Das Leben als Feuerwerk

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Das Leben als Feuerwerk
Feuerwerk
Predigt zu Silvester 2012 17.00 Uhr von Hans-Jürgen Kopkow
Alle besonderen Tage im Jahr sind mit Traditionen und Bräuchen
verbunden. Ich denke da z.B. an den Osterhasen oder den
Weihnachtsbaum, die Erntekrone und die Pfingstrose, die
Karfreitagsstimmung oder die Lichter im Advent.
Das ist zu Silvester ja nicht anders? Da gibt es in manchen Familien ein
typisches Silvesteressen, z.B. Kartoffelsalat mit Bockwurst, Heringssalat
oder Fondue. Auch die, die es eher süß mögen, kommen auf ihre
Kosten, denn Berliner oder Krapfen dürfen natürlich auch nicht fehlen.
Für viele ist Silvester eine gute Möglichkeit, sich mit Freunden zu
treffen oder auf eine Party zu gehen, während für andere das Jahr ganz
still zu Ende geht.
Nicht nur die Kinder freuen sich schon aufs Bleigießen. Und dann erst
die Knallerei und das Feuerwerk. Die einen lieben es. Die anderen
hassen es. Den wenigsten sind gerade die Knallerei und das Feuerwerk
in der Nacht egal.
Also als Kind und Jugendlicher – das muss ich bekennen – habe ich
schon Tage lang vor Silvester Knaller angezündet. Es machte mir und
meinem Bruder und unseren Freunden einfach Spaß. Was haben wir da
an Geld verballert? Aber das war uns damals egal.
Die Knaller waren damals auch längst nicht so gefährlich und laut wie
heute. Es waren zumeist Babyknaller und die sogenannten Ladycraker.
Je älter ich wurde, desto mehr habe ich das Ganze mit Abstand
gesehen.
Viele Jahre musste ich natürlich mit meinen Kindern Knaller kaufen. Es
gab dann immer die leidigen Diskussionen darüber, wie viel und wovon
sie sich etwas kaufen durften. Und natürlich habe ich darauf geachtet,
dass sie das auch richtig machten. Einige Jahre habe ich ihnen zur
Sicherheit eine Schutzbrille verordnet. Ich hatte erlebt, wie sich ein
ehemaliger Konfirmand mit einer Schwarzpulverstichflamme beinahe
ums Augenlicht gebracht hatte.
Wie gut, dass ich ihnen einen gehörigen Respekt vor jeglichem
Feuerwerk vermittelt habe und sie immer schön auf Abstand blieben.
Bei einer unserer Silvesterfeiern mit Freunden ist dann doch tatsächlich
mal eine Rakete nicht gestartet, sondern vor unseren Augen noch in
der Flasche stehend explodiert. Glücklicherweise kam niemand zu
Schaden. Wir standen weit genug weg. Und jetzt sind die Kinder groß
und aus dem Haus.
Und so stand ich die letzten Jahre untätig und staunend draußen,
während die anderen ihr Feuerwerk abbrannten. Nach wie vor
fasziniert es mich. Nach wie vor finde ich es toll, draußen zu stehen und
mit dem typischen Silvestergeruch in der Nase das mitternächtliche
Spektakel mitzuerleben.
Dann freue ich mich an den Licht sprudelnden Fontänen am Boden
und schaue gen Himmel und bestaune die Lichterreigen, die
Funkenkaskaden und leuchtenden Blumen, die die Raketen in den
Nachthimmel zaubern.
Ich vermute, es verwundert Sie, dass ich davon so schwärme. Ich weiß
auch nicht, woher das kommt. Aber es ist so. Ich liebe Feuerwerke.
Es ist allerdings eine etwas unglückliche, ja eine geradezu verbotene
Liebe. Verboten von meinem Öko-Gewissen, denn ich weiß ja doch,
welch unglaublich überflüssige Sauerei da veranstaltet wird.
Und dann ist da ja auch noch der Slogan „Brot statt Böller“. Weil er
mir rein verstandesmäßig einleuchtete, blieben die Raketen Jahr um Jahr
auf dem großen Tisch im Baumarkt liegen.
Natürlich wäre es viel besser, wir würden all das Geld, was sich da in
Rauch auflöst, über Brot für die Welt denen zukommen lassen, die in
Not sind.
Aber das könnte man von vielen anderen Dingen auch sagen: Weniger
Kleidung und Fleisch, weniger Mobilität und Konsum, weniger Urlaub
und eben von allem weniger oder gar nichts. Und dann das gesparte
Geld an Brot für die Welt. Was würde da zusammenkommen? Was
also für Feuerwerksartikel gilt, müsste man dann fairerweise für alle
anderen Konsumgüter genauso in Anschlag bringen.
Brot für die Welt und die Menschen, denen Brot für die Welt hilft,
würde es freuen. Aber die Leute von der Wirtschaft würden warnen,
weil es infolge der sinkenden Inlandsnachfrage zu Problemen mit der
Wirtschaft und dem Wachstum käme. Also alles nicht so einfach. Aber
konzentrieren wir uns aus aktuellem Anlass für heute auf Knaller und
Raketen.
Der Tage erzählte mir jemand von einem älteren Herrn, den er
während so einer Silvesternacht beobachtet hatte, wie er geradezu
andachtsvoll und frei von Hektik nach und nach seine Raketen in den
Nachthimmel schickte. Vor jeder Rakete hätte er sich verbeugt, bevor
er sie auf ihren letzten und einzigen Flug schickte.
Dann wäre es zu einem Gespräch zwischen den beiden gekommen, in
dessen Verlauf der ältere Herr gesagt hätte: „Sie scheinen überrascht.
Ich schreibe Gebete an den Himmel. Mit meiner Lichterschrift danke
ich Gott für mein Leben. Das Feuerwerk ist ein Gleichnis. Wie das
Leben kommt es aus dem Nichts, es leuchtet auf — und es verlischt.
Und wenn‘s gut geht, bereitet es denen, die es sehen, eine Freude. Und
das ist mein Wunsch fürs neue Jahr.“
So habe ich das noch nie gesehen. Und doch: Genau so kann man es
sehen. Sie ahnen vermutlich, wie es jetzt weitergeht, wo sie meine
Rakete hier stehen sehen, die nicht nur zu Dekorationszwecken hier
steht. Ich werde diese Raketen im Sinne des älteren Herrn heute Nacht
ganz genüsslich in den Himmel schießen.
Und ich lade Sie und Euch ein, das eigene Feuerwerk oder das
Feuerwerk anderer nicht zu verurteilen, sondern im Sinne des älteren
Herrn als Gebet zu verstehen, mit dem man Gott für das eigene Leben
dankt.
Das ist immer möglich. Denn egal, wie es uns gerade geht: Noch leben
wir. Gott sei Dank. Noch haben wir Möglichkeiten, etwas zu erleben,
zu genießen, auch zu gestalten und zu bewirken.
Für den älteren Herrn war das Feuerwerk ja nicht ein beliebiges
Gebet, sondern gleichzeitig als Gleichnis für das Leben ein Dank für das
Leben.
Wie sagte er es doch: „Wie das Leben kommt es aus dem Nichts, es
leuchtet auf — und es verlischt. Und wenn‘s gut geht, bereitet es
denen, die es sehen, eine Freude.“
Ein wunderbares Gleichnis für das Leben. Wir kommen aus dem
Nichts, wenn wir auf die Erde kommen und geboren werden. Wir
leuchten auf und ziehen unsere Bahn bzw. gehen unseren Lebensweg.
Und nachdem unser Leben aufleuchtete und sich in Licht verströmte,
erlischt es eines Tages wieder. Bei einer Rakete tröstet man sich damit,
dass man die nächste in den Himmel schießt.
Bei einem Leben ist das schwieriger und schmerzlicher, vor allem für
die, die zurückbleiben, die das Leuchten des verloschenen Lebens noch
vor Augen haben und dann aber damit zurechtkommen müssen, dass
dieses Licht eben nicht mehr leuchtet.
Das stimmt wehmütig und traurig, wenn das Schöne zu Ende ist. Aber
es ermahnt uns auch, das eigene Leben und das Leben anderer zu
genießen, so lange es irgend geht.
Und so kann man sich doch nur wünschen, dass einem das Leben
nicht nur selbst, sondern auch anderen Freude macht.
Dann war und ist es gut, das Leben, wenn es einem selbst und
anderen Freude macht, wenn es vor Freude leuchtet.
Mir bleibt für heute, Sie einzuladen, das Feuerwerk heute Nacht
einmal so zu sehen, wie es der ältere Herr sah, als Dankgebet und als
Gleichnis für ein schönes, ein leuchtendes, ein von Freude geprägtes
Leben.
Wie sagte der ältere Herr: „Und das ist mein Wunsch fürs neue Jahr.“
und – so könnten wir Jahr um Jahr ergänzen – fürs ganze Leben. Amen.