ALS TOURiST GETARNT iN TRiEsT

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ALS TOURiST GETARNT iN TRiEsT
ALS TOURIST
GETARNT In TRIEST
Lukas Wogrolly lebt seit vier Jahren in Triest.
für die Entwicklung von Living Culture Reisen
nahm er eine Fahrt im touristenbus von graz
nach Triest auf sich. als tourist getarnt, erzählte er niemandem sein geheimnis.
von Lukas Wogrolly
Zu Herbstbeginn machte ich mich in einer Gruppe Ich beginne in Grado, mein itaüberwiegend grau- und weißhaariger Menschen am lienisches Leben zu führen, kauVormittag auf den Weg von Graz nach Grado.
fe mir Wasser, ein TV-Magazin, lade das
Die Fahrt im Reisebus verlief ohne Komplikationen, her- Guthaben auf meinem Handy in einer
vorzuheben ist das ausgezeichnete und supergünstige Mit- Trafik auf. Dann, auf den Reisebus
tagessen in der nur Insidern wie unserem Busfahrer Man- wartend, setze ich mich hin und lese
fred bekannten A2-Raststätte Griffen. Ankunft in Grado, das TV-Magazin. Mein Alltagsleben,
Stadtbesichtigung. Dom und Lapidarium, eine zweite Kir- wie in Triest. Dann Fahrt vom Gradeche. Danach eile ich in eine Bar, bestelle dort einen Espresso ser Stadtzentrum zum Hotel in Grado
und frage „Dov’è il bagno?“ – da ich nichts von einem WC Pineta, etwa 4 km außerhalb. Ich wohim Bus wusste und zuvor auch nicht die Gruppe aufhalten ne in einem 300 m entfernten anderen
wollte. Als ich zurückkehre, ist die Gruppe verstreut. Ich will Hotel. Im Hotel angekommen, spreche
die Reiseleiterin, die aus Mödling stammt, aufsuchen und ihr ich, auch wenn das Personal deutscherzählen, dass ich in Triest studiere, finde sie aber nicht und sprachige Gäste gewohnt ist, durchgebeschließe dann, für die paar Reisetage meine wahre Identi- hend Italienisch.
tät als Geheimnis zu hüten. An der Gradeser Strandpromenade begegnen mir andere Reiseteilneh- Zweiter Tag, Triest: Ich bin aufgemer, von denen ich mich fotografieren lasse, regt, ziehe mir mein schönstes Hemd
auch mit Triest im Hintergrund und erstmals die Rolle so rich- an. Je mehr wir uns Triest mit dem Reitig einnehme, die ich während der ganzen Fahrt beibehalten sebus nähern, umso mehr läuft es mir
sollte: Ein als Grazer Tourist verkleideter Wahlitaliener, der seit kalt den Rücken hinunter. Ich nehme ab
vier Jahren in Triest lebt, und dennoch,
selbst als am 2. Reisetag der Ausflug in An der Gradeser Strandpromenade
die Hauptstadt Friaul-Julisch Venetiens
begegnen mir nur andere
ansteht, kein einziges Wort davon auch
Reiseteilnehmer, von denen ich mich
nur irgendjemandem erzählt.
fotografieren lasse, und erstmals
Erster Tag: In Grado flaniere ich die Rolle einnehme, die ich während
durch die Gassen und Straßen, lasse
der ganzen Fahrt beibehalten sollte:
mich von der italienischen Atmosphäre
anstecken, fühle mich wie „Der verlo- Ein als Grazer Tourist verkleideter
rene Sohn ist endlich dorthin zurückge- Wahlitaliener, der seit vier Jahren in
kehrt, wo er hingehört“ und habe den Triest lebt ...
Gedanken: „Ich bin in Italien weder
geboren, noch aufgewachsen. Erst mit 14 Jahren begann ich Duino die Erklärungen der Reiseleiterin
Italienisch zu lernen. Und doch, ich weiß nicht, warum, viel- mit dem Diktaphon auf, halte es direkt
leicht wegen der Gene – mein Vater hat ja den italienischen zum Lautsprecher. Darauf sollten mich
Nachnamen Scala – fühle ich mich zu diesem Land so hin- später Reiseteilnehmer ansprechen. Je
gezogen, es ist für mich das schönste Land der Welt.“ Diese näher wir Triest kommen, umso mehr
unglaubliche Freude und Energie, die mir dieser Gedanke häufen sich auch die in meinen Augen
gibt, führt dazu, dass ich es „aushalte“, in der Gruppe der verbesserungswürdigen Aussagen der
grau- und weißhaarigen Österreicher fast durchgehend zu Reiseleiterin. Halt in Miramare, Schlossschweigen.
besichtigung. Keine Schlossführung,
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der Eintritt ist selbst zu bezahlen. Für
über 65-Jährige gratis. Doch die lange
Schlange vor der Kassa zeigt mir, dass
viele Leute der Gruppe offenbar jünger
sind, als sie aussehen. Ich selbst zahle
nur den halben Preis, da noch unter 25.
Wieder mache ich auf Tourist.
Durch Miramare spaziere ich nur kurz,
bleibe kaum stehen. Seit 45 Jahren war
sie nicht mehr da, höre ich eine Reiseteilnehmerin. Weiter geht es nach
Triest, Stadtrundfahrt Reisebus. Mein
Arm ausgestreckt nach oben, mit dem
Diktaphon in der Hand, ganz nahe am
Lautsprecher. Ich muss immer wieder
meine Position korrigieren, damit es
nicht zu anstrengend wird. Gehen wir
jetzt ins „Caffé Tommaseo“, wo ich
sicher erkannt würde und alles auffliegen würde? Die Antwort ist Nein.
Langsam beginne ich es zu
genieSSen, dass offenbar niemand weiSS, welchen besonderen Bezug ich zu Triest habe.
Ich schweige. Stille Wasser
sind tief. Dann fahren wir hinauf
nach San Giusto, zum Dom. Zunächst
jedoch verfahren wir uns, landen in
einer von Autos zugeparkten Straße,
und der Busfahrer hat Mühe, ohne
Probleme vorbeizufahren, oft nur im
Schritttempo. Dann will ich kurz helfen,
doch meine Frontallappen aktivieren
sich rechtzeitig und verbieten mir jegliche Hilfe. Ja nicht den Mund aufmachen und deine Identität preisgeben.
Ja nicht wichtigmachen, sei als Tourist
hier! Und siehe da, der Busfahrer findet
letztendlich auch ohne meine Hilfe die
enge Auffahrt auf den Colle di San Giusto, findet sich allerdings vor dem nächsten Hindernis. Die engen Straßen sind
dort derartig zugeparkt, dass der riesige Bus eine Ewigkeit braucht, um 1 x
um die Kurve zu kommen. Hinter uns
hat sich angeblich bereits eine lange
Kolonne formiert. Das ist Triest, denke
ich mir und lache, jetzt weiß ich warum
ich mein Auto abgemeldet habe, weil
es hier nicht lustig ist, Auto zu fahren.
Alles zu eng, viel zu eng.
Ich habe immer schon die Busfahrer
bewundert, die in Triest bravourös die
engen Gassen meistern. Dann, nach
einem gröberen Zeitverlust, schafft es
letztendlich doch der Busfahrer, die
Kurve zu kratzen und den Bus vor dem
Dom abzustellen. Applaus, Applaus!
Beim Aussteigen ein Kommentar von
Fotos: Living Culture | Shutterstock
LIVING
ITALY
Lukas Wogrolly vor dem Schloss Miramare, vor dem Dom San Giusto in Triest, in
Grado (v. li. n. re.)
Lukas Wogrolly davanti al castello Miramare, davanti al duomo di San Giusto a
Trieste
mir, der ihn lächeln lässt: „In Triest zu
fahren ist schwieriger als jede praktische Fahrprüfung!“ Wie wahr, wie
wahr! Wenn der wüsste, wie gut ich
das weiß.
Im Dom von San Giusto halte ich kurz
inne und bete: Heiliger Justus, Patron
dieser Stadt, mach, dass ich auch mein
fünftes Jahr hier in dieser traumhaften
Stadt an der Uni so gut schaffe. Wieder heraußen, das obligate Foto von
einem Reiseteilnehmer geschossen, ich
vor dem Dom San Giusto, als ob ich ein
Tourist wäre. Denkste… Dann fahren
wir komplikationslos hinunter zur Piazza dell’Unità d’Italia, ich weiSS wie
immer und überall in Triest
natürlich alles viel besser als
die Reiseleiterin, sage es aber
nicht, denn meine Frontallappen bzw. nach Freud mein ÜberIch haben mich unter Kontrolle. Und das ist gut so. Auf der Piazza
dell’Unità d’Italia lasse ich mich nicht
fotografieren, zu groß ist die „Gefahr“,
mich würde dort jemand sehen, den ich
kenne und ich wollte nicht als Tourist
auffallen. Nach einem Mittagessen – alleine, ohne die Reisegruppe – im Caffè
degli Specchi ist es auch schon an der
Zeit, die Rückreise anzutreten.
Es ist Nachmittag, und für ca.
10 Leute, zu denen ich auch
gehöre, steht nun eine zweieinhalbstündige Bootsfahrt
durch die Gradeser Lagune
auf dem Programm. Und auf
dieser Fahrt passiert es zum ersten Mal, dass ich mich öffne, meine Identität preisgebe. Aber nicht gegenüber Reiseteilnehmern. Nein, gegenüber der Sprecherin am Boot, die
ins Mikrofon von unten auf Deutsch und Italienisch spricht.
Wie viele Italienerinnen mit einer wunderschönen, klaren
Stimme. Ich gebe ihr meine Visitenkarte, sage, wer ich bin
und wie und warum hier, und sie verrät mir nur, sie sei aus
Cormòns und mache Führungen auf Italienisch, Deutsch,
Englisch und Russisch und sei extra engagiert worden, da so
viele deutschsprachige Touristen an Bord waren. Nachdem
ich ihr einige weitere Fragen, u. a. „Was ist Friaul, was ist
Julisch-Venetien“, gestellt habe, verabschiedet sie mich in
Grado bei der Rückkehr mit einem „Buon tutto“. Ich habe
mich geöffnet, so gut es geht, hab versucht, spontan zu sein,
aber nicht gegenüber den Leuten von der Reisegruppe, sondern gegenüber den Einheimischen. Somit geht der zweite
Tag zu Ende, ich kehre müde ins Hotel zurück.
Letzter Tag, kurz vor acht Uhr früh.
Abfahrt durch die Provinz Triest nach Lipica, dem einzigen außeritalienischen Programmpunkt der Reise. Lipica liegt ganz
nahe bei Italien und Triest, aber schon auf slowenischem Boden. Hier ist ein Lipizzanergestüt, und es gibt eine Führung
und ein öffentliches Training einiger Lipizzanerhengste. Ein
bisschen öffne ich mich gegenüber der Gruppe, aber auch
nur bis zu einem gewissen Grad, ich möchte auf keinen Fall
mein gut gehütetes Geheimnis preisgeben. Von Lipica geht es
über die slowenische Autobahn in Richtung Graz. Ein Leckerbissen erwartet uns noch, das Essen auf dem Trojane-Pass. Wir
kommen mit einer anderen Reisegruppe zusammen, für uns
ist reserviert und es gibt super Essen und auch Krapfen. Ein
Kompliment an die Reiseorganisation, denn es war Sonntag
und das Lokal überfüllt, aber dennoch mit genug Personal und
Plätzen ausgestattet, so dass in 1 Stunde ein Mittagessen im
Normalumfang möglich war! Dann Heimfahrt nach Graz und
die Erkenntnis, dass ich mir selbst genügen kann. Vor allem
gegenüber Busfahrer und Reiseleiterin hatte ich oft das Ge-
fühl, etwas verschweigen zu müssen.
Gegenüber den anderen Reiseteilnehmern habe ich es gern getan.
Frontallappen bzw. Über-Ich
sei Dank. Und wer weiß, vielleicht hat
ja auch die Reiseleiterin, auch wenn ich
es mir schwer vorstellen kann, genau
so wie ich, geheimnisvoll geschwiegen,
damit nicht rauskam, dass ich in Triest
lebe und ihr Konkurrenz hätte machen
können.
Dieser Text ist literarischer Natur, inspiriert durch eine Gruppenreise. Alle in
diesem Text aufgeführten Fakten und
Tatsachen sind rein subjektive Begebenheiten und jede (Nicht-)Übereinstimmung mit der Realität ist daher rein
zufällig. Der Autor übernimmt keine
Verantwortung für den Wahrheitsgehalt dieses Textes.
Questo testo è di natura letteraria, ispirato a un viaggio di gruppo. Tutti i fatti descritti in questo
testo sono eventi esclusivamente
soggettivi e ogni inconformità
con la realtà è quindi puramente
casuale. L‘autore non prende la
responsabilità per la veridicità di
questo testo.
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