbgutverwalter der in ihnen nieder­
gelegten Erfahrung ist - zugleich aber als Hinweis auf diese Erfahrung selbst als einen Ge­
Erschütterung, die bei Warburg aus einer eigenen Leidenserfahrung geprägt waren, die Re­
Um ein Anwendungsverhältnis ging es indessen nicht66.
Es kann natürlich nicht übersehen werden, daß die Momente der Beachtung der eigenen
1 93 1 ,
flexion, die Erforschung der Erschütterung als einem Erkenntnismedium67 in der Formu­
lierung b ei Panofsky weitgehend verschwindet6 8 , j edenfalls nicht mehr expliziert wird. Ge­
nau dies ist das Moment, um das die "historische Methode" in der Kunstgeschichte zu kurz
greift und das Bil d im Sinne meiner Exemplifizierung an Eckhart verfehlt wird.
Die symbolische Form, durch Panofsky auf die P erspektive und damit auf Bilder bezo­
cher zu erkennen, in der Frageformulierung, auf die die Rede von der Perspektive als sym­
genstand
der Fors chung, d. h. als Aufforderung, die Funktionsweise des s ozialen Ge­
dächtnisses an Hand des historischen Materials zu untersuchen" ( Wind 1 93 1 , 407) . Von
Warburg schreibt Wind weiter: " Je de Erschütterung, die er an sich selbst erfuhr und durch
Besinnung üb erwand, wurde zum Organ seiner historischen Erkenntnis " ( Wind
4 07) . Das hat deutliche Gemeinsamkeiten mit Freuds Verständnis von Übertragung.
gen, umgreift etwas und stellt in einen bereichernden theoretischen Zusammenhang, was
Warburg als die kritische Phase zwischen Symbol, Zeichen und Bild gesehen hat, "wo das
Symbol als Z eichen verstanden wird und dennoch als Bild lebendig bleibt, wo die seelische
Erregung, zwischen beiden Polen in Spannung gehalten, weder durch die bindende Kraft
der Metapher so sehr konzentriert wird, daß sie sich in Handlung entlädt, noch durch die
zerlegende Ordnung des Gedankens so sehr gelöst wird, daß sie sich in B egriffe verflüchtigt.
Und eben hier hat das "Bild" (im S inne des künstlerischen S cheinbildes ) seine Stelle"
( Wind
1 93 1 , 4 1 0 ) .
In der D urchführung der These, die Perspektive als symbolische Form z u b ehaupten,
wird der Zusammenhang zu den Intentionen Warburgs bei Panofsky recht locker, wenn
nicht aus den Augen verloren. Er nimmt wie selbstverständlich die Formulierung C assirers
Warburg hingegen kommt diesem Bildverständnis um einiges näher. Bei ihm ist deutli­
bolische Form eine Antwort sein will, daß das Bild eine hervorragende B edeutung für die
Entwicklun g von P ersönlichkeit hat6 9 .
D ie Rede von der "Perspektive als symbolischer Form" und besonders deren Problematik
und Grenze führt meines Erachtens ins Zentrum gegenwärtiger pädagogischer D iskussion,
indem sie rationale und bis ins Unbewußte reichende Formungen der Persönlichkeit the ­
matisiert, Bild und Begriff zusammenbringt, das P roblem von Abstraktion und Konkre­
tion thematisiert, Detektivisches und den Prozeß der Forschung selbst, den Forscher selber
mit in die Theoriebildung einbezieht. "Warburg traut der ästhetischen Form eine soziale
Funktion zu, die heute wohl eher dem rationalen D iskurs , der erschöpfenden Mitteilungs­
fähigkeit der Sprache zugewiesen wird" , hebt W arnke hervor ( 1 980, 1 4 1 f) . Ich meine, daß
dieses Zutrauen in den rationalen Diskurs ohne Einarbeitung der sozialen Funtion der
auf und setzt dabei die Persp ektive als Stilmoment als Diskrimi nante "für die einzelnen
Kunstepochen und Kunstgebiete " (Panofsky
1927, 1 08)
ein . Er diskutiert an dieser Stelle
weder den Umbruch, in dem sich Cassirers Theorie gerade befindet, nachdem sie in Kon­
takt mit den Intentionen Warburgs gekommen ist, noch nimmt er selber die weiterreichen­
den Intentionen Warburgs direkt auf. Warburg ging es j a nicht primär um Stilmomente,
sondern um die Frage der Wirksamkeit der Bilder, um ein historisches Gedächtnis , das j e
wieder über Bilder aktualisiert werden kann. Panofskys Bezug auf das theoretische Umfeld
wirkt im Vergleich zu den detaillierten Analysen der perspektivischen Konstruktionen sel­
ber und ihren Veränderungen merkwürdig dürr, wenn man die einzige Stelle in seinem viel
rezipierten Beitrag " die Perspektive als ' symbolische Form ' '' , die sich auf Cassirer direkt
66 Panofsky ändert an seiner Vorgehensweise auch in späteren Arbeiten zu diesem Thema nichts (vgl.
1 978, 3 6 - 67; 1 979, 1 1 9 - 2 1 5 ) . Das " Anwendungsverhältnis" wird weiter strapaziert, obwohl dort
Begriff der " symbolischen Form" nicht mehr auftaucht. Es kommt gar noch zu einer Abschwächung
in diesem Begriff noch rekonstruierbaren Motiv Warburgs, wenn Panofsky das konkrete , historisch
stimmbare Kunstwerk " als ein Symptom von etwas anderem, das sich in einer unabsehbaren Vielfalt
derer Symptome artikuliert" ( 1 978 , 4 1 ) , bezeichnet.
der
des
be­
an­
scheinhaft um eine rein mathematische Angelegenheit handele, sie habe zwar nicht mit dem
67 vgl. hierzu auch Warnkes Beitrag zum Verständnis der Tätigkeit Warburgs unter dem Titel "Der Leid­
schatz der Menschheit wird humaner Besitz " , der ein Zitat aus Warburgs Notizen ist (Warnke 1 980, 1 1 3
- 1 86, insbes. 1 3 1f).
künstlerischen Wert zu tun. " Allein wenn die Perspektive kein Wertmoment ist, so ist sie
68 I n einer schon an D iffamierung grenzender Formulierung bestätigt das allerdings mit anderem Interes­
b ezieht, liest: Er betont, daß es sich b ei der zentralperspektivischen Konstruktion nur
do�h ein Stilmoment, ja mehr noch: sie darf, um Ernst Cassirers glücklich geprägten ter-
65 Freud hinwiederum knüpft unter anderem an einer kunsthistorischen Vorgehen an, bei Morelli, der
sich nicht von den sich unmittelbar aufdrängenden Themen, den manifesten Inhalten, dem Stil in seiner
Untersuchung festlegen läßt, sondern bei der Zuschreibung von Gemälden, die Darstellung der Finger­
nägel, der Ohrläppchen und ähnlicher "unwesentlicher" Details leiten läßt. Zur Verwandschaft von Kri­
minalistik und Psychoanalyse vgl. z. B. Bonaparte 1 934; Lacan 1 973; Ginzburg 1 983, 61 - 96; Lorenzer
1 985; Dahmer 1 988; Lehma�n 1 988. - vgl. zu meiner These von ähnlichen Motiven bei Warburg und
Freud siehe auch Warburgs Uberlegungen zur Beherrschung von phobischen Reaktionen. Es sei nur ein
Satz zitiert: "Durch das ersetzende Bild wird der eindrückende Reiz objektiviert und als Obj ekt der Ab ­
wehr geschaffen" ( aus Warburgs Notizen zit. n. Gombrich 1 984, 297. Dort finden sich weitere ähnliche
Gedanken. ) . Warburg wollte aber von Freud nichts wissen, wie Gombrich ( 1 984, 380) bezeugt.
se Jesinghausen-Lauster: "Wie C assirer und im Gegensatz zu Saxl und Warburg, zeigt Erwin Panofsky
keine Faszination für die kulturgeschichtlichen Phänomene umnachteten Bewußtseins. In seinen Werken
verfolgt er den Weg der Klarheit, schreibt er stets ein Stück Geschichte der Befreiung, der Selbstbewußt­
werdung des abendländis chen Menschen, Schritte der Läuterung zur dauerhaften Ausgeglichenheit im
Medium einer in sich selbst reflektierten Schönheit . . . " ( 1 985, 105 ) . - Im übrigen scheint Jesinghausen­
Lauster nicht in der Lage z u sein, zu unterscheiden zwischen Pächts wohl zutreffend kritischen Hinweis,
daß Panofsky keinen Bezug nimmt auf die "moderne" Tiefenpsychologie, " das Reich des Unbewußten"
(Pächt 1 979, 374) und den damit ( seiner Wertung nach) einhergehenden Widersinn, die Ikonologie "In
den Ruch des Abnormalen zu bringen, gerade weil sie sich der tiefenpsychologischen Suche nach dem
Pathologischen nicht anschließen will" ( 1 985, 1 1 8 ) .
6 9 Diese Dimension will ich aber nicht i m Rekurs auf Warburg wiederbeleben, sondern indem ich das
Experiment Brunelleschis mit den Erörterungen von Lacan zum " Spiegelstadium als Bildner der Ich­
funktion" in Zusammenhang bringe . Siehe Kap . 5 .
80
4 . Als das Bild zum Abbild wurde
Dieses Buch wurde vom Verlag in der unkorrigierten vorletzten Fassung publiziert
ästhetischen Form, des Bildes , einem blinden Vertrauen gleichkommt7°. Darum geht es im
folgenden Kapitel.
Anstelle von Abbildungen die Wiedergabe zweier Notizen aus dem Nachlaß von Warburg
(zit. n. Gombrich 1 984, 298) :
"Notiz 3
Der Wille im Geschehen muß für den mythisch Denkenden aus biomorph, das heißt, orga­
nisch umschriebener Umfangsbestimmung dadurch erklärt werden, daß sich diese für den
naturwissenschaftlich 'feststellbaren I Erreger einsetzt, als Substitution des unorganisch
zerfließenden durch biomorph animistisch bekannte und ü bersehbare Wesen. Wenn ich
versuche zu ordnen, dann verknüpfe ich Bilder außer mir miteinander. Der . . . Biomorphis­
mus ist ein phobischer Reflex. Das andere ist ein kosmischer Akt . . . Es fehlt beim phobi­
schen Reflex durch biomorphe Phantasie die Fähigkeit zum Niederschlag eines zahlenmä­
ßig geordneten kosmischen Bildes. Dieser objektive Bildniederschlag ist in diesen harmoni­
kalen Versuchen, wie sie die Indianer (und der Hellenismus) haben, vorhanden und des­
sen Riesenfortschritt dem einfachen Biomorphismus gegenüber besteht darin, daß der ein­
fache Biomorphismus auf die Gedächtnisfunktion mit einer A bwehrmaßregel reagiert,
während bei den Versuchen des strukturalen Denkens die Hand nicht die Waffe sondern
das umreißende Werkzeug führt, und die Lippe den Laut. "
"Notiz 4
Die Urkategorie kausaler Denkform ist Kindschaft. Diese Kindschaft zeigt das Rätsel des
materiell feststellbaren Zusammenhangs verbunden mit der unbegreiflichen Katastrophe
der Loslösung des einen Geschöpfes vom anderen. Der abstrakte Denkraum zwischen
Subjekt und Objekt gründet sich auf dem Erlebnis der durchschnittenen Nabelschnur. Der
7 0 In diesem Sinne taucht in Bourdieus bildungssoziologischen Untersuchungen der Begriif der symboli­
schen Form auf. In seiner "Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft" mit dem Titel "Die feinen Unter­
schiede" ( 1 982) stellt er in einem Kapitel "inkorporierte soziale Strukturen" ( 1 982, 729ff) die These auf:
( In folgendem Satz müssen im Druck einige Zitations- oder einfache Anführungsstriche verloren gegan­
gen sein. Ich ergänze in Klammern. ) "Die von den sozialen Akteuren im praktischen Erkennen der sozi­
alen Welt eingesetzen kognitiven Strukturen sind inkorporierte soziale Strukturen. Wer sich in dieser Welt
'vernünftig verhalten( ' ) will, muß über ein praktisches Wissen von dieser verfügen, damit über Klassifi­
kationsschemata ( oder, wenn man will, über 'Klassifikationsformen' , ( ' )mentale Strukturen' , ( ) symbo­
lische Formen' - alles Begriffe, die unter Absehung von den j eweils spezifischen Konnotationen mehr
oder minder wechselseitig ausstauschbar sind) , mit anderen Worten über geschichtlich ausgebildete
Wahrnehmungs- und Bewertungsschemata, die aus der objektiven Trennung von ' Klassen' hervorge­
gangen (Alters-, Geschlechts-, Gesellschaftsklassen ) , jenseits von Bewußtsein und diskursivem Denken ar­
beiten" ( Bourdieu 1 982, 730) (Hervorhebung von mir ) . In einem Text von 1 974 spricht Bourdieu von
Habitus als dem "Kulturell Unbewußten" ( 1 974, 123 ) und "Es gibt keine Wahrnehmung, die nicht einen
unbewußten Code einschlösse" (Bourdieu 1 974, 1 6 2 ) . Mittels diskursivem Denken, das auf den oben be­
schrieben kognitiven Strukturen läuft, ist der "Akt der Verkennung" ( Bourdieu 1 982, 735 ) , der durch
Klassifikationsschemata notwendig mitproduziert wird, nicht zu bemerken. Denn in die Wahrnehmung
sozialer Welt gehen von Anfang an Konstruktionsprinzipien ein, "welche dem konstruierten Obj ekt in
seiner Unmittelbarkeit äußerlich sind; einen Akt der Erkenntnis und zugleich doch auch einen die
höchste Form der Anerkennung der Sozialordnung implizierenden Akt der Verkennung, da sich ihr jene
Prinzipien wie deren Zusammenhang mit der von ihnen reproduzierten Ordnung entziehen" ( Bourdieu
1 982, 735 ) . Gerade das läßt sich an der dem Konstruktions- und Wahrnehmungsprinzip der Perspektive
erweisen. - Im folgenden spricht Bourdieu davon wie sich das Verhältnis zur sozialen Welt "in ein dauer­
haftes und allgemeines Verhältnis zum eigenen Leib " ( 1 982, 73 9) festschreibt. "Nichts vermittelt ein
besseres Bild von der Logik des Sozialisationsprozesses, worin der Leib als eine Art Gedächtnisstütze fun­
giert, als jene Komplexe aus Gesten, körperlichen Posituren und Wörtern . . . ( 1 982, 73 9f) . - Auf den Zu­
sammenhang von Habitus, Bildung und der Humboldtschen "Inneren Form" bei Bourdieu weist Koring
( 1 988, 275f) hin.
'
4 . Als das Bild zum Abbild wurde
81
der Natur gegenüber I Wilde I ist ohne väterlichen Schutz verwaist, und sein Mut zur Kau­
salität erwacht in der Auslese eines wahlverwandten Tiervaters, der ihm die Eigenschaf­
ten gibt, die er im Kampf mit der Natur braucht und bei sich nur in schwacher Vereinze­
lung dem Tier gegenüber findet. Das ist der Urgrund des Totemismus (Durkheim) . "
und eines Zitates aus dem Vortrag zu Ehren von Franz BoB (zit. n. Gombrich 1984, 306) :
"Am Himmelsgewölbe . . . die ganze Prometheustragik des Menschen liegt in diesem Wort:
ein festes Gewölbe über uns gibt es nicht. Aber wir müssen dennoch dieses ganz hohe Bild
gebrauchen, um eine wenn auch willkürliche Hilfskonstruktion zu haben für unser der
Unendlichkeit ratlos gegenüberstehendes Auge. "
Dieses Buch wurde vom Verlag in der unkorrigierten vorletzten Fassung publiziert
5. Spiegels tadium als Bildner der Ichfunk tion
Vorbemerkungen * Vorsatz * Die visio perspectiva verzerrt * Wunsch nach
Irritationsfreiheit: Mathematik * Tote Winkel - Unsichtbarkeit - Montage * Zurück zum
Spiegel * Lacans Schrift über das Spiegelstadium * Ohnmacht und vorweggenommene
Macht * Irritation und Fragment als Anfang * Vorweggenommene Einheit * Relative
Sicherheit im methodischen Selbstzweifel durch die Absenz von Bilder * Ovids Narcissos
in Auszügen * Bild bei Lacan * Bildner * Beispiel: Eine Abbildung wäre mißlungen. *
Bildersammlungen * Nostalgie des Ganzen * Bild und Abbild
"Das ist sehr wichtig, die Modelle. Nicht, daß das etwas heißen würde - das heißt nichts.
Aber so sind wir nun mal - das ist unsere animalische Schwäche -, wir brauchen Bilder.
Und wenn ' s an Bildern fehlt, dann kommt es vor, daß die Symbole nicht zu Tage treten"
( Lacan 1 980a, 1 1 6f) .
Vorbemerkungen
Vorsatz
Das Zitat im Motto gibt den Anknüpfungspunkt zum Vorangegangenen: Ohne Bilder
keine Erkenntnis : Es geht jetzt näherhin um die Frage, woher sie ihre fundierende Bedeu­
tung für den Menschen, für seine Erkenntnis- und Verkennungstätigkeit bekommen. Dazu
knüpfe ich an den Ambivalenzen des perspektivischen Sehens an, stelle erneut die Frage
nach dem Zusammenhang zur Genese von Persönlichkeitsstrukturen und lege das Anre­
gungsmodell - es ist kein Verstehensmodell - Lacans in seiner ersten Formulierung dar, die
er in seiner Studie "Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion" gab .
Die visio perspectiva verzerrt
Nur an wenigen Stellen in der recht umfangreichen Literatur zur Perspektive taucht die
mit dem Wechsel vom Bild zum Abbild verbundene Problematik in Bezug auf die Konsti ­
tution von Persönlichkeitsstrukturen auf. Eine Ahnung davon findet sich in einer Studie
Schweitzers:
"Die visio perspectiva verzerrt die Wirklichkeit, sie ist nichts anderes als eine facon
d'appercevoir. Nirgends so scharf wie hier scheiden sich voneinander die obj ektive Gestalt
der Wirklichkeit und die subj ektive Weise der Wahrnehmung, der Bereich der Gegenstände
und der täuschende Schein des Sehens . . . In der Tat ist es dem Menschen gegeben, schon von
Kindesbeinen an durch die optische Täuschung des perspektivischen Sehens hindurch die
Wirklichkeit zu ergreifen" ( Schweitzer 1953 , 1 0 ) .
Die mittlerweile "normale" Weise des zivilisierten Sehens als optische Täuschung cha­
rakterisiert zu sehen, ist schon überraschend. Von einer optischen Täuschung zu reden ,
setzt aber einen Standard voraus, der fernab jeder Täuschung existiert: "d ie obj ektive Ge­
stalt der Wirklichkeit". Bei Schweitzer scheint dies ein naturwissenschaftliches Ideal zu
84
5 . Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion
5. Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion
sein. Oder vielleicht auch der Tastraum, der erheblich kleiner, näher ist und in dem keine
p arallelen Linien im Horizont zusammenzulaufen scheinen.
In diesem Zusammenhang von Täuschung zu sprechen zeugt auch von einem Wunsch: Es
sollte doch anders sein, ohne Täuschung, schon von Kindesbeinen an.
Das Geheimnis der seltsamen Konstruktion klärt sich im Text etwas später. Schweitzer
ist Platoniker 1 . Denn "ein perspektivisches Bild vermittle nur eine trügerische Erkenntnis
und ihr entspreche ein verworrener Seelenzustand des Betrachters, der nicht die Fähigkeit
besitze zur Wahrheit durchzustoßen (sic ! ) , wirkliche Erkenntnis vermittele nur die Meß ­
kunst, die Mathematik . . . 2 " ( Schweitzer 1 953 , 17) . - Leitet sich die Konstruktion der Zen­
tralperspektive nicht auch aus der Meßkunst, der Geometrie, der Mathematik ab ?
Was ist denn der verworrene Seelenzustand des Betrachters, wovon ist er geprägt, wo
kommt er her? Womit kann denn zur Wahrheit "durchgestoßen" werden ?
Wunsch nach Irritationsfreiheit: Mathematik
Die Irritation des mittlerweile zur Normalität gewordenen perspektivischen Sehens deckt
einen Wunsch nach Irritationsfreiheit auf. Der Ausweg, den Schweitzer andeutet, liegt im
Setzen auf mathematische Erkenntnis, im Abschied von der Verwirrung durch klare und
deutliche Rationalität. Die Verwirrung legt einen kränkenden Einschnitt frei: Der Mensch
kann nicht lebenslang im Modus des Tastens bleiben, kann in der Nahwelt nicht überleben.
Für die Ferne reicht der Tastsinn nicht. Er sieht sich gezwungen, den Tastraum der frühen
Mutter-Kind-Beziehung zu verlassen. Hier schuf auch die "Perspektive" keine Abhilfe,
auch wenn sie weitgehend nach dem Modell des Tastsinnes konstruiert wurde, dessen Über­
setzung auf das Sehen sie ist. Sie erweist sich weiterhin als unklar, als täuschend, und geht
auf Distanz.
Das Problem klaren und deutlichen Erkennens, das sich nicht erst seit der Renaissance
stellt, bekommt mit ihr aber eine neue Schärfe, da alte "Sicherheiten" und Orientierungen
aufgebrochen wurden. Eine lebenslange - in heutiger Terminologie gefaßt: - fast symbio­
tisch zu nennende Umhüllung durch eine relativ gleichbleib ende Umgebung, durch eine
Einbettung in einen Kosmos ( Mikrokosmos - Makrokosmos) wurde hinderlich. Dabei
stellte sich diese Umhüllung weniger durch Einfühlung3 her als durch die Erfordernisse
und Möglichkeiten mittelalterlichen Lebens und Produzierens4, die Bindung an eine über­
schaubare Gemeinschaft, zyklisch wiederkehrende Anforderungen aus der Produktion der
Lebensmittel (im weitesten Sinne ) , durch die Orientierung an Jahreszeiten, am Kirchen­
j ahr, Bindung an eine Landschaft, die durch das Leben der Gemeinschaft in einer Religion,
in Mythen gezeichnet warS.
In der Renaissance entsteht die Frage, die das Problem verschärft, wie sich der Mensch
außerhalb dessen stellen kann, was er beobachtet, was er sieht, was er erkennt. Wie weit ist
derjenige, der erkennt, in der Lage, sich so zu distanzieren, daß er eine Perspektive ge-
1 Platon nennt das perspektivische Bild " Phantasma" . (Sophistes 23 p .236 B)
2 Platon: Staat X 5 p .602 C ff.
3
,
winnt, die e s ihm möglich macht, die Natur zu erkennen6 • Er muß nicht nur i n der Entfer­
nung von seiner Herkunft, in der Feme, erkennen, sich orientieren, sondern sich auch noch
einmal außerhalb dieser Distanz stellen und dann auch noch wissen, wo er steht.
Dies ist ersichtlich an den Ausweichbewegungen Brunelleschis beim Zeichnen des Bapti­
steriums. Er sieht sich im Spiegel, den er als Instrument der Abbildung benutzen will. Er
muß zur Seite ausweichen, um das zu sehen, was er wiedergeben will. Um die richtige
Blickrichtung wieder zu finden, muß er wieder in den Spiegel sehen. Von sich, von diesem
Abbild, diesem virtuellen Bild seines Kopfes, das dann erscheint, behält er nur die Wieder­
gabe des Augenpunktes, der Pupille zurück. Auf diesen Punkt schrumpft der ganze Brunel­
leschi zusammen. Wenn dann davon gesprochen wird, man könne aus der Zeichnung re­
konstruieren, wo er gestanden habe, dann heißt das streng genommen nur, wo sich sein
Auge befunden hat. - D iesen Punkt eliminiert Brunelleschi später wieder. Er macht an
dieser Stelle ein Loch. Dadurch markiert er die Stelle, wo der Betrachter, der Andere hin­
durchsehen muß. Er vergrößert den Punkt und damit das Problem. Deshalb wird das Loch
wieder geschlossen.
Und es sei noch ein spekulativer Hinweis erlaubt: Eine andere Formulierung derselben
aporetischen mathematischen Struktur findet schon bei Platon in dessen "Menon " formu1iert am Beispiel der Wurzel aus 2 , dem, was eine irrationale Zahl genannt wird. Es geht
im Dialog darum, ob dem Sklaven auch anschaulich klar ist, was er erkennt und darum,
ob sich dies auch noch zeigen läßt. Nun ist die Quadratwurzel aus zwei nicht wirklich auf
einem Zahlenstrahl darstellbar, der von Null ausgeht und in gleichmäßige Intervalle unter­
teilt ist. D ie Intervalle lassen sich von Null und 2 ausgehend immer feiner schachteln, doch
die Quadratwurzel aus 2 ist nicht zu fassen. Irgendwann gibt es wohl jeder auf, der sich mit
Mathematik beschäftigt, dies anschaulich zu begreifen. Er rechnet damit. - Das also ist die
Sicherheit, die die Mathematik verbürgt. - Ist die Zahl nun irrational? Oder heißt sie nur
so? - Ich bin geneigt solche Worte erst einmal wahr zu nehmen. Mir macht das Mut, die
hier skizzierte Aporie auch mit anderen als mathematischen Mitteln zu verfolgen.
Tote Winkel - Unsichtbarkeit -Montage
Es gibt einen toten Winkel, in dem nichts zu sehen ist: Immer das, was gerade durch den
Blickrahmen ausgeschlossen ist. Dazu gehören nicht nur Teile des Objektbereiches, sondern
auf eine andere Art der Zeichner und der Betrachter selber.
Im Experiment Brunelleschis war zu sehen, daß in erster Linie der Zeichner und dann et­
was anders der Betrachter nur durch eine Ausweichbewegung im Sinne des perspektivi­
schen Sehen unsichtbar wird. Brunelleschi mußte immer wieder seinen Kopf zur Seite be­
wegen, aus dem Spiegelbild. Diese Bewegung hat die Struktur des von Freud beschriebenen
Fort-Da-Spiels7. Der von Freud beobachtete kleine Junge, sein Enkel, wirft eine Garnrolle
weg und holt sie am Faden wieder zu sich heran, um damit die Trennung von der Mutter zu
symbolisieren. Es geht hier um den Anfang und das Prinzip der Symbolisierung über­
haupt. Bei Brunelleschi ist das Fort-Da selbstbezüglich, reflexiv. Um sich als denjenigen zu
zeigen, der "naturgemäß" abbilden kann, muß er verschwinden und ist doch da. Erst in­
dem er nur noch indirekt, d. h. symbolisch, da ist, kann er zeigen, daß er richtig sieht und
wiedergibt.
die sich nicht zuletzt im Anschluß an Kohut auch in der Pädagogik so großer Beliebtheit erfreut.
4 vgl. hierzu Gurjewitsch 1 9 82
5
85
Dieses Buch wurde vom Verlag in der unkorrigierten vorletzten Fassung publiziert
Die Rede von der durch eine Religion gezeichneten Landschaft habe ich von Fulbert Steffensky über­
nommen.
6 Einige Denkanstöße zu diesem Abschnitt verdanke ich dem Seminar, das Lutz Mai im Winter 1 988/89
in Hamburg zum Thema " Das Ideal und die Insuffiziens des Subjektes" durchgeführt hat.
7 vgl . Freud 1 920 und dazu pazzini 1 9 9 1 .
86
5. Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion
5. Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion
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Der Vorgang der perspektivischen Zeichnung ist einer der Auseinandersetzung mit dem
Entstehen und Verschwinden des Subjektes . Es ist anwesend und abwesend zugleich. In der
Welt zusammenbringen 10 . Aber auch innerhalb der Form selber, lassen sich Aussagen über
symbolischen Form der perspektivischen Sicht ist beides enthalten: Anwesenheit und Ab ­
montiert s ind.
eine Photo- Graphie, ein Aufzeichnung von Lichtstrahlen hinaus nur machen, wenn Inhalte
wesenheit. Sichtbar ist die Abwesenheit; eine Distanz wird so erzeugt, die scheinhafte Dis­
tanz zwischen Subj ekt und Objekt. Die perspektivische Repräsentation bekommt den Cha­
rakter, der dem eines Symptoms ähnlich ist: Im Symptom ist ein Konflikt stillgestellt, ein
Konflikt zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Zeitgleich mit der Entstehung eines Kon­
zeptes zum Verstehen von Symptomen, der Psychoanalyse, kommt auch die "Perspektive"
in Bewegung.
Unter den Vorzeichen der "Perspektive" konnte das All nicht mehr erfaßt werden. Nur
noch Teile. Diese können dann bestenfalls addiert, integriert werden. Damit ist in der sym­
bolischen Form der Zentralperspektive die Montage8 schon enthalten. Mit der Montage, die
von der Entwicklung der " Zentralperspektive" selber in Gang gesetzt wird, ist ein Mittel
zum Zusammenhalt des Auseinanderfallenden, des fragmentarisierten Kosmos empfohlen.
Abb. 37: H o ckney : Sunday Morning Mayflower Hotel ( 1982) - Montierte Zentralperspektiven.
Bei Hockney ist die symbolische Form der Zentralperspektive in dem Sinne verlassen,
daß er keine p erspektivische Superstruktur mehr bietet. Bei Piero steht die Montage in der
Hierarchie unterhalb der Zentralperspektive.
Mit der neuen S ichtbarkeit wird etwas Unsichtbares produziert, Unsichtbarkeit, die
schon b ei Piero della Francesca nur über Montage o der Collage, wie Mollenhauer ( 1 986 )
sagt, etwas verringert werden kann. Zum einen ist von einem bestimmten Standpunkt eini-
Abb. 36: Piero della Francesca: Geißelung. - Montage im Innern der "Zentralperspektive" . Neben einigen
inhaltlichen Aspekten, die sich aus der Identifizierung der einzelnen Personen ergeben, existieren in
dem Werk auch montierte Zeitdimensionen, die in einem, wenn auch unterteilten Raum, zu einer Einheit
zusammengebracht sind. 9
Von hierher schon schließen sich beide Verfahren der Symbolisierung, "Montage" und
" Zentralperspektive " nicht aus. Erst viele einzelne Aufnahmen lassen sich zu einer Sicht der
8 vgl. Pirenne 1 970, 83
9 vgl. hierzu Batkin 1 98 1 , 201 ff; Ginzburg 1 983 und Mollenhauers Interpretation des Bildes in " bil­
dungstheoretischer Absicht" ( 1 986, 38 ff) .
10 Hier ließe sich in pädagogischer Hinsicht eine Kritik am " cartesischen Dual" , wie sie Markowitz im
Kontext der Systemtheorie vorlegt, diskutieren und anschließen (vgl. Markowitz 1 986, 57ff) : Üb er eine
Unterichtssituation wird dort gesagt: "Der Lehrer vermag die Menge der als anwesend erlebten Schüler
nur nach und nach ins Zentrum seiner Aufmerksamkeit zu rücken. Bewußthaben aller Teilnehmer ist
nur dadurch möglich, daß ihre Gegenwart als eine Abfolge von Augenblicken distinguiert und integriert
wird" (60) . und: " Die Figur des attentionalen Alternierens ist ein heuristisches Konzept, eine Problemfor­
mel, deren Fruchtbarkeit zur Rekonstruktion von Handlungszusammenhängen in diesem Kapitel an eini­
gen Beispielen - vor allem aus dem Bereich des Unterrichts - erprobt werden soll . . . Alternieren partiali­
siert. 'Eines der klassischen philosophischen Probleme hat darin bestanden, die Integration und Organisa­
tion unserer Sinneswahrnehmungen zu erklären. Es macht dabei keinen Unterschied aus, ob man Em­
pfindungen in Betracht zieht, die isoliert gegeben sind, oder solche, die sich in " Gestalten" darbieten; es
bleibt das Problem bestehen, die Beobachtungen eines Zeitpunktes mit den Beobachtungen zu einem an­
deren Zeitpunkt in Beziehung zu setzen' (Henie 1 969: 23 ) . Die klassische Lösung des Problems ist mit
Hilfe von Identitätskonzeptionen versucht worden, vor allem mit dem Konzept der Substanz. Identifizie­
ren, nicht Relationieren war das grundlegende Muster der Kontextierung von Augenblicken. Im Human­
bereich ist mit solchen Vorstellungen nicht fruchtbar zu operieren, da sämtliche riicht-deterministischen
Humankonzeptionen Substanz als Identitätsformel ausschließen müssen" ( 6 1 /6 2 ) .
5. Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion
5. Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion
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ges nicht zu sehen, es ist im Moment nicht sichtbar, könnte aber prinzipiell sichtbar wer­
den. D . h. auch die " Zentralperspektive" findet ihre Grenze an der Eliminierung der Di­
mension qualitativen Zeiterlebens .
Z um anderen sind bestimmte Dinge auf keinen Fall gleichzeitig sichtbar - das wurde das
Problem des Kubismus -, "Baptisterium" und "Brunelle schi" auf einer Tafel schließen
sich aus, wenn Brunelleschi selber malt. Beide können nicht, wie es doch ist, im Zentrum
des Geschehens repräsentiert sein.
D arstellung der aristotelischen Theorie des Regenbogens stieß Seneca auf das Problem der
Spiegelung, und in dieser Untersuchung wirft er die Frage auf, die während der folgenden
vierzehn Jahrhunderte oder länger eine der zentralen Fragen der Wissenschaften von den
Spiegeln werden sollte, nämlich ob das in einem Spiegel beobachtete Bild dort obj ektiv exi­
stiert o der ob es lediglich der gesehene Gegenstand ist, der an einem anderen als seinem
( 1 987, 1 62 ) .
Er hat recht.
Im folgenden skizziere ich Aspekte aus Lacans Reformulierung von Freud, da Lacan das
Problem der Spiegelung eingehend behandelt und gerade das thematisiert, was bei der Ra­
tionalisierung des Spiegels zu einem optischen Instrument aus dem unmittelbar bewußten
Erfahrungsraum verschwunden ist. Lacans Theorie bietet die Chance, den Abbildcharakter
des Bildes wieder auf ein anderes Bildverständnis hin zu öffnen, nicht umstandslos auf das
alte Verständnis hin, wie wir es etwa b ei Eckhart sahen. Daraus versuche ich Anschluß an
die neuerliche Diskussion um den Bildungsbegriff zu gewinnen.
Lacans Schrift über das Spiegelstadium1 1
" Wenn ein Spiegel eine Seele besäße, s o würde er das auf ihm gebildete Bild sehen"
(Avicenna 12) .
"Wenn die Menschen mich anders sehen wollen, als ich bin, was geht mich das an? Liegt
mein wirkliches Wesen in ihren Blicken? " ( Rousseau 1 3 )
Lacan formuliert den Zusammenhang von Bild und B ildung erstmals in einem frühen
Aufsatz, in dem es um die frühkindliche Entwicklung geht: "Das Spiegelstadium als Bil­
dner der Ichfunktion " 1 4 . Er bringt auf dem Hintergrund seiner psychiatrischen For­
schungen, seines Kontaktes mit der Kunst seiner Zeit, dem Surrealismus, auf dem Hinter­
grund philosophischer Beschäftigung u.a. mit Husserl und Bergson Bild und Bildung, Bild
und Entwicklung wieder in einen Zusammenhang.
Lacan versucht seit den ersten Formulierungen zum Spiegelstadium
( 1 936)
das von der
Aufklärung Ausgeschlossene, Vernachlässigte, Umgangene zu bearbeiten; er beginnt, j en ­
seits der Dichotomisierungen, der dauernden Aufspaltungen, Polarisierungen d e s moder-
11 Der folgende Text enthält Passagen aus einer schon veröffentlichten Arbeit: vgl. pazzini 1988
Livre de science Bd.2, 60 zit.n. Lindberg 1987, 100.
1 3 (1981, Bd. 2, 628)
14
D iese daraus resultierende Angst ist es vielleicht, die bei der festgestellten E rosion des Bil­
dungsbegritfs lieber auf instrumentell besser handhabbare Ersatzbegriffe auszuweichen
nahelegt, wie z.B. auf den Begriff der Identität.
Es liegt der Verdacht nahe, daß die Vorstellung von Identität als einem Entwicklungsziel
Lindberg schreibt in seiner Abbhandlung über Auge und Licht im Mittelalter: " Üb er die
12
liere mit Absicht und aus Arroganz hermetische Texte, so wird etwas von der Ungesichert­
heit, auch von der Bedrohung für unser gewohntes Denken und Wahrnehmen deutlich 1 6 .
der Persönlichkeit gespeist wird von der Vorstellung eines vergangenen Zufriedenheitsge­
fühl, vom primären (Freud) oder wie Tau.�k sagt " angeborenen Narzißmus" . Diese "Erin­
Zurück zum Spiegel
wahren Ort wahrgenommen wird"
nen Denkens zu denken und zu sprechen 1 5 . Er treibt seine Äußerungen an die Grenze der
Verständlichkeit. Wenn man zunächst einmal nicht hingeht und Lacan vorwirft, er formu­
(1949, erste Fassung 1936, vgl . Ecrits, Paris 1966). Im französischen Titel "Le stade du mirroir
comme formateur de la fonction du Je" klingt der Zusammenhang zu pädagogischen Fragestellungen
(formation: Bildung und Ausbildung, abgeleitet vom lateinischen formatio: Bildung) an.
nerung" ist aber - so wird man nach den Uberlegungen Lacans schließen müssen - eine Il­
lusion, mit der versucht wird, die Angst vor der Fragmentarisierung zu bewältigen.
Der von Lacan wie von Dali intensiv rezipierte Psychoanalytiker Tausk schreibt: "Ich be­
gegne mich wohl mit
Freud in
der Annahme, daß der erste Verzicht des Menschen, der auf
den Schutz des Mutterleibes, ein Verzicht ist, der der
Libido
auferlegt wird und dessen un­
vollkommene Leistung mit dem Angstschrei nach der Geburt beantwortet wird. Nachdem
aber dieses erste Trauma vorüber ist und kein Unbehagen den Säugling zu einer Auseinan­
dersetzung mit sich und der Welt veranlaßt, ist er ganz identisch mit sich, hat seine ganze
Libido bei sich und weiß nichts von einer Außenwelt, auch nichts von der, die er an sich
selbst alsbald wird entdecken müssen (leider ? , KJP ) .
1 5 Gerade dieser Zusammenhang verbürgt Lacans Zeitgemäßheit: Dadurch argumentiert er historisch,
auch wenn sein Ansatz ahistorisch scheint, ein wohlfeiler Vorwurf gegen alles, was dem französischen
Strukturalismus von außen zugerechnet wird. - Er argumentiert zweifelsohne nicht historisch ( -materiali­
stisch) wie dies Lorenzer beispielsweise für sich reklamiert. Lacan wirft er das Fehlen historisch-materia­
listischer Argumentation über eine Sekundärlektüre nach Lang (1973/1986) vor (vgl. 1977, 170ff). La­
can stellt im Gegensatz zu Lorenzer die Kontinuität des Diskurses der Aufklärung durch seine Theoreme
selber infrage. Das Resultat für eine kritische, der Rationalität verpflichtete Praxis kann m.E . ohne V or­
wegbeteuerungen in der Konstruktion der Theorie selber mit einer Praxis nach Lorenzer durchaus kon­
kurrieren, zumal Lorenzer in seiner Rede von der "beschädigten Herstellung" der individuellen Struktur
unter dem Widerspruch von Produktionskräften und Produktionsverhältnissen einer vorgängigen unbe­
schädigten Einheit aufsitzt, die fürwahr unhistorisch und wahrscheinlich auch nicht-menschlich ist. Kri­
terium für eine " richtige " Theoretisierung kann nicht sein, ob sie historisch-materialistisch zu nennen ist,
sondern ob sie dazu anregt, - wie schon gesagt - " den versteinerten Verhältnissen solange ihre eigene Me­
lodie vorzusingen, bis sie zu tanzen anfangen" (Marx).
1 6 Arroganz soll mit Angst zu tun haben: "Kratzen Sie (Herr Lacan) KlP) doch mal ein bißehen an der
Wahrheit) die Boileau wie folgt in Verse bringt: ' Was gut erfaßt ist} sagt sich klar. ' Ihr Stil) usw. - Darauf
antworte ich Ihnen sofort. Es genügen z ehn Jahre, damit, was ich schreibe, klar für alle wird, ich habe
das bei meiner Doktorarbeit gesehen, wo doch mein Stil nocht nicht kristalen war. Das ist also eine Erfah­
rungstatsache. Immerhin vertröste ich Sie nicht auf den Sankt Nimmerleinstag. - Ich stelle richtig: was
sich gut sagt, wird klar erfaßt - klar bedeutet, daß es seinen Weg geht . .. " (Lacan 1988, 94). -- "Der Dis­
kurs des Wissens läßt keinen Platz für die Angst übrig, die der zentrale Affekt ist. . .. Der Diskurs der
Wissenschaft basiert auf der Verdrängung der Angst, d.h. sie ist seine Antriebsfeder. Denn das Wissen
will das Restobjekt 'formieren', d.h. eliminieren, kann nicht zulassen, daß etwas Unberechenbares ... au­
ßer diesem Wissen existiert. Die Angst als Folge der Einführung des Subjektes in die Sprache ist die
Angst vor der Differenz , . . . Angst vor der geschlechtlichen Differenz, die das Begehren des Subjektes
trägt" (Lipowatz 1982, 182). Wird diese Angst übersehen, findet sie keine Zeichen, kommt es zu einer
Idealisierung des wissenschaftlichen Diskurses, wie es prototypisch bei Habermas zu sehen ist. "In An­
schluß an die Aufklärung des 18. Jahrhunderts ( die zugegebenermaßen in Deutschland sich nie richtig
etablieren konnte, deswegen ihre Idealisierung) wird die Macht des ' guten Willens' behauptet, als ob es
die Entdeckung Freuds nie gegeben hätte. Zwar rekurriert Habermas explizit auf Freud, aber er rezipiert
ihn, wie es das Kulturbürgertum in Deutschland tut: er integriert ihn in einer Reflexionsphilosophie, die
in einem Entwicklungsmodell die Spuren des Mangels auszutilgen versucht" ( Lipowatz 1982, 182f).
90
5. Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion
5 . Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion
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D as ist das Stadium der Identität im Individuum, dem die erste Projektion zum Zwecke
der Obj ektfindung am eigenen Körper folgt. Dieses Stadium ist nicht erst durch eine aktive
Ohnmacht und vorweggenommene Macht
psychische Tätigkeit entstanden . . . " (Tausk 1 934, 268 ) .
Bei Tausk - Freud benutzt den Begriff nicht - ist Identität nicht nur Ziel, sondern etwas,
Lacans Schrift über das Spiegelsta­
dium führt eher auf einen Riß , auf
was einmal da war. Identität taucht im Zusammenhang mit dem ersten Narzißmus auf, als
etwas Verlorenes und Wiederzugewinnendes . Mit diesen Konnotationen taucht der Identi­
Differenz, denn auf Idenität: "Das
Menschenj unge erkennt auf e iner
Altersstufe von kurzer, aber durchaus
tätsbegriff später in der pädagogischen Diskussion auf.
Am Beispiel Tausk läßt sich noch Weiteres zeigen: Der Vorstellung von (paradiesischer)
Identität liegen sehr zeitbedingte Beob achtungen zugrunde oder werden durch diese ge­
merklicher Dauer, während der es
stützt: z. B . die Feststellung des Angstschreis des Säuglings bei der Geburt. Dieser Schrei ist
vom Schimpansenjungen an motori­
scher Intelligenz übertroffen wird, im
wohl kein notwendiger, sondern hängt mit bestimmten Geburtshilfepraktiken zusammen.
Auch wird der Gefühlszustand, der
Spiegel bereits sein eigenes Bild als
sowieso nur vermutete des Säuglings,
solches "
abhängig gemacht von einem Wissen,
das er nicht hat: D er Säugling wisse
tion des Spiegelbildes s ei dabei die
Tatsache, daß das Kind in diesem
nichts von einer Umwelt. Demzufoge
fühle er sich bei sich, sich identisch
Alter " noch eingetaucht ist in mo­
torische Ohnmacht und Abhängigkeit
mit sich. Es wird aber nicht in Erwä­
gung
gezogen,
daß
ein
( 1 94 9 ,- 63 ) . Entscheidend
für die bildnerische, bildende Funk­
S äugling
von Pflege . . . D ie totale Form des
durchaus ein wie auch immer gearte­
Körpers, kraft der das Subj ekt in ei­
tes atmosphärisches Gespür für seine
ner Fata morgana die Reifung seiner
Umwelt haben kann, s ich auch zu­
Macht vorwegnimmt, ist ihm nur als
nächst ohne festgefügte Grenzen ir­
' Gestalt' gegeben, in einem Außer­
gendwie in der Welt spürt, Störungen
in dieser Welt wahrnehmen kann, die
halb, wo zwar diese Form eher be­
stimmend als bestimmt ist, wo sie
dem Erwachsenen garnicht mehr zu­
Abb. 39: Bacon: Liegende Figur im Spiegel ( 1 971 )
gänglich s ind, die er nachträglich
scheint, das sie erstarren läßt, und in einer Symmetrie unterworfen wird, die ihre Seiten
konstruiert .
Außerdem hab e n
die
ihm als Relief in L ebensgröß e er-
verkehrt - und dies im Gegensatz zu der Bewegungsfülle, mit der sie es auszustatten meint"
( 1 949, 64 ) 17 .
meisten Kinder vor der Geburt einen
Namen, das muß nicht der spätere
Bei Brunelleschi konnten wir sehen, daß er im Zeichnen selber die nBewegungsfülle "
schon aufgegeben hat, um sich Irritationen zu ersparen. Er macht wenige kalkulierte Be­
wegungen, um im Spiegel das erscheinen lassen zu können, was er selber nicht ist.
sein, und ein Geschlecht.
Anders wird das Verständnis La­
cans ausgehn: D er Effekt des Spiegel­
stadiums berührt uns ein ganzes Le­
Irritation und Fragment als Anfan g
ben lang als Begehren nach dem
" ganz Anderen" , als eine Sehnsucht,
so zu sein wie wir zunächst schienen:
vollkommen.
Abb. 38: Klinger: Philosoph ( 1 898)
"Und
D er Mensch wird in
einer Entwicklungsstufe geboren, in der die motorischen Fähigkei ­
ten im Vergleich zu anderen Primaten noch nicht ausgereift sind. Eine eTste Erfahrung von
doch ist diese
Einheit ist deshalb nicht über die Beherrschung der Motorik möglich. Von der Repräsent­
Sehnsucht (aus d e r Kindheit/nach der
anz eines geschlossenen Körperbildes kann nicht die Rede sein . Zum ersten Mal erfährt das
Kindheit, KIP ) eben ganz dem im­
Menschenjunge sich vollständig, als eine Einheit vor dem Spiegel, genaue,r im Spiegel, dort,
manent, was sie zu überwinden trachtet, verspricht sie ein Glück, über das wir längst ver­
wo es nicht ist, in einem virtuellen Abbild und Ort; und auch nur seitenverkehrt.
fügen: den Konsens einer Kultur, die sich der Metapher vom autonomen Subjekt verschrie­
ben hat. Die Sehnsucht gilt dem Eigenen, sie begehrt (vergeblich) die so intensiv verspro­
chene, aber dann niemals gefundene Aura der Identität" (Kötz 1 986, 3 9 ) .
)
17 Eine detaillierte Beschreibung des Spiegelstadiums insbesondere unter dem Aspekt der Ambivalenz
und der Aggressivität findet sich bei Rosine und Robert Lefort ( 1 986, 70 - 99) in einer Sequenz einer
Kinderanalyse. Das Interessante daran ist auch, daß das analysierte Kind noch nicht sprechen kann und
dennoch spricht, ohne daß etwa dauernde Einfühlung oder eine Z'entrierung um Körpererleben die ein­
zelnen Treffen bestimmen,
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5. Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion
5. Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion
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U n an g e p aß t h e i t 1 8 an
die keineswegs und nie
natürliche Umgebung ist
für das " Menschenj unge ""
Ausgangspunkt. E s ist
das j a nicht nur vor dem Spiegel - bleibt erhalten und ist immer wieder "ansprechbar"" . In
Situationen von großer emotionaler Belastung tritt die Unsicherheit der richtigen Richtung
oder Seite wieder auf.
In Analysen 2 1 kommt dies immer
wie der vor: D as prüfende Nachma­
n icht in größ erem Um­
fang durch Leitlinien von
chen der Bewegungen des Analytikers
in Spiegelverk ehrung; das , was der
eine mit der linken Hand tut, tut der
Instinkten auf eine Umge­
b ung h in orientiert. Die
anthrop ologische
stinktre duktion
andere j enseits der Schwelle des Be­
In­
wußtsein mit der rechten Hand. -
verur­
Auch in weniger belastenden Situati-
sacht " einen rätselhaften,
0nen können solche vom Räumlichen
p r ob l e m at i s c h e n
' Au s ­
stand' , der als Vorausset­
Abb . 40: Magritte: Tod der Perspektive (Madame Recamier de David,
1 950 ) .
her inverse Synchronizitäten beobach­
tet werden: Einer trinkt, der andere
zung der sprachlichen
Wendung an den Anderen
angesehen werden kann ""
( Se ifert 1 987, 6 3 ) 1 9.
auch, oft eben auch seitenverkehrt. Kommt diese spiegelverkehrte Syn­
D em Mangel an Beherr­
tion " durchgeführt" . Der andere "tut""
chronizität nicht zustande, wird sie in
Angstsituationen einfach per Proj ek­
sch ung und vorgängiger
dann, was paßt, was der V ollständig­
Orientierungsmöglichkeit
keit der Spiegelung e ntspricht. D i e
erwächst in der Möglich­
Projektion wird so z u einem Verwirr­
keit der E inbildung eine spezifisch menschliche Möglichkeit der Orientierung. Die Kraft
spiel als Folge der imaginären Struk­
zur Einbildung, also zur Selbstbildung, entsteht in der Spannung des Spiegelstadiums. Die
tur der Spiegelsituation. Der Ver­
Formung des B ildes vom Körper, das dem moi ( Selbst) eingeschrieben bleibt, orientiert
sich, dabei weder an der Anatomie, wie sie sich mit naturwissenschaftlichen Mitteln seg­
wirrte ist überall zugleich: im Spiegel
und davor. (Abb . 42) Nur dem klei­
mentieren läßt, sondern eher an kulturell, historisch spezifischen Vorstellungen - eine
nen Subj ekt darf das p assieren und
dies zum Amusement der E rwach­
imaginäre Anatomie . Diese ist ähnlich den Meridianen der chinesischen Medizin kein blo­
ßes Hirngespinst, das sich durch Einsicht wegwischen ließe , sondern hat bildende Kraft20 .
senen immer wie der infrage stellen,
Gerade die Verunsicherung, die in der Seitenverkehrung liegt und aus ihr resultiert - und
Abb. 4 1 : Magritte: Les liaisons dangereuses ( 1 936)
i n de m es immer wie de r vor dem
Spiegel steht, hinter den Spiegel
guckt, vor dem Spiegel Faxen macht.
1 8 Lacans Thesen beziehen sich wohl auf die Theorien von Bolk und Portmann. Vgl . hierzu Lang ( 1986,
49) .
1 9 Seifert fährt fort: "Ein Experiment aus einem nicht psychoanalytischen Zus ammenhang scheint diese
These zu stützen. Im Iahre 1930 versuchte Brainard, mit seiner kleinen Tochter W.Köhlers Affenexperi­
mente zu wiederholen. Zu diesem Zweck legte er ein Stück Schokolade außer Reichweite des Kindes,
um zu beobachten, welcher Hilfsmittel es sich bedienen würde, um das begehrte Objekt zu erreichen.
Doch das Kind reagierte anders als erwartet. Es reagierte sozial, d.h. sprachlich . Es kompensierte die an­
thropologische Instinktreduktion mit seiner Sprachfähigkeit. Statt zu versuchen, das Objekt zu erreichen,
protestierte das Kind: 'Hi ! , D addy, get it . . . ' . Die Experimente verwandelten s ich in Diskussionen,
Sprachspiele, die soweit gingen, daß sie eine eigene sprachliche Realität erzeugten. . . " ( Seifert 1 987, 63 ) .
Vgl. hierzu auch Lacan ( 1 978, 276 ) : "Dabei ist das Wichtige dies, daß dieses kleine menschliche Tier fä­
hig ist, sich der symbolischen Funktion zu bedienen, dank deren wir, wie ich's Ihnen erkärt habe, Ele­
phanten hier können eintreten lassen, wie eng die Tür auch sei" .
20 vgl . dazu Lang ( 1 986, 47 ) : "Lacan war aufgefallen, daß beispielsweise das hysterische Symptom der
Anästhesie keinesfalls organisch bedingten Segmentierungen zu folgen braucht, sondern eher den Pattern
einer imaginären Anatomie zu entsprechen scheint, die gemäß den Vorstellungen, die in einer gegebenen
Kultur über leibliche Zusammenhänge prävalent sind, variieren können. Wie die Analyse von Träumen
und Phantasien bezeugen, ist dieses Bild vom Körper außerordentlich gefährdet. Die französische Psycho­
analyse spricht von der 'image du corps morcele" .
- Bei nicht gelingender Trennung aus dieser P hase über e inen verläßlichen Dritten - es
braucht immer noch einen weiteren, um in der Spiegelsituation zwei zu sehen - kommt es
z . B . zum "Hans-Dampf-in- allen- Gassen-Phänome n "" , j emand will überall sein, davor, da­
rin und dahinter. - E in weiterer Effekt dieser frühen Verunsicherung scheint mir das Ver­
halten in Flugzeugen zu sein: Nicht die Enge der Sitze und der Zwischenräume, die Tat­
sache des Fliegens allein, sondern die - z. B. im Gegensatz zur U-Bahn - nicht kontinuier­
liche Spiegelungsmöglichkeit in anderen - mit Ausnahme der Stewardess und neuerdings
des Stewards - läßt die Passagiere erstarren. Die Motorik ist eingeschränkt und der Bezugs ­
punkte verlustig. Es scheint von daher der Brauch insbesondere von Amerikanern erklär­
lich, beim ersten Bodenkontakt erfreut zu klatschen. D as Koordinatensystem der Erde hat
sie wieder. - Ein weiteres Phänomen, was auf die nachhaltige Prägung durch die Spiegelsi­
tuation hinweist, scheint mir das allmorgendliche Spiegeln zu sein. Es braucht diese Spie ­
gelung, um sich aus der imaginären Situation des Schlafens, aus dieser temporären Regres­
sion zu trennen, um sich seiner selbst zu versichern, zu sehen, daß ich ein anderer bin.
21
gemeint ist hier die psychoanalytische "Kur" in der Phase, wenn sie noch nicht im Liegen stattfindet.
94
5. Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion
5. Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion
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S oweit eInIge " sp ätere ""
Effekte der Spiegelsitua­
tion. Ich komme zu einer
w e it e r e n V e ru n s i c h e ­
rung, die i m Imaginären
der Spiegelsituation ih­
ren Anfang nimmt, in
den
dortigen
B i l de rn .
nie endgültig abgeschlossen: D i e Allmacht der Gedanken 23 scheint immer wieder auf.
Sie bildet die Grundlage der Zauberei, die ja auf der Irritation über Raum- un d Zeitver­
hältnisse beruht, der Ablenkung, die der der Hypnose ähnlich ist. Beide haben teil an der
Struktur des Imaginären. - Diese ist aber keineswegs unwirklich, weder die Zauberei noch
das Imaginäre, erst recht nicht die Symptome, in denen Wünsche und Vorstellungen reali­
tätsmächtig werden. D as "perspektivische"" Sehen vermeint aber eine solche Differenz fest­
halten zu können, eine Differenz zwischen dem bloß Vorgestellten und Gewünschten und
dem tatsächlich Sichtbaren. Diese Meinung ist nicht mehr überzeugend. Beide S eiten der
Auch diese Verunsiche­
rung trägt dazu bei, das
gesicherte Abb ild den
D ifferenz sind miteinander verknüpft. Nur so kann Leonardo auf der abbröckelnden
B ildern vorzuziehen, den
versucht den Riß zu überbrücken, das All zu erhalten; ebenso die Masturbation. Trotz der
P l an
der P lanpersp ek­
tive der Bildung .
Wandfarbe Figuren sehen.
Die Sucht versucht der Auflösung der Spiegelsituation aus dem Weg zu gehen, indem sie
"Annehmlichkeiten"" der Ungeschie denheit, der Umgehung der Differenz, verlassen die
meisten Menschen diese . Aus dem Sichtwinkel rein, individueller in sich geschlossener,
wenn auch auf andere verwiesene Subj ektivität bleibt es unerklärlich, wie es zur Auflösung
Vorweggenommene
Einheit
Es kommt aber nicht zum Abschluß . Es entsteht ein Phantasma, ein ursprünglicher
Mangel. D as Phantasma ist ein bildlieher Effekt des fehlenden Urbilds. Es ist nicht Abbild
In der Spiegelsituation
liegt die Wirkung vor
von etwas, was schon da wäre . Es ist le diglich "als ob "" . Die Identifikation mit dem Spiegel­
der Ursache : Ein noch
nicht als Einheit erfahre­
sprünglich mit einer anderen Identifikation, die ebenso auf die noch nicht erreichte Selb ­
nes Körp erbild wird ge­
Abb . 42: Carlo Maria Mariani: La Mano ubbidisce all'intelletto
des Spiegelstadiums kommt, wie zur Beendigung der Masturbation, warum wir j eden Mor­
gen wieder aufstehen.
s ehen. Es wird so geseh e n , wie es e rst sein
wird22 • Aber im Moment
der Spiegelung ist es so. Die " normalerweise"" in eine Richtung laufende Z eitachse ist ge­
stört.
In dieser Verunsicherung ist das zu sehen, was der "strukturalistische Angriff auf die Ge­
schichte "" genannt wird. Das läßt sich aber so vereinfacht nicht behaupten. "Denn es ist
nicht die Geschichte schlechthin, die vom Strukturalismus im allgemeinen und von Lacan
bild, die natürlich nie eine Identität ergeben kann und darf (siehe Narcissos ) , ist gleichur­
ständigkeit im wörtlichen Sinne, auf ein nicht bewußtes Körperbild - verstanden als Mög­
lichkeit e iner inneren Spiegelung - zurückgeht. Das Kind ist angewiesen auf die Mutter, es
lebt in I dentifikation mit ihrer imago . Die zunehmende D istanzierung der Mutter für
kürzere oder längere Zeiten, läßt einen Mangel entstehen, der erst den Riß auftut, der in der
Spiegelung noch nicht erkannt ist: "Das Ich ist ein Anderer"" hatte schon Rimbaud gesagt.
Hier hilft nur die Möglichkeit zur Symbolisierung, die oben schon am B eispiel des Fort­
D a- Spieles eingebracht wurde. D abei dringt der Signifikant in die psychischen Strukturen
ein. Nur mittels der Sprache, der sprachlichen Ordnung kann die Trennung von der Mutter
überlebt werden.
insbesondere kritisiert wird, sondern deren metaphysischer B egriff, der sie mit dem Sub ­
j ekt im S inne der Identität des S elbstb ewußtseins gleichsetzt. Gegen e i n Modell der
Geschichte als Selbstproduktion und S elbstverwirklichung des Subj ekts versucht Lacan
schon in seinen frühen Schriften gerade j enes Sich und j enes Selbt in Frage zu stellen, so­
fern sie die B ewegung des Subjekts letzten Endes auf eine lineare Genese der Identität und
des Bewußtseins reduzieren. Statt dessen verweist er auf die Trägheit des Ich, die aus der
B ahn ( und aus dem B ann) des aggressiven, narzißtischen Teufelkreises nicht entgehen
kann"" ( S . Weber
In diesem Auseinanderfallen und doch Zusammenkommen, den Ansätzen von Täuschun­
gen, von Vorwegnahme einer zukünftigen Geschlossenheit, "Gestalt"" und illusionärer Auto­
nomie sind Anlässe für jede Menge Irritationen gegeben. Ansätze aber auch zum V erständ-
1 978, 1 7 ) .
I n der Spiegelsituation wird außerdem das Eine, der Eine und das Andere unterschieden
werden. D as
Relative Sicherheit im methodischen Selbstzweifel durch die Absenz von Bilder
Eine
tritt dem
All
entgegen. Freilich schafft der Durchlauf durch die Spiegel­
situation, der erst etwas von seinen Verkehrungen einbüßt, wenn die Unterscheidung zwi­
schen dem All und dem E inen, b zw. dem Anderen, der auch der Eine ist, gelingt. Auch
wenn dies gelingt, ist die Phase der Spiegelung, sind die immer wiederholten Wendungen
22 S. Weber führt Weiteres zur Eigentümlichkeit des futur anterieur, Matrix der Geschichtlichkeit des
Menschen aus ( vgl . 1 978, 1 0f ) .
2 3 In Freuds mythologischer Sprechweise geht die Allmacht der Gedanken mit dem Vatermord einher
( vgl. Freud 1 9 1 2 - 13, 427) . Es kommt zur Überschätzung der seelischen Vorgänge. "Damit erkären sich
die E indrücke, die uns am Unbewußten so seltsam berühren, sein rätselhafter, unwirklicher und peinli­
cher Charakter. Der Wunsch hat die Oberhand gewonnen. Die Dinge sind hinter die Vorstellung zurück­
getreten; Vergangenes wird wie Gegenwärtiges behandelt, räumliche Distanz ist aufgehoben" ( Seifert
1 987, 1 9 ) . Seifert verweist an dieser Stelle unter der Anm. 67 auf die vielen Mythen und Märchen unter­
schiedlicher Kulturen, die das Motiv des Vatermordes und die Allmacht in Zusammenhang bringen . Auch
über diese mythische Sprechweise wird Gewalt und Zerissenheit ( der Vater wird zerteilt und verspeist)
Motiv des psychoanalytischen Denkens . - Das Aufgeben der Allmacht hat auch immer mit dem Versuch
der Verdrängung der Zerissenheit und Gewalt zu tun . In der zentralperspektivischen Struktur wird das
All aufgegeben, die Dinge werden ins rechte Licht gerückt und hinter den Vorstellungen und der Ver­
wechslung mit den Wünschen hervorgezogen.
96
s.
5. Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion
Spi �g�lstadium als Bildner der Ichfunktion
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Abb. 43 : Barbara Keidel: Mit Spiegel ( 1 979/1 980 )
Abb. 44: Helmut Middendorf: Die Berührung ( 1 98 1 )
nis des systematischen Zweifels im
rationalistischen Denken spätestens
seit Descartes, der bis zur Tendenz
einer wahnhaften Verkennung der
Realität in eb en diesem Denken
geht, zu Destruktivität, zur Abpan­
zerung des einmal aufgenommenen
Bildes in einer Festung namens
Identität. Trotzig klingt das ,., Cogito
ergo sum ! " . D arüb er kann kein
,., Genius malignus" täuschen . Oder
vielleicht doch ? Am methodischen
Zweifel - und dieser Zweifel hat
Methode - kann man wahnsinnig
werden.
Hier würde ich sowohl die Sucht
nach Abbildern wie die Angst vor
Bildern verankert sehen.
In den Wissenschaften haben sol­
cherlei Emotionen den Charakter
von Störungen: Seit j eher wurden
Bilder in der Sprache, Metaphern,
das bildliche Sprechen in den stren­
gen Wissenschaften mit Mißtrauen
betrachtet. Seit der Neuzeit werden
sie immer mehr aus der Wissen­
schaft eliminiert. Bilder sind nicht
wahrheitsträchtig, tendieren zur
Lüge, zur Verführung, verunsichern. Voltaire betont mehrfach, man dürfe sich von Bildern
nicht blenden lassen. Es fällt nicht schwer in solcher Rede Spuren von wiederbelebter Ka­
strationsangst zu entdecken, die durch das Verlassen des Imaginären auftrat. Gellert
( 1 965 ) läßt lediglich zu, ,., dem, der nicht viel Verstand besitzt, die Wahrheit durch ein
Bild zu sagen". Bis hin zum Neopositivismus herrscht geradezu eine irrational anmutende
Bil derfeindlichke it24 . Warum sollte man
auch bei Bildern stehen bleiben, wenn die
,.,naturgemäßen Bilder" im Prinzip ver­
sprachlicht werden können, der Rest aber
dunkel und verworren ist, ja bedrohlich ist,
mit Leben gefüllt ist, wie die vielfachen aus
der Geschichte bekannten Bilderstürme
belegen25 .
Das Ärgernis für das Denken des ,.,cogito
ergo sum", für den Rationalismus, liegt in
der Tatsache der Bildung in einer Zeit, in
der keine Sprache, nicht einmal eine wil­
lentlich koordinierte Motorik zur Verfügung
stand. Selbst die reflektierende Annäherung
hat etwas von den Gefahren, denen sich
Narziß aussetzte, als er sein Spiegelbild be­
rühren wollte. Der Spiegel und auch das
Spiegelbild sind von anderer Materialität2 6
als das, was Narziß oder ein anderer Be­
trachter darin erkennen. Die anders vorweg­
gedachte Art der Berührung bringt Narziß
aus dem Gleichgewicht.
Abb. 45: Vladimir Rencin: Cogito ergo sum ( 1 988 )
Ovids Narcissos in Auszügen
"Es gab einen klaren Quell mit silberglänzendem Wasser, den keine Hirten berührt hat­
ten, keine Ziegen, die auf Bergen weiden, und auch sonst kein Vieh. Kein Vogel, kein wildes
Tier hatte ihn getrübt, nicht einmal ein Ast, der vom Baum gefallen war. Ringsum wuchs
Gras, dem das nahe Gewässer Nahrung gab, und Gehölz, das keinem Sonnenstrahl er­
laubte, den Platz zu erwärmen. Hier ließ sich der Knabe nieder, vom eifrigen Jagen und
von der Hitze erschöpft; denn die Anmut des Ortes und die Quelle zogen ihn an. Und wäh­
rend er den Durst zu stillen trachtete, wuchs ihm ein anderer Durst27• Während er trinkt
2 4 vgl. dagegen z . B. die "Streitschrift" für "die lebendige Metapher" von Ricoeur 1 986 und die These
von Kokemohr, daß Bilder in der Form von Kunstwerken eine Negation der zum Herrschaftsinstrument
gewordenen verdinglichten Vernunft sein können . In Anlehnung an Adorno schreibt Kokemohr ( 1 985,
1 4 1 ) : "Letztlich jedoch erschließen die Kunstwerke allgemeine mens chliche Vernunftmöglichkeiten j en­
seits der neuzeitlich-wissenschaftlichen Vernunft - Möglichkeiten der Transformation begrifflich verfaß­
ter Wirklichkeit auf das hin, was im Begriff aus ihr ausgeschieden wird" .
25 vgl . Warnke 1973 und Bredekamp 1 975
26
Im Mythos ist Wasser in einem Brunnen anstelle eines Spiegels
27
KIP Hervorhebung von mir.
5 . Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion
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5 . Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion
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erblickt er das Spiegelbild seiner Schönheit, wird von ihr hingerissen, liebt eine körperlose
Hoffnung, hält das für einen Körper, was nur Welle ist. Er bestaunt sich selbst und ver­
harrt unbeweglich mit unveränderter Miene wie ein Standbild aus parischem Marmor. Am
Boden liegend betrachtete er seine Augen, ... das Haar, ... , die bartlosen Wangen, . . . und
alles bewundert er, was ihn selbst bewundernswert macht. Nichts ahnend begehrt er sich
selbst . . . Er weiß nicht, was er sieht; doch was er sieht setzt ihn in Flammen. Und seine
A ugen reizt dasselbe Trugbild, das sie täuscht. Leichtgläubiger! Was greifst du vergeblich
nach dem flüchtigen Bild. Was du erstrebst, ist nirgends; was du liebst, wirst du verlieren,
sobald du dich abwendest. Was du siehst ist nur Schatten, Spiegelbild. Es hat kein eigenes
Wesen: Mit dir kam es, mit dir bleibt es . . . Doch im schattigen Grase gelagert, schaut er mit
unersättlichem Blick die trügerische Schönheit an und geht an seinen eigenen Augen zu­
grunde . . . 28 Und, was meinen Schmerz noch vertieft: Kein weites Meer, kein Weg, keine
Berge, keine Mauern mit verschlossenen Toren, nur ein wenig Wasser hält uns voneinan­
der fern! Er selbst will umarmt werden! . . . Man möchte meinen ich könnte ihn berühren ...
Durch Nicken erwiderst du meine Zeichen . . . Ich bin es selbst! Ich habe es begriffen, und
mein Bild täuscht mich nicht mehr. . . . Worum sollte ich denn bitten? Was ich begehre ist
bei mir . . . Könnte ich mich doch von meinem Körper lösen! . . . Doch der Tod ist mir keine
Last; denn der Tod wird mir die Schmerzen nehmen. Nur wünschte ich, der Geliebte lebte
länger! . . . A ls das Bild verschwand, schrie er: I Wohin fliehst du? . . . Laß mich, was ich
schon nicht berühren darf, wenigstens anschauen und so dem unglückseligen Wahn Nah­
rung geben! ' Und trauernd zerriß er das Gewand vom oberen Saum her und schlug sich
mit den marmorweißen Händen an die nackte Brust. Von den Schlägen wurde die Brust
roszg ...
Schon hat er nicht mehr die Farbe, die aus Weiß und Rot gemischt ist, keinen Schwung,
keine Kraft, nichts mehr von dem, was eben noch das A uge eifreute; . . . Und der Tod
schloß die A ugen, welche die Schönheit des Eigentümers bewunderten. Auch nachdem er
in der Unterwelt angekommen war, betrachtete er sich im Wasser des Styx. . . . " (Ovid29).
Und gleich möchte ich einen Ausgangspunkt für die geläufigen Verkürzungen der Meta­
morphose von Narziß als Zitat anschließen:
" Und kaum wirst du irgend eine Kunstfertigkeit, auch von noch so niedriger Wertstufe
finden, die nicht auf die Malerei Rücksicht nähme, so daß du sagen kannst, wo immer ei­
nige Schönheit an den Dingen sichtbar werde, nehme diese ihren Ursprung aus der Ma­
lerei. So pflegte ich, anlehnend an einen Ausspruch der Dichter, zu meinen Freunden zu
sagen, jener Narcissus, der in eine Blume verwandelt wurde, sei der eigentliche Erfinder
der Malerei gewesen. Denn wie einerseits die Malerei die Blüthe jeder Kunst ist, so stimmt
die Geschichte von Narciss auch noch nach anderer Seite hin. Denn könntest du wohl
sagen, daß die Malerei etwas anderes sei, als künstlerisch ein Ebenbild umfassen (festzu­
halten) suchen, gleich jenem, welches dort aus dem Spiegel der Quelle blickte " (Alberti
1540, 90j).
Es wird fast nur noch der (technische ) Aspekt der Spiegelung gesehen, nicht der der
( Zer-) Störung und des Todes.
28
(Narziß spricht, KJP)
29
Metamorphosen III, 408 - 5 1 1 in Auszügen: "Narcissus und E cho" (hg.v. Albrecht 1 98 1 )
Bild bei Lacan
Lacan spricht in seinen Untersuchungen dem Bild eine andere Wertigkeit, Geltung zu als
dem rationalisierten Denken geläufig ist: Er setzt das Bild nicht der rationalen Erkenntnis,
dem Begriff, den rein geistigen Operationen gegenüber als eine sinnliche, oder gar "bloß (,(.
sinnliche Qualität3o .
Das Bild ist bei Lacan eine "unreine(,(. Größe, weder rein geistig, noch rein sinnlich . Das
Bild, Bilder bleiben lebenslang " Bildner der Ichfunktion " , Bildner des Zugangs zur Reali­
tät, zur Realität des eigenen Körpers, der eigenen Sinnlichkeit, wie zu denen der Anderen,
zur gesamten sogenannten äußeren Realität. Die Irritation durch das Spiegelbild treibt in
die symbolische Ordnung. Das gilt für die Spiegelbilder, wie für die daran unterscheidbar
werdenden anderen Bilder.
Bildner
I
Bildner ist das Spiegelstadium durch den Prozeß der Identifikation, der das Ich selber
verändert, bildet. In den Worten Lacans: Der Durchlauf durch das Spiegelstadium hat bil­
dende Funktion ein Leben lang "als eine Identifikation . . . im vollen Sinne, den die Psycho­
analyse diesem Terminus gibt: als eine beim Subjekt durch die Aufnahme eines Bildes aus­
gelöste Verwandlung. Daß ein Bild für einen solchen Phaseneffekt prädestiniert ist, zeigt
sich bereits zur Genüge in der Verwendung, die der antike Terminus Imago in der Theorie
findet(,(. (Lacan 1 949, 64) .
Ein Kind sieht i m Spiegel seinen Körper in einer Ganzheit und Einheit, die seiner ( "inne­
ren(,(.) Erfahrung des eigenen Körpers nicht entspricht. Das Kind und in der Folge jeder Er­
wachsene sehen eine Einheit, die noch nicht erreicht ist. Das Bild ist formierend, es ist An­
trieb und Struktur zugleich, emotionale und damit verwoben kognitive Basis. Bildung hört
nicht auf. Sie geht durch eine Metamorphose erst im Tod des Individuums.
Lacan geht es bei der Bezeichnung des Spiegelstadiums nicht in erster Linie um einen gene­
tischen Aspekt3 1 , wie er sich vielfach in psychoanalytischen Entwicklungstheorien durchge-
30
vgl. hierzu auch Seitter ( 1 984, 1 5ff) . Lacan unterläuft auch die Trennung zwischen der hilfreichen,
aber letztlich doch schematischen, Unterscheidung von Primär- und Sekundärprozeß oder in der struk­
turell ähnlichen Unterscheidung von Langer ( 1 942) und später Lorenzer ( 1 977) von präsentativer und
repräsentativer Symbolisierung.
31
Neue experimentelle, p sychologische Untersuchungen haben den genetischen Aspekt im Blick, fragend
nach dem Zusammenhang von Empathie und der Fähigkeit, sich im Spiegel zu erkennen: "Die vorlie­
gende Arbeit geht von der Frage aus, wie im Laufe der menschlichen Stammesgeschichte Empathie ent­
stehen konnte. Aufgrund einer Gegenüberstellung von Empathie mit der phylogenetisch älteren Gefühls­
ansteckung wird eine Theorie entwickelt, aus der folgt, daß der auf dem Niveau der Menschenaffen neu
evoluierten Fähigkeit zur synchronen Identifikation mit Artgenossen eine entscheidende Bedeutung für
die Empathiegenese zukommt. Diese Form der Identitätswahrnehmung bekundet sich auch im Selbst­
erkennen im Spiegel. Hieraus wird die Hypothese abgeleitet, daß Empathie in der Ontogenese gleichzeitig
mit dem Erkennen des eigenen Spiegelbildes auftreten sollte. Untersuchungen an 36 Kindern im Alter
zwischen 16 und 24 Monaten werden dargestellt, die die Hypothese voll-inhaltlich bestätigen" (Bischof­
Köhler 1 9 8 8 , 1 47 ) . Dabei ist für mein Reden von der Imitation folgende Beobachtung aus dem Ex­
periment interessant: "Im Spiegelexperiment ist das dominante Kennzeichen der Übergänger (das sind
die Kinder, die sich noch nicht eindeutig unter Vorgabe der Versuchsbedingungen wiedererkennen,
KJP ) , daß sie ihr Spiegelbild vermeiden. Es scheint sich dabei um ein Merkmal zu handeln, das für die
unmittelbare Vorstufe des Erkennens typisch ist (v�l . Amsterdam, 1 972 ) . Die Kinder verstehen zwar
100
5 . Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion
5 . Spiegel stadium als Bildner der Ichfunktion
101
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setzt hat. Das Spiegelstadium, die imaginäre Ordnung ist lebenslang Bildner der Ich­
funktion. Lacan möchte die Synchronie der Termini Freuds wiederherstellen, ,.,so geht es
ihm . . . darum, die auf dem Perfektum beruhende Zeitlichkeit des bewußten Subj ekts
durch eine andere, gespaltene und gespannte Zeit zu ersetzen, die der Bewegung des Unbe­
wußten adäquater sei. Der auf Identität und Anwesenheit basierenden Genese stellt Lacan
eine Synchronie entgegen, die sich aber als alles andere denn bloße Gleichzeitigkeit be­
stimmtl.4 (S. Weber 1 978, 13 ) .
Abb .46: Magritte: L ' usage de la parole ( 1 928)
Die ,.,gespaltene ZeitC04 hat ihren Anlaß in der Vorwegnahme der Einheit, im futur anteri­
euro Die Spannung liegt in der Präse.�z des Bildes und der Gleichzeitigkeit des zweiten Fu­
turs. Bei Kittung der Spaltung und Uberbrucken der Spannung findet keine Bildung statt.
Es wird dann schlicht abgebildet, stillgestellt, es werden autoritäre Vorgaben gemacht. Da­
zu ein Beispiel.
schon, daß es sich nicht um ein anderes Kind handelt, spüren vielleicht auch, daß das Ganze etwas mit
ihnen zu tun hat, können sich aber noch nicht selbst identifizieren. Indem sie nun ihrem Anblick aus­
weichen, versuchen sie die Beunruhigung zu vermeiden, die für sie von diesem nicht einordnenbaren
Phänomen ausgeht" ( Bischof-Köhler 1 988, 1 58 ) .
Beispiel: Eine Abbildun g wäre mißlun gen.
Hätte Francoise Dolt0 32 im folgenden Beispiel ihren dunkelbraunen Filzhut auf dem
Kopf behalten und gesagt: ,.,Dies ist ein HutC04 , wäre wahrscheinlich nicht viel passiert. Hätte
sie den Hut dem etwas verschlossenen neun Monate alten Kind zum Spiel überlassen, wäre
auch wenig geschehen. Sie hat eine komplexe Szene, ein Bild entstehen lassen, das mit Wor­
ten skandiert wurde. Als die Worte zu Abbildern wurden, machte sie eine neue Szene, ein
Bild, das über den vorangegangenen sprachlichen Ausgang, über die Funktion der symbo­
lischen Ordnung aufklärte - durch Lachen. Spannungsabbau und -aufbau:
Dolto trifft in einem Park eine
Mutter mit einem Jungen im Sport­
wagen . Der Junge wird von der
Mutter ,.,als ein wenig zurückC04 be­
zeichnet. Ihr Hut hatte seinen Blick
und seine rechte Hand angezogen .
Als sie den Hut dem Kind mit dem
Wort ,.,HutC04 hinhält, will das Kind
ihn nicht ergreifen. Sie nimmt den
Hut hoch, bewegt ihn und wieder­
holt: ,.,HutC04 . Zunächst berührt
dann das Kind den Hut, beobachtet
ihn genau, berührt ihn nicht wie­
der. Sie setzt den Hut wieder auf .
Erneut
erwacht das Interesse. Er
Abb . 47: Magritte: Das ist keine Pfeife - Die Fortsetzung des
nimmt ihn mit beiden Händen und
Fort-Da-Spiels mit anderen Mitteln.
wirft ihn zu Boden und meint, ihn
- wie sie den Blicken entnehmen kann - wieder auf ihrem Kopf zu finden. Sie hebt ihn auf
und so weiter. ,.,Jacques hat den Hut schon wieder auf die Erde geworfen ! C04 Jetzt folgt das
Kind dem Hutaufheben. Dolto wird müde. Als sie sich verabschieden will und nocheinmal
"HutC04 sagt, blickt das Kind sie an, ohne sich zu rühren. Sie verfährt dann in Analogie zum
Fort-Da-Spiel Freuds: Nimmt den Hut hinter den Rücken: ,.,Kein Hut ! Co4 , zeigt ihn vor
"Hut ! Co4 . "Das Kind erregte sich, ich sah darin wieder eine Aufforderung. Was es begehrte,
war eben dieses abwechselnde Erscheinen . . . Co4. Sie .variiert dann aus "JuxC04 : "Ich sagte also
aus Spaß: 'Hut ! ', wenn ich den Gegenstand verschwinden ließ, und zog ihn bei 'Kein Hut ! '
wieder hervor. Da begann Jacques plötzlich, zum ersten Mal in seinem Leben, la ut
aufzulachen was, wie sie sich denken können, seine Mutter ebenso in Erstaunen versetzte
wie michC04. Sie versteht daran u.a. : "Und genau dort liegt der Ursprung des Wortspiels des Spielens mit Wörtern: In der Tat ist es ein Spiel, das die Subjekte zu Herrn der Dinge
macht, während es sie zugleich der symbolischen Funktion der Wörter unterwirft, ein
Spiel, das ebensogut und sogar noch mehr aus dem Widerspruch als aus der Bej ahung Lust
zu ziehen vermag. Hier liegt der Ursprung des Humors Co4 (Dolto 1988, 9 - 15) .
Die Spannung zwischen der imaginären und der symbolischen Ordnung war mehrfach
stark abgefallen. Die Grenze hatte sich abgedichtet. "Das ist ein Hut. Ein Hut ist ein HutC04 .
Es waren neue " WorteC04 dazugekommen und wurden auch wieder integriert. Die Aktionen
ließen sich dann genau auf die Worte abbilden, eineindeutig. Erst mit der erneuten An-
32
Psychoanalytikerin, Lacanschülerin
1 02
5. Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion
5. Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion
1 03
Dieses Buch wurde vom Verlag in der unkorrigierten vorletzten Fassung publiziert
knüpfung an die Irritation des Imaginären, des nicht Beherrschten, mit der Wiederaufnah­
me des Spiegelstadiums mit seiner Seitenverkehrung, ließ eine Ö ffnung entstehen . Dann
kann gelacht werden.
Dem etwas "zurückgebliebenen Kind'"' fielen Bilder zu, die es aus seiner näheren, ge­
wohnten Umgebung, der Familie noch nicht kannte. Vielleicht aus Angst vor der entstehen­
den Spannung wurde das Kind einfach zurückdatiert (oder vordatiert) , jedenfalls für jün­
ger als neun Monate gehalten.
hungsweise informiert36 . Die bloße Zeugung wird abgewertet zugunsten einer (In)Formie­
rung37. - "This new kind of padre, this platonic doctor of the soul, ows his primary alle­
giance to the kind of virtue as self-rule by reason, and his commitment to society springs
from his recognition that reason is the true source of responsibility in the group" (Gadol
0 . 1 . , 230 ) .
Entwurf und Bildung gleichen sich an. Das ist der architektonische Kern der Familien­
planung im Besonderen, der Bildungsplanung des Weiteren. Bildung beginnt hier zur Ab­
bildung zu werden.
B ildersammlungen
Die ersten Gruppen, Familien, sind also die "Sammlungen'"', aus denen dem Kind, das
noch kein formiertes Ich hat, die Bilder zufallen (vgl. Lacan 1980b, 45ff) . Es kann dagegen
und dafür nichts tun. Sind in diese Bilder keine Veränderungsmöglichkeiten eingebaut,
sind sie zu eng oder zu einseitig gefaßt, kann eine Pathologie beginnen, das heißt: eine Ab­
hängigkeit von der dauernden Wiederspiegelung derselben oder sehr ähnlicher Bilder. Bil­
dung findet nicht statt.
Hierin findet sich ein Grund für die große Anzahl der Abbilder. Es scheint auch wichtig
zu sein, daß diese Bilder als äußere erscheinen. Ein Motiv für den Gebrauch der fotografi­
schen' perspektivischen Abbilder. Denn das Foto und seine Animation, der Film, repräsen­
tieren noch am ehesten den Blick nach außen, den scheinbar objektiven. Die in der Masse
der Bilder steckende Wiederholung verhindert Trennung oder tröstet über diese hinweg. An
dieser Stelle - Frage: Trost oder Verhinderung - unterscheidet sich eine künstlerische oder
eine pädagogische Intention von der verdeckenden Vermarktung des Begehrens. Oft ist aber
die Vermarktungs möglichkeit der erste Aufweis der Existenz eines Begehrens.
Weil die Familie diese Bildersammlung ist, wird sie schon gleich nach Erfindung der
" Zentralperspektive'"' rationalisiert. Vielfache Belege hierfür finden sich bei Alberti, der
auch die Zentralperspektive in Form gebracht hat:
Er bringt in seinem Spätwerk "Iciarchia'"' ( 1469)33 den hervorragenden Mann, also den,
der an den Staatsgeschäften, der Wissenschaft und der Kunst teilhat, in Verbindung mit
dem Herrscher, Beherrscher der Familie34 . Dieser Mann ist erst ein "wahrer" Vater, seit er
nicht nur einfach einen Sohn "von der Natur empfängt" 35 , sondern diesen erzieht, · bezie-
Nostalgie des Ganzen
Ein m. E . wichtiger Inhalt von Bildern, die zur Bildung beitragen, nicht von Abbildern,
ist die Erfahrung des Abgetrenntseins in mehrfacher Hinsicht, des Getrenntseins nach dem
Leben im Mutterschoß, der Trennung dann zwischen Spiegelbild und der Erfahrung des ei­
genen Körpers . Diese Trennung generiert einen dauernden Prozeß von Trennungen, von
Rissen. Der Körper wird als "morcele" , in kleinen Stücken, erfahren. Der im Deutschen
naheliegende Ausdruck "zerstückelt'"' hat dagegen die Konnotation von vorangegangener
Einheit und folgender Zerstörung. Die Erfahrung von Trennung ist die Voraussetzung von
Leben3 8 . Unfähigkeit zu einem Leben mit Trennungen führt zum vorzeitigen Tod. Aus dem
Wunsch nach Vermeidung dieser Trennung wird leicht ein umfängliches Wunschdenken,
der Wunsch nach Ersparung von Abgetrenntsein, der Wunsch nach Stillegung des Bilder­
flusses, der Wunsch nach dem einen ganzen Abbild.
Lacan hat das "die Nostalgie des Ganzen" genannt, "eine metaphysische Fata morgana
der universellen Harmonie, mystischer Abgrund der affektiven Verschmelzung, soziale
Utopie einer totalitären Bevormundung, aller Formen des Heimwehs nach einem vor der
Geburt verlorenen Paradies und der dunkelsten Strebungen zum Tod" ( 1980b , 53 ) .
Gegen die Versuchung durch solches Wunschdenken, durch solche Abbilder ist die ratio
dio terrestre" (Alberti 1 469, 274 ) .
33 Das ist drei Iahre vor seinem Tod. In diesem Werk gibt er ein eigenes concetto des Mannes, eine Apo­
logie des Patriarchats, j enseits der vita activa oder contemplativa des Mittelalters. Die Szene, vor der der
Dialog stattfindet, ist der vom Frühjahrsregen angeschwollene Arno, der über die Ufer zu treten droht.
Bild für die drohende Überflutung, wenn das rechte Maß verlassen wird. Es geht thematisch um die hohe
Kunst der Selbstbeherrschung. - Iciarchia ist abgeleitet vom griech . iciarco und bedeutet "hervorragender
Mann und Herrscher über die Familie" . "Pogniimgli norne tolto da'Greci, iciarco: vuol dire supremo omo
e primario principe della famiglia sua, - l'officio suo, insumma, sara avere cura di ciascuno per se, e in­
tendere quanto ciascuno vaglia e quanto possa ciascuno solo e quanto con gli altri, e indi provedere alla
salute, quiete, e onestamento di tutta la familigia. E sara sua impresa dare ogni opera d'essere in questo
superiore agli altri primi" (Alberti 1469, 273 ) .
34
"Atto principo a questi ragionamenti s a intendere qual sia proprio quella qual noi chiamiamo famiglia.
Quanto m' occere dalla natura, pare a me che la citta com'e constituita da molte famiglie, cosi ella in se sia
quasi come una be grande famiglia; e, contro, la famiglia sia quasi una picciola citta" (Alberti 1 469, 266 ) .
35
-
"data a noi della natura" (Alberti 1 469, 274) i m Italienischen ist das die ( s äkularisierte) Redewen­
dung für Empfängnis und Geburt. - ( Frankenstein läßt grüßen. ) - Die Stelle lautet im Original: " In
questa nostra iciarchia la intenzione nostra sara piu circa informare omini dati a noi dalla natura, che
circa riceverli datici dalla mamma. Dira quello da'suoi piccini nato in casa babbo: "costui e mio figluolo".
E io diro: "vero; ma tu 10 facesti simile agli altri animali nati con due piedi, io 1 0 feci simile per virtU a uno
36
37
"informare" .
Inhaltliche parallele Stellen finden sich auch in "Della Famiglia" von Alberti (vgl. 1 986 ) , 99ff, insbe­
sondere 276ff: Gianozzo , Albertis Dialogpartner sagt dort auf den Einwand Albertis, daß eine an den wis ­
senschaftlichen Erkenntnissen ausgerichtete Bildung schwierig s ei: "Diese Dinge s ind nicht so schwierig,
wie du geglaubt hast, weil sie alle zusammenhängen und in einer Weise miteinander verkettet sind, daß
für den, der ein guter Hausvater sein will, wenn er bloß eines gut durchführt, alles andere von selbst
folgt. Wer es versteht, keine Zeit zu verlieren, wird fast alles zu leisten verstehen, und wer die Zeit anzu­
wenden weiß, wird über alles , was er will Herrsein. . .. ". - Maiorino schreibt über "Della F amiglia �� :
"Turning now from considerations of form to that of subject matter, we notice that Alberti interprets his
choice of subj ect in terms of a human measure in Della Famiglia. Confronted with the whole social
spectrum, Alberti focuses on, as Max Weber would say, an ideal type : the successful merchant heading an
exemplary family" ( 1 976, 480 ) und:"1t must be pointed out that Brunelleschi and Alberti were architects
in the first place. It thus apparent that linear perspective and DeLLa Famiglia intend to discipline reality
from above, rather than finding a position in it" ( 1 976, 483 ) .
3 8 "Separare,
trennen, läuft hier hinaus auf ein s e parare, sich selbst hervorbringen. Verzichten wir hier,
wo der Sinn von einem Verb aufs andere gleitet, ruhig auf gewisse Hilfen, wie wir sie bei den Etymologen
der lateinischen Sprache finden könnten. Man halte sich lediglich vor Augen, daß dieses Gleiten seinen
Grund hat in der gemeinsamen Zugehörigkeit zur Funktion der pars" (Lacan 1 975, 222 ) .
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5 . Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion
1 05
5. Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion
Dieses Buch wurde vom Verlag in der unkorrigierten vorletzten Fassung publiziert
relativ machtlos , weil sie selber die Illusion der vollendeten, der vollendbaren Ordnung
enthält39.
D ie wissenschaftsförmige "Tendenz zur Nostalgie des Ganzen" begann in der - so könnte
man sagen - zweiten Phase der Renaissance beim Aufräumen all dessen, was durcheinan­
dergewirbelt worden war.
Der Beginn dieser Tendenz läßt sich schon in den Schriften Albertis, des Kunsttheoreti­
kers und Architekten sehen, der sich zu Fragen des Hauswesens, also auch der Erziehung
äuß ert:
Schon in Albertis Formalisierung der Zentralperspektive unter pragmatischen Aspekten
läßt sich, wie Hedrick ( 1 987 ) andeutet und für die Renaissancearchitektur zeigt, ein Zu­
sammenhang zwischen einer sich wandelnden Form von Erotik und Architektur, von
Städtebau feststellen.
Hedrick präpariert aus den Schriften und Bauten Albertis dessen Angst vor dem Orna­
ment heraus. D as Ornament verdecke lediglich einen Defekt, so Alberti. " Ornament will
accordingly be defined by Alberti as 'painting and concealing any thing that was deformed'
( IV, 2, 1 13 ) "4 0 . Alberti hat sozusagen Angst, daß sich hinter einem Ornament, hinter einer
Verkleidung eine D eformation, ein Riß , ein Bruch, ein Nichts auftut: der Mangel. D em ent­
spricht, daß sich insbesondere in Albertis architekturtheoretischen S chriften zeigen läßt,
daß ihm sehr an der Konstruktion einer vollkommenen Ganzheit gelegen ist, die keine
Mängel mehr aufweist, die durch Ornamente verdeckt werden müßten. Verdecken, verklei­
den diene nach Alberti nur der Unkontrollierbarkeit. "The Albertian desire for the unified
whole, wether of building or of city, is a prerequisite for utopian design, which needs must
start from nothing, often by designing a human nature so as to the best allow the regulation
of society as an aesthetic whole" (Hedrick 1 987, 1 39 ) .
Weshalb wurde die Erörterung des Ornaments, als Verdeckung von verborgenen Defekten
Abb. 48: Too much sex affects your vision - Kommentar zur Fußnote 41 .
notwendig, weshalb die Sehnsucht nach Ganzheit wichtig? - In der Renaissance begannen
zu seinen besten Malerwerken gehört, sind von anderen Meistern gemalt" ( Vasari 1 83 7,
die Distanzen zwischen den Menschen größer zu werden. Durch einen Schub an Indivi­
duation, d. h. Herauslösung aus Landschafts- Zeit-Gruppen-Kontinuen, wurde Fremdheit
II, l , 3 53 ) .
pro duziert, Unberechenbarkeit. In der Distanz ist eine zielgerichtete Beeinflussung ohne
Veränderung oder direkten Eingriff ins Objekt, ohne Berührung - wie ja auf dem Markt er­
fordert - nur über den Blick möglich4 1 . Es mußten also Regeln konstruiert werden, Regeln,
Gehört Alberti zu den Promotoren der Modeme, so bildet Lacan einen Kern der sogenann­
ten postmodernen Position für die französische Literaturwissenschaft, Philosophie, Psycho ­
analyse. D iese postmoderne Position, die eine " Redaktion" ( Lyotard) der Moderne vor­
nimmt - man erkennt es an den Themen - "ist keineswegs" - wie Welsch schreibt - " durch
die von allen verstanden werden konnten, oder j edenfalls von denen, auf die es ankam. Es
die Außerachtlassung des Problems der Ganzheit bestimmt, sondern durch eine spezifische
entstand j e de Menge Ungewißheit, auch Unwissen über Zusammenhänge, über Themen,
Art seiner Beantwortung charakterisiert: Ganzheit, Totalität ist nicht darstellbar, kann
nicht positiv gesetzt werden, Ganzheit muß offen bleiben. Nicht aus Nachlässigkeit, son­
dern weil dies die einzig angemessene Art ist, ihrem Anspruch wirklich Rechnung zu tra-
über die es davor kein Wissen gab, weil sie so als Problem gar nicht existierten.
Beim
yerlassen
der zyklischen Lebensordnung wurde Planung notwendig, Kalkulation,
genaue Uberlegung. Alberti schreibt als Planer über alle möglichen Bereiche des Alltags­
gen. Gesetzte Ganzheit wäre bemächtigte Ganzheit und verabsolutierte Partialität . . . Ein-
lebens .
Über Alberti merkt Vasari lakonisch an: "Eine Ansicht von Venedig und der Marcus­
heitsfreunde ( Philomonen) werden immer wieder die substantiale Form einfordern, . . . nie
aber sich mit der offenen zufrieden geben . . . . Denn Einheit ist primär nicht Korrelat von
kirche stellte er perspectivisch dar, die Figuren in diesem Bilde aber, welches im Uebrigen
Einsicht, sondern Objekt eines Wunsches. Einheit, das ist eine der tiefsten Identifikationen;
wenn der Kopf darüber ins Schütteln kommt, hält das Herz noch lange unerschüttert
ihm fest; man steht hier einem Grundwillen gegenüber" (Welsch 1 987,
39 Das äußert sich formal in den Arten der Theoriebildung, wie inhaltlich in den unterschiedlichen
Wissenschaftsgebieten. Die Psychologie und die Psychoanalyse sprechen b eispielsweise vom "Konstanz­
prinzip" , eine Form der Nostalgie des Ganzen.
4 0 Das Zitat ist hier aus dem englischen Text entnommen: Alberti, Leon Battista 1 955, vgl. Hedrick 1 987,
1 30.
4 1 In einer frühen Schrift Albertis läßt sich ein Zusammenhang zwischen Sexualität und Perspektive
eruieren. Die Schrift heißt wie oben schon erwähnt "Hecatonphilia. Die Kunst der Liebe. Oder: Liebe auf
hundert verschiedene Arten entdeckt" - Originaltext in: Alberti ( 1 47 1 /1 973 ) . Die Schrift beginnt im üb­
rigen ganz ähnlich wie Della Pittura.
an
126f) .
Bild und Abbild
Lacans Rede vom Spiegelstadium bringt das Bild im Gegensatz zum Abbild wieder ins
spräch. Dabei geht es nicht um einen großen Schritt zurück. Er versucht nicht das Abbild
zu übersehen, das Abbild gewordene Bild. Es gibt noch etwas anderes als die (spätere, des­
halb auch) Re-präsentation eines Eindrucks durch ein Bild, das einen Eindruck wiedergibt
- in mehr oder minder guter Qualität. Das ( Spiegel- )Bild macht ein Abbild. Dieses Abbild
1 06
5. Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion
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kann aber nur in einem Moment Repro­
duktion oder Repräsentation sein und
dieser ist nicht wesentlich. Dieses Mo­
ment ist nur ein technisches Durch­
gangs stadium, kann auch nur eine Mo­
mentaufnahme sein.
D as ( Spiegel- ) Bild grenzt die All­
macht des kleinen Subj ektes ein und
konstituiert das Ich als Abbild. Die
Möglichkeit dieser paradoxen Kon­
struktion liegt darin, daß das "Men­
schenjunge " erst durch die Annahme
der gleichzeitigen Identität und Nichti­
dentiät vor dem Spiegelbild verharrt, es
immer wieder aufsucht. D as ist das,
was den anderen Primaten mißlingt,
sie wenden sich sehr schnell desinteres­
siert ab. Kurz: Das Bild bildet ab . Das
Ich ist erst durch das Abgebildetsein.
Abb . 4 9 : John Hilliard: Rauminstallation in Schloß
D
as, was es so schwierig macht, BilBuchberg am Kamp ( 1 986)
dung zu planen liegt in diesem Para d ox
begründet. Planen läßt sich Bildung nur aus der eingeschränkten Wahrnehmung der
Architektenperspektive . Unter dem Paradox des Ineinanders von Bild und Abbild bei der
Konstitution des Ichs lassen sich bestenfalls Momente berücksichtigen. Und wie die Psy­
choanalyse zeigt, spielt dabei das Hören eine Rolle. Und wer nicht hören will, dem bleibt
am Ende nur das Fühlen.
6. Über die Zentralperspektive als Abbildung
Abbilder sitzen Bildern auf * Zur Rationalisierung der Bilder * Zweidimensionalität *
Zentralperspektive - naturgemäß ? * Abbildung und radikal immanente Bildung *
Transsubstantiation der Bilder * Widersprüchliches Beispiel für ein zentralperspekivisches
Abbild: Leonardos Abendmahl * Zum Bild * "Verstöße" gegen die Regeln * ParadoxeZüge
der Perspektive * Zwei große und zWölf kleine Sichtweisen * Indivi-duum und Gruppe *
Immanenz * Erwägungen zu Judas * Zwei radikalisierte Versionen
des Abendmahles * 1 . Das "Abendmahl" in Bunuels Film " Viridiana" * Zurück zu
Leonardo * 2. Das Abendmahl von Willikens
Abbilder sitzen Bildern auf
Es sprechen - meine ich - einige Gründe dafür, daß das, was der Wortbestandteil "Bild"
an (auch unmerklichen) Assoziationen auslöst, zusätzlich ein Movens für die Wiederauf­
nahme des Begriffs ist.
Mögen sich diese Assoziationen auf Abbilder hinbewegen als den bekanntesten und quan­
titativ am weitesten verbreiteten Bildern: selbst das Abbild hat einen differenzierten und
differenzierenden Reichtum entwickelt, eine Wirkmächtigkeit, die der der Begriffsbildung
seit der Renaissance um nichts nachsteht. Die Wirkung der Abbilder zumal in ihrer mon­
tierten und collagierten Auflösungsform, die im wahrsten Sinne des Wortes eine Animation
ist, lassen, was offenbar schon Comenius ahnte, Basedow und Chodowiecki wußten, j eden
Pädagogen vor Neid erblassen. In der gezähmten Form der Illustration der Texte durch Bil­
der und ihrer (ideologiekritischen) Interpretation werden Abbilder mehr und mehr in pä­
dagogische Prozesse eingelassen, wird ihrer Bedeutung Rechnung getragen.
Ohne Abbilder, die Bilder verstecken, wäre heute kein Produkt der Warenwelt an die
Frau oder den Mann zu bringen. So erweist sich der in der Erfindung der Zentralperspek­
tive noch enge Zusammenhang von neuer Wissenschaft, neuen Formen des Handels, des
Bankwesens, der Geographie, Astronomie, Produktion von Waren - anthropomorph ge­
sprochen - als ein Glücksfall. D ie Bilder konnten als Abbilder teilnehmen am "Fort­
schritt" , sozusagen auf dem Rücken der Entwicklung neuer Produktionsmittel, neuer Wa­
ren und als Produkt und Ware selber von der Lithographie bis zur elektronischen Bildver­
arbeitung.
Stimmt der Eindruck, daß die Abbilder den Waren aufsitzen, wie in Freuds Bild vom
Ich, das dem Es aufsitzt, wie ein mehr oder weniger geübter Reiter einem wilden Pferd?
Oder: Die rationalisierten Produktionsweisen auch in der Wissenschaft schleppen die in
den Abbildern aufscheinenden Bilder widerwillig mit. Das wäre dann die Bedingung ihres
Überlebens, ihrer Pflege, ihrer Weiterentwicklung. Oder: Die fortgeschrittensten techni­
schen Produkte zeigen eine Tendenz, diesen Reiter abzuwerfen: Die Fototechnik entwickelt
1 08
6 . Über die Zentralperspektive als Abbildung
6. Über die Zentralperspektive als Abbildung
1 09
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sich dahin, daß sie ihre Abbilder macht, ohne die Mitwirkung des unzuverlässigen Men­
schen 1 .
So trägt ein Bericht über die Photokina .. 1988 den Titel: ."Der Fotograf denkt, der Kame­
raprozessor lenkt" (Pardey 1 988) . Die Uberschrift ist gebildet nach der Redewendung:
."Der Mensch denkt, Gott lenkt", die schon Brecht umgewandelt hatte in: ."Der Mensch
denkt: Gott lenkt" . Aus den neu präsentierten Geräten ist abzulesen, daß im Produktions­
prozeß von Fotos, Abbildern, immer weniger an Können und Disziplin vom Fotografen
selber verlangt werden, jedenfalls was den Aufnahmeprozeß selber angeht . ."Elektronik
steckt in den Kameras, Elektronik steuert die Laborgeräte - was ein Jahrhundert lang
wahrh8:ft eine handwerkliche Sache war, die Erfahrung, Wissen und Intuition gleicherma­
ßen verlangte, reduziert sich auf das richtige Auswählen automatisch ablaufender Funkti­
onen. Daß der Apparat selbst scharfstellt, die Lichtverhältnisse berechnet und danach Zeit
und Blende unter Berücksichtigung der Obj ektivbrennweite reguliert, daran hat man sich
ja schon gewöhnt. Es wird noch mehr Hilfen geben. Canon zeigt auf einem Stand, der das
technische Angebot - gelungen - in mehreren spielerischen Lernsituationen darbot, eine
Kompensation des Verwackelns bei langen Brennweiten und langer Belichtungszeit: Inte­
griert in ein Teleobjektiv, gleicht ein optisches Zwischenglied die ungewollten Bewegungen
aus. Daneben konnte man ein ' Real-Time ' -System ausprobieren, das es auch ungeübten
Fotografen erlaubt, einen Golfspieler j ust in dem Augenblick abzulichten, wenn der Schlä­
ger den Ball trifft und der Sand stiebt. Mit Still-Video ( . . . ) ist das noch leichter: Canon
drückte den Besuchern die D isketten-Kamera RC-470 reihum zum Ausprobieren in die
Hand, und sie machten erstaunliche Bilder von einem platzenden, mit Wasser gefüllten
Ballon. Sie hatten nicht mit Glück und Können den 'entscheidenden Moment' erwischt, sie
mußten nur die Kamera auf Hochgeschwindigkeitsdauerlauf - 20 Bilder in der Sekunde stellen und hinterher das richtige aussuchen. Das ist die sanfte Art, wie der Fotograf ent­
mündigt wird, damit allen gegeben werden kann, was bislang dem trainierten Könner vor­
behalten blieb. Ist die Information erst einmal auf der Diskette, wird sie verfügbar für un­
terschiedliche Nachbearbeitungen. Da kann aus einem grellen Paßbild schlief.?lich eine
Grafik werden, die an Andy Warhols Siebdruck-Porträts erinnert, und diese Verfremdung
wird anschließend auf ein T-Shirt gebügelt oder zur Verzierung einer Kaffeetasse verwen­
det. Canon zeigte solche Umsetzungen" .
(Daß etwas z u einfach werde und der Profi entmachtet wird, ist ein i n pädagogischen
Diskursen nicht unbekannter Topos, der die Ambivalenz, auch möglichst qualitativer Dif­
ferenzierung übersieht. Entmündigt wird doch niemand, wenn er ."Geheimwissen" verliert,
im Gegenteil: er wurde zum Reden gebracht. )
Wenn es der Pädagogik nun darum geht, dem individualisierten Subjekt Möglichkeiten
zu bieten, sich in der gegenwärtigen Weh zu orientieren und die notwendigen Spannungen
aufzubauen2 und auszuhalten, um nicht erdrückt zu werden, dann tut sie gut daran, sich
der Bilder anzunehmen, sich erneut mit Bildung zu befassen. Dabei wird es darauf an­
kommen, aus den Abbildern, das herauszulösen, was noch anderes über das Abbild hinaus
in ihnen spricht, d.h. j enem Anderen immer wieder neu zur Sprache zu verhelfen, dem,
was im Prozeß der Rationalisierungen mit dem Schein ."naturgemäßer" Abbildung daher­
kommt, dem Riß, der im Spiegelstadium entsteht, dem aber nur harmonisierend Rech­
nung getragen wird.
1 Auch die "zentralperspektivische" Didaktik war einmal auf diesem Wege: Lehrer als Organisator von
Lernprozessen.
2 Das ist kein Verschreiber: Ich meinte nicht "abbauen" .
Nach den Worten Passetts läßt sich Psychoanalyse ." definieren als eine Sammlung von
Bildern und Analogien, die geeignet sind, j ene Motive sichtbar zu machen, die als innere
Leitfäden von Biographien in Erscheinung treten können. Der Prozeß des Ausbaus und der
Erweiterung der psychoanalytischen Theorie bestünde dann im Finden und Zusammen­
fügen immer weiterer solcher Bilder und Analogien mit dem Ziel, immer mehr Aspekte von
Biographien verstehen zu können. - Da Biographien sich nicht im luftleeren Raum ab­
spielen, sondern eingebettet sind in eine gesellschaftliche Realität, müssen jene Bilder, die
geeignet sind, Biographien aufzuschlüsseln, auch geeignet sein, die Verwobenheit von Bio­
graphien mit ihrem gesellschaftlichen Kontext darzustellen" (Passett 1981, 1 72 ) .
Ein wichtiger Unterschied zwischen Psychoanalyse und Pädagogik besteht darin, daß die
Pädagogik sich an den Prozessen der Produktion solcher Bilder beteiligt, die die Psycho­
analyse verstehen möchte. Die Pädagogik kann auf die Sammlung solcher Bilder zugreifen,
selber sammeln und eine Sensibilität dafür entwickeln, im Blick auf welche Themen, ori­
entiert an Theorien, Normen und Tabus, sie an Bildern mitarbeitet, welche sie ignoriert,
totschweigt, verdrängt oder tatsächlich nicht zuläßt, und mit welchen Bildern oder welchen
Bildstrukturen sie ohne besonderes Wissen darum arbeitet. Von daher bin ich am Schick­
sal der Bilder interessiert, zumal seit dem entscheidenden Einschnitt in der Renaissance,
als die Bilder zur Sprache kamen. Sie gingen nicht in Sprache auf, auch nicht als Abbilder.
Sie kamen aber den Gesetzen einer Sprache so nahe wie nie zuvor, indem sie rationalisiert
wurden.
Nach einigen Anmerkungen zum Prozeß dieser Rationalisierung möchte ich dem Schick­
sal der Bilder an einem weiteren Beispiel nachgehen, an Leonardos ."Abendmahl" .
Zur Rationalisierung der Bilder
"Bildung" wird s eit der Renais ­
sance säkularisiert. Bilder werden als
Tafelbilder allererst transportabe l
und Gegenstand von S ammlungen
( Belting 1 987, 1 55 ) . Abbildungen
können einem Individuum als Besitz
zugeordnet werden, können der (pri­
vaten) Andacht dienen. Abbildungen
werden auf einem einheitlichen Bild­
träger ( also nicht mehrere Tafeln oder
Bild und Text im Buch) rigoros ein­
heitlich dargestellt (vgl. Belting 1 987
167) . Die Unterscheidung von Innen­
und Außenraum wird erstmals in die
Darstellung mit einbezogen. Philoso­
phie, Wissenschaft und Kunst eman­
zipieren sich von der Theologie. Der
Vorgang der "Einbildung" eines Bil­
des Gottes kann nicht mehr als Para­
digma für den Bildungsbegriff selber
Abb. 50: "Endlich murmelte er doch etwas: ' Ist ne schöne
Gegend hier, was Madam ? G anz naturgetreu ! ' - und genommen werden.
stapfte davon" - Hank F . SeIler: Cornflakes in Cellophane
Anstelle des Bildnisses Gottes wird
das der Natur angeeignet. Es soll an­
geeignet werden. Es wird durch den Filter eines geometrisch-mathematischen Koordinaten�
1 10
6. Üb er die Zentralperspektive als Abbildung
6 . Üb er die Zentralperspektive als Abbildung
111
Dieses Buch wurde vom Verlag in der unkorrigierten vorletzten Fassung publiziert
systems in das menschliche Handeln, Denken und Fühlen eingespeist. Die Aneignung ge­
schieht am Paradigma des perspektivischen Blicks. Nicht mehr die Seele nimmt das Bild
auf, sondern ein besonders erzogenes Auge, "The detached Eye" wie Romanyshyn ( 1 987)
sagt. (Ab )Bild und Auge werden immer deutlicher und ausschließlicher aufeinander bezo­
gen. Die Wahrnehmung eines Bildes geschieht immer mehr fast ausschließlich visuell.
Dem Auge wird ein eigener Lernprozeß, der notwendig ist zur Konstruktion und Entziffe­
rung der Zentralperspektive, als eine Anpassung an etwas außer ihm aufgegeben, als eine
Orientierungsleistung. Sie beruhigt dadurch, daß an etwas außerhalb der eigenen Un­
sicherheiten, der eigenen Beunruhigungen, der Lust und Unlust orientiert wird, Sicherheit
erzeugen kann. Daß es sich dabei um etwas Gesetztes handelt war nicht immer klar. Es
wurde eben für "naturgemäß" gehalten3.
In der Angst vor den Auflösungserscheinungen der mittelalterlichen Welt4 brauchte es
Methoden, um Angst einzudämmen. Zur Bewältigung von Angst ist Steigerung der denkeri­
schen Fähigkeiten eine Möglichkeit, Dummheit die andere.
Genau hinsehen und das, was nicht zu verstehen ist, mittels des Denkens zu erklären und
sich zu orientieren, ist die eine Möglichkeit, nichts zu sehen, nicht wahrzunehmen und ab­
zuwarten, die andere5.
Mit der "Perspektive" ist eine neue Möglichkeit der Reflexion skizziert: Menschen können
aus der mittelalterlichen Symbiose mit der Natur heraustreten, Subjekt und Obj ekt be­
ginnen sich immer deutlicher zu unterscheiden (vgl. hierzu N. Schneider 1 987) . Diese Re­
flexion befördert auch die Möglichkeiten der Portraitmalerei. Mit der Darstellung von iden­
tifizierbaren Stiftern im ge stifteten Bild beginnt die Portraitmalerei. Die Möglichkeit iden-
3
Etwas von der Sicherheit in verwirrenden Situationen, die "Natur" vermitteln können soll, läßt sich in
der Ökologiebewegung wiedererkennen. Vielleicht läßt sich auch die Faszination für das perspektivische
Zeichnen in der Adoleszens von der vielfach berichtet wird so verstehen (vgl. etwa Hartwig 1 976; Drei­
doppel 1 98 1 )
4
5
Vgl. hierzu die umfänglichen Untersuchungen von Delumeau 1 985, z . B . Bd. 1 , 3 7 und 49ff.
Z um Zusammenhang von Dummheit und Intelligenz ein Beispiel aus der psychoanalytischen Praxis:
Landauer (vgl. Landauer 1 988, 1 9ff) : bringt aus seiner Arbeit als Analytiker einen "hübschen Beleg für
die gemeinsame Genese von Dummheit und Denkzwang" : " . . . der Knabe teilt das Schlafzimmer mit dem
von ihm geliebten Dienstmädchen und sieht die Liebesaggression des gleichfalls geliebten Onkels auf das
Mädchen. Aber er sieht nur die Oberkörper, das eigentlich Anstößige wird - weggesehen. An Stelle des
Sehens aber tritt das Denken. Seine Entstehung ist dieselbe wie immer, und auch seine Aufgabe ist die
gleiche, wie wir sie stets finden, wenn sie auch hier ins Pathologische verbogen ist: das Benennen, das
Rufen nach der Mutter hat versagt. Die große Realität Mutter hat enttäuscht. Das Kind steht allein; von
aller Welt geschieden, zieht es seine Liebe von der Realität zurück und sucht nun abseits von ihr in die
Erinnerungsbilder und deren Wortrepräsentanzen Ordnung zu bringen, Lücken zwischen ihnen durch
Ausfüllung mit älteren Vorstellungsbildern bzw. deren Wortrepräsentanzen zu schließen. Namentlich
wird die Realität durch einen "Sinn" und einen "Wert" vervollständigt. Sinn, das ist die gewünschte oder
gefürchtete Summation der Sinneseindrücke " Aller" , der Mutter, des idealen Vater Gottes, und Wert, d.
h. der Wert sub specie aeternitatis, die Liebe des unbegrenzt lebenden Vaters, die er - wie wir wünschen
und fürchten - den Dingen gibt. So gerüstet suchen wir uns über das aktuell unlustvolle Erlebnis hinaus
der ganzen Realität anzupassen und dadurch eben dies aktuelle Erlebnis zu bewältigen. Anders der
Zwangsgrübler, der zwanghaft das Greifbare und das Ergriffensein flieht, um im Reiche der Wortbilder
seiner Zwiespältigkeit zu leben und durch magische Gesten mittels der Wortbilder wie ein ferner Gott,
der Vater, die Realität zu ändern. Anders auch der Dumme: ihn kümmert kein Sinn, kein Wert, keine
Bedeutung und wie die Worte alle noch heißen mögen. Er bewältigt die Wirklichkeit eben durch seine
Dummheit, sein Nichtsehen, indem er ihr Mitleid, ihre Liebe weckt. Das kleine Kind will von der allgüti­
gen Mutter ergriffen werden. Das gelingt, aber es gelingt doch nur unvollständig. Besser gelingt es dem
Denkenden. Dessen Geist genießt größere Wertschätzung."
tifizierbarer Abbilder wird immer größer und damit überhaupt auch wichtig. "Das Ge­
mälde stellt nicht nur ihren ( den der Stifter, KIP ) Körper dar, sondern ist selber ein Kör­
per für die Darstellung . . . Im Menschen begegnen sich eine innere und eine äußere Welt.
Mit dem Auge sieht man, wie es damals heißt, nach draußen mit der Seele nach innen.
Beide haben ihren eigenen Blick. Zugleich ist das Auge eine Gelenkstelle zwischen Körper
und Seele" (Belting 1 987, 1 70) .
Der Teil der "Bildung" , der über die anderen Sinne lief, also nicht nur über das wohler­
zogene Auge, sondern andere Wege nahm über Synästhesien, über die Seele, kommt nur
noch insoweit zur Geltung als er sich auf die neue Grammatik des Auges, die Geometrie,
transformieren läßt. Das Andere ( der Vernunft (BöhmelBö �me 1983 ) , andere Möglich­
keiten der Aufnahme werden aus der Wissenschaft, aus der Offentlichkeit ausgeschlossen.
Die Rationalisierung des Sehens (Ivins 1973 ) hat Folgen, die weit über das bloße Sehen
und eine bestimmte Form der Repräsentation der Welt hinausgehen (vgl . z. B. Mattenklott
1 982 und Romanyshin 1987) .
Die große Nähe des Sehens zur Sprache - durch Transformationsregeln erzeugt - bedeutet
eine kognitive Ausrichtung des Sehens, der Wahrnehmung überhaupt zuungunsten der Af­
fekte, zuungunsten dessen, was eben nur schwer in diskursiver Symbolisierung formuliert
werden kann. Zu dem, was schwierig in diese Form der Symbolisierung gebracht werden
kann, gehören auch Bilder, Bilder im weiteren Sinne.
Der Prozeß der Rationalisierung verlief über die Negation der Materialität der (Mal - ) Flä­
che, alle Sinnesqualitäten müssen auf das Sehen hin transformiert und illusioniert werden.
War die Malfläche bisher wirklich Gegenstand, auf den Farbe aufgetragen wurde, und blieb
dies auch, so soll sie jetzt durchsichtig werden, wie Alberti dies beschrieb. Das hat zunächst
nichts mit dem Wirklichkeitsgrad der dargestellten Szenen für den Betrachter zu tun. Die
mittelalterlichen Bilder waren nicht weniger wirklich. Aber die Erzeugung dieses Wirklich­
keitsgrades ändert sich und damit, was als wirklich zu gelten habe. Die Qualität der Simu1ation ändert sich: Simuliert wird eine mit dem Auge wahrgenommene Realität, mit einem
Auge, das in bestimmter Weise trainiert ist, gewohnte und vertraute Möglichketen aufgibt
und neue erwirbt. Das Als-ob der Simulation macht gleichgültig gegenüber den verwende­
ten Materialien. Diese zählen nicht als solche. Entscheidend ist ihre Funktion als Transfor­
mationsmedien für bessere Simu­
lationen .
Der Produktionsprozeß der (Ab ) ­
Bilder ändert sich entscheidend: er
wird mit einer mathematischen
Struktur unterlegt und bedarf ent­
sprechender, die mathematisch e
Struktu r unterstützender Werk­
zeuge, Apparate und Materialien.
Sie können weggelassen werden,
wenn sie verinnerlicht sind.
Zweidimensionalität
Abb. 5 1 : Escher: Reptilien ( 1 94 3 )
Eine Schwierigkeit, die auf den
Umrechnungsprozeß hinweist, auf
die Abstraktionsleistung, begegnet
dem Zeichner bei der Arbeit: Mit
der Zentralp erspektive wird die
112
6. Über die Zentralperspektive als Abbildung
6 . Über die Zentralperspektive als Abbildung
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Fläche des Bildträgers als Repräsentationsmedium des Raumes konstituiert; dabei wird
der Raum imaginär, erscheint aber wirklicher als die reale Fläche.
Bei der Herstellung von perspektivischen Zeichnungen bedeutet es auch heute noch für den
Anfäger eine Anstrengung, die Flächenhaftigkeit der Malfläche ernst zu nehmen, wenn er
."realistisch" zeichnen will, weil er seine gesamte Raumerfahrung, die er im Gefühl, im
Gleichgewichtssinn, in den Tasterfahrungen. in den Bewegungserfahrungen hat, auf die Er­
fahrungsweise des disziplinierten Auges reduzieren muß. Dementsprechend geht dann eine
Kante nicht von vorne links weiter auf gleicher Höhe an der linken Seite des Raumes ent­
lang, sondern - je nach Augenpunkt - in einem mehr oder weniger flachen Winkel von der
linken Begrenzung des Papiers auf die Mitte hin . . .
Zentralperspektive - naturgemäß?
Eine Begründung, die immer wieder zur Erfindung und zum Bedürfnis der Erfindung
der Zentralperspektive angeführt wird, ist die Entsprechung oder beinahe Übereinstim­
mung dieser Repräsentationsform von Wirklichkeit mit dem menschlichen Sehen. Dies
wird noch gegenwärtig als eine Verteidigung dieser rational zu nennenden Darstellungs ­
form hervorgehoben. Es werden freilich Einschränkungen gemacht: Der Mensch sehe sel­
bstverständlich mit zwei Augen, diese bewegten sich auch, der Augenhintergrund sei ge­
krummt. Aber alles in allem gebe die Zentralperspektive eine passable, naturgetreue Wie­
dergabe der Realität. Letztlich sei dies j a auch zu ersehen an der Fotografie, die als die ge­
naueste Abbildungsform gelten könne. - Kaum erwogen wird der Gewöhnungs- und Lern­
effekt bei dieser Argumentation.
Aber bei einer differenzierten Überlegung kann man in der Kritik an der Naturgemäßheit
der Zentralperspektive noch weitergehen: Ausgehend von den vielen Verstößen gegen die
."richtige" Konstruktion in Werken von Renaissancekünstlern, denen durchaus aufgrund
theoretischer Äußerungen oder anderer Werke zuzutrauen ist, daß sie ." richtig" konstru­
ieren können, stellt Franziska Mayer-Hillebrand ( 1 947) die Frage: ."Ob wir die Außenwelt
so sehen, wie sie die richtige perspektivische Konstruktion darstellt, ob also die Zentralpro­
jektion unserer Wahrnehmung entspricht " ( 1947, 1 47) . Sie kommt bei der Beantwortung
der Frage zu dem Ergebnis, daß es nicht stimme, daß sich der Eindruck von Raumtiefe,
von Tiefendifferenzen in der menschlichen Wahrnehmung aus der unterschiedlichen Größe
der Netzhautbilder ergebe. Nach allen empirischen Untersuchungen scheine es auch nicht so
zu sein, daß das Gehirn gewissermaßen aus der Differenz der beiden Netzhautbilder beim
binokularen Sehen ein drittes Bild errechne, solange die Differenzen zwischen beiden Bil­
dern wie beim Schielen nicht zu groß würden. Es entstehe vielmehr ein neuer Reiz, dessen
Intensität in die Wahrnehmung der Entfernung hinein ." verrechnet" werde. Es entstehe
hierbei eine andere Qualität von Wahrnehmung. Dies lasse sich aus Untersuchungen erse­
hen, die mit der Hypothese einer Verrechnung der Abstände und Winkel arbeite, die sich
aus der minimalen Differenz der Netzhautbilder ergäben. Diese Veränderungen sind aber
nicht linear abbildbar . ." . . . es ist eine Kombination aus der Erregung beider Netzhäute,
welche die Tiefenempfindung produziert" ( 1 52) . Auf diesem Hintergrund sei es erstaun­
lich, wie bei der Zentralperspektive Tiefenwirkungen entstehen können. Sie entstünden as­
soziativ aus der Erfahrung heraus . ." Wir müssen uns also vorstellen, daß Tiefenempfin­
dung ursprünglich nur durch die Disparation entsteht, daß sie aber im späteren Leben
auch auf dem Wege der Assoziation entstehen kann, d.h. gewisse Begleiterscheinungen kön­
nen mit der primären Tiefenempfindung so fest verbunden sein, daß sie schließlich allein
genügen, um die Tiefenempfindung hervorzurufen, ja sie sind unter Umständen sogar im­
stande, die Wirkung der Netzhautkorrespondenz zu überwinden, was sich darin zeigt, daß
flächenhafte Darstellungen (Gemälde ) , die binokular betrachtet flächenhaft erscheinen
müßten, plastisch gesehen werden" (Mayer-Hillebrand 1 947, 152 ) .
Im selben Sinne haben Untersuchungen ergeben, daß nicht die unterschiedliche Größe
der Gesichtswinkel allein entscheidend ist für die Abschätzung von Längen, sondern die
Reizwerte auf der Netzhaut. Und diese sind nicht gleich auf der gesamten gekrümmten
Fläche: ."Genau genommen sind an Stelle der Gesichtswinkel die Reizwerte der Gesichts­
winkel einzusetzen, um dem Umstand Rechnung zu tragen, daß der Reizwert, d.h. die Er­
regbarkeit der Netzhaut, von der Fovea gegen die Peripherie hin abnimmt, was besonders
dann eine Rolle spielt, wenn die Gesichtswinkel in der Größe stark voneinander abweichen"
(Mayer-Hillebrand 1 947, 1 57) . Dies führt z. B . dazu, daß im Bereich unter einem Meter
Entfernung vom Auge, eine Streckenzunahme erforderlich ist, damit der Größeneindruck
gleichbleibt.
Auch diese Untersuchung spricht dafür, daß einige Vorstellungen über die Wahrneh­
mung vom Funktionieren der Zentralperspektive abgeleitet sind - nicht umgekehrt - , so
daß relativ leicht nachträglich eine Übereinstimmung festgestellt werden kann.
Faszinierend ist allerdings zu sehen, daß Perspektivtheoretiker, wie Dürer und Leonardo,
die oben beschriebenen Effekte als störend bemerkt haben und sich in ihren Arbeiten über
die Gesetze der Perspektive hinweggesetzt haben, wo zu harte Anforderungen an die Anpas­
sung der ."natürlichen" an die ."naturgetreue" Wahrnehmung notwendig gewesen wären. In
diesen Abmilderungen der Methode verschwindet das Gewaltsame, Angestrengte der exak­
ten Bilder, wie sie z.B. bei Ucello zu finden sind6.
Aber Zweidimensionalität ist nicht einfach nur eine Reduktion, die zu beklagen wäre .
Diese Reduktion, diese Wendung ist auch die Voraussetzung für einen Zugewinn, ist wje
ein Ausholen, ein Anlaufnehmen.
Zweidimensionalisierung von ursprünglich Dreidimensionalen (, wenn nicht Vierdi ­
mensionalem - wegen der Zeit, ) schafft hohe Disponibilität und Mobilität. Zeichnungen
lassen sich leicht transportieren, codieren, senden, verändern. Sie nehmen den zu transpor­
tierenden (Waren- )Körpern keinen Platz weg.
Abbildung und radikal immanente Bildung
Im Gegenteil: Das (Ab )Bild schafft Platz für Waren. Das Abbild wird in der Werbung
zum Ursprung der Ware, wie des Konsumenten . ."Es ist dies die Erfüllung der absoluten
Hegemonie des Tauschs / der Zirkulation, wo 'selbst von der Natur . . . angenommen wird,
daß sie gleichsam im Warenkörper ihren Atem anhält, . . . ' ( Sohn-Rethel, Geistige und kör­
perliche Arbeit, ed. suhrkamp 555, S 47), so als wäre es vergönnt, in dieser vermittelnden
Stillstellung den reinen immerwährenden, letzten, also alle Schuld der V ergängnis/V er­
derbnis der Dinge und der Körper zumal verschlingenden Grund derselben, der Dinge wie
der Körper gar disponieren zu können; disponieren zu können mit einer Kamera und einer
Dunkelkammer, mit Zeichenstiften und weißem Papier, mittels der simulatorischen Ver­
bilderung der Dinge und der Körper restlos, rückstandslos, der Exkremente und der
Leichen ledig, auf der hauchdünnen Nichts-angenäherten Allfläche. 'Wir sind die Schmjede
des Unbewußten, wir hämmern es platt' " (Heinz 1988, 9) . Zunächst.
Aber: Die Zweidimensionalität ist aktiv, auf Erweiterung hin konstruiert. Das Abge
.
6 Hiermit ist keine künstlerische Wertung gemeint: Ich finde die Bilder Ucellos gerade deswegen span­
nend und interessant, weil sie etwas von der Anspannung, von dem fast Zerbersten, von der Lust daran
wiedergeben.
1 14
6. Über die Zentralperspektive als Abbildung
6. Über die Zentralperspektive als Abbildung
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bildete soll nicht �wei �mensional bleiben. In die Wand hinein, an der das Bild hängt, ent­
.
. durchbrochen. Das ist die Rede vom Fenster: Wie ein
steht eIne DynamIk. DIe .Mauer wIrd
Blick durch ein Fenster soll sie sein, hatten sowohl Alberti wie Leonardo postuliert? Der
Hintergund des Bildes und der Malgrund werden durch einen bestimmten Code im Ge­
� r��ch des Ma:eria� s immater.ialisiert, indem der Code die Sehgewohnheiten des Auges
ImItIert, aber dies nIe ganz gehngt. Das zentralperspektivische Bild kommt also ohne Ein­
bildung, Fiktion nicht aus.
Das zweidimensionale Bild greift aber auch in den Raum vor dem Bild aus. Es muß ' um
z � funktionieren den Betrachter, die Augen des Betrachters einfangen, die Augen an sich
zlehen 8 . Das hat etwas mit Verführung zu tun, mit Sich-verführen-Iassen.
Zweidimensional sind die Bilder nicht erst seit der Renaissance; seit der Renaissance und vereinzelt schon früher - wird ein als dreidimensional vorgestellter Ausschnitt von
Welt mit Absicht zweidimensional so dargestellt, daß die dritte Dimension - vor und hin­
ter dem Bild - rekonstruierbar wird. Die Nachkonstruktion der Welt, von Ausschnitten,
macht aber auch prinzipiell eine zukünftige Konstruierbarkeit möglich.
yon einem Architekten wurde die Perspektive neu eingeführt. Er wollte mit seinen Ge­
.
bauden auch die Sozialität des Menschen in der Stadt (im Staat) fördern9.
Das Aufbrechen zyklischer Lebensweisen beginnt mit der Planbarkeit des Zusammenle­
b � ns, mit der Voraussicht, mit der jetzt gleich beginnenden Bewegung auf ein ferneres Ziel
hIn.
Bewegungen können seit der "Erfindung der Zentralperspektive" mit in eine Planung
.
embezogen werden. Sie heben sich in den zentralperspektivischen Bildern von dem ab was
in Ruhe befindlich dargestellt ist. Die Bewegung geht von wohldefinierten Raumpu� kten
zu a� deren Raumpunkten. Das \Vandern der Blicke im Bild ist den Transformationsregeln
gemäß, von denen der Betrachter ergriffen wird, ein Wandern in einem Raum, in einem In­
nenraum, von einem Innen- in einen Außenraum und umgekehrt. Es kann kaum ein Zwei­
fel bleiben über Stillhalten oder In-Bewegung-Sein und wenn in Bewegung, dann wohin.
Es beginnt der Abschied von analogen Kodierungen, die Zyklen entsprechen. Das Bild
bekommt die Digitalität der Schrift, der Zahlenschrift unterlegt. Darauf können (figürli­
ehe) Inhalte gesetzt werden, die nicht selber dieser Digitalität gehorchen.
Das ist ein entscheidender Schritt: Wir hatten gesehen, daß schon die Zweidimensionali­
tät ein notwendiges Moment an Fiktion schafft, Einbildung und Lernen voraussetzt. Darin
wird die Materialität des Einschreibens der Natur selber auf den Bildträger, vollendet in
der Photographie, als Garant der Unmittelbarkeit über einen materiellen Anschluß an die
(Mutter) Natur als Ersatz für die Imago Dei unterlaufen. Es entsteht schon hierbei ein Stück
an Immaterialität. Es stellt sich immer mehr heraus - begonnen hat das spätestens mit
Leonardo, wie wir in diesem Kapitel noch sehen werden -, daß eine neue direkte An­
bindung als Ersatz für die mittelalterliche Form nicht gelingt. Es gibt aber auch keinen
Weg aus der nun eingetreten radikalen Immanenz hinaus. " Gott ist tot ! " wird es später
heißen.
7
Trans substantiation der Bilder
Für eine Weile aber noch einmal zurück in die Renaissance: Es scheint nicht übertrieben
zu sagen, daß die Auffassung des Bildes seit der Renaissance "ikonoklastische" Motive und
Momente hat (vgl. Boehm 1 969, 1 9 ) . Die Bildauffassung ändert sich. D er Anspruch an
das, was ein Bild zu leisten hat, wird von der Form her erst einmal zur Abbildung. Jeder
Inhalt muß durch die Regeln der Sichtbarmachung auf der Fläche hindurchgegangen sein
(und produziert erneut Unsichtbarkeit) .
Damit ändert sich auch das, was Mimesis einmal umfänglich meinte (vgl. Lesemann
1 98 1 , Pazzini 1 9 86b ) . Mimesis wird unter den Vorzeichen der Renaissance, zur möglichst
exakten und dabei noch erträglichen Wiedergabe eines physikalisch-optisch rekonstruier­
baren Seheindrucks 1 o. Um das noch einmal deutlich werden zu lassen, möchte ich eine
Passage aus Böhms " Studien zur Perspektivität" zitieren:
"Das Bild ( im Gegensatz zum Abbild, KIP) gewinnt sein Sein aus dem Urbild. Das grie­
chische Wort to zoon bedeutet lebendiges Wesen und Bild gleichzeitig (Zoographos ist der
Maler ! ) - und gibt damit einen Hinweis auf die ursprüngliche Bilderfahrung. Tut-Anch­
Amon, der Name des Pharao, heißt ' das lebende Bild des (Gottes) Amon'; die Macht des
Urbildes geht auch hier auf das Bild über. Ebenso in der bildnerischen Kunst: Die Ka-Sta­
tue, die ein Bild des Toten ist, wird so behandelt, wie es sich für den Lebenden gebührt,
man gibt ihr Speisen, spricht mit ihr und dgl. Die Ausbildung der Bilder geschieht nach
der B edeutung, die sip, für den Menschen haben. Im Bilde äußert sich die ungreifbare
Macht, wird sie beeinflußbar, sie geht nicht in die Darstellung auf, sondern schafft sich da­
rin eine Art Leib, inkarniert sich im Bild" (Boehm 1969, 25 ) .
Ist es in diesem Zusammenhang verwunderlich, daß fast gleichzeitig zur Erfindung der
Perspektive, die Frage nach der Inkorporierung des Leibes Christi ins Brot wieder auf­
taucht, die Frage nach der Transsubstantiation. Hier tut ein bestimmter "realistischer" ,
naturwissenschaftlicher Blick auf die Welt seine Arbeit. Er arbeitet an der Immanenz und
für die Oberflächlichkeit.
Widersprüchliches Beispiel für ein zentralperspektivisches Abbild:
Leonardos Abendmahl
"Das Richtige ist nicht s echs Pfennige wert, wenn es weiter nichts zu bieten hat" ( Goethe
über die Konstruktion von . Leonardos Abendmahls ) .
Im strengen Sinne kann das natürlich nicht für alle dargestellten Inhalte so gelten.
8 Nitschke ( 1 975, 1 8f) spricht noch stärker vom "inkorporierten Betrachter" .
9 Es spricht einiges für die Vermutung Nitschkes ( 1 975, 25ff) , daß man aufgrund historischer und inter­
k� lt�relle: Vergleiche nachweisen könne, daß in Kulturen, die Bilder p roduzieren, die den Betrachter
mItembeZlehen, indem sie seine Blickrichtung, seine Haltung, seine Emotionen versuchen zu beeinflus­
sen, m t den Gestaltungsmöglichkeiten der Umwelt und der Menschen gerechnet wird, während in Kul­
turen, m denen das nicht der Fall ist, die Natur, die Umwelt als unveränderbar, als Schicksal erlebt wird.
�
r
Leonardos "Abendmahl" ist populär, weithin bekannt, existiert in hoher Auflage, in unter­
schiedlichen Versionen (Abb. 53 - 56 ) . Eigentlich ist das schon seit seiner Entstehung so,
schon vor dem Zeitalter der technischen �.eproduzierbarkeit. Es hat viele Auflagen unter­
schiedlicher Kupferstichkopien gegeben, Olgemälde nach Leonardos Original. Bis in die
Gegenwart dient das Werk als Ausgangspunkt für Umgestaltungen, für Karikaturen,
usw. 1 1 . Ich vermute, daß ein Bild wie Leonardos Abendmahl - nicht einmal auf einer be­
wußten Ebene - noch am deutlichsten die bildlichen Hülsen sichtbar macht, in denen Welt
wahrgenommen wird. Um immer wieder aufgenommen zu werden, kann dies aber nicht
10
also nicht eines physiologisch-optischen, wie wir oben sahen.
1 1 In dieses Kapitel sind Teile zweier früherer Veröffentlichungen eingegangen (vgl . Pazzini 1 986d und
1987) .
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6. Über die Zentralperspektive als Abbildung
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6. Über die Zentralperspektive als Abbildung
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eine einfache affirmative, positivierende Form sein, sondern muß etwas von dem Begehren
anderen gleich mit wahr. Vielleicht
einfangen können, was sonst ungebunden unruhestiftend, nicht sichtbar, nicht fühlbar,
nicht hörbar und nicht sagbar frei flottiert1 2 .
ohne es zu merken. Vielleicht ist das
schon ein Grund für den Reiz eines
solchen Werkes 1 4 .
Ei� weiterer Grund für die Bearbei­
tung des "Abendmahles" an dieser
Stelle liegt darin, daß es sich um eine
Gruppendarstellung unter den Vorzei­
chen der " Zentralperspe ktive " han­
delt. D ie Entstehungszeit liegt etwa
hundert Jahre nach dem Beginn der
Auflösung der konkreten Gruppen1 5 .
D anach
Abb. 54: Koeppel: Abendmahl ( 1 982)
sierend
-
politisch aktuali­
entstan d
S ubj e kt 1 6 .
das
indivi due lle
Auf den Gedanken, den Gruppenas­
pekt genauer zu betrachten, kam ich,
als ich vor Jahren einen Ostergottes­
dienst in byzantinischer Liturgie be­
suchte. Zu Beginn dieser Liturgie geht
es um Judas . Er steht zwar auch hier
für den Verrat an Jesus, wird ab er in
dieser Funktion nicht weit weg gehal­
ten, sondern dient im Geschehen des
Abendmahls als Stellvertreter für die
sündige Menschheit, für die Gemein­
Abb . 55: Ulrichs : Lebendes Bild mit Tortenhuch nach
Leonardos "Abendmahl" ( 1 976) naja
-
de. D ie Gemeinde ist nicht über ihn
erhaben. Wenn sie ihn ausgrenzte ,
müßte sie sich selber ausgrenzen, sich
in ihrer Schwäche verleugnen. Er ist
Abb. 52: Leonardo da Vinci: Abendmahl ( 1 495 - 1 497) .
nicht der Sündenbock, der in die Wü­
ste gej agt wird, sondern bleibt gegen­
Leonardos Version des Abendmahles
wärtig . Die Fürbitte ist dann: Bitte
ist recht kompliziert. Von daher ist
ihre Popularität - so sollte man mei­
nen - verwunderlich. Andere Versi­
onen sind eindeutiger, deutlicher, we­
niger widerständig .
13 Weitere Beispiele finden sich in Aus­
stellungskatalog "Abendmahl" , hg. v. Horst
Schwebel 1 98 2 .
Immer wieder
findet aber ein Rückb ezug auf das
Original statt.
Leonardos Abendmahl gehört zu
den Werken, die sich auf ganz unter­
schiedlichen Ebenen rezipieren lassen.
Bei der Rezeption kann sich der Be­
Abb. 53 : Dalf: La Cene - ernsthaft
trachter eine Ebene h erausnehmen
und nimmt sozusagen alle möglichen
1 2 Beispiele dafür finden sich auch reichlich in dem von Otto und mir herausgegebenen Heft " Ahend­
mahlshilder" (K+U, 1 1 5, 9/1 987) .
Abb . 56 : Greenaway: Filmszene aus "Der Bauch des Ar­
chitekten" - feierlich1 3
1 4 E i n Beispiel aus neurer Zeit u n d aus
einer anderen Gattung meine ich in Um­
berto E co ' s "Name der Rose" sehen zu
können.
1 5 Damit meine ich die "naturwüchsig" entstandenen Gruppen. Diese sind in ihrer Existenz gebunden an
einen b estimmten Ort, eine Landschaft, klimatische Verhältnisse, Sitten.
1 6 DAbendmahisdarstellungen bieten die Chance zu einer vergleichenden Untersuchung der Darstellung
von Gruppen in der bildenden Kunst.
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6. Über die Zentralperspektive als Abbildung
6. Über die Zentralperspektive als Abbildung
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um Kraft, nicht zum Verräter zu werden.
Der Umgang mit Judas hat noch etwas von der gnostischen Tradition - einer vorper­
spektivischen -, die der Überzeugung ist, daß der Verräter notwendig zum Heilsgeschehen
dazugehört. "Notwendig" : Ein Gedanke, der von seiner formalen Struktur her nur mit Mü­
he als dialektisch bezeichnet werden könnte, eher schon paradox ist. Er verunsichert unsere
gewohnten Dichotomisierungen, unser zu Polarisierungen in Gut und Böse neigendes Den­
ken; so wird auch die strikte Unterscheidung von Ursache und Wirkung außer Kraft ge­
setzt 1 7. - Das noch in der Gnosis übliche Denken ist kein instrumentell rationalistisches
Denken, das sich der uns geläufigen, formalen, zweiwertigen Logik verpflichtet weiß. Diese
ältere Form ist von der Oberfläche unseres Denkens verschwunden, fristet z.B. in Träumen,
in dem, was Freud das Unbewußte nennt, ein meist nicht öffentliches Dasein.
Ich meine auch an den Abendmahlsbildern seit der Renaissance wahrnehmen zu können,
daß sich das Bedürfnis nach starker Polarisierung verstärkt. Immer öfter wird Judas klar
aus der Runde der anderen Jünger ausgegrenzt. Das fällt zeitlich zusammen mit dem Be­
ginn eines aufgeklärten, rationalistischen Denkens, Handeins und Wahrnehmens. " . . . in
der Wand- und Tafelmalerei vom 1 4 . Jh. an (werden) in der Regel die Apostel um einen
rechteckigen oder runden Tisch angeordnet, wodurch die Jünger zu einer engeren Gemein­
schaft zusammengeschlossen werden. Bei dieser Anordnung ergibt sich die Aufgabe der
Isolierung des Judas von selbst" ( Schiller 1 986, 47) .
Zum Bild18
Abb. 57: Syriac Codex ( 12 . Jahrhundert)
Vermittelt über die Perspektivität der
Konstruktio n 19 eines Innenraumes zeigt
Leonardo menschliche Interaktion in einer
Gruppe bezogen auf einen geometrischen
Rahmen/Kubus, der abgegrenzt von der
äußeren Natur existiert. �-Das ist erst seit
den ersten der Renaissance zuzurechnen­
den Darstellungen so. Am deutlichsten
daran zu erkennen, daß sie meist ganz ge­
zielt einen Blick auf die äußere Natur frei­
geben.
Eine vergleichsweise naive Darstellung
ohne naturgemäße Verortung wie im Mit­
telalter war nicht mehr möglich.
Was die zwölf Apostel und Jesus in Be-
zug auf die Situation Abendmahl sind konnte durch einen runden Tisch, den Bezug zu
einem in der Mitte liegenden Brot, die kleinen runden Teller im Verhältnis zum großen
runden Tisch, der Kontakt der Hände mit dem Tisch und damit untereinan qer, dargestellt
werden - Mikrokosmos/Makrokosmos. Fra' Angelicos Darstellung ist am Ubergang zwi­
schen der mittelalterlichen Darstellungsweise und den folgen den "naturgemäßen (,(.
anzusiedeln.
Die "Runde" ist fast noch gewahrt;
die vier vorne rechts abgebildeten
Apostel saßen wohl gerade eben noch
auf den jetzt leeren Schemeln. Die Au­
ra- und Goldgrundreste des Mittelal­
ters stehen als schon im naturwissen­
schaftlichen Sinne materiell ange­
sehene Scheiben hin-ter den Köpfen
der Apostel. Die einzelnen Apostel
sind kaum als besondere Individuen
gekennzeichnet. Judas allerdings hat
einen etwas dunkleren, aber immer­
hin einen Heiligenschein20.
Will man nun die Gruppe und die
unterschiedlichen
Eigenschaften der
Abb. 58: Fra' Angelico
Apostel darstellen, ist man zunächst
auf eindeutige Symbolisierungen an­
gewiesen: zuweilen hat P etrus den
Schlüssel in der Hand oder er ist ein­
deutig als älter zu erkennen, Johannes
sitzt neben Jesus ( siehe : Apostelge­
schichte) und hat den Kopf oder den
ganzen Körper in seine Richtung ge­
neigt, Judas hat eine eindeutig dunk­
lere Hautfarbe als die anderen Jünger,
sitzt am Rande, auf der anderen Seite
des Tisches oder verläßt gerade den
Raum. Die symbolisch vermittelte
Aufreihung hinter dem Tisch forciert
eine Differenzierung in der Symbo­
Abb . 59: Dürer: Das letzte Abendmahl ( 1 523 ) .
lisierung der Beiträge der einzelnen
Individuen zum Gesamt der Gruppe. Die Bezeichnung des Menschen als homo faber, als des
zweiten Gottes (Bovillus) , als eines individuell handelnden Subjekts, verlangt nach der
Markierung des individuellen Beitrages in aller Deutlichkeit. Der Hauptleidtragende dieser
17 siehe auch die Erörterungen zum Spiegelstadium
1 8 Das Fresco wurde in der Zeit von etwa 1 495 bis 1 498 im Auftrag von Ludovico il Moro für das Refek­
torium des Dominikanerkonvents in Santa Maria delle Grazie, Mailand, hergestellt. Ich möchte hier noch
einmal die Leseempfehlung geben, den folgenden Text auch so zu rezipieren, als ob es sich nicht um
Überlegungen zu einem Bild handelt, sondern um eine pädagogische Situation. - Ich schwöre, daß mir
dieser Gedanke erst nach dem Schreiben des Textes gekommen ist.
19 zu Leonardos Perspektivkonstruktion und den benutzten Instrumenten siehe Veltman ( 1 98 6 ) , insb.
1 07 - 1 42
20
Der relativ glimpfliche Umgang mit Judas findet sich im Mittelalter - das muß einschränkend gesagt
werden - nur in der Gruppendarstellung des Abendmahls . Insbesondere in isolierten Darstellungen
nördlich der Alpen wird Judas meist dargestellt, wie er in der Hölle die schaurigsten Strafen erleidet.
1 20
6. Über die Zentralperspektive als Abbildung
6 . Über die Zentralperspektive als Abbildung
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neuen Sichtweise ist meist Judas, der Verräter, der Böse, der Sündenbock. Er sitzt - wie
gesagt - entweder am Tischende, verläßt gerade den Raum, hat ein fratzenhaftes Gesicht, ist
von dem zunächst Sitzenden stärker abgegrenzt . . . Er ist mit seinen Taten nicht mehr oder
gerade eben noch Mitglied, -Moment und Bestandteil der Gruppe. Bei Dürer ist er ganz ver­
schwunden. Dante trifft im zehnten Kreis der Hölle auf seinem Weg durch das Inferno auf
Judas : im Rachen des Höllenfürsten.
Die Raumdarstellung bei Leonardo
ist anders als bei früheren D arstel­
lungen des Abendmahles ( z. B. bei
Ghirlandaio, 1 480) nicht der Versuch
einer illusionistischen Fortsetzung des
Raumes, in dem es an der Wand an­
gebracht ist, z. B. eines Refektoriums
( Speisesaal des Klosters) . Leonardo
markiert deutlich durch die Lage des
idealen Betrachterstandpunktes, der
die Seitenwände des gemalten Rau­
mes nicht ungebrochen als Fortset­
zung des realen Raumes erscheinen
läßt, daß es sich um ein Bild handelt.
Und doch ist der Bruch so klein geAbb . 60 : Ghirlandaio: Das letzte Abendmahl ( 1 480)
halten, daß sogar namhafte Kunst­
historiker (wie z. B. Wölfflin 1 899)
ihn nicht bemerkten oder nicht sehen
wollten und fälschlich von einer illu­
sionistischen Fortsetzung sprachen21 .
Die gemalte Begrenzung des Rau­
mes schneidet soviel von der Decke
ab , daß die dargestellten Personen
gleichsam in den realen Raum -gestellt
werden. Dennoch ist die Konstruktion
unmißverständlich so, daß stärker
als bei Ghirlandaio klar bleibt, daß es
Abb . 6 1 : Leonardo da Vinci: Das letzte Abendmahl
sich um einen anderen Raum handelt.
Diese Differenz wird aber dann wieder
durch die Lichtführung in i�rer J:Iärte aufgehoben. Die Lichtführung des Freskos entspricht
der des realen Raumes um die Mlttagszeit22 .
2 1 vgl. Schumacher 1 98 1 , 124 u. Wright 1 983 , 95) .
22 Perrig weist auf die in Leonardos "Abendmahl" enthaltene mittelalterliche Sehweise hin die von hin­
�
ten nach vorne weist: "Kein Zeitgenosse Leonardos hätte dessen �endmahlssaal als eine in die Tiefe
fluchtenden Raum e�pfunden und von vorne nach hinten gelesen. Man empfand ihn gerade umgekehrt
.
als emen Raum, der SICh von der Tiefe her entwickelt, als einen ausstrahlenden Raum . . . Was uns soeben
�o �h als ei� bedeutungs loser, rein zufällig in Christi rechter Schläfe gelegener Treffpunkt von Flucht­
lImen erschIen, das hat auf einmal die Bedeutung eines Ausgangspunktes . Es ist unsichtbar und scheint
�ennoch gegenwärtig zu sein als ein hinter Christi Haupt verborgenes, irgendwo im Unendlichen befind­
lIches Strahlungszentrum, dessen geheimnisvolle Kräfte bis in die Winkel des Saales hineinwirken. E s
�uß �ls das Absolute � elbst .begriffen werden. Denn seine Position ist identisch mit dem Schnittpunkt der
BI ddiagonalen, das heIßt mit em absoluten Mittelpunkt des Bildes. Ohne uns sonderlich anstrengen zu
.
.
fangen WIr an, das BIld zu verstehen . . . Es steckt darin so etwas wie eine Demonstration der
mussen,
�
�
"Verstöße" gegen die Regeln
Die Gruppe der am Abendmahl Beteiligten ist nur aus einer gewissen Distanz in Ruhe zu
betrachten. Nähert man sich dem Fresko über den idealen Betrachterstandpunkt hinaus, so
treten erheblicheVeränderungen in der Gesamtkomposition des Bildes ein 23 .
Durch zentralperspektivische Konstruktionen werden - daran sei erinnert - Distanzen für
eine richtige Betrachtungsweise festgelegt. Diese Distanzen, sind sie einmal durch den Pro­
duzenten festgelegt, legen dann den Betrachter weitgehend fest. Hier wird der Betrachter
zum Obj ekt der Form. Jetzt muß er sich einrichten, ausrichten. Von der " Zentralperspek­
tive"" geht ein pädagogischer, ein formender Akt aus. Je mehr solche Formung stattfindet,
umso freier wird der Betrachter wiederum, weil er weiß, wenn er daneben ist. Die " Zentral­
perspektive"" bietet Orientierung.
Diese Formung funktioniert aber nur gut im Zusammenspiel mit dem dem Bild vorge­
lagerten Raum und seinen Funktionen.
Leonardos Fresko befindet sich in einem Refektorium. Einmal funktioniert das Fresko
wie eine Art Spiegel auf der inhaltlichen Seite, Spiegel in dem Sinne, "j emandem einen
Spiegel vorhalten"" . In einem Refektorium gibt es zwar einen ausgezeichneten Sitz für den
Abt, aber dieser saß entweder mit dem Rücken zum Bild oder sehr weit weg an der gegen­
überliegenden Seite. Auf ihn hin alleine das Bild zu konstruieren hat jedenfalls für Leo­
nardo wenig Sinn gemacht. Das Bild muß für eine Gruppe von Menschen , die in einem
Raum verteilt sind, ansprechend sein. Die " Zentralperspektive"" ist aber eigentlich von und
für einen einzelnen konstruiert, bzw. für sukzessive Wahrnehmung durch verschiedene
Individuen.
Will Leonardo nun das Bild für viele gleichzeitig interessant machen, die gleichzeitg von
unterschiedlichen Standpunkten aus sehen, muß er im Sinne der Korrektheit der Kon­
struktion, der Homogenität des dargestellten Raumes und seiner Richtungen "Fehler""
machen.
So hat Leonardo, was die Darstellung der einzelnen Figuren angeht, einer allzu großen
Verzerrung in der Wahrnehmung auch von seitlichen Standpunkten vorgebaut. Die Ge­
samtkomposition gerät dabei unter solch große Spannungen, daß sie auseinan derdriftet,
wenn man ihr zu nahe kommt. Daß die einzelnen Figuren länger im unverzerrten Blick
gehalten werden können, erreicht Leonardo dadurch, daß er sie aus der perspektivischen
Konstruktion des Gesamtbildes herauslöst und für j ede Figur einen gerade vor ihr lie ­
genden Augenpunkt konstruiert (vgl. Hoerth 1907, Möller 1 952, Heydenreich 1 974) .
Erst solche " Verstöße"" gegen die gebräuchlichen Regeln der Perspektive machen einiges
sichtbar, was normalerweise bezogen auf den Standpunkt des Betrachters verborgen bleiben
müßte. So ist der gesamte gemalte Raum aus einem Blickwinkel weit oberhalb des Fußbo­
dens gesehen, auf dem der Betrachter steht 2 4 . Der Betrachter sieht also einmal auf dem
Fußboden stehend und gleichzeitig von einem höheren Standpunkt aus . Dadurch wird er in
eine Art wahrnehmungspsychologische Zange genommen : Er steht fest auf dem Boden des
Refektoriums und schwebt gleichzeiti g über dem Tisch.
Wese�heit Gottes - ein visueller Gottesbeweis. Er besitzt eine ähnliche Logik wie die schriftlichen Gottes­
beweIse des Thomas von Aquin" ( 1 987, 666 ) . - Ich möchte betonen, daß sie darin au ch enthalten ist,
aber nicht nur. Das Abendmahl ist ebenso andersherum lesbar.
23
Beschreibung siehe: Schumacher ( 1 98 1 , 1 3 3 ) .
2 4 vg l .
hierzu auch Kubovy 1 986, 1 42ff.
6 . Über die Zentralperspektive als Abbildung
1 22
6. Über o i e Zentralperspektive als Abbildu ng
1 23
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Ich stelle mir vor25 , daß in der Nähe des Betrachterstandpunktes - des relativ optimalen ein Ausgleich zwischen beiden Positionen noch einigermaßen gehalten werden kann. Aber
dieses "Zusammensehen� geht bei größerer Nähe verloren, was zu dem von Schumacher be­
schriebenen Auseinanderdriften des Bildes führt2 6.
"Thus result is a vibrantly tense work full of foreboding. Leonardo used perspective to
elavate the viewer to a extraordinarily high center of projection, thus achieving a feeling of
spiritual elavation. At the same time, the odd cropping of the top of the picture tends to
destroy the rectangularity of the room in which the Last Supper is taking place. As a result,
there is an indefinitess, an ambiguity, about the place, most befitting to the locale of an
event so critical to the spiritual life of the church" (Kubovy 1 986, 149) .
Paradoxe Zü ge der Perspektive
Einerseits haben die schon erwähnten paradoxen Züge der Perspektive durch die Bezie­
hung auf Geometrie und Mathematik etwas Allgemeingültiges, "Obj ektives " , andererseits
ist der relativ willkürlich gewählte Stand- oder Augenpunkt ganz darauf angewiesen, daß
er von einem einzigen Individuum eingenommen werden kann, eingenommen werden
muß. Allgemeines und Besonderes sollen in einem Individuum zusammenkommen. Aber
der besondere, einzigartige Standpunkt eines Individuums bestimmter Körpergröße in ei­
nem bestimmten Moment stellt eine oft unerträgliche Begrenzung für das dar, was darge­
stellt werden soll. Erst wenn das Individuum voll und ganz von der der Perspektive zu­
grundeliegenden Rationalität geformt ist, geht diese Paradoxie, die im Zusammenzwingen
von Allgemeinem und Besonderen entsteht, an der bewußten Oberfläche weitgehend verlo­
ren, der perspektivische Blick wird natürlich.
Es entsteht die Fähigkeit, den eigenen Standpunkt zu einem komplexen Geschehen in Re­
lation zu setzen (Reflexivität) ; und damit, wenn auch oft nur für einen kurzen Moment, au­
ßer sich zu sein, neben sich zu sein, damit auch: sich und andere als Objekt zu betrachten.
Wenn die Fähigkeit zur Reflexivität einmal enkorporiert ist, kann das betrachtende Indi­
viduum sich vorstellen, wie das zu betrachtende Bild vom eigentlich einzunehmenden idea1en Standpunkt aussehen würde, wenn es ihn auch nicht einnehmen kann. Oder wie das
Bild aussehen würde, sähe man es von einem anderen Standpunkt. Es kann auf eine relativ
gut bestimmbare Art und Weise in "Rechnung� stellen, daß es das Bild anders wahrneh­
men würde.
So rechnet wohl auch Leonardo mit einer Kombination von schon stattgefundener In­
ternalisierung der " Zentralperspektive " und seinen " Verstößen" .
Betrachterpunkt stehend - den Eindruck haben könnte, es gebe einen und nicht 1 4
Standpunkte 28 •
Ist dieses Bild ein Plädoyer für Uneinheitlichkeit in der Einheit? Man kann absehen, was
passiert, . wenn die Autorität der zentralen Figur wegfällt. An ihre Stelle tritt dann ein an
sich unbedeutender Statthalter oder eine zunächst chaotisch scheinende Bewegung um
mehrere Zentren.
Individuum- und Grupp,e ,
Die Dreiergruppe, Petrus, Johannes, Judas, ist in den Bezügen der Personen untereinan­
der sehr differenziert dargestellt. Mit heutigen Augen gesehen, vielleicht auch schon von den
Zeitgenossen Leonardos, nicht frei von Ironie: Johannes neigt seinen Kopf nicht zu Jesus,
wie es die ikonische Umsetzung des Lieblingsjüngerdiktums bis dahin erfordert, sondern
zu Petrus und Judas. Judas berührt mit dem linken Arm den "Chefideologen" und Lieb­
lingsjünger, Petrus wird von Judas z. T. überdeckt und zweigeteilt29: in eine Jesus zuge­
wandte Seite mit Zeigegestus und eine abgewandte Seite mit Dolch in der Hand, wahr­
scheinlich als Anspielung auf das von Jesus verurteilte gewaltsame Eingreifen des Petrus
mit dem Schwert. Nicht genug damit: Durch die Haltung der linken Hand des Judas und
der rechten Hand Jesu, die identisch sind, besteht ein direkter Bezug zwischen bei den, eine
Art Symmetrie. Dazwischen liegen die Hände des etwas abwesenden, zumindest kontem­
plativen Johannes, der in dem Moment, wo Jesus sagt "Unus vestrum . . . ", also "Einer von
Euch wird mich verraten" , nicht sichtlich reagiert3o.
Die Dreiergruppe insgesamt hat einen relativ großen Abstand zu Jesus, relativ zum
Drängen der anderen Dreiergruppen. Auf der anderen Seite etwas näher eine weiter Unter­
gruppe. Auf zwei Apostel dieser Gruppe möchte ich hinweisen: Der als "ungläubig" in die
Apostelgeschichte eingegangene Thomas weist im Moment der Ankündigung des Verrates
mit dem erhobenen Zeigefinger gen Himmel ( Aufforderung zum Glauben) ; der als getreuer
Gefolgsmann Jesu beschriebene Jakobus imitiert in der Verunsicherung durch die Verrats­
ankündigung Jesus, hat keine eigene Meinung.
Wir haben eine Gruppe vor uns, dargestellt mit den progressivsten wissenschaftlichen
Mitteln ihrer Zeit, in der jeder einzelne für sich in seiner Individualität erkennbar ist, mit
seiner spezifischen Aufgabe und Charakteristik. Trotzdem erscheint niemand isoliert3 1 . Die
28 Für die Modernität des Bildes spricht auch die Individualisierung des Eßbestecks. - Elias bezeugt, daß
es bis zum Ende des 1 5 .Jh. durchaus in der Malerei unüblich war, für j eden eigenes Besteck zu zeigen
(Elias 1 969, Bd.I, 86) .
29 d. h. ambivalent. Man denke an den Verrat.
Zwei große und zwölf kleine Sichtweisen
Leonardo bringt im Abendmahl zwei "große � und dann noch 12 "kleine � Sichtweisen in
einem Bild zusammen2 7. Er tut das in einer Art, daß man als Betrachter - auf dem idealen
25 Selbst bei der Autopsie war dies in den letzten Jahren
wird und Teile immer verdeckt sind.
nicht überprüfbar, da das Fresko restauriert
26 "Gerade um 1 492, also kurz bevor er mit den Entwürfen zum Abendmahl begann, nennt er ( Leonar­
do, KJP) die Perspektive 'den Zügel und das Steuer der Malerei' ( MS . 2038, 13 r. ) " (Möller 1 952, 5 1 ) .
2 7 Alberti schreibt vor, daß nie mehr als acht Personen auf einem Bild portraitiert werden sollten, da
sonst zuviel Unruhe die Gesellschaft beispielsweise beim Essen störe. (Hinw. Hedrick 1 987, 13 1 ) .
30 Möller ( 1 952, 1 4 ) erwähnt das erhaltene Bruchstück einer Abendmahlsdarstellung von Sodoma , das
aus der Zeit vor Leonardos Werk stammt. Auf diesem Bruchstück ist Judas zu sehen. Er blickt genau den
Betrachter an. In seinem Blick gibt er die Feststeliung, Prophezeiung Jesu weiter: Einer von Euch wird
mich verraten. Dies ist das einzige mir bekannte Beispiel, das einen direkten Bezug zwischen Judas und
dem Betrachter herstellt und in der Darstellungsweise den Ausschluß nicht erleichtert.
31 Ich vermag der ohne weitere Begründung vorgetragenen Meinung von H. von Einem ( 19 6 1 ) nicht zu­
zustimmen: "Die Jünger wenden sich mit Gebärden der Wehmut, Trauer, ja des Entsetzens ihrem Mei­
ster zu, aber wiederum nicht, als würden sie in einem bestimmten Augenblick von einer gemeinsamen
Ursache erregt. Jeder bleibt für sich. Die Isolierung des Einzelnen wiegt stärker als der Bewegungszu­
sammenhang des Ganzen" . Durch das ganze Bild geht eine Bewegung, in den Dreiergruppen sind die
einzelnen aufeinanderbezogen, sei es durch Gesten, sei es durch Blicke oder Überschneidungen. Es gibt
das vereinzelte Individuum nicht, das von Einem sich hier wünscht.
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6. Über die Zentralperspektive als Abbildung
1 25
6. Über die Zentralperspektive als Abbildung
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Ambivalenz der Haltung (in des Wortes doppelter Bedeutung) j edes einzelnen kommt zum
Ausdruck. Der einzelne hat eine Funktion durch und in der Gruppe. Für heutige Augen tritt
die stärkste Irritation bei Judas auf, der ganz selbstverständlich zur Gruppe dazugehört.
Dieses Niveau der Gruppendarstellung, der Reflexion z.B. des einzelnen Schülers ( Jün­
gers) in einer Gruppe, des gegenseitigen Ausdrucks, die Zusammengehörigkeit von Gut und
Böse, die Paradoxie von Verrat und Erlösung, geht leicht verloren. - Sind nicht alle Inter­
aktionsprozesse auf Leonardos Fresco typisch für pädagogische Verhältnisse ?
=
Immanenz
Erwägungen zu Judas
Unter den Vorzeichen der rationalen Lebensweise, des richtigen und des falschen Lebens,
der formallogischen Entscheidbarkeit und Eindeutigkeit, gerät das Individuum unter
Druck. Der Druck wird zunehmend zu einem immanenten. Die bisherigen Exterritorien
werden entdeckt oder als nicht existent, nicht nachweisbar hingestellt. Neben der neuen
\Vissenform entsteht der individuelle Glaube, tendenziell als Narrenfreiheit.
Der Druck wird zum Druck innerhalb der Gruppe, er wird immanent. Die Vergebung der
Sünden wird zu einer des individuellen Schuldgefühls. Es kommt auf den individuellen
Beitrag des einzelnen an. Das Individuum ist als solches also auch darzustellen. So wird
Judas interessant.
't ,;...
,- <" �..
. �.
.'
Abb . 63: Masaccio: Trinitätsfresko . Rekonstruktion des
Kapellenlängsschnittes mit mutmaßlicher Position der
Figurengruppe und Idealstandort des Betrachters.
Schon mit dem ersten erhaltenen zentralperspektivischen
Abb . 62: Masaccio: Trinitäts - Bild wird die Tendenz zu einer später als Fessel erlebten Un­
fresko. Rekonstruktion des erträglichkeit deutlich: Außerhalb
der geometrischen Regeln
persp ektivischen Fluchtp unkgibt
es
nichts:
Die
Dreifaltigkeit
findet
in der Kapelle statt3 2 .
tes .
Gottvater b raueht ein Podest.
Die Einsicht beginnt, daß es die Menschen "auf dieser Welt
mit niemandem anders zu tun haben als mit sich selbst"
(Horn 1 984, 1 098) . Das Böse kommt nicht von außen oder
unten, das Gute nicht von oben33.
Die symbolische Form der Zentralperspektive kann die Illusion nähren, daß es klar re­
konstruierbare Zusammenhänge gäbe, daß es einen abgrenzbaren Teil gibt, daß das, was
fehlt eben auf ein anderes Bild paßt.
3 2 vgl. hierzu auch Tolnay 1 958; Polzer 1 9 7 1 ; Hertlein 1 979; Girke 1 984, 1 68ff
33 Diese Einsicht ist allerdings im alltäglichen Bewußtsein nicht fest etabliert. Immanenzerlebnisse wer­
den mit großer Angst nur verarbeitet, wie das Beispiel " Tschernobyl" gezeigt hat. Es fällt schwer, die in­
fantile Illusion von der Einheit einer guten Welt aufzugeben, für die alles Böse von draußen, von jenseits
der eigenen Grenzen - individuell wie gesellschaftlich - kommt.
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Abb. 64: Leonardo: Study for The Last Supper ( 1 495)
Judas ist auf den Skizzen Leonardos noch in konventioneller (seit Beginn der Renais ­
sance ) Weise auf der diesseitigen Tischseite plaziert (Wölfflin 1 899; Clark 1 969, 92; Schä ­
fer 1 965, 2 1 9 ) .
Es heißt34 , daß die andere Plazierung des Judas auch darauf zurückzuführen sei, daß
Leonardo einer gnostischen "Sek�e" nahegestanden habe ( Schuma�her .1 98 1 ) . E�ne� Bel� g
dafür könnte man in folgender Außerung Leonardos sehen: " Schonhelt und HaßhchkeIt,
nebeneinander gestellt, erscheinen wirkungs kräftiger, die eine durch die andere" (Leonardo
zit.n. Clark 1 969, 93)3 5 . Diese Aussage läßt sich vielleicht auf den Kontrast zwischen Jo­
hannes und Judas, aber auch zwi-schen Judas und Jesus (parallele Handhaltung) sehen .
34 Diese Vermutung konnte bisher weder mit Sicherheit widerlegt werden, noch wurde sie nachhaltig be­
stätigt.
35 Gegen diese Annahme sprechen die Ausführungen von Gornbrich ( 1 988) in se�nem .Beitrag "Leonar� o
da Vinci wider die Amgier - die schwarze und die wahre Kunst" . Gomhrich arbeItet hIer Leonardos WiS ­
senschaftliche Einstellung auch Alltagserscheinungen gegenüber heraus, seine Nüchternheit, die bis zu
Skepsis und Zynismus reicht. - Andererseits vermutet Gornbrich, daß diese Einstellung auch eine "Reak­
tionsbildung" sein könne, auf entsprechend magische Einstellungen in früherer Zeit. Als Beleg führt er
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6. Über die Zentralperspektive als Abbildung
6. Über die Zentralperspektive als Abbildung
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Eindeutige Polarisierungen sind nicht
"wirkungskräftig" . Soll die Bezie­
hung zwischen Judas und Jesus "wir­
kungskräftig" sein, dann darf man
Judas nicht auf der anderen Tischseite
plazieren. Es scheint mir fast sicher,
daß es Leonardo hier nicht nur um
Abb . 65 : Leonardo: Abendmahl (Detail ) : links: Hand des eine formale Entscheidung ging.
Formal wäre es auch möglich geweJudas, rechts : Hand Jesu
sen, Judas in irgendeiner Weise deut­
lich an den Rand zu stellen. So wird Judas lediglich dadurch gezeichnet, daß er der einzige
ist, dessen Gesicht im Schatten liegt. Es soll ein Irrtum eines Restaurators sein, daß Judas
eine dunklere Hautfarbe hat, von Leonardo soll er sie nicht haben. Dunkel ist sein Gesicht
durch das fehlende Licht, das ihn in dieser Situation in den Schatten stellt. Judas ist nicht
von Geburt an mit einem "Charakterfehler" behaftet� einer dunklen Farbe.
muß andere Gründe haben, wenn Leonardo mit der Plazierung des Judas so gegen kon­
ventionelle Darstellungsweisen "verstößt" . Und Möller will es nicht wahrhaben: " Zu dem
abstoßenden, jüdischen Gesichtstyp gesellt sich ein untersetzter, derber Körper mit brauner
Hautfarbe . . . , ein brutaler Hals , eine plumpe Hand, die den grauen Geldbeutel festhält"
(Möller 1 952( ! ) , 63, vgl. 185, Anm. 6 1 ) . In dieser Formulierung werden Erinnerungen
wach, die auf Sündenbockdynamiken hinweisen, die mitten in der zivilisierten Moderne
sich realisierten.
Gegen die im wahrsten Sinne des Wortes merkwürdige Interpretation Möllers spricht
auch die Tatsache, daß die Verratsankündigung erst nach dem gemeinsamen Essen ge­
schieht, erst bei dessen Abschluß. Zu diesem Zeitpunkt gehört nach alter Tradition derjeni­
ge, der mitgegessen hat, noch zu dieser Gemeinschaft dazu. Mindestens solange, wie er an
der gemeinsam verzehrten Speise verdaut. Insofern ist Leonardos Darstellung in der Be­
rücksichtigung traditioneller Werte realistischer als andere, die Judas sofort und deutlich
sichtbar als Ausgeschlossenen schon während des noch andauernden Abendmahles dar­
stellen.
Zwei radikalisierte Versionen des Abendmahles
Die beiden folgenden Versionen von Leonardos Abendmahl sind zwei von unzähligen
Aufnahmen des Freskos in interpretatorischer, ironisierender, verharmlosender, zuspitzen­
der Form. Ich habe zwei Versionen gewählt, die auf ganz unterschiedliche Weise Effekte der
Zentralperspektive auf die menschliche Sinnlichkeit aufnehmen.
1. Das "Abendmahl" in Bunuels Film "Viridiana"
Abb . 66: Leonardo: Rötel-Studie zu Judas
Abb. 67: Leonardo : Feder-Studie zu Judas
Genauso wie es den letzten oder vorangehende Restauratoren gedrängt haben mag,
Leonardo in seiner Charakterisierung · des Judas zu �orrigieren, geht es auch vielen Be­
trachtern, Kunsthistoriker nicht ausgenommen:
Diese Studien werden von Möller m.E. den Tatsachen widersprechend und proj ektiv so
beschrieben: "Allbekannt ist die Rötelstudie (W. 12 547, Abb . 28) auf rotem Papier in der
gleichen Haltung wie auf dem Gemälde, mit Hervorhebung des Knochengerüstes und Mus­
kelgeflechtes am Halse, ein Verbrechertyp aus der Hefe des Volkes, in meisterhafter, breiter
Zeichnung und vortrefflicher Erhaltung" ( 1 952, 32) .
Das ist geschrieben, als ob j emand große Sorge hätte, daß wirklich wahrgenommen
würde, daß Judas wohl nicht nur aus kompositionstechnischen Gründen an anderer Stelle
als bei älteren und auch nachfolgenden Darstellungen des Abendmahles zu finden ist. - Es
Den Anfang eines gesellschaftlich organisierten pädagogischen Handeins könnte man in
Platons "Gastmahl" finden: Indem sich Sokrates den Umarmungen des Alkibiades verwei­
gert' indem er es nicht zum Geschlechtsakt kommen läßt, wird er zum Gründer( vater) des
pädagogischen Diskurses3 6 .
Im Neuen Testament wird das Wort Fleisch. Dafür steht das Abendmahl: eine neue Ver­
bindung von Wort und Leib. Scherer ( 1 975, 94 ) spricht von der allmählichen Abwendung
von der päderastischen Pädagogik3 7 , vom "Einblasen des dorischen Liebhabers, zur entkör­
perlichten Vermittlung der Stimme des Lehrers" . Körperlichkeit als Sexualität wird aus
der Pädagogik hinausgedrängt38 .
Diese Tendenz wird mit der Aufnahme griechischer Traditionen - und das perspekti­
vische Zeichnen ist auch eine solche - in der Renaissance auf dem Hintergrund der gesell­
schaftlichen Bedingungen, die nach immer mehr AusBildung verlangten, noch einmal ver­
stärkt.
Die Disziplinierung von Sexualität, die Geometrisierung des Körpers sind Momente der
Herauslösung des einzelnen aus der konkreten Gruppe, der Ablösung von der Landschaft,
von den Naturzyklen. Es entsteht gleichzeitig eine Sehnsucht nach Natürlichkeit, Nähe zu
einem Original- oder Rohzustand. Von hier wird neue Kraft erwartet, unverdorbene Ener­
gien, Sensation. Diese unbändige Kraft, Rohheit ist auch Attraktion für Pädagogen. Sie soll
3 6 siehe hierzu Lapassade 1 963
Leonardos Briefe an Ludovico il Moro an, die genau aus der Zeit unmittelbar vor der Arbeit am "Abend­
mahl" stammen.
37 Halbwegs offiziell gibt es die nur noch auf der Hochschulebene.
38 Mehr dazu siehe pazzini 1 985b, 490ff
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6 . Über die Zentralperspektive als Abbildung
6 . Über die Zentralperspektive als Abbildung
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kultiviert werden, im Rahmen einer guten Tat, im Rahmen einer so etikettierten Nächsten­
liebe kann das geschehen. Viridiana handelt aus solchen Motiven verschütteter, deformier­
ter Sexualität.
Gegen Ende des Films "Viridiana" von Bunuel gibt es eine Szene, die dem Abendmahl
Leonardos sozusagen als lebendes Bild nachgestellt ist.
Alle Personen, die Viridiana, um ihrem Leben einen Sinn zu verleihen, mitleidig von der
Straße aufgelesen hat, bemächtigen sich ihres Besitzes und machen sich in ihrem Anwesen
breit.
Bei dem Psycho­
analytiker Pohlen
heißt es dazu: In Bu­
nuels Film "Viridi­
ana" gehe es darum,
wer wem und wie
das Maul stop fen
möchte: "Den soge­
nannten Mühselig­
Beladenen und Ent­
rechteten wird von
einer Land-Adeligen
das Maul gestopft: es
ist ein wunderbares
Gastmahl
als letztes
Abb . 68: Standfoto aus " Viridiana"
Abendmahl, das im
Stil einer schwarzen Messe inszeniert ist - Bunuel kennt seinen de Sade39. - Als die Be­
troffenen merken, um welchen Geschmack sie beim Abfütttrn gebracht werden sollen,
kommen sie erst recht auf den Geschnlack, nach dem es sie gelüstet: sie nehmen sich die
schöne Jungfrau auf dem Altar des überreichlich gedeckten Tisches mit Gewalt: sie ließen
sich nicht mehr das Maul stopfen, sie stopften ihr das "Loch" (Pohlen 1 983, 137) . Viridi­
ana endet im Rollstuhl. Sie hatte gute Vorsätze, entstanden aus Schuldgefühlen. - Eine
Warnung für Pädagogen und Sozialarbeiter4o.
In Bunuels Transformation des Abendmahlthemas, eines oralen Rituals4 1 , scheinen die
damit verbundenen Einverleibungs-, Zerstörungs- und Unsterblichkeitswünsche der Betei­
ligten durch. Und mehr noch: Der Wunsch nach dem Verlassen der Bevormundung, der
zur Oralität gehörenden destruktiven Symbiose . Bunuel nimmt das " Abendmahl " vom
inhaltlichen Motiv her auf und rekurriert auf Leonardos Version wegen der leicht auf die
Spitze zu treibenden Drarnatik, ganz abgesehen davon, daß es gut wiedererkennbar ist als
"Abendmahl" und so als eine Art Markenzeichen seine Kritik an. den Folgen christlicher
Zivilisation transportieren kann. Geht man in der Interpretation noch einen Schritt weiter,
so ist Mattenklotts ( 1 982) Rede vom "verschlingenden Auge " heranzuziehen und an
. Bunuels - gemeinsam mit D ali - produzierten Film "Ein andalusischer Hund" zu
erinnern, in dessen Anfangssequenz eben jenes Auge der Geometrie durchschnitten wird4 2 .
39 De Sade ist ja durchaus ein Höhepunkt der Berechnung und Rationalität ( KIP ) .
4 0 Eine Variation findet sich i n Kubricks Film "Clockwürk Orange" .
4 1 vgl. hierzu auch Attali 1 98 1 , 47f über den christlichen Kannibalismus.
4 2 vgl. dazu Kap. 1 1
Zurück zu Leonardo
Bei Leonardo steht die Rede im Vordergrund, nicht das Essen. Es geht um den Verrat,
nicht um die Gemeinsamkeit, die beim Essen noch gewahrt zu sein schien.
Das Essen ist hier die Unterlage für Symbolisierungen auf einer anderen Ebene43• Essen,
die Aneignung der Welt durch Aufnehmen, Verschlingen, Zerkleinern, Einspeicheln,
Runterschlucken und so weiter wird auf das Sehen transformiert: Blicke und Zeigefinger
machen die Bildregie. Das Auge nimmt, nachdem es zentralperspektivisch aufgeklärt i st,
die Symbiose oraler Zugriffsweisen in sich auf. Das Auge kann verschlingen, einverleiben,
portionieren und bleibt doch in Distanz.
2. Das Abendmahl von Willikens
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Abb . 69: Willikens: Abendmahl ( 1 976/1 979)
Willikens Abendmahlsbild nach Leonardo zeigt das, was nach der Aussparung von Hoff­
nung und Heilserwartung übrigbleibt, was bleibt, wenn die Individuen in ihrer Besonder­
heit so allgemein geworden sind, daß man sie auch weglassen kann, wenn alle Wider­
sprüchlichkeit wegrationalisiert worden ist: Geschlossenheit, Strenge, Proportionalität,
entleerter Raum. "Die Ordnung erscheint nicht sinnstiftend, sondern von tödlicher Konse­
quenz" (Romain 1985, 98) .
Willikens setzt in gewisser Weise einen Zerfallsprozeß fort - oder macht ihn sichtbar, der
im Original so gerade eben noch gestoppt erscheint: Komplexe Zusammenhänge werden in
ihre einzelnen Momente zerlegt, analytisch isoliert und bekommen ein Eigenleben . D ie da­
bei auftauchenden isolierten Momente sind zur neuen Benutzung freigegeben.
Sie erscheinen unbelebt, fast wie eingefroren. Sieht man Willikens Abendmahl an u nd
stellt sich vor, was zur Wiederbelebung notwendig ist, kann man sich eine Vorstellung da­
von machen, welche Lebensferne rein rationale Entwürfe haben können. - Mich erinnert die
43
siehe hierzu auch Wind 1 9 3 1 , 1 7 1
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6 . Über die Zentralperspektive als Abbildung
6. Über die Zentralperspektive als Abbildung
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strenge Reduktion, die Willikens vornimmt, an die Erörterungen von Descartes über den
Körper44•
Angesichts der Radikalität der Entleerung45 des perspektivisch dargestellten Raumes, die
Willikens vornimmt, wird deutlich, welcher Anstrengung es bedarf, Leben im Rahmen der
Perspektive als symbolischer Form festzuhalten.
D i e Be drohung für den Menschen
scheint gegenwärtig nicht mehr von
der Natur auszugehen, sondern eher
von den eigenen, " naturgetreuen"­
Ordnungsprinzipien. Wobei auch
deutlich wird, daß der Gegensatz von
Subj ekt ( Mensch) und Objekt (Na­
tur) so · nie gestimmt hat: Gerade die
Erforschung der Naturhaftigkeit des
geistigen/psychischen L ebens des
Menschen war j a die große Beleidi ­
gung durch Freud4 6 •
D ie Radikalität der Kritik wird
vielleicht eher noch deutlich in Kom­
bination mit anderen Werken Wil­
likens: Sie stellen alltälichere Situati­
onen dar; Krankenhausflure, Schlaf­
säle u . ä. , die nur von der Alltagsrea­
lität insoweit abweichen, daß m o ­
mentan keine Menschen zu sehen
sind, aber das Moment der ideal ge­
planten Realität und ihre saubere
Ausführung um so deutlicher wieder­
geben.
Es tritt so etwas vom Zwang her­
vor, der im Verborgenen Bestan dteil
unserer Rationalität ist, von Sauber­
Abb 7 1 : Willikens: Liege Nr. 2 ( 1 974 ) .
keitszwängen, die alle gefährlichen
unberechbaren Momente eliminieren müssen, damit auch Lebendiges eliminieren . Abnut­
zungsspuren an den Gegenständen, der gegenständlichen Umwelt kommen idealer \Vei se
nicht vor.
Hygiene, Sauberkeit treten so hervor als Verdrängungsmechanismen der Sterblichkeit.
Sterblichkeit, Begrenzung sind für das individualisierte Subj ekt unaushaltbar geworden ,
produzieren Angst, vollkommen unterzugehen, nie gelebt zu haben.
Die von Williken dargestellten Räume sind leer, aber keineswegs einladend. In der Vor­
stellung wage ich kaum, sie zu betreten. Dies wird erreicht durch eine mir bis j etzt un -
46
Abb 70: Willikens: Flur Nr. 1 3 ( 1 974/75 ) .
4 4 vgl. dazu Kutschmann 1 986, 24ff; pazzini 1 985b
45 Ausgeschieden werden die Menschen, die Risikofaktoren.
Selbst die Rede vom "Naturschutz" täuscht, wenn sie auch gut gemeint ist. Daß so etwas wie " Natur­
schutz" nötig wird, zeigt, daß der Mensch in seiner "künstlich" errichteten Umwelt seine innere N atu r z u
verleugnen versucht hatte. Man könnte ja auch sagen: die Rede vom Naturschutz kommt d a auf, w o die
Natur selber begonnen hat, sich zu schützen vor einem wildgewordenen Teil ihrer selbst, dem zivilisier­
ten Menschen, indem sie ihm die Lebensgrundlage entzieht - eine illusionäre Verkennung.
1 32
6.
6. Über die Zentralperspektive als Abbildung
Über die Zentralperspektive als Abbildung
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bekannte Direktheit in der Darstellung des Perspektivideals des mathematisch als voll­
kommen homogen, stetig und unendlich gedachten Raumes. In ihm ist kein Platz mehr für
Unordnung oder auch nur für Üb erraschungen.
E s ist nun spannend zu rekonstruieren, wie Willikens e s durch die Konstruktion des Bil­
des dennoch möglich macht, daß die Menschen, insbesondere Jesus, weggelassen werden
können, ohne daß die ganze Konstruktion zusammenbricht.
Schon in Leonardos Original sahen wir, wie brüchig die ganze Konstruktion ist: sie ist
abhängig von einem bestimmten Standpunkt vor dem Fresko und einem mehr inhaltlich
orientierten Festhalten an der zentralen Figur des im Bild dargestellten Momentes des
Abendmahls, im Absehen von der Geometrie.
Willikens muß für seine Version des Abendmahles diese komplexe Struktur aufgeben. Er
muß das Bild tieferlegen, den Augenpunkt kann er nur wenig über die durchschnittliche
Körpergröße der erwarteten Betrachter legen, da er allein die Darstellung des Raumes zur
Verfügung hat und die Attraktion der Fluchtlinien, aber nichts, was einen auseinanderdrif­
tenden Blick zusammenhielte. Bei seiner Konstruktion wäre es nicht möglich, zwei Blick­
winkel in ein Bild zu integrieren, darauf würde sich kein Betrachter einlassen können. Das
ganze Bild muß deshalb "tiefergehängt" werden.
Das Bild von Willikens ist keine Bühne mehr; es ist fast ebenerdige Fortsetzung des re­
alen vor dem Bild befindlichen Raumes. Der dargestellte Raum ist in seinem Aufbau, sei­
nen Materialien, seiner Lichtverteilung gnadenlos: Hat man ihn einmal betreten, steht man
in gleichmäßigem Licht, hat keine Möglichkeit seitwärts zu entweichen, man hat den Ein­
druck j ede Bewegung, jedes Geräusch unterläge einer Art Zoom-Effekt, einer Verstärkung,
die erst aufhören würde, wenn man den Raum durch die hintere Tür verlassen würde und
von der angedeuteten Terasse in den leeren Raum spränge.
Abb . 72: Willikens: Sitzungssaal der Landesbank Stuttgart ( 1983)
In der von Willikens so dargestellten gesäuberten Form wird das rationalistische Ord­
nungsschema der ( Zentral ) -Perspektive in seiner Herrschaftsfunktion (es gibt sicher auch
andere ! ) deutlich, einer Funktion, die durchaus auch die innere Natur im Griff hat.
Das kann der Betrachter daran erspüren, daß es keine einzige wirkliche Barrikade in den
dargestellten Räumen gibt, inhaltlich wird nichts wirklich Abstoßendes dargestellt. Und
dennoch tritt ein Effekt ein, der sich wie ein Verbot anfühlt, ein Verbot, die Räume zu be­
treten. Sei es nun, weil man sich dies aus psychohygienischen Gründen nicht zumuten mag,
sei es, daß den Betrachter die Befürchtung beschleicht, er würde durch seine Anwesenheit
etwas aus der vorgesehenen Ordnung bringen.
Willikens führt in seinem Abendmahl exemplarisch vor, wie der Mensch als Zentrum eli­
miniert werden kann und der Raum dennoch zusammenhält ( das entspricht der vermu­
teten Wirkung von Neutronenbomben) . Betrachtet man zunächst Leonardos Abendmahls­
bild, ist es schlicht unvorstellbar, wie Christus - nicht nur als thematisch-inhaltliches Zen­
trum des Bildes , sondern auch als konstruktives Zentrum - weggelassen, eliminiert werden
könnte , ohne daß die perspektivische Konstruktion zusammenbräche . Bei der Stirn Jesu
laufen alle Achsen und Fluchtlinien des Bildes zusammen4 7 .
47 Unterscheidet man im Bild, wie es Imdahl ( 1 979) für Piero della Francesca Geißelung tut, die zentral­
perspektivische Projektion und die nichtprojektive Ebenenkomposition, so fällt in bei den das Zentrum
auf die linke Kopfhälfte Jes u . Jesus ist in der Mitte des projektiv dargestellten Geschehens , wie der Kom-
position der Ebene. Der Fluchtpunkt koinzidiert mit der Mitte des geometrischen Horizonts . "Er bildet
das kausale, vitale und erkenntnistheoretische Zentrum. " (Schumacher 1 9 8 1 , 1 2f) .
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7. Das L ehren und Vermi tteln des Abbildens un d der Abbildu ng
Ablösung vom Meinen * Zwischenbemerkung: Individualität im Üb ergang * Der perspek­
tivische Blick als kleinster gemeinsamer Nenner * Technologie des Blicks * Die "Under­
weysung der Messung(.(. * Geradhalter * Die Messung mit und als Grund * Punkte * Ein Ap­
parat * Haltung * Veränderungen des Blicks * Dauerreflexion - die Einverleibung des
Spiegels * Die Weiterentwicklung der Haltung - ein Ausblick in Bildern * Mimikry und
Mimesi s * Stillstand und Halter * Einübung des more geometrico * Beschleunigung *
Rationalisierung des Blicks * Lesepause 1 * Lesepause 2 * Anhalten der Zeit * Distanz
Ablösun g vom Meinen
"Dann das Wissen ist wahrhaft, aber die Meinung betreugt oft" (Dürer 1 893 , 364 ) .
Nachdem die Technik des Abbildens zunächst noch wie eine Art Geheimlehre gehandhabt
wurde, ging es bald darum, eine mehr öffentliche Lehre zu erfinden , um die " symbolische
Form (.(., die begonnen hatte, die Umwelt zu formen, vielen zu vermitteln.
Nach der zunehmenden Herauslösung der Menschen aus dem Weltbild des Mittelalters,
u nter den Vorzeichen einer immer deutlicher werdenden Individualisierung, nach der Her­
auslösung des Sehens aus den mittelalterlichen Ordnungen läßt sich das "Programm (.(. einer
Vermittlung und einer Lehre der Abbildung so fassen:
Bei der Vermittlung und dem Lehren der Abbildung geht es um die Herstellung der Mög­
lichkeit, etwas anderes als sich selbst, als sein Meinen, in den Blick zu nehmen un d diesen
Blick dann wiederzugeben, und zwar so wiederzugeben als hätte der andere gesehen , häue
er an derselben Stelle gestanden und in dieselbe Richtung gesehen und als wäre es ihm n u r
auf das Sehen angekommen .
Das war j a das, was Brunelleschi getan hatte: Er hatte sich nicht damit begnügt, daß er
das Baptisterium in Florenz dort stehen sah, wo der Mittelpunkt seines besonderen Alltags­
lebens lag, das Symbol seines Stadtviertels. Er wollte diesen seinen Blick wiedergeben ,
nicht nur die Konstruktion des Gebäudes, den Aufriß und den Grundriß etwa. Das soll te in
einer Weise geschehen, daß ein anderer sagen kann : "Ja, das ist genau auch mein Blick , so
sehe ich das auch. - Wie kommt es, daß ich das Baptisterium sehe, obwohl ich zwei Tafeln
vor mein Auge halte; und es genauso sehe, wenn ich die vordere Tafel wegnehme ? (.(. . Es ist
implizit auch klar, daß Brunelleschi das gleiche gesehen hat, was jetzt der Betrachter sicht .
Zwischenbemerkun g : Individuali tät im Überg an g
Brunelleschi fügte mit seinen Experimenten , j edenfalls wenn m an ihre Wirkungsge ­
schichte betrachtet, der symbolischen Ordnung, den symbolisch vermittelten Ausdeutungen
der Welt ein diese verändern des Moment ein . Dieses Moment ist bestimmt durch eine an ­
dere Form der Aufnahme von Individualität in gesel lschaftl iche Zusammenhän ge . In div i -
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7 . Das Lehren und Vermitteln des Abbildens und der Abbildung
7. Das Lehren und Vermitteln des Abbildens und der Abbildung
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dualität1 konnte nicht mehr erlangt werden " als Nachvollzug und Einlösung von überindi­
viduellen, dem einzelnen äußerlich ( von Gott) vorgegebener Lebensmuster . . . Deshalb ist
( im Mittelalter, KJP ) auch die Form der D arstellung, wenn man sie mißt an der Mo derne,
nicht im eigentlichen Sinne fortschreitend und dynamisch, sondern eher eine Addition von
S zenen und B egeb enheiten : In der D arstellung auf s ignifikanten S chauplätzen, in b e ­
stimmten personalen Konstellationen u n d im Nachvollzug bedeutungsvoller Handlungs­
züge wird ein vorgegebener S innzusammenhang anschaulich, der immer wieder neu repro­
duziert wird'-' ( Wenzel
1983, 7) .
Individualität wird beim Verlassen der mittelalterlichen Ordnung nicht erst konstituiert,
geln abhängig ist - wenn man sich auf das S ehen beschränkt. Später zeigt er, daß er mit
dies en Mitteln auch anders handeln kann, " freitragend" b auen k ann, die Kuppel des
Domes nicht auf einen zeitweilig aufgeschütteten Erdhügel legt und diesen dann wieder ab­
baut. Gleichzeitig mit der universellen Möglichkeit der Positionsbestimmung erwirbt er
sich ein neues Wissen und eine neue Art zu Wissen, die ihn zu nützlichen Aufgaben in der
Gesellschaft qualifiziert.
Es bleibt umstritten, wieviel an Intuition und wieviel an Berechnung dem neuen Verfah­
ren des Brunelleschi eignete (vgl. Kubovy 1986) . Soll es aber für Sozialisationsprozesse pa­
radigmatisch werden, muß es in eine vermittelbare Form gebracht werden.
sondern sie wird lediglich zum Problem2. "Das geschichtliche Mysterium der Individuali­
tät, die sich selbst zum Problem wird, entsteht mit dem Verlust der positional und funk­
tional geregelten Individualität, d. h. mit spezifischen Änderungen der gesellschaftlichen
Der perspektivische Blick als kleinster gemeinsamer Nenner
Ordnung, die durch konkurrierende Ordnungen und deren j eweilige gesellschaftliche Re­
Als kleinsten gemeinsamen Nenner für die Wiedergabe seines Blickes wählte Brunelleschi
präsentanten ab gelöst wird: Individualität wird zum Problem, wenn sie als sozial ge ­
den p erspektivischen Blick. D abei mußte er klarmachen, daß es ihm zunächst nur um das
sicherte und vermittelte verloren gegangen ist und der einzelne auf die Suche nach einer
Sehen geht. Er wollte nicht vermitteln, wie man in diesem Viertel lebt, dessen Zentrum das
festen Position und Definition innerhalb eines gesellschaftlichen Verbandes geschickt und
Baptisterium ist, er wollte auch nichts darüber mitteilen, wie es ist, wenn man einmal um
das Baptisterium herumgeht o der wie warm es um die Mittagszeit dort im August ist. Er
verwiesen wird, der aus relativ unabhängig voneinander, gleichzeitig existierenden Sub ­
systemen mit j eweils eigenen Normen, Sinnprovinzen und Realitätskonstruktionen b e ­
1 983 , 33) 3 .
Mensch '-' 4 der Renaissance
steht" ( Soeffner
Der "neue
hatte, so könnte man formulieren, die Imago Dei so
wollte nur vermitteln, wie er das Obj ekt "Baptisterium" sieht. Er wollte nichts darüber
sagen, daß es im Baptisterium kühl ist, daß es dort nach dem Ruß der Kerzen und dem
Weihrauch von der Messe am Morgen riecht, geschweige denn die anderen Düfte einer
gut internalisiert, daß er nunmehr auch die Probleme Gottes hatte : er mußte sich von sei­
nem Standpunkt aus die Welt neu vermessen, sie neu verstehen. Mens und mensura, Ver­
mittelalterlichen Stadt aufzeichnen.
stand und Messung wurden in der mittelalterlichen Terminologie und noch bei Nikolaus
des perspektivischen Blicks zu erzeugen, ihn als j etzt gemeint zu indizieren, hatte er durch
von Cues als Worte mit gemeinsamer Wurzel und demnach gemeinsamen Begriffsinhalt ge­
seine Versuchsanordnung den Betrachter ganz zum Auge gemacht, die Aktivität vorge­
dacht.
Metaphorisch gesehen setzt Brunelleschi genau hier ein : Er sucht eine neue , eine eigene
sich erst einmal vom Baptisterium abwandte, ihm den Rücken zukehrte, sich im Spiegel
Um diesen Nenner, die Isolation des Auges und des Blickes zu erreichen und den Nenner
schrieben, die nun auszuführen sei. D as hatte er am Umgang mit sich vorbereitet, indem er
Baptisterium für römisch - und dem neuen Dom. Dazwischen findet er seinen Standpunkt
sah, und dann immer den Platz freimachte für die Lichtstrahlen, die vom Baptisterium her
auf den Ort trafen, wo er stand, b zw. die seine Pupille getroffen hätten, wenn er anders her­
nach Maßgabe der Geometrie und sorgt dafür, daß diese Position von anderen nachvollzo­
um gestanden hätte.
Position auf in seinem Viertel im Spannungsfeld von " Antike'-' - j edenfalls hielt er ja das
gen werden kann. Er zeigt, daß dieses Verfahren zur Verortung prinzipiell überall anwend­
bar und von nichts anderem als von korrekt gebauten Instrumenten und geometrischen Re-
Er vermied dabei die imprudentia des Narcissos:
"Se cupit imprudens et, qui probat, ipse probatur,
Dumque petit, petitur p ariterque accendit et ardet"5,
1
oder Identität - verstanden als ein Wissen um den eigenen gesellschaftlichen Ort, die eigenen Pflichten
und Rechte.
2 "Wir sind geneigt, das Ich als etwas prinzipiell Selbständiges, nicht nur in seiner Funktion, in seinem
Handeln, sondern auch in seiner Genese, vorauszusetzen. Aber bis ins Hochmittelalter sind es auch im
Abendland nur vereinzelte religiöse Menschen, Dichter, Philosophen, zumeist also Randfiguren der Ge­
sellschaft gewesen, die ihr eigenes Ich als reflexionsbedürftig oder gar als reflexionswürdig angesehen ha­
ben . . . . Wenn der gemeine Mensch dachte, hatte er über Probleme zu denken, die sich seinem Leben
stellten, nicht über sich selbst. . . . Das Ich war in seine gesellschaftlich-natürliche Umwelt eingebettet,
persönliche Identität wurde sozial hergestellt" (Luckmann 1 979, 293f) .
3 Soeffner erklärt das am Beispiel von Parsifal.
4 Dieser
Mensch kann Gegenstand der Portraitmalerei werden, vorher war er Form eines Typos : "Die mit
der Renaissance sich ausformende Portraitkunst basiert darauf, den Menschen auf eine weltimmanente
Weise zu deuten. Er selbst wird zum Zentrum aller Antriebe und zu einem Bezugspunkt, auf den man
blicken kann. Die Differenzierung der Gesichter über bloße Schemata hinaus erlaubt, sie als Identitäts­
pole wahrzunehmen, in denen sich zugleich allgemein verbindliche und individuelle Eigenschaften ver­
körpern. Liegt im Bildnis diese Autonomie, die von äußeren Vorgriffen nicht unterdrückt wird , dann er­
fordern diese Werke zu ihrer Herstellung wie zu ihrer Betrachtung gleichfalls selbständige Individuen"
( Boehm 1 985, 1 8 ) .
heißt es b ei Ovid. "Das lateinische
imprudens,
aus
in-pro-videns
zusammengezogen, ist wie
' un-vor-sichtig, un-ver- sehens ' gebildet; es verneint das Präsenzpartizip von
providere.
Im
Lexikon wird dieses Verb durch ' aliquem non providesse ' , definiert: j emanden nicht vor
sich gesehen haben, um ihn zuerst zu grüßen oder eine Vorsorge zu treffen. Prudens heißt
einer, der als Theoretiker einsichtig, als Praktiker umsichtig ist; die Negation spricht Nar­
ziß den rechten Blick für etwas, nämlich für den Spiegel, ab " ( Schickel
1 975, 34) .
Narziß
war es nicht gelungen eine D ifferenz zu erhalten zwischen dem Meinen und dem Anderen.
Dürer formuliert das so: "Aber das leben in der natur gibt zu erkennen die warheyt diser
ding. D arumb sich sie fleysig an, richt dich darnach und gee nit von der natur in dein ge ­
duncken, das du wöllest meynen das besser von ' dir s elbs zu finden, dann du wirdest
verfürt'-' 6 .
5 "Nichts ahnend begehrt er sich selbst, empfindet und erregt Wohlgefallen, wirbt und wird umworben,
entzündet Liebesglut und wird zugleich von ihr verzehrt" (V 425 - 427, Übers. v. Albrecht 1 98 1 , 70)
6 Lange und Fuhse 1 893/1 970, 221 (Die Umlaute werden im Original mit " e" über dem Vokal geschrie­
ben . ) .
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7. Das Lehren und Vermitteln des Abbildens und der Abbildung
7. Das Lehren und Vermitteln des Abbildens und der Abbildung
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Technologie des Blicks
Wie ist denn eine solche Differenz zwischen "meynen" und "naturgemäßer Darstellung"
einzurichten, wie ist sie mitteilbar zu machen, zur Sprache zu bringen? - Die Fragen zielen
zunächst auf eine Art Technologie des Blicks. Wie ist der Blick so einzurichten, daß er Dif­
ferenzen erzeugt ? Der Blick soll bleiben können, auch wenn er sich zwischenzeitlich schon
woanders hingewandt hat. Er soll ins Gedächtnis und Erinnern zurückgeholt werden kön­
nen, nicht als bloße Erinnerungsspur7 untergehen. Als bloße Erinnerungsspuren bleiben
die eingefangenen Blicke unbewußt und kommen nur unwillentlich zur Sprache. Mit
solchen Erinnerungsspuren läßt sich unter relativ gleichbleibenden Anforderungen durch
die Welt, in der man lebt, mittels Riten und eines präformierten Kultus eine Orientierung
herstellen, nicht aber, wenn die Anforderungen ständig wechseln.
Um dem Gedächtnis verfügbar zu sein, müssen die Blicke vermessen und "aufgeschrie­
ben" werden. Dann haben sie einen wiedererkennbaren Wert und ermöglichen darüberhin aus eine neue Komposition von Teilblicken, die über die Gegenwart hinaus greifen können,
noch nicht Existierendes im Entwurf darstellen können.
Wie ist das machbar? - Welche Konsequenzen hat die Machbarkeit? - Worauf antworten
die Techniken der neuen Abbildherstellungen? - Dazu schrieb und zeichnete Dürer.
Die "Underweysung der Messung"
Dürer schrieb und zeichnete im Jahre 1525, hundert Jahre nach der Neuerfindung der
Perspektive eine Didaktik der Perspektive. In ihr tauchen Instrumente zur Fixierung des
Auges auf und in der Folge des gesamten Körpers. Dadurch wird der freie Blick auf die
Welt erleichtert oder überhaupt erst möglich und kann festgehalten, repräsentiert werden 8 .
Das Festhalten, Repräsentieren und Einordnen ermöglicht, sich zu lösen.
Geradhalter
Es war nicht Dürer, der die Geräte zur Orientierung beim Zeichnen, zur Orientierung des
Auges und der Hand und zur Stillstellung des übrigen Körpers, kurz von mir in Anleh­
nung( ! ) an die noch später genauer beschriebene "Erfindung" Schrebers als "Geradhalter"
bezeichnet, in die Kunstpraxis einführte. Es begann schon etwa 1 00 Jahre früher mit Bru­
nelleschi9: Die "naturgemäße" Abbildung war nicht überprüfbar, wie wir sahen1 0 , ohne
daß sich der Prüfer i n struktureller Übereinstimmung mit dem Herstellungsprozeß der
Zeichnung Prozeduren des Stillhaltens unterwarf. Dazu hatte Brunelleschi Hilfsmittel
erfunden 1 1 .
Es wird im folgenden nun nicht darum gehen, die genaue Konstruktion einer einwand­
freien "Durchsehung" , wie Dürer die Perspektive nennt, darzustellen. Vielmehr kommt es
auf die Rückwirkungen auf den Zeichner, auf den, der sieht, an, auf das, was der mit In­
strumenten unterstützte Blick ermöglicht, und darauf, wie die Vermittlung des "richtigen"
Sehens und Zeichnens an Techniken der Formalisierung gebunden ist1 2 .
Dürer schreibt: "Man hat bisher in unsern deutschen Landen viel geschickte Jungen zu
der Kunst der Malerei getahn, die man ohn' allen Grund und allein aus einem täglichen
Brauch gelehrt hat. Sind dieselben also im Unverstand wie ein wilder unbeschnittener
Baum auferwachsen" (Dürer 1 525, 1 5 ) . Dürers Programm deutet sich hier an. Er will be­
gründen, warum so und nicht anders gezeichnet werden soll, will die alltägliche Praxis for­
malisieren. Das geht nicht ohne Beschneidung ab 1 3.
Die Messung mit und als Grund
Dürer fährt fort: "Dieweil aber die (die Messung, KJP) der recht Grund ist aller Malerei,
hab ' ich mir fürgenommen, allen kunstbegierigen Jungen einen Anfang zu stellen und Ur­
sach zu geben, daß sie sich der Messung Zirkels und Richtscheids unterwinden, und daraus
die rechte Wahrheit erkennen und vor Augen sehen mögen, damit sie nicht allein zu Kün­
sten begierig werden, sondern auch zu einem rechten und größeren Verstand kommen mö­
gen" ( 1 525, 1 5 ) . Hier klingt die alte Bildung nach: Durch das rechte Einbilden, werden
Seele und Verstand geläutert. Man hat allerdings den Eindruck, daß hier dieses Argument
von Dürer schon defensiv gebraucht wird gegen einen Vorwurf, der lauten könnte, Bilder zu
malen, mache nicht verständig. Er möchte die Unterweisung schreiben: "Unangesehen des­
sen, daß j etzt bei uns und in unseren Zeiten, die Kunst der Malerei durch etliche sehr ver­
achtet, und gesagt will werden, die diene der ..Abgötterei" ( 1525, 1 5 ) . Hier taucht auch das
Motiv der Verwirrung durch Bilder auf, das Argernis, die Verdummung, sprich Nicht-Aus­
bildung des Verstandes. Für Dürer bekommt dagegen die rechte Art zu malen, moralische
Qualität: sie verbildet nicht. Im Gegenteil, sie bringt zu Verstand.
Punkte
Dürer macht aus heutiger Sicht einen weiten Vorgriff. Er zerlegt das mögliche AbBild in
Punkte - heute würde man sagen Pixel, ein Vorgriff auf die Digitalisierung14 : "Aber ein
Punkt ist ein solches Ding, das weder Größe, Länge, Breite noch Dicke hat; und ist doch
7 V gl. dazu Freuds Schrift über den Wunderblock ( 1 925) und Lacans "Darstellung des weiteren Ver­
laufs" des " Seminars über E.A.Poe 'Der entwendete Brief' . " ( 1 973, 41 - 43 ) .
siervorrichtung ) . Es muß also die Fiktion aufrecht erhalten werden, daß die Gesichtslinien starr auf einen
einzigen Punkt gerichtet bleiben." (Mayer-Hillebrand 1 947, 1 43f) .
8 Bei kleinen Kindern hat sich das Auge noch nicht s o stark vom Körper und der Umgebung gelöst wie
beim Erwachsenen. Teresa (2 Jahre) kommt daher viel langsamer vorwärts beim Gehen durch die Stadt.
Sie haftet quasi mit den Blicken an der Umgebung fest. Sie hat noch nicht wie in der Wohnung Routinen
ausgebildet, um zu rennen, währenddessen sie das Auge von der Umgebung lösen könnte. Die Ausbil­
dung solcher Routinen läuft wahrscheinlich u . a. über den Zuruf und die Verlockung, aber nicht zuver­
lässig (vgl. Romanyshyn 1 982; bei ihm fehlt diese entwicklungpsychologische Dimension, auch in dem
neueren Beitrag 1 987).
1 0 vgl. Kap . 4
1 1 Bei Brunelleschi waren das vielleicht noch keine Hilfsmittel, sondern eher konstitutiver Bestandteil des
9 Franziska Mayer-Hillebrand schreibt über Albertis "Schleierapparat" . "Voraussetzung für dieses Ver­
fahren bildet strenge Fixation des Auges , die in verschiedener Weise erreicht werden kann (Halter, Vi-
Experiments selber.
1 2 Zu den Verfahren, die Dürer anwendete, siehe z. B. Harnest o. J.
1 3 Bei Lacan und seinen SchülerInnen ist von der symbolischen Kastration die Rede, die zur Einführung
in die symbolische Ordnung verhilft.
14
vgl. hierzu Flusser 1 985
1 40
7. Das Lehren und Vermitteln des Abbildens und der Abbildung
7. Das Lehren und Vermitteln des Abbildens und der Abbildung
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Anfang und Ende aller leiblichen Dinge, die man machen kann oder die wir in unseren
Sinnen erdenken mögen; . . . Und darum erfüllt kein Punkt einen Raum; denn er ist unteil­
bar" ( 1 525, 17) . Dürer schreibt darüber nicht weiter, nicht über die Problematik, daß ein
solcher Punkt nicht abbildbar ist, sondern er bildet ihn einfach ab: "aber damit die Jungen
0.,.
verständig in brauchbarer Arbeit werden, will ich ihnen den
Punkt als einen gemalten mit
einem Tupf einer Feder dahin­
setzen und das Wort Punkt da­
bei schreiben, damit der Punkt
bezeichnet werde : Punkt • (./.
( 1 525, 1 7 ) . Sprache und Ab­
��
/
'\
Bild
geraten ganz eng zusam­
/
\
!
\
men - im Text selber und in der
Vermittlung. Z umindest die
I
Grundelemente eines AbBildes
lassen sich auch schreiben1 5 .
\
'"
I
"/
Ganz hat er selber die Ab­
""- 'I /
straktion, die in den einzelnen
Zeichenschritten liegen, noch
nicht verdaut. So gerät ihm die
Ellipse zu einer Art Ei 1 6 .
Dürer stand aber noch vor einer
weiteren Aufgabe, nicht nur daß
e r den mittelalterlichen Er­
fahrungsschatz aus den Mal­
werkstätten auf die Ebene einer
20.
"Theorie" des Zeichnens brin­
gen mußte, daß er hier auf der
Abb. 73 : Dürer: Ellipse
zeichnerischen, wie auf der
theoretischen Ebene neue Abstraktionen gewinnen mußte, er mußte außerdem die deutsche
Sprache so differenzieren, daß sie überhaupt das zu fassen in der Lage war, was er mög­
lichst weit verbreiten wollte 1 7 . Er schrieb die erste wissenschaftliche Prosa in Deutschland
und führte den ersten mathematischen Beweis in der deutschen Literatur. Der Verbrei­
tung 18 seiner Ideen kam denn auch der neue Buchdruck entgegen19.
15 Und dann läßt sich natürlich auch schreiben: "Dieser Punkt ist kein Punkt" und "Diese Pfeife ist
keine Pfeife" .
Ein Apparat
"Item Perspektiva ist ein lateinisch Wort, bedeutt ein Durchsehung. Item zu derselben
Durchsehung gehören funf Ding:
Das erst ist das Aug, das so sicht. Das ander ist der Gegenwürf, der gesehen wird.
Das dritt ist die Weiten dozwischen.
Das viert: all Ding sicht man durch gerad Lini, das sind die kürzesten Lini.
Item das fünft ist die Theilung voneinander der Ding, die du siehst . . . .
Allein die Ding mag man sehen, do das Gesicht hin mag kummen(./. (Dürer 1 893, 3 1 9 ) .
�
Abb . 74: Dürer: Der Zeichner, ein Bild zeichnend ( 1 525)
1 6 vgl Abb. 2 0 , 1525, 36.
17 vgl. hierzu Panofsky 1 977, 326 f.
1 8 Ein Vergleich: Dürers Werk wurde sofort gedruckt und erlebte 1 538 eine zweite revidierte Auflage.
Dürer verbreitet mit seiner Underweysung die Konstruktion folgenden Apparates: "Willst
du durchzeichnen, was du vor dir siehest, so rüste dazu ein geschicktes Zeug. . . . (Es folgt
die Beschreibung zur Anfertigung des " Visiers" , KJP) Oben an diesen Stab mache ein klei-
1 9 Auf die Rede bezogen sind wir hier am Übergang von der Oralität zur Literalität, die in sehr ähnlichen
Strukturen vonstatten geht wie der Übergang von der mittelalterlichen Malerei zur zentralperspektivi­
schen Darstellung der Welt: "Da der Übergang von der oralen zur schriftlichen Rede wesentlich der
Übergang vom Klang zum sichtbaren Raum ist, muß bezüglich der Auswirkungen des Buchdrucks ein
Hauptaugenmerk auf den Gebrauch des visuellen Raumes gelegt werden . . . . Der alphabetische Buch-
druck, der jedem Buchstaben ein gesondertes Stück Metall zuwies, eine Type, markierte einen psycholo­
gischen Durchbruch ersten Ranges . Er paßte das Wort tief in den allgemeinen Produktionsprozeß ein und
verwandelte es in eine Art Gebrauchsartikel. Das erste Fließband, eine Produktionstechnik, die in einer
Abfolge von Arbeitsschritten identische Produkte aus Einzelteilen zusammenfügt, entließ keine Öfen,
keine Schuhe oder Waffen, sondern gedruckte Bücher" ( Ong 1 987, 1 1 8f) .
Piero della Francesca "De prospectiva pingendi" wurde 1 490 verfaßt, aber erst 1 899 gedruckt (vgl . zu
letzterem Datum Panosky 1977, 332 ) . Insofern blieb die Lehre bis zu Dürers Underweysung geheim.
7 . Das Lehren und Vermitteln des Abbildens und der
1 42
A.-�b i_
Id_un�g
_ ,,-___
7. Das Lehren und Vermitteln des Abbildens und der Abbildung
_______
1 43
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WAHLE DEN H I NTERGRUND
1. Sitz so einstellen, daB Augen
mit l'otem Pfeil übere i n s t i mmen .
2. Für Personalausweise werden
2 g'eich� Pa8bilder benötigt .
3. Keine Kopfbedeckung.
4. Bitte rechts auf roten Punkt
$chauen.
da ein Ohr siclltba,r sein l\1ull.
nes dünnes geschicktes Brettlein, und bohre ein Loch dadurch, auf daß du daraus mit ei­
nem Auge desto gewisser durch das Glas sehen mögest. Was du dann dadurch siehest, das
verzeichne mit einem Pinsel . . . auf das Glas. Danach zeichne dasselbe auf das Ding, darauf
du malen willst. . . . So du dann dermaßen Einen abmalen willst, so lehne ihm das Haupt
an, auf daß er sich stets unverrückt halte, bis daß du alle Notstriche thuest. " (Dürer
( 1 525) 1 908, 180) .
Die obige Anordnung findet sich in automatisierter Form noch heute zur Anfertigung von
Lichtbildern für Identitätsausweise20 (Abb. 75 - 77) .
� �------�--��--
Haltung
B l l C K f I N OJ N H A H M I N
an
Abb. 76: Fot0fix: Rahmen und Hintergrund
Abb . 75: Fotofix: Identitäts ( aus ­
weis )bildung
Der zweiten Auflage von
Dürers Underweysung ist
der nebenstehende Holz­
schnitt entnommen. - Für
Mitglieder der deutschen
Adelsgruppen im 13, Jahr­
hundert wäre die darge­
stellte S ituation kaum
vorstellbar
gewesen. " Zwi­
Abb. 78: Dürer: Der Zeichner des liegenden Weibes
schen Anblick und Sexualwunsch gibt es kaum innere Schranken . . . . Selbst eine Anstandslehre für adlige Töchter,
die Winsbeckin, geht ohne weiteres von der Regel aus: 'Wenn ein Mann eine besonders
schöne Frau sieht, der will sie haben. ' Eine Frau, der dies widerfährt, soll es als ein ' Zei­
chen ihres Werts' auffassen" ( Schröter 1 987, 469) .
Was macht Geradhalter also notwendig? - Das Anhalten und das folgende Arretieren ei­
ner Bewegung. Die bewußte Arretierung, die nicht etwa den Zweck im Leib selber hat,
macht den Leib zum Körper, trennt zwischen steuerndem Kopf und Körper. Die Fähigkeit
zur ge zielten Arretierung wird zur Haltung2 1 . Die Haltung wird solange eingenommen, daß
20 Wegen technischer Schwierigkeiten ist hier eine Daguerreotypie von Hogg und Iohnson (vor 1 843 ) lei­
der nicht reproduzierbar. Sie ist die 1. Photographie des Vorganges des Photographierens. - Eine Weiter­
entwicklung der Dürerschen Anordnung. An der Stelle des Zeichners steht der Photograph.
lITTE AUFRECHT SITZEN
NACH JEDEM AUFLEUCHTEN
STELLUNG ANDERN
2 1 Ich möchte hier Ausschnitte aus einer sinnesphysiologischen Studie von Scheurle ( 1 984) anfügen, die
auf die spannungsreiche Polarität von Haltung und Bewegung aufmerksam macht, die unter den Vor­
zeichen der ,., Zentralperspektive" auseinandergerissen wird. - "Den Ruhepol der Bewegung bezeichnen
wir auch als Haltung, die in Fluß befindliche Haltung auch als Bewegung. Das Phänomen der Haltung
korrespondiert mit der Form. ( . . . ) Die Dynamik der Bewegung .dagegen korrespondiert mit der Verände­
rung und ist formauflösend. Sie läßt sich deshalb niemals abbilden, ist durch kein Mittel zu fixieren oder
darzustellen. Neue Möglichkeiten der Bewegung verlangen, die jeweils geschaffenen Formen immer wie­
der aufz ulösen. ( . ) Als Haltung bezeichnen wir z. B. die angespannte, ständig in unmerklicher Bewe­
gung befindliche Muskulatur, durch welche wir uns in der Aufrechten erhalten. Haltung ist zugleich Be­
wegungsbereitschaft, die aber immer schon in sich bewegt ist. Entsprechend ist die angespannte Haltung
eine erhöhte Bewegungsbereitschaft, die allen gesteigerten Bewegungsintentionen, wie z . B . dem Start bei
einem Wettlauf vorangeht. ( . . ) Bewegung kann als lebendig fließende Haltung, Haltung als gefestigte, be­
ruhigte Bewegung betrachtet werden. So gesehen gibt es keine Bewegung ohne Haltung und keine Hal­
tung ohne Bewegung. ( . . ) In Thesis und Arsis, im Setzen und Aufhaben des Fußes, liegt das Urphäno­
men der Bewegung - ein Rhythmus, den alle natürlichen Bewegungsarten haben. Nur im Rhythmus der
freien Bewegung läßt sich die Haltung in jedem Augenblick den Umständen gemäß ändern, und mit dem
..
•
.
Abb. 77: Fotofix: Das Vögelchen rechts im Bild ent­
spricht vielleicht dem Schulfach ,.,Ästhetische Erzie­
hung" im Rahmen der anderen identitätsbildenden
Fächer
.
1 44
7. Das Lehren und Vermitteln des Abbildens und der Abbildung
7. Das Lehren und Vermitteln des Abbildens und der Abbildung
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sie nicht mehr ertragen werden kann, aus sich heraus getragen wird. Der eigene Körper
wird zum Durchgangsobjekt technischer Zwecke. Die stillgelegten willkürlichen und un­
willkürlichen Bewegungen drängen nach einiger Zeit aus der Haltung hinaus. Jede weitere
Anstrengung hätte eine derartige Ermüdung zur Folge, daß der Stillstand zu einer Ver­
krampfung führte oder zu einem Zittern, so daß die vormalige Position verlassen werden
müßte. Es werden also Pausen und Freizeiten notwendig; außerdem Strategien, um Hal­
tungen möglichst lange beizubehalten und um Haltungen zum Erlernen von Haltungen
auszuprägen. Exerzieren.
Werfen wir noch einen Blick auf den Holzschnitt: Es fällt auf, daß es sich hierbei mit­
nichten um eine korrekte zentralperspektivische Konstruktion handelt. Verfolgt man die
waagerechten Linien des in der Mitte aufgestellten Gitters, so treffen diese sich mit einiger
Mühe am linken äußeren Rand der Topfpflanze auf dem Fensterbrett. Gnädig verdeckt
durch den sich über den Tisch beugenden Zeichner ist die rechte Tischkante, die, wäre sie
im Bilde, den Fuß des dort aufgestellten Stielauges nur noch etwa zur Hälfte unterlegen
würde. Ebensowenig treffen sich die Verlängerungen der waagrechten Linien des Zeichen­
blattes im Augenpunkt. Die linke Tischkante ist erst garnicht im Bild. Der Tisch würde
sonst kaum Platz lassen für das "liegende Weib" .
Der didaktische Zweck verlangt Abweichungen von der legitimen Konstruktion.
Der Holzschnitt ist in zwei Hälften teilbar. Links die auf dem Tisch liegende Frau, rechts
der Zeichner, wie durch ein Gitter getrennt durch einen Teil des Apparates, der zur Kon­
struktion der Zeichnung notwendig ist. Der zeichnende Mann ist durch ein Gitter von der
liegenden Frau getrennt. Subjekt und Obj ekt sind im Dienste der Konstruktion auf Dis­
tanz. Nur der (männliche) Blick des Zeichners hat Zugang zur anderen Seite. Eine "Durch­
sehung" läßt der Apparat zu. Ein Übergriff ist nicht möglich - während des korrekten
Zeichnens. Der Zeichner ist im Verhältnis zum "liegenden Weibe" recht angestrengt, starr,
vielleicht auch etwas dürr. Er sitzt leicht vornübergebeugt, aber gerade und gesammelt mit
Blick auf sein Obj ekt, das, so könnte man auch sagen, er eingefangen hat und das nun
hinter Gittern liegt. Seitlich am Gürtel meine ich den Griff eines Floretts erkennen zu kön­
nen, das nach hinten senkrecht aus dem Bild verschwindet. Vor ihm das Zeichenblatt, das
dieselbe Aufteilung aufweist, wie das trennende Gitter. Hier kann, was er sieht, Punkt für
Punkt eingetragen werden. Senkrecht vor seinem Auge endet die Spitze des Stielauges, bzw.
des Peilstabes. So kann er sein Objekt immer vom selben Punkt aus ansehen. Die Spitze
des Peilstabes und die Kreuzungspunkte des Gitters wirken wie Kimme und Korn. So holt
er die zum Objekt gehörenden Punkte auf die Seite des Subjekts hinüber und obj ektiviert
sie vor sich auf dem Zeichenblatt. Die Haltung der Hand, das Sitzen am Tisch un­
terscheidet sich bis auf die Blickrichtung nicht von der des Schreibens. Das Auge des
Zeichners wird durch den Peilstab und das Gitter ausgerichtet, ist sozusagen eingespannt,
zwischen "schreibender" Hand und Objekt.
Die Vermittlung des Abbildens rechnet mit einem Dritten. Ihm wird die gezeigte Subjekt Objekt - Konstellation wieder zu einem Objekt. Das Arrangement ist hier so, daß der Be-
j eweiligen Ziel abstimmen. ( . . . ) Die Bewegungsfreiheit muß dementsprechend an den extremen Polen
der Erstarrung und der manischen Auflösung wieder verloren gehen. Hier sind pathologische Phänomene
hilfreich, um die Polarität von Bewegung und Haltung zu verstehen. Am Starrepol stehen ataktische
Krankheitsphänomene. Grundsätzlich birgt j ede Stellung zugleich die Gefahr der Erstarrung in sich, die
zur Verkrampfung, zur spastischen Bewegungshemmung, zur Ataxie führen kann. Umgekehrt wird eine
Bewegung, die immer extremer, schneller und formloser wird, zugleich halt- und führungslos (Exstase
des reinen Bewegungswillens, Geschwindigkeitsrausch, " Raserei " ) . Bei zunehmender Beschleunigung
treten Schwindel und Orientierungsverlust zusammen mit dem Erlöschen der Bewegungswahrnehmung
und der verlorengehenden Haltung auf" (Scheurle 1 984, 1 04f) .
trachter mehr sehen kann als sein Stellvertreter i m Bild, der Zeichner. Der Betrachter soll
ja der zukünftige Zeichner sein.
Ob es Dürer so intendiert hat, vermag ich nicht zu sagen, jedenfalls wirkt diese didakti­
sehe Zeichnung wie eine Ironie auf das zentralperspektivische Zeichnen.
Veränderungen des Blicks
Wir können an dem Beispiel dieses Holzschnittes noch einige Überlegungen anschließen:
Mit dem Übergang vom Mittelalter zur Renaissance verändert sich die Physiologie des
Auges nicht. Der Blick wird ein anderer. Der Blick wird zielgerichtet. Das Umherschweifen
des Blickes bedarf einer besonderen inneren oder äußeren Legitimation . Nicht alles, was
sichtbar ist, soll gesehen werden, soll zum Thema im speziellen Diskurs gemacht werden
können. Einiges wird mit der Zeit dann auch nicht mehr gesehen. Der disziplinierte Blick,
der mit Instrumenten verfeinerte, das zum
obersten Sinn gewordene Sehen kennt keine
prinzipiellen Schranken mehr, es hat die
Tendenz alles sichtbar zu machen, und das,
was nicht sichtbar gemacht werden kann,
auszuschließen.
Dauerreflexion die Einverleibung des Spiegels
Aufgrund der prinzipiell immer weiter­
gehenden Möglichkeit der Reflexion können
Schranken, die aus gesellschaftlichen oder
individualgeschichtlichen Normierungen er­
wachsen sind, prinzipiell nicht von Dauer
sein. Sie können es im Einzelfall sein. Vom
Prinzip des "neuen" Blicks her können Nor­
men nicht zur Ruhe kommen. Sie werden
immer weiter reflektiert, befragt. Diese
Befragung kann keine Ende finden, da es
außerhalb des Systems keinen Fixpunkt
gibt. Alle Normen sind in die Immanenz
gerissen.
Die Dauerreflexion ist bestenfalls zeitweise
Abb . 7 9 : Pharma-Werbung (Geigy) nach einem
(mit
Begründung) aussetzbar - z. B. zur Re­
Kupferstich von Dürer (Melencolia I, 1 5 1 4 ) 22 .
kreation. Ihr kann in einem Akt der Notwehr die Spitze genommen werden, etwa durch Flucht in neurotische Dummheit oder sie
kann " erweitert" werden durch Drogen. Das Prinzip kann nicht gebremst werden, im
Prinzip geht sie weiter.
Schon Alberti hatte geschrieben: "So kommt es, daß man nicht länger die geringste Ruhe
an Geist oder Körper hat, vielmehr bleibt Melancholie und Einsamkeit, erschöpft vor Mü-
22
vgl. hierzu H. Böhme ( 1 989)
1 47
7 . Das Lehren und Vermitteln des Abbildens und der Abbildung
7. Das Lehren und Vermitteln des Abbildens und der Abbildung
1 46
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digkeit, bei dauernder Wachheit, sondernbaren Ge danken, grandiosen Plänen und bren­
nenden Sorgen " 23.
Bis i n die Gegenwart hinein wurde noch keine Möglichkeit gefunden, diese Charakteristik
des " Weiterbohrens " abzustellen. Immer bessere Möglichkeiten der D urchleuchtung und
des Einblicks werden entwickelt, immer neue Anstrengungen unternommen. D er Nobel­
Die Weiterentwicklung der Haltung - ein Ausblick in Bildern
Die Weiterentwicklung des Gitternetzes, mit dem die Gegenstände des Unterrichts einge­
fangen werden finden wir in Trapps "Denklehrzimmer" ( 1 784 ) .
preis für Physik ( 1 987) wurde für die Erfindung des Elektronenmikroskops vergeben.
Der Blick wird so in ein Spannungssystems gebracht. Auf der einen Seite wird er be­
herrscht und "halbiert " . Zum perspektivischen Konstruieren soll nur ein unbewegtes Auge
benutzt werden . Auf der anderen Seite wird steigende Intensität, dauernde Aufmerksam­
keit' äußerste Genauigkeit und ständiger Wechsel des Blicks gefordert.
Eine Lösung scheint in der Beschleunigung des fixierten Blickes liegen . "Alberti ' s theory
of managed vision seems to be an inversion of one side of the medallion on which he desi­
gned his cryptic p ersonal emblem and motto . . . : an eye with wings attached, flying through
the air. . . . Significantly, the flying eye is j oined to a Latin tag which open-endedly asks,
' Quid turn ' . . . " (Hedrick 1 987, 1 3 7 ) .
Abb. 80: Medaillion Albertis
Abb . 8 1 : Trapp : Das Denklehrzimmer ( 1 78 4 )
-
L:f!!I ,
-
2 3 Ich lege meiner Übersetzung von Alberti: De commodis. die englische Übersetzung von E .Garin
( 1 965 ) : The encydopedia of world Art. New York: McGraw HilI, 2 1 0 zugrunde, da mir weder ein italie­
nischer noch ein deutscher Text greifbar war: "Thus it comes about that no one longer has the slightest
peace of mind or body, but remains melancholy and solitary, worn out with fatigue, with constant wake­
fulness, strange thoughts, grandiose schemes, and burning cares" . - Den Hinweis verdanke ich Hedrick
1 987)
Ludwig Schom, Herausgeber der "vitae" von Vasari schreibt in einer Anmerkung im Abschnitt
über Alberti, daß er von frühester Jugend an von "einer universellen Ausbildung des Geistes und Kör­
pers . Waffen und Pferde, Musik, Wissenschaften und Künste . . . waren Gegenstände seiner Übungen . . .
Er sprang mit gleichen Füßen über einen aufrecht stehenden Mann . . . ( es folgen viele ähnliche Lei­
stungen; dieses Modell wird uns später noch einmal bei Schreber begegenen, KJP ) . Als Jünglich studiert
er in Bologna das Civil- und Kirchenrecht, verfiel durch Übermaß der Anstrengung in schwere Krank­
heit, und schrieb darauf zur Erholung im zwanzigsten Jahre seines Alters eine lateinissche C omödie . . .
Als e r darauf das Studium der Rechte von neuem begann, zog ihm übermäßige Anstrengung eine abzeh­
rende Krankheit, Schwäche der Sinne und des Gedächtnisses zu, weshalb er sich auf den Rat seiner
Aerzte in seinem vierundzwanzigsten Jahre sich zu solchen Studien wandte, welche mehr die Phantasie
und Urtheilskraft als das Gedächtnis in Anspruch nehmen. Er studierte demnach Philosophie und Mathe­
matik . . . " (Vasari 183 7, 11, 1 , 3 3 6 Anm. l ) .
-
Abb . 82: Vor dem Einsatz von Dr. Lorenz " Ge­
radezwinger" - Raffinierte Instrumente zum Erl­
ernen und Internalisieren einer geraden Haltung.
Abb . 8 3 : Nach dem Einsatz von Dr. Lo renz
" Geradezwinger"
148
7 . Das Lehren und Vermitteln des Abbildens und der Abbildung
1 49
7 . Das Lehren und Vermitteln des Abbildens und der Abbildung
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Freud hat sie den Todestrieb genannt, Callois le mimetisme"' 27 (Horkheimer/Adorno
27 1 ) 2 8 .
Mimikry und Mimesis
1 947,
Die Krise ist das Unbewegt-sein, Stillhalten, einen Standpunkt haben, etwas in einem
Beim Bemühen u m eine dem perspek­
tivischen Blick gerechte Haltung24 wer­
bestimmten Rahmen sehen, konstant sein, Kontinuität haben, letztendlich Identität haben.
den alle Körperteile der Arbeit der Sta­
Stillstand und Halter
bilisierung unterworfe n , dienen der
Haltung, so daß keine gezielten anderen
Erzieher haben oft ( notwen­
digerweise ) den Wunsch, daß
Aktionen ab gelöst davon mehr möglich
die Zöglinge stillhalten und daß
sind.
für die Zeit der Lehre die Inhalte
D as vom Zeichner, v o m Gezeichneten
sich nicht verändern29 . Gegen­
und dann auch vom Betrachter gefor­
wärtig
derte Stillhalten hat Momente mit den
archaischen
meinsam, in
Abb . 84 : E lne
'
and ere F ormu l'lerung d es Themas
sc h'le d en war
Mimikry meint das Aufgehen in den umgebenden Raum, in
s ch e i nt
sich
dieser
Spuren der Mimesis ge-
Wunsch vornehmlich weniger
denen sie noch fast unge.
von der M'Imlkry.
die unorganische Natur25.
m e h r symbiotisch umhüllend
Hier ist eine Krisis zu sehen, ein Gipfelpunkt, ein Grat, an dem ein Umschlag nach beiden
Seiten möglich ist: zu dauerhaftem Erstarren, wie zur Auflösung der Erstarrung.
Erstarren liegt mehr in der Richtung des Mimikry: Sich totstellen, bewegungslos verhar­
r� n, etwas anderes oder ein anderer werden. Mimesis26 liegt mehr in der Richtung der Auf­
losung der starren Haltung, der Befreiung aus der ErstarrUIlD' in dem Sinne, wie es das
schon zitierte Diktum von Marx sagt: " Man muß den verstein rten Verhältnissen solange
ihre eigene Melodie vorsingen, bis sie zu tanzen beginnen"' . Aber eben ihre eigene, nicht
irgendeine.
Folge ich einem Gedanken Adornos aus der "Dialektik der Aufklärung'" läßt sich hier auf
�
ein Charakteristikum nach-perspektivischer Kunst verweisen, das Adorno (im Zusammen­
hang mit dem Verbrecher) einführt. Beiden ist gemeinsam, daß sie den Weg über die aktu­
ellen Arbeitsformen, die von der " Zentralpersp ektive '" geformt sind - sage ich - nicht
nehmen können oder wollen : "Die Weichheit gegen die D inge, ohne die Kunst nicht exi­
stiert, ist der verkrampften Gewalt des Verbrechers nicht so fern'" (Horkheimer/Adorno
1 947, 27 1 ) . D enn im Verbrecher, wie im Künstler ist ,, ( d) ie Kraft, von der Umwelt sich
als Individuum abzuheben und zugleich durch die konzessionierte Form des Verkehrs mit
ihr in Verbindung zu treten ( z. B. über Sehstrahlen, KIP ) , um in ihr sich zu behaupten, . . .
angefressen. E r ( der Verbrecher, KIP , was i m nachfolgenden Text s o ab er auch auf die
Kunst bezogen wird) repräsentiert die dem Lebendigen einwohnende Tendenz, deren Über­
windung das Kennzeichen aller Entwicklung ist: sich an die Umgebung zu verlieren anstatt
sich tätig in ihr durchzusetzen, den Hang, sich gehen zu lassen, zurückzusinken in Natur.
grob
dis ziplinarisch als viel ­
zu realisieren.
Erstarren, unbewegt sein, sich
Abb. 85: Dürer: Zeichner, eine Laute zeichnend ( 1 525)
ähnlichmachen den zu zeich­
nenden Objekten - D ingen, wie
Menschen -, die eb- enfalls still­
stehen o der - sitzen müssen, das sind Voraussetzungen für eine eineindeutige Abbildung.
Ohne dieses sekundäre Mimikry ist die Proj ektion des Objektes auf die Zeichenebene nicht
möglich. Auf der Z eichenebene ist das Objekt re-präsent. Durch Stillhalten vor dem Bild
kann das Objekt wieder präsent werden - symbolisch.
An den gespannten Fäden in Dürers Stich " Zeichner, eine Laute zeichnend"', den materia­
lisierten Sehstrahlen, ist im übrigen gut zu sehen, daß das perspektivische Sehen als eine
Verb esserung und Verlängerung des Tastsinnes gedacht werden kann. Anbindung der Ge­
genstände an das Auge und die Zeichenebene.
Damit die Anbindung fest bleibe, erfindet Dürer zum Zwecke des zielgenauen Verkehrs
mit dem Objekt, zum Zwecke seiner Repräsentation, Halter. Die Halter sollen dazu dienen,
artikulierte Bewegungen mit Armen, Händen und Fingern machen zu können und das
Auge immer wieder zum selben Punkt, dem für die Konstruktion der Zeichnung wichtigen
Augenpunkt, zurückführen zu können. Der Halter wird als Skelettverstärkung, als äußeres
Skelett dazugenommen. Erst wenn der Körper soweit geübt ist, den für die Ergebnisse der
27
Im Text als Fußnote: " Vergl. Cailois, Le Mythe et I'Homme. Paris 1 938. S. 1 25 ffr.t. .
2 8 Damit sind Anknüpfungspunkte zur Aufschlüsselung einer historisch besonderen Form von Freuds
Todestriebhypothese gegeben (vgl . hierzu auch Früchtl 1 986, 1 4ff) .
24 vgl. zu� folgenden auch die oben zitierten sinnesphysiologischen Überlegungen ( Scheurle 1 98 4 ) zur
Bezogenhett von Haltung und Bewegung. Haltung wäre auf der Seite der Mimikry anzusiedeln, Bewe­
gung auf der Seite der Mimesis.
25 vgl. Caillois 1 93 8 .
2 6 So will ich hier eine Unterscheidung einführen, auf die ich später noch näher eingehe (vgl . Kap. 1 2 ) .
2 9 Odo Marquard ( 1 98 1 ) spricht vom Phänomen der "tachogenen Weltfremdheitr.t. : "n einer Welt zuneh­
mend schnellerer Selhstkomplizierung etabliert j ede 'Komplexitätsreduktion' Fiktionen. Etwa Handlun­
gen - insbesondere Interaktionen von erheblicher Größenordnung - brauchen stets Zeit; während sie ver­
geht, ändern sich unter Beschleunigungsbedingungen noch während der Handlung die Orientierungs­
daten, aufgrund derer man die Handlung unternahm; von einem bestimmten temporal point of no return
ab verlangt die Sichträson der Handlung, die Änderung dieser Daten zu ignorieren: ohne derartige Kon­
stanzfiktionen brächte man keine Handlung mehr zu Ende" ( 1 98 1 , 1 67 ) . Realität und Fiktion sind unab­
dingbar miteinander verbunden, lassen sich nicht mehr streng trennen.
1 50
7 . Das Lehren und Vermitteln des Abbildens und der Abbildung
7. Das Lehren und Vermitteln des Abbildens und der Abbildung
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Aktion ausschlaggebenden Zielen unterworfen ist, subj ectum, kann der Halter wieder weg­
gelassen werden. Der Halter wird unsichtbar. E �. ist dann innen im Körper selber repräsen­
tiert' Habitus: Um dies zu erreichen muß die Ubung breiter angelegt werden als der be­
schränkte Zweck des Zeichnens notwendig macht. Die Notwendigkeit einer Haltung wird
dann auch lebens geschichtlich früher angesiedelt, damit sie problemlos zum Einsatz kom­
men kann3 o.
Haltung einzunehmen hat etwas Prophylaktisches. Sie ist eine Möglichkeit, Schutz zu er­
halten vor der Unmittelbarkeit der Reaktion, die gefährlich oder unsachgemäß sein könnte.
Warum ist es wünschenswert, eine Position beizubehalten oder nach Verlassen genau so
wiedervorzufinden ? Oder: Warurn soll eine Bewegung solange angehalten werden, daß sie
unbequem wird? Wie schaffen es Menschen, dies freiwillig zu tun ? Tun sie es freiwillig?
Welche Folgen hat die Arretierung, die Negation von qualitativer Zeit, zu einem linearen
Zeitablauf unter gleichbleibenden Bedingungen?
Die perspektivische Zeichnung macht es notwendig, daß zeitweilig, manchmal über län­
gere Zeit eine bestimmte Haltung eingenommen wird, zu einer bestimmten Haltung immer
wieder zurückgekehrt wird, und zwar genau zu dieser. Diese Rückkehr wird notwendig, um
eine Vergleichbarkeit zu erhalten mit dem Anfang des.. Prozesses, sozusagen mit der Voraus­
setzung, eine Art Regression. An dieser Stelle ist die Ahnlichkeit mit wissenschaftlicher Ar­
gumentation, mit Schriftsprache, mit der Umkehrbarkeit und Wiederholbarkeit mathema­
tischer Prozeduren, mit dem naturwissenschaftlichen Experiment, mit der Struktur von ge­
planten Lehr-Lern-Pr<?zessen deutlich mit dem Ziel der Ver�llgemeinerbarkeit der Pla­
. .
nungskategorien, der Uberprüfbarkeit der Lernschritte, der Uberwachung der zeItlIchen
Limitierungen.
151
Beschleunigung
Der Prozeß naturgetreuen Abbildens ist also eine Anstrengung more geometrico. Sie be­
darf ganz realer körperlicher Zurichtungen. Von der Anstrengung her lassen sich die Be­
mü-hungen verstehen, die Methode der "Aufnahme" so zu verbessern, daß die Dauer des
Aufnahmeprozesses kürzer wird, so daß man weniger lange dieser Haltung ausgesetzt ist.­
Das ist die Geschichte der Photographie. Die Verschlußzeiten sind bei 1 /8000 sek. ange­
kommen - bei Kleinbildkameras. Die oben beschriebene und von Dürer gezeichnete Halt­
ung ist nicht mehr an der Zeit.
Außerdem scheint manchem es nützlich - wie schon erwähnt -, die Disziplin zur Beherr­
schung des rationalisierten Sehens nicht erst i� Erwachsenenalter lernen zu müssen und
nicht nur beim Zeichnen selber zur Verfügung zu haben. - In der Pädagogik entspricht der
Verkürzung der Verschlußzeiten das Ziel der Entwicklung (bewußter) personaler Identität
von Kindesbeinen an. Die Aufnahme der Realität wird dann nicht mehr so leicht verwak­
kelt. Es scheint aber auch so zu sein, daß bestimmte Bereiche nicht mehr so aufgenommen
werden können, daß sie den nunmehr normalen Qualitätsstandards genügen.
Das Sehen nach dem more geometrico muß erlernt werden. Vom Auge her kommend
affizieren die transformierten "Strahlen" den Körper von innen. Die erlernte Haltung beugt
dabei einer unmittelbaren, unvermittelten Reaktion vor. Die Haltung koppelt den visuel­
len Eindruck und dessen Verschlüsselung zunächst von der anderen Sinnlichkeit ab.
Rationalisierung des Blicks
Einübung des more geometrico
"Dann durch die Moß, so die recht gebraucht würd, mag ein idlich Ding künstlich ge­
macht werden" (Dürer 1 893, 3 45 ) .
Stillstand bedarf der Einübung. U m diesen besser kontrollieren z u können, u m i m Still­
stand die notwendigen Möglichkeiten zur Bewegung für die ausführenden Organe, die Fin­
ger, Hände und den Arm, erhalten zu können, werden Hilfsmittel notwendig. Dem Still­
stand des Körpers - später selber ein Halter - entspricht auf der anderen Seite eine hohe,
zielgenaue Beweglichkeit des ausführenden Organs an der Außen- und Berührungsstelle zur
Umwelt. Dort wird die im Gehirn aufbereitete visuelle Information, gereinigt von dem, was
nicht ins Koordinatensystem, in den more geometrico paßt, ausgeführt.
Zum more geometrico gehört die Umkehrbarkeit, die möglich wird auf der Basis der Negation von qualitativer Zeit, auf der Basis des oben benannten Stillstandes.
.
Es kann zum Unwillen kommen, sich innerlich weiter oder anders zu bewegen, wenn dIe
Arretierung aufgehoben wird, weil dann die schmerzenden Glieder bemerkt würden. Das
erwähnte schon Platon im Höhlengleichnis, dem visuellen Paradigma, wovon die Zentral­
perspektive nur eine Differenzierung ist.
So verstärkt und differenziert das Erlernen der Zentralperspektive als symbolischer Form
die Trennung der Sinnes qualitäten entlang der Linie ihrer Rationalisierbarkeit und schafft
einen Widerstand gegen die Welt. Eine "Eingabe" oder auch "Aufnahme" ist nur möglich
in einer bestimmten Haltung. Oder etwas eingeschränkter gesagt: Es werden durch die
Möglichkeit des Widerstands zwei Klassen von Wahrnehmungen und deren Verarbeitung
geschaffen: 1 . Die, die in der Haltung der "Perspektive" aufgenommen werden, 2. die an­
deren. Die der ersten Klasse zugehörigen schaffen eine Distanz, um anders operieren zu
können. Sie schaffen einen Feinsteuerung, eine Differenzierung und eine Formation von
Außen- und Innenwelt, die bisher in dieser Schärfe nicht bekannt war. Dazu muß aller­
dings eine prinzipielle Transformierbarkeit aller Wahrnehmungen, die noch als solche gel­
ten wollen, auf den visuellen Kanal, bzw. auf den auditiven3 1 , gewährleistet sein.
Dies hat einen weiteren erheblichen Vorteil: Die Wahrnehmungen können festgehalten
werden, sie werden reproduzierbar, repräsentierbar und können in die Präsenz zurückge­
rufen werden. Also: Was rational aufgenommen oder mitgeteilt werden soll, muß letztlich
sprachliche Form annehmen. Es kommt so zur Aufwertung von Bewußtheit und zur Ent­
stehung bestimmter Formen von Unbewußtheit32 . Die beginnt bei der notwendigen Ein­
übung.
3 1 Der rationalisierbare Anteil des Hörens kann auch übers Auge wahrgenommen werden, gelesen wer­
30 Es setzt hier ein Prozeß ein, der bei vielen Momenten, die für Sozialisation bestimmend sind, eine ähn­
liche Struktur hat: Es wird eine Propädeutik entwickelt und gleichzeitig damit setzt ein Verallgemeine­
rungsprozeß ein; es wird prophylaktisch mehr gelernt und damit etwas anderes . Deshalb müssen dann
hinwiederum Transformationsregeln gelernt werden. Auch dazu eignet sich die Zentralperspektive ausge­
z eichnet .
den. - Außerdem: Dem Sehen wird eine Syntax verliehen, eine Grammatik, um daraus Transformations­
regeln auch für die anderen Sinne ableiten zu können (vgl. Ivins 1 9 73 ) .
3 2 Vor allem Mario Erdheim hat auf die historischen Formbestimmungen des Unbewußten hingewiesen,
die Bestandteil der Kultur sind. Kultur kann seiner Meinung nach nicht verstanden werden als absoluter
Gegensatz zum animalisch Unbewußten, zum Kulturlosen. Eine solche Auffassung nennt er biologistisch
7. Das Lehren und Vermitteln des Abbildens und der Abbildung
1 52
7. Das Lehren und Vermitteln des Abbildens und der Abbildung
Dürer hatte von vornherein daran gedacht, daß seine "Underweysung" eine Anleitung
sein solle nicht für das Ausmessen eines jeden Blickes und Bildes, sondern als grundlegende
Lesepause 1
Aneignung eines " Augenmaßes " und einer " geübten Hand" , weil es j a " doch oft dazu
kumbt, daß einer in kurzer Zeit etwan zwanzig dreißig unterschiedliche Bilder machen
muß " (Dürer
153
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1 525/1 908, 7) .
-
Und das soll dann ohne die doch relativ umständlichen,
unbequemen Geräte möglich sein.
"Item es möcht Einer also sprechen: Wer will allweg die Müh und Erbet haben und lange
Zeit verzehren, bis daß er ein Bild macht, so doch oft Einer 1 000 in ein Materi soll bringen,
Ein Anzeichen für den Punkt, an dem das Ich in der Romantik angelangt ist, sind die von
mir hier so benannten "Augenhöhlenbilder"34 Aus der Tiefe des Kopfes, der Augenhöhle
sieht das abgeschottete, einsame Individuum in die Welt. Es fängt sich wieder bei Mach.
Analyse der Empfindungen heißt das Programm:
keins dem anderen gleich. In Diesem ist nit mein Meinung, daß ein Idlicher sein Leben lang
messen soll. Aber dorzu ist dies Nochfoget gut, so dur s gelernt hast und wol kannst, daß du
dornoch weißt, wie ein ding sein soll. Und ob dich in freien Erbet dein schnelle Hand
verfuhren wollt, so gibt dir dein gute Augenmaß, die du durch gelernte Kunst hast, bald zu
erkennen, ob du fehlst, und macht dich minder irren" (Dürer 1 893 , 353) . D as Maß wird
in den Verbund Auge- Hand-Gehirn verlegt, darin durch Übung eingeschrieben. Beim ge­
übten Zeichner wird diesem Verbund der ganze Körper untergeordnet. Halbautomatisierte,
immer wieder neue Anläufe lassen den Ort der letzten Blickrichtung des Auges in Bezug zu
Objekt und Malfläche finden. An die Stelle der durch äußere Apparaturen gestützten Hal­
tung tritt die in die Physiologie eingeschriebene33.
D ie disziplinierte Wahrnehmung wird zunächst noch aus dem Rohmaterial nicht geord­
neter Wahrnehmung gewonnen, aufgebaut. Erst in dem Maß, in dem der "wissenschaftli­
che" Modus sich mehr und mehr durch den Wust der dann als ungeordnet empfundenen
Sinnlichkeit hindurchfrißt und ihn sortiert, droht der anfängliche Widerstand und Schutz,
den dieser Modus bot, zu einer Abschottung zu werden. - Die Phase dieser Gefährdung wird
mit der Aufklärung und in der ihr gemäßen Pädagogik erreicht. Die Kritik daran beginnt
in der Romantik.
Abb. 86: K. F.Schinkel: Felsentor ( 1 8 1 8 ) .
( vgl. Erdheim 1 988, 1 69 ) . Durch Techniken in der Kulturentwicklung, Techniken der Kontrolle vor
allem, so erläutert er mithilfe von F oucault ( 1 977) , die sich "im Verlauf der Sozialisation zur Selbstkon­
trolle auswuchsen, wurden Ich-Anteile geschaffen, die auf eine ganz bestimmte Art und Weise die Bewe­
gung vom Es her auffangen und kanalisieren konnten" (Erdheim 1 988, 1 73 ) . Das , was nicht kanalisiert
werden kann, verfällt dem Unbewußten. " Wo sich der kulturelle Wandel beschleunigt, wo sich also die
Institutionen, in welchen sich das Ich eingerichtet hat, ändern, dort kann es leicht zur Panik des Ichs
kommen, das sich in seiner Abwehr dem Es gegenüber geschwächt sieht. In solchen Zeiten wird der V er­
such unternommen, die Institutionen weiter auszudifferenzieren, die Hierarchien feiner auszustufen,
neue Titel zu kreieren usw. - in der Hoffnung, die zerbröckelnde Identität zu stützen" (Erdheim 1 988,
1 76 ) . Die Institutionen, in denen zum Beispiel der perspektivische Blick auf die Welt gelehrt wird, ent­
halten selber in sich Unbewußtheit produzierende Kerne als Kosten der Stützung des Ichs . "Weil Insti­
tutionen ihre Funktionen nur über die Regression der Angehörigen voll erfüllen können, heben sie die
Zeit auf und stellen im Zwischenmenschlichen anachrone Verhältnisse her" (Erdheim 1 988, 275 ) . Un­
bewußtheit ist aber nicht nur zu denunzieren, sie hat in unerträglichen Situationen geradezu Überlebens­
wert. "Wenn aber Unbewußheit gar keinen Überlebenswert hat, weil der Alltag gar nicht unter den Ex­
trembedingungen existentieller Gefahren steht, dann wird die Unbewußtheit in den Dienst der Konservie­
rung bestehender Verhältnisse gestellt" (Erdheim 1 988, 277 ) . Vgl. zu der gesamten Problematik der ge­
sellschaftlichen Produktion von Unbewußtheit auch Erdheim (982 ) . Beide Bücher enthalten auch Kapitel
über die Institution Schule.
33 Das geht allerdings nicht bei der Anforderung nach ganz genauen Zeichnungen, bei Konstruktions­
zeichnungen etwa.
Abb. 87: K . F. Schinkel: Blick vom Berge
auf eine italienische Stadt ( 1 81 7 ) .
Abb. 88: Ernst Mach ( 1 922)
34 I n der Struktur vergleichbare Bilder sind etwa: Schinkel: Schloß am Strom ( 1 820) oder earl Blechen:
Waldweg bei Spandau ( 1 83 4 ) .
1 54
7. Das Lehren und Vermitteln des Abbildens und der Abbildung
7. Das Lehren und Vermitteln des Abbildens und der Abbildung
1 55
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Anhalten der Zeit
Lesepause 2
Einige Beispiele dafür, wie der perspektivische Blick auf die Welt sich darstellt, was er
tut, was im fertigen Produkt verschwunden ist.
D as Lehren un d die Vermittlung der Abbildung schafft wie j e de umfängliche Lehre eine
Art Moratorium. D azu bedarf es der institutionellen Absicherung. Auch darin liegt ein An­
halten, eine Haltung. Und noch ein weiteres Anhalten der Z eit läßt sich feststellen: im Ver­
fahren more geometrico selber. Die Geometrie und Mathematik sind zeitlose Wissen­
schaften. Sie leugnen die historische Zeit. Aber auch das Unbewußte kennt - wie Freud in
der Traumdeutung und in seiner Konzeption des Primärprozesses darlegt - keine histo­
rische Z eit. Eine seltsame Entsprechung: In den höchsten Manifestationen der Rationalität
und dem "Irrationalen" gibt es Entsprechungen.
Nun gibt es aber im Leben aufs Ganze gesehen nicht die Möglichkeit, Zeit anzuhalten oder
zu verlieren, also auch nicht zum Zwecke des Lernens. Es gibt eigentlich nicht die Möglich­
keit zum Probehandeln. D ie Illusion davon hat die Mathematik und Geometrie und im
großen Stil die Zentralperspektive geschaffen.
Es wird so getan, als ob vor der Zeit des wirklichen Handeins ein Plan liegen könne . Erst
wenn der Plan fertig ist, wird gehandelt. Aber dazwischen ist auch Z eit verflossen, ein
Stück an Lebenszeit aufgebraucht. Das Probehandeln liegt nicht j enseits der Zeit, selbst die
Abb . 89: Erhard Schön ( 1 53 8 ) :
Underweysung der Proportion
Abb . 90: Erhard Schön ( 15 3 8 ) :
logischen Schlüsse sind nicht j enseits der Zeit. Auch der schnellste Prozessor eines Com­
puters kann nur die Illusion erzeugen, als seien seine Operationen nicht von der Z eit affi­
ziert. - Bilder brauchen noch immer die längste Rechnerzeit und die größte Speicherkapa­
zität. Bilder werden dadurch teuer. sie werden umso teurer, je schneller deren Produktion
vonstatten gehen soll. Von daher ist es verständlich, wenn Kinder möglichst schnell lernen
sollen rational zu handeln. Bilder sind dabei noch hinderlicher als Abbilder. Davon wird
im nächsten Abschnitt die Rede sein.
Distanz
Aber ebenso sucht das nunmehr aus dem Leib herausgelöste Auge nach Körperlichkeit.
Diesem wird der eigene Körper zum Objekt, es sucht ihn zu begreifen, von innen und au­
ßen. Es sucht in den Abbildungen nach seinem Körper. D en findet es in immer neuen Ab­
bildern. Mit denen geht es um nach dem Muster der fernen Erfahrungen aus der Phase der
Spiegelung. Es stückelt sie . Es scheint als ob nur so die immer größer werdende Distanz
aufzuheben sei. Gegenwärtig geben beispielsweise Videoclips davon einen Eindruck. E ine
andere Form ist die Psychose, die die Zwischenräume mit Einbildungen aufzuheben trach­
tet. Davon wird noch im übernächsten Kapitel die Rede sein.
Abb . 9 1 : Giacomo Barozzi da Vignola ( 1 507 - 1 573 ) :
Le due regole della prospettiva practica. Rom 1 593
Hier läßt sich die Möglichkeit der Übertragung von
Daten sehr gut ablesen: Der stehende Mann gibt die er­
mittelteten Koordinaten sprachlich an den Sitzenden
weiter, der sie auf ein Blatt einträgt. Zwischen beiden
können b ei entsprechend entwickelten Nachrichten­
technik Meilen liegen. - Das aufgenommene, beschrie­
bene Objekt ist wieder eine Frau.
-
Abb . 9 2 : C amera obscura. Das
" Zeichengerät" hat das Subj ekt
ganz umgeben. Ein Raum, der es
abschließt gegen die Objekte. Das
kleine Ich im Kasten.
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8. S chreber sen.: Versuch der Abbildung durch Blicke
unter Zurhilfenahme von Geradhaltern
Alberti: Kommunikation durch Blicke
*
Schreber: Geradhalter für die größere Distanz -
Berührungslosigkeit * Schreber: Aufklärung in "hypothesi" * Geradhalter als Schutz *
D aniel Gottlob Moritz Schreber * Schreber: Ein schwarzer Pädagoge? * Geradhalter zur
Überbrückung des Risses zwischen Natur und Kultur * Schutzmauer gegen das Innenleben durch Blicke * Dürers andere Voraussetzung der Vermittlung * Anders bei Schreber
im 1 9 . Jh. * Schrebers Geradhalter als Orientierung für den Erzieher * Bemerkung
Dürer hatte die Vermittlung des richtigen
Sehens, die Ausrichtung der Blicke und deren
Verbreitung in Büchern mit hohen Auflagen
zusammengebracht. Schreber ( 1 808 - 1 86 1 ) ,
ein Arzt, Orthopäde, Heilgymnastiker , der
sich als Pädagoge verstand, nimmt das Ver­
fahren auf - vermutlich ohne das zu wissen,
ohne an Abbilder zu denken. Er bildete. Dabei
nimmt er sich, so wie er es gerne gehabt hätte,
daß er dann später sei, als Vorbild. D as im
Abb. 93 : D. G. M. Schreber
beim Turnen ( Illustration
aus seiner Schrift "Pangym­
nastikon" ) .
ganz wörtlichen Sinne. Er ist das Vorbild der
Illustrationen zu seinem Text in leicht schematisierter Form.
Zunächst ein Blick zurück auf die Anfänge des Nachdenkens
über die neue Art der menschlichen Beziehungen bei Beginn der
Wirksamkeit der " Zentralpersp ektive " , zu B runelleschi und
Alberti.
Alberti: Kommunikation durch Blicke
"Figliuola mia, gli occhi, figliuola mia, gli occhi sono guida dello amore" ( Alberti,
Ecantonfilea) 1 .
Der neu formierte Blick war wirksam nicht nur fürs Zeichnen. Die neue Kunst einer Ein­
wirkung auf andere Menschen mit Blicken wurde von Alberti, dem Theoretiker der Per­
spektive, grundgelegt und auf rationale Weise, wie er glaubte, reflektiert, je denfalls nicht
in einem in irgendeiner Weise magischen oder sonstwie okkulten Zusammenhang.
"Alberti ' s youthfull text Ecantonfilia is a fictional monologue in which the disruptive ex­
periences of love are punctuated by visual matters " , schreibt Hedrick ( 1 987, 1 1 5 ) . Es han-
1 "Meine Tochter, die Augen, meine Tochter, die Augen sind die Führer der Liebe" ( Übersetzung von
mir) .
1 58
8. Schreber sen . : Versuch der Abbildung durch Blicke unter Zurhilfenahme von Geradhaltern
8. Schreber sen . : Versuch der Abbildung durch Blicke unter Zurhilfenahme von Geradhaltern
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Dieses Buch wurde vom Verlag in der unkorrigierten vorletzten Fassung publiziert
dele sich um eine Verheimlichungs -I Aufdeckungsgeschichte in der unter anderem der Er­
zähler erwähnt, wie sie, die j unge Frau, gelernt habe "geheim zu lieben" ( Alberti
1 47 1 ,
20 0 ) , d.h. i n einer codierten Kommunikation, " die lange Geschichte nur unter Zuhilfe­
nahme der Augen und von Blicken" zu erzählen (Alberti 1471 , 2 0 0 ) 2 . Es kommt also zu ei­
Schreber: Geradhalter für die größere Distanz - Berührungslos igkeit
Bei Schreber, einem Mann des
ner Gleichzeitigkeit von Offenlegen und Verbergen, das heißt zu einem Machtgewinn3 .
19.
Jahrhunderts, geraten
die " Geradhalter" in einen anderen Kontext als dies bei
Es geht in der Ecantonfilia um die perfekte.. Codierung von Blicken und deren Entschlüs­
selung . Blicke seien der Grund für manches Ubel, Eifersucht entstehe aus den Blicken an­
D ürer der Fall war. Sie sind nicht mehr unmittelbar in-
derer Augen auf den Geliebten. Das Glück der liebenden Frau, so Hedrick, ist nach Alberti
von der unmittelbaren Nachvollziehbarkeit der Zwecke ge­
strumentell, haben sich im Vergleich zu Dürers Gebrauch
lediglich eine Funktion der Bewegung ihres Geliebten durch einen perspektivischen Raum:
" Wenn er in meine Richtung geht, keine Frau auf der Welt könnte glücklicher sein; und
wenn er wieder weg geht, ich kann mir keine größere Qual vorstellen" ( Alberti
1471,
löst. Diese Loslösung entspricht der weiteren Loslösung des
Individuums aus den Fesseln einer vorgegebenen Ordnung,
21 1 ) .
der ordo des Mittelalters, die nicht mehr auf die Anforde­
Die Schlußfolgerung für die Suche nach dem idealen Geliebten ist " moderati o " , "me­
rungen industrieller Produktion hin orientiert werden
diocritas" , also Mäßigung und Mittelmäßigkeit ( im wörtlichen Sinne) . Der Geliebte soll
konnten. Die Geradhalter rücken näher an den Körper her­
nicht zu deutlich als ein solcher sichtbar werden4. Die moderatio ist gerichtet gegen die Ag­
an und vergrößeren damit die Distanz zum eigenen Kör­
gressivität des verliebten Blicks. "Ein einziger Blick setzt die größten Begierden in Gang"
( Alberti 1 47 1 , 205) 5 .
p er, zu anderen Menschen, zur Umgebung, die vordem mit
ihnen überwunden werden sollte.
Vielfache Beziehungen sind für die erstrebte moderatio Gift. Es wird gewarnt vor den
Konsequenzen des "fliegenden Auges" 6 : Es entstehe Konfusion. Alberti vergleicht die eroti­
Geradhalter werden bei Schreber ebenso transitorisch ge­
dacht wie bei Dürer: Sie sollen nur und in der Hauptsache
sche Beziehung mit einer optischen: einen einzigen loyalen Freund zu haben, ist zu ve ­
zunächst helfen und stützen und später durch eine Haltung
gleichen mit einem einzigen Licht auf ein Obj ekt? Dieses einzige Licht bringe einen einzi­
ersetzt werden . Wir werden sehen, daß sich dennoch
gen und geschlossenen Schatten hervor, während viele Lichter zur gleichen Zeit verunstal­
ten. Der Ausweg sei Beherrschung, diese könne aber, wenn man den Blicken zuviel Freiheit
gegeben hat in obsessive Eifersucht umschlagen und in der Folge in ein Abschwören von
j eglicher Liebe, einem dauernden Aufenthalt in der Kirche8.
Hier beginnt die Geschichte der Trennung von S ehen und Blick. Schreber nimmt sie in
pädagogischer Absicht im 19. Jahrhundert wieder auf.
Unterschiede zeigen:
Abb. 9 4 : D. G. M. Schreber. Die­
ses F oto wurde wahrscheinlich
mithilfe eines Geradhalters aufgenommen
Bei Schreber entspringen die Geradhalter der Not des
Vermittlers, des Pädagogen bei der Durchführung des Pro­
gramms der Aufklärung, anders als bei D ürer. Schreb er
hat ein schon seit Kant b ekanntes Problem auszubaden:
Schreber: Aufklärung in "hypothesi"
Kant hatte b ereits gesehen , daß b ei der
Aufklärung in "hypothesi" S chwierigkeiten
drohen .
In
der
Kritik
der
Urtei l s kraft
schreibt er als Kurzcharakteristik des Pro­
gramms der Aufklärung: "Es sind folgende :
1. S elbstdenken; 2 . A n der Stelle j edes an­
deren denken;
3.
Jederzeit mit sich selb st
einstimmig denken; " ( Kant
2 Übersetzung auch im folgenden von mir.
3 Das führt Machiavelli auf der politischen Ebene durch. - Auf ein�amüsante Weise wird die neue per­
spektivische Sichtweise in Macchiavellis Komödie "Mandragola"" deutlich: die Personen handeln perspek­
tivisch, sehend ungesehen und ungesehen sehend mit List und funktionalisieren andere Personen ( ca.
1 520 ) .
4 vgl. Alberti 1 47 1 , 208, Z . 26f
5 Im übrigen weist auch Castiglione ausdrücklich und mehrfach auf die Konsequenzen des zu offenen
Blicks der Frauen hin, der Gefahr der Verführung (vgl. Castiglione 1 524, z. B. 308 f).
A 156)
hinzuweisen, daß sich diese Struktur in der
Abb. 95: Geradhalter mit Kopfriemen
ist die Maxime der
vorurteilsfreien,
Anordnung des p erspektivischen Z eichnens
auch finden läßt9• Und fahre fort: "Die erste
die zweite der
erweiterten, die dritte der konseq uenten
passiven Vernunft. D er Hang zur
letzteren, mithin zur Heterenomie der Vernunft, heißt das Vorurteil; und das größte unter
allen ist, sich die Naturregeln, welche der Verstand ihr durch ihr eigenes wesentliches Ge­
setz zum Grunde legt, als nicht unterworfen vorzustellen; d. i . der Aberglaube. Befreiung
D enkungsart. Die erste ist die Maxime einer niemals
6 genau dieses ist aber die Kehrseite von Albertis Portraitmünze.
7 vgl. Alberti 1471 , 206, Z . 6 - 7
8 vgl. Alberti 1 47 1 , 206, Z . 24ff
1790,
Ich unterbreche hier das Zitat, u m darauf
9 vgl. Kap . 6
8. Schreber sen . : Versuch der Abbildung durch Blicke unter Zurhilfenahme von Geradhaltern
1 60
vom
8. Schreber sen.: Versuch der Abbildung durch Blicke unter Zurhilfenahme von Geradhaltern
161
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A berglau b en
heißt
A ufklärung, . . . "
(Kant 1 79 0 , A 1 56 ) . Und er fügt dann dieser
insofern sie störenden Einfluß auf die Gesundheit und die Fortdauer des Lebens üb en. " -
Kurzfassung des Programms der Aufklärung die folgende m.E . wichtige Fußnote an, die
Er schreibe, da " nun fehlerhafte körperliche
zeigt, daß Kant ahnte, daß es schwierig sei, dieses Programm in die Tat umzusetzen: "Man
und so gewöhnliche Quelle körperlicher Bildungsfehler sind, und die j etzige Zeit mit ihren
Gebräuchen und mit ihren erhöhten Anforderungen, welche sie an die geistige Ausbildung
der Jugend stellt, der Entstehungen solcher körperlicher Übelstände mehr und mehr
sieht bal d, daß Aufklärung zwar in thesi leicht, in hypothesi aber eine schwere und lang­
s am auszuführende Sache sei; weil mit seiner Vernunft nicht passiv, sondern j ederzeit sich
selbst gesetzgebend zu sein zwar etwas ganz leichtes für den Menschen ist, der nur seinem
wesentlichen Zweck angemessen sein will, und das, was über seinen Verstand ist, nicht zu
Haltungen
und Gewohnheiten eine so reiche
Veranlassung bietet, . . . " ( Schreber 1 853 , IIIf1 0 ) .
Bildung und Haltung kommen hier in einem ganz konkreten Sinne vor.
wissen verlangt; aber, da die Bestrebung zum letzteren kaum zu verhüten ist, und es an­
deren,
welche diese
Wißbegierde befriedigen zu können mit viel Zuversicht versprechen,
Daniel GottIoh Moritz Schreher
nie fehlen wird: so muß das bloß Negative (welches die eigentliche Aufklärung ausmacht)
in der D enkungsart ( zumal der öffentlichen) zu erhalten, oder herzustellen, sehr schwer
sein" ( Kant 1 790, A 1 56f) .
Kant sieht, daß die Aufklärung in erster Linie befreit, negiert, aber noch nichts an dessen
Stelle setzt, j edenfalls hier kein Automatismus eines Austauschs gegeben ist. Wenn auch die
Metaphysik negiert werden, kritisiert werden kann, so ist damit noch nichts Neues an die
Stelle getreten. Und die Menschen werden weiterfragen. Es bleibt unklar, ob Kant das für
unbescheiden hält, aber er rechnet j edenfalls damit, er befürchtet, daß die Menschen nach
mehr fragen werden, als mit den Mitteln des Verstandes unmittelbar zu klären ist. Wird
aber von vornherein hier eine Grenze gesetzt für das, was der vernunftmäßigen Erkenntnis
zugänglich ist, wird E xterritorialität geschaffen, b estimmte Fragen und B edürfnisse
werden aus dem Bereich der vernünftigen Erkenntnis ausgegrenzt - dieselbe Struktur, wie
Daniel Gottlob Moritz Schreber ( 1 808 - 1 86 1 ) schrieb Bücher über menschliche Anato­
mie und Physiologie, Hygiene und Körperkultur. " Bis an sein Lebensende schlug er das
große Rad und stürmte gleich einem Jugendlichen, immer mehrere Stufen auf einmal neh­
mend die Treppen hinauf. Diese ständige Schulung gab seinem Körper vollendete S chön­
heit, s o daß er selb st für alle Illustrationen seines ' Pangymnastikons ' Mo dell stehen
konnte 1 1 . " (Ritter 1 936, 1 1 ) 1 2 .
Der Arzt L.M. Politzer , der " einen ausführlichen lobenden Nachruf auf Schreber sen. ei­
nige Monate nach dessen Tod schrieb, nannte ihn ' einen Arzt, Lehrer, Diätetiker, Anthro­
pologen, Heilgymnastiker und Turner, und vor allem einen Mann der Tat, von höchstem
Enthusiasmus und größter Ausdauer' " (Niederland 1 978, 76) 1 3 .
beim Ausgrenzungsverfahren des perspektivischen Blicks auf die Welt.
Dürer hatte noch auf diese Wißbegier als Motiv für das D urchstehen der ( stupiden)
Üb ung gesetzt: "Alle begierliche und würkliche Kraft des Gemüts mugen eins itzlichen
1 0 Hervorhebungen v o n mir, KIP
D ings, wie nutz, wie lustbar das ihme erscheinet, doch aus täglicher Ubung, viel und uber­
1 1 Hier findet sich die oben erwähnte Parallele zur Beschreibung von Alberti.
flussigen Gebrauch begnügt, erfullet, auch zeletz verdrießlich werden. Allein die Begierd
1 2 Abb. siehe oben
viel ze wissen ( die dann eim Idlichen von Natur ist eingepflantz) wider solche Ersättigung
gefreit und aller Verdrießlichkeit ganz nichts unterworfen ist" (Dürer 1 89 3 , 3 29f) .
Hier wird sie als Gefahr konturiert. In dieser Klemme
sitzt nun alle Erziehung unter den Vorzeichen der Auf­
klärung. Die Bilderwelten einer " imago-D ei -L ehre "
werden im Namen der Vernunft "verboten" , das Sub ­
j ekt wird überfordert.
GeradhaIter als Schutz
In Schrebers pädagogischen Veröffentlichungen wer­
den Geradhalter als Schutz vor der Üb erforderung des
Subjekts, zum Zweck der D isziplinierung der gesam­
ten Sinnlichkeit des Zöglings angepriesen: eine Ver­
teidigungsmaßnahme gegen die mittlerweile erfolgte
Isolation, sowie die daraus resultierende Schwierigkeit
innerer und äußerer Orientierungs möglichkeiten des
freigesetzten, freiblickenden individuellen Subj ekts.
D aniel Gottlob Moritz Schrebers Programm ist etwa
Abb . 96: DaH: Das Gespenst des Sex­
Appeals ( 1 93 4 )
folgendes: " Fehlerhafte Bildungen sind zwar schon als
S chönheitsfehler mehr oder weniger wichtig und von
Einfluß auf künftige Bestimmung, Zufriedenheit und
Lebensglück der Kinder, aber noch wichtiger sind sie,
1 3 Hier stoßen wir gleich zu Beginn der Auseinandersetzung mit Schreber sen. auf ein Problem: Schreber
wurde bekannt auch ohne das erst später durch Freud bekannt gewordene Schicksal seines Sohnes, und
zwar als derjenige, den Politzer auch schildert. In diesem Zusammenhang des Vereinswesens und seiner
Weiterungen sind enthusiastische Nachrufe keine S eltenheit. Nachdem er aber zum Gegenstand
psychiatrischer und psychoanalytischer Literatur wurde, wurden sämtliche verfügbaren Quellen über ihn
weiter zitiert und über die Maßen unkritisch aufgenommen. Aus einem in bestimmten Kreisen nicht un­
bekannten Mann wurde bei einigen d er deutsche Pädagagoge des 19. Jh. ( tendenziell b ei Rutschky
1977, bei Miller 1 980 u . a. ) . Außerdem wurden die Quellen immer wieder zitiert und z. T. erheblich
"moderiert" . Israels ( 1 989) ist darauf ausführlich eingegangen. Aber auch diesem äußerst quellenkri­
tischen Autor ist es nicht gelungen, nach seiner j ahrelangen Forschungsarbeit Politzer im Original zu zi­
tieren. So existieren mehrere Zitatversionen des Nachrufs . - Nachteilig für die Verläßlichkeit der Quel­
lenlage um Schreber ist auch, wie es Israels zutreffend im Detail beschreibt, daß Schreber in der psycho­
analytischen und psychiatrischen Literatur funktionalisiert wird, einmal zur Stützung von Freuds Inter­
pretation ein andermal um Freud zu kritisieren. So fällt denn auch die Verbiegung der Zitate aus. Israels
tut ein weiteres hinzu: Er hat sich offensichtlich zur Aufgabe gemacht, Schreber sen. auf eine lokale,
sektorielle Berühmtheit zurückzustufen und untertreibt seinen Bekanntheitsgrad: "Als Politzer ihn ( den
Nachruf, KIP ) schrieb, konnte noch keine Rede von 'vielen Drucken' sein. Von den sechzehn Büchern,
die er erwähnt, hatten vierzehn nur eine Auflage erlebt. Nummer fünfzehn war 22 Jahre nach dem er­
sten Druck wiederaufgelegt worden. Und auch ' Übersetzungen in fast alle Sprachen' ist eine haltlose Be­
hauptung: einzig und allein die Zimmergymnastik ist vielfach übersetzt worden; ansonsten gab es damals
nur Übersetzungen ins Niederländische" (Israels 1 989, 1 8 8 ) . Das ist doch nicht gerade wenig im 1 9 . Jh. ,
oder? - Israels zitiert Teile des Nachrufs Politzers aus Schatz mann ( 1 974), ich zitiere oben nach Nieder­
land, eine andere Version fand ich bei Israels zit. nach Freund der Schrebervereine 1 908) 21 1/212; vgl.
Israels 1 989, 220f) : " . . . der in einer Person Arzt, Lehrer, Diätetiker, Anthropologe, Turner und Heilgym­
nastiker und mit dem allen und über dies alles ein Mann der Tat gewesen, ein Mann des begeisterten
Wollens , der rastlosen Ausdauer . . . " . - Schreber geriet in die Wirren der Dokumentations- und Archiv­
" technik" der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung ( IPV) und deren Verhältnis zum wissen-
1 62
8. Schreber sen . : Versuch der Abbildung durch Blicke unter Zurhilfenahme von Geradhaltern
8. Schreber sen . : Versuch der Abbildung durch Blicke unter Zurhilfenahme von Geradhaltern
Dieses Buch wurde vom Verlag in der unkorrigierten vorletzten Fassung publiziert
Für Schatzmann ist Schreber ."Anhänger der turnerischen Körperertüchtigung: er trai­
nierte jeden Tag, und in seinem Garten standen Barren und Recks; er begründete einen
Turnverein . . . Um moralische Grundsätze bereichert, baute er seine Gesundheitsvorschrif­
ten zu einem umfassenden Erziehungssystem für Eltern und Lehrer aus und erklärte, daß
1 63
Beunruhigung des Zappelns bringen 15 . Ist das ein Reflex der gestückelten ( morcele ) Erfah­
rung der Spiegelphase beim erwachsenen Schreber, die ihm an den kleinen Kindern auf­
scheint ?
Wie soll nur aus diesem amorphen Zappeln ein aufgeklärter Mensch herausgeformt wer­
er seine Methoden auch auf seine eigenen Kinder anwende . . , Er widmete seine Kallipädie
den ? Schreber spricht sich gegen das damals noch weit verbreitete straffe Wickeln aus, statt
( 1 858) . . . ' dem Heile künftiger Geschlechter' . Der volle Titel des Buches lautet: Erziehung
und gleichmäßige Förderung normaler Körperbil­
dessen ist .,.,am zweckmäßigsten eine den Körper nur einmal umfassende Binde, welche eine
den ganzen Bauch bedeckende Breite hat und vorn lose zusammengebunden wird" ( Schre­
dung, lebenstüchtiger Gesundheit und geistiger Veredelung und insbesondere durch mög­
her 1 853 , 3 ) . Er reagiert aber - aus heutiger Sicht - geradezu phobisch auf die Möglichkeit,
lichste Benutzung sp ezieller Erziehungsmittel: Für Eltern, Erzieher und Lehrer. Mit sechs­
daß an diesem kleinen Subjekt etwas schief wird, alle möglichen Haltungen werden durch­
und dreißig Jahren wurde er Direktor des Orthop ädischen Instituts an der Universität
Leipzig, ein Amt, das er innehatte, bis er mit dreiundfünfzig Jahren starb 1 4 . Bei s einem
licher Asymmetrien .
zur Schönheit durch naturgetreue
(!)
dekliniert auf ihre Gefährdung bezüglich einer späteren Rückgratsverkrümmung, mög­
Tod war Daniel P aul, der Verfasser der D enkwürdigkeiten, neunzehn Jahre alt" ( Schatz­
Laufenlernen soll das Kind erst,
mann 1 974, 2 1 f) .
wenn es s elber deutliche .,., wieder­
holte entsprechende Geberden und
Bewegungen ganz entschie den zu
Schreber: Ein schwarzer Pädagoge ?
erkennen gibt" ( Schreber 1 853,
( Selbstbestimmtes Lernen ? 1 6 ) .
Mehrere Stufen auf einmal . . . , Schulung des Körpers . . . , Turner . . . , Geradhalter . . , Aus­
Und gleich hinterher wieder die
dauer . . . , Erziehungsmittel . . . Und b ei Schatzmann dann auch die platte Paralleliserung
Verkrümmungsangst, die Angst ,
zwischen den S chriften Schreber sen . , seiner daraus erschlossenen faktischen Erziehungs­
daß nie mehr der aufrechte Gang
praxis und dem Wahn des Sohnes ' "
erreicht wird: .,.,Durch j e den vorzei­
tigen Gehversuch riskirt man so­
wohl Verbiegungen der Rückgrats­
D amit wird ein E in druck provoziert, der durch die Zitation anderer Stellen anders aus­
fiele: .,., Zunächst verlangt das Anfassen des zarten kindlichen Körpers b eim Baden, Wa­
schen, Einwickeln U . s .W. besondere Rücksichten" ( Schreber 1 853, 2 ) . Es folgt eine recht
oder der Fußknochen . . . Verwerf­
genaue und sorgsame Beschreibung der verschiedenen Haltungen b ei der Säuglingspflege.
Er inauguriert eine intensive Säuglingsbeobachtung, .,., da ja der Körper wegen seiner äu­
ßersten Z artheit und Weiche auch für weniger starke Einwirkungen den verhältnismäßig
höchsten Grad von Empfänglichkeit besitzt" ( Schreber 1 853 , 1 ) . Diese E mp fänglichkeit
und Weiche kippt allerdings in der Beschreibung b ei Schreber leicht ins Amorphe, viel­
leicht dadurch Beängstigende: .,.,In . den ersten Monaten ist das Kind zwar noch unfähig, die
Lage und Haltung seines Körpers durch selbständige Bewegung beliebig zu bestimmen . . .
E s ist b eschränkt auf leichte zappelnde Bewegungen seiner Gliedmaßen. Sein Körper ver­
harrt in der Lage , welche er von den Händen seiner Wärterin erhält" ( Schreber 1 853 , 1 ) .
Letzteres stimmt j a wohl nicht, ist aber für Schreber der E insatzpunkt für Ermahnungen
und Formungsanweisungen, die zunächst vor allem durch die Beachtung von Symmetrien
9) .
lich sind alle künstliche Unterstüt­
Abb. 97: DaH: Die Entwöhnung von der Möbelernährung
( 1 93 4 )
denen
An-
zungsmittel wie : Gehkörbe, Geh­
gürtel , Gezäume usw . , wegen des
damit mehr oder weniger verbunoder Zusammendrükkens der Brust" ( Schreber 1 853, 9f) .
Paßt das zu Schreber? Jedenfalls kaum zu dem schwarzen Bild, das die Rutschky-Mil­
ler-Pädagogik von ihm
. . zeichnet 1 7 . Die diversen Geradhalter kommen dann zum Einsatz ,
wenn alle sonstigen Ubungen versagt haben, wenn die gerade und symmetrische Haltung
nicht zu realisieren ist, und auch dann, wenn der Beschreibung zu trauen ist, in aller V or­
sicht. In der Tendenz der Beschreibung Schrebers liegt es zu vermuten, daß die Geradhalter
gezeichnet ist. Es soll nichts schief werden . Symmetrien sollen Ruhe und Ordnung in die
schaftlichen Diskurs, das schon andere Blüten getrieben hat (vgl. die Auseinandersetzung um Masson
1 9 86 ) . Die Schreberrezeption wird im Zusammenhang der IPV zu einem Ausweis der Orthodoxie. - Ich
will mich im folgenden nach Möglichkeit davon distanzieren und zitiere nach den mir zugänglichen Ori­
ginalen. Es wäre eine eigene Untersuchung wert, die Dynamik der Schreberrezeption und -zitation im
Verhältnis zum guten Vater Freud/ zum bösen Vater Schreber und einer vermeintlichen Orthodoxie zu
untersuchen; ebenso die sich daraus ergebenden Schweige- und Solidaritäts kartelle in Relation zur Auto­
rität des psychoanalytischen Autors in den Hierarchien der IPV, deren Autorität z. T. gerade auf ihren
Schreberinterpretationen beruht. - Davon distanziere ich mich auf schärfste und reihe mich in die Folge
der Interpreten ein . - Es kommt mir natürlich auf etwas ganz anderes an . . .
1 4 Ihm war beim Turnen eine Leiter auf den Kopf gefallen; von den Folgen dieser Verletzung soll e r sich
nie erholt haben, heißt es immer wieder. Was das Schreiben angeht, lag danach seine produktivste Zeit,
wie Israels ( 1 989) rekonstruiert.
15 Dies treibt an späterer Stelle so skurrile Blüten, daß Schreber vom Spielen aller Streichinstrumente,
der Harfe, der Flöte, der Zither und der Guitarre abrät und das Fortepiano für das empfehlenswerteste
hält, weil es eben im Unterschied zu den anderen "gleichmäßige Beschäftigung beider Arme" verlangt
(vgl. Schreber 1853, 65) .
1 6 V gl. dazu auch: "Läßt man also das Kind zwischen dem 5. und 7. Lebensjahr unter einiger leichter
Anleitung mit Buchstabenspielen, mit Nachahmen von Buchstaben, Worten und Sätzen auf Schieferta­
feln, mit Zähltafeln u. dgl. hin und wieder je nach Neigung des Kindes sich beschäftigen, so lernt es die
Anfangsgründe, des Lesens, Schreibens und Rechnens s p i e l e n d und hat somit einen recht willkom­
menen Vorsprung für die Schulzeit gewonnen, ohne daß seine körperliche und geistige Entwickelung
durch j ene naturwidrige Verfrühung des Schulunterrichts untergraben worden ist" ( Schreber 1 86 1 /
189 1 , 84f) .
1 7 Es scheint mir mittlerweile ..viel untersuchenswerter, warum Rutschky, Miller u.a. solche Geradhalter in
Form von Schreber für ihre Uberlegungen zu Pädagogik oder zu pädagogisch mißverstandener Psycho­
analyse brauchen.
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8. Schreber sen.: Versuch der Abbildung durch Blicke unter Zurhilfenahme von Geradhaltern
8 . Schreber sen . : Versuch der Abbildung durch Blicke unter Zurhilfenahme von Geradhaltern
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auch Produkt der Ä ngste vor der Krummheit, Schiefheit, Ungleichzeitigkeit der Entwick­
lung sind, weil sie nun einmal im Repertoir vorhanden sind. Symmetrien bri� gen zur
Ruhe, zur Ordnung, zum �tillstand und Ausgleich - zum Tod ( ? ) . Das alles geschieht aber
in einer Atmosphäre von Uberlastung, von Anstrengung durch die abverlangte Haltung des
Erwachsenen, der in Fehleinschätzung des kindlichen Körperbaus sich nicht vorstellen
kann wie das Kind einmal aufrecht werden könnte. Es muß wohl so sein, daß es sich hier
eher �m eine Proj ektion des eigenen verunsicherten Körperbildes des Erwachsenen auf Kin­
der handelt. Das kann aber nicht allein Schrebers Problem gewesen sein, sonst hätte er kein
so ein breites Publikum haben können.
Einwurf: Schreber wird von seinen Verehrern insbesondere von dem in die Zeit des Fa­
schismus passenden Biographen Alfons Ritter ( 1936) als vorbildliche r Staatsbürger ge­
priesen. Ist aber Schrebers tatsächliches Verhalten nicht eher geprägt von einem prof�nden
Mißtrauen in vorgegebene symbolische Ordnungen, in die das Kind durch symbohg � ne
Kastrationen (Dolto) hineinwachsen könnte ? Er schafft lauter neue Ordnungen und laßt
das Kind nicht los, sondern fängt es dauernd neu. Er schafft ein privatisiertes Ordnungs­
system, das den Eltern die Illusion erzeugt, alles für ihre Kinder zu tun und tun zu können.
Rigoroser im Vorschlagen von Maßnahmen mittels Still- und Geradhaltern wird Sch �e­
ber erst für die Zeit der Adoleszens, ohne dafür, insbesondere was das Anschnallen 1m
Schlaf angeht, naheliegende direkt sexuell-moralische Begrün �ung �n zu geben .. Das � e­
nannte Motiv ist weiterhin die Befürchtung des schiefen oder dIe freIe Atmung eInschrankenden Wachstums.
Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren als hätte Schreber die Vorstellung, daß das
Knochengerü st und das Muskelwachstum nicht ausreichen, einem irgendwie atmosphä­
rischen Druck, der auf das Kind einwirkt, standzuhalten, daß es infolgedessen ohne beson­
dere Maßnahmen zu einer Art Kollaps kommt, wie wenn ein Taucher in zu großer Wasser­
tiefe vom Wasserdruck zusammengepreßt würde, hätte er nicht einen speziell verstärkten
Taucheranzug. Auf einen rationalen Zusammenhang lassen sich Schrebers Empfehlungen
nicht ganz bringen. Läge es doch bei den noch zu schildernden von Schreber empfohlenen
Geradhaltern nahe, die Kleidung selber zu solchem Zwecke einzusetzen, so plädiert er aber
ganz entschieden für weite Kleidung, die keine der mögliche� Bewegunge� d�s Kind�s ein­
schränken solle; ebenso wendet er sich gegen jegliche Corsettlerung des welbhchen Korpers.
"Jeder, der nur einmal den normalen Bau des weiblichen Körpers an Statuen ( ! ) betrachtet
hat, wird auf den ersten Blick das grell Naturwidrige jener Unsitte erkennen und die Häu­
figkeit ihrer bösen Folgen höchst erklärlich und selbstverständli �h finden" ( ��hreber
1 853, 80f) . Er empfiehlt Oberkleider im Kutten- oder BlousonschnItt. Ebenso hält �.r � s
mit dem Schuhwerk. Seine Beschreibung der naturgemäßen Schuhe laufen auf gegenwartIg
bekannte Schuhformen aus der Alternativkultur hinaus (vgl. Schreber 1 853, 85ff) . Schreber ist hier durchaus Aufklärer. Schrebers Angst vor der falschen Haltung, vor Asym­
metrien scheint mir nicht irrationaler zu sein, als die gegenwärtig häufig anzutreffende
Angst vor Vergiftungen aller Art durch Lebensmittel aller Art und in jedem Alter.
Es wäre dennoch leicht sich über das zu erheben, was Schreber tat, schrieb und lehrte,
seine ideologische Befangenheit zu kritisieren, seine Beiträge zur Pädagogik denunziato­
risch - wie dies vor allem K. Rutschky ( 1977) und im Anschluß daran solch zweifelhafte
Kinderfreunde wie A. Miller ( 1 980, 1 8f) tun - als schwarze Pädagogik zu etikettieren. Dies
hätte antiaufklärende Effekte, da nicht verstanden, sondern lediglich nachträglich wohlfeil
moralisiert würde.
Ich möchte hier Schrebers Gedanken, die manifest bis zum heutigen Tag in mehr oder
weniger verdünnter Form weiterexistieren, eher verstehen als eine Lösung aus der Not 18 ,
nicht nur aus einer individuellen biographischen Not heraus . Wie weit der latente Inhalt
weiterexistiert, bleibt zu untersuchen.
Schrebers Vorschläge lassen sich als Antwort verstehen auf die Fragen: Wie kann mit den
Anforderungen einer immer rationaler werdenden Lebenswirklichkeit (jedenfalls in den
Sektoren von Produktion und Dienstleistungen) umgegangen werden 19, wenn die vorbe­
reitenden Institutionen hierzu noch fehlen oder höchst unvollkommen sind, wenn die alten,
d. h. feudalen Strukturen, Ordnungen keine inhaltlich orientierende Funktion mehr über­
nehmen können?
Geradhalter zur Überbrückung des Risses zwischen Natur und Kultur
In Schrebers Worten, wie sie von Ritter wiedergegeben werden: "Was Jahrtausenden ver­
sagt war: zu erkennen und bewußt richtig zu leben, hat das Schicksal der Gegenwart ge­
schenkt und es zu einem Zeitalter der Erkenntnis und der Mündigkeit erhoben. - An die­
sem hohen Geschenk gemessen, erweist sich die Gegenwart als ein erbärmliches und kleines
Geschlecht. Den mächtigen Fortschritten der intellektuellen Seite des Lebens entspricht ein
unglaublicher Rückschritt der körperlichen Seite und des Charakters, der Willensstärke ( ) :
Das Minus auf Seiten des Körpers und des Charakters macht aber das Plus auf Seite des In­
tellektuellen völlig zunichte; denn nur in der harmonischen Zusammenwirkung dieser
Dreiheit wird das bestimmungsgemäße Lebensziel und das wahre Lebensglück erreicht"
(zit. n. Ritter 1 936, 29 ) .
Der Hiatus zwischen Körper und GeistIVerstand hat sich seit Rousseau nur verschärft
und wird den Pädagogen mit dem Auftrag ihn immer wieder zu kitten, präsentiert. Für
das fast programmierte Mißlingen - geht man von der illusorisch gewünschten Harmonie
aus - wird den Pädagogen - zuweilen auch von Psychoanalytikern - die Rechnung präsen­
tiert. Rousseau hatte den gleichen Hiatus so beschrieben: "Der Geist hat so wie der Leib
seine Bedürfnisse. Die letzteren sind die Grundlage der Gesellschaft, die anderen aber das
Vergnügen derselben. Während die Regierung und die Gesetze über die Sicherheit und die
Wohlfahrt der versammelten Menschen wachen, breiten die Wissenschaften, die Literatur
und die Künste, die weniger despotisch, vielleicht aber desto mächtiger sind, über die
ihnen angelegten Ketten Blumenkränze aus, ersticken bei ihnen diese Empfindung der ur­
sprünglichen Freiheit . . . Wie angenehm wäre es, unter uns zu leben, wenn das äußerliche
gesetzte Wesen (Haltung, KJP) jederzeit das Bild der Beschaffenheit unseres Herzens
wäre . . . " ( Rousseau 1 750, 34f) . Starobinski paraphrasiert diese Stelle so: "Unter den täu­
schenden Oberflächen brütet die Leere. All unser Mißgeschick nimmt hier seinen Anfang.
Denn durch diesen Riß, der die 'äußere Haltung'20 daran hindert, unserem Herzen' zu ent-
,.,
18 Wir wollen uns nicht in utopischen, optimistischen Wünschen ergehen, . . . Wir haben nur die aller­
wärts abstellbaren Mängel des Schulwesens im Sinne. Die wesentlichen deerselben ( . . . ) wurzeln gemein­
schaftlich darin, daß man die Gesetze und Einrichtungen der Schule nicht durchgängig auf das Gesetz ­
buch der Natur gebaut, daß mithin noch weniger der einzelne Lehrer bei der speziellen Ausübung seines
Amtes dasselbe als oberste Richtschnur in sich aufgenommen hat . . . . Je höher aber das Leben mit seinen
ganzen Verhältnissen, Bedingungen und Naforderungen steigt, um auf jeder Stufe des Fortschrittes den
Menschen zur Entscheidung der Frage zu befähigen: ob der Einklang des fortgerückten Lebenszustandes
mit den allgebietenden Gesetzen der Natur und Weltordnung noch bestehe und, wenn nicht, wo und wie
er herzustellen sei" ( Schreber 1 86 1 /. 1 8 9 1 , 244f) .
19 vgl. Krovoza 1 974
20 Starobinski bezieht sich hier auf das französische Original, das in der deutschen Übersetzung zwar
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8. Schreber sen.: Versuch der Abbildung durch Blicke unter Zurhilfenahme von Geradhaltern
8. Schreber sen. : Versuch der Abbildung durch Blicke unter Zurhilfenahme von Geradhaltern
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sprechen, tritt das Übel in die Welt. Die Wohl�aten der Aufklärung �erden a�fgew�gen und
nahezu getilgt durch die zahllosen Laster, die vom Trug des Schems herruhren ( Staro­
binski 1 988, 1 1 ) 21 .
Es war den bürgerlichen und erst recht den kleinbürgerlichen Familien in Deutschland,
den einzelnen Individuen selber überlassen einen Anschluß an den "Fortschritt" zu finden
- und das ohne die Beflügelung einer emanzipatorischen Bestreb �ng oder ei� er po�itisc��?­
Revolution im Rücken. Die 48iger Revolution war gescheitert. Die Kosten fur RatlOnahtat
und Rationalisierung wurden den einzelnen aufgebürdet. Der Rückhalt und Widerstand
einer eingelebten Tradition - gleichsam als Sprungb�ett - waren �ufgebraucht, ausge­
.
brannt, im Jargon von Schreber "kraftlos und schlaff . Es mußte eIn R� me �, eIn Halt,
.
ein Halter' ein Geradhalter gefunden und zusammengestückelt werden. So 1st die MIschung
von rationalisierenden Ideen in den Schriften von Schreber zu verstehen, die Mischung von
Anleihen aus religiösen, moralischen und rationalistischen Zusammenhängen, eine hochbrisante Mischung.
.
Schreber sen. glaubte: "Besonders wichtig und für das ganze Leben entscheIdend 1st es
aber ' in betreff des Charakters, daß derselbe schon im Jünglings- und Jungfrauenalter . . .
eine Schutzmauer bildet gegen das krankhafte Vorherrschen der gemütlichen Seite, gegen
jene schwächliche Empfindsamkeit, die Krankheit unsere � �age , welche als die allg � ­
.
.
.
meinste Ursache der zunehmenden Häufigkeit der LebensmudigkeIt, der GeIsteskrankheI­
ten und Selbstmorde zu erkennen ist" (D. G. M. Schreber 1 858, 281 ) 22 .
Sein Sohn Daniel Paul wird wahnsinnig, der andere Sohn begeht Selbstmord.
Schrebers Schriften kann man aber nicht als eine besondere Skurrilität in der Geschichte
der Pädagogik abtun, wenn auch das Schicksal seiner beiden Söhne ein sehr zugespitztes
ist2 3 .
Schutzmauer gegen das Innenleben durch Blicke
.
nach Ritter zitiert wird, an dieser Stelle aber den Wortlaut der Ritterschen Ausgaabe umformuliert ( ohne
Kennzeichnung) . Zum besseren Verständnis habe ich in das vorangegangene Zitat in Klammern ( "Au­
ßerlich gesetztes Wesen"
Haltung) eingefügt.
=
21 Ich möchte nicht sagen, daß die Aussagen von Rousseau und Schreber identisch sind; sie beziehen sich
lediglich auf denselben Riß.
22 Schon in der Renaissance wurden Leibesübungen zur Erziehung empfohlen. Die Begründungen gin­
gen auch damals über den unmittelbaren Zweck einer Körperertüch � gung hinaus . Jedoch wurde der
.
Zweck der höheren Beweglichkeit, des Kraftzuwachses usw. schon scharfer getrennt gesehen von emem
.
Überschuß" als das in den antiken griechischen Auffassungen der Fall war, auf dIe Bezug genommen
urde. Als gemeinsame Motive der Schreberschen und der älteren Gymnastik könnte man nennen: 1 .
Förderung der körperlichen Entwicklung ( Kraft, Geschicklichkeit ) , 2 . Förder�ng des Stoffwechsels, 3 .
Charakterbildung, 4 . Vorbereitung auf kriegerisc�� Auseinandersetzungen. Bel chreber fallen folgende
Motive weg, werden nicht mehr genannt: 1 . Die Ubungen dienen nicht dem pIeI, d �s auf dem Bewe­
gungsdrang der Kinder aufbaut und diesen verstärkt ( im Gegenteil ! ) , 2. sI. e dIenen nIcht der Erh�lung
.
und der Zerstreuung, 3 . nicht der Bildung von Anmut, 4. nicht der AufheIterung und dem Vergnugen.
Dazu kommen folgende Motive: 1 . Körperliche Entwicklung soll gemäß einer überprüfb aren Norm statt­
.
finden (in der Renaissance fand stattdessen eine Beobachtung und Ermunterung durch dIe Alten statt) , 2.
die Regierung, Auslösung des richtigen Verhaltens durch den Blick.
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2 3 Seine Bücher zählen zu den Bestsellern des 1 9 . Jahrhunderts: die erfolgreichste seiner Veröffentli­
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chu gen - 'Die ärztliche Zimmergymnastik, oder System der ohne Gerät und eist�nd b ��all �usführ­
baren heilgymnastischen Freiübungen als Mittel der esundheit und LebenstuchtIgkeIt fur b eIde Ge­
schlechter und jedes Alter' - erreichte im Jahre 1 909 dIe 32. Auflage und 05
Exemplare " ( eber
.
1 973 , 5 ) . Er veröffentlichte insgesamt �chtzehn Bücher und Broschüren, Ie m SIeben Sp �a �hen uber­
.
setzt wurden (vgl. Mallet 1 987, 255 ) . "Uber seine Leistungen auf den Ge Ieten der Orthopadle un de
.
Heilgymnastik berichtet das 'Biographische Lexikon der hervorragenden Arzte aller Z elten � nd Vol er
( herausgegeben von Dr. August Hirsch) , daß Dr. Schreber 'sich verdient gemacht (hat) um die Entwlck-
C,
167
.{
Aus allen Äußerungen Schrebers geht hervor, daß der Feind, den es zu bekämpfen gilt,
innen ist.
Schreber sen. ist es um ein System zu tun, das es erlaubt, in das Innere, in das Gemüt
ohne Umwege und unmittelbar spürbare Gewaltanwendung einzugreifen. Metaphorisch ge­
sagt: Durch seine Verhaltensanweisungen gegenüber Kindern, angefangen im Säuglings­
alter , möchte er eine Schnittstelle erzeugen, die den direkten Ei�griff erlaubt. Hier soll das
eingegeben werden können, was der Erwachsene für sich zum Uberleben in der rationali­
sierten Welt als funktional erkannt hat2 4 . Dem Kind sollen so Umwege erspart werden.
Gleichzeitig ist der Erwachsene daran interessiert, daß er selber nicht an andere Verhal­
tensmöglichkeiten erinnert wird, auf deren Verwirklichung ' er unter Leiden verzichten
mußte.
Nach der Beschreibung einer abgestuften Reaktion der Eltern auf grundloses Schreien der
Säuglinge von Ablenkung bis zu "beharrlich wiederholten körperlichen Ermahnungen",
schreibt er: "Eine solche Prozedur ist nur ein- oder höchstens zweimal nötig, und - man ist
Herr des Kindes für immer. Von nun an genügt ein Blick, ein Wort, eine einzige drohende
Gebärde, um das Kind zu regieren" (D. G. M. Schreber 1 858, 60f) .
Auf dem Hintergrund damaliger pädagogischer Praxis ist das vielleicht auch schon als
"Fortschritt" zu verstehen: Nach einmaliger körperlicher Strafe Blicke anstelle dauernder
Prügelei.
Schreber kümmert sich um die Abstimmung von Herrschaft über die äußere Natur, die
innere Vorbereitung darauf und die Nachwirkung der Formierung. Hier lag meiner Ein­
schätzung nach ein Defizit vor. Dieses Problem verschärft sich in der Generationenfolge .
Hatten die Eltern es vielleicht noch mühsam erreicht, sich in die neuen Anforderungen ein­
zupassen, ihr "Gemüt" in den Griff zu bekommen, werden sie unter den rationalisierten
Verhältnissen in den Kindern mit einer um so schärfer verunsicherenden, verführenden
"Unvernunft" konfrontiert, die sie extrem ängstigt und von daher zu Projektionen einlädt.
"Behandeln wir das Kind immer genauso, wie es seine Gesinnungen verdienen, die sich
ja unverkennbar in seinem ganzen Wesen abspiegeln . . . Bleiben hierin die Eltern sich sel­
bst treu, so werden �ie bald durch den Eintritt j enes schönen Verhältnisses belohnt, wo das
Kind fast durchgehend nur mit einem elterlichen Blick regiert wird" ( 1 858, 137f) .
Der Blick ist durchdringend, nachdem alle Aufmerksamkeit auf das elterliche Auge ge­
lenkt war, dem Ort der ersten Spiegelung.
Schreber will die Blickrichtung festlegen. Er spricht lediglich von Blicken, die von den
Eltern ausgehen. Sie blicken auf das Kind. Er versucht die Komplexität des Blickens zu re­
duzieren, die Komplexität, wie sie Alberti in Ecantofilia entfaltet. Ebenso reduziert er das
von Kant skizzierte Programm der Aufklärung: 1 . Selbstdenken sollen die Kinder nur das,
was die Eltern schon für sie ausgedacht haben, oder: auf sich selbst blicken sollen die Kin­
der nur mit den Augen der Eltern. 2. An der Stelle jedes anderen denken, also von der Stelle
des anderen aus blicken, sollen die Kinder nur anstelle der Eltern oder Gottes, was infolge
der Privatisierung der Religion in eins fällt. 3. Jederzeit mit sich selbst einstimmig denken
sollen die Kinder nur, indem sie die Gedanken der Eltern denken, und diese werden ihnen
�
� �
�
lung und Verallgemeinerung der auf rationelles Turnen begründeten aktiven, sog. deutschen, im Gegen­
satz zu der passiven, sog. schwedischen Heilgymnastik'" (zit. n. Weber 1 973 , 5f)
.
24 auch in Bezug darauf, was er an Gefährdung durch das ungestüme Wesen der Kinder aushalten kann.
1 68
8. Schreber sen. : Versuch der Abbildung durch Blicke unter Zurhilfenahme von Geradhaltern
8. Schreber sen.: Versuch der Abbildung durch Blicke unter Zurhilfenahme von Geradhaltern
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durch die Blicke der Eltern übermittelt. Die Kinder sind also, wenn deren Unterwerfung
gelingt, deren Subj ektivierung - so wie Schreber sie sich ausgedacht hat - immer außer
Anders bei Schreber im 19. Jh.
sich . Und dennoch vermeintlich bei sich . Die Grenzen werden verwischt, die Grenzen
zwischen Innen und Außen. Es handelt sich demnach um eine progredierende Erblindung:
Schreber sieht nichts, er blickt, die Kinder sollen den Vater blicken sehen, sie sehen nicht
selber, da der Vater sie vor der Irritation des Spiegelstadiums bewahren will, vor dem Zap­
p eln, sie sollen symmetrisch und gerade werden. D . h. die Kinder b licken dann durch,
wenn sie nichts sehen als sich in der Aufmerksamkeit für den wirksamen Blick des Vaters,
der aber j a in bestimmter Weise blind ist. Damit spiegeln sie sich dann doch, im Blick des
Vaters, und sie werden sich nicht als weniger unvollkommen erleben als vor dem Spiegel.
- Das ist dann so, als stünde hinter Brunelleschi A lberti, der vorher Brunelleschi den
Spiegel abgebaut hat und ihm jetzt diktiert, welche Punkte er zu zeichnen und zu verbin. ­
den habe, aber der Selbsttäuschung unterläge, er habe aus sich selber gewußt, was er WLe
zeichne. - Daß diese Geschichte nicht funktionieren würde, ist einleuchtend: eine naturge­
mäße A bbildung käme so nicht zustande, nur ein Diktat. Ebenso einleuchtend ist es, daß Schreber scheitern muß .
D as wirft aber auch ein Licht auf Kants Programm: Auch dessen Negationen können
nicht funktionieren. Zumindest der zweite ( "An der Stelle j edes anderen denken " . ) und der
dritte Punkt ( "Je derzeit mit sich Selbsteinstimmung denken" . ) schließen sich aus 25 : Wer
j e derzeit mit sich einstimmig denkt, kann nicht an der Stelle j emandes anderen denken.
Das hinwiederum wäre notwendig, um überhaupt selbst denken zu können. Ansonsten
wird er gedacht, d. h . er würde nicht wissen, ob sich sein Denken von dem eines anderen
Anpassung mit verdeckter Gewalt26 von den ersten Leben�tagen an ist dann notwendig,
.
wenn die Eltern sich in einer nicht oder nur unter großen Angsten tragbaren Verantwor­
tung finden, im neunzehnten Jahrhundert vor allem die Väter, die nur noch formal unter
den Vorzeichen einer privatisierten Religiosität in Gott eine Stütze hatten, real aber an seine
Stelle treten mußten27.
D ie mimetischen Erkenntnis- und Lemformen waren verschüttet, es bestand keine Mög­
lichkeit der offiziellen Einübung mehr. So scheint es, daß der Körper des Kindes zum Re­
präsentanten der gefährlichen inneren Natur, des mittlerweile unbewußt Gewordenen
wurde. D er Körper und seine inneren Strukturen, die Nerven hieß das damals, mußten
vorbereitet werden auf den rationalen Blick auf die Welt. D as Kind mußte zu einem Adres­
saten von regierenden Blicken erzogen werden, da schon die Berührung des kindlichen Kör­
pers Gefahr bedeutete, Gefahr selber schwach zu werden. Außerdem hätte langjährige äu­
ßerlich sichtbare Gewaltanwendung dem Ideal vernünftigen herrschaftsfreien Dialogs wi­
dersprochen.
Was bei D ürer - oder beim perspektivischen Blick auf die Welt - noch die Distanz zwi­
schen Künstler und zu repräsentierender Natur war, wird j etzt zur universalen Distanz: ge­
genüber dem eigenen Innern, dem " Gemüt", gegenüber den Kindern und deren Wünschen
und Bedürfnissen .
unterscheidet. Genau das aber ist in der Psychose der Fall.
Schrebers Geradhalter als Orientierung für den Erzieher
S chreber muß scheitern, weil er mit dem kontrollierenden Auge der Polizei blickt. Für
dieses Auge müssen Bedeutungen existieren: Wenn j emand das oder j enes tut, b edeutet das
folgendes . Schreber aber erblickt bei den Säuglingen nur Zappeln oder Stillstand und ele­
Schreber sen. entwickelte Geradhalter, Geräte, die die Kinder
zwangen, gerade zu sitzen. Einer davon "bestand aus einem Eisen­
mentare körperliche Bedürfnisse. Um dies genauer zu bestimmen, stehen ihm viele wissen­
schaftliche Methoden zur Verfügung. Er ist ja Arzt, Philosoph, Anthropologe, Orthopäde
. . . , wie sich die Nachrufer vorsagen, so wie Kinder im dunkeln Keller pfeifen.
kreuz, das an dem Tisch befestigt wurde, an dem das Kind las oder
schrieb. Dabei drückte die waagerechte Stange gegen die Schlüssel­
_�'1--JIo..
Mit einem derart reduzierten Blick ist aber das Begehren nicht zu fassen. Die Distanz ist
zu groß. Es kommt zu keiner Begegnung, es geschieht Anpassung. Der Blick verhindert das
Sehen des Anderen. Das war bei Dürer in dieser Schärfe noch nicht der Fall.
Abb . 98: Schrebers Geradhalter
beine und die Vorderseite der Schultern und verhinderte so ' das
Sitzen mit stark nach vom gebogenem Oberkörper und vorhängen­
dem Kopfe ' " ( Schatzmann
1 974 , 4 6 ) . " Ich ließ daher eine V orG era dh a I ter nenne ( . . . ) . -
richtung anfertigen, die ich kurzweg
Nachdem sich dieser Geradhalter bei der anfänglichen versuchsweisen Einführung bei den
Dürers andere Voraussetzung der Vermittlung
Dürer wendet sich mit seiner " Underweysung" an den Erwachsenen; j e denfalls nicht über
Eltern an Kleinkinder, relativ Erwachsene, die die Basis der Erziehung und für die Erzie­
hung woanders her haben - man könnte sagen: noch aus dem Mittelalter. Dürer wirkt mit
weiner Underweysung auf mittelalterliche Blicke. Er betont: "Der j unge Maler sollte mit
gebührender Rücksicht auf sein Horoskop und die Zusammensetzung seiner Säfte . . . aus­
gewählt und ausgebildet werden; er solle mehr mit Liebe als mit Strenge, in ruhiger, ange­
nehmer Umgebung, in Mäßigkeit, Keuschheit und Gottesfurcht erzogen werden; . . . er sollte
nicht mit Arbeit überlastet werden, und er sollte mit aufheiternder Musik traktiert werden,
' falls seine Melancholie wegen zu großer Bemühung überhand nähme ' " ( P anofsky
359 ) .
25 Kritiker werden sagen: Aber es ist doch nur eine regulative Idee ! - Nur?
1 977,
Pfleglingen meiner orthopädischen Heilanstalt und bei meinen eigenen Kindern als zweck­
entsprechend b ewährt hatte, übergab ich ihn im vorigen Jahr der allgemeinen Benutzung"
( S chreber
1 853, 52 ) .
Im Zusammenhang der Beschreibung des Geradhalters weist Schre­
ber auf einen Grundsatz hin, " daß der Gegenstand dem Auge soweit als eben zum Erkennen
durchaus nothwendig genähert wird, nicht aber umgekehrt das Auge dem Gegenstand"
( 1853 , 56) .
Hier taucht ein ganz und gar fixiertes Auge auf. - Ebenso gibt es Kopfhalter,
Kinnbänder, Gürtel für schlafende Kinder.
Der Geradhalter dient j etzt im Unterschied zu seinem Gebrauch b ei Dürer nicht in erster
Linie, wenn überhaupt, der Unterstützung einer bestimmten Tätigkeit, um allererst einen
rationalisierten Gebrauch von Hand und Kopf in die Wege zu leiten. Er wird sozusagen
zum Instrument universaler Distanz nach innen und nach außen, dinglich geronnener und
rationalisierter Vermittlung von Gewaltanwendung gegen Kinder und gegen Eltern.
26
Gewalt überhaupt läßt sich in Erziehungsprozessen wohl nicht umgehen.
27
vgl. Soeffner 1 985
1 70
8. Schreber sen . : Versuch der Abbildung durch Blicke unter Zurhilfenahme von Geradhaltern
Dieses Buch wurde vom Verlag in der unkorrigierten vorletzten Fassung publiziert
""f
r
.·��. .
-
..
9.
Die Folgen der abbildenden Blicke und die Wiederkehr der Bilder:
S chreber j un.
:� ----
"
Abb . 1 0 0 : Geradhalter ( Schatz­
mann 1 974 ) . Es gibt hier eine be­
sondere Fehlleistung zu besich­
tigen, die wie alle so falsch nicht
sind: D i e an den Tisch an­
schraubh aren Geradhalter sind
falsch herum abgebildet.
Schreber (Vater) - Schreber ( Sohn) - Freud: Eine Interpretationsgemeinschaft im Spiegel­
kabinett * " Wahrheits kern" * Daniel Paul Schreber * "Denkwürdigkeiten" * Ergriffen
von der Obj ektivität * Leiden am Verwandlungsschwund * D er erstarrte Zeichner * Erzie­
hungsoptimismus
*
Die andere Seite des Gitternetzes
*
Imago D ei
*
Die Verrückung
*
Identität als Gefahr * Ausschließende Unterscheidung * Z entralperspektive als Qual im
Wahn * Perspektive, Tod, Supervision * Gefahr durch Bilder * Schizophrenics Anonymous
Abb. 99: Kopfhalter und Körperübung zur Erlangung einer
geraden Haltung
l H . 1 OKE:-':Z): ANSCHAUUNG DER WELT IN WARENPROBEN .
kn.
Briicl\cn, (Dcidl,
(S ..:h:l1 ,nhllrcllc);
Vlln
k) zur
r�!:IlUngcn).
Schb..:hturJnungen;
Rvi(ell.
Hilbrd
Krici!s�umt
�
Feucrgcw hrc,
1)
553
Etwas mehr als hundert Jahre nach der Abfassung von Dürers "Underweysung" ist der
Berg des Abgebildeten so angewachsen, daß es nun darum geht zu fragen, wie das alles an­
geeignet werden könne, und zwar von allen Mitgliedern einer Gesellschaft und das schon
Schleuse I , Gartenbau, SchiITbaukunst
Siel,
(Zeichnunl!cn
WalTen,
zu Spielkünsten:
Bälle,
und Modelle
Äbbildungcn
von
Raketen, Kreisel,
Damebrelt, PochbrClt, Sdwchspicl, Würfel, Kaflcn, Kegel,
möglichst unmittelbar nach der Geburt, alles, was Dürer nur denen vermitteln wollte, die
zeichnen. Es ist ein p ädagogisches Problem entstanden, das sich nicht mehr im Rahmen
einer vorgegebenen Ordnung und einer Garantiemacht befindet, eines Übersubjekts, das
(im Modell), Stoßbahn m i t Kegeln, Taschenspieler-Werk­
z�·tl:.! ll�W.
j-, /./1111
d
historischen Fach:
Kupferstiche zur Vcrsinnlichung der
chr.\lwh.."Igischcn Epod1cn, moralisch-hislorisdlc Bilder, Bih..ler,
Sh.:n l i n
Bü·
Modelle zur Götterlchrc, landkancn, Tafeln für g.cnca­
}0;!1"1rhc unJ heraldische Erkenntnis.
f)m alle Fach tür kleine Kinder: Bilder und Modelle von al�
kn Dtrli!cn. welche im Haus vom Boden bis in den Keller ange·
m'ltkn wcrden, Puppen, Moddte von Behältnissen, gewöhnlichen
,\'.
daß
im Halls
alles schon richtet. Ausgerichtet werden muß der Blick eines jeden einzelnen. Und eine Syn­
und Masd"Jincn mw. �hn dürfe sidl nicht wundern,
thesis dieser vielen Einzelnen muß hergestellt werden. Als Substrat der gesuchten und her­
�olche Sachen im
Kabinett vorhanden sein sollen; aber
könne sie der Freund der Jugend nicht allemal finden,
\\('110 cr die Sacherkenntnis
und
zustellenden Synthesis fungierte nur mehr der Warentausch mit seinen Voraussetzungen
Spracherkenntnis durch Vorzciecn
�
i
erleichtern wolle, und die ökonomischen Dim.!c (d. h. die Di ee
des l;i�lichcn Gebrauchs) sci�n dazu nicht gee gnet, zu schmutz g,
zu gr0ß oder zu klein. [51/136 L]
i
auch individueller Art. Diese Bedingungen haben Sohn-Rethel
Ebene und etwa Krovoza
Abb . 1 0 1 : Soennekensche Gerad­
halter
( 1 974)
( 1 970)
auf philosophischer
auf sozialisationstheoretischer Ebene zu beschreiben be­
gonnen.
Im vorigen Kapitel ( 8 . ) ging es um den Aufweis der strukturellen Verwandschaft der In­
strumente, die in Dürers Didaktik des Z eichnens auftauchen, mit den Instrumenten in
Abb. 1 02 : Schulbank als Geradhalter ( Lorenz und Cardot)
Schrebers Schriften, genannt " Geradhalter" . Neben der V etwandschaft wurde aber auch
eine funktionelle Verschie denheit deutlich, die wiederum in der Logik der W eiterentwick ­
lung der " Z entralperspektive" zu sehen ist.
B emerk u ng :
Warum ergreift eigentlich niemand in einer anderen Art
Schwarzer Pädagogik Partei für die Eltern und Lehrer, die
sich selber Gewalt antun müssen, um Erziehungsleistungen
zu erbringen. - Dann würde die radikale Immanenz von Er­
ziehung deutlich, es gäbe dann keine Beschwerdeinstanz,
keine B ösen, Teufel, Sadisten und notwendigerweise auch
keine Hoffnung auf Erlösung, Endlösung.
D as Erstaunliche ist, daß Schrebers medizinisch begrün­
deter Kampf mit allerlei Geradhaltern gegen die Schlaffheit
Abb . 1 0 3 : Hau s subs ellium
nach Lickroth - und so gab es
noch viele andere mehr.
und Kraftlosigkeit seiner Zeit meines Wissens selbst dem da­
maligen Stand der Medizin widersprachen. D ennoch wurden
seine Schriften und die Geräte weit verbreitet. Es steht zu ver­
muten, daß er Unbewußtes ansprach.
Der feste Standpunkt der " Zentralperspektive " , von dem aus gesehen wird, ist auf ein en
Widerstand angewiesen, ein Widerlager. Von diesem sich abstoßend macht die Rede von
der persönlichen Identität Sinn. Was geschieht, wenn dieser Widerstand verloren geht,
durch die Mechanismen der " Zentralperspektive" selber aufgezehrt wird? B chreb er sen.
hatte geradhaltende Entwürfe in p ädagogischer Absicht dagegengestellt, suchte eine Befes ­
tigung a m Körper selber. Sein Sohn spricht nun aus dieser Befestigung heraus . Es kommen
durch Rationalität in die E nge getriebene Bilder zum Vorschein. Als Transp ortmittel
nimmt Schreber j un . die Form eines wissenschaftlichen Traktates . Auf diesen sich zu bezie­
hen, schafft Verwirrung. Einige Momente dieser Verwirrung und Herausforderung für wis ­
senschaftliches, auch für erziehungswissenschaftliches Reden sollen im folgenden heraus­
p räpariert werden. Im dann folgenden Kapitel 10 ( Über die Berührung von Wissenschaft
und entstellten Bildern: Freud) geht es dann genauer um die methodischen Schwierigkei­
ten, die auftreten, wenn es gilt die einzelnen Momente wieder zusammenzubringen.
D abei geht es um etwas, was sich mit den Mitteln der " Zentralperspektive" nicht abbil ­
den läßt, wofür sie als Folie, als Koordinatensystem nicht ausreicht. Es geht um das Imagi-
1 72
1 73
9. Folgen der abbildenden Blicke und die Wiederkehr der Bilder: Schreber j un.
9 . Folgen der abbildenden Blicke und die Wiederkehr der Bilder: Schreber jun.
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Blickwinkel den Vorgang von neuem
näre, um "Bilder"' , die , um gesprochen
werden zu können, einer im Verhältnis
erzeugen würde.
zu Meister E ckharts Entwurf gewan­
delten Form der Bildung bedürfen.
"Wahrheits kern "
Lächerlich wirkt nur der, der sich au­
Schreber (Vater) - Schreber (Sohn) Freud: Eine Interpretations­
gemeinschaft im Spiegelkabinett
ßerhalb der Spiegelungen wähnt. Insbe­
s ondere dann, wenn es sich dabei um
einen Psychoanalytiker handelt. Wenn
ein solcher behauptet, wie das der von
der psychoanalytischen Orthodoxie an­
Schreber jun. schreibt 1 903 : "Und so
glaube ich denn in der Annahme nicht
winken wird. Worin dieselb e b estehen
erkannte Schreberspezialist Niederland
tut, daß ihm folgendes gelungen sei :
" Schließlich - und das ist von größter
werde, darüb er wage ich keine b e ­
stimmte Voraussage. N u r als Möglich­
keiten, die hierbei in Betracht kämen,
Wahnsystem ( einschließlich der flo ­
zu irren, daß mir schließlich auch noch
Abb. 1 0 4
Abb. 107
eine ganz besondere P alme des Sieges
Bedeutung - wurde es möglich, die bi­
z arren
riden P hantasien, verzerrten Bilder,
erwähne ich . . . , daß an meinen Namen
eine B erühmtheit sich anknüpfte, die
halluzinatorischen Erlebnisse ) mit be­
s on deren Ereignissen i n der frühen
Tausenden von Menschen von ungleich
Vater- S ohn-B eziehung zu k orrelieren
und damit den Wahrheitskern(!J3 in den
größerer Begabung nicht zuteil gewor­
den ist'" ( Schreber, D . P. 1 903a, 3 0 1 f) .
p aranoiden Produktionen des Sohnes
Schreber sen . und Schreber j un. inter­
herauszuarbeiten'"
15).
pretieren s ich gegenseitig. Und Freud
interpretiert beide 1 . Und j eder spätere
Abb . 108
stellation und die vorangegangenen . In
diesem Spiegelkabinett2 von Interpretationen wird j eder Interpret empfäng­
heitskerne'" zu entdecken, als ob j emand
etwas Unwahres gesagt o der getan hätte
und das nun festzuhalten wäre; und als
lich für das, was das S chicksal D aniel
ob zu erweisen wäre , daß er dennoch
Paul S chrebers war, des Sohnes von
nicht ganz die Unwahrheit verbreitet
D aniel Gottlieb Moritz . Die Struktur der
aufeinanderfolgenden Interpretationen
.
hätte . Genausowenig kann es darum ge­
!
hen,
gen zu entlarven. Es geht um Differen­
zierungen, um Differenzen, die durch
Vereindeutigung verloren zu gehen dro­
die wiederum einen Spiegel enthält, der
aber nicht den ganzen Raum spiegelt
hen.
und erst recht nicht den, der den Spiegel
Wenn es stimmt, was der psycho­
analysierende P sychiater Ni e derlan d
_
in der Hand hält.
Selbst in der thematisch oberflächlich
harmlosen Version einer Sp iegelfoto­
den Vater S chreb ers als einen
schlechten oder gar schwarzen Pädago­
gleicht der des Fotos vom Foto im Spie­
gel und daraus eine D etailaufnahme,
Abb . 106
( Niederland 1 9 78,
E s geht mir nicht darum, " Wahr­
Interpret interpretiert wieder diese Kon­
Abb. 105
I deenbildung e n in S chrebers
Abb . 109
schreibt: " Geisteskranke Menschen sind
stets ' Fremde ' für ihre nicht in dieser
serie von Michals kommt der verwir­
rend einsperrende Charakter dieser Situation zum Tragen. Selbst in den Scherben geht das
Weise leidenden Mitmenschen gewesen'" (Niederland 1 978, 1 5 ) , dann ist diese Fremdheit
Spiegelbild nur aus der Persp ektive des Fotografen verloren. Wir wissen, daß ein anderer
nicht durch die Entdeckung von Wahrheitskernen aufhebbar , sondern aus der Analyse
dessen, was sie uns fremd macht, also im Diskurs des "Normalen'" selber muß ( zumindest
auch) nach dem gesucht werden, was die Reaktion "Fremdheit'" auslöst und was sie dort so
1 vgl. Kap . 1 0
2 Weitergehend Interessierten sei hier die nochmalige Lektüre des "Spiegelstadiums" (Lacan 1 949) em­
pfohlen, vgl. auch Kap . 5.
3 Hervorhebung von mir, KIP
174
1 75
9. Folgen der abbildenden Blicke und die Wiederkehr der Bilder: Schreher jun.
9. Folgen der abbildenden Blicke und die Wiederkehr der Bilder: Schreber jun.
Dieses Buch wurde vom Verlag in der unkorrigierten vorletzten Fassung publiziert
s o s chwer erträglich macht4 . - Also
nicht um die Entdeckung von "W ahr­
heitskernen" geht es hier, sondern da­
rum zu zeigen, daß sich in der norma­
len, auch wissenschaftlich elaborierten
wa 1 902, also noch während des Aufenthaltes Schrebers in der Nervenheilanstalt, eine 12j ährige Pflegetochter z u sich. D . P . Schreber kandidierte i m Alter von 42 Jahren ( 1 884) , er
war zu der Zeit Landgerichtsdirektor in Chemnitz, als Kandidat der National Liberalen
Partei für den Reichstag, der damals unter der Kanzlerschaft von Bismarck ganz von dessen
antiparlamentarischen Politik bestimmt wurde. Schreber erlitt eine vernichtende Niederla­
ge. Die Niederlage und die berufliche
Ub erforderung al s L andgerichts ­
Sprache etwas nicht abbilden läßt, was
dennoch zur Sprache kommen kann,
direktor waren im selben Jahr Anlaß
und als ein Spaltprodukt des wissen­
für den Ausbruch starker hyp o ­
chondrischer Beschwerden, über die
Schreber seit dem Selbstmord seines
schaftlichen Sprechens in Bildern zur
Sprache kommt.
Bruders klagte . Er b egab sich zum
erstenmal in stationäre Behandlung
Daniel Pani Schreber
Abb . 1 1 0
Abb . 1 0 4 - 1 1 0 : Fotoserie von Duane Michals: Alices
Mirror ( 1 974) - Diese Serie arbeitet mit keinerlei irrati­
onalen Mitteln . Es geht um Abbildtechnik, so wie sie
von Brunelleschi erfunden wurde. Und wir wissen, daß
der Brunelleschi dieser Fotos nur aufgrund geschickter
Aufnahmetechnik, eines besonderen Objektives ( ! ) nicht
selber auch immer im Bilde ist. Dennoch ist er - genau
wie wir selber - im Bilde.
in
Es bleibt nachzutragen:
die
P sychiatri sche
Univers it­
ätsklinik in Leip zig bei Prof. Flech­
Der Sohn Schrebers reagiert als Erwach­
sig. Dieser erste Aufenthalt dauerte
sener
ein halbes Jahr.
p aranoisch
und
s chreibt
die
1 893
wird Schreber
"Denkwürdigkeiten eines Nervenkran­
zum S enatspräsidenten am Oberlan­
ken " . Er präsentiert darin eine wahn­
desgericht in Dresden berufen. Sein
hafte Selbstreflexion, in der etwas zur
Zustand verschlechtert sich wieder .
Es kommt zum zweiten Klinikauf­
enthalt in verschie denen Anstalten .
Sprache kommt,
das nicht mehr in
strikter Form als ( Selbst- ) Zweifel eti­
kettiert ist, was b ei Descartes verschiedenen Sicherheitsoperationen zum Opfer fiel und
1 902
wird e r entlassen. D i e Diagnose
deshalb nicht ausgesprochen werden konnte . Schreber konnte sich dennoch erfolgreich
l autete
gegen seine Entmündigung verteidigen.
Daniel Paul Schreber wurde 1 842 als drittes Kind der Eheleute Daniel Gottlob Moritz und
P auline Schreber geboren. Ihm folgten noch zwei Geschwister. Der Bruder Gustav hatte
noides. Insbesondere auf diesen Zeit­
würdigkeiten " .
" nach dem Krankenblatt eine Paralyse und ist durch Selbstmord gestorben ( 1 877) " , die
Schwester Sidonie "war zuletzt ' geistig nicht mehr ganz auf der Höhe ' " ( B aumeyer, 1 973 ) .
Nach Entlassung war Schreber so­
weit wie der hergestellt, daß er sich
Unmittelbar nach dem Tod des älteren Bruders heiratet D . P . Schreber die fast
jüngere Sabine B ehr
( 1 878) .
15
D ementia
p ara­
raum beziehen sich Schrebers "Denk­
Jahre
Die Ehe blieb kinderlos, nach sechs Fehlgeburten nahm sie et-
diesmal :
Ahh . 1 1 1 : Rene Magritte: Verhotene Reproduktion ( 1 93 7 )
- Neuer Titel: " Wahrheitskern"
ein Haus baute und Sich mit Häuser­
verwaltung b eschäftigte . 1 907 stirbt
seine Mutter und seine Frau erleidet
einen S chlaganfall; einige Monate
4 Wir bewegen uns hier auf ein Charakteristikum psychoanalytischer Redeweise zu, die sie so schwer im
wissenschaftlichen Diskurs verortbar macht. Darauf komme ich noch zurück, möchte aber die gelungene
Formulierung Romanyshins hier schon vorwegnehmen: " O n one hand Freu d ' s psychoanalysis is a
continuation of that cultural dream called scientific psychology. Mter all, Freud hegan with his Project for
a Scientific Psychology. But this work was ahandoned and on that occasion in his life when he was
presented with a handsomely hound copy of it, after believing that he had destroyed all existing copies, he
fainted. Freud's own relation to science as a psychologist was ambiguous, or perhaps we should say here
ambivalent. In either case the Project was a failed success" ( Romanyshyn 1 982, 1 79 ) . Und dieses kurze
Statement geht dann so weiter, daß ich es, wenn es auch vorsichtig formuliert ist, wieder als einen Ver­
such der Vereindeutigung begreifen würde: "It was a failure in the sense of continuing the dream of
psychology as a science which was its intention. It was sucess in the sense that this failure lead to a
psychoanalytic psychology which moves in the realm of symbol rather than fact". Der Versuch der Ver­
eindeutigung liegt in der Gegenüberstellung von "fact" und "symbol", als sei letzteres kein "fact". Gerade
darin, daß es auch fact ist, scheint mir das " Scheitern" Freuds zu liegen.
später wird er zum dritten Mal in die Anstalt gebracht und stirbt dort
Erscheinens von Freuds Schrift über ihn.
Im Jahre
1 903
191 1,
im Jahr des
veröffentlicht Dr. j ur. D aniel P aul S chreber, Senatsp räsident beim
Königlichen Oberlandesgericht Dresden a.D . , seine Schrift "Denkwürdigkeiten eines Ner­
venkranken nebst Nachträgen und einem Anhang über die Frage: 'Unter welchen Voraus­
setzungen darf eine für geisteskrank erachtete Person gegen ihren Willen in der Heilanstalt
festgehalten werden ? ' . " Die Schrift erschien in nur einer Auflage und diese kam nur in we ­
nigen Exemplaren an die Öffentlickeit, da Mitglieder der Familie Schreber fast die gesamte
Auflage aufkauften5• D afür gibt es eine umso längere Reihe von Autoren, die sich mit dieser
Veröffentlichung beschäftigt haben 6 . Zunächst fast verschwiegen und verschollen, reißt die
Reihe der Veröffentlichungen und Verweise auf dieses Buch seit Freuds Schrift " Psycho­
analytische Bemerkungen über einen autobiographisch beschrieben en Fall von Paranoia
5 vgl. hierzu im einzelnen: Israels 1 989, 1 56.
6 siehe den Überblick bei HeiligenthallVolk 1973 und Israels 1 989, 240ff.
1 76
9. Folgen der abbildenden Blicke und die Wiederkehr der Bilder: Schreber jun.
9. Folgen der abbildenden Blicke und die Wiederkehr der Bilder: Schreber jun.
1 77
Dieses Buch wurde vom Verlag in der unkorrigierten vorletzten Fassung publiziert
(Dementia paranoides)'"' ( 1 9 1 1 ) nicht mehr ab, in denen er D . P. Schrebers "Denkwürdig­
keiten" untersucht. Lange Zeit waren die von Freud zitierten Passagen aus Schrebers Werk
die einzige Möglichkeit, Schreber im Original zu lesen7 . So wird ein fast verschollenes Werk
in ein anderes eingeschlossen und bewahrt, bis es selber wieder für sich reden kann.
" Denkwürdigkei ten "
Daniel Paul Schrebers Buch "Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken" liegen umfangrei­
che Aufzeichnungen über seine körperlichen und geistigen Zustände zugrunde, die er seit
den ersten untrüglichen Kennzeichen einer tiefen Lebenskrise lange Zeit fast täglich machte.
Wie er selber schreibt, habe er in den letzten drei Jahren seines zweiten Aufenthaltes in
einer psychiatrischen Klinik begonnen, diese zu einem Buch zusammenzufassen. Er be­
schreibt alle Details seines Zustandes, die ihm nur mitteilenswert erscheinen. Mit derselben
Genauigkeit führt er Grundrisse der einzelnen Häuser und Abteilungen bei, in denen er sich
aufgehalten hat. Und Niederland: "Es ist eine freimütige, wenn auch entstellte Geschichte
des verstörten Geistes eines Paranoikers mit den vielfältigen Symptomen, bedrängenden
Wahnideen, ängstigenden Empfindungen und anderen Leiden, von denen er gequält wur­
de" (Niederland 1 978, 1 2 ) . Alles klar? - Dagegen Schreber: "Ich bestreite nicht, daß mein
Nervensystem sich seit einer Reihe von Jahren in einer krankhaften Verfassung befindet.
Dagegen bestreite ich mit voller Entschiedenheit, geisteskrank zu sein oder j emals gewesen
zu sein. Mein Geist, d. h. das Funktionieren meiner Verstandeskräfte ist so klar und ge­
sund, wie nur bei irgendeinem Menschen der Fall ist" ( Schreber 1 903 a, 394 ) . Niederland
nennt Schreber nicht bei seinem Namen, sondern ruft ihn bei den Namen des psychiatri­
schen Lehrbuches, bei den Namen, die die symbolische Ordnung zur Verfügung hat. Schre­
ber hatte das vermutet: "Daß man dabei meinen Namen nicht nennt, scheint auf einer Ge­
flissentlichkeit zu beruhen, da man sich eben immer in der Illusion wiegt, es müsse doch
wohl nun endlich der Zeitpunkt gekommen sein, wo ich mir selber meiner Identität nicht
mehr bewußt sei" ( Schreber 1 903a, 297, Amn. 1 09 ) ) . Also wo der Zeitpunkt gekommen
ist, daß er zum reinen Fall wird und nur noch als nicht mehr zur vorgegebenen Ordnung
gehörig klassifiziert wird8 .
Im Vorwort zu den "Denkwürdigkeiten" schreibt Schreber, daß er an "eine Veröffentli­
chung dieser Arbeit . . . beim Beginn derselben noch nicht gedacht" hat. Aber er sei zu der
Meinung gelangt, " daß es für die Wissenschaft und für die Erkenntnis religiöser W ahrhei­
ten von Wert sein könnte, wenn noch bei meinen Lebzeiten irgendwelche Beobachtungen
von berufener Seite an meinem Körper und meinen persönlichen Schicksalen zu ermög­
lichen wären" (Schreber 1 903a, 6 1 ) .
Das, was als Paranoia bezeichnet wird, ist vermutlich der Zerfall von Subjektivität unter
den Vorzeichen ihrer extremen Steigerung. Die Steigerung bestand im Erreichen von Auto­
nomie gegenüber der eigenen inneren Natur, Beherrschung aller Arten von Sinnlichkeit,
Disziplinierung des Auges und Unterordnung der anderen Sinne darunter. Resultat ist eine
7 Schrebers Buch wurde zu einer Art Lehrbuch in der Psychiatrie ( Weber, 1 973 ) , er wurde zum "Fall"
"Walter Benjamin ( 1 972 ) zählte die 'Denkwürdigkeiten' zu den Büchern von Geisteskranken, die er
sammelte; Elias Canetti ( 1 960) widmete Schreber zwei Kapitel in 'Masse und Macht' , immer noch aber
als "Fall" , wenngleich diesmal kein rein psychologischer: als Muster des 'Machthabers ' . Und in Frank­
reich zählt heute ' Le President Schreber' zu j enem Kanon, welcher oft erwähnt, aber wenig gelesen
wird" ( Weber, 1 973 ) .
8 Der Titel des Standardwerkes von Niederland heißt "Der Fall Schreber" .
erhöhte Durchlässigkeit für das, was das Auge und das Ohr aufnehmen, da hierein alle
Sensibilität wandert. Der Widerstand anderer Erfahrung, nicht rationalisierter Erfahrung
und ihres öffentlichen Ausdrucks, wie sie bei Dürer und seinen Schülern noch gegeben war,
sozusagen als Standpunkt oder Sprungbrett, droht zu verschwinden. Die am Beispiel von
Leonardos "Abendmahl" beschriebene, zwischen verschiedenen Polen eingespannte und
labile Position des individualisierten Subjektes ist labiler geworden, weil das gesellschaft­
liche Referenzsystem sich geändert hat.
So kann Schreber schreiben: "Daß
selbst die Nerven eines blödsinnigen
Menschen, die einmal in einen Zu­
stand hochgradiger krankhafter Erre­
gung geraten sind, anziehend bleiben
würden - insofern sie natürlich im­
mer noch der Schmerz-, Wollust- ,
Hunger- , Frostgefühle usw. fähig
wären - wurde dabei wieder nicht be­
achtet (anziehend und gefährlich für
die Vernünftigen, KJP ) . Man häufte
also unausgesetzt, Tag für Tag un d
Stunde für Stunde, Leichengift oder
andere Fäulnisstoffe, deren Träger
die Strahlen waren, auf meinen Kör­
per in der Meinung, mich endlich da­
mit erdrücken und mich namentlich
des Verstandes berauben zu können
. . . Tatsächlich weiß man aber schon
seit Jahren in Ermangelung eigener
Ge danken im wesentlichen nichts
weiter zu sprechen, als von den ei ­
genen Wun dern, . . . Dazu hat man
noch die maßlose Unverschämtheit ich kann keinen anderen Ausdruck
dafür gebrauchen - mir zuzum uten
daß ich diesem gefälschten Blödsinn
gewissermaßen als meinen eigenen
Gedanken lauten Ausdruck geb en
Abb . 1 1 2 : Goya: Der Schlaf der Vernunft erzeugt Unge- soll9, . . . "" ( Schreber 1 903a, 1 7 1 f) .
�
heuer
Ergriffen von der Objektivität
Schreber wird zum eigenen Leidwesen zu einem der Selbstreflexion fähigen Photoapparat
und Tonaufzeichner. Ergriffen von der Objektivität. Sie ist drohend hinter ihm her un d in
ihm drin. Die Umgebung, Personen und Dinge und der eigene Körper werden zur Bedro­
hung, wenn sie in Bewegung geraten. Schreber muß sich an seinem Standpunkt festkrall en ,
d a es sonst nichts sicheres mehr gibt. Referenzpunkt sind dabei seine eigenen Gedan k en \ d i e
9 Das wi rd i n
der späteren
psychoanalytischen LiterR ' u r d a n n als narz i ßtischr:
Störung
besch r i eb ·' : !'
1 78
9. Folgen der abbildenden Blicke und die Wiederkehr der Bilder: Schreber jun.
9. Folgen der abbildenden Blicke und die Wiederkehr der Bilder: Schreber jun.
1 79
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eben als Gedanken wach gehalten werden müssen.
In Abwandlung einer Bildinschrift von Goya "Der Schlaf der Vernunft erzeugt Unge­
heuer"" ( Abb. 1 1 2 ) , schreiben D eleuze/Guattari: "Nicht der Schlaf der Vernunft erzeugt
Monster, sondern die aufmerksame nie schlafende Ratio"" ( 1 977, 1 44 ) .
Ein paranoischer Patient berichtete mir fortlaufend wie er einen Monat damit be­
schäftigt war, die Beziehungen zu allen Personen, die er kannte neu zu vermessen nach­
dem seine Mutter seinen Lieblingssessel verrückt hatte. Dabei mußte er jeden Ta; damit
.
.
begmnen,
alle btsher
rekonstruierten Beziehungen mehrfach zu memorieren. Er hatte
d�nn für die "Eingabe " einer neuen Beziehung etwa drei Minuten Telephongesprächszeit
etngeplant, weil die Namen nicht länger in seinem Kurzzeitgedächtnis bleiben könnten. Nur solange er denkt oder er die Namen aufgeschrieben sich morgens ins Gedächtnis zu­
rückholen konnte, existierten die Beziehungen.
Nacht im Bette liege, mir selbst und den Strahlen den Eindruck verschaffen, daß mein
Körper mit weiblichen Brüsten und weiblichem Geschlechtsteil ausgestattet sei. Das
Ze ichnen eines weiblichen Hinteren an meinen Körper - honny soit qui mal y pense - ist
. so zur Gewohnheit geworden, daß ich dies beim Bücken jedesmal fast unwillkürlich
mtr
tue. . . . Gerade so wie durch Strahlen namentlich in Träumen gewisse Bilder, die man zu
sehen wünscht, auf mein Nervensystem geworfen werden, bin ich umgekehrt in der Lage,
den Strahlen meinerseits Bilder vorzuführen, deren Eindruck ich diesen zu verschaffen
beabsichtige " (Schreber 1 903a, 252-254).
Beim Schreiben hat e r Haltung angenommen, ist wach und aufmerksam, mit sich selbst
identisch, sieht, " zeichnet"" Bilder wo und wann er will. Diese Bilder haben Film- und
Montagecharakter. Und das gelingt ihm aber nur, solange er der ist, der wach ist, Haltung
einnimmt, aufmerksam ist und die Realität durch ein " Gitternetz"" , durch ( s ) einen
Schleier, wie Alberti sagt, wahrnimmt. D abei produziert er den S chleier selber dauernd
Leiden am Verwandlungsschwund
Die Zerbrechlichkeit des Kontaktes zur Umwelt ist das Extrem einer Umsetzung von Au­
tonomie und Identität. Canetti schreibt im Zusammenhang über Schreber: "Der Paranoi­
ker leidet an einem Verwandlungsschwund, der von seiner Person ausgeht - sie ist in allem
das unveränderlichste - und von da aus die ganze Welt überzieht"" ( C anetti 1 980, 5 1 0f) .
"Verwandlungsschwund"" ist - so könnte man "übersetzen"" - eine nur noch in sich wan­
delnde Identität, die in der Selbstreflexion verbleibt, weil in anderen sich zu spiegeln, Auto­
nomie bedrohen würde.
neu. Das ist die Wachheit. So leidet er an Schlaflosigkeit. Und er hat sich selber im Blick
von der Position des Zeichners des Zeichners aus. Er nimmt die, spätestens seit Hegel, va­
kante Stelle Gottes wahr. D ie Geradhalter sind die Gedanken und das D enken selber , der
Denkzwang. D er Inhalt der Gedanken ist: " Ich denke"" . Aufrecht und wach, als Arbeitshal­
tung ist außer dem Stehen nur das Sitzen, aber das aufrechte Sitzen zugelassen. Das führt
zu einer Innervation der äußeren Muskulatur, führt zur Abgrenzung nach außen, zur Un­
terscheidung von Innen und Außen. Ein Liegender kann nicht p erspektivisch genau vi­
sieren. Brunelleschi stand. Hätte er liegen können, hätte er im Lotussitz sitzen können oder
auf den Fersen, hätte er knien können mit Blick gegen Himmel? Liegen können die Ob­
j ekte, z . B . Frauen.
Der erstarrte Zeichner
Schreber ist sozusagen der eingefrorene Zeichner auf Dürers Bild:
"Eine weitere interessante Erscheinung, die mit dem Strahlenverkehr, der Ursache des
De nkzwanges, zusam r:z enhä n.gt, ist das s�genannte 'Zeichnen ' . . . Wahrscheinlich weiß
. Mensch a ßer mtr und LSt es namentlLch
kem
auch der Wissenschaft unbekannt, daß der
�
Mensch alle Ermnerungen, die in seinem Gedächtnisse noch haften, vermöge der den Ner­
ven dav � n ver? lieber:en Ei,! dr� cke, �ewissermaßen wie Bilder in seinem Kopfe mit sich
herumtragt. Dtese BLlder SLnd tn metnem Falle, wo die Beleuchtung des inneren Nerven­
systems durch Str�hlen geliefert wird, einer willkürlichen Reproduktion fähig, in der eben
das Wesen des Zetchnens besteht. . . . Ich vermag von allen Erinnerungen aus meinem Le­
ben, von Personen, Tieren und Pflanzen, von sonstigen Natur- und Gebrauchsgegenstän­
den a �ler Art �urch lebhafte Vorstellung derselben Bilder zu schaffen mit der Wirkung,
.
daß dtes � lben �n me Lnem
Kopfe oder auch je nach meiner A bsicht außerhalb desselben,
.
.
sowohl fur metne etgenen Nerven, als für die mit denselben in Verbindung stehenden
Strahlen da, wo ich die betreffenden Dinge / wahrgenommen wissen will, sichtbar werden.
Ic� vermag d�s mit Wettererscheinungen und anderen Vorgängen zu tun; ich kann es bei­
sptelswets. e blLtzen oder regnen lassen - e�ne besonders wirksa ",:� Zeichnung, da alle Wet­
.
. der B.lLtz den Strahlen als Außerungen der göttlichen
tererschetnungen
und �amentlLch
Wundergewalt gelten; tch kann etwa etn Haus unterhalb der Fenster meiner Wohnung
brennen �assen �sw., alles natürl�ch nur in meiner Vorstellung, so jedoch, daß die Strahlen,
. es mtr schet t, �avon den Etndruck
wte
haben, als ob die betreffenden Gegenstände und
n.
.
Erschemungen
wtrklLch
vorhanden wären. Ich kann mich selbst an anderer Stelle als wo
i�h mich wirklic� befinde, z: B. etwa während ich am Klavier sitze, gleichzeitig als in weib­
lLchem A ufputz tm Nebenztmmer vor dem Sniegel
stehend 'zeichnen '"· ich kann was aus
r
den Ln
' /Gapo XlII angegebenen Gründen von großer Wichtigkeit für mich ist, wenn ich in der
Erziehungsoptimismus
Schreber schreibt · über " angewunderte "" schmerzhafte · Rückenschmerzen. Sein Rückgrat,
Metapher für Haltung, tut ihm weh . Er hat keinen Standpunkt mehr, den er längere Zeit
.
halten könnte:
·
"Der Zweck war, mir auch das Sitzen oder Liegen unmöglich zu machen. Üb erhaupt
wollte man mich in keiner Stellung oder bei keiner Beschäftigung lange dulden: Wenn ich
ging, suchte man mich zum Liegen zu zwingen, wenn ich lag, von dem Lager wieder aufzu­
j agen. Daß ein tatsächlich vorhandener Mensch doch irgendwo sein müsse, dafür schienen
die Strahlen kein Verständnis zu haben"" ( Schreber 1 903a, 1 95 ) . Zu dieser Stelle in Daniel
Paul Schrebers "Denkwürdigkeiten"" gibt es - wie zu noch zahlreichen anderen - eine Pa­
ralle stelle in Schreber sen. Schriften . So heißt es in der "Kallipädie "" ( 1 858 ) : Es sei darauf
zu achten, daß Kinder keine normwidrige Rückenform entwickeln. "Dies wird erreicht,
wenn wir streng darauf sehen, daß . . . Ruhen in dehnenden, sielenden Lagen aber nicht ge­
d�ldet wird, daß die Kinder in den Zeiten, wo sie munter sein sollen, keine unausgefüllten
Lucken haben und sich daran gewöhnen, in aller Beziehung sich straff und rührig zu hal ­
ten, daß überhaupt j ede Verführung zur Bequemlichkeit und Schlaffheit (so z. B. auch die
Sofas in den Kinderstuben ) von ihrem Kreise ferngehalten werden "" . D . P. Schreber be­
schreibt später die oben zitierten ihm "angewunderte"" schmerzhafte Rückenschmerzen. Da­
raus aber zu schließen, wie das beispielsweise Schatzmann ( 1 974 ) in seinem Buch über
S chreber nahelegt, daß das Verhalten und die Schriften des Vaters die Ursache seien für
den Wahn des Sohnes , greift bei weitem zu kurz und verharmlost. So verdreht das klingen
mag: Dahinter steckt ein E rziehungsoptimismus sondergleichen: So schreibt der Vater, ent­
sprechend hat er sich verhalten und ebenso ist es beim Sohn angekommen. - Es wäre in den
Augen mancher Pädagogen zu schön, um wahr zu sein ; denn dann würde d emokratisches
180
9. Folgen der abbildenden Blicke und die Wiederkehr der Bilder: Schreber jun.
9 . Folgen der abbildenden Blicke und die Wiederkehr der Bilder: Schreber jun.
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Verhalten in Familie un d Schule j a auch zu demokratisch denkenden und handelnden
Kindern führen ( müssen ) . - Entsprechungen dieser Art sind nicht zu leugnen in der Auf­
einanderfolge der Schriften von Vater und Sohn Schreber. Sie sagen aber wenig über eine
Ursache-Wirkungsb eziehung. Sie sagen etwas über einen generellen Zusammenhang über
Denkformen, Persönlichkeitsstrukturen, Verhaltensweisen, die erst einen solchen Transfer,
aber nicht nur diesen, ermöglichen. Nicht alle sind ja aufgrund sehr ähnlicher konkreter
Erziehungsrnaßnahmen in einem solch manifesten Sinn wahnsinnig geworden wie Schre­
ber jun. Die Möglichkeit eines solch direkten Transfers im Einzelfall wirft also ein Licht auf
die gesamte Struktur von Erziehung zu einer bestimmten Haltung, damit auch auf die
" normal" verlaufenden Prozesse.
Nichtsdenken hingeb e, oder, was dasselbe besagt, mit einer von der Tätigkeit des mensch ­
lichen Geistes zeugenden Beschäftigung, z . B . im Garten mit Schachspielen aufhöre, erhebt
sich sofort der Wind" ( Schreber 1 903a, 73f) .
D er " Wind" bringt die Einheit des Bewußtseins durcheinander und das " Ich- denke"
wird von diesem Wind über die verschiedenen Vorstellungen hinweggetrieben, ohne daß
das Bewußtsein noch festen Boden unter den Füßen hätte. Das transzendentale Subjekt - so
wie es Kant in der Kritik der reinen Vernunft bestimmt - kommt ins Schlingern, wenn die
Sinne ihre Arbeit der Zurichtung gemäß der Regeln ( des more geometrico) nicht exakt ver­
richten.
Die Regel besagt nach Kant Abzählbarkeit. "Und das ist tatsächlich die einzige Qualität,
innerhalb derer die Synthesis sich absolut sicher vergewissernd bewegt, die den rohen Stoff,
nachdem er eingewandert ist in diese Bewußtseinsbestimmung, entsprechend der Raum­
Die andere Seite des Gitternetzes
Da Schreber nicht weiß, wo er sich genau verorten soll, geht er auf die andere Seite des
Gitternetzes : Immer wieder durchzieht die "Denkwürdigkeiten" der Wunsch Schrebers eine
Frau zu sein 1 0 . D ies hält er für die Voraussetzung der Wiedergewinnung der verlorengegan­
gen Seligkeit. Als Weib gewinne er Einfluß, Anziehungskraft für Gott ( den Zeichner? ) .
Dann befände er sich i m Zustand "beständigen Genießens" ( Schreber 1 903a, 293 ) , den
Gott verlange .
und Zeitstelle ( und das sind ja diese in die Physik übertragenen Achsenkreuze der analy­
tischen Geometrie) eindeutig bestimmt durch einen Punkt in dem Nacheinander der Zeit,
durch einen Punkt in dem Nebeneinander im Raum; und das ist der Prototyp der Arbeit,
der den rohen Stoff - der hier mit Wahnsinn und Dissoziation droht - zu dem Produkt von
Erkenntnis verarbeitet" (Heinrich 1 986, 23 8) 1 1 .
Ex negativo wird deutlich wie anfällig das Instrument " Zentralperspektive" ist, welche
Gespenster drohen, wenn das Instrument beschädigt ist. Nach einer Beschädigung sind die
bisherigen Aufzeichnungen nicht mehr korrekt lesbar. Um eine Stelle verschoben entsteht
Imago Dei
ein anderer Text. D iese Gefährdung wächst mit der festen Implementierung dieser sym ­
bolischen Form der WeItsicht, weil die Quantität und Qualität der ausgeschlossenen Bilder
wächst. Hier kommt die Rede von der Bilderflut her, die Angst vor den Bildern.
Nach Canettis Vermutung leidet Schreber an "Verwandlungsschwund". An einer zu stark
ausgebildeten Identität, formuliere ich nun.
Er kann sich nicht wandeln, hat in sich keine Differenz , b zw. wenn solche auftauchen,
führen sie zu quälenden Krisen . Wenn die Wachheit der Sinne, des Auges nachläßt, denn
dieser Sinn ist ja der am dichtesten abgeschlossene während des Schlafs, wirbeln die Ge­
danken durcheinander, lassen sich nicht mehr von einem Zentrum aus denken, sind auf
einmal auch außerhalb des Körpers wieder tätig oder auch nicht mehr, was aber auch ka­
tastrophale Folgen hat: " . . . das natürliche Recht des Menschen, seinen Verstandesnerven
von Zeit zu Zeit durch Nichtdenken . . . die erforderliche Ruhe zu gönnen, wurde mir von
Anfang an, durch die mit mir verkehrenden Strahlen verwehrt, die fortwährend zu wissen
begehren, woran ich denke" ( S chreber 1 903a, 1 0 4 ) .
E inschub : Die Vorrede zur ersten A uflage der "Kritik der reinen Vernunft beginnt so:
"Die menschliche Vernunft hat das besondere Schicksal in einer Gattung ihrer Erkennt­
nisse: daß sie durch Fragen belästigt wird, die sie nicht abweisen kann, denn sie sind ihr
durch die Natur der Vernunft selbst aufgegeben, die sie aber auch nicht b eantworten
kann, denn sie übersteigen alles Vermögen der menschlichen Vernunft" (Kant 1 781, A VII).
Die Verrückung
Kant schreibt zwanzig Jahre vor der Abfasung der Kritik der reinen Vernunft über das
Übel der Verrückung: "Die Seele eines jeden Menschen ist, selbst in dem gesundesten Zu­
stande geschäftig, allerlei Bilder von Dingen, die nicht gegenwärtig � ein, zu malen, oder
.
auch an der Vorstellung gegenwärtiger Dinge einige unvollkommene Ahnlichkeiten zu voll­
enden, . . . Man hat gar nicht Ursache zu glauben: daß in dem Zustande des Wachens un­
ser Geist hiebei andere Gesetze befolge als im Schlafe, es ist vielmehr zu vermuten, daß
nur die lebhaften sinnlichen Eindrücke in dem ersten Falle die zärtere Bilder der Chi­
mären verdunkeln . . . Man setze nun, daß gewisse Chimären, durch welche Ursache es
auch sei, gleichsam eine oder andere Organe des Gehirn verletzt hätten, dermaßen, daß
der Eindruck auf dieselben eben so tief und zugleich ebenso richtig geworden wäre, als ihn
eine sinnliche Empfindung nur machen kann, so wird dieses Hirngespinst selbst im
Wachen bei guter gesunder Vernunft dennoch für eine wirkliche Erfahrung gehalten wer­
den müssen ". Dagegen könne kein Vernunftschluß an, die Vernunft könne sogar diese ein-
Wenn Schreber aufhört zu denken, glaubt Gott sich von ihm als einer " vermeintlich blöd­
sinnigen Person" zurückziehen zu können ( Schreber 1 903a , 72 ) . " . . . unter den j etzt einge­
tretenen weltordnungswidrigen Umständen ( Schreber ist krank und von der Entmündi­
gung bedroht; er meint aber wohl auch die historische Situation insgesamt, KJP ) hat sich
das Verhältnis, um dies gleich im voraus zu erwähnen, dahin verschoben, daß das Wetter
in gewissem Maß e von
meinem
1 0 vgl. insbesondere Kap. XXI.
Tun und D enken abhängig ist; s ob ald ich mich dem
1 1 Zu Kants Stellvertretung der transzendentalen Apperzeption auf der Ebene des Bewußtseins, dem "Ich
denke, das alle meine Vorstellungen müsse begleiten können", sagt Heinrich vor der oben zitierten Stelle,
es realisiere sich im Akt des addierenden Abzählens . " Wenn ich etwas festmache zur Rekognition, also
zum Wiedererkennen im Begriff, und zwar zum identischen Wiedererkennen - das , was ich eben
dachte, muß noch dasselbe sein wie das, was ich jetzt denke -, dann dadurch, daß ich es mir als eben
dieses von eben dem neben ihm Liegenden - so wie im Fadenkreuz, in diesem Balkenkreuz der analyti­
schen geometrie vorgebildet - als Gesondertes deutlich machen können muß , muß ich zu allem immer
das sagen, was der Mechanismus ist, durch den ich auf eine bestimmte Zahl, durch die ich etwas bestim­
men kann, gelange - nämlich: eins, eins, eins, eins, e i ns" (Heinrich 1 986, 236 ) .
1 82
9. Folgen der abbildenden Blicke und die Wiederkehr der Bilder: Schreber jun.
9 . Folgen der abbildenden Blicke und die Wiederkehr der Bilder: Schreber jun.
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Dieses Buch wurde vom Verlag in der unkorrigierten vorletzten Fassung publiziert
g� bildete Erfahrung absichern. "Diese Eigenschaft des Gestörten, nach welcher er ohne
elnen b esonde�en m �rklichen Grad einer heftigen Krankheit im wachenden Zustand ge­
. gewlsse Dmge als klar empfunden sich vorzustellen, von denen gleichwohl nicht
wohnt lSt,
gegenwärtig ist, heißt die Verrückung" (Kant 1 764, A 22f).
Identität als Gefahr
Identität als Ziel kann also geradezu zur Gefahr für das Individuum werden, wenn Stö­
runge ? solch d�� orientierende Folgen haben. Aber nicht nur die Störungen haben unter
.
Umstanden
Gefahrdungen zur Folge, sondern ebenso die Verteidigung von Identität. Sie
kann zum Ausschluß und tendenziell zur Vernichtung des ihr Fremden führen. Das kann
gege��ä�ig auf der Ebene vermeintlicher kultureller Identität, die j a Teilaspekt personaler
. 1st, beobachtet werden: Rassismen nehmen zu. - Meines Erachtens braucht es zu­
IdentItat
mindest nebe ? ,, � denti� ät" �ls Ziel für Persönlickeitsentwicklung anderer symbolischer
Formen, damIt diese SIch nIcht als die allein Sicherheit verbürgende durchsetzen muß.
� l �.iben wir im Bild des Gitternetzes oder des Koordiantensystem, dann entspricht der Iden­
tItat der Augenpunkt oder der Nullpunkt, beides ausdehnungslose, flächenlose, qualitäts­
lose Punkte. Au� diese .�uß j � der � dere Punkt, j eder Umriß, jeder Gegenstand bezogen
werden. Dazu wI� d z�nachst eIne DIfferenz gesetzt, die aber gleich wieder eingezogen wird:
Denn entweder läßt SIch der andere Punkt oder Gegenstand als eine Projektion vom Null­
/Augenpu�kt bestimmen, also auf diesen zurückrechnen, oder nicht. Dann liegt ein Fehler
vor oder dieser Gegenstand gehört nicht zum Definitionsbereich.
Schrebers Sich� auf �e y;elt �erfängt sich in den Verrechnungen der einzelnen Bezüge zu
.
.
SIch selbst. Er dImenSIOniert dIe AUSWIrkungen seiner Bewegungen anders als "normal" .
Er kann nicht klar und deutlich unterscheiden, ob er noch die unterschiedlichen Distanzen
der Objekte zur "wahren" Größe verrechnen muß, oder, ob sie ihm schon in der richtigen
Weise erscheinen. Er befindet sich in einer Ambivalenz zwischen einer vorperspektivischen
.
�nd eIner perspektivischen Sichtweise, wie jemand, der die perspektivische Sichtweise für
Immer schon gegeben hält, und nicht weiß, daß bei einem griechischen Bildfries das Hö­
hergestellte größer gebildet wird als das Tiefergestellte, damit eben - wie Klaus Heinrich
ausführt ( 1 986, 192) - "gerade nicht die Perspektive zum 'Tragen' kommt, die wir als Ga­
rantie der Richtigkeit der Größenordnung nehmen". Ein solcher hielte wahrscheinlich die
Höher� estellten f�r g:ößer, " weil wir, spätestens seit Alberti, so zu sehen gewohnt sind,
.
daß WIr sagen: WIr bIlden mIt unse �e� disegno den naturwissenschaftlichen Sehvorgang
. .
.
nach, der zu gleIcher ZeIt eIn zentr� Isierender Beherrschungsvorgang ist - alles wird ange­
.
ordnet um eIne Zentralsonne, und dIese Zentralsonne wird noch einmal repräsentiert durch
das zentralisierende Auge" (Heinrich 1 986, 1 92 ) .
Sch�eber fin�et an der "gleich�n " Stelle zu folgender Formulierung, die eine Kompilation
.
aus mIttelalterlIchem und neuzeItlIchem Denken ist:
.." �er�öge des von der Sonne und den übrigen Gestirnen ausgehenden Lichtes hat Gott die
FähIgkeIt, alles, was auf der E :de (und etwaigen anderen bewohnten Planeten) vorgeht,
.
wahrzunehmen, der Mensch wurde
sagen zu sehen; insofern kann man bildlich von der
Sonn� u� d de� Ste :nenlicht� als dem Auge Gottes reden" ( Schreber 1 9 03a, 74) - Boehm
.
� chreibt . uber dIe mIttelalterlIche Metaphysik des Lichtes und des Sehens (veranschaulicht
In der FIgura paradigmatica) : "Im Licht gießen sich die Formkräfte der himmlischen Kör­
pe r in die Hierarchie der Dinge aus . Indem es so an seinem Ursprung bleibt, aber als Ver­
.
mittlungskraft sich zugleich in die Ausdehnung der Körper erstreckt, wird es zum Strahl'
auch darin Abbild des göttlichen Lichtes, das sich ausstrahlt" (Boehm 1 969, 1 47 ) .
Ausschließende Unterscheidung
Die ausschließende Unterscheidung ist Zentralfigur des rationalen Denkens (Tertium
non datur) . Resultat ist die immer wieder neue Vereinheitlichung: hier das eine, da das an­
dere, das nicht dazugehört. Unmöglich soll der "Rückfall" in die Bilderwelt werden. Wenn
aber dieser Rückfall selber so nah an der "Realität" ist, daß den vom Rückfall Gefährdeten
die Unterscheidung zu schwer fällt, tritt die Differenzierung von gesund und krank, normal
u�d anomal, gut und schlecht, eindeutig und beliebig mit aller Kraft auf. Danach e�folgt
dIe entsprechende Sonderbehandlung. Der Leser möge die Sensibiltät Schrebers für Uber­
gänge zwischen normal und anomal an folgenden Beispielen aus den "Nachträgen" zu den
"Denkwürdigkeiten" beachten:
" Unter Halluzinationen werden meines Wissens Nervenreize verstanden, vermöge deren
der denselben ausgesetzte, in krankhafter Nervenverfassung befindliche Mensch die Ein­
d:ücke von irgendwelchen in der Außenwelt sich abspielenden, sonst namentlich dem Ge­
slchts- und Gehörssinn zugänglichen Vorgängen zu haben glaubt, die in Wirklichkeit nicht
vorhanden sind. Die Wissenschaft scheint nach demjenigen, was ich darüber z. B. bei
Kräpelin, Psychiatrie, Bd. I, Seite 1 02 ff. der 6. Auflage lese, für alle Halluzinationen die
Existenz eines realen Hintergrundes zu verneinen. Dies ist nach meinem Dafürhalten min­
. solcher Allgemeinheit entschieden unrichtig. . .. Damit ist aber meines Erachtens
destens ln
k�ineswegs gesagt, daß die aus der krankhaften Beschaffenheit des Nervensystems resul­
tierenden Vorgänge überhaupt der objektiven Realität entbehren, d. h. als Nervenreize an­
z�sehen seien, denen jede äußere Ursache fehle. Eben deshalb mag ich durchaus nicht in
dle Verwunderung einzustimmen, die Kräpelin an verschiedenen Stellen seines Werkes (z.
l!' Bd. :, S. 1 12, 1 1 6, 162ff. der 6. Auflage) darüber ausspricht, daß die 'Stimmen ' usw.
.
uber dze Stlmmenund, Gehörshalluzinationen meist eine viel höhere überzeugende Ge­
walt beha�p �en, als 'al�es Reden der Umg� bung'. Der Mensch mit gesunden Nerven ist
.
.
e?en d�mje,!: lgen gege'}-uber,
der mfolge
selner krankhaften Nervenverfassung ü bersinn­
hche Elndrucke empfangt, sozusagen geistig blind; er wird daher den Visionär ebenso­
wenig von der Unwirklichkeit der Visionen überzeugen können, wie etwa der körperlich se­
hende flr!ensch vom dem (körperlich) Blinden sich einreden läßt, daß es keine Farben gebe,
Blau nlcht Blau, Rot nicht Rot sei usw. Dies vorausgeschickt, teile ich über die Natur der
mit mir redenden Stimmen und die mir zuteil werdenden Visionen das Folgende mit "
(Schreber 1 903a, 314/315).
Gegen die von Schreber so genannte "geistige Blindheit" des Menschen mit gesunden Ner­
ven versucht Freud eine Methode des Hörbarmachens zu erfinden die surrealistischen
Maler eine des Sichtbarrnachens - Einbildungskraft. Schreber definie� diese so: " . . . Einbil­
dungskraft (Phantasie von cpatVoJlat), das deutsche Wort läßt den Begriff des 'etwas in den
�opf ode� das menschliche Bewußtsein .!Jineinbildens ', was außerhalb nicht vorhanden
�st: de� tlz�h e�kennen, daher auch als Außerung einer krankhaften Einbildungskraft das
.
Szchelnbzlden (Vorgaukeln) von Dmgen
(Hoffnungen usw.), die sich nicht verwirklichen
lassen, als Motiven eines unzweckmäßigen, verkehrten Handeins " (1903a, 253, Anm. 98).
Verkehrtes Handeln, Versprecher, Fehlleistungen - Sie könnten Motive für ästhetische
Erziehung sein. Sie könnten es aber nur werden, wenn über die Risiken für die Menschen
"gesunden" Verstandes Klarheit besteht. Darüber ist in Freuds Schreberauslegung nachzu­
lesen 1 2 . Denn Auslegen heißt nicht, daß es wieder zusammengeht13 . Was in den als Wahn
12
vgl. Kap. 1 0
1 84
9. Folgen der abbildenden Blicke und die Wiederkehr der Bilder: Schreber jun.
9. Folgen der abbildenden Blicke und die Wiederkehr der Bilder: Schreber jun.
185
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etikettierten Bildern, solange sie als Wahn definiert sind, festgehalten wird, wird beim
Auslegen flüchtig und ergreift die Subjekte. Definiertes Auslegen, definierte Auslegungsver­
fahren umgehen das Risiko. Ist das dann noch Bildung?
Zentralperspektive als Qual im Wahn
'
Es folgen in Schrebers "Denkwürdigkeiten" Notizen
über Dauer, Inhalte, Tempi und stilistische Eigenschaf­
ten der Stimmen. Er berichtet weiter - und damit kom­
me ich zur " Zentralperspektive" zurück:
"Ich sehe mit
meinem geistigen Auge die Strahlen, die zur gleicher
Zeit Träger der Stimmen und des auf meinen Körper
abzuladenden Leichengiftes sind, als langezogene Fä­
den von irgendwelchen, über alle Maßen entlegenen
Orten am Horizonte nach meinem Kopfe herüberkom­
men. - Sie werden nur meinem geistigen Auge sichtbar,
wenn mir die A ugen infolge von Wundern geschlossen
werden oder wenn ich die Augen freiwillig schließe, d. h.
sie spiegeln sich dann in der angegebenen Gestalt als
lange nach meinem Kopf züngelnde Fäden auf meinem
Abb . 1 1 3 : Stich zur Erklärung der inneren Nervensysteme. Ich nehme dieselbe Erschei­
perspektivischen Methode aus dem nung in entsprechender Weise mit meinem körperlichen
Iahre 1 71 3
A uge wahr, wenn ich die Augen offenhalte, d. h. ich
sehe dazu jene Fäden gleichsam von irgendeiner oder
mehreren Stellen weit jenseits des Horizontes bald nach meinem Kopfe zustreben, bald
sich wieder von demselben zurückziehen. Jedes Zurückziehen ist mit einer deutlich fühl­
baren, zuweilen recht intensiven SchmerzempJindung in meinem Kopfe verbunden. Die in
meinen Kopf hineingezogenen Fäden - zu ­
gleich die Träger der Stimmen - beschreiben
dann in meinem Kopfe eine kreisende Bewe­
gung, die ich am ehesten damit vergleichen
kann, als ob mein Kopf von innen heraus mit
einem Schleifb ohrer ausgehöhlt werden
sollte. " (Schreber 1903a, 319)
Schreber fühlt während seines Aufenthaltes
in der Klinik immer wieder seinen Verstand
bedroht durch Strahlen, die sich gegen sei­
nen Kopf und sein Rückenmark richten, " daß
durch alle diese Vorgänge sehr unangeneh­
Abb . 1 1 4 : Albrecht Dürer: Zeichner, eine Laute me Empfindungen entstehen müssen, wird
man sich vorstellen können, wenn man bez eichnend ( 1 525)
denkt, daß es die - an ihrem A usgangs­
punkte irgendwie mechanisch befestigten - Strahlen einer ganzen Welt sind, die an einem
einzigen Kopfe herumziehen und denselben in der Art etwa, wie es beim Vierteilen ge­
schieht, auseinanderzuzerren oder zu zersprengen streben . . . Eine fast ununterbrochene
Zielscheibe von Wundern bilden namentlich
meine A ugen und die zur Öffnung und
Schließung derselben dienenden Lidermus­
keln. Die Augen waren von jeher sehr wich­
tig, weil Strahlen, die an sich mit zerstören­
der Wirkung ausgestattet sind, ihre Schärfe
nach verhältnismäßig kurzer Zeit verlieren,
sobald sie etwas sehen und dann unschäd­
lich in meinem Körper eingehen. Der Gegen­
stand des Sehens können entweder Gesichts­
(A ugen-) eindrücke sein, die die Strahlen,
wenn meine Augen geöffnet sind, durch Ver­
Abb . 1 15 : Darstellung der Methode der Astrono- mittlung derselben empfangen, teils Bilder,
men und Geodäten aus dem 1 5 . Ih.
die ich auif meinem inneren Nervensystem
durch Gebrauch der menschlichen Einbil-dungskraJt willkürlich
hervorzurufen vermag, . . . <Dazu heißt es noch in der Anmer­
kung:> Mit dem leiblichen Auge kann man natürlich nicht se­
hen, was im Inneren des eigenen Körpers und an gewissen Tei­
len der Außenfläche, z. B. auf dem Kopfe oder auf dem Rücken
vorgeht, wohl aber mit dem geistigen Auge, sofern - wie bei mir
- die hierzu erforderliche Beleuchtung des inneren Nervensy­
stems durch Strahlen geliefert wird" (Schreber 1903a, 1 92j).
Der Obj ektivierungszwang, wie er in einem weiter, fast selbst­
gängig arbeitenden Rationalismus entsteht und sich nach innen
Abb . 116: Descartes: "Das
Sehen" aus: D;l')ptrique
richtet, überspringt in der Psychose, einer verlorengegangenen
Abgrenzung von Innen und Außen, die Grenzen konventioneller
Wahrnehmbarkeit.
Perspektive, Tod, Supervision
D eshalb kann es keine ausschließlich am naturwissenschaftlichen Paradigma orientier­
ten Wissenschaft gelingen, einen Zugang zur von der Normalität abgespaltenen Bilderwelt
zu gelangen oder gar die Angst davor zu nehmen. So findet auch Schrebers behandelnder
Arzt keinen verläßlichen Zugang zu Schreber: Er verlegt sich ganz auf die Anatomie und
Physiologie , unterwirft das Innere den perspektivischen Beob achtungsmethoden und
konnte das zu seiner Zeit nur nach dem Tode des Paranoikers.
Mußte Schreber nicht zurecht eine gewisse Angst vor dem Begehren dieses Mannes haben.
Heute kann der Blickapparat weitersehen auch am Lebenden.
Pädagogik kann dieser Entwicklung nur mit Verzögerung folgen: Die systematische Be­
obachtung der Körpersprache und die Zurechnung von Bedeutung hat in der Lehrerausbil­
dung Platz gefunden (vgl. Pazzini 1 985 ) . Videogeräte können leicht hierzu gebraucht wer­
den, müssen es freilich nicht. Video, eingesetzt zur Kontrolle und Perfektionierung z . B . von
Körpersprache, wird zum konsequent weiterentwickelten Geradhalter auf der Basis des re­
gierenden Blicks. Dabei muß "Gerad( e) -" ja beileibe nicht "kerzengerade" heißen. Gerade
eine gewisse Lockerheit ist angesagt und zum Gütekriterium geworden.
Lockerheit schafft Transparenz, Transparenz ist die Vorbedingung von Kontrolle, Kon­
trollmöglichkeiten scheinen Sicherheit zu verbürgen. Supervision wird zum Bestandteil von
1 3 Diesen Aspekt möchte ich zum Auslegungsbegriff, wie ihn Otto/Otto ( 1 987, 22ff) umschreiben und
den ich hier verwende, hinzufügen.
pädagogischer Praxis. Ich möchte zur Sensibilität gegenüber Metaphern des S ehens , dem
Blick beitragen:
186
9 . Folgen der abbildenden Blicke und die Wiederkehr der Bilder: Schreber jun.
9. Folgen der abbildenden Blicke und die Wiederkehr der Bilder: Schreber j un.
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Ahb. 1 1 7 : Paul Emil Flechsig ( 1 847 - 1 929)
Schrebers Supervisor ist Gott/Flechsig1 4 • Berührungspunkte mit der naturwissenschaft­
lichen Wissens- und Denkform, die am Paradigma des Sehens orientiert ist, finden sich
auch in Schrebers Gottesvorstellung, wie er sie im ersten Kapitel seines Buches angedeutet,
hat:
"Eine Allwissenheit und Allgegenwart Gottes in dem Sinne, daß Gott beständig in das In­
nere jedes einzelnen lebenden Menschen hereinsah, jede Gefühlsregung seiner Nerven
wahrnahm, also in jedem gegebenen Zeitpunkte 'Herz und Nieren prüfte ', gab es aller­
dings nicht. Allein dessen bedurfte es auch nicht, weil nach dem Tode die Nerven der
Menschen mit allen Eindrücken, die sie während des Lebens empfangen hatten, offen vor
Gottes A uge dalagen und danach das Urteil über ihre Würdigkeit zur A ufnahme in das
Himmelreich mit unfehlbarer Gerechtigkeit erfolgen konnte. Im übrigen genügte die Mög­
lichkeit, sobald irgendein Anlaß dazu gegeben schien, sich im Wege des Nervenanhangs
Kenntnis von dem Innern eines Menschen zu verschaffen " (Schreber 1 903a, 82) . Für den
Neologismus "Nervenanhang" ist dabei der behandelnde Psychiater Prof. Flechsig einzu­
setzen 15.
Den Standpunkt hatte Schreber verloren. Des öfteren - wie er berichtet - zog sich das Blut
14 d. i. Schrebers Psychiater
15 Über die Sichtweise Flechsigs und deren wissenschaftliche Ergebnisse geben dessen Publikationen, die
Schreber sicherlich gekannt hat, Auskunft. Die Erkenntnisse sind fast ausschließlich aus der Anatomie
(oder der Chirugie) gewonnen. Vgl. Flechsig 1 876, 1 896 und 1 920. ( "Im Aufbau unseres Geistes, in den
grossen beharrenden Zügen seiner Gliederung spiegelt sich klar und deutlich (clare et distincte, KJP) die
Architektur ( siehe Brunelleschi, KJP) unseres Gehirns wieder: . . . " ( 1 89 6 ) . Das der erste Satz der
Publikation) .
aus seinen Extremitäten zurück und sein Kopf litt unter Hitzewundern. Um dem abzu­
helfen und die die Hitze hervorrufenden Strahlen vom Kopf abzuwenden, hielt er die Füße
zum Fenster hinaus (vgl. Schreber 1903a, 205 ) . Er blickt nicht mehr aufrecht stehend aus
dem Fenster durch einen Rahmen auf die Welt. Er ist schon fast tot - im S inne der nor­
malen Ordnung. Denn Tote werden mit den Füßen voran aus dem Zimmer getragen16,
wenn es auch hier ein Fenster ist, das Fenster, das für den körperlichen Austausch mit der
\Velt nicht so geeignet ist wie die Tür. Aber Schrebers Körper ist ja fast nur noch Nerven.
Als die perspektivische Sicht auf die Welt noch in Ordnung war, stellte sich das anders
dar. In der A usdrucksweise Schrebers: "Solange noch annähernd weltordnungsmäßige
�ustände herrschten, d. h. vor dem Anbinden an Strahlen und an Erden (. . .) genügte jede
Ubereinstimmung der Empfindung in einem einzigen Gesicht (Augenblick), um ein Herab ­
springen der frei am Himmel hängenden Seelen in meinen Mund z u veranlassen und
damit ihrer selbständigen Existenz ein Ende zu bereiten (. ..) " (D.P. Schreber 1 903a, 242).
Nerv, eine C hiffre
für die Verbindung
von Innen und Au­
ß e n , von innerer
und äußerer Natur.
Erst wenn dieser
Austausch im Rah­
m en einer festste­
henden Ordnung im
wesentlichen funk­
tioniert, kann über­
haupt Identität aus­
g eb ildet werde n .
Gott ist nach Schre­
ber selber Nerv und
nicht mehr der ,un­
umstößliche Fix­
punkt von E rfah­
rung. Als Nerv ist er
selber auf Austausch
angewiesen, das gilt
für den Pädagogen
wie für den Psycho­
analytiker.
Abb . 1 1 8 : Freudenblick deß Ewigen Lebens/ in Acht Montagspredigten ge­
Unter diesen geän­
zeiget/ von Johann Michael Dilherrn/Predigern Bei S. Sebald/ und Professorn, derten Voraus set­
in Nürnberg
zungen kann Schre­
her auch nicht mehr sprechen, in der Sprache Sicherheit und Abgrenzung finden. Er wird
gesprochen, bzw. geschrieben, wie S. Weber ( 1 973, 42) schreibt.
Solange ein Fixpunkt existierte, eine irgendwie geartete sichere Ordnung, ein Bezugs­
punkt, bestand die Hoffnung, daß die Reizung der Nerven, die Lust, sich um einen Kern
herum anlagere, den man auch Identität nennen könnte.
1 6 So ist z . B. bis heute im Lippischen das Verbot erhalten, nicht mit den Füßen zum Fenster hin zu
schlafen, wie mir eine Ureinwohnerin mitteilte.
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9 . Folgen der abbildenden Blicke und die Wiederkehr der Bilder: Schreber jun.
9. Folgen der abbildenden Blicke und die Wiederkehr der Bilder: Schreber jun.
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Gefahr durch Bilder
Gegenwärtig weiß man sich oft noch nicht anders zu helfen, als die im Wahn auftau­
chenden Bilder wieder stillzulegen, Nervenschaltungen zu behindern, um den perspekti­
vischen Blick wieder ins Lot zu rücken. Denn die Bilder jenseits des perspektivischen Blicks
sind alles andere als harmlos, sie greifen Raum und Zeit, dringen in die Wirklichkeit ein.
Dort werden sie nicht wiedererkannt, weil diese eine andere Sprache sprechen. Die Realität
spricht die Hochsprache der "Zentralperspektive" ; sie hat zuviele Ecken und Kanten, an
denen sich Wahnsinnige stoßen, oder die in ihrer Empfindlichkeit, besonderen Form von
Differenziertheit von Bildererlebenden zerstört werden könnten. Anderen könnte das die
Orientierung rauben.
In härteren Fällen wird dieses Raum- und Zeitgreifen der anderen Bilder von und in Re­
alität durch einfache Mittel unterbunden: Anschnallen und Einsperren, zum Schutz beider
Seiten. D amit bringt sich die Gesellschaft allerdings um diese Bilder, die so verrückt nicht
sind, wie wir aus sicherem Abstand bei Schreber sehen konnten. Die Veröffentlichung
dieser Bilder muß durch aufwendige Techniken unterbunden und ersetzt werden. Außer­
halb des Körpers werden Laboratorien, pharmakologische Fabriken aufgebaut, die die
Stoffe produzieren und simulieren, die vom Körper selber nicht in ausreichendem Maße
produziert werden, um Haltung bewahren zu können. Prothesen. Diese halten - und das ist
ihr unübersehbarer Vorteil - die Illusion eines Ursache- Wirkungs-Schemas aufrecht: Das
Psychopharmakon ist die Ursache, das Ausbleiben der Stimmen und des unverständigen
Redens die Wirkung; das Lehren der perspektivischen Abbildung ist die Ursache, das Zu­
rechtfinden in der Alltagsrealität die Wirkung; das methodisch abgesicherte Forschen und
dessen Wiederholbarkeit die Ursache, der abfragbare und sich in Produktionssteigerung
ummünzende Wissenszuwachs die Wirkung.
Das Rätsel der Wiederholung war für Freud ein Anlaß zur Formulierung der Todestrieb­
hypothese.
Schizophrenics Anonymous
Calasso, Autor einer fiktiven Erzählung läßt in seiner Geschichte den Senatspräsidenten
Schreber weiterleben über 1 9 1 1 hinaus. Das liest sich am Ende so:
" Gegen Ende des Jahres 1 964 befand sich der Präsident Schreber ein weiteres Mal in
A merika. Dort erfuhr er, wiederum durch seine psychiatrische Lektüre, daß eine Gruppe
von Schizophrenen vor kurzem eine Art Klub gegründet hatte: Schizophrenics Anonymous.
Neugierig geworden, dachte er sofort, daß er hier vielleicht fiinde, wonach er bisher immer
vergeblich gesucht hatte: einen Ort, wo er in Ruhe sprechen könnte, ohne Furcht vor
Repressalien, mit Personen, die ihm fernstehen und ihm doch ähnlich sind, ein wenig wie
er es kannte aus dem alten Klub der sächsischen Richter. Nach einigem Suchen fand er
die A dresse der Vereinigung heraus: Schizophrenics Anonymous International, Box 913,
Saskatoon, Saskatchewan, Canada. Ein paar Tage später stellte er sich vor: anfangs
fürchtete er, die anderen Mitglieder zu überfahren, wenn er ihnen all die Dinge erzählen
würde, die er auf dem Herzen hatte - und über die er schon lange kein Wort verlor. Das
Gegenteil trat ein: die Mitglieder des Kreises, voller Herzlichkeit in ihrem Leiden, kamen
ihm zuvor und redeten, ohne Atem zu holen. Der Präsident schwieg die meiste Zeit, auch
wollte er als neuer Gast nicht unbescheiden sein. Er merkte, daß sie ihn von irgend etwas
überzeugen wollten. Sie kamen ihm sofort mit Megavitaminen, Orthomolekülen und an­
deren großen Namen, an die Schreber eine vage Erinnerung zu haben glaubte, . . . Nach ei­
nigen Tagen empfahlen ihm die übrigen Mitglieder, gewisse Substanzen zu sich zu neh-
men, die offenbar mit ihren Reden in Zusammenhang standen. Das w� r,. wie es schfen, die
Regel des Vereins. Der Präsident willigte gerne ein, . . . Er f� rchtete ledlglL�h, n ?ch dlcker zu
werden - und das geschah tatsächlich. In der Folge begriff er, daß es hler nlcht am Platz
war' über seine Entdeckungen zu sprechen, und daß er besser daran tat, zuzuhören und
ein wenig über das Tagesgeschehen zu plaudern. Die ganze Athmosphäre hatte für ihn
etwas Vertrauliches - und er beschloß, für einige Zeit dort zu bleiben. Geheilt ist er nicht"
(Calasso 1 980, 1 1 611 1 7).
Geheilt werden kann auch nicht.
Dieses Buch wurde vom Verlag in der unkorrigierten vorletzten Fassung publiziert
1 0. Über die Berührung von Wissenschaft und ents tellten Bildern: Freud
Vorbemerkung * ,.,Das Wort ist eine Sache der Einbildungskraft" (Feuerbach) * ,.,Einheit
der Richtung als Einheit des Wesens" (Cassirer) * ,., Schweigen" (Wittgenstein) *
Novellen * Traumdeutung - Rebus * Das aufsitzende Ich * Freuds Perspektive * Freud als
heimlicher Künstler * Die Kreuzung von Theorie und Wahn * Illusion der Identität
" Zärtlichkeit ist der Psychoanalyse zufolge die Reaktionsbildung auf den barbarischen
Sadismus, aber sie wurde zum Modell von Humanität. Auch die hinfälligen Begriffe der
Erkenntnistheorie weisen über sich hinaus. Bis in ihre obersten Formalismen hinein, und
vorab in ihrem Scheitern, sind sie ein Stück bewußtloser Geschichtsschreibung, zu er­
retten, indem ihnen zum Selbstbewußtsein verholfen wird gegen das, was sie von sich aus
meinen. Diese Rettung, Eingedenken des Leidens, das in den Begriffen sich sedimentierte,
wartet auf den Augenblick ihres Zer/alls. Er ist die Idee philosophischer Kritik. Sie hat kein
Maß als den Zer/all des Scheins. Ist das Zeitalter der Interpretation der Welt vorüber und
gilt es sie zu verändern, dann nimmt Philosophie A bschied, und im A bschied halten die
Begriffe inne und werden zu Bildern " (Adorno 1971, 47).
Vorbemerkung
,.,Ach j a, die Luft der Epoche ist schlecht, dieses Fin de siede, in dem man vor Abriß ­
arbeiten kaum treten kann . . . Die Nerven werden zerrüttet, die große Neurose kommt dazu"
(Der Maler Bongrand in Zolas ,.,L'Oeuvre" ) .
Freud hat 19 1 1 eine partielle Interpretation der ,.,Denkwürdigkeiten" Schrebers publi­
ziert unter dem Titel ,., Über einen autobiographisch beschriebenen Fall von Paranoia"
( 1 9 1 1 ) . Freud wirft in dieser Interpretation viele Fragen auf, so z. B. Fragen nach dem Zu­
sammenhang von Paranoia und Homosexualität, nach der Analysierbarkeit von Psychosen
in der psychoanalytischen Kur, das Problem des Narzißmus.
Auf diese Fragen werde ich nur am Rande eingehen und in der Hauptsache einen Punkt
aus Freuds Schrift über Schreber zum Anlaß für eine Nachzeichnung von Freuds Metho­
denproblem nehmen. Dieses Methodenproblem, das ein Problem der Formulierung von
Gelesenem, Gehörtem, anfänglich Erkanntem ist, wird gegen Ende der Schrift über Schre­
ber auf den Punkt gebracht: Die Frage ist für Freud, ob die Theorie mehr Wahn oder der
Wahn mehr Theorie enthält.
Daß Freud das Problem wissenschaftlichen Vorgehens im Zusammenhang seiner Bear­
beitung der ,.,Denkwürdigkeiten" so pointiert formuliert, scheint mir kein Zufall, tauchen
doch bei Schreber ,.,Bilder" (wieder) auf.
Im folgenden werde ich versuchen, aus der Argumentationsrichtung der vorangegangenen
Kapitel den Weg (also schon die Methode) zu Freuds offener Frage nach Wahn und Theorie
und deren Verschränkung nachzuzeichnen.
1 92
1 0 . Über die Berührung von Wissenschaft und entstellten Bildern: Freud
1 0 . Über die Berührung von Wissenschaft und entstellten Bildern: Freud
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Ich werde also Freuds Schrift ."Über einen autobiographisch beschriebenen Fall von Pa­
ranoia"" ( 1 9 1 1 ) zum Anlaß nehmen, nach den Möglichkeiten zu fragen, Bilder für wissen­
schaftliches Sprechen, damit unter anderem auch für die Erziehungswissenschaft wieder
denkbar zu machen, Wissenschaft und Bilder wieder in Berührung zu bringen.
Es geht also um die Darstellung von Freuds Versuch, das mit wissenschaftlichem An­
spruch darzulegen, was in den Reflexionen des rationalen Selbstverständnisversuches auf
der Strecke blieb . Hier einsetzend greife ich zunächst auf eine Vorformulierung bei Feuer­
bach zurück, verschärfe mit Gedanken Cassirers das Problem, das sich dem zentralper­
spektivistischem Denken stellt, und deute auf eine konsequente Lösung bei Wittgenstein
hin.
Nachdem sich Freud vom rein naturwissenschaftlichen Modus einer neurologisch-psych­
iatrischen Tätigkeit, veranlaßt durch deren Unangemessenheit, entfernt hatte, in seinem
Selbstverständnis zunächst mit Breuer zusammen psychoanalytisch zu arbeiten begonnen
hatte, wurde ihm sehr bald klar, daß bis in die Methode hinein, die Wissenschaften ."bei
denen er erzogen worden ist"" ( Freud 1 895, 227) , zu seinem Projekt nicht taugen 1 . Er
suchte deshalb eine andere wissenschaftliche Sprechweise. Dabei versucht er dem, was im
Wort wörtlich nicht enthalten ist, zu einer anderen Sprache zu verhelfen. Das sind - so mei­
ne Behauptung - Anteile der Bilder, die in den more geometrico nicht übersetzbar waren,
und mit dem more geometrico unerkennbar geworden waren.
1 93
Dieser Gedanke findet sich in Feuerbachs Religionskritik ."Das Wesen des Christentums""
als Bestimmung der zweiten Person der Dreifaltigkeit, nämlich des Sohnes.
In Daniel Paul Schreber spricht auch ein Sohn; nicht nur leibhaftig, was trivial wäre an­
zumerken, sondern der Struktur nach: Ein Sohn, der sich mit den Vätern versucht aus­
einanderzusetzen, mit dem, was auf ihn gekommen ist, von dem aber nicht gesprochen
wurde. Er versucht es auszusprechen. Er versucht das zu sehen, was hinter seinem Rücken
geschah, was im Imaginären verbleiben mußte, weil es durch die ,.,Ausweichbewegungen
vor dem Spiegel"" nicht abgebildet wurde. Die ."Ausweichbewegungen vor dem Spiegel"" sind
die ."Bewegungen"" des Vaters, die ihn eine Berührung mit dem Sohn vermeiden ließen, die
ihn zu einem Körper erklärten, der davon bedroht ist zusammenzufallen, wenn er schief
liegt, oder falsch oder überhaupt berührt wird.
Freud nun versucht, das z. B. von Daniel Paul Schreber in den "Denkwürdigkeiten " Be­
gonnene an die symbolische Ordnung anzuschließen, aus der Daniel Paul Schreber her­
ausgefallen war, als er in den A bbildungen die Bilder aufscheinen sah, die seine Umge­
bung nicht sehen konnte, Bilder, die aufjeden Fall nicht aus der Sicht des psychiatrischen
Diskurses etwa eines Flechsig sichtbar wurden, der aufgrund seiner "zentralperspekti­
vischen " Methode nur noch auf den Tod seiner Patienten warten konnte, um die Nerven
besser erblicken zu können, realsezierend zu analysieren.
"Einheit der Richtung als Einheit des Wesens" (Cassirer)
"Das Wort ist eine Sache der Einbildungskraft" (Feuerbach)
Das neue Moment in Freuds Verständnis von Analyse - nicht nur in Bezug auf die ."Kur"" ,
sondern auch von Texten - nimmt m.E. ein schon älteres Motiv auf2, das z. B . bei Feuer­
bach so nachzulesen ist. Feuerbach reagiert auf dieselben Probleme wie Schreber sen. Die
Luft der Abstraktion war dünn geworden, er sucht nach den sinnlichen Substraten der Ge­
danken, um sie wieder an Erden anzubinden3:
"Das Wort ist ein abstraktes Bild, die imaginäre Sache, oder inwiefern jede Sache immer
zuletzt auch ein Gegenstand der Denkkraft ist, der eingebildete Gedanke, daher die Men­
schen, wenn sie das Wort, den Namen einer Sache kennen, sich einbilden die Sache selbst
zu kennen. Das Wort ist eine Sache der Einbildungskraft; Schlafende, die lebhaft träumen,
Kranke, die phantasieren, sprechen. Was die Phantasie erregt, macht redselig, was begei­
stert, beredt. Sprachfähigkeit ist ein poetisches Talent; . . . der Gedanke äußert sich nur
bildlich; die Außerungskraft des Gedankens ist die Einbildungskraft; die sich äußernde
Einbildungskraft aber die Sprache. Wer spricht, bannt, bezaubert den, zu dem er spricht;
aber die Macht des Worts ist die Macht der Einbildungskraft" (Feuerbach 1 849, 140) .
1 Das Dilemma hieß: "Wie können wir es vermeiden, daß solche Metaphern wörtlich und dinglich ge­
nommen werden und unser Denken in enge Geleise zwängen? Freud sah sich dieser Aporie von Anfang
an gegenüber" ( Wurmser 1 989, 370f) .
2
Ich möchte hier nicht auf eine Genealogie der Gedanken Freuds hinaus, sondern montiere Feuerbachs
Gedanken ein u. a., weil in ihm das Motiv: Wort - Bild - Sohn - Einbildungskraft variiert wird. Es ver­
weist auf die Urszene des Sehens .
3
vgl. hierzu A. Schmidt 1 973, 8 - 1 1 , 18 - 23, 25ff; und Braun 1 972, 1 70ff. Braun gibt im übrigen
einen Hinweis, der in Bezug auf das von mir über Meister Eckhart Ausgeführte interessant ist, ohne aller­
dings darauf näher einzugehen: " Was als Ergebnis Feuerbachscher Religionskritik hervorzuheben ist,
deutet auf einen Phänomenbereich, der in institutionalisierten Religionen nicht selten am Rande steht: die
Mystik" (Braun 1 972, 1 68 ) . Das würde heißen, daß Feuerbach beginnt, die durch die "Abbildung" ver­
worfenen Momente des Bildungsverständnisses bei Meister Eckhart wieder aufzunehmen.
Ich möchte versuchen, das Problem, das für die im Sinne der ."Zentralperspektive" ."na­
turgetreue"" Wissenschaft entstand, wiederum durch metaphorisches Sprechen zu skiz­
zieren: Eine perspektivische Abbildung sieht einen Ausschnitt von Welt von einem be­
stimmten Augenpunkt aus in einem Augenblick. Durch die Sehweise werden die disparaten
Gegenstände zu einer Einheit zusammengefaßt. Wenn aber die Bedingungen dieser Einheit
nicht mehr bedacht werden (Standpunkt, Haltung, Disziplinierung des Auges, . . . ) entsteht
die Illusion, als sei eine Einheit geschaffen, die sich genauso verhält wie dargestellt. Dies ist
nun offensichtlich nicht so. Die Dinge haben Rückseiten und Seitenansichten, sie waren
eventuell in Bewegung und werden es auch wieder sein, Sie strömen Gerüche aus und haben
haptische Qualitäten, sie sind im Prozeß des Wachstums oder des Zerfalls. Sie strahlen
seitlich, nach unten und nach oben ab . Die gute Handhabbarkeit der perspektivischen
Abbildung und der Erfolg der rationalen Sicht auf die Welt verführen aber zu der Illusion,
das so gesehene als substanzielle Einheit zu denken. Das führt sogar soweit, daß sich das
sehende Subjekt illusionär selber als eine solche Einheit gerne sehen möchte. Wenn dies
nicht gelingt, ist es sogar bereit, an einer Selbsterfahrungsgruppe teilzunehmen, das Selbst
heilen zu lassen, im Himalaia oder in Oregon die verlorene Einheit zu suchen, die nie da
war. Während der lebendige Mensch sieht, sind nun aber alle anderen Qualitäten seines
Leibes und der Umgebung gleichzeitig in Wirkung. Sie folgen nicht der Sukzession des per­
spektivischen Blicks, auch nicht des beschleunigten. Selbst wenn man sich vorstellt, er
erfolge in etwa so wie bei einer Computertomographie. Der perspektivische oder der wissen­
schaftliche Blick kommen immer etwas zu spät. Zur Erläuterung möchte ich aus Cassirers
."Philosophie der symbolischen Formen"" länger zitieren:
"Im Hinblick auf das allgemeine Bedeutungsmoment, das der Begriff aufstellt und her­
aushebt, ist alles, was unter dieses Moment fällt, nicht nur ähnlich, sondern gleich: die ein­
zelnen Exemplare müssen eben jedes für sich, um als besondere 'Fälle' eines Begriffs ge­
dacht zu werden, den ganzen Begriff, d. h. die Gesamtheit der Bedingungen, die er in sich
schließt, erfüllen. A ber diese Gleichheit der Hinsicht erfordert keineswegs, daß die Ele­
mente der Vielheit, die durch den Begriff zusammengeschlossen werden, irgendeinen ge-
1 0 . Über die Berührung von Wissenschaft und entstellten Bildern: Freud
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1 0 . Über die Berührung von Wissenschaft und entstellten Bildern: Freud
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meinsamen Bestand aufweisen: denn die Hinsicht selbst ist nichts Dingliches, was in ihnen
ganz oder zum Teil enthalten sein kann, was irgendwie nach der Analogie des Räumlichen
in ihnen 'steckt '. Steckt denn etwa die Funktionsgleichung in irgendeiner Weise in den ein­
zelnen Werten der Variablen, die wir als 'wahre Werte ' in sie einsetzen können? Die Glei­
chung einer ebenen Kurve läßt sich als der 'Begriff von eben dieser Kurve bezeichnen:
denn in ihr haben wir eine Satzfunktion vor uns, die für alle Werte der Koordinaten der
Punkte der Kurve wahr, für andere Werte dagegen falsch ist4• Durch diese Bedingung
werden die einzelnen Punkte der Kurve zu einer Einheit zusammengefaßt, die aber an
ihnen keine andere Gemeinsamkeit bezeichnet, als eben diejenige, die in dieser Form der
Zuordnung besteht. Ist das Gesetz einer solchen Zuordnung aufgestellt, so scheidet sich
ihm gegenüber die Gesamtheit der 'möglichen ' Raumpunkte alsbald in zwei scharf vonein­
ander geschiedene Klassen: in die Punkte, die die in diesem Gesetz ausgesprochene Bezie­
hung erfüllen und in diejenigen, die sie nicht erfüllen. Was die Anschauung als eine beson­
dere Gestalt mit irgendwelchen räumlichen Kennzeichen und Eigenschaften erfaßt, das
erscheint jetzt in der Analysis des Denkens auf eine allgemeine Regel der Zugehörigkeit zu­
rückgeführt, Und dies gilt nicht nur für die mathematischen Begriffe, sondern es stellt
einen Wesenszug aller echten begrifflichen Strukturen dar. Denn immer erscheint es als
die Grundaufgabe des Begriffs, das in der Anschauung Verstreute, ja das vom Standpunkt
eben dieser Anschauung völlig Disparate dadurch zusammenzufü hren - crUVCX"(Etv w; EV,
wie Platon es nennt -, daß ein neuer ideeller Bezugspunkt für dasselbe aufgestellt wird.
Indem das Besondere, das zuvor Auseinanderstrebende sich nach diesem Bezugspunkt
richtet, wird ihm in dieser Einheit der Richtung eine neue Einheit des ' Wesens ' aufgeprägt,
- wobei eben dieses Wesen selbst nicht ontisch, sondern logisch, als eine reine Bestimmung
der Bedeutung zu nehmen ist5• " (Cassirer 1929, 353f) .
Auch wenn dieses Problem in der Erkenntnistheorien etwa schon bei Kant gesehen wird,
führt es eigentlich - zunächst auch bei Wittgenstein - immer mehr zu einer Reduktion der
breiten Qualität von Sprachmöglichkeiten, zu einer Verschärfung des Ausschlußverfahrens:
Alles, was unsicher ist, die begriffliche Ordnung gefährdet, wird aus dieser au�geschlossen,
es sei denn es liegt zufällig in der richtigen Richtung.
195
6. 54 Meine Sätze erläutern dadurch, daß sie der, welcher mich versteht, am Ende als un
sinnig erkennt, wenn er durch sie - auf ihnen - über sie hinausgestiegen ist. (Er muß
sozusagen die Leiter wegwerfen, nachdem er auf ihr hinaufgestiegen ist.) Er muß
diese Sätze überwinden, dann sieht er die Welt richtig.
7 Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen
(Wittgens tein 1918, 1 157) .
Dagegen wäre nichts z u sagen, wenn aus dieser so produzierten Berührungslosigkeit
zwischen philosophisch exaktem Sprechen und Schweigen nicht auch gesellschaftliche
Machtfragen geknüpft wären, wenn unklares und undeutliches Sprechen nicht auch hieße
über Leiden zu sprechen. Es geht dann um Verschweigen und Verstummen, um Nicht-da­
rüber-reden-können oder -dürfen. Selbst Abbildungen werden ja z. T. verboten. Es ist auch
rein immanent zu fragen, ob die Abdichtung der unterschiedlichen Diskurse - auch
Schweigen ist beredt - gegeneinander beiden gut bekommt.
Freud hat in der Abdichtung der einzelnen Diskurse gegeneinander ein Motiv für Leiden
gesehen und daran gearbeitet, die Beruhrungsflächen zu vergrößern, hat Übertragungen er­
kannt. Es ist nicht uninteressant zu verfolgen, daß die radikale Position Wittgensteins mit
seiner Definition von "Bild" zusammenhängt. Ich zitiere den Beginn der Definition:
2. 1 Wir machen uns Bilder der Tatsachen.
2. 1 1 Das Bild stellt die Sachlage im logischen Raume, das Bestehen und Nichtbestehen
von Sachverhalten vor.
2. 12 Das Bild ist ein Modell der Wirklichkeit.
2. 13 Den Gegenständen entsprechen im Bilde die Elemente des Bildes.
2. 131 Die Elemente des Bildes vertreten im Bild die Gegenstände (Wittgenstein 1 918, 1 6)
Dies entspricht genau meinem Verständnis von Abbild und betont die (naturwissen­
schaftliche) Sprachstruktur der Bilder.
An den "Denkwürdigkeiten" Schrebers und an seinen Patienten konnte Freud feststellen,
daß ihnen die Dichotomie von rational Sagbarem und Lebbaren und Unbewußtem nicht
gut tat.
"Schweigen" (Wittgenstein)
Wittgenstein stellt nüchtern 6 fest:
6. 522 Es gibt allerdings Unaussprechliches. Dies zeigt sich, es ist das Mystische.
6.53 Die richtige Methode der Philosophie wäre eigentlich die: Nichts zu sagen, als was
sich sagen läßt, also Sätze der Naturwissenschaft - also etwas, was mit Philosophie
nichts zu tun hat -, und dann immer, wenn ein anderer etwas Metaphysisches sagen
wollte, ihm nachzuweisen, daß er gewissen Zeichen in seinen Sätzen keine Bedeu
tung gegeben hat. Diese Methode wäre für den anderen unbefriedigend - er hätte
nicht das Gefühl, daß wir ihn Philosophie lehrten - aber sie wäre die einzig streng
richtige.
4 V gl.
Russell, Introduction to mathematical Philosophy, S. 156 (Fußnote im Text von Cassirer, KIP)
5
Lacan versucht diesen Nachteilen durch die Rede vom Gleiten des Signifikanten Rechnung zu tragen (z.
B. ( 1 973, 7 - 60) ) .
6 Nicht
ohne Pathos
Novellen
"Wesenszüge der Metapher sind: die Klarheit ( to saphes ) , sofern ihre Offenbarung Ein­
deutigkeit aufweisen muß ; weiterhin erweckt sie Lust ( to hedy ) , als Zeichen des ge­
lungenen Werkes ; schließlich ist sie durch eine eigenartige Fremdheit (to xenik6n) cha­
rakterisiert, da sie etwas Ungewöhliches, Unerwartetes zeigt" (Grassi 1 979, 54) .
Freud stellte bei der Niederschrift seiner ersten psychoanalytischen Forschungsergebnisse
fest, daß er nicht mit herkömmlichen wissenschaftlichen Mitteln arbeitet. Er bewegte sich
dabei zwischen den Polen seiner naturwissenschaftlichen "Sozialisation" und einer eher
literarischen Sprechweise, die "wie Novellen zu lesen" ist:
"Ich bin nicht immer Psychotherapeut gewesen, sondern bin bei Lokaldiagnosen und
Elektroprognostik erzogen worden wie andere Neuropathologen, und es berührt mich selbst
noch eigentümlich, daß die Krankengeschichten, die ich schreibe, wie Novellen zu lesen
sind, und daß sie sozusagen des ernsten Gepräges der Wissenschaftlichkeit entbehren. Ich
7.
Ich tue Wittgenstein hier unrecht, da ich nicht auf seine späteren, revidierten Positionen eingehe. Aber
eme solche Position, wie Wittgenstein sie 1 9 1 8 vertritt, wird heute von nicht wenigen Wissenschaftlern
geteilt.
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Freud
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muß mich damit trösten, daß für dieses Ereignis die Natur des Gegenstandes offenbar eher
verantwortli ch zu machen ist als meine Vorliebe; Lokaldiagnostik und elektrische Reakti0nen kommen bei dem Studium der Hysterie eben nicht zur Geltung, während eine ein­
gehende Darstellung der seelischen Vorgänge, wie man sie vom Dichter zu erhalten g�wohnt
ist, mir gestattet, bei Anwendung einiger weniger psychologischer Formeln doch eme Art
von Einsicht in den Hergang einer Hysterie zu gewinnen. " (Freud, 1 895, 227) 8
Diese Abweichung von der "normalen" Wissenschaft bezieht sich noch in erster Linie auf
die Darstellungsweise; Freud macht aber deutlich, daß diese Abweichung dem " Gegen­
stand" geschuldet ist. Freud bewegt sich mit seiner Sprache auf die szenische Sprache seiner
Patienten zu. Die Berührung zwischen beiden Sprachmodi schafft die Möglichkeit zu einer
Brücke, zu einer Übertragung. Das geschieht in Metaphern. Im wesentlichen bewegt sich
Freud hier zwischen zwei bekannten Paradigmen, der Naturwissen schaft und der Kunst.
Die Bezeichnung "Novelle" weist auf Kunst, auf metaphorisches Sprechen. Anders glaubt
Freud das, was aus der Vergangenheit in die Gegenwart eindringt über die "talking cure"
nicht greifen und in seiner eigenen Realität darstellen zu können. Nicht nur die Pat� entin
macht eine Kur, sondern auch die Sprache. Die wissenschaftliche Sprache des NaturwIssen­
schaftlers nimmt die aus ihr exkommunizierten Bilder wieder auf. Auf der Basis des aufge­
klärten Niveaus wissenschaftlichen Sprechens taucht die schon seit Aristoteles bezeugte
Möglichkeit der Metapher auf, die Grassi so beschreibt: "Um die Funktion der Phantasie
weiter zu bestimmen , geht Aristoteles auf ihren Zusammenhang mit der Tätigkeit des
' nous' ein. 'Noein' wird in der antiken Tradition als eine Fähigkeit des ' Sehens' verstan­
den, und zwar als das höchste Vermögen der 'Ein-sicht' in jene Bilder, die jeder Unter­
scheidungs- und Deutungsfähigkeit zugrundeliegen, weil durch sie den Erscheinungen Be­
deutungen übertragen werden. Bei Aristoteles heißt es dazu: 'Die Psyche hat kein� Einsic?t
(nous) ohne Phantasma, ohne Bild' ( . . . Aristoteles . . .43 1 a 1 6 ) . Der Nous kann SIch nur In
Beziehung auf Phantasmata, auf Bilder, betätigen. So behauptet Aristoteles: 'Das einsehen­
de Vermögen sieht die Bilder in den Erscheinungen' . . . Op. cit. , 43 1 b 2) . Der Nous hat die
'Bilder' inne, die der Außenwelt einen Sinn übertragen. Das Bild verbindet das, was er­
scheint, mit dem, was zu klären ist, . . . " (Grassi 1979, 185f) .
E s galt, sowohl bei den rätselhaften Äußer�!lgen der Hysteriker am Körper wie. . i n der
Sprache ebenso wie später bei Psychotikern Ahnlichkeiten zu entdecken, Anschlusse zu
finden an bekannte Diskurse, auch wenn diese zunächst nicht auf der Hand lagen, ganz
weit auseinander zu sein schienen9. So kommt in das Dunkel Klarheit, auch wenn Fremdheit bleibt1 o.
1 97
Traumdeutung - Rebus
Eine nächste einschneidende Äußerung zu Freuds wissenschaftlichem Vorgehen findet
sich in der "Traumdeutung" ( 1 9 00 ) . Was Freud über die Traumdeutung schreibt, gilt
ähnlich für die Deutung des Wabns:
"Traumgedanken und Trauminhalt liegen vor uns wie zwei Darstellungen desselben In­
haltes in zwei verschiedenen Sprachen, oder besser gesagt, der Trauminhalt erscheint uns
als eine Übertragung der Traumgedanken in eine andere Ausdrucksweise, deren Zeichen
und Fügungsgesetze wir durch die Vergleichung von Original und Übersetzung kennen ler­
nen sollen. Die Traumgedanken sind uns ohne weiteres verständlich, sobald wir sie erfab­
ren haben. Der Trauminhalt ist gleichsam in einer Bilderschrift gegeben, deren Zeichen
einzeln in die Sprache der Traumgedanken zu übertragen sind. Man würde offenbar in die
Irre geführt, wenn man diese Zeichen nach ihrem Bilderwert anstatt nach ihrer Zeichenbe­
ziehung lesen wollte. Ich habe etwa ein Bilderrätsel (Rebus) vor mir: ein Haus, auf dessen
Dach ein Boot zu sehen ist, dann ein einzelner Buchstabe, dann eine laufende Figur, deren
Kopf wegapostrophiert ist u. dgl. Ich könnte nun in die Kritik verfallen, diese Zusammen­
stellung und deren Bestandteile für unsinnig zu erklären. Ein Boot gehört nicht auf das
Dach eines Hauses, und eine Person ohne Kopf kann nicht laufen; auch ist die Person grö­
ßer als das Haus,. und wenn das Ganze eine Landschaft darstellen soll, so fügen sich die ein­
zelnen Buchstaben nicht ein, die ja in freier Natur nicht vorkommen. Die richtige Beurtei­
lung des Rebus ergibt sich offenbar erst dann, wenn ich gegen das Ganze und die Einzel­
heiten desselben keine solchen Einsprüche erhebe, sondern mich bemühe, j edes Bild durch
eine Silbe oder ein Wort zu ersetzen, das nach irgendwelcher Beziehung durch das Bild dar­
stellbar ist. Die Worte, die sich so zusammenfinden, sind nicht mehr sinnlos, sondern kön­
nen den schönsten und sinnreichsten Dichterspruch ergeben. Ein solches Bilderrätsel ist
nun der Traum, und unsere Vorgänger auf dem Gebiete der Traumdeutung haben den Feh­
ler begangen, den Rebus als zeichnerische Komposition zu beurteilen. Als solche erschien er
ihnen unsinnig und wertlos" (Freud 1900, 283f) .
Das ist mehr und etwas anderes als bekannte Hermeneutik1 1. Es geht hier um eine Deu­
tung, die etwas anderes hervorholt als das, was manifest gesagt ist; es geht nicht nur um
ein weitergehendes, an gegenwärtige Problemlagen anschlußfähiges Verstehen des manifest
Gesagten. Es werden sozusagen nicht die Anschlußstücke zum gegenwärtigen Verständnis
gesucht, sondern es geht um Transponierung, um "wahre Silbenchemie" ( Freud 1 900,
3 03 ) 12. D ie Worte werden wie Bilder gelesen, die Bilder wie Worte buchstabiert. Nur so
kann die Arbeit des more geometrico in seiner Verschlüsselung offengelegt werden, aber
vielleicht auch das, was .er nicht bearbeitet hat. Es geht nicht einfach um das Finden der
Koordinaten eines Punktes im Traumbild und dessen Verweis auf die Realität oder die Na­
tur, da diese ja als solche nicht existiert. Sie ist ja nach eben dem Modus formiert worden
(vielleicht könnte man auch sagen "formatiert"), den Freud den (rationalisierenden) " Se­
kundärprozeß" nennt. Das Reale ist nicht lesbar. Es geht also nicht um einen neuen Text,
8 vgl. hierzu den Abschnitt " Freuds Lösung vom naturwissenschaftlichen Materialismus" ( Worbs 1 983,
68 - 73 ) .
9 Aristoteles schreibt über die gemeinsame Voraussetzung der Metaphorik ( als Rhetorik) und der Philo­
sophie: "Man muß aber Metaphern bilden, wie schon vorher gesagt wurde, von verwandten aber auf den
ersten Blick nicht offen zutage liegenden Dingen, wie es z. B. auch in der Philosophie Charakteristikum
eines richtig denkenden Menschen ist, das Ähnliche auch in weit auseinander liegenden Dingen zu er­
kennen . . . " (Rhetorik 1 4 1 2 a) .
10
vgl. Grassi 1 979, 54; s. a. oben
1 1 Dies behaupte ich im Gegensatz zu Habermas und Lorenzer. Mit dieser Auffassung befinde ich mich
eher in der Nähe etwa von Lacan und Kittler ( 1 985, 279ff) .
1 2 Ich möchte lediglich betonen, daß Freud mehr vorschlägt und tut als etwa theologische Texte, die un­
mittelbar nicht verstanden werden auf alltagsrelevante Sätze zu transponieren, j uristische Texte entschei­
dungsrelevant zu machen, geschichtliche Dokumente zu interpretieren, daß ihr damaliger Sinn in einem
heutigen Kontext rekonstruierbar wird.
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der eine verbesserte, unmittelbar verständliche Version des ersten wäre13. Typisch für ein
von mir hier indirekt kritisiertes hermeneutisches Vorgehen ist Habermas Reformulierung
der Psychoanalyse Freuds: "Wo Habermas zwei Klassen von Texten scheidet, unterscheidet
Freud zwei Ausdrucksweisen, die durchaus in einem Text wirksam sein können. Ent­
sprechend der verschiedenen Grenzziehungen unterscheidet sich diese Auffassung der ana­
lytischen Arbeit. Die Freudsche Metapher für diesen Vorgang lautet ' Üb ersetzung', Haber­
mas spricht von Rekonstruktion. Rekonstruktion impliziert, daß etwas, was vorher ganz
war, wieder hergestellt und ganz gemacht wird. Übersetzung ist ein ganz anderer Vorgang:
in ihr erscheint gerade nicht ein originaler Text, sondern eine Entsprechung, die nie ohne
Verlust ist" (Nägele 1 982, 48) . D ie verschwiegene Norm der Habermasschen Rekonstruk­
tion ist das ( Selbst- ) Bewußtsein, das in der Grammatik der Umgangssprache operiert.
" Sollte etwa wie in Kleists Zerbrochenen Krug hier dieselbe Instanz über den zerbrochenen
Text zu Gericht sitzen, die für den Bruch verantwortlich ist? " (Nägele 1 982, 48) 14.
Es scheint aber gerade die Schwierigkeit der Einordnung der Psychoanalyse in vorfind­
bare wissenschaftliche Paradigmen darin zu liegen, daß sie auf die umstandslose Setzung
des unter den Strukturen der rationalistischen Weltbildes entstandenen (Selbst-) Bewußt­
seins als Fixpunkt von Erkenntnisgewinnung verzichten muß. Sie muß sich in Annähe­
rung an ihren Gegenstand, z. B. den Traum, mimetischer Verfahren, also einer Anähnelung
an die Bewegungen des zu Untersuchenden bedienen 15.
Z ur Erklärung bedarf es einer kurzen Erläuterung der von Freud in der Traumdeutung
dargestellten Zusammenhänge: Der erzählte manifeste Trauminhalt unterliegt einer Glät­
tung im Sinne einer Erzählbarkeit, die den Strukturen des Wachbewußtseins sehr nahe­
kommen. Darunter lassen sich aber latente Traumgedanken ausmachen. Die auf der zu­
nächst latenten Ebene vorfindbaren Traumgedanken "enthüllen sich zumeist als ein Kom­
plex von Gedanken und Erinnerungen vom allerverwickelsten Aufbau mit allen E igen­
schaften der uns aus dem Wachen bekannten Gedankengänge. Nicht selten sind es Gedankenzüge, die von mehr als einem Zentrum 16 ausgehen, aber der Berührungspunkte nicht
entbehren; fast regelmäßig steht neben einem Gedankengang sein kontradiktorisches Wi­
derspiel, durch Kontrastassoziationen mit ihm verbunden. Die einzelnen Stücke dieses
komplizierten Gebildes stehen natürlich in den mannigfaltigsten logischen Relationen zu­
einander. Sie bilden Vorder- und Hintergrund, Abschweifungen und Erläuterungen, Be­
dingungen, Beweisgänge und Einsprüche" (Freud 1 9 0 0, 3 1 0 ) . Freud fragt dann weiter
nach der Darstellung der logischen Relationen der latenten Traumgedanken nach der
Traumarbeit, die der "Bewachung des Schlafes" dient, damit keine "anstößigen Gedanken"
den Schläfer wecken, auf der Ebene des manifesten Traums. " Man muß zunächst darauf
antworten, der Traum hat für diese logischen Relationen unter den Traumgedanken keine
Mittel der Darstellung zur Verfügung" (Freud 1 900, 3 1 0f) .
13 Diese Aussage entspricht der oben (vgl. Kap . 8 ) geäußerten Kritik an Niederland und Schatzmann.
14 Nägele führt dies eingehend mittels immanenter Textkritik an Habermas ' Publikationen s eit "Struk­
turwandel der Öffentlichkeit" ( 197 1 ) aus .
15 Auf mein Verständnis von Mimesis komme ich noch im Kap. 1 2 zurück. Es weicht - soviel sei hier
vermerkt - von einem Verständnis ab , daß Mimesis mit abbildender Nachahmung gleichsetzt, es geht
vielmehr um einen Prozeß des sich Erfassenlassens und einer Umlenkung von Eindrücken und Energien
in Formen die weniger bedrohlich sind. - Der Begriff ist auf einem Spektrum anzusiedeln. Er steht zwi­
schen dem Erstarren und Auflösen der Mimikry in die ( unbelebte) Umgebung und einer Subjekt-Objekt­
Trennung verpflichteten zielgerichteten distanzierenden Erkenntnis und Handlung.
16 also nicht zentralperspektivisch organisiert sind, KJP.
Nur der sachliche Inhalt der Traumgedanken werde bearbeitet. "Der Traumdeutung
bleibt es überlassen, den Zusammenhang wiederherzustellen, den die Traumarbeit ver­
nichtet hat" (Freud 1 900, 3 1 1 ) . Freud meint dann, daß es das psychische Material sei, das
inkompatibel sei zu den Darstellungsmöglichkeiten auf der manifesten Ebene. "In einer
ähnlichen Beschränkung befinden sich ja die darstellenden Künste, Malerei und Plastik im
Vergleich zur Poesie, die sich der Rede bedienen kann, . . . "; auch hier liege es am Material,
nämlich den Bildern (im Vergleich zur Sprache) (Freud 1 900, 3 1 1 ) . Aber wie es auch der
Malerei gelungen sei, auf die aus dem Mund heraushängenden Zettelchen zu verzichten (ge­
meint ist wohl die mittelalterliche Malerei) und andere Möglichkeiten zu finden, die Rede­
absichten der dargestellten Personen zum Ausdruck zu bringen, "so hat sich auch für den
Traum die Möglichkeit ergeben, einzelnen der logischen Relationen zwischen seinen
Traumgedanken durch eine zugehörige Modifikation der eigentlichen Traumdarstellung
Rücksicht zuzuwenden" (Freud 1 900, 3 1 2) .
Das aufsitzende Ich
Es geht also um
zwei
sich zunächst
Verhalten
frem de Aus drucks ­
weisen, die beide un­
terschiedlichen syn­
- - - -- Bewußt
taktischen und logi­
Auslös.d.
Abwchrmechonism en
schen Regelsystemen
Uan.... ....tv.,.
Angtt
gehorchen. Sie kön­
nen aber mit Mitteln
-�Ve;;;n;; j(;;'k;; - � � : :V.......
-'- (')'rnb<>llsche Reptösenfcltj.on.n) .
der Analyse nicht
ohne
Verlust über­
C � -;e�-:�:;���::;---�=
;e
-�-U""
-L ��o�t��I1����n_��� �i���O���_ .
setzt werden. Dies
bleibt im weiteren
\..
Psych�J(Uttte: Entwicklung ,
�n� :O��'�h��:���s�
bei Freud nicht ohne
Konsequenz für seine
�netiicM Vererbung
Vorstellung
von Per­
'mtinfde
sönlichkeit. Die Ent­
deckung dieser offi­
zieHen
und inoffi­
Abb. 1 1 9: Der Dampfer hat die Aufschrift "Verstandesmensch" . Er fährt auf
ziellen
Ebenen
läßt
den Eisberg zu. Wie beim Untergang der Titanic geht die Kollision nicht zum
das
Subjekt
in
einem
Vorteil des Dampfers aus.
an deren Licht erscheinen.
Es ist nicht mehr mit sich als selbstidentisch zu betrachten. Freud findet dafür unter­
schiedliche Formulierungen. Das Ich sitze dem Es auf wie der Reiter seinem Pferd. "Aber
zwischen Ich und Es ereignet sich allzu häufig der nicht ideale Fall, daß der Reiter das Roß
dahin führen muß, wohin es selbst gehen will" (Freud 1 933, 5 1 4 ) 1 7. Oder " . . . das Ich hat
Beobachtbores
(
f--
__
'
_
t
_
_
_ ____
17 "Die funktionale Wichtigkeit des Ichs kommt darin zum Ausdruck, daß ihm mormalerweise die Herr­
schaft über die Zugänge zur Motilität eingeräumt ist. Es gleicht so im Verhältnis zum Es dem Reiter, der
die überlegene Kraft des Pferdes zügeln soll, mit dem Unterschied, daß der Reiter dies mit eigenen Kräf­
ten versucht, das Ich mit geborgten. Dieses Gleichnis trägt ein Stück weiter. Wie dem Reiter, will er sich
nicht vom Pferd trennen, oft nichts anderes übrigbleibt, als es dahin zu führen, wohin es gehen will, so
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in der Beziehung zur Handlung etwa die Stellung eines konstitutionellen Monarchen, ohne
dessen Sanktion nichts Gesetz werden kann, der es sich aber sehr überlegt, ehe er gegen den
Vorschlag des Parlaments ein Veto einlegt . . . . Es ist nicht nur der Helfer des Es, auch sein
unterwürfiger Knecht, der um die Liebe seines Herrn wirbt" (Freud 1 923, 322 ) 1 8 .
Freuds Perspektive
Wir sahen nun zwei ,.,Anläufe" Freuds andere Zugriffsweisen zu gewinnen. Zwei Versuche
bekannte Methoden des Sprechens zu kombinieren: "Novelle" und "Rebus". Zuweilen fin­
den sich aber auch wieder Versuche sich an die "normale" wissenschaftliche Sprechweise
anzunähern, allerdings nicht ohne zum Schluß wieder besondere Konditionen für sein V or­
gehen zu fordern. Dazu ein Beispiel aus der Einleitung zu "Triebe und Triebschicksale"
(Freud 1 9 15) . Wirft man vor der Lektüre einen Blick auf Dürers Zeichengerät oder einen
beliebigen anderen Glastafelapparat, könnte man zunächst eine strukturelle Übereinstim­
mung ausmachen zwischen dem Eintragen der Punkte auf der Zeichenfläche, der Gruppie­
rung der einzelnen darzustellenden Motive und der Gewinnung von Erkenntnis, wie Freud
sie darstellt. D er abstrakten Idee entspräche der ,.,Augenhalter" , bzw. dem Augenpunkt,
dem Material die darzustellenden "Punktmenge ". D ie Kritik an dieser Vorgehensweise
spricht aus der Wendung, daß " dann ( ) es auch an der Zeit sein (mag), sie ( die wesent­
lichen Grundbegriffe, KIP) in Definitionen zu bannen19 " (Freud 1 9 15, 8 1 ) . Damit cha­
rakterisiert Freud, die im wissenschaftlichen Vorgehen bezeugte Angstabwehr.
• . .
pflegt auch das Ich den Willen des Es in Handlung umzusetzen, als ob es der eigene wäre" ( Freud 1923,
294 ) .
1 8 E s bleibt nach diesen Ausführungen Freuds unklar, wie Habermas i n seiner für die Freudrezeption
auch in der Pädagogik nicht unwichtigen Schrift "Erkenntnis und Interesse" ( 1 968) auf folgende undif­
ferenzierte Behauptung kommt: "Die Folge visueller Szenen ist nicht mehr nach syntaktischen Regeln ge­
ordnet, denn die differenzierenden sprachlichen Mittel für logische Beziehungen fehlen (dem Traumtext,
KJP ) ; selbst elementare Grundregeln der Logik (welcher? , KJP ) sind außer Kraft gesetzt (Wo? Auf der
Ebene der Traumgedanken, des manifesten Traums oder auf bei den Ebenen ? ) . In der ( ? ) entgrammati­
kalisierten Sprache des Traumes werden Zusammenhänge durch Überblendung und durch eine Pressung
des Materials hergestellt . . . ". Die weiteren Ausführungen laufen dann auf die Rekonstruktion hinaus, die
Rekonstruktion eines verstümmelten Textes ( 1 973, 282 ) . Dann ist wieder Ordnung da. - Ich will dies
hier nicht weiterverfolgen. Nägele ( 1 982, 50 ff) hat detailliert am Text Habermas ' herauspräpariert, daß
das Rückgrat seines Modells "das Konzept eines selbstidentischen Subjekts, das volle Kontrolle über alle
seine Diskurse hat" , ist. - Auch Parin weist auf die der Tendenz nach gleiche Fehlentwicklung hin:
"Nachdem Freud entdeckt hat, daß wir nicht 'Herr im eigenen Hause' sind, sondern sexuellen Trieb­
kräften unterworfen, die aus dem verdrängten Unbewußten her wirken, wurde die Herrschaft des Ichs
über diese Kräfte, Egodominance, zuerst zum Ziel der Analyse erklärt, dann als wichtigste Ichfunktion
genommen, im Dienste einer Anpassung, die weitgehend biologisch angelegt sei, bis in diesem Anpas­
sungsorgan ' Ich' S exuelles nicht mehr als Triebenergie, sondern nur mehr als Störfaktor vorkam. Die
psychoanalytische Praxis bekam in Wechselwirkung mit diesem Wandel immer mehr den Charakter eines
Bereinigungsverfahrens. Analytiker verstanden sich nicht mehr als Entdecker verborgener Triebkräfte
und als Anwälte unterdrückter Lebendigkeit. . . . Reifung der Persönlichkeit statt Emanzipation wurde
zum Ziel der Analyse" (Parin 1 986, 1 3 ) . - Die von Parin kritisierte Entwicklung war maßgebend für die
von Hartmann, Kris und Loewenstein (vgl . z. B. 1 946 ) entwickelte psychoanalytische Ichpsychologie.
Insbesondere Kris schrieb außerdem über Kunst und Kreativität (z. B. 1977 ) . Ähnliches gilt für Kohuts
Selbstpsychologie, die von dort in pädagogische Überlegungen wanderten. Vgl. auch die ausführliche
Kritik von Drews/Brecht 1 975 .
19
Hervorhebung KIP .
"Wir haben oftmals die Forderung vertreten gehört, daß eine Wissenschaft über klaren
und scharf definierten Grundbegriffen aufgebaut sein soll. In Wirklichkeit beginnt keine
Wissenschaft mit solchen Definitionen, auch die exaktesten nicht. D er richtige Anfang der
wissenschaftlichen Tätigkeit besteht vielmehr in der Beschreibung von Erscheinungen, die
dann weiterhin gruppiert, angeordnet und in Zusammenhänge eingetragen werden. Schon
bei der Beschreibung kann man es nicht vermeiden, gewisse abstrakte Ideen auf das Mate­
rial anzuwenden, die man irgendwoher , gewiß nicht aus der eigenen Erfahrung allein, her­
beiholt. Noch unentbehrlicher sind solche Ideen - die späteren Grundbegriffe der Wissen­
schaft - bei der weiteren Verarbeitung des Stoffes. Sie müssen zunächst ein gewisses Maß
von Unbestimmtheit an sich tragen; von einer klaren Umzeichnung ihres Inhaltes kann
keine Rede sein. Solange sie sich in diesem Zustande befinden, verständigt man sich über
ihre Bedeutung durch den wiederholten Hinweis auf das Erfahrungsmaterial, dem sie ent­
nommen scheinen, das aber in Wirklichkeit ihnen unterworfen wird. Sie haben also strenge
genommen den Charakter von Konventionen, wobei aber alles darauf ankommt, daß sie
doch nicht willkürlich gewählt werden, sondern durch bedeutsame Beziehungen zum empi­
rischen Stoffe bestimmt sind, die man zu erraten vermeint, noch ehe man sie erkennen und
nachweisen kann. Erst nach gründlicherer Erforschung des betreffenden Erscheinungsge­
bietes kann man auch dessen wissenschaftliche Grundbegriffe schärfer erfassen und sie fort­
schreitend so abändern, daß sie in großem Umfange brauchbar und dabei durchaus wider­
spruchsfrei werden. Dann mag es auch an der Zeit sein, sie in Definitionen zu bannen. Der
Fortschritt der Erkenntnis duldet aber auch keine Starrheit der Definitionen. Wie das Bei­
spiel der Physik in glänzender Weise lehrt, erfahren auch die in D efinitionen festgelegten
Grundbegriffe einen stetigen Inhaltswandel" (Freud 1 9 15, 81 ).
Charakterisiert hier Freud seine Methode durch eine minimale Differenz zu der V orge­
hensweise der Physik, die es freilich in sich hat und von vielen Naturwissenschaftlern so
nicht ohne weiteres akzeptiert würde, so wird Freuds Ambivalenz, um die er sehr wohl
wußte, und sich nicht szientivisch selbst mißverstand, wie Habermas der Psychoanalyse
konzidiert, aus einem späten Interview deutlich:
Freud als heimlicher Künstler
"Everybody thinks, . . . that I stand by the scientific character of my work and that rny
principal scope lies in curing mental maladies. This is a terrible error that has prevailed for
years and that I have been unable to set right. I am a scientist by necessity, and not by vo­
cation. I am really by nature an artist. Ever since childhood, my secret hero has been
Goethe. I would have liked to have become a poet, and my whole live long I've wanted to
write novels ( 1 3 1 ) . . . . A man of letters by instinct, though a doctor by necessity, I conceived
the idea of changing over a branch of medicine - psychiatry - into literature. Though I have
the appearance of a scientist I was and am a poet and novelist. Psychoanalysis is no more
than the interpretation of a literary vocation in terms of psychology and pathology. As was
natural the first impulse which led to the discovery of my method came to me from my be­
loved Goethe. As you must know, he wrote Werther to free hirnself from the morbid
oppressions of a sorrow: for hirn literature meant a catharsis ( 132) . . . . My soul, by its con­
stitution, leans towards the essay, the paradox, the dramatic, and has nothing of the
pedantic technical stiffness which belongs to the true man of science. And of this there lies
an irrefutable proof: which is that in all countries into which psychoanalysis has penetrated
it has been better understood and applied by writers and artists than by doctors. My books,
in fact, more resemble works of imagination than treatises on pathology. My studies on
Daily Life and on Wit are really and truly literature and in · 'Totems and Taboos ' I have
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1 0 . Über die Berührung von Wissenschaft und entstellten Bildern: Freud
1 0 . Über die Berührung von Wissenschaft und entstellten Bildern: Freud
Dieses Buch wurde vom Verlag in der unkorrigierten vorletzten Fassung publiziert
tried my hand at the historical novel ( 133 ) . ' " In all great men of science there is a leaven of
fantasy, but no one purposes like me to translate the inspirations offered by the currents of
modern literature into the scientific theories. In psychoanalysis you may find fused together
though changed into scientific j argon, the three greatest literary schools of the nineteenth
century: Heine, Zola and Mallarme are united in me under the patronage of my old master,
Goethe . . . . " (Freud/Papini 1 934, 134f) .
Das sind also die Mühseligkeiten, aber - gerade im englischen Text erkennbar - die Em­
phase, die Lust an der Ambivalenz einer methodischen Unsicherheit, wenn man sich darauf
einläßt, j enseits der Abbildung zu reden. Freuds Theorie ist eine Theorie im Prozeß, und
ich habe aus unterschiedlichen Phasen dieses Prozesses zitiert. In der Frage der Methode
gibt es allerdings auch keine letzte, gültige Fassung bei Freud. Die Unstimmigkeiten im
Vergleich zu einem konventionellen Verständnis von Methode sind meines Erachtens auch
nicht nur der Pioniersituation Freuds und seiner Formulierung der Psychoanalyse zuzu­
rechnen. Sie scheinen mir vielmehr deren notwendiges Ferment zu sein. Infolgedessen
kommt es zu Abgrenzungsschwierigkeiten:
Die Kreuzung von Theorie und Wahn
Die eigentliche ,.,Arbeit" hatte Schreber schon selbst geleistet: Er hatte wohl vermutet, daß
die Anatomen an seinem Körper, wenn er erst einmal tot ist, nichts Denkwürdiges würden
finden können, etwas, das einer neuen Erkenntnis dienlich sein könnte. Wenn es etwas zu
entdecken gäbe, dann zu Lebzeiten. Desha�. transponiert er seinen Körper zum Korpus,
verschriftet ihn, bringt ihn als Buch an die Offentlichkeit2 o• Von nun an ist Schreber mit
Text präsent. Sehen wir zu, wie Freud sich ihm nähert.
Schreber bringt seine Irritationen über Druck in Form von ,.,Denkwürdigkeiten" in die
symbolische Ordnung ein. Auch wenn sie dort als recht unordentlich erschienen - Teile
wurden bei Drucklegung herausgenommen, das Buch zum größten Teil von der Familie
aufgekauft (vgl. Israels 1989 ) , Flechsig hat nie auf den offenen Br:�ef, der dem Buch vor­
ausging, geantwortet -, ist damit eine Bedingung gegeben für eine Ubersetzung. Diese Lei­
stung ist sonst im Setting der Analyse selber zu erbringen. Eine Form der Objektivierung
muß erreicht werden, um dann über-setzen zu können, d. h. in Kontakt zu treten, von ei­
nem System ins andere. Von da aus kann weiter gegangen werden.
Fehlt diese Situation muß im Text selber nach Möglichkeiten der Übersetzung gesucht
werden. ,., Gar nicht so selten drückt er ( Schreber, KIP) uns den SchlüsseJ2 1 selbst in die
Hand, indem er zu einem wahnhaften Satz eine Erläuterung, ein Zitat oder Beispiel, wie
beiläufig, hinzufügt oder eine ihm selbst auftauchende Ähnlichkeit ausdrücklich bestreitet"
(Freud 1 9 1 1 , 1 62 ) . Dann kann die psychoanalytische ,., Technik" , wie sie etwa in der
,., Traumdeutung" dargelegt ist, ihre Arbeit aufnehmen. Feste Vorstellungen - an Diagnosen
und Definitionen orientiert - finden die ,., Schlüssel" nicht. Dem perspektivischen Blick
Flechsigs sind sie schon entgangen22 . Es gibt etwas, das nicht abgebildet werden konnte
2 0 vgl. Kittler 1 985, 299
21 Hervorhebung von mir.
22 Die Aufmerksamkeit des zentralperspektivischen Forschers gleicht der von E. A. Poes Polizisten im
"Entwendeten Brief". Über diese sagt Lacan: "Sehen wir etwas genauer zu, was den Polizisten geschieht.
Man verschont uns mit nichts, was die Verfahrensweisen betrifft, mit denen sie den ihrer Untersuchung
unterworfenen Raum durchstöbern, von seiner Aufteilung in Raumsegmente durch die nicht ein un­
durchdringlicher Gegenstand sich den Augen entzieht, bis zur Nadel, die das Weiche auslotet, und, da ein
203
oder verstellt ist. Es kommt auf das Verlassen der Ebene des zentralperspektivischen Den­
kens, es kommt auf Ent-Bildung und Einbildung an2 3 . Der Vermittlungsgang bekommt
zwei Richtungen: etwas vorstellen (lassen) und unter Hinzufügung von anderem Wissen
einen Berührungspunkt schaffen, wobei dann beides in Bewegung kommt. Die Methode
muß dabei so flexibel gehalten werden können, daß sie nicht abprallt oder das Geäußerte
zerstört, aber auch das Instrument selber, die mit der Methode verbundene Deutung darf
nicht zerstört werden, weil ansonsten die Verbindung zur symbolischen Ordnung abreißt.
"Die richtigen Grenzen der Berechtigung zur Deutung wird man erst nach vielerlei Versu­
chen und besserer Bekanntschaft mit dem Gegenstand abstecken können" (Freud 1 9 1 1 ,
1 63 ) , schreibt Freud i m Hinblick auf Schrebers "Denkwürdigkeiten" . Dieses Oszillieren
kommt auf die ausweichenden Bewegungen Brunelleschis zurück und überwindet die Be­
rührungslosigkeit von Schrebers V ��er, die im perspektivischen Blick präformiert ist24 .
Erster Kristallisationspunkt für Ubersetzung kann ,., Verwunderung" sein, Beurteilung
setzt eine dann so schnell nicht zu überwindende Grenze: So sagt Freud, daß der ( damalige)
praktische Psychiater bei der Feststellung der Art der Wahnbildung stehenbleibt und dann
die Behandlung beginnt. " . . . seine Verwunderung ist nicht der Anfang seines Verständ­
nisses. Der Psychoanalytiker bringt . . . die Vermutung mit, daß auch so absonderliche, so
weit von dem gewohnten Denken der Menschen abweichende Gedankenbildungen aus den
allgemeinsten und begreiflichsten Regungen des Seelenlebens hervorgegangen sind, und
möchte die Motive und die Wege dieser Umbildung kennenlernen" (Freud, 1 9 1 1 , 1 46 ) .
Liegt aber nun eine Äußerung vor, kann diese nicht einfach als Faktum genommen werden,
vielmehr müssen entsprechend der von F��ud schon entwickelten " Technik" die Bedingun­
gen, die Mechanismen der Bildung der Außerungen in Betracht gezogen werden. In der
"Traumdeutung" hatte er "V erdichtung" , "V erschiebung" und die "Rücksicht auf die
DarsteIlbarkeit" als solche herausgearbeitet. Es ist also �amit zu rechnen, daß bildliches
Sprechen, d. h. also Metaphern und Metonymien, in den Außerungen vorkommen. Ferner
müssen wohl an dem Punkt, an dem die imaginären Inhalte in die symbolische Ordnung
eingetreten sind, Darstellungsrücksichten eine Rolle gespielt haben, also die Abhängigkeit
vom gewählten Medium. Diese Rücksicht ist besonders deshalb wichtig, um nicht Effekte
des Mediums den kommunizierten Inhalten direkt zuzurechnen 25• - Wegen der ,.,Rücksicht
Widerstand ausbleibt, das Harte sondiert, bis zum Mikroskop, das den Bohrstaub am Rand der Bohrung,
ja sogar das mindeste Gähnen kleinster Abgründe denunziert . . . . Die Forscher haben jedoch einen so
starren Blick vom Wirklichen, daß sie nicht bemerken, daß ihre Untersuchung es in ihr Objekt umwan­
delt. Merkmal, mit dessen Hilfe sie dieses Objekt von allen anderen vielleicht unterscheiden könnten.
Es hieße das zweifellos aber zu große Anforderungen an sie stellen, nicht so sehr wegen ihrer mangeln­
den Einsicht, sondern vielmehr wegen der unsrigen. Ihre Einfalt ist weder individueller, noch gemein­
schaftlicher Art, sie ist subjektiven Ursprungs. Die realistische Einfältigkeit versucht unablässig sich vor­
zuhalten, nichts, wie weit auch immer eine Hand reiche, um es in den Eingeweiden der Welt einzugra­
ben, wäre jemals dort den Blicken entzogen, da eine andere Hand es dort erreichen könne, und daß, was
versteckt ist, immer nur das ist, was an seinem PLatz fehLt) wie sich der Auftragszettel ausdrückt, wenn
ein Band in der Bibliothek verloren gegangen ist. Und stünde dieser Band auch auf dem Regal oder im
Fach nebenan, er wäre verborgen, wie sichtbar es auch scheinen mag. Das kommt daher, daß man nur
von dem, was seinen Ort wechseln kann, das heißt vom Symbolischen buchstäblich [0. La Lettre} sagen
kann, daß es an seinem Platz fehle" ( Lacan 1 973, 23f) .
2 3 vgl. Meister Eckhart
24 vgl. Kap . 8
25 Auf Kunsttherapie bezogen kann das etwa heißen, daß ein kräftiger breiter Strich nicht unbedingt auf
Spontaneität, Darstellungsfreude, Direktheit, vielleicht noch Aggressivität schließen läßt, wenn nur Bin­
derarben und breite Pinsel zur Verfügung standen, oder wenn der Therapeut selber mit einem solchen
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auf die Darsteilbarkeit" sind bei Schreber beispielsweise die Adressaten zu berücksichtigen,
deren einer der Psychiater Prof. Dr. Flechsig ist; seine oftmals juristische Diktion ist seiner
Ausbildung zuzurechnen. Das kann nicht heißen, solche Bedingungen nun vom Text abzu­
ziehen, sondern lediglich als Zugänge zur symbolischen Ordnung zu berücksichtigen.
Diese Rücksichten gehen weite Strecken mit dem überein, was hermeneutische Methoden
auch vom Interpreten fordern. Die Psychoanalyse rechnet aber zusätzlich damit, daß die
Entstellungen, die sich in Metaphern (Verdichtungen) und Metonymien (Verschiebungen)
äußern, sozusagen den Interpreten o.?er diejenigen die etwa an einer pädagogischen Situati­
onen beteiligt sind, durchkreuzen (Ubertragung) und diesen damit nicht unverändert las­
sen. Es gibt demnach im strengen Sinne kein Probehandeln (im Denken) , weil die Probe
schon Handeln ist, weil die Bedingungen des Handeins sich unter der Hand verändern, der
vorige nicht der jetzige Standpunkt ist.
Das intuitive Wissen um diese Durchkreuzung läßt aus Angst bei unbekannten Inhalten
Abwehr und Verdrängung entstehen. Diese schotten gegen Entstellungen ab, rücken schnell
zurecht oder sortieren aus. Das in die symbolische Ordnung drängende Begehren, das sich
durch Widersprüche im zur Rede stehenden und "normalerweise" erwartbaren Text kund­
tut, durch Auslassungen, Leerstellen, Wiederholungen, Variationen sich zu erkennen gibt,
erzeugt Vorsichtsmaßnahmen. "Die Artikulationsweise des Unbewußten ist also der Fall
der Vernunft, sofern die Vernunft durch sie in die Falle verlockt und dort zu Fall gebracht
wird. In diesem Sinne läßt sich vielleicht der Fall Schreber lesen" (Weber 1973 , 2 1 ) .
Einen einzelnen nicht durchformulierten Aspekt i n Freuds Schrift " Üb er einen autobio­
graphisch beschriebenen Fall von Paranoia" möchte ich noch wegen seiner Nähe zur Meta­
phorik der Abbildung erwähnen. Freud schreibt: "An der Syptombildung bei Paranoia
ist vor allem jener Zug auffällig, der die Benennung Projektion verdient. Eine innere Wahr­
nehmung wird unterdrückt, (weil vermeintlich oder tatsächlich keine Chance besteht, sie in
eine symbolische Ordnung zu integrieren, sage ich, KJP), und zum Ersatz für sie kommt
ihr Inhalt, nachdem er eine gewisse (rationalisierte, also an eine symbolische Ordnung an­
gepaßte (KJP ) ) Entstellung erfahren hat, als Wahrnehmung von außen zum Bewußtsein"
.
(Freud 1 9 1 1 , 189 ) .
Die notwendige rationale Formulierung der Wünsche, also eine passende, "normale" Äu­
ßeru!,lg, erzwingt Abstriche und Ergänzungen, um sie passend zu machen. Die Rationalität
der Außerung wird dann oft als fremd, nicht dem eigenen Wünschen zugehörig, erlebt.
Dies zumal, wenn der Anteil des nicht Formulierbaren zu groß wird. "Das können ( "dür­
fen" müßte es natürlich richtiger heißen) nicht meine Gedanken sein ! " . Die "fremden"
Wünsche - einmal in die Welt gesetzt - kommen dann als die eines Anderen wieder. Die
Anderen erkennen sich ( angeblich) in diesen Äußerungen nicht wieder und werfen sie zu­
rück. Es entsteht der Eindruck von Verfolgung, der einmal rationalisiert zum Selbstgän­
ger wird . Dieser Vorgang, kurz vor dem Wahn gebremst, im more geometrico aufgefangen,
auf Kosten des Inhalts durch Mathematik formuliert, läßt sich in Descartes ' "Meditati­
onen" schon nachvollziehen.
Die Notwendigkeit der Sicherstellung der Befriedigung elementarer Bedürfnisse und
Wünsche durch rational verankertes Sprechen - im Gegensatz zu einer gewissen "Selbstver­
ständlichkeit" bei über Generationen relativ konstanten Lebensbedingungen - scheint eine
Anfälligkeit für den Eindruck zu produzieren, daß die Welt chaotisch sei, nicht erkennbar,
Gerät die Aufgabe eingeführt hat. Die "Rücksicht auf die DarsteIlbarkeit" muß also versuchsweise fragen:
was wäre mit einem Bleistift geschehen, wenn nur Bleistifte zur Verfügung gestanden hätten oder der
Therapeut nur mit zwei spitzen einen Halbkreis umschreibenden Fingern die Artikulationsmöglichkeit
angeregt hätte.
dem Untergang nahe, das individuelle Subjekt einsam. Unfähigkeit zur Mitteilung von Be­
dürfnissen und Wünschen endet dann manchmal in einem Rettungsversuch über eine
Wahnbildung. In diesem Sinne kann Freud dann sagen: " Was wir für die Krankheitspro­
duktion halten, die Wahnbildung, ist in Wirklichkeit der Heilungsversuch die Rekonstruk­
tio " (Freud 1 9 1 1 , 1 93 ) . Eine andere Möglichkeit der Rekonstruktion f�hrt Freud selber
durch, indem er eine neue Theorie bildet.
Wenn dann in der psychoanalytischen Art der Analyse Bilder wieder zum Vorschein
kommen, nähert sie sich dem Exkommunizierten, dem aus der Kommunikation Herausge­
nommenen an, sie nähert sich dem Sprechen und Schreiben im Wahn26 •
Und andersherum formuliert: Im sogenannten Wahn wird etwas erreicht, was das ge ­
heime Ideal Freudscher Theorie war, die naturwissenschaftliche Beobachtbarkeit endo­
psychischer Wahrnehmungen. Freud hält immer wieder, wenn auch nicht durchgängig,
am Ideal naturwissenschaftlicher Forschung fest, hält dessen Einlösung allerdings aus
prinzipiellen Gründen für fast unmöglich. Er hat sich infolgedessen aus der Not heraus da­
ran gewagt auch mit nicht naturwissenschaftlichen Mitteln zu arbeiten, wie wir sahen, z. B .
mit Metaphern, mit Formen der Literatur, mit Einbildungskraft. Mit dem Versuch, beide
Momente zusammenzubringen, vereinfacht benannt mit " Kunst" und "Wissenschaft" , hat
Freud eine noch immer wirkungsvolle, nicht verschlissene Kritik am naturwissenschaft­
lichen Rationalismus formuliert, gerade indem er ihn nicht verwirft. Die Freudsche Kritik
funktioniert in dem Sinne, daß sie genau die Krise deutlich und in der Schwebe sein läßt,
in der die naturwissenschaftlichen und davon abgeleiteten Methoden stecken. Das führt zu
Berührungspunkten.
Am Ende seiner Abhandlung "Über einen autobiographisch beschriebenen Fall von Pa­
ranoia" ( 1 9 1 1 ) schreibt Freud: "Die durch Verdichtung von Sonnenstrahlen, Nervenfasern
und Samenfäden komponierten 'Gottesstrahlen' Schrebers sind eigentlich nichts anderes
als die dinglich dargestellten,. . nach außen projizierten Libidobesetzungen und verleihen
seinem Wahn eine auffällige Ubereinstimmung mit unserer Theorie. Daß die Weh unter­
gehen muß, weil das Ich des Kranken alle Strahlen an sich zieht, daß er später während des
Rekonstruktionsvorganges ängstlich besorgt sein muß, daß Gott nicht die Strahlenverbin dung mit ihm löse, diese und manche andere Einzelheiten der Schreberschen Wahnbildung
klingen fast wie endopsychische Wahrnehmungen der Vorgänge, deren Annahme ich hier
einem Verständnis der Paranoia zugrundegelegt habe" (3 15) . Freud versichert im An-
26 Das macht wohl einen Teil der heftigen Gefühle wissenschaftlich denkender Menschen gegenüber der
Psychoanalyse verständlich, etikettiert etwa unter "Pansexualismus" , "Biologismus" , "Antifeminismus " , . . .
oder ei ach "Un,:issenschaftlichkeit" . Beugt sich die Psychoanalyse der Kritik, die besagt, daß sie im
naturwIssenschaftlIchen oder klassisch geisteswissenschaftlichen (hermeneutischen) Sinne nicht wissen­
schaftlich sei und ringt um Anerkennung, kommt es entweder zu der bekannten Annäherung an Verhal­
tenstherapie oder zur Medizinalisierung der Psychoanalyse (vgl. etwa J acoby 1 978 und 1 985) oder sie
funktioniert als besonders ausgefeilte Hermeneutik als Additum zu herkömmlichen Methoden. Sie kommt
dann aber nicht mehr �� den anderen Disziplinen in störende Berührung (Das genau ist auch das Di­
lemma des Schulfaches "Asthetische Erziehung", behaupte ich hier etwas sprunghaft. Vgl . hierzu pazzini
1989 . )
nn h �rung an �erkannte Methode? � s Antwort auf Kritik wirken für praktizierte Psycho­
analyse WIe dIe mnerpsychlsche Zensur durch s Uber-Ich, die Zensur, die besagt, was in den Rahmen
des Aussprechbaren, Denkbare� paßt, und das ausschließt, was außerhalb dieses Rahmens liegt oder vom
.
Augenpunkt aus Im Rahmen nIcht darstellbar ist. Demgegenüber käme es auf eine Herabsetzung des Ver­
d � ängungswiderstandes ( d . h. eine Locker�ng der Haltung) an. Auf der individuellen Ebene entspricht
dIe Herabsetzung des Verdrängungswiderstandes genau der Bedingung der Möglichkeit der Traumbil­
dung und damit des Schlafes. Das Ideal rationalistischer Wissenschaftlichkeit ist aber die Wachheit die
S �hlaflosigkeit, weil ansonsten gerade die Monster erscheinen, die aus dem Rahmen getrieben wu den.
DIese Monster sind z . B. die kleinen Bildchen bildlo5 fvgl. dazu im Kap . 3 ) .
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schluß, er könne "das Zeugnis eines Freundes und Fachmannes dafür vorbringen, daß ich
die Theorie der Paranoia entwickelt habe, ehe mir der Inhalt des Schrebersehen Buches be­
kannt war. Es bleibt der Zukunft überlassen, zu entscheiden, ob in der Theorie mehr
W ahn enthalten ist, als ich möchte, oder in dem Wahn mehr Wahrheit, als andere
heute glaublich finden" ( 1 9 1 1 , 200) 27 .
Illusion der Identität
Im Hinblick auf den Ersatzbegriff " I dentität " , Ersatz für Bildung2 8 , sehe ich den Ertrag
der vorangegangenen Abschnitte so: Gegen Ende des 1 9. und zu Beginn unseres Jahrhun­
derts wird deutlich, daß die Annahme eines transzen dentalen Ich als Garantie von Syn­
thesis nicht nur eine regulative Idee ist, wie Kant sagte, oder nur eine kontrafaktische Set­
zung ist, wie Habermas vielleicht gesagt hätte, sondern große Gefahren in sich birgt, weil
sie illusionäres Denken in Ganzheiten und Identitäten fördert.
Die Genese des Ich, seine Identität und Integrität muß genauer in den Blick genommen
werden. Die bisher sozusagen noch gratis gelieferten Voraussetzungen einer weiterhin reli­
giös bestimmten Welt waren aufgezehrt. Das waren Auswirkungen der "kopernikanischen
Wende" (sowohl der des Kopernikus, wie der Kants) , der Individualisierung und Privati­
sierung des religiösen Bezugs, der Aufklärung des " Fortschritts " durch die Entwicklung
von Wissenschaft und Technik, von naturwissenschaftlichen offiziell bilderfein dlichen
Institutionen29. Auch wenn bei vielen ein Gottesglauben und eine Vorstellung von Gott
noch vorhanden war, so kam diesem Bild durch die Individualisierung des Bezuges keine
gesellschaftlich relevante Wirkmächtigkeit mehr zu.
Unter entwicklungspsychologischer Betrachtung erscheint das Ich denn als äußerst ge­
fährdet und zerbrechlich. Um die spezifischen Leiden des (bürgerlichen) Individuums ent­
schlüsseln zu können, die Gründe für seine häufig auftauchende Arbeits- und Liebesun­
fähigkeit, für die immer öfter auftretende mangelnde Autonomie verstehen zu können,
führt Freud wieder Bilder an den verengten Blick heran. Er nimmt sie aber mindestens ge­
nauso intensiv ins GehÖr3o. Ohne Zeit für das Zuhören, ohne offenes Ohr, ohne die Auffüh­
rung der Übertragungen und Gegenübertragungen (bis an den Rand des Agierens) , ohne
wirklich erfahrbaren Widerstands kommt nichts in Bewegung. Dazu taugen aber nur Bil­
der, die nicht Abbilder sind; denn letztere können nur erblickt werden. Es braucht darin
qualitative Zeit, nicht eine Zeit, die am linearen Fortschritt orientiert ist.
27 Hervorgehoben von mir, KlP
2 8 vgl. Kap. 2
2 9 Zur Bilderfeindlichkeit der Wissenschaft vgl. Weinrich 1 980, 1 1 79 und zum Metaphernverbot für Er­
kenntnistheorie siehe Schöffel 1 987, 302f und Nieraad 1977, 90f.
3 0 "Und es ist ja nicht so, daß die Befestigung der optischen Tyrannei lange schon vor ihrer jetzigen Ba­
nalisierung auf einen sie wahrnehmenden kritischen Widerstand nicht gestoßen wäre, damals ihm schon
begegnet wäre, als touristisches Delegieren des j eweils eigenen Sehens an das neue Zaubergerät, die
photographische Kamera, gerade anfing. Da ist York von Wartenburgs Spott, in seinem Briefwechsel mit
Dilthey, über das okulare Panoptikum, auf das die Geschichtsphilosophie des Freundes unter Vernach­
lässigung der in der Gesellschaftstiefe hörbaren Kräfte hinauslaufe, und da ist Nietzsches über den deut­
schen Durchschnittsleser, der beim Lesen seine Ohren in die Schublade gelegt habe, in Jenseits von Gut
und Böse" ( Sonnemann 1 987, 287) .
Auch das ist einer der Gründe, weshalb Freud versucht, zwischen den Wissens formen
von Natur- und Geisteswissenschaft und originär ästhetischer Erfahrung im bildlichen
"Sprechen" und einem entsprechenden Zuhören wieder zum Recht zu verhelfen3 1 .
Um dies zu erleichtern, vollzieht er eine Wendung für die psychoanalytische Kur. Er
steht weder vor noch hinter dem Analysanden, er setzt sich hinter ihn und fordert ihn auf,
die aufrechte Haltung, die den freien Überblick ermöglicht, für eine Zeit aufzugeben. Er
wendet den kompromittierten Blick ab vom Gegenüber, um die Ohren, das Hören aus der
Regie des Blicks zu nehmen und ebenso das Sprechen des Patienten aus der unmittelbar
blitzschnellen visuellen Rückmeldung aus dem Gesicht und der Gebärde des Analytikers 3 2 .
Freud hält trotz auch damals schon "gemäßigter" Praxis anderer Analytiker und oft hef­
tigen WI derstandes von Patienten in der Regel an diesem Setting fest, um, wie er sagt, die
Übertragung zu isolieren, also eine Vermengung von aus dem Blickkontakt mit dem Gegen­
über stammenden, mit alten, inneren und assoziativ aus der momentanen Bewegung her­
aus konstruierten Bildern zu vermeiden. Es war für ihn wichtig den Widerstand deutlich zu
machen oder erst zu gewinnen. Aus dieser Bewegung heraus geraten feste Rahmen aus den
Fugen. - Vielleicht ist es ja so : Durch Sehen kann man sich schneller durchdringen. Freud
wendet sich methodisch ab, um eine Einigung über schnelle Blicke zu unterbinden.
Die in der Abwendung von der Einigung und Hinwendung zur Ent-Täuschung lie­
genden Möglichkeiten gerade auch durch die Abweichung von anderen Wissensformen sind
nicht unerheblich für eine Rekonstruktion des Bildungsbegriffes, wenn nicht restauriert
werden so1l33 .
3 1 Demgegenüber ist die Rede von einer ästhetischen Rationaliät ( Otto/Otto 1 987, 246) zwar im Prinzip
nicht falsch, genauso wie es auch sinnvoll ist, davon zu sprechen, das Unbewußte sei strukturiert wie eine
Sprache (Lacan) . Bildliches Sprechen entbehrt nicht der Gesetzmäßigkeiten, wie wir sahen. Bei einer sol­
chen Redeweise, die ähnlich bei See} ( 1 985) zu finden ist, besteht aber m. E. die Gefahr einer schnellen
Eingemeindung. Ehe nicht die Provokation angenommen und durchgearbeitet ist, möchte ich vorschla­
gen, auf die Subsumption ästhetischer E rfahrung und bildlichen Sprechens unter den Begriff der Ratio ­
nalität zu verzichten. Letztlich ist das eine ästhetische Frage.
3 2 Freud schreibt in der Schrift " Zur Einleitung der Behandlung" : " . . . noch ein Wort über ein gewisses
Zeremoniell der Situation, in welcher die Kur ausgeführt wird" (Freud 1 9 1 3 ) . "Diese Veranstaltung " den Kranken auf einem Ruhebett lagern zu lassen" (Freud) , KIP - hat einen historischen Sinn, sie ist
der Rest der hypnotischen Behandlung, aus welcher sich die psychoanalytische Behandlung entwickelt
hat. Sie verdient aber aus mehreren Gründen festgehalten zu werden. Zunächst wegen eines persönlichen
Motivs, das aber andere mit teilen mögen. Ich vertrage es nicht, acht Stunden täglich ( oder länger) von
anderen angestarrt zu werden. Da ich mich während des Zuhörens selbst dem Ablauf meiner Gedanken
überlasse, will ich nicht, daß meine Mienen dem Patienten Stoff zu Deutungen gebe oder ihn in seinen
Mitteilungen beeinflußen . . Der Patient faßt die ihm aufgezwungene Situation gewöhnlich als Entbehrung
auf und sträubt sich gegen sie, besonders wenn der Schautrieb ( das Voyeurtum) in seiner Neurose eine
bedeutende Rolle spielt" (Freud 1 9 1 3 , 1 93 ) .
3 3 In die Nähe des Restaurierens, was ja immer auch Wunschdenken beinhaltet, kommt Peukert ( 1 987),
wenn er nach dem Verhältnis von Bildung und Vernunft fragt. Er sieht zwar die "radikal verschärfte
Weise" ( 1 987; 70), in der wir "vor den Problemen stehen, welche die klassischen Bildungstheorien zu lö­
sen versuchten", verweist aber, was die E rfahrung der "Entzweiung" angeht, also die der Nicht-Identität
lediglich auf emphatische Äußerungen zur ästhetischen Bildung ( 1 987, 74ff) und fordert zum Ende des
hier zitierten Aufsatzes eine umfassende Rationaliät, ein Weniger an Verstümmelung. Ich meine aber,
daß diese Forderung leer bleibt, wenn sie nicht durch die "Unterwelt" gefüllt ist. Dann aber geht es so
leicht nicht mehr zusammen. - Und: in der Peukertschen Konzeption ästhetischer Bildung scheint mir
nicht die Linie ausgeschlossen, die uns von Shaftesbury überkommen ist: Vertreibung des bösen Scheins
durch den guten. Ästhetische Bildung als Gegenzauber, gegen das Dämonische die edle Dichtkunst. Wei­
teres hierzu sieh bei Lenk 1 983, 206ff.
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Seit diesen Entdeckungen kann Erziehung, sowie ihre Rekonstruktion in therapeutischen
Prozessen, weder ontogenetisch noch je gegenwärtig die paraverbale, die parareflexive34
Phase und Ebene jeglichen menschlichen Verhaltens mehr ausblenden. Der Übertragung
und Gegenübertragung, der Kommunikation von Unbewußt zu Unbewußt ist Rechnung zu
tragen. Als Erkenntnismodus versucht die Psychoanalyse dies gesellschafts-, bzw. wissen­
schaftsfähig zu machen. Faktisch wird nichts Neues geschaffen35.
Die Einbeziehung eines bildlichen Sprechens in pädagogischen Prozessen ist um­
so dringlicher als Grund zur Annahme besteht, "daß sie ( die Deformationen des Ich,KIP)
in noch frühere Phasen der Kindheitsentwicklung fallen als der Ursprung der Neurosen . . . "
Adorno ( 195 1 , 70) .
Dies ist die Phase vor Einführung in die präexistente, symbolische Ordnung. Die kindli che Entwicklung vor der Spracheinführung liefert keine Persönlichkeitsstrukturen für spä­
tere Erziehungsanstrengungen in ausreichender Anzahl mehr gratis, die als Basis für spä­
tere Formierungs-, Bildungsprozesse gelten können. Diese Basis ist nicht mehr unproble­
matisch gegeben. Es gibt kein Äquivalent mehr für das, was wie einst die Existenz einer
imago Dei der "Bildung" Inhalt und Form gab3 6 • Die Phase vor der Spracheinführung hat
sehr viel mit Bildern zu tun.
34
Ich wähle "para-" anstelle des hier gewöhnlich verwendeten "prä" , um zu kennzeichnen, daß hier we­
der ein Rangordnung vorliegen kann, und auch nicht das Präverbale ins Verbale überführt werden muß.
35
Lavater hatte schon die kritische Potenz geahnt und gefordert, die zum Vorschein kommt, wenn man
die Welt der Erscheinung, die Oberfläche verläßt: "Es ist nun einmal unsere Natur, schlechterdings nur
auf der Oberfläche lesen zu können. Dies Lesen auf der Oberfläche, die doch immer in einer Welt ohne
Wunder ein bestimmtes Verhältniß zu ihrem Inwendigen, wovon sie die Gränze ist, haben muß, dies Le­
sen auf der Oberfläche verdächtig zu machen - was heißt das anders als : alles Wissen, Lernen, Sehen,
Erkennen durchaus verdächtig machen? " (zit. n. Dohmen 1964, 186f; Lavater 1 775 - 1 778, IV, 28) .
36 Ist e s Zufall, daß auch die letzten prägenden Spuren des Bildungsbegriffs in der pädagogischen Dis­
kussion, als solche die noch ernstzunehmen sind, fast vollständig verloren gehen in der Zeit, wo sich die
katholische Kirche im " Konzil der Buchhalter" ( Lorenzer 1 98 1 ) von diesen in ihr noch am längsten er­
halten gebliebenen Momenten aufsässiger Sinnlichkeit und Bildhaftigkeit verabschiedet und sich ratio­
nalisierend anpaßt. Ein Umdenken in der katholischen Kirche, die Notwendigkeit über die Liturgie
nachzudenken, soll damit nicht infragegestellt sein. Lorenzer erinnert daran - die Untertitel seines Bu­
ches heißen "Die Zerstörung der Sinnlichkeit. Eine Religionskritik" - daß "die 'innere Transzendenz' des
Menschen, die Verankerung seines Erlebens, Denkens und Handeins im 'Jenseits vom Rationalen' ( ) in
den religiösen Mythen sinnlich angemessener aufbewahrt ( ist) als in den metapsychologischen Kon­
struktionen der Psychoanalyse . . . Psychoanalytische Theorie selbst muß für diese gesellschaftskritische
Aufgabe in historisch-materialistischer Perspektive lesbar gemacht gemacht werden, um aus dem bloß ne­
gativen Begreifen des Unbewußten als Unbewußtem, als dem 'Jenseits vom Bewußtsein' herauszukom­
men, ohne dem ersatzreligiösen Irrationalismus eines kollektiven Unbewußten a la C .GJung zu verfallen"
( 1 981 , 1 1 ; vgl. auch 1 3 7ff) .
1 1 . Auf dem Weg zur Wiedergewinnung des Bildes : Dali - Lacan
Letzte Lockerung * Das durchschnittene Aug.e * Motiv des Narziß * Exkurs ( 1 ) : Über
personale Identität bei Leibniz * Exkurs (2) : Uber das " Transzendentale Ich" als Imago
Dei (Kant) * Verschärfung der Bedeutung der Spiegelung * Selbstportrait in Anek­
doten * Dali: Metamorphose des Narziß * Die paranoisch-kritische Methode * Surreali­
·stische Pädagogik? * Surrealismus, Hysterie, Psychoanalyse: "pas de sens"
" Ich lebe von meinen Widersprüchen" (Dali) 1
Unter dem Einfluß der Psychoanalyse, methodisch wie inhaltlich, in Fortsetzung der
Kritik der " Zentralperspektive" seit Cezannes, entsteht ein Kontakt zwischen Lacan und
Dali.
Dabei läßt sich von einer Wiedergewinnung der Bilder nur bedingt sprechen. Die Bilder
waren ja nicht zwischenzeitlich verloren, sie wurden nur in Bezug zum öffentlich Er­
wünschten, Geförderten, Zugelassenen, Honorierten marginal, sie wurden ausgetrieben, be­
stenfalls noch als künstlerische Besonderheiten, wie wir bei Hieronymus Bosch sehen (Abb.
120), zugelassen. Dort aber schon der Tendenz nach entschärft als zum Privatraum des in­
dividuums gehörig, in seinem Inneren angesiedelt. Mit folgender Interpretation hatte schon
1 605 der Priester und Bibliothekar Siguenza erfolgreich Bosch gegen den Vorwurf der
Häresie verteidigt. Er schrieb eine Art Gutachten (Siguenza 1605/1973 , 34 - 4 1 ) : " . . . first,
because his great inventiveness merits it; second, because they are commonly called the
absurdities of Geronimo Bosque by people who observe little in what they look at; and
third, because I think that these people consider them without reason as beiing tainted by
heresy (34) . . . I want to show presently that his pictures are by no means absurdities but
rather, as it were, books of great wisdeom and artistic value. If there are any absurdities
here, they are ours, not his . . . The difference that, to my mind, exists between the pictures
of that man and those of all others is that the others try to paint man as he appears on the
outside, while he alone hac the audacity to paint him as he is on the inside (35) . . . One
could wish that the whole :world were as fuli of imitations of this picture as it is 0/ the
reality and actuality from which Geronimo Bosch drew his 'absurdities '; for leaving aside
the great beauty, the inventiveness, the admirable and weli-considered treatment that
shows in every part (it is amazing that a single mind can imagine so many things), one can
reap great profit by observing himself thus portrayed true to life from the inside, unless one
does not realize what is . inside hiniself and has become so blind that he is not aware 0/ the
passions and vices that keep him transformed into a beast, or rather so many beasts "
(40j).
Als viel später die destruktiven Anteile dieser Bilder die Realität ergriffen und Europa mit
dem Ersten Weltkrieg überzogen, begann eine verstärkte Kritik der "Zentralperspektive " ,
1 i n DalilDelacroix 1 989, 360 .
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1 1 . Auf dem Weg zur Wiedergewinnung des Bildes : Dal. - Lacan
1 1 . Auf dem Weg zur Wiedergewinnung des Bildes: Dall - Lacan
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Dieses Buch wurde vom Verlag in der unkorrigierten vorletzten Fassung publiziert
ablesbar an den Manifestationen von Dada und dem folgenden Surrealismus, die ja nicht
nur kunstimmanent konzipiert waren, sondern auf die Erweiterung ins "Leben" , die Su­
spendierung des kontrollierten und kontrollierenden Bewußtseins zielen, auf die Zurück­
nahme von Selbstaufsicht, von systemischen und systematischen Kontrollmechanismen
und anderen Formen der Bedrohung durch Sterilität, Langeweile und inhärente Destruk­
tion.
Selbst die Manifeste werden locker in der Verknüpfung, sie entbehren einer Perspektive2 :
Abb. 1 2 1 : KretschmeriSchwarzenberger: D as Bild als Ort ( 1 984)
Letzte Lockerung
Der Dadaist Serner schreibt in "Letzte Lockerung - manifest dada" ( 1 920):
,, 1 0 Um einen Feuerball kreist eine Kotkugel, auf der Damenseidenstrümpfe verkauft und
Gauguins geschätzt werden. Ein fürwahr überaus betrüblicher Aspekt, der aber immerhin
ein wenig unterschiedlich ist: Seidenstrümpfe können begriffen werden, Gauguins nicht
... Die tausend Kleingehirn-Rastas embetantester Observanz, welche erigierten Bourgeois­
Zeigefingern Feuilletonspalten servieren (0 pastoses Gepinkell), um Geldflüsse zu lockern,
haben dieserhalb Verwahrlosungen angerichtet, die noch heute manche Dame zu kurz
kommen lassen. (Man reflektiere drei Minuten über die Psychose schlecht behandelter Op ­
tik; klinisches Symptom, primär: Unterschätzung der Damenseidenstrümpfe; sekundär:
Verdauungsbeschwerden.) . . .
50 Alles ist nämlich rastquouresk, meine lieben Leute. leder ist nämlich (mehr oder weni­
ger) ein ü beraus luftiges Gebilde, dieu merci. (Nur nebenbei: 10 Centimes dem Kühnen;
Abb. 1 20: Bosch: Satanas (Detail aus "Die Hölle" )
2 Das läßt sich allerdings nicht von allen Surrealisten sagen, so z. B. nicht unbedingt von Breton, mit dem
Dal. als (monarchistischer) Anarchist l1:icht zufällig in Streit geriet. Lenk schreibt über Breton: "Er gebiert
das Absurdum einer ästhetischen Planwirtschaft, eines 'Staatsstreichs ' , einer 'Diktatur des Geistes' " (Lenk
1 97 1 , 52) . Allerdings ist ihm dabei die " Verführung" , nicht die direkte Zweckrationalität oberstes Prin­
zip.
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1 1 . Auf dem Weg zur Wiedergewinnung des Bildes: Dali' - Lacan
1 1 . Auf dem Weg zur Wiedergewinnung des Bildes: Dali - Lacan
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der mir nachweist, daß etwas letztlich nicht willkürlich als Norm herumspritzt!) Anders
würde übrigens ein epidemisches Krepieren anheben. Diagnose: rabiate Langeweile; oder:
panische Resignation; oder: transzendentales Ressentiment usw . . . .
14 0 Man setze stets das Ganze (ink!. Atem- und Expreßzüge) in Klammern: Auch in den
nächsthausenden Täuschungsdingen vermag man solcherart sachte zu bestülpen, daß
mit dieser eingeklammerten Größe nicht einmal fiktiv zu krebsen ist. Einen Maßstab, ihr
Gemessenen! Ihr Schaluppen von der Willensfreiheit!! Ihr zerebralen Hopser!!! . . .
28 0 Die letzte Enttäuschung? Wenn die Il­
lusion, illusionsfrei zu sein, als solche sich
herausstellt. . . Der Gipfel der Naivetät? Wenn
jemand mit einem Schlag die (ogottogotto) Wahrheit erfahren will. (Schließlich ist aber
eine Ohrfeige doch nur ein verzweifelter An­
näherungsversuch. A uch wirken unechte
Tränen oft echter als - unechte.) . . .
31 0 Its a long way t o Tipperary. Sicherlich.
Denn genau bedacht: Psychologie ist ein
Handicap. Jede Regel hat ihre A usnahme,
zweifellos. A lso regelmäßig. Deshalb höchste
Vorsicht: Jede Regel ist als A usnahme zu
setzen, denn die Regel ist die A usnahme.
(Wichtige RegelJ) . . . Es gibt nur relative
Feststellungen von relativen Zusammen­
hängen. Und auch die gibt es nicht. Psych­
iater und Untersuchungsrichter sind au fond
unterbliebene Billeteure . . . "
Zunächst bedarf es der Aufsprengung der
eingeschliffenen Formen, anderer Techniken
und Medien, die nicht unbedingt ganz neu
sein müssen, sondern durch ungewöhnliche
Kombinationen, Montagen, die Risse wieder
erscheinen lassen, die dauernd rationalisie­
rend überbrückt werden.
mittels einer inneren Bildproduktion übersprungen werden
können. Montiert ist aber nicht nur der Film im technischen
Sinne, sondern die einzelnen Takes selber, die einzelnen iso­
Herbaren Standbilder. Was in den Räumen dort stattfindet,
ist normalerweise dort nicht vorfindbar.
Zerschnitten wird das Auge des Abbilders, aber der Schnitt
geht auch durch das Auge des Betrachters. Nachdem das Auge
zerschnitten ist, das die Welt bisher säuberlich in Innen und
Außen geschieden hat, dem Subjekt eine eindeutige Perspek­
tive verliehen hat, geht der Film nur noch assoziativ versteh­
bar weiter. Er nimmt die Form einer Collage/Montage an4 •
Assoziativ meint die Zuordnung von Dargestelltem und
Nichtdargestelltem. Der Bild- "sinn" liegt "zwischen" den
Bildgegenständen in deren Rissen.
Im Drehbuch von Bunuel und Dali heißt es5: "Ein Balkon
in der Nacht (verleiht größeren Überblick) . Ein Mann (aristo­
telisches Denken und Handeln als männliches Prinzip)
schärft sein Rasiermesser (siehe Freud) nahe dem Balkon.
Der Mann betrachtet den Himmel durch die Scheiben (Blick
nach oben, Ideenhimmel, siehe Platons Höhlengleichnis) und
sieht . . . eine schmale Wolke, die auf den Vollmond zutreibt
(Mond, Nacht6 als Symbole für das Weibliche; bei Platon und
danach ging es ums Sonnenlicht, Sonne Vater) . Dann: der
Kopf eines jungen Mädchens mit weit geöffneten Augen. Dem
einen Auge nähert sich die Klinge des Rasiermessers. Jetzt
zieht die schmale Wolke vor dem Mond vorbei. Die Klinge
des Rasiermessers zerschneidet das Auge des j ungen Mäd­
chens "7.
Bunuel schreibt zu diesem Film: "Das Drehbuch wurde in
weniger als einer Woche nach einer se�r einfachen Regel ge­
schrieben, für die wir uns in voller Ubereinstimmung ent­
schieden hatten: keine Idee, kein Bild zuzulassen, zu dem es
eine rationale, psychologische oder kulturelle Erklärung gä­
be·, die Tore des Irrationalen weit zu öffnen; nur Bilder zuzulassen, die sich aufdrängten, ohne in Erfahrung bringen zu
wollen, warum" (Buiiuel 1983, 93f) .
Es wird ·also nicht einfach nur eine neue bidnerische Tec� -
•..
=
.
Das durchschnittene Auge
Programmatisch für die Kritik des per­
spektivischen Blicks scheint mir die Anfangs­
sequenz aus DaHs und Bunuels Film "Ein
Abb . 1 2 2 : Der Schnitt mit dem Rasiermesser andalusischer Hund" zu sein: Dort sieht man
durch das ( zentralperspektivische) Auge - Sze­ einen Schnitt mit der Rasierklinge durchs
n enfotos aus . dem Film "Ein andalusischer Auge. Eine radikale Kritik zwar, aber das Se­
Hund" .
hen, auch das perspektivische muß dadurch
nicht aufhören, es wird anders geordnet, montiert. An den Nahtstellen der Montage, die
zunächst Hindernisse für den perspektivischen Blick darstellen3, entstehen Lücken, die nur
3
Blick im weitesten Sinne: Das heißt hier auch: Hindernis für eine perspektivisch eingestellte Erwartung
gegenüber der Story.
213
4
5
vgl. hierzu auch: Mattenklott 1 982, 57ff
Kommentar in Klammern jeweils von mir, KJP . - In dieses Kapitel
sind Teile einer früheren Veröffentlichung eingegangen (vgl . Pazzini
1 984 ) .
6
Abb . 1 2 3 : S z enenfoto s aus
dem Film "Ein andalusis cher
Hund"
Hierzu eine Anmerkung aus Lenk "Die unbewußte G esellschaft" :
"Während die Perspektive der wachen Person tendenziell immer die
Zentralperspektive ist, das heißt die Perspektive eines Wesens , das sich
im Unterschied zu allen anderen Lebewesen aus eigener Kraft aufge­
richtet hat und nun erhobenen Hauptes die Welt erblickt, ist die nächt­
liche Perspektive dezentral" (Lenk 1983 , 2 8 ) .
7 zit. n. GregorlPatalas 1976, I, 76 .
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1 1 . Auf dem Weg zur Wiedergewinnung des Bildes: Dali - Lacan
1 1 . Auf dem Weg zur Wiedergewinnung des Bildes : Dal! - Lacan
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Motiv des Narziß
Abb . 125: C aravaggio: Narziß ( 1 600 )
Abb . 1 24: Dali: Arcpitektur der Augen ( 1 976 )
nik erfunden. Der Surrealismus übermittelt bzw. versucht eine tiefere Verunsicherung zu
übermitteln: Die Sprache des Traumes, des Unbewußten, des nicht mit der Rationalität der
Rationalisierung Mitgekommenen. Er kritisiert nicht nur die Zentralperspektive, sondern
auch Lebensperspektiven, Lebensläufe, von einem Standpunkt her konstruierte Lebens­
räume8.
Dieser Kritik entsprechen Lacans Aussagen zum Spiegelstadium. Es gibt demnach auch
ontogenetisch keinen einfachen Ausgangspunkt.
8 Von solchen Strukturierungen und Phaseneinteilungen lebt aber bis zum heutigen Tag (Schul-) Pädago­
gik, die sich primär, wenn nicht allein mit institutionellen Vorgaben einrichtet, die durch übernommene
Phaseneinteilung sowohl der Entwicklung der Lernenden, wie des Lernprozesses determiniert wird, viel­
leicht am ehesten nicht die Ä sthetische Erziehung . Sie müßte ein Ohr haben für die Botschaft des Sur­
realismus .
Thematisch sind Lacan und Dali u.a. über das Motiv des Narzißmus 9 miteinander ver­
bunden. Zentrales Motiv des Mythos ist die Spiegelung. Beide kritisieren in ihrer Auffas­
sung der Metamorphose des Narziß implizit Freuds Konzeption 1 0 des primären Narzißmus
als eines ganzheitlichen, wenn auch noch nicht bewußten Zustandes der Selbstzu­
friedenheitl l .
9 E s ist schon merkwürdig, wenn in den Schriften des als größten Narzißmustheoretiker gehandelten
Kohut weder Lacan noch in den Abschnitten über Kunst Dali Erwähnung findet.
10
Sie wird jedenfalls meistens so gelesen .
1 1 Von der Rezeption der Freudsche� Aussagen zum Narzißmusproblem her gesehen, hat Freud zumin­
dest diese Lesart nicht deutlich genug ausgeschlossen. So resümiert der Psychoanalytiker Wahl, daß der
"Gedanke nicht von der Hand zu weisen ( ist) , hinter der libidotheoretischen Engführung seiner (Freud,
K1P ) genialen Entdeckungen und Einsichten stecke ein . . . sensualistisches und mythologisches Mi ßver­
ständnis zugleich, das uns auch im Folgenden (in anderen Konzeptionen nach Freud, K1P ) immer wie­
der begegnen wird: ein affektiv hochbesetzter parad i esischer Urzustand absoluter Autarkie und Glück -
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1 1 . Auf dem Weg zur Wiedergewinnung des Bildes: Dal! - Lacan
1 1 . Auf dem Weg zur Wiedergewinnung des Bildes: Dali - Lacan
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Für diese ursprüngliche Selbstzufriedenheit gibt es in der frühkindlichen Entwicklung
keinerlei Anhaltspunkte. Sie erscheint vielmehr als eine retroproj ektive Idee von Erwach­
senen: Wenn es diesen Zustand einmal gegeben hat, dann könnte ja auch die Chance be­
stehen, daß er noch einmal erreichbar ist. Dafür werden dann Bilder in Mengen gefunden.
Die phantasmatische Selbstzufriedenheit wird dann als statisches Bild zu dem Ziel der
Identität umgeformt, das wie immer man es dreht etwas mit Geschlossenheit, Dauer und
Festigkeit zu tun hat.
Identität, Einheit und Dauer sind aber nichts Ursprüngliches, sondern Reaktion auf die
Irritation, wie sie in der Spiegelphase erlebt wird. Sie sind ,.,etwas Abgeleitetes, Gewor­
denes", schreibt Gorsen in der Analyse von Dalis Methode ( 1 980, 263 ) .
Für Dali war jedwedem Gefühl und Bewußtsein von Einheit, von Selbstidentität lebens­
geschichtlich und auch faktisch ein deutlicher Riegel vorgebaut, ein sichtbarer, so wenig
unbewußt wie das selten vorkommt. Man kann im Hinblick auf Dall geradezu von einer
Veranschaulichung der Unmöglichkeit frühkindlicher Einheitsempfindung sprechen. Das
kleine Subj ekt spiegelt sich im Spiegel, im Erwachsenen. Diese spiegeln zurück. Dabei
spielen vielfältige Projektionen eine Rolle. Bei Dali lag folgende konkrete Form solcher
Projektionen vor:
Befragt nach den entscheidenden Merkmalen seiner Kindheit (Dali/Delacroix 1 989,
357 ) :
,.,Die Fotografie meines älteren, toten Bruders, der ebenfalls Salvador hieß und der mir
aufs Haar glich: Dieses Foto neben der Reproduktion des Gekreuzigten von Velasquez. Ich
nahm die Stelle meines toten Bruders ein, fühlte mich für seinen Tod verantwortlich: Was
blieb mir, als mich beständig gegen den Tod zu behaupten? Ich entwickelte früh meine ein­
samen Rituale. Da ich von der Wirklichkeit getrennt war, schuf ich mir meine eigene. Im­
mer vorläufig vertretungsweise. Immer gegen den Tod" (DalilDelacroix 1989, 357) .
Dali-Biographin Meryle Secrest bemerkt dazu: ,., Wenn er in die Augen seiner Mutter sah,
erblickte er nicht sein eigenes Spiegelbild, sondern seinen Geist" ( Secrest 1 987, 3 1 ) 1 2 .
,.,Die Erfahrung des Doppeltseins, der Ichgespaltenheit, des zerstückelten Körperichs, der
Selbstentfremdung und Präsenz des Ichs im Selbst · eines Anderen ist das Ursprünglichere,
und sie liegt der Bevorzugung der ambivalenten Konstruktion der Vexierbilder und Ana­
morphosen durch Dali zugrunde. Die gleiche Erfahrung ha� in Lacans These vom Narziß­
mus als der Identitätskonstitution des Ichs durch sein Spie:gelbild explizit theoretische Ge-
stalt gewonnen. Dalis narzißtische Bilderwelt kann als ästhetische Analogie zu diesem theo­
retischen Ansatz gelesen werden" (Gorsen 1980, 263 ) .
Abb.
1 26: Dall im Alter von sechs Jahren . . . ( 1950)
seligkeit wird ganz undialektisch und nicht-ambivalent, nur positiv, in pseudowissenschaftlichen Termini
gefaßt und als positivistisch rekonstruierbarer, psychischer Real-Tatbestand 'arn Uranfang' postuliert, um
auf diesem sicheren ' archäologischen' Boden spätere Erlebnisweisen und Phantasien, ' normale' Entwick­
lungen und pathologische Entgleisungen im Selbstverständnis des Menschen zu 'erklären' " ( Wahl 1 985,
3 0 ) . - ( Unerklärlich auf einer Ebene wissenschaflicher Informiertheit ist allerdings, warum Wahl Lacan
nicht zu kennen meint) .
1 2 Dalis Äußerungen über das Todesalter seines Bruders sind wahrscheinlich wie soviele Datierungen in
seinen Erinnerungen nicht immer faktisch zutreffend. Mal läßt er seinen Bruder mit 5 Jahren sterben,
mal mit 7 Jahren. Nach dem Totenschein starb der Bruder mit zweiundzwanzig Monaten (vgl. Secrest
1 987, 25 ) . - Dali schreibt sozusagen in Bedeutungsperspektive. - Die Geschichten, die er erzählte, vari­
ierten immer ein wenig; darauf angesprochen, erinnerte ihn selbst dieses typisch " dalinistische" Vorgehen
an einen Scherz über den französischen Schauspieler Raimu: "Wie Raimu immer sagte: ' In jeder · Lüge
steckt ein wahrer Kern.' Eines Tages sagte er in einem Cafe: 'Als ich einundzwanzig war, habe ich in
einer Nacht fünfundzwanzigmal geliebt. ' Die Leute im C afe zuckten die Schultern und wechselten das
Thema. Da haute Raimu mit der Faust auf den Tisch und sagte: ' Selbst darin ist ein wahrer Kern. Ich
war es nicht, es war meine Schwester. Sie war eine Hure'" (Dali 1 974 in einem Interview mit Pierre Des­
graupes, Le Point, 28. 1 . 1 974, zit. n. Secrest 1987, 375 ) .
Abb . 1 27 : Hase und IgelIWettlauf - Die Igel setzten die Differenz ein und spielen mit ihr . . .
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1 1 . Auf dem Weg zur Wiedergewinnung des Bildes : Dal! - Lacan
1 1 . Auf dem Weg zur Wiedergewinnung des Bildes: Dal; - Lacan
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Abweichend von Gor­
sen meine ich nicht,
daß L acan von einer
Identitätskonstitution
des Ichs durch das Spie­
gelb ild spricht oder gar
eine solche K onstruk­
tion beabsichtigt, eben­
sowenig Dali. Beide zei­
gen und demonstrierten
in ihrem Werk
( viel­
leicht auch in ihrem Le­
b en ) ,
daß
Mens chen
faktisch ohne gesicher­
te
o der
ganzheitliche
"Identitätskonstitution "
leben, wenn man unter
die rationalisierte Ober­
fläche sieht.
Dies ist gerade wegen
des bildlichen Anfangs
so" der als eine Phase,
eine dauernde Wendung
erhalten bleibt. E in Ge­
fühl von Identität kann
unter diesen V orausset­
zungen
Abb. 128: Hase und Igel/toter Hase - Der Hase ging von der Identität aus .
ßenwahnsinniger und paranoischer Züge wuchs, wie sie spätestens seit der Philophie Des­
cartes in der abendländischen Zivilisation angelegt waren. Es entstand ein überfordertes in­
dividualisiertes Subj ekt, das seine ihm nunmehr möglich erscheinende Autonomie nie er­
reichen konnte, statt dessen aber mit einer Tendenz zum aufgeblähten Ich ausgestattet ist,
wie später in der Narzißmusforschung unter nunmehr klinischen Kategorien 14 festgestellt
wird. Alle diese Forschungen hab en als , orientierenden Hintergrundbegriff den B egriff der
Identität, der an die Stelle von Bildung getreten ist.
Die begriffliche Wurzel für den E rsatzbegriff "Identität" anstelle des schon inhaltlich ent­
leerten Bildungsbegriffs ist meines Erachtens b ei Leibniz zu suchen, der Identität auch zu­
erst als personale Identität formuliert hat 15 .
Die Vorstellung und der Begriff von persönlicher Identität ist seit seiner genaueren For­
mulierung im 17. Jahrhundert bei Leibniz, verbunden mit Konnotationen von strikter Ab ­
grenzung - " Monade" - mit der Tendenz zu verdinglichter B etrachtung - "ein denkendes
und einsehendes Seiendes"
Identität ist in der neuzeitlichen K o nstrukti­
on, als personale Identität gedacht, primär eine bewußtseinsphilosophische KategorieB.
D aß I dentität primär eine bewußtseinsphilosophische Kategorie ist, möchte ich in einem
Exkurs etwas erläutern:
Exkurs (1) : Über personale Identität bei Leibniz
D ie imago Dei verschwand nicht ersatzlos. Das aufgeklärte Subjekt hatte sie unbemerkt
allmählich in sich aufgenommen, übernahm selber göttliche Funktionen . Z unächst viel­
leicht noch optimistisch, dann aber leidend einsam.
Feuerbach konnte später die proj ektiven Inhalte der Gottesvorstellungen aufzeigen. Er
identifizierte sie als die Bilder, die sich der Mensch nicht traute, von sich selber zu haben.
D er feste, wenn auch proj ektive Bezugspunkt außen zerfiel allmählich : daß die Vernunft
die Welt regiert, wurde als Ausgangspunkt immer weniger wahrscheinlich. Diese weitere
Freisetzung war kaum aushaltbar, da sie dem Menschen in anderer Weise als vorher eine
Begrenztheit vorhielt. Die Gefahr für die Entstehung und ungehinderte Ausbreitung grö-
( 1 985, 405 ) .
durch die etwas hinein- oder heraustreten könnte" , schreibt er in der Monadologie (Leibniz
1714, 7 ) .
So geht er davon aus, daß die Monade die gesamte Welt in ihren Vorstellungen
umfaßt " als lebendiger Spiegel des Universums" (Leibniz
1714, 56) .
Hier finden wir bei Leibniz eine noch unproblematisch gedachte Version des Spiegelsta­
diums - sozusagen ohne entwicklungstheoretisch gefärbten Blick.
"Das Wort Person bedeutet ein denkendes und ein sehendes Seiendes, das der Vernunft
und der Reflexion fähig ist und das sich selbst als das Selbst, als etwas selbiges betrachten
kann, welches zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten denkt" , soweit sich
dieses B ewußtsein erstreckt, " soweit erstreckt sich auch die Identität dieser Person,
"
(Leibniz
1 704, 405) .
Dies ist eine räumlich abgegrenzte Vorstellung, so etwas wie ein Machtbereich.
Dieser anfängliche Begriff von Identität ist begleitet von Vorstellungen der exakten Be­
stimmbarkeit von Standpunkten in der Zeit mit Mitteln der Logik, Arithmetik und Geome­
trie (vgl. Leibniz 1 714, 5 ) 1 7. Selbstbewußtsein wird wichtigstes Merkmal der Persönlich­
keit. Die Grenzen um das Individuum werden so strikt gezogen, daß Leibniz eine spontane
Kommunikation unmöglich erscheint, er gründet sie dann auf die Vorstellung einer "prä­
stabilierten Harmonie " , die Kontakt und Austausch garantiert oder - j e nach dem wie man
es sieht - überflüssig macht.
Auch von der "Entdeckung" des Unbewußten lassen sich bei Leibniz die ersten Spuren
finden. Von der Konzeption der Bewußtheit als Voraussetzung der Identität her zeichnen
sich um so schärfer die "kleinen Perzeptionen" ab , die nicht unm ittelbar bewußt wahrge­
nommen werden. " Ü brigens gibt es gar viele Anzeichen, aus denen wir schließen müssen,
daß es in jedem Augenblick in uns eine unendliche Menge von Perzeptionen ohne bewußte
Wahrnehmung und Reflexion gibt . . . Nichtdestoweniger können sie zusammen mit
anderen ihre Wirkung tun und sich insgesamt wenigstens in verworrener Weise zur Wahr-
1 4 z. B. von Kohut ( 1 973 ) und sozialisationstheoretisch von Ziehe ( 1 975 ) . Vgl. hierzu z. B. die Kritik von
Lenzen ( 1985, 292 ) , der neben der Tendenz zur Pathologisierung bei Ziehe ähnlich wie ich den dahinter
liegenden I dentitätsbegriff kritisiert ( 1 985, 296 ) .
15
vgl. de Levita 1 97 1 , 26
16
13 Diese Grunderfahrung spiegelt sich m. E. auch im Märchen vom Hasen und Igel.
Die menschliche Monade sieht Leibniz mit V or­
stellungen und S elbstbewußtsein ausgestattet. - "Die Monaden hab en keine Fenster 1 6 ,
nur illusionär
sein, was nicht heißt,
daß es unwirksam sei.
219
Fensterlose Räume lassen sich mit einiger Präzision als bewohnbar vorstellen, wenn illusionierte Bilder
existieren, die an die Wände gehängt werden können.
17
vgl. hierzu Pazzini 1 986c, 74, Anm. 1 3
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Das i m vorbürgerlichen Bildungsbegriff enthaltene Vorbild ( Gott ) , das keiner Ableitung
nehmung bringen ( XXI) . . . D iese kleinen Perzeptionen sind also in der Folge von größerer
Wirksamkeit, als man denkt. Sie bilden das ' Ich-weiß-nicht-was ' , diesen Geschmack nach
und keines Konstitutionsprozesses bedarf, taucht bei Kant als transzendentales Ich auf. Da­
gegen steht das " empirische Ich " . D ieses "kann Erfahrungen mit der Außenwelt machen;
etwas, diese Vorstellungsbilder von sinnlichen Qualitäten, welche alle in ihrem Zusam­
1 704,
221
XXI­
indem es die Veränderung in sich selbst als Bewirkungen der Außenwelt erfährt, ist seine
Bildungsgeschichte als die Geschichte seiner Veränderung in der Zeit der Prozeß der empi­
In Leibniz Argumentationsgang hat man zuweilen den Eindruck, als ob die " kleinen/un­
rischen Einwirkung der Außenwelt auf es. Das transzendentale Ich kann keine Bildungsge­
mensein klar, j e doch in ihren einzelnen Teilen verworren sind . . . " ( Leibniz
XXV ) .
schichte haben, weil es von vornherein als ein fertiger Bestand von Fähigkeiten vorausge ­
merklichen Wahrnehmungen" mehr an Kontinuität verbürgen, als die bewußten.
Der Begriff von p ersonaler Identität wird gegen die beginnende, sich immer mehr be­
schleunigende B ewegung formuliert und notwendig mit Selb stbewußtsein zusammen ­
gedacht. D i e Bewegung und ihre Beschleunigung als ein Charakteristikum der gegenwär­
.\
setzt wird. Kant entwickelt hier Ansätze z u einer Theorie der Bildungsgeschichte des Sub ­
j ekts; . . . " (Brinkmann 1 973, 1 27 ) . Kant verfolgt die Bildungsgeschichte selb er nicht wei­
ter; er arbeitet mit der V oraussetzbarkeit des transzendentalen Ichs 1 9.
tigen Epoche lassen einen festen Standpunkt aber nicht mehr zu, eine prästabilierte Har­
Seit dieser "kopernikanischen Wende " verschärft sich die Frage nach der Bildung, weil
ist nicht mehr zu erblicken, und das Selbstbewußtsein kann nicht mehr als auto­
gleichzeitig mit ihr auch ein "Freispruch Gottes durch den Verzicht auf die Welt als Schöp­
monie 1 8
( 1 987, 80)
nom gesehen werden seit Freuds "Entdeckung des Unbewußten" . Es ist nicht mehr Herr im
eigenen Hause.
fung" verbunden ist, wie Marquard
"Mit Freud ist ein Reflexionstyp ins europäische Denken gekommen, der einen Großteil
dessen, was sich Philosophie nennt, naiv erscheinen läßt. Es ist seitdem keine Bewußt­
hin. "Nicht mehr Gott, sondern der Mensch selber ist es, der sich im Prozeß in Sachen Ver­
nünftigkeit des Wirklichen vor seiner eigenen Anklage zu verantworten hat" ( Marquard
seinsphilosophie mehr sinnvoll, die nicht zugleich eine Philosphie des Unbewußten ist; es
kann keine Bestimmung von Rationalität mehr als adäquat akzeptiert werden, die Ratio­
nalität nur immanent, d. h. durch logische Strukturen o der Argumentationsprinzipien be­
stimmt - und nicht auch in ihrer Beziehung zum ' Irrationalen ' " (Böhme/Böhme
1 983 ,
es ausdrückt. Das Vor-Bild geht als unfrag­
liches verloren, die Garantie der Integration von Mikro- und Makrokosmos ist endgültig da­
1 987, 8 1 ) .
Erst ein Mensch, der sich diesem Anspruch in wie auch immer abgemilderten
Form stellt, ist Ich. Ziel von "Bildung" muß daher j etzt Autonomie sein und Fähigkeit zur
Auflösung von Antinomien, also Auflösung der ärgerlichen Widersprüche in der Weh, die
zur Absetzung Gottes geführt haben. Damit hat sich Bildung die S chwierigkeit eingehan­
Und man könnte fortfahren, daß dies abgeleitet ebenso für die Pädag�gik, für jegliche
delt, selber bestimmen zu müssen, wohin sie will, woher sie ihre Urbilder nimmt und hat,
ziehung gilt, der Beschäftigung mit Kultur und Kunst im weitesten Sinne. Ansonsten ver­
Bilder zu unpräzise. Sie hält sich dann in der Regel an die Technik der Abbildung, um wi­
1 1 ).
Sozialisationstheorie und erst recht für die Bestimmung der Aufgaben der Asthetischen Er­
kommt das letztgenannte Schulfach zur bloßen Kompensation.
D as sei kein Plädoyer fürs Irrationale, sondern für eine Einstellung, die in ihrer Theorie­
bildung darum weiß, "was die Vernunft nur wert ist. Sie wird Vernunft nicht mehr ohne
die Angst, die sie zu bannen sucht, ohne den Herrschaftsanspruch, der mit ihr verbunden
ist, ohne die Ausgrenzung des Anderen sehen können. D as Andere der Vernunft: von der
Vernunft her gesehen das Irrationale, ontologisch das Irreale, moralisch das Unschickliche,
logisch das Alogische. D as Andere der Vernunft, das ist inhaltlich die Natur, der mensch­
liche Leib, die Phantasie, das Begehren, die Gefühle - o der besser: all dieses, insoweit es
sich die Vernunft nicht hat aneignen können" (BöhmelBöhme
die sie einbildet. Will sie aber rational im ( natur- )wissenschaftlichen Sinne vorgehen, sind
derspruchsfrei mit wachem Bewußtsein handeln zu können. Besser als Gott. Er wurde j a
aufgrund der Widersprüche aus der Verantwortung entlassen. Eine große Aufgabe für eine
vernünftige, nur am bewußten Sein des Menschen orientierte Erziehung.
Das Dilemma von Erziehung ist, daß sie durch die Säkularisierung des Bildungsbegriffs
unter bewußtseinstheoretischen Vorzeichen in eine Immanenz gerät, die die Bedeutung der
im ImaginärenlBildlichen angesiedelten Spiegelung verschärft. denn dort konstituiert sich
das Subj ekt. Und: Nur am Menschen selber kann nun ein Vorbild gewonnen werden. Und
das ist nichts anderes als eine Spiegelung.
1 983 , 13 ) .
Verschärfung der Bedeutung der Spiegelung
Exkurs (2) : Über das "Transzendentale Ich" als Imago Dei (Kant)
Oben sprach ich
davon, daß die Imago D ei ersetzt wird durch ein Ich mit größenwahn­
Die Kräfte, die das kleine Subjekt aus der Spiegelphase herau sziehen, es nach aussen
orientieren, werden zu Ende des 1 9 . Jahrhunderts2 0 schwächer, verlangen ein höheres Maß
sinnigen und paranoischen Zügen. - D as paranoische Moment ist sicher grundgelegt im Ge­
nius malignus des Descartes, der potentiell alle täuscht. D as größenwahnsinnige Motiv mit
Aspekten von Münchhalisens Sumpfgeschichte scheint spätestens bei Kant angelegt zu sein:
1 8 In der von Leibniz geforderten prästabilierten Harmonie ließen sich noch mit Mitteln der Differential­
und Integralrechnung trotz Bewegung absolute Standpunkte bestimmen und Gesetzmäßigkeiten festhal­
ten, den stetigen, unendlichen, homogenen Raum vorausgesetzt ( dieselbe Voraussetzung wie bei der zen­
tralperspektivischen Raumkonstruktion ) . Davon kann heute nicht mehr ausgegangen werden - spätestens
seit Einstein und Heisenberg. - Die Differential- und Integralrechnung wurde von Leibniz und Newton
etwa gleichzetig entwickelt, ein mathematisches Verfahren, das nicht die Werte einer Funktion in belie­
bigen Punkten, sondern die Ä nderung dieser Werte von Punkt zu Punkt als Rechengrößen behandelt, ein
Verfahren, d as unerläßlich ist, zur Bestimmung von Bewegungen, Geschwindigkeiten bezogen auf ein
festes Koordinatensystem.
1 9 Zur Kritik an Kants Bestimmung des transzendentalen Ichs vgl. z . B. Sonnemann 1 987, 279ff. Dort
schreibt er u. a . : "Das transzendentale Ich des Königsberger Philosophen '" ist vom empirischen Ich
durch einen polnischen Korridor getrennt" ( 284 ) . - Sonnemann verweist insbesondere auf das Problem,
das durch die Verräumlichung von Zeit entsteht. Dies hängt hinwiederum eng zusammen mit der oben
skizzierten "modernen" Auffassung vom Bild.
2 0 Die spätestens seit der Neuzeit erforderte Selbstbeobachtung und Selbstkritik läßt allerdings schon seit
der Romantik auch das Gefühl der Selbstzerrissenheit deutlich werden: "Narziß versinnbildlicht (wieder)
den Weg der Seele ins irdische Leben; die Narzisse ist das sichtbare Symbol des Falle� aus der idealen
Präexistenz" ( Wahl 1 985, 1 6 ) . Die Wiedervereinigung mit dem verlorenen wahren Selbst ist aber auf Er­
den nicht möglich, in der Welt der Erscheinungen (Platonismus ) . "So bleibt nur der metaphysische,
künstlerische, mystisch-religiöse Traum vom Paradies, von der wiederherzustellenden Einheit und Ganz­
heit" ( Wahl 1 985, 1 6 ) .
222
1 1 . Auf dem Weg zur Wiedergewinnung des Bildes: Dalf - Lacan
1 1 . Auf dem Weg zur Wiedergewinnung des Bildes: Dali - Lacan
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an Eigenaktivität, das symbolisch vermittelt werden muß. Meine Vermutung ist, daß auch
daher das Interesse an der Figur des Narziß wächst, verbunden mit der Notwendigkeit der
Versicherung über den Ausgangspunkt und die mit dem Verlassen dieser Phase verbundene
Gewaltanwendung, die j a sozusagen im klassischen Sinne tragisch ist. Es bleibt keine
Wahl. Das Verbleiben in der Spiegelung führt zum Tode, die Wendung aus dem Imagi­
nären hinaus verschärft das Gefühl für die Endlichkeit, d. h. letztlich den Tod, und die
Fremdbestimmung durch die immer schon vorgefundene Ordnung. Die Fremdbestim­
mung widerspricht dem Ideal der Aufklärung, Aufklärung ist aber nur möglich über die
Teilnahme an der symbolischen Ordnung.
Ahb. 129: Bellmer: Die Anatomie der Liebe
Wie wir sahen, produziert nun der Vorgang der Spiegelung zwei Sorten ineinander ver­
wobener Bildstrukturen: Das Spiegelbild kommt der perspektivischen Struktur sehr nahe.
Das Gegenbild der gleichzeitigen inneren Körperwahrnehmung ist viel diskontinuierlicher,
von anderer Qualität und kommt vielleicht am ehesten der Sicht bei geschlossenen Augen.
im beleuchteten Raum nahe. Von da aus lassen sich aber keine Kontinuitäten konturieren,
jedenfalls nicht als Sichtbilder oder Abbilder. Das innere Bild vom Körper repräsentiert
keinesfalls einen homogenen, unendlichen, stetigen Raum und einen Körper darin oder
einen Körper als äußere Begrenzung eines Raums.
Das ist ein Moment der oben schon erwähnten Irritation. Dazu kommen die durchweg
auch aus dem Imaginären stammenden unbewußten Erwartungen der erwachsenen Sub­
jekte gegenüber dem Subjekt im Werden, z. B. dem Zögling, die auf dessen Körper projie­
ziert werden und durchaus ganz handfeste Formen annehmen können, wie wir am Beispiel
Schreber sen. sahen. Das läßt sich an Dalf noch weiter deutlich machen:
"Ich trat, als ich geboren wurde, in die Fuß­
stapfen eines angebeteten Toten2 1 , den man in
mir weiter liebte, ja vielleicht noch mehr liebte.
Eine narzißtische Wunde war für mich dies
Übermaß von Liebe, eine Wunde, die mir mein
Vater am Tag meiner Geburt zufügte und die ich
schon im Schoß meiner Mutter spürte. Nur
durch die Paranoia, das heißt durch stolze Sel­
bstverherrlichung, gelang es mir, mich vor dem
Nichts des systematischen Zweifels zu retten. Ich
lernte zu leben, indem ich die Leere einer mir
wirklich geltenden Zuneigung füllte mit der
Liebe- durch-mich-zu-mir; ich habe den Tod
durch Stolz und Narzißmus besiegt" (Dali
1974a, 1 1 ) .
Von zwei Seiten drohen Stückelungen: Aus der
Differenz von eigener Körperwahrnehmung und
Spiegelbild und auch aus den Projektionen der
Erwachsenen, wobei diese letztlich auch im
Spiegelstadium ( der Erwachsenen) fun diert
sind.
"Die Ichbildung schließt im Lacanschen Er­
klärungsmodell Zerstörung und Desintegration
Abb. 1 3 0 : Bellmer: Zehn Konstruktionsdokuals gestaltende Kräfte eines Bewußtseins ein"
mente Nr.9
(Gorsen 1 980, 269 ) . ( Z er) Stückelung, Unein­
heitlichkeit werden zur ersten Erfahrung, nicht Harmonie und Ganzheit. Es entstehen
Risse, die Glättung verlangen, Beruhigung. In der Orientierung am ersten Spiegelbild, liegt
es nahe, diese Glättung in weiteren Abbildern zu suchen, da ja das Spiegelbild der "zentral­
perspektivischen " Abbildung ähnelt. Das Motiv für die Produktion von Abbilderfluten ist
damit gegeben. Die Abbilder sollen immer wieder für Momente die Illusion beruhigender
Ganzheit aufscheinen lassen. Jedenfalls in einer Zivilisation, in der das Auge die Herrschaft
über die anderen Sinne gewonnen hat. Darin liegt aber leicht eine Art Wiederholungs­
zwang, eine Wiederkehr des immer Gleichen oder doch sehr Ähnlichen, was durchaus nicht
dazu angetan ist, die immense Verunsicherung und Wut produktiv zu wenden. Wenn das
Subj ekt sich schon in sich selber nicht rational und übersichtlich ganz findet, so sollen es
doch wenigstens die Anderen oder die Umwelt werden. Hier kippt die Wut in Rache um. Es
entsteht etwas, was unter anderem als die Diktatur des rechten Winkels für die gestaltete
Umwelt kritisiert wird, oder etwa die instrumentelle partialisierte Vernunft, die den Ur­
wald rodet, ohne (unübersichtliche) Zusammenhänge in Reflexionen miteinzubeziehen.
Es war nun Motiv in den ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts, in der surrealistischen
Bewegung im Anschluß an Dada, solche Begradigungsprozesse aufzudecken, ihre Gefahren
zu benennen, vor allem aber Formen zu finden, die die Risse thematisieren, nicht ver­
stopfen und das Begehren zulassen, das nicht in den schon präexistenten symbolischen
2 1 Bei Dali war es konkret der verstorbene Bruder. In dieser Schärfe muß das nicht immer so sein. Es
kann sich um andere Proj ektionen handeln. Der ältere Bruder kann aber auch das Spiegelbild sein, das
einen Zustand " spiegelt" , so wie das kleine Subjekt erst sein wird.
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1 1 . Auf dem Weg zur Wiedergewinnung des Bildes: Dali - Lacan
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Ordnungen aufgehen kann, Wege anzudeuten. Hier bestehen in der Motivation Ä hnlich­
strahlt. "Wir waren überrascht z u entdecken, daß unsere Ansichten gleichermaßen und aus
keiten zwischen Psychoanalyse und Surrealismus. Teilweise gerieten die Motive j enseits der
denselben Gründen den damals fast einmütig vertretenen konstitutionalistischen Theorien
konkreten Verständigungsmöglichkeiten der Protagonisten bei der Bewe g.u ngen zusammen.
Die mißlungene Begegnung zwischen Freud und Breton ist bekannt22 . Uber den Beinahe­
entgegengesetzt waren" (Dali
Kontakt ._zwischen Dali und Freud hat Dali vielfach berichtet23 • Hierher gehört auch die
und die Punkte, in denen unsere seltenen Meinungsverschiedenheiten wirklich bedeutsam
weniger bekannte Begegnung zwischen Lacan und Dali.
sein mochten, obj ektiver zu erwägen. Aber mehr und mehr machte mir die ziemlich b eun­
1942, 32) .
-
Nach dem Gespräch mit Lacan wanderte Dali in
seinem Atelier auf und ab, "und versuchte den Gang unseres Gespräches zu rekonstruieren
ruhigende Art und Weise Kopfzerbrechen, in welcher der j unge Psychiater von Zeit zu Zeit
prüfend mein Gesicht angeblickt hatte" (Dali
Selbstportrait in Anekdoten
Neben der thematischen Beziehung zwischen Lacan und Dali besteht eine weitere, die sich
am hesten als die Anekdote erzählen läßt, die Dali in seinem " Geheimen Leben"
( 1 984)
aufgeschrieben hat:
Dali erzählt ein " Selbstportrait in Anekdoten"
( 1942) .
D ie Anekdote Nr. IX berichtet von
dem Zusammentreffen zwischen Dali und Lacan. Mit dieser Geschichte erzählt D ali eine
Phase des Spiegelstadiums, d.h. was Lacans Arbeit über das Spiegelstadium meint:
,,1937.
E ines Tages erhielt ich in Paris den Telephonanruf eines brillanten j ungen Psych­
iaters . Er hatte gerade in der Zeitschrift
Le Minotaure
einen Aufsatz von mir über den 'in­
( 1 942, 3 1 ) 24
neren Mechanismus der paranoischen Aktivität' gelesen"
1942, 32) .
Nachdem D ali zunächst vermutet,
Lacan habe seine Gedanken in seinem Gesicht gelesen, "fand ich des Rätsels Lösung, als ich
bald darauf meine Hände waschen ging . . . Aber diesmal gab mir der Blick in den Spiegel
die AntWort. Ich hatte vergessen, das weiße Papierquadrat von der Nase zu nehmen" (Dali
1942, 32).
Dieses Treffen fand 1937 ( oder vielmehr 1933/4) statt.
1936 hat Lacan die erste Fassung des " Spiegelstadiums" geschrieben und in Marienbad
vorgetragen.
1937
malt D ali die "Metamorphose des Narziß" . D azu existieren zuvor aber schon Stu­
die n .
.
Dali arbeitet am Portrait der Vicomtesse de Noailles bis er durch das pünktliche Klingeln
Lacans unterbrochen wird. Er p ortraitiert in Abwesenheit der Frau; malt auf hochglanzpo ­
DaH: Metamorphose des Narziß
liertem Kupfer, das wie ein Spiegel wirkt. Er sieht sich selber beim angestrengten Z eich­
nen. Es fehlt ihm aber der Kontrast, um die Zeichnung kontrollieren zu können, weil er
sich immer selber spiegelt. Dali beobachtet, daß er an den Stellen, wo die Reflexionen am
hellsten waren, am besten sehen konnte. Er b aut sich dann sozusagen ein drittes Auge, in­
dem er sich ein etwa
1
cm2 Stück weißes Papier auf die Nase klebt. D ieses Auge strahlt sel­
ber, spiegelt aber nichts. Eine leere Reflexionsfläche, die die Spiegelung des Materials über-
22 Die Mißverständnisse und Differenzen zwischen Freud und Breton werden von Spector ( 1 973 , 1 57 1 65 ) beschrieben. - Dall berichtet in seiner Autobiografie ( 1 942, 37ff) über die mißlungenen ( Wien)
und das eine gelungene Treffen mit Freud in London ( 1 93 8 ) . Dort zeigte er ihm sein Bild "Metamor­
phosen des Narziß" und schenkte ihm Minotaure no. 1 , das einen Beitrag von ihm enthielt (im übrigen
auch einen von Lacan) . - Freud schreibt über dieses Treffen an Stefan Zweig: ,,20. Juli 1 93 8 . . . Wirk­
lich, ich darf Ihnen für die Einführung danken, die die gestrigen Besucher zu mir gebracht haben. Denn
bis dahin war ich geneigt, die Surrealisten, die mich scheinbar zum Schutzpatron gewählt haben, für ab­
solute (sagen wir fünfundneunzig Prozent wie beim Alkohol) Narren zu halten. Der j unge Spanier mit
seinen treuherzig fanatischen Augen und seiner unleugbar technischen Meisterschaft hat mir eine andere
Schätzung nahegelegt. Es wäre in der Tat sehr interessant, die Entstehung eines solchen Bildes analytisch
zu erforschen . . . . " (Iones 1 984, Bd. 3, 278)
2 3 z . B. 1 984, 37f
24 Dalis Autobiographie erscheint 1 942 in den USA; 1 984 auf deutsch. - In der amerikanischen Version
geht der hier zitierten Stelle der Satz voran: "Ich war dreiunddreißig" . - Die Datierung stimmt wahr­
scheinlich .. nicht: der von Dall erwähnte Aufsatz ist wahrscheinlich der im Minotaure no. 1 , 1 93 3 er­
schienene : �Interpretation paranoiaque-critique de l' image obsedante 'L'Angelus' de Millet. Prologue" , S.
65 - 66. In derselben Nummer erscheint ein Beitrag von Lacan "Le probleme du style et la conception
psychiatrique des formes paranoiaques de I' experience" , 68 - 6 9 . Da Dali 1 904 geboren ist, muß er sich
um et:wa vier Iahre vertan haben. - Wie man es nimmt: sowohl bei Dalls Datierung wie bei der von mir
rekonstruierten kommt am "Ende" oder am " Anfang " eine " Spiegelung" mit Lacan dabei herau s . Einmal
die Publikation verwandter Gedanken im selben Heft des Minotaure, das andere Mal die Nähe der ersten
Arbeit am " Spiegelstadium" bei Lacan und Dalis "Metamorphosen" . - Nach einer Überlegung von Patrice
Schmitt ( 1 980, 262 ) könnte Dali auch seinen 1 930 erschienenen Aufsatz "Der Eselskadaver" meinen.
Abb . 1 3 1 : Dali: Metamorphose des Narziß ( 1 937)
Auf den ersten Blick scheint sich ein fast zentralperspektivischer Bildraum vor uns auf­
zutun . Sofort tritt eine Irritation ein: Zum einen sind von der Konstruktion her, wohl
mehrere Blickrichtungen in einem Bild zusarnmengefaßt, zum zweiten kann der darge ­
stellte Inhalt so nicht in einem dreidimension alen Außenraum existieren. Auf Spiegelungen
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1 1 . Auf dem Weg zur Wiedergewinnung des Bildes: Dali - Lacan
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durch das Thema eingestellt, glaubt man diese auch zu entdecken. Sie sind aber nirgendwo,
sie scheinen nur da zu sein, sind aber kein exakt begrenztes Gegenüber, sondern Fortfüh­
rungen dessen, was angeblich gespiegelt wird. Die Grenzen der Spiegelungsflächen verän­
dern sich dauernd, wenn man versucht sie festzuhalten. Die Figur des links am Wasserrand
knieenden Narziß, kniet dann auf einmal im Wasser. Um die Mittelachse des Bildes gespie­
gelt, erscheint Narziß als Hand. Und dann doch nicht gespiegelte Hand. Sie ist verschoben,
nicht gespiegelt. Die rechte Hand wirkt tot, steinern gipsern. D as linke Knie dieser Hand
wirkt etwas lebendig, im Sonnenlicht. Die rechte Hand wird zu einer Erholung für das Au­
ge gegenüber den überblendeten Konturen der linken Figur.
Der Kopf der linken Figur ist auch aus Stein. Oder ist es eine Nuß, der Kopf als Ei findet
sich dann rechts ( auf der toten Seite) . Das Ei bricht auf und es kommt eine Narzisse hervor.
Leben. Jetzt wird die Nuß auch ein bißehen zum Ei.
Man möchte die Spiegelung oder doch die Verschiebung präzisieren, versucht rechts wie
links eine Hand zu sehen, die ein Ei zwischen den Fingern hält. Dazu muß man in der
linken Bildhälfte die spiegelnde Wasseroberfläche durchdringen. Das gelingt nicht, weil
sich hier wieder nicht alles spiegelt.
Ganz links unten ist dann Blau. Blau hat aber oben zu sein. Also ist es wahrscheinlich
eine Spiegelung. An der entsprechenden Stelle ist der Himmel verfinstert durch felsfarbige
Wolken. Rechts sind die Wolken grau, wie der Stein, der Gips der Hand darunter. Und jen­
seits der Berge erscheint eine dritte Hand, ein dritter Narziß.
Das Bild bietet keinen Haltepunkt. Weder außerhalb als gesicherten Augenpunkt noch in­
nerhalb des Bildes kann Bewegung zum Stillstand kommen, da der Blick immer weiter
verwiesen wird. Der Blick kann auch kaum zwischen Abbild und Bild, Spiegelbild und Ge­
spiegelten hin und her pendeln. Aber er tut so. Das Nahe erblickt man auch in der Feme;
was oben ist, ist unten und umgekehrt; und doch j edes Mal etwas anders und auch nicht
umgekehrt.
Die paranoisch-kritische Methode
Dali fügt den Metamorphosen ein Gedicht bei. "Das erste Gedicht und das erste Bild, die
nach uneingeschränkter Anwendung der paronisch-kritischen Methode entstanden sind"
(DaH 1974b, 280 ) .
Auf der Basis der nicht konstitutionellen Auffassung der Psychose, wie sie schon bei
Freud an Schrebers " Denkwürdigkeiten " entfaltet wurde, setzt Dali auf die Paranoia, oder
deren Simulation, als einer A�l�ät, die das aus der gesellschaftlichen Realität ausge­
schlossene Wünschen und Begehr�perfahrbar machen soll. Die Sicht der Welt ist auch von
Wünschen bestimmt, vom Begehren, das nach dem Ausgang aus dem Imaginären, aus dem
Spiegelstadium, nicht in der symbolischen Ordnung aufgehen konnte, nicht nur von einem
zweckrationalen Erkenntnisinteresse her. Die kritisch-paranoische Methode wendet sich
gegen den naiven Realismus der Wahrnehmung25 , der sorgsam darum bemüht ist den sub­
jektiven Anteil auszuscheiden. Für Dali wird die Anwendung der paranoisch-kritischen
Methode zu einer Existenzfrage. Es ist bis zu seinem Tod nicht klar geworden, wieweit,
wann und ob es ihm gelang zwischen Wahnvorstellungen und einer davon unabhängigen
unabhängigen Existenz der Welt zu jonglieren. Diese Balance zu halten, bzw. sie zu ver­
lieren macht die Gefährdung durch diese Methode aus. Dali definiert seine Methode, die die
Aktivität des Sehens gegen die Aufzeichnung des Seheindrucks wieder in Kraft setzt, so:
,, 1 929 richtet Salvador Dali seine Aufmerksamkeit auf die inneren Mechanismen der
paranoischen Phänomene und faßt die Möglichkeit einer experimentellen Methode ins
Auge, die auf dem unmittelbaren Vermögen systematischer, für Paranoia typischer Assozi­
ationen beruht; diese Methode sollte in der Zukunft zur wahnhaft kritischen Synthese wer­
den, die sich 'paranoisch-kritische Aktivität ' nennt. Paranoia: interpretierender Assoziati­
onswahn mit systematischer Struktur - Paranoisch-kritische Aktivität: Spontane Methode
irrationaler Erkenntnis, die auf der kritisch interpretierenden Assoziation wahnhafter Phä­
nomene " beruht ... Das Vorhandensein aktiver, systematischer Elemente setzt weder wil­
lentlich gelenktes Denken noch einen irgenwie gearteten intellektuellen Kompromiß vor­
aus, denn bekanntlich gehört bei der Paranoia die aktive, systematische Struktur zum
wahnhaften Phänomen selbst - Jedes wahnhafte Phänomen paranoischen Charkters,
selbst das augenblickliche, plötzliche, schließt bereits 'in Gänze ' die systematische Stru­
ktur ein und objektiviert sich erst a posteriori durch Einschalten der Kritk. Die kritische Ak­
tivität schaltet sich lediglich als Entwickler von Vorstellungsbildern, Assoziationen, Zusam­
menhängen und Feinheiten des Systems ein ... " (Dali 1 935, 273).
Dali läßt sich also nicht hinterrücks vom Wahn überfallen, wie es Schreber geschah, son­
dern reitet auf seinen Wellen, wie ein Surfer. Anhalten geht nicht.
. . Seine Bilder, so z. B. die "Metamorphose des Narziß" , können für den Betrachter zu
Ubungsfeldern für eine solche Aktivität werden. Diese ist sprachlich schwer einzufangen.
Das dauernde Gleiten der zu isolierenden Signifikanten, des Bedeutenden, beugt sich nur
schwer der Linearität des Schreibens. Nur durch Verwerfung von Bedeutungen, von zentra1en Momenten ist Eindeutigkeit zu erlangen. Das wäre aber dann - und das führt DaH mit
List und Tücke vor - die Verkennung der Realität dieses Bildes, der Wahn. Andererseits ist
das Bild nicht so konstruiert, daß es in separierbare Einzelteile zerfiele, es ist nicht ganz
und gar unwahrscheinlich. Die Verwirrung gelingt nur unter Voraussetzung der �z.entral­
perspektive" . Sie ist das sichernde und verunsicherte Fundament der paranoisch-kritischen
Aktivität.
Die aus Einzelteilen, vorwiegend Eiformen zusammengesetzten Metamorphosen des Nar­
ziß, lassen sich bei genauerer Betrachtung nicht ganz zusammensetzen, obwohl doch eine
geschlossene Gestalt wahrgenommen wird. Dieses Phänomen kennen wir aus Lacans Be­
schreibung des Spiegelstadiums. "Im Spiegelstadium ist die Verbindung des Individuums
zu seinem Spiegelbild durch den Stempel des Todes markiert, denn es identifiziert sich mit
dem Wesen, das es nicht ist. Das ist der Tod des Narziß, der in der 1 936 gemalten Meta ­
morphose des Narziß hervorragend ausgearbeitet ist. Der aus vielen Eiformen komponierte
junge Mann bewundert sich im Wasser, das den Reflex auf eine Hand bündelt, die den Tod
bedeutet" (Schmitt 1 980, 265). Abbilder lassen diesen Zerfall nur erahnen, indem sie Mo­
mentaufnahmen sind, Erstarrungen. Nach Erfindung des Films können sie aber mühelos
in Bewegung gedacht werden. Erst Montagen - damit meine ich auch die Art der Komposi­
tion der "Metamorphosen" - bieten die Risse, die Bilder wieder auftauchen lassen.
.
Surrealistische Pädagogik ?
25
Ich beschränke mich hier auf den knappen Hinweis, da Gorsen diese Methode in Ausführlichkeit in
ihrer Entstehungsgeschichte, in ihrem Zusammenhang zur surrealisischen Bewegung, zur Psychoanalyse
Freuds und Lacans und zur sogenannten Kunst der Geisteskranken analysiert hat (V gl. also Gorsen
1 980 ) .
Gibt es Übersetzungsmöglichkeiten von Dalis Methode in die Pädagogik? Was wäre also
ein Mensch, der unter "surrealistischen" Vorzeichen pädagogisch tätig ist?
Als V ersuch einer Antwort führe ich ein Bild von Magritte ein:
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1 1 . Auf dem Weg zur Wiedergewinnung des Bildes : Dal. - Lacan
1 1 . Auf dem Weg zur Wiedergewinnung des Bildes: Dal! - Lacan
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Das Bild von Rene Magritte hat den Titel, sagen wir "Der Pädagoge" 26 : Ein Mann sitzt
auf einer Bühne, neben sich hat er einen Ledersack . Sein Rumpf ist durch einen offenen Kä­
fig dargestellt. In ihm sieht man eine Taube sitzen, eine zweite befindet sich außerhalb des
Käfigs. Dieser ist teilweise durch eine Decke verhüllt, ein Hut ist dem ganzen aufgesetzt.
Man ist versucht, eine brillante Deutung dieses Gebildes zu geben und seinen Titel zu er­
klären. Nun gibt es aber nicht eine Deutung, jeder kann seine eigene ausarbeiten, und wenn
er sie auch jeden Augenblick, nach jeder neuen Erfahrung neu ausarbeiten müßte.
"Der Pädagoge" von Magritte ist ein surrealistisches Objekt. Es lädt uns zu einer anderen
Sichtweise der Dinge ein, einer Sichtweise, die sich von den Regeln und dem Erlernten,
dem Erwarteten, den Traditionen und der Sicherheit losgelöst hat.
Als unentbehrliche NIindestvoraussetzung
muß der Pädagoge auf die Überzeugung
verzichten, daß er die Wege des Lebens, des
Glücks und der Lust kennt, und daß seine
Aufgabe darin bestünde, den Schüler auf
den richtigen Weg zu bringen. Er wird er­
staunt, schockiert oder irritert sein. Seine
Aufgabe besteht folglich nicht darin, beim
Schüler zu zerstören, was ihn, den Lehrer,
überrascht, sondern zu erforschen, weshalb
sich der eine am anderen stößt oder über
ihn ärgert.
Diese Rückkehr zu sich selbst erfordert oft
Anstrengungen und löst Ängste aus . Es ist
der Preis, den man zu zahlen hat, um unbe­
kannte Aspekte der eigenen Person und der
fremden zu entdecken.
Gerade beim Lehrer, der sich selbst als
surrealistisches Obj ekt entdecken wird, sit­
zen die Widerstände. Der nächste Tag kann
der Kehraus des heutigen sein und das gan­
ze Leben des Menschen kann zum surreali­
stischen Objekt werden, das aus Bruchstükken besteht, die keine offensichtliche Bezie­
Abb . 1 32: Magritte: ,.,Der Therapeut"
hung zueinander haben.
Nachsatz: Magritte hat kein Bild mit dem obigen Titel gemalt. Der letzte Abschnitt ist
nicht von mir; es ist eine paraphrasierende Zusammenfassung des letzten Abschnitts aus
Israels Buch "Die unerhörte Botschaft der Hysterie" ( 1 983 , 267 ff) Die Fragestellung des
Ahschnitte"s bei Israel lautet: Was ist ein Psychotherapeut? Der Antwortversuch läßt sich
also nur der Tendenz nach übertragen. Die Analyse der Hysterie, die Psychoanalyse und der
Surrealismus sind enge Verwandte. Aller dreier Botschaften sind z. B . in der Pädagogik
noch weitgehend unerhört. Sie sind schwer zu verstehen und nicht als gesichertes Wissen
wie anderes zu behalten.
.
Surrealismus, Hysterie, Psychoanalyse: "pas d e sens"
Die Surrealisten Aragon und Breton veröffentlichten 1928 in "La Revolution Surrealiste"
Nr. 1 1 ein Manifest " Zum fünfzig-j ährigen Bestehen der Hysterie ( 1 878- 1 928) " . Darin
heißt es:
"Die Hysterie ist ein mehr oder weniger spezialisierter Geisteszustand, der sich dadurch
charakterisiert, daß er die Beziehungen zwischen Person und sittlicher Umwelt außerhalb
jedes Wahn-Systems fördert. Dieser Geisteszustand basiert auf dem Bedürfnis einer
wechsel-seitigen Verführung . . . Die Hysterie ist kein pathologisches Phänomen und darf in
jeder Hinsicht als A usdrucksmittel ersten Ranges betrachtet werden " (zit. n. Waldberg
1981, 62).
Unter den Vorzeichen des psychoanalytischen Verständnisses der Hysterie sind die Sym­
ptome "nicht mehr nur Zeichen einer gestörten Funktion eines Organs oder Systems, sie
enthalten vielmehr eine Botschaft, die wie jede Botschaft, an jemanden gerichtet ist, auch
wenn dem Absender weder der Empfänger, geschweige denn der Inhalt der Botschaft be­
kannt ist. Man ist hier offensichtlich mit etwas Absurdem konfrontiert, das sich jedem
simplen und durchsichtigen Erklärungsversuch widersetzt. Das Denken muß einen Schritt
weiter gehen, einen "pas de sens" 27 tun, wie Lacan es ausgedrückt hat, zu einer neuen Ord­
nung vorstoßen. Es ist gerade der Schritt . . . , der (Freud, KJP) zur Entdeckung des Unbe­
wußten führte" (Israel 1983 23 ) .
Dies führt zu einer Dezentrierung: Das Ich ist nicht niehr der einzige Ausgangspunkt der
menschlichen Aktivität, nicht mehr allein das Bewußtsein ist Subj ekt. "Diese Dezentrie­
rung, die die Bedeutung der Aktivität des 'Ich' , des sich selbst bewußten Individuums, er­
heblich zusammenschrumpfen ließ, hat etwas Schockierendes an sich. Aber alle Vernei­
nungen, Kritiken und Ratonalisierungen helfen nichts: die Existenz einer unbewußten Ak­
tivität muß nicht mehr bewiesen werden" (Israel 1983 , 23 ) .
Der Surrealismus markiert - ebensowenig allein und ohne Vorgänger wie Freud - einen
solchen pas de sens zumindest für den äst?etischen Bereich. Im Bereich pädagogischer Ak­
tivitäten wäre wohl am ehesten eine ästhetische Erziehung, nicht kompensatorisch, nicht
.
affirmativ, zum Hören der Botschaft zu animieren.
"Aber", so könnte man fragen, "ist nicht der Mangel an Surrealismus eher ein Merkmal,
eine Grenze der Institution Schule und nicht der Erziehung, insbesondere nicht der Ästhe­
tischen Erziehung, ja der vielleicht am wen�gsten? " . Darauf kann ich nur antworten: Ja. Aber: ohne die Institution Schule wäre die Asthetische Erziehung so surrealistisch, wie die
Hysterikerin weiblich in einer Welt ohne Männer" . Institutionen können nicht abgeschafft
werden, sie können verändert werden. Wer nicht hören will, muß fühlen.
26 In die folgenden Abschnitte sind Teile einer früheren Veröffentlichung eingegangen (vgl. Pazzini
1 9 84 ) .
229
27 A. d. Ü . : pas de sens heißt sowohl ,.,sinnlos" wie auch "Sinnschritt" oder ,.,Gedankenschritt" .
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1 2. Über die S chwierigkeiten, die Abbildung zu verlas sen.
Ein pädagogischer Blick nach Pollock * Alkohol und Geschwindigkeit * Bewegung und
Imagination * Trouble in doing away with the frame * Pollocks Begriff vom
Malen und vom Bild * Der 2ungebildete" Maler * Die andere Mimesis * All-over und
Drip * Balance und Rhythmus an Stelle des "Standpunktes"
"We've had all this trouble in doing away with the frame - and now this. Paintings don't
need all this fooling around. The hell with museums ' Put the paintings in a room and look
at ' em - isn't that enough? You remember that old building where the Museum of Modern
Art started? What was wrong with that? I was in a house designed by Mies onee; I feIt so
taut I eouldn't say anything."l
Das nun folgende Kapitel handelt von den Schwierigkeiten, die " Zentralperspektive" zu
verlassen, dargestellt am Beispiel Jackson Pollocks. Diese Schwierigkeiten sind der Struk­
tur nach identisch in der Malerei, im Alltag, der Wissenschaft, der Pädagogik.
Ein pädagogischer Blick nach Pollock
196 1 zeigte uns unser Kunsterzieher die Reproduktion eines Gemäldes, das ich für Kleck­
serei hielt. Er fragte, ob wir uns vorstellen könnten, wie dieses Gemälde entstanden sei. Wir
waren verunsichert, belustigt. "Wie ist das gemacht? " - "Er hat wohl einfach Farbe an die
Wand geschmissen." - Kichern - "Das soll Kunst sein?" - Er erzählte dann von einem Ma­
ler, der die Leinwand auf den Boden legte, sich konzentrierte und dann ziemlich schnell von
hart gewordenen Pinseln oder von Stöcken oder direkt aus der Dose Farbe auf die Leinwand
träufelte oder goß.
"Und hier kann man sehen, daß da auch manchmal was daneben ging: Die Farbspur
geht hier eigentlich aus dem Bild raus und hier kommt sie wieder. " In begrenztem Rahmen
durften wir das dann auch machen, zwar nicht auf dem Boden, weil der Kunsterzieher so­
wieso immer Schwierigkeiten mit dem Hausmeister hatte, aber auf dem Tisch, mit Was­
serfarben, oder auch mit Skriptol. Wir sollten nach Möglichkeit einen Klecks auf das Blatt
setzen, das Blatt in die Hand nehmen und den Klecks darüber "laufen" lassen. Vom Blatt
hinunter eben nicht. Das machte ich dann zuhause.
Das sollte nun Kunst sein? - "Ja ! " Ich war froh über diese Möglichkeit, obwohl ich während des Unterrichts noch recht
skeptisch gewesen war, ob das Kunst sei. Später erst konnte ich in etwa formulieren, was
daran für mich so widersprüchlich interessant war: Ich hatte die Erlaubnis bekornmen ,
vom Zwang des Abbildrealismus, unter den ich gestellt wurde und unter den ich mich ge­
stellt hatte, wegzukommen; von einer Forderung, die beinhaltete, daß man auf dem ge-
1
Die im Motto zitierte Ä ußerung Polloeks entnahm ich Rodman 1 957, 84.
232
1 2 . Über die Schwierigkeiten, die Abbildung zu verlassen
1 2 . Über die Schwierigkeiten, die Abbildung zu verlassen
233
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zeichneten oder gemalten Bild etwas genau wiedererkennen müsse . Ich stellte mir unter
dem Malen wohl so etwas vor wie eine Konkurrenz zum uneinholbaren Foto. In einer Zeit
ohne Fingerfarben konnte ich zum erstenmal ausprobieren, wie man mit Farben kleckert
und spritzt. Ich sah, wie Farbe auf ein Blatt lief, wie der Prozeß selber spannend wurde,
mich interessierte und konzentrierte, und nicht erst das mehr oder weniger mit einer äuße­
ren Realität übereinstimmende Ergebnis, sei es nun vorgegeben oder vorgestellt. Bis dahin
waren mir auch die schwerer kontrollierbaren Wasserfarben suspekt. In der Grundschule
wurde nur mit Farbstiften gezeichnet. Allerdings blieb mir bei meinem späteren Lehrer ein
Rätsel, wieso das nun moderne Kunst sein sollte, warum solche Bilder im Museum hängen.
Klar war lediglich, daß diese Werke und ihre Imitationen dadurch einen Bonus hatten.
Später habe ich dann diese Erlebnisse irgendwie eingekapselt, sie waren präsent im Motiv,
selber Kunsterzieher zu werden, aber gleichzeitig lange Zeit suspekt, vielleicht auch zu be­
ängstigend.
Abb . 133: Deshalb meint auch das Beamtenheimstättenwerk, daß man alles im Rahmen sehen muß.
Alkohol und Geschwindigkeit
Angst scheint mir ein zentrales Motiv in Pollocks Leben gewesen zu sein. Pollock ver­
suchte mit unterschiedlichen Mitteln, seine Angst zu bannen, seine Ruhelosigkeit zu be­
sänftigen, den drohenden Zerfall seiner Persönlichkeit in den Griff zu bekommen, mit häu­
fig genutzten Mitteln, die sich in ihren Wirkungen aber immer wieder gegenseitig störten.
Er versuchte, sich mit Alkohol zu beruhigen und seine Ängste vor Kontakt mit anderen
Menschen zu unterdrücken. Dabei wurde er so offen, daß ihn jede wirkliche oder auch nur
scheinbare Mißachtung seiner Sehnsucht nach Nähe und Geborgenheit zu wütender Ver­
zweiflung brachte. Er versuchte es mit Anpassung und Identifikation, er lebte eng mit sei-
ner Frau Lee Krasner zusammen und fand i n ihr das, was ihm an eigenen Möglichkeiten
zur Realitätsbewältigung fehlte. Hier kam er zur Ruhe. Aber Ruhe erlebte er als Stillstand.
Stillstand bedrohte ihn mit Depression. Er mußte sich immer wieder losreißen.
..
Solche Versuche, Angste
zu bekämpfen, und de­
ren Mißlingen, deren
Z irkularität bis zur
Selbstzerstörung, sind
nichts Außergewöhnli­
ches, sie kommen mil­
lionenfach vor, bleiben
in der Mehrzahl unver­
standen , werden als
Krankheit identifiziert,
als Abweichung. Pol­
lock bietet nun - so
meine ich - eine Mög­
lichkeit, s olche Abwei­
chungen, Störungen der
Identität, die "Patholo­
gie der Identität" ( de
Levita 197 1 ) als prak­
tische Kritik der histo­
risch gewordenen Ent­
würfe i n dividueller
Identität und Subj ek­
tivität zu sehen. Die Re­
volten gegen die Kon­
ventionen sind in seiner
Malerei ablesbar, eben­
Abb . 1 3 4 : Pollock: Collage ( 1943 ) - Erinnerungen an Elemente der For­
so wie die Restitutionsmensprache Picassos
versuche, wenn er im ­
mer wieder auf sein (fast väterlich zu nen-nendes) Vorbild Picasso zurückkommt. Die Re­
volten haben ihn bekannt gemacht, sie finden heute immer noch Aufmerksamkeit. Auf­
merksamkeit und ein lebendiges Interesse können nur über zumindest vorläufige Identi­
fikation zustandekommen, diese muß nicht bewußt sein und kann auch ohne Kenntnis der
Lebensgeschichte Pollocks geschehen; sie kann allein auf der Grundlage der Spuren, die er
in seiner Malerei hinterlassen hat, in Gang gesetzt werden . Schwierigkeiten, die Pollock mit
seiner Identität hatte, finden im Förderer, Käufer, Aussteller seiner Kunst und im in­
teressierten Betrachter einen Resonanzboden, für passagere Identifikationen. Was ist die
V oraussetzung dafür?
Pollock lebte unvernünftig, er trank zu viel und raste mit dem Auto. Ruhe erlebte er als
Stillstand, Stillstand brachte ihn aus dem Gleichgewicht:
"Jack didn't have to be drinking to drive like a madman. It was something about the ex­
citement it gave . . . " (Kadish in Potter 1 985, 60) . Er versuchte durch die Bewegung und in
der Beschleunigung, sich zu stabilisieren, weil er keinen festen Standpunkt fand. Die
Anregung und Aufregung in der Geschwindigkeit ließen ihn sich selber sp üren, sozusagen
im Gegenwind und in den auf den Körper einwirkenden Kräften . Pollock fuhr leidenschaft­
lich Auto, schnell und riskant. Geschwindigkeit verändert Wahrnehmungsbedingungen
und Kommunikationsstrukturen: Nur das unmittelbar Nahe, das , was sich mitl ewegt,
234
1 2 . Über die Schwierigkeiten, die Abbildung z u verlassen
1 2 . Über die Schwierigkeiten, die Abbildung zu verlassen
235
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einen Rauswurf ein, weil e r i n einem selbst herausgegebenen
Journal 01 Liberty
aufs hef­
und die Ferne bleiben genau erkennbar. Der Vordergrund und der Mittel grund wechseln
dauernd. Nur über kurze Distanzen läßt sich reden, mit denen, die mitfahren ; über weitere
tigste den Lobgesang auf die Athletik und "die daraus folgende Abwertung des theoretischen
Entfernung allenfalls im Funkverkehr.
Unterrichts " angegriffen hatte. " Anstatt unsere Studenten, Künstler und Musiker zu kör­
Hohe Geschwindigkeiten verlangen nach geraden Strecken als Verbindung zwischen zwei
Orten. Entfernungen werden "überwunden" . Kurven, verschlungene Wege stören. Idealer­
weise eilt man auf " S ehstrahlen" durch die Landschaft.
War die Erfahrung eines sinnvollen Z usammenhangs immer auch an das Bild der Wan­
derschaft geknüpft, des Gehens, all eine und mit anderen, " so schieben die hohen Geschwin­
perlicher Ertüchtigung anzutreiben, sollte man ihnen lieber Wissen vermitteln "3
Henderson versteht Bildung im mittlerweile konventionell gewordenen Sinne , fast im Ge­
gensatz zur Einbildungskraft. Er macht eine Trennung zwischen einer ästhetischen Intelli genz, die vielleicht gar keiner Bildung bedarf und einer philosophischen Intelligenz, die
Pollock als Ungebildeter einfach nicht hat.
;I n r
digkeite � die Bedeutungen ineinander, bis sie sich schließlich ganz auflösen . . . Das Fahren
.
erzeugt Ubelkeit ( See-, Luft- , Reisekrankheit ) , so als schlüge das Zusammenschieben der
Bedeutungen direkt auf den Magen, so als erzeugten visuelle und orale Aufnahmen ein- und
dasselb e Phänomen von Lebensmittelvergiftung" (Virilio 1 978, 26 ) , s agt P aul Virilio .
Pollocks Mittel gegen die Reisekrankheit scheint der Alkohol gewesen zu sein.
I
Bewegung und Imagination
Was aber fand er in der Bewegung und Beschleunigung ? Henderson, bei dem Pollock
therapeutische Hilfe suchte, stellt das Bild der hohen Geschwindigkeit noch in einen an­
deren Zusammenhang: "He had an aesthetic intelligence but not a philosophie intelligence.
His authentie aesthetic allowed hirn to relate to that area but not to much outside it.
B asically uneducated, he took in a lot and his intuition was highly developed; with that
degree of inner energy, his imaginaton was turning over ninety miles a minute" (Potter
1 985, 59) .
D as brachte ihn in Gefahr, aus dem Rahmen "normaler" Realitätsbewältigung zu fallen.
"He let others do the thinking and reality testing and all of that; he was not interested . . . It
was his dedication tO , art that prevented Pollock going over the edge " (Potter 1 985, 59) .
" B asi<:.ally uneducated" 2 : Was immer Henderson auf seinem Hintergrund damit meint,
.
viele Außerungen von Pollock selbst, von seinen Freunden und Bekannten, von mehreren
Therapeuten, legen die Vermutung nahe , daß Pollock nach Maßstäben therapeutischer
Diagnostik, die sich in diesem Punkt nur wenig von pädagogischer unterscheidet, keine
stabile, autonome Identität hat ausbilden können und sich entsprechend gewehrt hat, eine
solche später übergestülpt zu bekommen. Mehrere Rausschmisse aus Ausbil dungsinstituti­
onen
belegen dies ;
1928
mußte er die Riveside High School verlassen, weil er sich mit
Abb . 135: Pollock at East Hampton ( 1 95 1 ) (Foto von Namuth)
einem Reserveoffizier angelegt hatte. Auch bei der Manual Arts High School handelte er sich
Das ist j a immer wie der die Hoffnung gewesen auch in der romantischen Vorstellung
vom Genie, von der Geniekunst, daß ein plötzlich aufbrechendes Vermögen, die bürgerliche
2
Ist Henderson vielleicht selber "basically uneducated" ? - Er verkauft die im therapeutischen Prozeß
produzierten Bilder Pollocks. 1971 schreibt die "Medical World News" über die Ausstellung: "When . . .
alone". - Henderson scheut sich auch nicht, i n Vorträgen Diagnosen über Pollock z u verbreiten ( siehe den
genannten Artikel) . Und Henderson sagt weiter über das Objekt seiner Behandlung: "The justification for
this unorthodox kind of analysis can anly be approved, I think, by the fact that this was the period when
he first became to find his individual artistic direction. My duty wa3 therefore to promote the welfare of
this individual quality in hirn rather than to rescue or reform his suffering ego, which does not mean I was
without personal feeling for him. On the contrary, I liked hirn very much and feIt very supportive of hirn
du ring this difficult period" (28 ) . Und über die späten figürlichen Malereien Pollocks vermeidet er nicht
zu sagen: "This would have been the right move from my point of view. A descent to the primordinial
level of the unconscious must be balanced by a return to the world of significant form, in order that sanity
may be preserved and new forms of art may be developed" (28 ) . Vgl. hierzu auch Solomon ( 1 987, 96) .
Henderson empfahl nach seinem Umzug Pollock eine direkte Schülerin Iungs, die ihn überzeugen
wollte, er solle zum Militär gehen ( 1 94 1 ) , weil dies eine wohltuende Erfahrung für ihn sein und sein Sel­
bstvertrauen erhöhen könne (Salomon 1 987, 1 0 4 ) .
Formiertheit, den perspektivischen Blick abstreift un d stellvertretend für alle ( ästhetisch)
frei wird. Die Leiden, die damit verbunden sind werden oft verklärt4 . - D as ästhetische
Vermögen kann also nicht ausgebildet werden, es verlöre seine Eigenschaft, etwas Fremdes,
nie Erlebtes darzustellen. Originell hat das Subjekt zu sein.
Die zunehmende Orientierungslosigkeit, Angst davor, immer wieder aus dem Rahmen zu
fallen, versuchte er mit immer mehr Alkohol zu betäuben . Als dies zu bedrohlich für ihn
wurde, begab er sich in Therapie. Aber auch die Therapien brach er immer wieder ab .
"Dedication to art " , das hieß eben nicht nur die "Liebe zur Kunst" . Die Institution Kunst
3
4
zit. n. Frank 1 984, 12
Und so ist es noch heute immer wieder eine große Sorge des Bürgers, daß die Psychoanalyse dem einen
oder anderen Künstler die Genialität weganalysiert.
236
1 2 . Über die Schwierigkeiten, die Abbildung z u verlassen
1 2 . Über die Schwierigkeiten, die Abbildung zu verlassen
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gab Pollock einen Rahmen, in dem er gerade eben noch überleben konnte. Im Rahmen der
Kunst fand er Freunde, durch diese therapeutische Gespräche, Gelegenheiten zu trinken,
verrückt Auto zu fahren, den Ausstellungsbetrieb, seine ihn manchmal entmündigende,
aber ebenso stützende Frau, Lee Krasner.
Unter den vielen Momenten, derentwegen jemand im Kunstbetrieb Erfolg haben kann,
mag für Pollock eine Rolle gespielt haben, daß er mit seinen Werken und durch sie etwas
lebte, was für seine Zeitgenossen, für seine Förderer auch spürbar war. Er drückte etwas
aus , was diese so nicht formulieren und leben konnten wie er. Sein Werk konnte für eine
gestörte Identität sprechen, die mit den Widersprüchen der Epoche eng zusammenhing,
auch wenn Pollock sich davon keinen Begriff machte. "Pollock did not have a theory about
his work, but he was compelled to paint the inner aspect of life, the primordial level of the
unconscious. That would be the hardest thing in the world to do. It is as elose to the
archetype unconscious as is possible to get without losing all external form. That became
his achievement, that he did it so much better than anyone else" (Potter 1 985, 62). So sah
ihn sein Psychiater, und eine Freundin, Elaine de Kooning, sagte: "I think Jackson's ego
was his problem in painting. So many artists work out of anger . . . anger is a fuel . . . with
Jackson I was very aware of the focus, the concentration, and of the rage that was in that
man - the desperation that was there . . . . " (Potter 1985, 162) .
Er hat nicht nur für seine engere Umgebung Vorarbeit geleistet. Willem de Kooning er­
kannte: "he has broken the ice".
237
Werke zur Auswahl vorlegen. Nach dem Bericht von Jimmy Ernst wurden Pollocks Werke
beinahe nicht in die Ausstellung aufgenommen, aber:
"Mondrian came in very early and looked at the paintings while Peggy and I n� shed
around arranging things. But then he came to the Pollocks . . . Peggy stopped next to hIrn . . .
"Awful", she said. "Dreadful, isn't it? " and walked away. Mter a while she came back and
he was still there . She said, "It's so disorganized. There's no discipline and the color is in
muddy places. " Then she walked away again, but Mondrian went on looking. When she
came back, she said, "You are still standing here? " . . . Mondrian, still looking, said, "I'm
not so shure . . . I'm trying to understand what's happening here. I believe it's the most
interesting work I've seen in America yet. " - "You of all people, you ? The way you paint,
you like this work ? " . . . " (Potter 1985, 72) .
•
Trouble in doing away with the frame
I
•
I
•
•
•
•
,, '
Abb. 1 37: Mondrians Atelier in New York ( 1 944)
Erstaunen, ja. Aber nicht unverständlich. Könnte man doch Pollocks und Mondrians
Malerei als zwei komplementäre Suchbewegungen nach jener künstlerisch-praktischen Kri­
tik an der Enge der "Perspektive als symbolischer Form" sehen, die mit Cezanne begann5 .
Abb. 1 36: Pollock: Stenographische Figur ( 1 942) - Dieses Bild hing im "spring salon� .
,
Peggy Guggenheim stellte für den spring salon 1943 eine Jury zusammen, zu der neben
Duchamp u. a. auch Mondrian gehörte . Junge Künstler sollten der Jury drei oder vier
5 Pollock hat Mondrian tatsächlich sehr geschätzt, hat sich immer wieder Werke von ihm angesehen.
Friedmann berichtet über einen Besuch Pollocks, daß Pollock sich sehr intensiv mit einem dort neben
einem eigenen Werk hängenden Mondrians beschäftigte: "Pollock lumbered around the room, stopping
only to look at the art: several pieces from Africa and the South Pacific, three Arp reliefs, a large collage
by Laurens and two very small ones by Schwitters, a small painting by Feininger and a large one on
burlap by Klee, and finally, on the wall nearest the window, a 1 9 1 7 Mondrian gouache on paper hanging
beside Pollock's four-by-four oil of 1 949, the largest and most recent work in the collection: all in all, a
sort of visual history of my own search for freedom. The Mondrian was a work I was sure Pollock would
appreciate, one of the very few done after his lyrical plus-minus image and before he developed the more
238
1 2 . Über die Schwierigkeiten, die Abbildung z u verlassen
1 2 . Über die Schwierigkeiten, die Abbildung zu verlassen
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Wieso Unruhe, Verstörung, Kummer, Mühe, Angst beim Weglassen, Wegwerfen, Über­
winden des Rahmens ?
Auf fast allen Gebieten dessen, was wir heute noch die moderne Kunst zu nennen gewohnt
sind, - nicht nur in der Dichtung - gilt seit Beginn des Jahrhunderts, was E . Lenk 6 über
Träume und Traumbilder sagt: Sie sind keineswegs zentralperspektivisch organisiert? Ge­
rade die Malerei der Moderne ist gekennzeichnet von der Kritik an der "Perspektive als
symbolischer Form" . Es geht dabei aber nicht - wie gesagt - um einen einfachen Wechsel
der Darstellungstechnik. Es geht um spürbare Brüche in der Organisation von Wahrneh­
mung und Sinnlichkeit. Und damit um eine beängstigende Veränderung in der Selbst­
wahrnehmung. So sagt Pollock: "We 've had all this trouble in doing away with the frame
"
Pollock setzt sich in seinem Leben und in seiner Malerei mit den Kosten und Folgen des
perspektivischen Blicks auf die Welt auseinander. Er sucht nach Möglichkeiten, den alten
Rahmen zu überleben, der auch den Rahmen eines Blickes auf sich selbst, auf eine (illu­
sionär) festgefügte Identität, Ganzheit war.
di � ections � i�ultaneously, beyound the literal dimensions o f any work. Though there is
eVldence pOlntIng to a probably unknowing slackening of the attack as Pollock came to the
edges of his canvans, he compensated for this by tacking much of the painted surface
around the b �c.k of t�e stretc?ers . Th � four sid�s of the painting are thus an abrupt leaving­
.
off of the actIVlty whIch our ImagInatIOns
contmue outward indefinitely, as though refusing
to accept the artifici alyty of an 'ending"I.
(Karpow 1 958, 24-26,
55-57 ) .
D a die Malfläche di­
rekt auf den Begren zungsmauern haftet, ist
keine Ebene symbo­
lischer Formulierung­
en mehr klar ab ge-
.
.
: - ..
'.i;
Pollocks Begriff vom Malen und vom Bild
-
"Meine Malerei kommt nicht von der Staffelei her. Selten spanne ich die Leinwand vor
dem Malen auf. Ich befestige sie lieber an der harten Wand oder auf dem Boden: Ich
brauche den Widerstand einer harten Oberfläche. " 8
Pollock spannte die Leinwand seit 1 946 nicht mehr vor dem Malprozeß auf einen Keil­
rahmen, der dann auf eine Staffelei gestellt werden müßte. Er hat so keinen Rahmen zur
Verfügung, der eine scharfe Abgrenzung gegen den umgebenden Raum bilden würde. Er
schafft sich keine klaren seitlichen Begrenzungen der Malfläche. Die Malfläche ist nicht
mehr deutlich abgehoben vom Raum, in dem er arbeitet9 . Eine Staffelei böte eine solche
Abgrenzung, in der Vertikalen und in der Tiefe . Lee Krasner, Pollocks Frau, selbst Male­
rin, spricht vom "unframed space" 1 0.
Allein durch die für die damalige Zeit verhältnismäßig großen Formate wird vom Be ­
trachter eine andere Einstellung verlangt. Allan Kaprow weist darauf hin: " . . . the confines
of the rectangular field were ignored in Heu of an experience of a continuum going in all
rigid grid of bis typical late paintings. In this particular work, slightly irregular rectangles of color (yellow,
red, and bIu e, but not quite primary, not quite ' pure' ) move rhythmically across the white sheet in a way
that anticipates such late masterpieces as his Trafalgar Square and Broadway Boogie- Woogie. It was this
rhythmic quality and the suggestion, too, of continuous space extending beyond the canvas that made me
feel sure the work would appeal to Pollock. For a moment he stood in front of the Mondrian with hands
out as if he was about to seize it and fight it. His hands twitched in the air, seeming to want to touch or
feel or somehow reproduce, remake, each element of the work before hirn. Then he turned to his own
painting, a skein of silver and green and yellow and brown arabesques, drawn with spilled and splattered
industrial enamels, and again I couldn' t help but feel that, no matter how different the means , how
different the apparent image, Pollock would respond to the Mondrian as to the work of a brother making a
similar statement in a different way" ( Friedman 1 972, xiif) .
6
...
..
..
Abb . 1 3 8 : Standfoto aus einem Film von Falkenberg und Namuth über
Pollock ( 1 95 1 )
�:!�:���::f:�::l��:
dert diese nicht. Gibt
nicht dem Druck nach,
den der Maler auf den
Pinsel ausübt 11 .
Vielleicht war in der
vorangegangenen Mal­
erei dieses Phänomen
des leichten Nachfe­
derns eine Erleichte­
rung - als Information
an den Tastsinn: "Hier
ist keine absolute Gren­
ze" ; eine Hilfe, um die
Materialität des Mal­
grundes negieren zu
können, wie es für eine
den Raum illusionier­
ende Malerei notwendig
ist. Vielleicht war dies
ebenso wichtig wie das
Anlegen des Malgrun­
des, unter dem die der
Fläche eigene Materi­
alität verschwand.
vgl. Lenk 1 983
7
Es spricht nicht gegen diese Argumentation, wenn Freud ältere Kunst vorgeschwebt hat. Das von ihm
wohl Gemeinte kommt in der Moderne stärker zum Ausdruck.
8 zit. n. Frank 1 984, 1 09
9
239
vgl. Putz 1 975, 64f
10
Im Artikel mit gleicher Überschrift in: The New Yorker, 5 . 8 . 1 950, 1 6
1 1 Näheres zu den Konsequenzen der veränderten "Technik" 1m
Vergleich
pazzini 1 986c.
zur
Staffeleimalerei siehe
240
1 2 . Über die Schwierigkeiten, die Abbildung zu verlassen
241
1 2 . Über die Schwierigkeiten, die Abbildung z u verlassen
Dieses Buch wurde vom Verlag in der unkorrigierten vorletzten Fassung publiziert
Dies erst ermöglichte, daß der Betrachter nach Fertigstellung des Gemäldes " wie durch
ein Fenster" (Leonardo) in eine Landschaft blicken kann, nicht sofort auf die materiellen
Bedingungen der Herstellung seines Seheindrucks verwiesen wird. Die materiellen Qua­
litäten dessen, was dargestellt wird, soll der Betrachter so sehen können, als wenn es mit
Händen zu greifen wäre. Dabei würde die unmittelbare Sichtbarkeit der Materialqualitäten
der Farbe und der Leinwand stören. Die Wahrnehmung der Materialqualitäten, ur­
sprünglich Aufgabe des Tastsinnes, wird ganz an das Auge und das Gedächtnis delegiert.
Im Malprozeß (im säkularisierten Bildungsprozeß) selber vertritt der leicht federnde
Widerstand der aufgespannten Leinwand sämtlichen Widerstand der erlebten Umwelt.
U. Puritz schreibt dazu in einem Brief: "Der Tastsinn, der die federnde Bewegung zwi­
schen Hand und Leinwand aufnimmt, funktioniert als Transmitter, als Katalysator, er
wandelt komplexe Gefühle, Assoziationen und Bewegungen in Linien/Farbspuren um und
erzeugt seinerseits neue. Die federnde Leinwand hat etwas Körperhaftes, sie ruft ganz unter­
schiedliche Regungen hervor, die ein fester Untergrund verhindern würde" 12 .
Das Aufspannen der Leinwand auf einen Rahmen unterstützt den Illusionismus der per­
spektivischen Malerei, trägt bei zu der Hierarchisierung der Sinne unter dem Primat des
Sehens. Die Funktion des Tastsinnes bei dieser Malerei wird kaum irgendwo beschrieben.
Daß die Geschichte des funktionalisierten Tastsinnes fehlt, wird deutlich durch die V erän­
derung der Malweise bei Pollock 13.
D as Aufstellen einer Staffelei - bekannt schon seit der Antike - ermöglicht das Beibehal­
ten des Blickes auf die Welt beim Arbeiten. Erst dieses Setting ermöglicht eine immer höher
differenzierte Koordination von beobachtendem und die Produktion steuerndem Auge und
ausführender Hand. Der " übrige" Körper diente ähnlich der Staffelei für den bespannten
Rahmen als Ständer, Halter. Dürer benutzte zuweilen gar eine doppelte "Staffelei", wie wir
oben sahen: eine Stütze für das Kinn und eine Art Adapter für das Auge des Malers und die
Staffelei oder den Tisch als Stütze für den Bildträger. Wenn man so will, sogar eine drei­
fache Staffelei: Das Objekt wurde auch stillgehalten, mußte sich stillhalten.
Pollock benutzt die Malfläche meist als unnachgiebigen Widerstand, als Stütze, oder
auch als Boden. Bewegungen können so ganz anders in die Malerei hineingenommen wer­
den. Pollock verläßt mit diesen Veränderungen eine Art Koordinatensystem, einen Orien­
tierungsrahmen für die Organisation der Sinnlichkeit beim Malen.
Im Prinzip lassen sich durch die Situation des Arbeitens zwei Ebenen legen; das gilt so­
wohl für den Maler, der vor der Staffelei steht, wie für den Zeichner an seinem Tisch: Eine
senkrechte - in etwa parallel zur auf der Staffelei stehenden Leinwand - trennt den Künstler
von der Malfläche, die andere verläuft in etwa waagrecht dazu und trennt den "Unterbau"
des Künstlers etwa in Höhe des Auges vom übrigen Körper. Während des Malaktes ge­
schieht in den unteren beiden " Quadranten" fast nichts. Hierin befinden sich stillgelegte,
disziplinierte Gestelle. Hier herrschen die Gesetze der Statik. Die Grenze zwischen den obe­
ren beiden "Quadranten" wird nach den Regeln der perspektivischen Malerei durch die
vom Auge gesteuerte Arm-Hand-PinseI/Stift-Kombination überwunden. Die genaue Ein­
haltung dieses Setting in der Malerei, aber auch bei der geistigen Arbeit wird in großem
12 U. Puritz in einem Brief an den Verfasser.
13 "Man kann die Bedeutung von Pollocks Entdeckung der automatischen Zeichnung nicht hoch genug
einschätzen; die automatische Technik setzte die Bilder seiner Psyche frei und gab sie seiner Hand wei­
ter, dann gab sie seiner Hand die Möglichkeit, sich von der Abhängigkeit dieser Bilder zu befreien. Aus
der Übertragung der Freiheit der automatischen Zeichnung auf die automatische Malerei ist Pollocks Stil
geboren" (Rose 1 979, 1 7) .
Maßstab seit der Renaissance notwendig, geht einher mit der differenzierteren Trennung
zwischen Kopf- und Handarbeit, mit der Literalität.
Diese Trennungen haben auch zu tun mit der Trennung des Auges, der Fernsinne von den
übrigen Sinnen, vom Körper überhaupt. "Die Beziehung zwischen der Menschheit und der
Welt, die der Künstler des 15. Jahrhunderts zum ersten Mal entwirft und sichtbar macht,
bevor es der Wissenschaftler tut, wandelt diese Beziehung in eine Methode um. Der Philo­
soph wird sie in ein epistemologisches Prinzip umwandeln. Diese Beziehung, die mit der
Technik der linearen Perspektive hervorgebracht wird, macht den Körper als Gehäuse der
Erkenntnis und als Gründung der Menschen in der Welt überflüssig. Sie setzt anstelle des
Körpers ein isoliertes Auge ein, ein entleibtes Auge, das der Beziehung fortan als Vehikel
dient" 1 4 .
Der "ungebildete" Maler
Dieses "Koordinations­
system " , diesen Rahmen
verläßt Pollock, wenn er
seit 1946 die Leinwan d
meist auf dem Boden be­
festigt 1 5 . Dies stört die
Ordnung der "Quadran ten" nicht unerheblich .
Aus der Perspektive des
gebildeten E rwachsenen
befindet sich Pollock wie­
der wie die Kinder unter
dem Tisch, auf dem Bo­
den . Außerdem kleckert
er. Er läßt die Farbe von
hart gewordenen Pinseln
und Stöcken oder direkt
aus der Dose auf das Bild
laufen. Der Erwachsene
sieht darin eine Regres­
sion; ab er da Po llock
nichtsdestotrotz ein E r ­
wachsener bleibt, steckt
darin auch ein Aufbegehren :
Abb. 1 39: Pollock im Atelier. Aufgenommem von Namuth im Sommer
"The reason he p u t h i s
1 95 0 .
canvans on the floor, h e
said, came out of his childhood. The thing he had really liked then was standing besi dcs h i s
father on a flat rock pissing. He was really tickled, you know, when he watched and sai d to
1 4 R. D. Romanyshyn in: Poiesis 3
15 "Pollock's work bears the strongest relationship to Western art created during the past one h u ndred
years, which differs radically from Renaissance-based art" (Rohn 1 987, 1 03 ) .
1 04, 1 1 3
-
Vgl . auch Rohn
1987
242
1 2 . Über die Schwierigkeiten, die Abbildung zu verlassen
1 2 . Über die Schwierigkeiten, die Abbildung zu verlassen
Dieses Buch wurde vom Verlag in der unkorrigierten vorletzten Fassung publiziert
hims.elf. ' ��en I grow up, I am ever going to do that! ' This theory says 'Now I'm going to
.
show Dad ! . benchtet Patsy Southgate, eine Freundin Pollocks (Potter 1 985 , 88) .
Indem Pollock auf
dem Boden hockend ar­
b eitet, über die Lein­
wand läuft, sich weit
über sie beugt, geht er
nicht in allen Punkten
als allererster gegen das
über Jahrhunderte ein­
geübte System der Re­
präsentation von Reali­
tät in der Malerei vor.
D ie Vorfahren Pol­
locks sahen sich noch
anderen Anforderungen
g e g e n ü b e r , anderen
AufgabensteIlungen: Sie
brauchten einen festen
Standp unkt, um die
A b b i l dfu n k t i o n der
Kunst wahrnehmen zu
können, die zu Z eiten
Pollocks schon länger
von der Fotografie und
dem Film übernommen
war. Mit den tech­
nischen Möglichkeiten
der Vervielfältigung, ei­
ner höheren Geschwin­
digkeit der Produktion
in allen gesellschaftlichen Bereichen wird
. . . . . :.' P 0 11ock 1m
.
. . •..140:
· A te1·1er. Aufgenommem von Namuth im Sommer
Abb
eIn Denken, Handeln
1 950� ..
und Fühlen von festen
�tan�Ipunkten aus hoffnungslos überfordert. Ein doppeltes Paradox bricht auf: Theoretisch
I �� � e technis che Gesc�windigkeit weiter auf der Fiktion aufgebaut, daß Bewegung grund­
.
satzh �h auf eInen statIschen Beobachtungspunkt bezogen wird. Zusätzlich wird diese Ge­
schw� digkeit ständig gesteigert. Pollock durchbricht das, indem er selbst sich in seiner
Technl� bewegt und indem � r seine Bewe?�ng und seine Beobachtung einander folgen läßt.
� rstJet�t e�:ste�t der F�eIraum zur KrItIk an den b�s dah�n geläufigen Systemen von Re­
.
pr�s � Ilt::1;t lOn , eIne ArbeIt an den Folgen der Entkorperhchung
der Symbole und Sym­
b oh� H�rungsprozesse. Pollo� � reagiert auf diese Verunsicherung, setzt seinen Körper anders
.
eI� lIn Prozeß der Symbohsierung. Er benutzt die Farbe in ihrer Materialität als Flüssig­
keit.
1 6 vgl. Langer 1965
243
Er unterwirft s o nicht mehr alle Malakte durch und durch einer ausschließlich bewußten
Steuerung, einer Steuerung mittels eigener neutralisierter Körperenergie. Das "Wüten" wie es von Zeitgenossen oft empfunden wurde - gegen die herkömmlichen Repräsentations­
funktionen und -formen der Kunst, gegen technische Codes, gegen Kompositionsregeln ist
aber nicht einfach ein destruktiver Akt. Er nimmt bisher exkommunizierte Beziehungen
wieder auf. "Auf dem Boden fühle ich mich am wohlsten. Ich fühle mich dem Bild näher,
mehr als ein Teil von ihm, denn so kann ich mich um das Bild herum bewegen, von allen
vier Seiten her arbeiten und buchstäblich im Bild sein. Mit dieser Methode arbeiten auch
die indianischen Sandmaler des Westens" (zit. n. Frank 1 984, 109).
E r nimmt andere durch die europäische Kultur abgetrennte Möglichkeiten auf; negiert
die Eindeutigkeit von Richtungen, von oben und unten, bleibt nur so weit in der Spann­
breite der bisherigen Auffassung von Bildern, als er sie wieder vom Boden ablösbar, trans­
portabel, ausstellbar rnacht. Seine Bilder haben zunächst gar keine Rückseite . Diese be­
kommen sie erst, wenn Pollock sie nach Beendigung des Malprozesses vom Boden nimmt.
Seine Bilder sind an sich keine Tafelbilder. Er beachtet das, was unter dem Tisch geblieben
ist, wendet sich gegen unsere Tischkultur, bzw. gegen die um 90 Grad geklappten Tische,
die Staffeleien. Pollock hebt auch andere selbstverständlich erscheinende Konventionen auf.
Er "kleckert", er hält sich nicht an die guten Manieren. Er akzeptiert nicht den feingesteu­
erten Werkzeuggebrauch, er bevorzugt eine flüssige, nicht erstarrte Verbindung zum " Ob ­
jekt" , das e r bearbeitet. Seine Beziehung zum Malgrund, zum z u bearbeitenden Objekt ist
nicht im herkömmlichen Sinne distanziert und abgegrenzt, er ist "buchstäblich im Bild" .
Er vermeidet die Zentralisierung aller seiner Kräfte und seiner Aufmerksamkeit aufs Auge
und die Innervation seiner Hand unter Abschaltung aller anderen Sinnesvermögen. Er
strebte weder in seinem Malprozeß noch von den dargestellten Inhalten her jene zentra­
listische Ordnung an, die nur durch die gewaltsame, disziplinierte Bindung ganz unter­
schiedlicher Energien, Triebkräfte gelingen konnte.
Z ur Lippe hat den Menschen in dieser Ordnung am Beispiel des Fechtens zur Zeit der Re­
naissance dargestellt und mit Foucault gezeigt, daß seither Malen und Fechten demselben
Schema unterworfen werden können: "Die vom ganzen Körper aufzubringende Kraft wird
mit dem Agenten der kalkulierenden Beobachtung, mit dem Auge, koordiniert: das ver­
standesmäßig kontrollierende Bewußtsein und das Eintaxieren der gegnerischen Pläne
werden oberhalb des Brennpunktes fixiert, den die physische Organisation eines Fechters
mit seinem Degen bildet. Michel Foucault hat diesen Konstruktionszusammenhang exakt
dargestellt, als er das perspektivische System in dem berühmten Bild der Infantin von
Velasquez analysierte. Der Maler, der sich selber als den begutachtenden Beobachter dar­
stellt und zugleich mit gezücktem Pinsel gemalt hat, wird beschrieben: 'Die geschickte
Hand ist durch den Blick einen Moment zum Stillstand gekommen: andererseits ruht der
Blick auf der Geste des Einhaltens. Zwischen der feinen Spitze des Pinsels und dem stähler­
nen Blick kann das Schauspiel seinen vollen Umfang entfalten' (Foucault 1 97 1 , 3 1 ) . "
"Das Fechten war wie das Malen ein recht künstliches Schauspiel, aber ein jeweils kurz­
lebiges. Der Fechter treibt ganz offensichtlich seinen Kontrahenten in eine bestimmte Ge­
genposition zu der seinen. Seine Mittel sind schlagfertig und von schlagender Realität. Der
Maler zwingt indirekt durch eine komplexe Kombination suggestiver Blicke der gemalten
Personen und ihres perspektivisch organisierten Raumes den Betrachter in einen be­
stimmten Punkt" (zur Lippe 1 981 (2) , 1 57 f) 1 7 .
17
Abbildungen hierzu siehe Kap. 2
244
12. Über die Schwierigkeiten, die Abbildung zu verlassen
Die andere Mimesis
Mit diesen Veränderungen taucht in veränderter Form eine alte Erfahrungsweise wieder
auf: Mimesis. Und zwar nicht in ihrer verkürzten Form der einfachen und möglichst ex
akten Nachahmung, die dann oft noch beschränkt ist auf den visuellen Eindruck. Mimesis
ist angereichert durch andere Sinnesqualitäten und ist nicht zu beherrschen mittels der
Kategorien falsch und richtig. Sie hat etwas mit der in der Psychoanalyse erforderten frei­
schwebenden Aufmerksamkeit zu tun, die nichts wortwörtlich hört und es doch um so
mehr tut. Oft zum Ärger.
Pollock durchbricht mit seiner Vorgehensweise die Berechenbarkeit eines sich verselb­
ständigten Maßsystems, das allmählich die mimetische Wahrnehmung zurückgedrängt
hatte, die Wahrnehmung an mechanischen Modellen orientierte. Pollock verläßt die Me­
thode diskursiver Symbolisierungen 1 8 , indem er die eigenen Körpererfahrungen sowohl aus
der Biographie wie aus dem aktuellen Malakt in seinen Malprozeß einbezieht.
Mit mimetisch meine ich hier: Pollock stellt nicht einen zuvor geistig geordneten Inhalt
dar, der den Prozeß der Darstellung dann weitgehend instrumentalisiert und darin me­
chanisiert. Er versucht den Prozeß des Ausdrucks selber in Bildern zu manifestieren. Hier­
bei schrumpft Mimesis nicht zusammen auf, meist visuell organisierte Nachahmung, na­
turgemäße Abbildung. Mimesis ist bei Pollock kein durch begriffliche Transformation or­
ganisierter Prozeß wie etwa bei Mondrian. Wenn Mondrian ein Bild beginnt - jedenfalls in
der späteren Zeit - dann weiß er schon wie es im einzelnen sein wird, wo welches Rechteck
sitzt, welche Farbe es haben wird. Mit Mimesis ist hier der Versuch bezeichnet, das in sich
aufzunehmen und gleichzeitig auszudrücken, was sich auf bewußter Ebene nicht oder noch
nicht fassen, identifizieren läßt. Mimesis unterläuft die geschichtliche gewordenen Abgren­
zung der Sinne gegeneinander, deren Kanalisierung.
Dieses Moment zurückgewonnener Mimesis unter veränderten Bedingungen hat seine Ba­
sis in der frühen Kindheit, in den Spiegelbildern, ohne deren Oszillieren stillzulegen. Die
allerersten Lernprozesse sind mimetisch. Auch wenn sie später rationalisiert werden sollen,
ist dieser Charakter nie ganz zu eliminieren. Die Fähigkeit zur Mimesis bleibt ein subver­
sives Moment gegen die zur Isolierung, Fragmentarisierung neigende sekundärprozeßhafte
Wahrnehmung der Welt. Damit scheint ein Streben nach auf Selbstbewußtsein und Ratio­
nalität begründeter Identität praktisch nicht sehr aussichtsreich. Bestimmte mimetische
Momente gehen auch von Anfang an in die bürgerliche Vorstellung von Identität ein. Kön­
nen sie nicht im Verbund gehalten werden, haben sie im Resultat sehr große Ähnlichkeit
mit der heute so bezeichneten Borderline-Struktur von Persönlichkeit. Diese wird so unter­
schiedlich definiert und diagnostiziert, wie es der "Erkrankung"" entspricht. Bestandteil
fast aller Definitionen ist die Charakterisierung: "Als-ob-Persönlichkeit"" 1 9. Sie "tue nur so,
als ob "" ein Kern, ein Verbund der einzelnen Merkmale einer Persönlichkeit vorhanden
seien. Sie könne je nach den Umständen anders sein. Überanpassung und zwischendurch,
wenn die Kräfte nicht reichen, das große Durcheinander.
Was darin zum Ausdruck kommt, ist eine depravierte Form von mimetischen Motiven,
eine zur zweiten Natur gewordenen Mimikry20 .
Ohne die Reaktivierung mimetischer Lernprozesse in einem zu rekonstruierenden Bil-
18 vgl. hierzu Langer 1 965 und Lorenzer 1981
1 9 vgl. hierzu die Übersichtsdarstellung von Rohde-Dachser 1 983.
II, 241 . vgl. Kap. 1 und 7
20 vgl. zur Lippe 1 98 1 (2), Bd.
1 2 . Über die Schwierigkeiten, die Abbildung zu verlassen
245
Dieses Buch wurde vom Verlag in der unkorrigierten vorletzten Fassung publiziert
-
-
vgl. Kap. 1
dungsbegriff kann das Erstarren i n der Angst vor dem Unbekannten (und damit der Zer­
fall) kaum mehr aufgelöst, wieder verflüssigt werden. Das Ringen um Identität wird dann
allzu leicht zu einem Zusammenzwingen von Fragmenten. Im Medium mimetischer Lern­
prozesse wird spürbar, daß das bewußte Sein des Menschen, das Selbstbewußtsein, nur
eine obere Schicht ist, keineswegs alle Möglichkeiten und Existenzweisen des Menschen um­
greift, erst recht nicht, was im Prozeß der Rationalisierungen ausgeschlossen wurde. Wer
im rationalistischen Sinne sich als vernünftig ansehen, " das heißt, innerhalb des gesell­
schaftlichen Konsenses sich bewegen will, hat der von Intellektuellen und Machteliten be­
stimmten Selbststilisierung sich anzuähneln, eine Identität im Zusammenfall mit der ab ­
strakten Einheit aller herzustellen: unter Verdrängung und Ausgrenzung des Unvernünfti­
gen"" (BöhmelBöhme 1 983 , 16) und damit auch das Besonderen, des Ver-rückten.
AIl-over und Drip
Pollock begegnet dieser Tendenz auf seine Weise. In seiner Entwicklung kommt er immer
mehr von figurativen Darstellungen weg, verläßt auch Modifikationen, kubistische Varia­
tionen der Repräsentation von Räumlichkeit, die sich noch an der in unserer Kultur "nor­
mal"" gewordenen perspektivischen Darstellung reiben und aus der Differenz zur "Norma­
lität"" ihren Reiz gewinnen.
Ein wichtiger Zwischenschritt von der noch relativ traditionellen Malerei zur Drip-Tech­
nik scheint mir die All-over-Technik zu sein: Das All-over legt anstelle der Orientierung an
einer räumlichen Proj ektion, die letztlich auf einem mathematisch-geometrischen Koor­
dinatensystem beruht, ein zusammenhaltendes Netz, eine Art von Gewebe über das Bild.
Das All-over hat noch Anklänge an das Umreißen bestimmbarer Formen. Es wirkt fast wie
ein ironisches Zugeständnis an Wahrnehmungs gewohnheiten. Ein direkt identifizierbarer
Inhalt im traditionellen Sinne von Repräsentation visueller Wahrnehmung verschwindet21 .
Eines seiner letzten All-over-Bilder (Abb. 1 4 1 ) hat den Titel Eyes in the Heat ( 1 946) .
Einzelne augenförmige Zeichen sind im Bild erkennbar, sie entstehen aus dem Geflecht
des "all-over"" . Isolierte Augen, " desincarnated eyes"" (Romanyshyn) . In seinem Titel über­
schreitet er die rein visuelle Wahrnehmung, stellt aber auch keine heiße Situation dar, eine
Wüste etwa. Dennoch: es flimmert vor den Augen beim Betrachten des Bildes; es sind kein e
scharfen Konturen auszumachen, kein eindeutiger Vordergrund, kein Hintergrund, vor
dem sich eine Figur - in diesem Fall die einzelnen Augen - präzise abhöben.
Die Augen des Betrachters können keinen Fluchtlinien folgen; an ihre Stelle tritt die �1ög­
lichkeit, den Spuren der Bewegungen des Pinsels, des Spachtels zu folgen. D amit vollzieht
der Betrachter Körperbewegungen nach, nicht nur Augenbewegungen. Die Farbe ist so mit
Pinsel oder Spachtel aufgetragen, daß das Bild nicht figurativ wird und keine Raumillu­
sion erzeugt. Die Struktur des All-over hält zusammen, hemmt die Bewegung. " Selbst in
einem so radikalen Bild wie Eyes in the Heat waren die traditionellen Malbewegungen der
Hand und de�. Handgelenks unvermeidlich herauszulesen. Diese Bewegungen besaßen ein
Potential an Uberfeinerung und kompromittierten damit nicht nur die Zentrifugalrhyth­
men des All-over, sondern auch die Spontaneität, die sich im All-over ausdrücken sollte.
Das immer neue Auf- und Absetzen des Pinsels beschwor zudem die Gefahr einer psychi-
2 1 Fuller bestätigt das: "But the supposed breakthrough into the ' all-over' drip paintings of 1 946 to 1 948
seems to me the despairing acknowledgement that the only subject available to hirn was precisely his in­
ability to find a world view" (Fuller 1 980, 1 01 ) . Er formuliert dies aber als eine Kritik an Pollock:
"These are the skilIed, brilliantly controlled and orchestrated paintings of a desperate professional painter
who has nothing to say, and no way of saying it" (Fuller 1 980, l O H) .
1 2 . Über die Schwierigkeiten, die Abbildung z u verlassen
246
1 2 . Über die Schwierigkeiten, die Abbildung zu verlassen
Dieses Buch wurde vom Verlag in der unkorrigierten vorletzten Fassung publiziert
schen Zensur herauf, die mit der Vorstellung von automatischer Direktheit und Authen­
tizität einfach unvereinbar war" (Frank
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,
1 984,
66 ) .
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lung hinaus, z u einem guten Teil von inkorporierten Konventionen, von bestimmten er­
lernten Pinselstrichen, Formen der Koordination von Nerven, Muskeln, Gelenken, von so­
zialisierten Bewegungskonventionen; er umgeht den eingespielten gegenseitigen Steuerungs­
prozeß von Auge und Hand, soweit er mit den Regeln des Schreibens und Zeichnens zu­
. '
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247
sammenhängt und b estimmte Geschwindigkeiten nicht überschreiten kann. Er überwindet
damit Konventionen des perspektivischen Blicks, mit ihm einhergehende Körperhaltungen,
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rationalisierte Kulturtechniken. Andere sprechen an dieser Stelle vom " Kontakt zum Unbe­
wußten'\ vom " Ausdruck des Unbewußten" ( Frank 1984, 6 6 ) .
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Pollock selber sagt 1 947: "Ich entferne mich mehr und mehr von den gebräuchlichen
Malutensilien wie Staffelei, Palette, Pinsel usw. Ich gebrauche lieber Stöcke, Spachtel,
Messer und fließende Farbe oder schweres Impasto aus Sand, Glasscherben und anderen
unüblichen Materialien. Wenn ich im Bild drin bin, ist mir nicht bewußt, was ich tue. Erst
nach einer gewissen Zeit des 'Kennenlernens ' sehe ich, was ich da eigentlich mache. Ich
habe keine Angst vor Anderungen, davor, daß ich das Bild zerstören könnte usw., weil das
Bild ja ein Eigenleben hat . . . Nur wenn ich den Kontakt zum Bild verliere, wird das Ergeb­
nis verworren "22.
Er spricht zwar an anderen Stellen auch vom "Ausdruck des Unbewußten" ; ich meine
aber, daß dieser Begriff hier etwas rational schwer Verständliches mit einem Etikett ver­
sieht, das nicht hilfreich ist. Pollock reklamiert jedenfalls - nicht als erster und einziger in
der Geschichte der Kunst dieses Jahrhunderts -, daß es etwas gibt, das nicht mit den geläu­
figen und elaborierten Techniken darstellbar ist. Um dem einen Ausdruck zu geben, bedarf
es größerer Anstrengungen. Bildlich gesprochen: Ein vorgegebener Rahmen muß verlassen
werden . - Auch freies Assoziieren gelingt nicht einfach so. Diesen Anstrengungen ist auch
Wut anzumerken, Agressivität. Pollock unterläuft gleichzeitig die im zentralperspekti­
vischen Bild angelegten Momente von Reflexivität und Formen " zentralperspektivischer"
Identitätsbildung.
Balance und Rhythmus an Stelle des "Standpunktes"
"Wenn die PÄDAGOGIK ursprünglich die Verbindung des Sinns und des Fußmarsches in
den Gärten Akademos' war, wenn die langsame Annäherung einen sinnvollen Zusammen­
hang zwischen den Elementen der durchschrittenen Welt stiftete, so schieben die hohen
Geschwindigkeiten die Bedeutungen ineinander, bis sie sie schließlich ganz auflösen wie
das Licht die Farben auflöst. Doch dies Flimmern der Geschwindigkeit führt zum vor­
übergehenden Erblinden, zum blinden Passagier" (Virilio 1 978, 25) .
Mit der Möglichkeit der "naturgemäßen Darstellung" wird prinzipiell eine Täuschun g
möglich; die Verwechslung eines B il des, auf dem "Realität" repräsentiert ist, mit einem
Blick durch ein Fenster. Um die Repräsentation von Realität im Bild genau erkennen zu
können, muß das Subjekt auf seinen Standpunkt achten, muß in der Lage sein , den vorher
in die Konstruktion des Bildes eingelassenen Standpunkt des Betrachters zu erfassen und
zu
überprüfen, ob sein momentaner Standpunkt im Raum außerh alb des Bil des üb erein­
stimmt mit dem durch die geometrische Konstruktion im Bild eingelassenen Punkt. D as
Subjekt muß den für sich gedachten Standpunkt aufsuchen, um die dargestellten Objekte
Abb . 1 41 : Pollock: Eyes in the heat ( 1946)
Die Drip -Technik erlaubt Pollock, ohne den Widerstand und die Reibung mit dem Mal­
genau entschlüsseln zu können . Dieser Mechanismus versagt bei den Bildern Pollocks und
ähnlichen Bildern .
grund zu arbeiten: Es entsteht so eine größere Distanz zwischen dem Künstler und dem zu
bearbeitenden Material einerseits , aber andererseits eine größere Direktheit der Verbin­
dung, es wird eine höhere Geschwindigkeit b eim Malakt möglich . Pollock befreit sich so,
über die Negation einer bestimmten bildlichen Repräsentation, einer figürlichen D arstel-
22
-
in: Possibilities 1947, 79; zit. n. Frank 1984, 109. Der Struktur nach könnte das vielleicht auch ein
Pädagoge sagen, wenn er sich anschickt, den "zentralperspektivischen" Rahmen zu verlassen.
248
T
12. Über die Schwierigkeiten, die Abbildung zu verlassen
1 2 . Über die Schwierigkeiten, die Abbildung zu verlassen
Dieses Buch wurde vom Verlag in der unkorrigierten vorletzten Fassung publiziert
Welcher " Standpunkt" gegenüber den Bildern Pollocks wäre der richtige ? D iese Frage
scheint auch die Fotografen geplagt zu haben, die versuchten, Pollock b ei der Arbeit im
Atelier zu fotografieren, abzubilden, einzufangen: welchen Blickwinkel sollten sie wählen?
D iese Schwierigkeit ließ sich auch im Film nur partiell überwinden , wie Namuth in der
Arbeit mit Pollock festgestellt hat (Namuth
1 978).
Er kann lediglich etwas anderes andeuten: "How hard Jackson could work, a n d with
such grace ! I watched hirn and he was like a dancer . . . There was such a rhythm in his mo­
vement, which has to do with the incredible b alance in his compositions " ( P otter
1 1 6 ) 23 .
1 985,
Pollock löst sich von der Haltung und dem Platz, den Dürer dem Zeichner am Tisch mit
dem Quadratnetz zuwies24.
"He was searching, and
I
think it was both an intellectual and motorial thing . . . He was
looking, as many intelligent people are, for that other element that will complete the seH,
make it self-sufficient . . . And there was misery seeking company more than conversation:
like Marilyn Monroe when she and Arthur Miller summered on the Farm asking 'What do
you think of suicide ? ' It' s a way of sizing you up . My impression is, that this painting ser­
ved as an activity, a place, a thing - call it what you will - wherein b eing in action, that
notion of doing something and seeing what you 've done, give you a sense of
found his painting a satisfying motor activity; . . . ' " (Potter
'I
did that ' . 'He
1 985, 180).
So empfand es Pollock als Kompliment, wenn Kritiker schrieben, seine B ilder hätten
keinen Anfang und kein Ende 25 . Ebenso blieben viele Bilder unsigniert, denn " Signing is
more than goodbye, it means the picture is fixed in time - it' s done, and there' s death in
that. Signing is lette ring on a headstone, saying yours and done" ( zit. n. Potter
249
hängen, erkennt nur Ausschnitte von Kreisläufen, neigt deshalb zum Haß - wie B ate � on
schreibt - " aus dem tieferen Grund, daß das Individuum, welches nur KreisausschnItte
sieht, ständig überrascht und notwendig verärgert ist, wenn seine sturen Maßnahmen
zurückwirken und den Erfinder peinigen" (Bateson 1981, 205; vgl. 509) .
Der Ausschluß des Nichtrationalisierbaren hat etwas Stures, das auch im Kern der Vor­
stellungen von personaler Identität steckt. Pollock hat sich dagegen gewehrt, indem er als
Maler den perspektivisch en Blick aufgab . Pollock hat nie auf den Anspruch, die Forderung
verzichtet, dazuzugehören , nicht als E xot, sondern als j emand, der über etwas Exkom­
muniziertes Mitteilungen machen will . Er ging mit seiner Unangepaßtheit ambivalent um.
Er hat einerseits versucht, was nicht p aßte, durch Alkohol stillzulegen; auf der anderen
Seite durch seine Malerei versucht, öffentlich zu machen, was ihn beunruhigte, nicht zum
Stillstand kommen ließ.
Das gelang ihm, da er - intuitiv verstanden nicht zuletzt von Mondrian - anderen aus
dem Herzen sprach.
Seine Malerei, seine überlieferten Aussagen, sein Gebrauch der gesellschaftlich anerkann­
ten Droge Alkohol zeugen von dem Wut- Angst-Gemisch , das frei wird, wenn in einer
scheinbar durch und durch zweckrational organisierten Weh der p erspektivische Blick
nicht gelingt2 6 .
Pollock ist an der Angst und der Wut, nicht dazu zugehören, im Alter von vierundvierzig
Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen.
Starb er an den Folgen eines künstlich hergestellten p erspektivischen Blicks ? Es heißt,
daß starker Alkoholkonsum eine Art Tunnelblick zur Folge habe: D as Gesichtsfeld wird
1 985, 187 ) .
auf einen mittleren Bereich eingegrenzt, die Randzonen verschwimmen oder verschwinden,
Pollock wollte i m Prozeß, i m Bild, i m lebendigen Austausch bleiben; e r rebellierte gegen
die erforderte Trennung von Subjekt und Objekt, dagegen sich immer wieder einschließen
Der Alkoholisierte hält den verbliebenen Ausschnitt für den ganzen und gleicht die Ein­
zu lassen in die individuellen Grenzen einer "Identität im Zusammenfall mit der abstrak­
grenzung nicht durch Kopfbewegungen aus. Pollock raste in einer Kurve gegen einen Baum.
insbesondere bei Bewegung, je schneller umso stärker, wird der Gleichgewichtssinn gestört.
ten Einheit aller" (vgl. Anm . 1 9 ) . Er versuchte, sich der unübersichtlich konfusen Bewe­
gung des Außen zu überlassen, verweigerte die der bürgerlichen Identitätsnorm des " homo
clausus" (vgl. Elias
1969 ( 2 ) )
inhärente Verarbeitung und Aneignung möglichst in wahr­
nehmbaren Portionen, wie Negt und Kluge sie kritisieren (Negt/Kluge
1 98 1 , 172) .
Viel­
leicht ist es kein Zufall, daß viele Bilder Pollocks eher die Formate von Türen haben als
von Fenstern: " Im Gegensatz zur Tür, die den Zu- und Abgang von P ersonen und Gütern
erlaubt, bleibt das Fenster dem körperlosen Austausch vorbehalten. Das Fenster passieren
Licht, Luft und magische Blicke . . . es liefert dem eingeschränkten Blick zu Hause ein um­
rahmtes , eingegrenztes Stück äußerer Wirklichkeit" ( Freier 1 984, 1 1 ) .
Von daher kann der Betrachter der Bilder sich nicht auf den gewohnten Blick durch Fen­
ster einstellen, auf die gewohnte Art der Trennung von Innen und Außen. Dem geometrisch
formierten Blick durch das Fenster entgeht vieles, er birgt die Gefahr von p rofunden Miß ­
verständnissen, er erfaßt nur Ausschnitte von ineinander verwobenen Kreisläufen. - Pol­
locks Bilder lassen zumindest erkennen, wie diese abgeschnitten sind. Dem geometrisch
formierten Blick entspricht das Bewußtsein; es neigt zur Verkennung von Zusammen-
23 vgl. hierzu Grassis Abschnitt "Eine Aufzeichnung: Tanz der Übertragung" aus dem Buch "Die Macht
der Phantasie" ( 1979 ) : "Rhythmus als Ordnung der Bewegung, Harmonie als Ordnung der Töne. Jede
Bewegung - sei es die qualitative oder die räumliche Veränderung - gehört zu den Grunderscheinungen
des Seienden: Der Tanz offenbart die Veränderung innerhalb einer Ordnung, er setzt ihr Grenzen"
( Grassi 1 979, 54f) .
24
vgl. Kap. 7
25
vgl. "Unframed Space" . In: The New Yorker 5.8. 1 950
26
Seine Arbeiten sind auch für die Ästhetische Erziehung ein in vielen Momenten noch immer unabge­
goltener Hinweis auf das, was im " normalen" Rahmen perspektivischer Weitsicht aus dem Rahmen fällt,
nicht wahrnehmbar wird, mit " normalen" Kulturtechniken nicht formulierbar ist. Teile dieser Formulie­
rung übernehmen Horrorvideo-Produzenten.
250
12. Über die Schwierigkeiten, die Abbildung z u verlassen
Dieses Buch wurde vom Verlag in der unkorrigierten vorletzten Fassung publiziert
1 3. " Dennoch" - Schlußwort
Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser !
Zum Schluß werde ich nicht den Versuch unternehmen, die Fragmente zusammenzu­
zwingen, die ich durch mein Nachdenken über den Zusammenhang von Bildern und B il­
dung in den Schritten der einzelnen Kapitel und ihrer Abschnitte produziert habe. D iese
Fragmente sind nicht willkürlich produziert. Sie sind als nicht geschlossene Einheiten
Resultat einer mimetischen Annäherung an Motive, die im Bildungsbegriff eingeschlossen
sind, wenn sie auch nicht immer unmittelbar wahrnehmbar sind. Dabei hatte ich b eim
Schreiben immer wieder die Situation eines Pädagogen vor Augen, der sich an Zöglinge
adressiert, Situationen, die mir aus meiner praktischen Tätigkeit in unterschiedlichen päd­
agogischen Situationen von der häuslichen Erziehung über den Kindergarten, unterschied­
'.
liche Schulformen, E rwachsenenbildung, bis zur Hochschule vertraut sind. D ieses Bild
habe ich nur selten auch genannt oder auf den j eweiligen Inhalt appliziert. Ich habe meist
uneigentlich, d. h. in der intentio obliqua gesprochen. Damit habe ich versucht eine Rede­
weise zu vermeiden, die sich ausschließlich an der " Zentralperspektive als symbolischer
Form" orientiert hätte. Ich habe versucht, theoretisch sprechen d ein ( em) Stück pädago­
gischer Praxis nachzustellen, einer Praxis, die nie oder nur illusionär " zentralperspekti­
visch " organisiert war und ist. Ich habe also versucht zu verdeutlichen, daß pädagogische
Praxis montiert ist, und habe einige Montageelemente detaillierter ausgeführt.
D abei habe ich versucht, assoziativ vorzugehen. Ich habe Ihnen zugemutet, historische
Phasen, Theorien, Theoriestücke, Bilder und Abbilder zusammenzuführen. So habe ich
versucht, das P roblem des Zusammenhangs von Bildern und Bildung zu strukturieren .
Beim Schreiben mußte ich sukzessive meinen ursprünglichen Plan änderen.
Für Sie, wenn Sie denn meinen Gedanken und Bildern teilweise gefolgt sind, und für
mich war dies ein langer Weg, wahrscheinlich ein Weg, der ganz unterschiedliche Reisebe­
richte produziert. Einige Wegmarken möchte ich in einer Rückschau in Erinnerung rufen:
··
;,..
11
.
..
. 't� '
..·
,.
Zunächst habe ich mir in der Einleitung schon das Recht genommen, das " ganze" Pro­
blem des Zusammenhangs von Bildern und Bildung zu bedenken, obwohl ich das nicht
kann. D as dennoch zu tun, ist die Aufgabe eines Pädagogen. In diesem "Dennoch" liegt für
Pädagogen erst die Möglichkeit orientierend zu sein. Damit bieten Pädagogen die Möglich­
keit zu narzißtischer Bestätigung, stellen sich als Ichideal zur Verfügung - energetische
Grundlage j eder Erziehung. Darin steckt ein D ilemma; müssen doch Pädagogen auch
.
r"t
gleichzeitig zeigen, daß sie den "ganzen" Zusammenhang nicht haben, daß sie ihn nicht
darstellen können. Dieses Dilemma auszuhalten ist wichtiges Moment pädagogischer Tätig­
��.
.. . ..-..�,
keit 1 .
"
\: .
- Il:
!"
!\1t .
..".
. :1
Abb. 142: Pollock: Die Tiefe ( 1 953)
1 Ich schrieb noch aus einer zweiten Sicht, der des Analytikers . Ein Analytiker muß auf das hauptsäch­
liche Mittel des Pädagogen verzichten: Er kann sich nicht, will er die Chance zu einem Ausgang aus über­
fälligen Abhängigkeiten gewähren, darum bemühen, die Liebe seines Gegenüber zu gewinnen und zu er­
halten, er kann nicht als Ichideal fungieren wollen, als Anker einer imaginären (narzißtischen) Bezie­
hung dienen. Das kann er nur, weil er keine Inhalte vermitteln muß, wesentlich strukturierend tätig ist
und weil Erziehung schon stattgefunden hat. - Aber Psychoanalyse kann ich in der Textproduktion nicht
ausüben.
252
1 3 . "Dennoch" - Schlußwort
Dieses Buch wurde vom Verlag in der unkorrigierten vorletzten Fassung publiziert
Mit dieser angedeuteten Zuordnung von Pädagogik und Psychoanalyse beziehe ich mich
auf Gedanken von Catherine Millot ( 1 982 ) . Der letzte Satz ihrer Erörterungen heißt: "Alles,
was der Pädagoge von der und durch die Analyse lernen kann, ist, seine Wirkung zu be­
grenzen zu wissen, ein Wissen, das zu keiner Wissenschaft gehört, sondern zur Kunst""
(Millot 1 982, 1 84) . So schrieb ich als Kunst-Pädagoge und machte mich auf die Suche
nach Bildern.
Immer häufiger tauchen in den (spä­
teren) zentralpersp ektivischen Abbil­
dern Fragemöglichkeiten nach den Ei­
genarten des im Abbild verschwunde­
nen Autors, des Subj ekts auf. Die Zen­
tralperspektive selber ermöglichte erst
diese Frage und machte sie sinnvoll.
Immer deutlicher werden auch Hinwei­
se auf die Eigenarten des Autors, wovon
die direkte Abbildung des Malers im
Abbild selber noch die einfachste und
nicht unbedingt reichhaltigste Form ist.
Das von Brunelleschi bei der Herstel­
lung des Abbildes eliminierte Spiegel­
bild seiner selbst taucht transformiert
wieder auf (Kap. 5) . Dies ist Folge des
einmal installierten besonderen Blicks
von einem besonderen Standpunkt aus.
Das malende Individuum gerät dabei in
eine Zwickmühle zwischen verobj ek­
Abb . 1 4 3 : Während das eine Auge weiter zentralpertivierender
Regel2, die die Rezeption
spektivisch produziert, kann das andere auch etwas
garantiert,
und
der immer mehr auch
ganz anderes tun.
gespürten Besonderung, Absonderung
durch die subjektivierte Individualität, die jetzt nach Offentlichkeit drängt.
Die Zwickmühle öffnet sich in dem Moment, wo die Malerei von der Abbildfunktion
durch deren maschinelle Herstellung entlastet wird, also mit der Erfindung der Fotografie.
Von da aus, so scheint mir, wird dann auch der Blick geschärft für das, was schon vorher,
an Subj ektivität in die Malerei einfloß3 . Es wird jedenfalls möglich, danach zu fragen. Dies
führt zunächst zu einer Malerei, die den subjektiven Seheindruck weiter differenziert, fast
physiologisch. Dann werden auch Einbildungen aus dem Innern selber zum Thema, die
das wiederzugeben versuchen, was im Rücken des reflektierenden Subjekts geschah. Trotz
2 In "Die lebendige Metapher" schreibt Ricoeur zusammenfassend im Vorwort: " In allen Fällen heißt
Schaffen mit Regeln kämpfen, sei es, um sich von ihnen leiten zu lassen, sei es, um sie zu überschreiten
. . . Nun ist aber die Sprache zwar ausdrücklich oder unausdrücklich das bevorzugte Ausdrucksmittel alles
geregelten Schaffens, doch ist sie nicht dessen Quelle: wie Kant den Schematismus für die verborgene
Quelle hielt, aus der die Hauptmomente des Kategoriensystems hervorgehen, so betrachte ich die schöpfe­
rische Einbildungskraft als die Quelle der Dynamik, die die Rede zum Medium jeder neuen Synthese
macht. Man darf daher die deskriptive Disziplin, die für jene Phänomene zuständig ist, die mit diesem
auf Einbildungskraft und Sprache beruhenden Schaffen zusammenhängen, Poetik nennen" ( Ricoeur
1 986, If) .
3
Diesen Einschnitt beschreibt Novotny in " Cezanne und das Ende der wissenschaftlichen Perspektive"
( 1 93 8 ) .
1 3 . "Dennoch" - Schlußwort
253
alledem wird das nicht weniger, was sich hinter dem Rücken durchsetzt. Es wird erst eine
Sensibilität dafür erzeugt, daß sich etwas ohne Wissen, ohne Bewußtsein der beteiligten
Subjekte durchsetzt. Es entsteht ein immer konturierteres Wissen, um die Tatsache, daß
immer etwas aus dem bewußten Diskurs ausgelassen wird, was dennoch an die Oberfläche
drängt, und auch sonst das " Seelenleben"" bestimmt. Dies gilt für j edes unter den Vorzei­
chen der Neuzeit lebende Individuum, für das der Gedanke einer geplanten Steuerung seines
Schicksals konstitutiv ist. Es ist eine Kränkung.
Mit der Befreiung vom Abbilden, taucht das nun vereinzelte und vereinsamte Subjekt
auf4 , daß sich im Prozeß der Rationalisierung konstituierte, indem es zu verschwinden
hattes . Jetzt bildet die Kamera ab. Ab diesem Moment steht dem Subj ekt das Abbilden
eines Aspekt der Umgebung nicht mehr als gesicherte Methode zur Verfügung, weil dessen
"Naturtreue"" höchst fraglich geworden ist. Denn sowohl die innere wie die äußere "Natur""
hat Schaden genommen. Das Subjekt muß wieder erfinderisch werden (Kap . 5, 1 1 und
1 2 ) . Brunelleschi hatte ja auch schon gezeigt, daß zwar das darstellbar ist, was hinter dem
Rücken ist 6 , aber nur, indem er sich selbst bis auf die Repräsentation seines Augenpunktes
ausklammerte. Je mehr vom Produzenten selber ins Bild kommen soll, umso weniger ist
von dem sichtbar, was hinter dem Rücken ist - jedenfalls wenn man bei der zentralper­
spektivischen Abbildung als Methode bleibt - und das nicht nur beim Zeichnen.
Das Verfahren more geometrico, das rationalistische Verfahren, ist demnach ungeeignet,
wie ich zu zeigen versuchte, den Hauptagenten der Neuzeit und der Moderne, das indivi­
dualisierte Subjekt, selber ins Bild zu bringen, wenn es sich nicht auf die Repräsentation
des Augenpunktes oder das "naturgetreue"" Abbild beschränken will (Kap . 5 und 1 2 ) .
Die Beschränkung dieses Verfahrens aufzuheben war aber nicht der Laune überlassen
und kann nicht als Luxus gesehen werden, sondern war Erfordernis der Präzision des ratio­
nalen Verfahrens selber, wie an Descartes methodischem Zweifel, der sich auf die Gewiß­
heit des 2Augenpunktes "" des "Ich denke"" unter Negation aller anderen Existensweisen
glaubt verlassen zu müssen, oder wie an Kants Kritiken zu ersehen ist, die in wesentlichen
Bestandteilen Negation sind. Auf die Defizite, die durch die Negation entstehen, reagierte
mit rationalisierenden Mitteln Daniel Gottlob Moritz Schreber (Kap. 8 ) .
Es entstand ein Leiden am Ausschl�ß des nicht Rationalisierbaren, dessen, was hinter
dem Rücken vor sich ging, was keine Offentlichkeit hatte, was nicht zugelassen war in der
symbolischen Ordnung. Daran erkrankte Daniel Paul Schreber (Kap . 9 ) .
Da i n der gesamten Arbeit die Problematik des personalen Identitätsbegriffs mitschwang,
möchte ich zum Schluß auf einer ganz allgemeinen Ebene - selbst auf die Gefahr hin
Menschheitsprobleme zu thematisieren - eine Richtung zur Orientierung skizzieren: Welche
Denkfigur, welcher Gestus des Forschens kann an die Stelle einer immer noch - wenn auch
kontrafaktisch, das sei zugegeben - orientiemden Identität treten?
Ich plädiere für die Differenz:
Dabei knüpfe ich hier am Grenzfall Schrebers an (Kap . 9) . Daniel Paul Schreber hatte
versucht sich zumindest identisch zu halluzinieren und zu schreiben. Als Mann wollte er
der Weiblichkeit, des "ewigen Genießens"" nicht entbehren. In seiner Imagination war er zu­
mindest zeitweilig eine Frau. Ich lese das als Metapher für den Wunsch nach Eliminierung
von Differenzen, als Streben nach Ganzheit, Abgeschlossenheit, Autonomie .
4 Das ist der Thema der Romantik.
S
Das hatte ich versucht an der " Urszene" des Sehens bei Brunelleschi zu zeigen.
6 Dies ist bezogen auf die ursprüngliche Konstellation im Experiment Brunelleschis (Kap.4) .
254
1 3 . ,.,Dennoch" - Schlußwort
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Das weist auf eine schon elementare Differenz hin, die es au f einer ganz grundsätzlichen
Ebene schwer macht, sich als Mensch identisch zu denken, geschweige denn zu fühlen. Das
führt auf einen anderen Gedanken: Eine Vorstellung von Identität konnte nur gewonnen
werden unter Ausschluß der Geschlechterdifferenz. Wenn denn die Formulierung eines per­
sonalen Identitätsbegriffs und die " Zentralperspektive" von der Struktur her identisch
sind, weist die ihnen immanente Tendenz nach Eindeutigkeit, Geschlossenheit und deren
Mißlingen darauf hin, daß der zentralpersepktivische Blick ein männlicher ist, wie Dürers
Stich "Ein Mann zeichnet eine Frau" ( 1 538) pradigmatisch zeigt. Das Beharren aber auf
der Differenz der Geschlechter, auf einer grundsätzlichen Fremdheit, auf einer Erfahrung,
daß etwas immer bei einem, bzw. einer anderen ist, ist eine Formulierung des Freudschen
Rekurses auf Sexualität, der demnach keineswegs lediglich als Reflex auf ein viktoria­
nisches Zeitalter zu sehen ist.
Diese Differenz als schmerzlicher Mangel und Attraktion wird in Platons "Gastmahl" im
Gleichnis von der Zerreißung der Kugelmenschen im gleichen Diskurs eingeführt wie der
Verzicht auf die Unmittelbarkeit des Einflößens von Bildung zugunsten eines verbalen Dis­
kurses . Die Differenz ist nicht aufzuheben. Es bleibt eine offene Stelle, ein Mangel, so iden­
tisch man ( ! ) durch alle lebens geschichtlichen Veränderungen hindurch immer sein möge.
Es geht hier um das Rätsel des Geschlechtsunterschiedes und es möge doch keinen Päd­
agogen geben, dem dies nicht ein Rätsel bleibt. Der Pädagoge, dem diese Anspannung fehlt,
der sozusagen ganz locker ist, würde des pädagogischen Eros entbehren 7 •
"Der Geschlechtsunterschied erscheint . . . als eine Prüfung, durch die man hindurch
muß , um von der narzißtischen Welt der Identität in die der geschlechtlichen Differenz zu
gelangen" (Boons 1 988, 8 ) .
Die Andersheit taucht auf der Ebene der Spiegelung auf - Narziß müßte sich losreißen
vom Spiegelbild - und wird formulierbar und unterscheidbar auf der Ebene der Sprache.
Z um Aufbrechen der Spiegelphase gehört die Anerkenntnis, daß da eine Sprache ist, eine
symbolische Ordnung, die nicht umstandslos die meine ist, die vor anderen verständlich
ausgesprochen sein will, die das Medium zur Befriedigung differenzierter Bedürfnisse ist,
aber ein Begehren "übrig" läßt. Ein Losreißen aus der Spiegelung gelingt nicht dauerhaft
durch ein seitliches Ausweichen, um eine objektive Sicht zu simulieren.
Die Wiederbesetzung der eigenen Person nach dem Ausgang aus der Spiegelphase als ei­
ner differenten, die etwas nicht ist (sekundärer Narzißmus) und damit bezogen ist, immer
in Relation steht, treibt in immer weitere Unterscheidungen, die den Zugang zur sozialen
Welt eröffnen und von der einfachen Unterscheidung des Fort-Da wegführen können. Dies
treibt aber auch weg von der Einfachheit, es bleibt ein Rest, der in der Differenzierung nicht
aufgeht und sich deshalb auch nicht benennen läßt.
7
Ontogenetisch betrachtet taucht der Geschlechtsunterschied als Phantasma in der phaUischen Phase auf,
als das Phantasma der Kastration. Dieses Phantasma ist eine Interpretation von Realität, der Beginn um­
rissener Interpretationen überhaupt: ,., 'Man könnte ihn mir also wegnehmen ! ' sagt sich der Knabe, der ein
nacktes Mädchen entdeckt" (Boons 1988, 8 ) , das Mädchen denkt vielleicht, ihm sei es schon weggenom­
men, mit der Hoffnung, die Klitoris könne eines Tages groß werden. Diese äußerst realitätshaltigen Meta­
phern sind beim Wort zu nehmen, es ist aber zu berücksichtigen, daß die Signifikanten, ,.,Penis" und
" Klitoris" ins Gleiten geraten können. Das nicht wörtliche Auftreten solcher ,.,Gedanken" , sagt wahr­
scheinlich nichts über die Wahrheit der These. Einen Reim aufs Rätsel müssen sich Mädchen und Jun­
gen allemal machen. Als Knittelvers heißt der Reim "Identität" . Das Phantasma kann aufgegeben werden
" nach schweren inneren Kämpfen (Kastrationskomplex)" (Freud) . Die Aufgabe fäl1t mit der Zeit der
Einführung in die Sprache zusammen, jedenfalls deren Beginn. Dabei geht es um die Anerkennung von
Andersheit auf unterschiedlichen Ebenen mit dem Fundament des Geschlechtsunterschiedes .
1 3 . ,.,Dennoch" - Schlußwort
255
Abb. 1 44 : Vaccai: Vita e morte di Narciso ( 1982) - Auf der Rückseite dieser
Reproduktion war irrtümlich die im Katalog benachbarte Abbildung notiert
worden: Franz Xavier Messerschmidt ( 1736 - 1 783 ) : ,.,Ein Erzbösewicht" .
Die Differenzierung, letztlich die Anerkenntnis der Differenz der Geschlechter, bleibt not­
wendig, um überhaupt Berührung, Kontakt zu ermöglichen, sei es nun im Bereich inter­
personaler Beziehung oder im Bereich der Produktion oder der Aneignung von Wissen, ein
Begehren nach Begehren. Der Mangel bleibt und ist Voraussetzung für das Sprechen. Das
weitere Sprechen muß den Mangel akzeptieren8 .
Es ist leicht vorstellbar, daß diese Prozesse nicht ohne Unzufriedenheit ablaufen können,
nicht ohne Aggressivität. Einen Teil dieser Trennungsenergien haben Pädagogen aufzu-
8 In anderen Worten: die Trennung von der ,.,Mutter" wird als Voraussetzung anerkannt für Leben. - Hier
wird das angesprochen, was Lacan nach Einführung des Vaters als Metapher die symbolische Kastration
nennt.
256
1 3 . "Dennoch" - Schlußwort
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bringen. Zum Wunsch zu erziehen gehört diese Aggressivität. Er kann wegen der mit ihm
verbundenen Anstrengung umkippen, sich verschieben. Er wird dann zum Wunsch, die zu
Erziehenden ihres Mangels zu berauben, nur das Beste zu wollen, sie mit sich identisch zu
machen: "Die fusionierende Liebe bedroht die Autonomie des Subjekts, macht sogar dessen
D aseinsanspruch lächerlich 1.4 (Bigeault/Terrier 1978, 88) . E ine andere Version ist die
Flucht nach vorn: Der Wunsch des Kindes ist auch mein Wunsch: " . . . die Selbstaus­
löschung des Erwachsenen ist das symbolische Ä quivalent für einen Selbstmord oder eine
abgemilderte masochistische Haltung, deren aggressive Bedeutung man ja kenntl.4 (Bi­
geault/Terrier 1 978, 88) . Die Folge ist Depression.
D as alles soll nicht heißen, daß
die Rede von der Identität keinen
Sinn macht oder gemacht hat.
Ich wollte lediglich darauf hin­
weisen, welche Gefahren, welches
Potential an Selbsttäuschungen
in dieser Rede liegt. - Vor die­
sem Hintergrund kann das bild­
liche Reden kein Additum sein,
kein Schnörkel, sondern Orna­
ment in des Begriffes ursprüng­
licher Bedeutung9 : Es ist die la­
teinische Entsprechung des grie­
chischen Kosmos, das das Ver­
hältnis zwischen einzelnen Teilen
und einem anderen benennt.
" Ornatus 1.4 läßt sich nicht von
einem Individuum sagen, nur
von den Beziehungen, in denen es
steht1o . Ä sthetische Erziehung in Verlängerung dieser Überle­
Abb. 1 45 : Broodthaers: Amuser, ou le tableau le plus beau du
gung verstanden - steht in der
monde ( 1 974) .
Gefahr, ausgetrieben zu werden,
j e mehr sie sich nur dem wissenschaftlichen, dem ausbildenden Diskurs anschließt. - Wir
erinnern uns, daß Alberti gegen das Ornament war: Das wäre jetzt so zu übersetzen: Der
perspektivische Blick trieb den Dingen, hier den Häusern, der Architektur, die alte Vernet­
zung aus, das Ornament hätte daran erinnert:
Nach diesem Durchgang könnte Ä sthetische Erziehung so "definiertl.4 werden. - Eine Er­
ziehung, die sich der Kunst nahe wähnt, die Bilder zulassen will, da Bilder (noch) nicht
rationalisierbare V ernetzungen präsentieren können. Ä sthetische Erziehung will nur als
Pädagogik Kunst sein. Sie will nicht Kunst hervorbringen. - Die Nähe zur Kunst und den
Bildern möchte ich darin sehen, daß die Kunst-Pädagogik als Pädagogik, sei es als Fach in
einem Fächerkanon oder als ein Schwerpunkt in der außerschulischen Pädagogik, sich
dem Umschlag vom Imaginären in die symbolische Ordnung der Sprache und dem Realen,
9 vgl. hierzu Grassi 1 979, 64.
10 " Quintilian betrachtet metapher ebenfalls als den ' ornatus ' der Rede, und zwar auch nicht als
' Schmuck' , sondern als das schlechthin der Sache Zugehörige, also das, was ihr Wesen bildet und zum
Vorschein bringt, . . . " (Grassi 1 979, 64) .
1 3 . "Dennoch" - Schlußwort
257
das in der symbolischen Ordnung nicht aufgeht, widmet. Diesem Bereich kann man sich
von zwei Seiten aus nähern: Indem man selber Kunst macht oder indem man sich von der
sprachlichen, der theoretischen, der philosophischen Seite her diesem Bereich nähert. Es
geht demnach p ädagogisch gesehen um das Heranbringen an eine Erfahrung von Grenze,
der Grenze von Gesagtem und Ungesagtem, von Sagbarem und (noch) Unsagbaren.
Mangel und Differenz bleiben. Das Wünschen kann helfen, nicht die Erfüllung der
Wünsche.
, I
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3 3 : Der Teufel im Spiegel ( 1 496 ) . In:Baltrusaitis ( 1 98 6 ) , Abb . 1 27
1: Tansey, Mark: Ungläubiger Thomas ( 1 98 6 ) . In: FAZ Nr. 217, 1 7 .09 . 1 98 8
3 4 : Patrick Hughes : Dej a Vu . In: TAZ , 04.07 . 1 987, 1 2
2 : Escher: Bildgalerie. I n : Ernst ( 1 986) . Abb . 56
3 5 : Masaccio: Trinity. I n : Hartt ( 1 987) . Colorplate 2 5 , 1 9 7
3: Magritte, Rene: La magie blanche ( 1 93 6 ) . In: Retrospective Magritte ( 1 978 ) . Abb . 1 9 6
3 6 : Piero della Francesca: Geißelung. Montage i m Innern der Z entralperspektive. I n : Wright ( 1 98 3 ) . 79
4 : Escher: Auge. In: Ernst ( 1 986 ) . Abb. 1 6
37: Hockney : Sunday Morning Mayflower Hotel ( 1 982) .Montierte Zentralperspektiven.
In: Hockney ( 1 98 4 ) . Abb . 75
5 : The face of modern Psycholgy. In: Romanyshyn ( 1 982 ) . 1 76
6 : Superman. In: Forschung. Mitteilungen der DFG. Nr. 2, 1 98 7 . 4
7 : Colonna: Hypnertomachia Polifili. Venice, 1 49 9 . In: Word + Image.VoI 3 , No . 1 , Jan . - March 1 987,
1 1 8. London, New York and Philadelphia: Taylor and Francis
8: Albrecht D ürer: Der Z eichner des liegenden Weibes ( 1 53 8 ) . In: Köhler, M ./Barche, G. (Hg . )
( 1 98 5 ) : Das Aktfoto. 3 6 . München, Luzern: Bucher
9: Hergsell, Gustav ( 1 89 6 ) Tafel XII
1 0 : Hergsell, Gustav ( 1 896) Tafel XII
1 1 : Hergsell, Gustav ( 1 89 6 ) , 348
1 2 : Hergsell, Gustav ( 1 89 6 ) , 350
3 8 : ( 1 68 ) : Max Klinger: Philosoph ( 1 898 ) . In: Kunstverein Hannover ( 1 98 2 ) : Katalog Spiegelbilder . 55
39: Bacon: Liegende Figur im Spiegel ( 1 97 1 ) . In: Kunstverein Hannover ( 1 982 ) :
Katalog Spiegelbilder. 94
40: Magritte: Tod der Perspektive (Madame Recamier de David, 1 95 0 ) . In: Retrospective Magritte
( 1 97 8 ) , Abb . 1 47
4 1 : Magritte: Les liaisons dangereuses ( 1 9 3 6 ) . In: Torczyner ( 1 979 ) . Abb . 25
42: C arlo Maria Mariani: La Mano ubbidisce all' intelletto. In: TAZ , 28 .03 . 19 8 8 . 1 1
4 3 : Barbara Keidel: M it Spiegel ( 1 979/1 980 ) . In: Kunstverein Hannover ( 1 982 ) : Katalog Spiegelbilder.
105
13: Hergsell, Gustav ( 1 89 6 ) , 3 54
4 4 : Helmut Middendorf: Die Berührung ( 1 98 1 ) . In: Kunstverein Hannover ( 1 9 82 ) : Katalog
Spiegelbilder . 1 3 7
1 4 : Hergsell, Gustav ( 1 89 6 ) , 3 5 1
4 5 : Vladimir Rencin: Karikatur "Cogito ergo sum" . In: Die Zeit Nr. 1 , 1 . 1 . 1 988. 50
1 5 : Hergsell, Gustav ( 1 89 6 ) Tafel XXXIX
46: Magritte: L' usage de la parole ( 1 928) . In: Kunstverein Hannover ( 1 982) : Katalog Spiegelbilder . 82
1 6 : Giuseppe Z occhi: Uffizien in Florenz ( 1 74 4 ) : In: FAZ 3 0 . 03 . 1 987
47: Magritte: Das ist keine Pfeife. In: Retrospective Magritte ( 1 978 ) . Ausstellungskatalog. Abb . 96
17: Lutz Kleinhans : U-Bahnhof in Frankfurt. In: FAZ 24.09 . 1 98 8 . 29
48: Too much sex affects your vision. In: TAZ , 0 1 . 1 0 . 1 988. 1 7
18: Peter Reuter: Stadtbad ohne Ding ( 1 975 ) . In: FAZ 25 .04 . 1 9 8 8 . 25
4 9 : John Hilliard: Rauminstallation i n Schloß Buchberg am Kamp .
In: K unstforum 86, 1 1/ 1 2 1 98 6 . 1 6 1
19: Vredemann de Vries: Interieur mit Spindeltreppe ( 1 60 4 ) . In: Albrecht Dürer Gesellschaft/
Kunsthalle Nürnberg ( 1 986)
20: " First Papers of Surrealism" ( 1 942 ) . In: Glozer ( 1 981 ) , 1 03
2 1 : Marcel Duchamp : La marit�e mise a nu par ses celibatiares, meme ( Boite Verte) 1 9 3 4 .
I n : Moure ( 1 98 4 ) . 2 0 4 , Abb . 95
5 0 : Hank F . SeIler: Cornflakes in Cellophane. In: US -Album 1 . Abb . 2 5
5 1 : M . C . Escher: Reptilien ( 1 943 ) . In: Ernst, Bruno ( 1 986 ) : Der Zauberspiegel des M . C . Escher.
Abb . 4 4 . Berlin: Taco
52: Leonardo da Vinci : Abendmahl. In: Wright ( 1 983 ) . 95
22: Marcel Duchamp: La Boite-en-Valise. In: Moure ( 1 984) . 218, Abb . 1 1 1
53: Dali: La Cene . In: Postkarte
2 3 : Marcel Duchamp : Grand V erre ( 1 9 1 5 - 1 923 ) . In: Moure ( 1 984 ) : D uchamp . 1 4 2
54: Koeppel: Abendmahl ( 1 98 2 ) . In: Postkarte
2 4 : Superstudio . D e r neue Friedhof v o n Modena ( 1 973 ) . In: Albrecht Dürer Gesellschaft/ Kunsthalle
Nürnberg ( 1 9 86 ) . 435
5 5 : Ulrichs : Lebendes Bild mit Totenbuch nach Leonardos "Abendmahl" ( 1 976 ) . In: Kunst und
Therapie 5 , 1 98 4 . 40
2 5 : Paolo Uccello : Perspektivische Studie eines Kelches . In: Kubovy ( 1 98 6 ) . 1 68, Abb . 1 0 . 1
56: Greenaway: Filmszene aus "Der Bauch des Architekten" . In: TAZ 0 1 . 1 0 . 1 987. 20
2 6 : Rekonstruktio n Brunelleschi ' s Frontalperspektive vom Florentiner Baptisterium: I n : Sellenriek
( 1 987 ) . 1 3 0
57: Syriac Codex . In: Wright ( 1 983 ) . Abb. 2 . 1 8
27: Reconstruction o f Brunelleschi' s visual angle from the portal of the Duomo toward the Baptistery. In:
Edgerton ( 1 97 6 ) . 1 4 1
2 8 : Krautheimer' s Rekonstruktion. In: Edgerton ( 1 97 6 ) . 1 3 0
2 9 : Edgerton : Rekonstruktionszeichnu ng. In: Edgerton ( 1 976 ) . 1 45
5 8 : Fra' Angelico : D as letzte Abendmahl . Museo San Marco , Firenze .
5 9 : D ürer: Das letzte Abendmahl ( 1 523 ) . I n : Heydenreich ( 1 974 ) . 70
60: G hirlandaio: Das letzte Abendmahl ( 1 480) . In: Postkarte
6 1 : Leonardo da Vinci : Das letzte Ab endmahl. In: Wright ( 1 983 ) . 95
Abbild ungsverzeichnis
284
Dieses Buch wurde vom Verlag in der unkorrigierten vorletzten Fassung publiziert
6 2 : Mas accio : Trinitätsfresko . Rekonstruktion des p ersp ektivischen Fluchtp unkte s .
I n : Hertlein ( 1 9 79 ) . Abb . 6
6 3 : Masacci o : Trinitätsfresko. Rekonstruktio n des K apellenlängsschnittes mit mutmaßli cher P o sition der
Figurengruppe und Ideals tandort des Betrachters . In: Hertl ein ( 1 9 7 9 ) . Abb . 7
A b b i l d ungsv erze ichnis
8 8 : Ernst Mach ( 1 9 22 ) : D ie Analy se der E mpfindungen und das Verhäl t n i s des Phy s i s chen zum
Psychischen ..
15
Jena: G. Fisch er
8 9 : Erhard Schön ( 1 53 8 ) : Underweysung der Proportion . In: Wright ( 1 9 8 3 ) . 1 0 1
6 4 : Leonardo : Study for The Last S up p er ( 1 49 5 ) . In: H ey denreich ( 1 9 7 4 ) Abb . 28
9 0 : Erhard Schön ( 1 53 8 ) : U n derweysung der Proportion . I n : Wright ( 1 98 3 ) . 1 0 1
6 5 : Leo nardo : Abendmahl ( D etail) : links : H and des Judas , rechts : Hand Jesu s .
9 1 : Giacomo B arozzi d a Vignola ( 1 50 7 - 1 5 73 ) : L e due reg ole della prospettiv a practica. R o m 1 5 9 3
I n : S chumacher ( 1 9 8 1 ) 1 4 2
6 6 : Leonardo : Rötel- Studie zu J u das . I n : M öller ( 1 95 2 ) . Abb . 28
6 7 : Leonardo : Feder-Studie z u Judas. I n : Möller ( 1 95 2 ) . Abb . 2 9
6 8 : Szenenfoto a u s " Viridiana" ( 1 9 6 1 ) v o n L . Bunuel . I n : Heydenreich ( 1 9 74 ) 1 0 1
6 9 : Ben Willikens : Abendmahl ( 1 9 7 6 / 7 9 ) . I n : D e uts ches Architekturm u s e u m ( Hg . ) ( 1 9 8 5 ) : B en
Willikens - Metaphy s i k des Raumes . 9 9
Stuttgart: Klett
7 0 : B en Willik e n : Flur Nr. 13 ( 1 9 7 4 /75 ) . I n : D eu ts ches Architekturmuseum ( Hg . ) ( 1 9 8 5 ) : B e n
Willikens - Metaphysik d e s Rau mes . 4 3
Stuttgart: Klett
7 1 : Ben Williken: L iege Nr. 2 ( 1 97 4 ) . In : D eutsches Architekturmuseum ( Hg . ) ( 1 9 8 5 ) : Ben Willikens -
Metaphy s i k des Raumes . 3 7 .
Stuttgart: K lett
7 2 : B en Williken s : O ktogon . S itzungss aal der L an desbank Stuttgart( 1 9 83 ) . In: D eutsches
Architekturmuseum ( Hg . ) ( 1 98 5 ) : Ben Willikens - M etaphysik des Rau m e s . 1 5 1 .
Stuttgart: K lett
7 3 : D ürer: Ellip s e . In: D ürer ( 1 5 25/ 1 9 0 8 ) . 3 6
7 4 : A . D ürer: Z eichner, ein Bild z eichnend. ( 1 5 25 ) . I n : Panofsky ( 1 97 7 ) . Abb . 3 1 0
7 5 : Privataufnahme ( 1 98 6 )
7 6 : Privataufnahme ( 1 9 8 6 )
7 7 : Privataufnahme ( 1 9 86 ) .
7 8 : Dürer: D er Z eichner des l iegenden Weibes ( 1 5 3 8 ) . In: Köhler, M . /B arch e , G . ( Hg . ) ( 1 9 8 5 ) : D as
Aktfoto.
München, Luzern: Bucher
79 : Pharma-Werbung nach einem K upferstich von Dürer ( Melencolia I , 1 5 1 4 ) . In: Spektru m 3, 1 9 8 7 .
101
8 0 : M edaillion A lb erti s . In : Hill, Sir George ( 1 9 20 ) : Medals of the Renaiss an c e . Tafel 6 , 1 Revised and
enlarged by Graham Pollard. L ondon : Britis h Mus eums Publications
8 1 : Trap p : Das D enklehrzimmer ( 1 78 4 ) . In: R u ts chky ( 1 9 7 7 ) , 1 5 4 1 1 5 5
8 2 : V o r d e m Ei ns atz v o n D r . L orenz " Geradezwinger: I n : Freibeuter 3 3 , 1 9 8 7 . 3 5
8 3 : Nach d e m Eins atz v o n D r . Lorenz " Geradezwinger: I n : Freib euter 3 3 , 1 98 7 . 3 5
8 4 : E ine andere Formulieru ng des Themas . K arikatur in TAZ , 0 9 . 1 1 . 1 9 8 8 . 5
8 5 : Dü rer : Zeichner, eine L aute z eichnend ( 1 5 2 5 ) . I n : Panofsky ( 1 97 7 ) , Abb . 3 1 1
8 6 : K . F . Schinkel : Fels entor ( 1 8 1 8 ) . In: Katal og: G al erie der R omanti k . 7 9
B erlin : S taatlicher Kulturbesitz ( 1 9 8 6 )
8 7 : K . F . Schinkel : B lick v o m B erge auf eine i talienische Stadt ( 1 8 1 7 ) . In : Katal og: G alerie der
Romanti k . 7 8 . B erlin : Staatlicher Kulturb es itz ( 1 9 86 )
285
9 2 : Camera obs cura. In: R o c k , Irvin ( 1 9 8 5 ) : Wahrnehmung. 1 3 Heidelberg : Spektrum d e r W i s s enschaft
9 3 : In: Nie derland ( 1 9 78 ) . Abb . 1 1
9 4 : D . G .M . S chreb er. I n : Heiligenthall Volk ( 1 9 73 ) . Abb . zw . 3 6 4f
95: G eradhalter. In: Niederland ( 1 97 8 ) . Abb . 5
9 6 : D alt: D as G esp enst des S ex-Ap peals ( 1 9 3 4 ) . In: D ali ( 1 9 8 0 ) . 1 9 7
9 7 : In: Dal]" ( 1 9 8 0 ) . 2 0 9
9 8 : G eradhalter. I n : Niederland ( 1 97 8 ) . Abb . 1
9 9 : In: Niederland ( 1 9 7 8 ) . Abb . 7
1 0 0 : In: Schatzman ( 1 97 8 ) . Abb . 2
1 0 1 : I n : Ruts chky ( 1 9 77 ) . Abb . 3 8
1 0 2 : I n : Ru ts chky ( 1 9 77 ) . Abb . 3 6
1 0 3 : I n : Ruts chky ( 1 9 7 7 ) . Abb . 1 1
1 04 - 1 1 0 : Duane Michal s : Alices Mirror ( 1 9 74 ) . In: Kunstverein Hannov er ( 1 98 2 ) : K atalog
Spi egelbil der. 1 1 2 - 1 1 5
1 1 1 : Magritte ( 1 9 3 7 ) . In: Kunstv erein Hannover ( 1 9 82 ) : K atalog Sp iegelbilder . 8 0
1 1 2 : I n : Hofmann, Werner ( 1 9 8 0 ) : Goya. D a s Z eitalter d e r Revolutionen . 6 1
Münch e n : Prestel
1 1 3 : In: Sellenriek ( 1 9 8 7 ) . 1 2 8
1 1 4 : I n : Panofsky ( 1 97 7 ) . Abb . 3 1 1
1 1 5 : In : Sell enriek ( 1 9 8 7 ) . 1 2 9
1 1 6 : I n : Specht ( 2, 1 9 80 ) . 1 2 0
"1 1 7 : I n : Weber ( 1 9 7 3 ) . 4 8 7
1 1 8 : In: Bep l er ( 1 9 8 8 ) . 5 6
1 1 9 : I n : Negt/Kl ug e ( 1 9 8 1 ) . 9 0 6
1 2 0 : I n : Fraenger ( 1 9 7 8 ) . Abb . 1 8
1 2 1 : Schwarz enb urger/Kretschmer ( 1 9 8 4 ) : Das Bild als Ort . I n : Adam und Eva, s ow i e Anfang u n d E n d e .
Wales : Wolfgang Gurlitt Mus eum 1 9 8 4
1 2 2 : In: Dal, ( 1 98 0 ) . 7 5
1 2 3 : I n : Dal]" ( 1 9 8 0 ) . 82/83
1 2 4 : In: Dalf ( 1 9 8 0 ) . 296
1 2 5 : Caravaggio : N arziß ( 1 60 0 ) . In: Kuns tv erein Hannover ( 1 9 8 2 ) : Katalog Spieg e l b i l d e r . 14
1 2 6 : In: G erard ( 1 976 ) . Abb. 37
1 2 71 1 28 : I n : G ebrüder Grimm: Der W ettlauf zwischen dem Hasen und dem Igel . I l l u s trati o n : Christian
K ämpf. M ü nster : C op p enrath ( 1 98 5 )
286
Abbildungsverzeichnis
Dieses Buch wurde vom Verlag in der unkorrigierten vorletzten Fassung publiziert
1 2 9 : In: B ellmer ( 1 9 8 3 ) : D i e P u pp e . 9 3 . Frankfu rt, Berlin, Wien : U l l s tein
1: 5 0 : In: B ellmer ( 1 9 8 3 ) : Die Pupp e . Abb . 9. Frankfu rt, Berlin, Wien: Ull stein
1 3 1 : In: D ali ( 1 98 0 ) . 2 8 4
1 3 2 : Magritte " D er Therapeut" I n : Torczyner ( 1 9 77 ) . 1 72
1 3 3 : In: Wohnen im eigenen Heim. Nr. 4, ( 1 1 ) 1 98 7 . 1 6f
Form & I n t e resse
1 3 4 : Pollock : Collage ( 1 94 3 ) . I n : Frank ( 1 9 84 ) . Abb . 97
herausgegeben von
1 3 5 : I n : Namuth ( 1 97 8 ) . Ohne S eitenz ählung
Dr.
M agdalena
Droste . Bauhuusarchiv
Berl in
1 3 6 : I n : Frank ( 1 98 4 ) . 4 1
1 3 7 : I n : Katalog: M ondrian. 2 7 1 . Stuttgart: Staatsgalerie ( 1 98 0 )
1:-3 8 : Standfoto a u s einem F i l m v o n Falkenberg und Namuth üb er P ollock ( 1 9 5 1 )
1 3 9/1 4 0 : In: Namuth ( 1 978 ) . O hne S eitenzählu n g .
Gertrud Jula Dech
"Schnitt mit dem Küchenmesser Dada"
Bd. 3 . 1 98 l . 2 0 0 S . . 1 20Äbb . . -+ 8 . 80 D M . br. I S B "i 3-88660-055-6
Eva Karcher
Eros und Tod i m Werk von Otto Dix
1 4 1 : I n : Frank ( 1 98 4 ) . 6 1
Studien zur Gesc h ichte des Körpers i n den zwanziger Jahren
1 4 2 : I n : Frank ( 1 98 4 ) . 1 0 1
che Verbindung von "Eros und Tod" i n D i x ' s Darstellungen von Krieg. Großstadt. Prostitution
1 4 3 : I n : Stern 3 6 , 1 9 8 8 . 1 23
Bd. 7 . 1 98-+. 200 S . . 80 A b
1 4 4 : I n : Katalog: Wainer Vaccari " G irotondo" . 1 9 . München: Kunstverein ( 1 988 )
Johannes Lothar Schröder
1 4 5 : I n : Kunsth alle Bern ( 1 9 82 ) : Katalog: Marcel Broodthaers ( 1 9 2 4 - 1 9 8 2 ) .
Im Mittelpunkt steht die B i l danalyse ein iger Hauptwerke der zwanziger Jahre. die die unauflösli­
und i n seinen Portraits vergegenwärt i gt .
b � 48 .80 D M . br. .
I S B N 3-88660- 1 0+-8
Iden t i tät ÜberschreitungIVerwandlung
Happenings. Aktionen und Perforn1ances von b i l denden Künstlern
Die fünf Kapitel des Buches zeigen. wie Happenings und Aktionismus die stagnierende Abstrak­
tion lind das Infonnel durchbrachen. wie nach der gescheiterten Part i z i pation des p! l h l i l.; u m s die
Körper der Künstler selbst zum Objekt der Kunst wurden. die Synthese der 70er Jahre. i n de­
nen die Künstler Subjekt und Objekt der Perfonnance wurden. die Perfonnances als ein M ittel
der Emanzipation der Künstlerinnen lind die Performance als Stad i u m einer konstruierten und
rekonstruierten Identität.
Die kritische Aufbereitung der Dokumente ephemerer Kunst und die darauf fußenden exem­
plarischen Analysen ausgewählter Happenings. Aktionen und Perfonnances von A l lan Kaprow.
Günter B rus. Berrv LeVa. Tom Marion i . Chris B u rden. Cherie Gaulke. Suzanne Lacy. Lesly
Labow itz. U l rike
Rosenbac h lind
K i m lones lassen erkennen. daß ganungsübergreifene Experi­
mente und hohe Ris iken. die v iele K ü nstler dabei auf sich genommen haben. notwendig waren.
Vielen Künstlerinnen und Künstlem gelang es dadurch. sich üher die ästhetischen und techn i ­
schen Bed ingungen d e r K u n s t und d e s Kunstbetriebes hinwegzusetzen.
Bd.
19. 1 996. 2�() S . . 50 Abb . . 5 8 . 80 D�!. br. .
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"Der Kuß der Sph inx"
We ibl iche Gestalten nach griec h i schem Mythos in M al e re i und G raphik des Sym bo­
l ismus
S c h o n se it län l!erer Z e i t w i r d über d a s B i ld von d e r Frau n i c h t nur in d e r Geschichte. sondem
�
auch i n Literat ur und b i l dender Kunst retlektien. Einen besonders spannenden Z e i trau m n i m m t
h i a das letzte Drittel des 1 9. Jahrhunderts und die Jahrhundenwende ein und somit auch die
Kunst dö S y m bo l ism u s. Denn es war gerade die,e E poc he . d i e dem Bild \'on der Frau n ic h t
nur die üherKommenen weib l i c hen R o l l e n zuschrieh. so n d em i m mendhrend alte Gestalten aus
Jll t i ke r \1\ t ho l o !! i e . A l tem Tötament oder auch vol kst ü m l ich er S ag e zu n e u e m L e h e n e rw e ckte.
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oder Helena. Lilith. E \· a oder Schiin Ro,Jmund - sie a l l e verkiirpem den Typus der
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schen \lalerei u n d Gra p h i k berüc b i c h t i g l . da gerade silO i n d e r b i l de n de n K u n , t und L i taat u r
Dieses Buch wurde vom Verlag in der unkorrigierten vorletzten Fassung publiziert
Wol r!!�\JH!
Ye l l e u r
Die Bede u t u n g der ( ; leic h g ü l t i g k e i t i n der K u nst d e s 2 0 . J a h r h u n d erts
K u nst i n der G ö t a l t e i ner Sch neöc h a u.fel oder e i n e r alten K i nderbadewannt.!. K u n s t :\LIS Fett.
SC' h ro l l llder S c hoklliade: K unst i n der G e s t :t 1 t v o n F:lrbpo l s t e rn . aufgesc h l itzten Lc' i n w ;inden
<Hkr mon oc h rum e n FLiehen - Kunst lieS 2 ( ) . LtIHh u l1lkrt s .
Wurden d i e ..\n t·;inge der lTlodernen K u n s t von S kandalt:n u nd :'\
gg re s .s i onen
beg k i t e t . reagierte
das Pu b l i k u m nuch mit Verweigeru n g : I U t' d ie .-\ l laden gegen se i ne t rad i e rten S e h g e w o h n h e i t e n .
so göc h i e h t d e r g l e i c h e n heute n i c h t m e h r . S t a l l de."en h ö r t man Vllll Zers törung o d e r n u r k u rio,en
Zw i sc h e n t�iI lt: n . d ie \\ e n i ger von Val1lb l i s m u s a l s v ie l m e h r von d e r andauernden I rritation zeugen.
d i e durch die \tlmkrne ausgelöst w i rd . Die h ;i u ti g s te Reakt illn d ü rfte a l k rd i ngs i n dem m ü d e n
und des i n teressierten Sc' h u lter/ucken e i nes sclll'inb:lr abgekbrtcn P u b l i k u m s z u t i n d e n ,e i n .
A u f d e m H i n t erg ru nd solcher Gewo h n h e i t srdk:xe s t e l l t s i c h jedoch d i e Frage. ob d i e g l e i c h g ü l t i ge
Wah rn e h m u n g von z. B. e i nem Ready-made n i c h t der geheimen ..\ b,; i c h t des Künst ler, gehorc h t .
Anh a n d d e r neuen Pr;ise ntat ionsstrategien von Duc h a m p . a b e r a u c h Pirande l l o u n d J o h n Cage.
sche i n t d ieser Gedanke berec h t i g t .
B d . 3 2 . 1 l)()0. 1 2 ::; S . . 1 2 A b b . " S . S O D M . gb . . I S B 0I 3-SR660-56S-.x
Geor�
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M.
B l oc h lllann
Zeit eist u nd K ü n stlermy t hos
U n t e rs uc h u n !len zur S e l bstdarste l l ll n !.! deu tscher Maler der G ründerz e i t
;
�
Marees - Le bach - B öc k l i n - Mak rt - Fellerbach
. Ylalerfürst' und ' v e rkannter K ünstler' ; Dieses Begri ffspaar w i rd jedem schne l l g e l ä u ti g . der be­
g i n n t . sich mit der K u n st der Gründerzeit zu bd'assen. Da sind auf der e i nen S e i te diejen igen . die
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Ruhm und Ansehen bei i h re n Zeitgenossen genießen und deren B i lder hohe Preise erz i e l e n . l
der ;lIlderc:n S e i t e d i e U n ge l iebten und Unbemerkten. j a A n g e fe i ndete n . d i e i h r L e b e n g;lIl z d e r
K unst w e i h e n . o h n e a b e r auch n u r ansatzwe i se von i hren Werken l e ben zu könne n . Gesch i c h te
und Gesc h i c h tsschreiber aber schaffen den gerechten A u s g le i c h : A l s Modeersc h e i n u n g s i n d d i e
Malerfürsten s c h n e l l vcrge,sen. der z e i t lose R u h m des Verkannten h i ngeg�n � . b l ü h t \' o l lends erst
nach se i nem Tod.
Doch s i nd die Gese l l sc haftsmaler der Gründerzeit und d i e entrückten Schöpfer un zei tge m üßer.
ze i t loser Kunst w i rk l ich so w e i t vonei nander entfernt. wie Gener�ltionen "o:� KU!1';t- und K u l tur­
historIKern es zu sehen g l aubten'J Verste l l t nicht v i e l mehr der Wi l le zu quas i-myth i scher Herioi­
sierung den B l i c k a u f e i ne teitbedingte B e w u l3L,einskonstante. die S e l bstbewuBtse i n u n d S e l bst­
wertgefühl einer ganzen Künst lergeneration pr:igte')
Am B e i s p i e l von fünf ausgewäh l ten K ü n s t lerpersiin l ic h k e i te n der Gründerzei t spürt der A u tor
dieses Bandes dem Ze itgeist e i ner Epoche n ac h . Ausg e h e n d \'on den S e l b s t b i l d n i s se n der M a l er
H a n s von Man�es. Franz von Lenbach. A rn o l d Böc k l i n . Hans \1akart u nd A n se l rn Feuerbach
entw icke l t er vor den Augen des Lesers ein faszinierendes Panorama v i e lgestal t i ger S e l bstd:tr­
stel l ungsformen. wie es nur e i ne Zeit hervorbringen kann. die dem herausragenden I n d i v i d u u m
unei ngeschränkte Anerkennung zol l t und d i ö e s g l e ichze i t i g dem Zwan g aussetzt. s i c h u n u n ­
terbrochen a l s solches zu b e k u n d e n . In der deut l ichen Heraus:trbe i t u n g der künst l er i sc h en u n d
gese l lschafts-biogratischen Untersc h i e d l i c h k e i t d e r \'orgestc l l ten K ü n s t ler gelingt e s dem A utor
mit dete ktiv ischem Feingespür. die Verb i n d u n g s l inien sic htbar werden zu l as se n . d i e d i e \1aler
a l s Zeitgenossen aus\\ eisen und zu be i s p i e lhaften Vertretern ihrer Epoche machen.
Bd. 3-1. 1 99 1 . 2:-;0 S . . 1 1 5 .\ b b . . 38.80 DM. br . . ISBN 3-8g660-623-6: 5 8 . 80 DM. gb ..
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