Lesen Sie wie REWE die Rampe in den Griff

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Lesen Sie wie REWE die Rampe in den Griff
Branchen-Spezial Handel Wartezeiten an den Rampen
Michael Urban/ddp
Immer wieder
Anlass für hitzige
Debatten: Die
Rampe im Handel
Bekommt Rewe die Rampe
in den Griff?
Es ist ein ewiges Ärgernis für
die Speditionen: Die Wartezeiten an den Rampen der
Handelsbetriebe. Jetzt soll
ein neues System bei Rewe
den Brennpunkt entschärfen.
Die Speditionen äußern
Lob und Tadel.
Die Rewe-Bestellnummer und die Lien c h e n - s p e z i a l ferantennummer seines Kunden bei Rewe – mehr braucht
Disponent Roy Hufenbach nicht, um per
Internet ein Zeitfenster für die Anlieferung in einem der Rewe-Regionallager
auszuwählen und zu reservieren. „Das Buchen der Anlieferzeiten klappt problemlos
und an den Rampen der bislang an das
verkehrs
Rundschau
b r a
Der Haken: Pro Buchung
müssen die Spediteure
2,50 Euro zahlen
34 46/2009 VerkehrsRundschau
System angeschlossenen Lager wird tatsächlich pünktlich entladen“, lobt der Frischedisponent von Schober Transport aus
Weinstadt. Angesichts der üblichen Wartezeiten an den Rampen des Handels biete
das System Mercareon durchaus eine Verbesserung. Das Besondere: Es wird nicht
von Rewe, sondern vom Logistikplattform-Anbieter Transporeon betrieben.
Seit 2002 sind Zeitfenster-ManagementSysteme von Transporeon bei Industrieunternehmen im Einsatz, wie Geschäftsführer
Marc-Oliver Simon berichtet. „Seit einigen
Jahren versuchen wir, ähnliche Lösungen
beim Handel zu platzieren. Bislang war das
Feedback verhalten, da die Sensibilität der
Handelsbetriebe in Bezug auf die Wartezeiten an ihren Rampen eher weniger ausgeprägt ist.“ Bei der Rewe-Group änderte
sich dies spätestens nach einer internen
Analyse der Standzeiten an den Rampen
(siehe Interview). Nach einer Ausschreibung wählte Rewe die Lösung Mercareon.
„Wir haben uns absichtlich nicht für eine
Inhouse-Lösung entschieden, sondern
wollten ein für den gesamten Konsumgütermarkt offenes System verwenden“, erklärt Matthias Bähr, Leiter Logistik Vollsortiment national bei Rewe. Im April 2009
wurde das erste Rewe-Lager angeschlossen. Bis Ende des Jahres soll Mercareon in
17 Lagern zum Einsatz kommen. Dann
werden 80 Prozent des gesamten Anliefervolumens über Lager mit Mercareon-Anbindung abgewickelt. Im nächsten Jahr
sollen alle Lager eingebunden sein.
Gute Erfahrungen – bislang
„Im Frischebereich buchen wir unsere Anliefertermine meist einen Tag vorher“, erklärt Schober-Disponent Hufenbach. Den
reservierten Termin überträgt er in das interne Dispositionssystem, der Fahrer erhält
einen Ausdruck, auf dem die Anliefernummer und die Uhrzeit angegeben sind. „Bislang hat alles sehr gut geklappt, bei Fragen
ist die Mercareon-Hotline gut erreichbar“,
lobt Hufenbach.
Wartezeiten an den Rampen Branchen-Spezial Handel
Das System lockt weitere Händler
Auch wenn der Spediteur Systeme zur Minimierung von Standzeiten grundsätzlich
sehr begrüßt, hält er die Vergabe von Zeitfenstern nur dann für sinnvoll, wenn tatsächlich ausreichend Be- oder Entladetermine zur Verfügung stehen, die seinem
Unternehmen eine optimale Disposition
der Transporte erlauben. Sorgen bereitet
Dettendorfer der generelle Trend in der
Arbeitsteilung zwischen Hersteller, Handel
und Transportdienstleister: „Es werden
immer mehr Aufgaben auf uns als Spediteur abgewälzt – und für deren Erledigung
müssen wir dann auch noch bezahlen.“
Künftig könnte die Zahl der Zeitfenster-Buchungen jedoch sprunghaft steigen: „Nach
der erfolgreichen Installation bei Rewe zeigen auch andere Handelsunternehmen Interesse an Mercareon“, meldet Transporeon-Geschäftsführer Simon. Er rechnet
damit, dass noch in diesem Jahr weitere
❙❚■
Verträge unterzeichnet werden.
M e r c a r e o n s e t z t e i n d e u t i g e P r i o r i tät e n
Wer zuerst bucht, ...
Kein Transportdienstleister, der bei Rewe anliefert, ist gezwungen, Mercareon zu nutzen.
Nach wie vor können die Rampen auch ohne
gebuchten Termin angefahren werden. Allerdings werden die Fahrzeuge, für die ein Zeitfenster gebucht wurde, bevorzugt behandelt:
■ Lieferungen mit Terminbuchung, die
pünktlich eintreffen, genießen erste
Priorität.
■ Lieferungen mit gebuchtem Zeitfenster, die
zu früh eintreffen, werden entladen, sobald
Kapazitäten zur Verfügung stehen, jedoch
spätestens zum gebuchten Termin.
■ Lieferungen mit gebuchtem Zeitfenster, die
zu spät eintreffen, werden entladen, sobald
Foto: Rewe
Geschäftsführer Steffen-Kai Schober hat
dennoch gemischte Gefühle. Denn pro Buchung berechnet Mercareon den Spediteuren 2,50 Euro. „Natürlich erleichtert uns
das System unsere Arbeit immens. In Relation zu den Kosten für die Standzeiten ist
dieser Betrag vernachlässigbar“, sagt Schober. „Doch dass wir als Spedition für diesen
Service bezahlen, darüber müssen wir mit
unseren Kunden sprechen.“ Zunächst will
Schober jedoch weitere Erfahrungen mit
Mercareon sammeln. Denn in der ersten
Phase wurden eher unkritische Rewe-Lager
angeschlossen. Erst jetzt könne man auch
in Lagern, die für lange Standzeiten bekannt
waren, Zeitfenster buchen. „Dort wird die
Weihnachtszeit zeigen, ob es mit Mercareon auch in Spitzenzeiten an den Rampen
klappt.“ Schober unterstreicht, dass ein solches System mit vorauseilendem Informationsaustausch zukunftsweisend sei.
Georg Dettendorfer, Geschäftsführer der
gleichnamigen Spedition aus Nussdorf am
Inn, findet es nicht richtig, dass Speditionen für die Zeitfensterbuchung bezahlen
müssen. Daher plant er, mit seinen Kunden zu verhandeln, um die Buchungskosten in den Frachtpreis zu integrieren. „Im
Grunde ist es Aufgabe des Handels, die
Organisation in seinen Lagern in den Griff
zu bekommen“, sagt Dettendorfer. „Es gibt
Unternehmen, da sind die LKW auch ohne
Zeitfensterbuchung binnen einer Stunde
nach Ankunft im Lager leer.“
Mit Buchung schnelle Entladung garantiert
Kapazitäten zur Verfügung stehen – und
zwar noch vor Lieferungen ohne Termin.
■ Wer ohne Termin anliefert, muss warten, bis
die LKW mit Termin abgefertigt wurden. eee
Interview
Bis zu 2000 Spediteure machen mit
Matthias Bähr, Leiter Logistik Vollsortiment national bei der ReweGroup, sieht in dem neuen System einen Maßstab für den Handel.
Was sind Ihre ersten Erfahrungen mit Mercareon?
Matthias Bähr: Durch und durch positiv: Seit
dem Einsatz der Handelsplattform konnten wir
mehr Transparenz im Wareneingangsprozess
schaffen und dadurch unser Personal gezielt
einsetzen. Jetzt wissen wir genau, wer wann
Ware anliefert. Die Lieferkette mit unseren Lieferanten wird enger verzahnt. Wir glauben, dass
wir damit Maßstäbe im Handel setzen.
Wie war die Resonanz der Spediteure?
Der eine oder andere Spediteur war skeptisch.
Aber mit einer guten Information und intensiven Schulungen war diese Skepsis schnell
überwunden. Die meisten Spediteure haben
sich sachlich professionell dem Thema gestellt.
Insgesamt schaffen wir für die Spediteure eine
bessere Planbarkeit. So können die buchenden
Dienstleister Standzeiten reduzieren und
gemäß den gesetzlichen Vorschriften gültige
Pausen einlegen. Das schafft mehr Fahrzeit für
die Spediteure und somit mehr Umsatz.
Wie viele Spediteure, die bei Ihnen anliefern, nutzen Mercareon bereits?
Mehr als 1000
Spediteure nutzen die Plattform. Und es
werden nach
dem Abschluss
des Rollouts 1500
bis 2000 Spediteure allein in
Deutschland
sein.
Matthias Bähr
Wie lange war die durchschnittliche Wartezeit an Ihren Rampen vor Einführung des
Systems?
Eine durchschnittliche Wartezeit ist über die
Vielzahl von Lagerstandorten und dem Jahresverlauf schwer zu definieren. In einer Analyse
haben wir ermittelt, dass die durchschnittliche
Wartezeit bei unplanmäßiger Anlieferung
meistens mehr als drei Stunden beträgt. Hierbei
ist auch zu beachten, dass der Spediteur bei
einem Zeitfenster nicht mehr frühmorgens
rechtzeitig seine Papiere abgeben muss, um
dann entsprechend der Reihenfolge nach Abarbeitung der anderen Wareneingänge vielleicht
nach vier Stunden abgefertigt zu werden.
Wie sieht die Kosten-Nutzen-Relation für
Rewe aus?
Wir tragen die Prozesskosten für die eigene
Installation und die Entwicklung von Schnittstellen. Natürlich haben wir auch Mehrkosten,
die bei jeder Neueinführung anfallen. Wir sehen
dies aber als ein mittelfristiges Projekt und deshalb unterm Strich keine Mehrkosten.
Gab es Probleme wegen der 2,50 Euro, die
von den Dienstleistern pro Buchung zu
bezahlen sind?
Erfahrungen mit Zeitfenster-Management in
der Industrie zeigen, dass Spediteure im Durchschnitt 30 bis 60 Minuten pro Buchung einsparen. Übertragen bedeutet dies: Wenn bei den
Dienstleistern 30 bis 50 Euro Standzeitkosten
pro Stunde anfallen, rechnet sich die Zeitfensterbuchung schon, wenn sie drei bis fünf Minuten Standzeiten einsparen. Dennoch war für
uns die hohe Akzeptanz überraschend: Wenn
wir ein neues Lager an Mercareon anschließen,
haben wir nach fünf Tagen schon 80 Prozent
aller Lieferungen über die Plattform avisiert. eee
Eva Elisabeth Ernst, freie Journalistin
VerkehrsRundschau 46/2009
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