Brief an Wissenschaftsministerin Bauer
Transcription
Brief an Wissenschaftsministerin Bauer
RITA HALLER -HAID Mitglied des Landtags von Baden-Württemberg Rita Haller-Haid Karlstr. 3 72072 Tübingen Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg Frau Ministerin Theresia Bauer Königsstraße 46 70173 Stuttgart Haus der Abgeordneten Konrad-Adenauer-Straße 12 D - 70173 Stuttgart Telephon +49 - (0)711 - 2063 - 788 Telefax +49 - (0)711 - 2063 - 710 Mail [email protected] Wahlkreisbüro: Karlstr. 3 72072 Tübingen Mail [email protected] Tübingen, 06.04.2016 Sehr geehrte Frau Ministerin Bauer, liebe Theresia, bereits im letzten Jahr habe ich, das Islamzentrum Tübingen betreffend, eine Anfrage an Ihr Haus gerichtet. In der Zwischenzeit wird das Islamzentrum in Tübingen zunehmend öffentlich diskutiert, besonders die Zusammensetzung und die Notwendigkeit des Beirats. Nachdem seit der Einrichtung des Beirats einige Jahre vergangen sind, ist es aus meiner Sicht notwendig zu prüfen, inwieweit sich der Beirat bewährt hat und ob der Beirat tatsächlich die in unserem Land lebenden Muslime angemessen repräsentiert. Gegebenenfalls sollte der Beirat insgesamt überdacht werden. Aus der aktuellen Diskussion in Tübingen ergeben sich einige Fragen, die durch die Beantwortung meiner Anfrage seitens der Landesregierung nicht ausreichend geklärt worden sind. So ist es der Öffentlichkeit nicht nachvollziehbar, warum im vergangenen Jahr der Beirat des Islamzentrums komplett ausgetauscht wurde. Waren die vorherigen Beiratsmitglieder nicht mehr bereit weiterhin im Beirat zu verbleiben? Warum wurden die Namen der neuen Beiratsmitglieder daraufhin nicht veröffentlicht? Die Universität hat in diesem Zusammenhang auf den Datenschutz verwiesen, was offensichtlich nur für Mitglieder des Islambeirats gilt, nicht jedoch für die einer Berufungskommission. Gibt es aus Ihrer Sicht Gründe, die Namen der Beiratsmitglieder nach ihrer Berufung nicht umgehend zu veröffentlichen und welche sind das? Warum hat es so lange gedauert, bis das Islamzentrum die Namen der Beiratsmitglieder öffentlich gemacht hat? Erst mehrere Anfragen der Presse haben überhaupt eine Veröffentlichung bewirkt. Aus meiner Sicht müsste deshalb das Ministerium für Wissenschaft und Kunst künftig auf mehr Transparenz hinwirken, schon allein um Spekulationen auszuschließen. Im Beirat sind bekanntermaßen nur Sunniten vertreten. Schiiten, also Anhänger der weltweit zweitgrößten Konfession im Islam, sind nicht repräsentiert. Auch das Alevitentum, die deutschlandweit zweitgrößte islamische Konfession, die gerade in Baden-Württemberg sehr viele Anhänger hat, ist im Beirat nicht vertreten. Aus der Antwort auf meine Anfrage geht hervor, dass die Aleviten es vorgezogen hätten nicht mit dem Islamzentrum zu kooperieren und stattdessen ein eigenes Zentrum zu eröffnen. Welche Gründe sehen Sie dafür? Gab es während der Gespräche mit den Aleviten womöglich Konflikte mit anderen islamischen Verbänden? Für einige außenstehende Beobachter sieht es so aus, als mache sich das Islamzentrum die theologische Perspektive vieler Sunniten zu eigen, denen zufolge Aleviten, Schiiten, Sufis etc. gar keine „richtigen“ Muslime seien. Dies scheint auch die Linie der türkischen Religionsbehörde Diyanet zu sein, welcher der islamische Dachverband DITIB untersteht – der wiederum mit drei Stimmen stärkste Kraft im Beirat des Tübinger Islamzentrums ist. Seit ihrer Gründung im Jahr 1924 schließt die türkische Religionsbehörde NichtSunniten systematisch aus, indem sie ausschließlich Moscheen und Imame des sunnitischen Islams finanziert. Laut Schätzungen verschiedener Wissenschaftler sind mindestens fünfzehn Prozent aller Türken Aleviten. Ihre Religion wird in der Türkei als solche jedoch nicht anerkannt. Diese Linie sollte sich nicht in der Struktur einer deutschen Bildungseinrichtung fortsetzen, zumal das Alevitentum bei uns qua Staatsvertrag anerkannt ist. Die türkische Religionsbehörde orientiert sich stets eng an der politischen Agenda der jeweiligen Regierung, ist also keine eigenständige theologische Instanz, die vergleichbar mit einer Kirche wäre. Wieso sollte nach Ansicht des Wissenschaftsministeriums eine nationale Religionsgemeinschaft Einfluss auf die Berufungspraxis und damit auf den Lehrplan einer universitären Einrichtung in Deutschland haben? Wie lässt sich ausschließen, dass dadurch die Regierung des türkischen Ministerpräsidenten Einfluss auf das Islamzentrum nimmt? Die DITIBMitglieder im Beirat kommen alle drei von der DITIB-Zentralmoschee in Köln. Müssen wir nicht davon ausgehen, dass sie der türkischen Regierung deshalb besonders nahestehen und ihrer direkten Weisung unterliegen? Zudem tauchen immer wieder Hinweise auf, dass DITIB mit Verbänden und Gruppen kooperiert, die ein fragwürdiges Verhältnis zur Demokratie haben. So soll DITIB Verbindungen zur islamistischen Gemeinschaft Mili Görus sowie zu den ultranationalistischen Grauen Wölfen haben. Beide werden vom Verfassungsschutz beobachtet. Die türkische Religionsbehörde Diyanet, der DITIB untersteht, geriet jüngst in die Schlagzeilen, weil sie in einem Comic für Kinder den Märtyrertod verherrlichte. Wäre es vor diesem Hintergrund nicht angemessen, mit DITIB eher vorsichtig umzugehen, anstatt den Verband in den Beirat eines universitären Islamzentrums zu belassen? Ist der Landesregierung darüber hinaus bekannt, dass es direkte Verbindungen vom Islamzentrum zu Mili Görus in Herrenberg gibt? Im Rahmen des dortigen Projektes „FödeM“ etwa, an dem Mili Görus beteiligt ist, werden Studenten des Islamzentrums direkt angesprochen und unter anderem animiert, ein Praktikum in den Moscheegemeinden zu absolvieren. Das Projekt wird vom Familienministerium des Bundes gefördert. Sind hier auch Fördergelder des Landes in das besagte Projekt geflossen? Halten sie grundsätzlich Moscheen bzw. muslimische Gemeinden für unterstützenswert, in denen Männer und Frauen nicht nur im Gottesdienst, sondern auch bei anderen Veranstaltungen wie etwa Vorträgen strikt getrennt werden? Übergeordnet stellt sich die Frage: Warum braucht das Islamzentrum überhaupt einen Beirat analog zu Fakultäten der christlichen Theologie? Zumal es im Islam keine mit den Kirchen vergleichbare Instanz gibt. Die derzeitige Praxis, in der Verbände mit undurchsichtigen Strukturen quasi kirchliche Autorität erhalten, scheint jedenfalls zweifelhaft. Ich würde es deshalb sehr begrüßen, wenn die Landesregierung Sinn und Nutzen des Beirats überdenkt und sich für eine transparentere Struktur des Islamzentrums einsetzt. Für eine Stellungnahme danke ich herzlich. Mit freundlichen Grüßen Rita Haller-Haid MdL