Skandal um Planned Parenthood

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Skandal um Planned Parenthood
Nr. 115 | 3. Quartal 2015 | ISSN 0945-4586 | Einzelpreis 4,– E
B 42890
LEBENSFORUM
Zeitschrift der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA)
Interview
Der weite Weg
zur Inklusion
Ausland
Kinder sind
keine Waren
Medizin
PraenaTest:Warum
ihm nicht zu trauen ist
Skandal um Planned Parenthood
Leber gefällig?
LebensForum 115
In Kooperation mit Ärzte für das Leben e.V. und Treffen Christlicher Lebensrecht-Gruppen e.V. (TCLG)
1
INHALT
LEBENSFORUM 115
Ein »Abgang«, der alles ändert
Dr. med. Claudia Kaminski
DANIEL RENNEN / REHDER MEDIENAGENTUR
EDITORIAL
3
TITEL
Leber gefällig?
Alexandra Maria Linder M. A.
4-7
4
INKLUSION
Der weite Weg zur Inklusion
Interview mit Prof. Dr. Holm Schneider
BIOETHIK-SPLITTER
8
12
AUSLAND
14
Fällt das Abtreibungs-Verbot in Chile? 16
Eckhardt Meister
Klare Absage
Sebastian Sander
18
In den USA sorgt der größte Anbieter vorgeburtlicher Kindstötung für Schlagzeilen. Mit
versteckter Kamera gefilmte Videos legen den Verdacht nahe, »Planned Parenthood«
mache Geschäfte mit dem Gewebe abgetriebener Kinder.
DANIEL RENNEN
Kinder sind keine Waren
Sebastian Sander
14 -15
MEDIZIN
Künstliche Befruchtung lässt Gefäße 20
schneller altern
Pressemitteilung der DGK
21
Neuer Trend: Babyfernsehen
Dr. Edith Breburda
24
DPA
Trau keinem Test unter dreißig
Prof. Dr. Paul Cullen
Im Mai hatte das Schweizer
Bundesgericht ein viel
diskutiertes Urteil zur
Leihmutterschaft gefällt.
Nun haben die Richter
ihre schriftliche Begründung
veröffentlicht.
GESELLSCHAFT
Nachruf auf Prof. Dr. Seelentag
Dr. med. Claudia Kaminski
27
BÜCHERFORUM
30
KURZ VOR SCHLUSS
32
LESERBRIEFE
34
IMPRESSUM
35
2
21 - 23
Die Konstanzer LifeCodexx AG
hofft, den von ihr entwickelten
PraenaTest demnächst als
Regelleistung der gesetzlichen
Krankenkassen anbieten zu
können. Lesen Sie hier, welche
gravierenden Folgen dies hätte.
LebensForum 115
E D I TO R I A L
8 - 11
Der Erlanger Kinderarzt und Genforscher Holm
Schneider über »Inklusion« und warum der Weg
dorthin noch weit ist.
16 - 17
Im traditionell katholischen Chile spaltet der
Versuch, das totale Abtreibungsverbot zu kippen,
Politik und Gesellschaft.
LebensForum 115
Ein »Abgang«,
der alles ändert
oder ob diese Tat in
bestimmten Konstellationen in den
Rang eines Rechts
erhoben und das
ihm entgegenstehende Berufsrecht
Liebe Leserin, lieber Leser,
für nichtig erklärt
wird. Im Ergebnis
Anfang Juli hat der Bundestag in Erswürde der Entwurf
ter Lesung über vier Gesetzentwürfe beBrand/Griese et al.
raten, mit denen die Beihilfe zum Suizid
dazu führen, dass die
neu geregelt werden soll. Bleibt es beim
Beihilfe zum Suizid,
derzeitigen Zeitplan, wird die endgültidie derzeit straffrei
ge Entscheidung über die künftige geist, strafrechtlich in allen Fällen verfolgt
setzliche Regelung am 6. November gewerden kann, in denen sie auf Wiederfällt. Zur Wahl stehen vier Gesetzentholung angelegt ist. Sowohl Suizidhilfewürfe, die unterschiedlicher kaum sein
vereine als auch Ärzte, die als »Sterbehelkönnten: Sie reichen vom ausfer« durchs Land reisen, müssnahmslosen Verbot der Suiten künftig fürchten, rechtlich
zidhilfe über die Strafbarkeit
belangt zu werden. Dagegen
»Wollen wir
der geschäftsmäßigen Beihilwürde der Entwurf Hintze/
fe zum Suizid bis hin zur AuLauterbach et al. Ärzten erstdas wirklich?«
ßerkraftsetzung des ärztlichen
mals das Recht einräumen, eiStandesrechts und der Legaliner bestimmten Gruppe von
sierung des ärztlich assistierMenschen bei der Selbsttöten Suizids im Bürgerlichen Gesetzbuch
tung zur Hand zu gehen. Der Ärzte(BGB).
schaft würde ferner jede Möglichkeit geDer aus Sicht von Lebensrechtlern
nommen, ein solches Verhalten zu sankklarste aller Entwürfe hat im Parlament
tionieren oder auch nur als »unärztlich«
leider bisher keine Aussicht auf eine Mehrzu brandmarken.
heit. Nach menschlichem Ermessen werGesteht die Gesellschaft Ärzten ausden sich die Abgeordneten daher zwischen
drücklich das Recht zu, Menschen bei
zwei Entwürfen entscheiden: Zwischen
der Selbsttötung zu unterstützen, ändert
dem der Abgeordneten Brand/Griese et
dies alles. Suizidhilfe und auch der Sual., der Suizidhilfevereinen das Handizid selbst würden nicht mehr als Fehlwerk legen will, und dem der Abgeordentscheidungen in tragischen Situationen
neten Hintze/Lauterbach et al., der den
betrachtet, sondern als eine von mehreärztlich assistierten Suizid zu einer »Beren Möglichkeiten, aus dem Leben zu
handlungsalternative« erheben und dies
scheiden. Als Nächstes würde die Frage
im BGB festschreiben will, um das ärztaufgeworfen, wie Ärzte mit Menschen,
liche Standesrecht auszuhebeln, das dem
die sich nicht selbst töten können, umentgegensteht.
gehen sollen? Unter Druck gerieten auch
Auch wenn der Entwurf Brand/Griese
jene, die einen solchen »Abgang« ablehet al. nicht sämtliche Formen der Suizidnen und stattdessen – wie bisher üblich –
hilfe mit Strafe bewehrt, zielt er doch auf
bis zu ihrem natürlichen Tod auch Hileine Verschärfung der jetzigen Rechtslafen der Solidargemeinschaft in Anspruch
ge und verspricht insofern ein Mehr an
nehmen. Wollen wir das wirklich?
Lebensschutz. Dagegen würde der EntEine erhellende Lektüre wünscht
wurf Hintze/Lauterbach et al. den ärztlich assistierten Suizid in den Rang einer
Ihre
»Behandlungsalternative« erheben, für
die sich Menschen am Lebensende beim
Vorliegen bestimmter Voraussetzungen
entscheiden können sollen.
Gesellschaftspolitisch betrachtet macht
Claudia Kaminski
es einen gewaltigen Unterschied, ob ein
Bundesvorsitzende der ALfA
und dieselbe Tat nicht in allen denkbaren
Kontexten für strafwürdig erachtet wird
?
3
DANIEL RENNEN / REHDER MEDIENAGENTUR
TITEL
Leber gefällig?
Mit versteckter Kamera gedrehte und im Internet anschließend veröffentlichte Videos, die
»Planned Parenthood«-Mitarbeiter in skandalösen Gesprächen mit den
vermeintlichen Käufern von fötalem Gewebe zeigen, haben den größten Anbieter vorgeburtlicher
Kindstötungen in den USA in die Hauptnachrichtensendungen katapultiert.
Von Alexandra Maria Linder M. A.
U
nsere Mission: Bei steigender
Nachfrage nach seltenen Materialien und Dienstleistungen in
der Forschungsgemeinschaft wird StemExpress angespornt und bestimmt durch
persönliche Erfolgs-, Unglücks- und Triumphgeschichten. Jedes Teammitglied
widmet sich der Versorgung der globalen
Forschungsgemeinschaft mit den Materialien, die notwendig sind, um zu neuen
Einsichten zu gelangen, neue Fragen zu
4
stellen und der menschlichen Erfahrung
Hoffnung zu geben.« Offen wirbt die Firma »StemExpress« mit Blutspendeaufrufen und lukrativen Angeboten für Krankenhäuser, zum Beispiel Nabelschnurblut zu verkaufen. Weniger offen findet
sich unter anderem eine Produktkategorie »Fötale Leber«. Zurzeit sind einige
dieser Produkte nicht mehr erhältlich,
die »Fact sheets« sind gelöscht. Denn
»StemExpress« hat die Zusammenar-
beit mit Abtreibungseinrichtungen der
amerikanischen »Planned Parenthood«
plötzlich aufgekündigt.
Es sind hehre Ziele, die sich millionenschwere Unternehmen wie »StemExpress« öffentlich geben – die Rettung der
Menschheit. Doch welchen Preis sie und
viele andere dafür zu zahlen bereit sind
und welchen Preis andere dafür zahlen
müssen, tritt seit einigen Wochen auf erschreckende Weise zutage: Nach drei JahLebensForum 115
»Das Geld aber wird mit
Abtreibungen verdient.«
»Partial Birth Abortion« ähnlich: Das
Kind wird mit den Füßen zuerst geboren, man zieht es bis zum Genick heraus. Dann stößt man Scheren in das Genick des Kindes, erweitert das Loch, um
das Gehirn herauszuziehen. Da der Kopf
des Kindes noch nicht geboren ist, gilt
es nicht als Geburt, sondern als TeilgeLebensForum 115
burtsabtreibung. Aber, so Frau Nucatola beim nächsten Schluck Wein, Gesetze müssten ja interpretiert werden. Sie
sieht die Abgabe der Kinderteile keinesfalls als Geschäft an und will nicht als
Verkäufer betrachtet werden. Vielmehr
stellt sie der Forschung und der Medizin
dringend benötigtes Material zur Verfügung, ist also sozusagen der Vermittler,
und das ist etwas ganz anderes – ein Verkaufsimage möchte sie als »Planned Parenthood« keinesfalls haben.
Als der vorgebliche Käufer sich am
Ende bei der Vorsitzenden von »Planned
Parenthood Amerika«, Cecile Richards,
für diese Möglichkeit und die wunderbare Arbeit von Frau Nucatola bedankt, ist
diese ganz gerührt und lobt ihre Leiterin:
troffen zu haben. Die amerikanische Lebensrechtlerin Abby Johnson, die selbst
acht Jahre lang für PP tätig war, beschreibt
in ihrem Buch Unplanned (deutsch: Le-
»Die Organisation erhält im Jahr
mindestens 350 Mio US-Dollar.«
benslinie) die Vorgaben zur Steigerung
der Abtreibungszahlen – unter anderem
durch Ausweitung der Abtreibungen bis
zur 24. Schwangerschaftswoche.
Von den über eine Million Abtreibungen, die jährlich in den USA stattfinden,
OFFICIAL WHITE HOUSE PHOTO BY PETE SOUZA
HILLARY FOR IOWA
ren intensiver, verdeckter Arbeit trat das
amerikanische »Center for Medical Progress« an die Öffentlichkeit, mit heimlich
aufgenommenen Gesprächen. Die Vertreter des Centers gaben sich gegenüber
Funktionären der »Planned Parenthood«
als potentielle Käufer von fötalen Organen aus. Man spricht in diesen Gesprächen zwanglos über Organe, die man gewinnen kann (vor allem gefragt sind zurzeit Leber, Herz, neuerdings auch Lunge
und Extremitäten, wohl wegen der Muskelzellen), über Preise, die man erzielen
kann (30 bis 100 US-Dollar pro Probe),
über Schwierigkeiten mit Gesetzen und
den Versuch, nicht offen als Beschaffer
aufzutreten, sondern eher »hinter verschlossenen Türen«.
Das Video, das man sich trotz des unfassbaren Inhalts wirklich ansehen sollte,
zeigt ein etwa achtminütiges Gespräch mit
der Leiterin der Medizinischen Dienste
von »Planned Parenthood«, Dr. Deborah
Nucatola. Man sitzt gemütlich in einem
Lokal bei Salat und Rotwein und sie erläutert kauend, dass man die Abtreibungen
ultraschallkontrolliert vornimmt, damit
man genau sehen kann, wo man bei dem
Fötus ansetzen muss, um die gewünschten
Organe nicht zu beschädigen. So könne
man die Leber, die Lunge und das Herz
unbeschadet herausbekommen und liefern. Bei der Planung der Abtreibungen
könne man schon festlegen, von welchem
Fötus man welche Teile gewinnen könne. Der Kopf sei in der Tat ein Problem.
Denn normalerweise würde man die Abtreibungen ja mit dem Kopf zuerst vollziehen, was eine Zerstörung notwendig
mache. Wenn man die Sache aber umdrehe, also die Abtreibung bei den Füßen
beginne, wäre das ganze am Ende so erweitert, dass auch der Kopf in Gänze herausgezogen werden könne. Je besser erhalten der Fötus ist, desto eher ist er verwertbar und muss nicht im Müll landen.
Was Frau Nucatola hier beschreibt,
ist der in den USA verbotenen Form der
Hillary Clinton
Barack Obama
»Yes, she’s amazing«. Mrs. Richards hat
übrigens in ihrer Funktion als Präsidentin und CEO von »Planned Parenthood«
ein Jahresgehalt von 400.000 US-Dollar.
Das »Center for Medical Progress«
hat nicht nur ein Video gedreht, wie man
sieht, in weiser Voraussicht. Denn es wurde versucht, dieses erste Video medial
möglichst untergehen zu lassen. Es folgte ein zweites, ein drittes, ein viertes, mit
immer grausameren Inhalten.
Die amerikanische »Planned Parenthood« ist der größte Anbieter von
Abtreibungen in den USA. Nach außen
tritt die Organisation als Retterin für vor
allem mittellose Frauen in Not und als
maßgebliche Familienplanungsorganisation auf. Das Geld aber wird mit Abtreibungen verdient. Hinweise darauf gibt es
viele. Im Jahr 2013 bekam die Aurora-Einrichtung in Colorado einen Preis dafür,
die angesetzten Abtreibungszahlen über-
führt »Planned Parenthood« zwischen 32
und 40 Prozent aus. Damit erzielt »Planned Parenthood« ungefähr die Hälfte seines Jahresumsatzes mit vorgeburtlichen
Kindstötungen: Die Organisation erhält
im Jahr mindestens 300 Millionen USDollar aus staatlichen Programmen. Mit
der zugrunde gelegten Zahl von 350.000
Abtreibungen pro Jahr errechnet sich ein
Durchschnittsumsatz von 164,5 Millionen
US-Dollar (bei durchschnittlichen Kosten von 470 US-Dollar pro Abtreibung).
Auch die Geschichte der Organisation
hat Flecken: Gegründet wurde sie im Jahr
1921 unter dem Namen »American Birth Control League« von der Eugenikerin
Margret Sanger, die eng mit dem Gründer der deutschen »pro familia«, Hans
Harmsen, zusammenarbeitete. Die Umbenennung in »Planned Parenthood« erfolgte 1942. Im Jahr 1952, unter Mitwirkung von Frau Sanger, wurde von dem
5
TITEL
»Sozialhygieniker« Hans Harmsen die
»Deutsche Gesellschaft für Ehe und Familie« gegründet, heute »pro familia«.
Man tauschte den Begriff der »Geburtenkontrolle« im Jahr 1965 durch den
Begriff »Familienplanung« aus. Beide
Vereine gehören zu den Gründungsmit-
gliedern des internationalen Dachverbands »International Planned
Parenthood Federation«.
Schon oft wurde »Planned Parenthood Amerika« vorgehalten, vor allem
in Latino- und
Schwarzenvierteln Abtreibungseinrichtungen zu
betreiben. Beim
Zahlenvergleich ist
der Anteil schwarzer
Kinder (ca. 370.000),
ungefähr ein Drittel aller Abtreibungen, in der Tat
deutlich höher als der Anteil der
schwarzen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung der USA, der lediglich
um die 13,2 Prozent beträgt.
Dass Kinder nach ihrer Abtreibung
weiterverwertet werden, ist keine neue
Erkenntnis. Der Organ- und Gewebebereich ist als Verwendungsmöglichkeit
international gängig (»fetal organ harvesting« / fötale Organernte). Die Zellen
der abgetriebenen Kinder (vorzugsweise im Fötalstadium, weil dann die Orga-
»Auch die Geschichte der
Organisation hat Flecken.«
ne ausgebildet sind und die Zellen unterschieden werden können) verwendet man
zum Beispiel, um so genannte Biohybridorgane mit künstlichen Trägermaterialien als Transplantate herzustellen. Außerdem kann man neben Nieren, Lunge, Leber auch Eierstöcke, Augenbestandteile,
6
Bauchspeichel-, Thymusdrüse etc. nutzen. Gängig ist die Verwertung in osteuropäischen Staaten wie der Ukraine,
wo Firmen wie »EmCell« oder
»UCTC« ganz offen für Verjüngungskuren mit Zellen von abgetriebenen Kindern werben.
In Deutschland wurde
die mögliche Verwertung der abgetriebenen Kinder
ohne öffentliches Aufsehen im
Jahr 2007
durch einen neuen
§ 4 a im Gesetz
über die Qualität und Sicherheit von
menschlichen Geweben
und Zellen (Gewebegesetz) geregelt. Eine
Frau darf unmittelbar nach der
Abtreibung gefragt werden, ob sie das
tote Kind »spendet«. Abgesehen von der
Zumutung für eine Frau, die einen belastenden Eingriff hinter sich hat, stellt sich
die ethische Frage, ob man ein Kind, das
man ohne Einwilligung getötet hat, auch
noch ohne Einwilligung ausschlachten
darf. Insofern muss man spätestens jetzt
hellhörig werden und prüfen, ob es solche Zustände auch bei uns geben könnte.
Denn durch diese Änderung wird deutlich gemacht, dass solche »Spenden« vorkommen und offensichtlich geregelt werden mussten. Folglich
muss es auch einen, wenn auch
hierzulande noch sehr grauen
Markt dafür geben.
INFO
Fötale Gewebespenden
Spende ja, Handel nein – Was in den USA als gesetzlich erlaubt und was als
verboten gilt
Nach Veröffentlichung des ersten Videos hatte Cecile Richards, Präsidentin von »Planned Parenthood« in den USA, in einer eigenen Videobotschaft die Vorwürfe zurückgewiesen: »Ich
möchte sehr deutlich sagen: Die Behauptung, ›Planned Parenthood‹ profitiere in irgendeiner
Weise von Gewebespenden, ist nicht wahr. Unsere Spender-Programme befolgen – wie die aller Anbieter hochwertiger Gesundheitsdienste – sämtliche Gesetze und ethischen Richtlinien.«
In den USA können Frauen Gewebe ihrer abgetriebenen Kinder wissenschaftlichen Einrichtungen unentgeltlich zu Forschungszwecken zur Verfügung stellen. Der Handel mit Körperteilen
abgetriebener Kinder ist gesetzlich verboten. Einrichtungen, welche die »Spende« von Geweben organisieren, ist es aber erlaubt, sich die Kosten für die Sammlung und den Transport der
Leichenteile von Forschungseinrichtungen, die diese verwenden, finanziell erstatten zu lassen.
Dagegen ist es Abtreibungseinrichtungen gesetzlich verboten, vorgeburtliche Kindstötungen im
Falle einer anschließenden »Gewebespende« zeitlich oder methodisch so zu steuern, dass dabei die Interessen der Empfänger nach möglichst intakten Föten gewahrt werden.
LebensForum 115
Um Kinder vor ihrer Weiterverwertung zu schützen, wären eine Meldepflicht und eine Beerdigungspflicht sinnvoll. Damit hätte man außerdem endlich
eine saubere Statistik, um das Gesetz zu
prüfen, wie es im Gesetz vorgeschrieben
fällig erschien der Präsident persönlich
am 26. April 2013 bei einer »Planned
Parenthood«-Konferenz in Washington.
Laut »Planned Parenthood« sagte er:
»Cecile, (…) thank you for the outstanding leadership that you’ve shown over
DAVID SHANKBONE
Beweise lassen sich nicht leicht finden,
eher weitere Indizien. Für ein wichtiges
Indiz könnte man die Tatsache halten,
dass »pro familia« eine Schrift aus dem
Jahr 2000 neu aufgelegt hat. Diese »Expertise« hat den Titel: »Fötales Gewebe
Cecile Richards
Fetales Gewebe zu verkaufen: Ausschnitt aus dem versteckt gedrehten Video
– Ein Gutachten zu Forschung und Verwendung von embryonalem/fetalem Gewebe« (gefördert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend). Ausführlich geht die Expertise
darauf ein, welche Organe und Gewebe
verwendet werden können, und dass man
ist, und man hätte einen Ort der Trauer,
des Weiteren gerieten diese Kinder im
gesellschaftlichen Ansehen aus dem Bereich des »Gebärmutterinhalts« heraus
wieder in die Kategorie der Menschen,
was ein wichtiges Zeichen wäre.
Nach anfänglicher, erstaunlicher Zurückhaltung nach dem ersten Video haben
weitere Veröffentlichungen des »Center
for Medical Progress« dazu geführt, dass
»Planned Parenthood« unter Druck gerät. Wie heilig diese Kuh ist, zeigt sich
unter anderem darin, dass ein Antrag zur
Beendigung der finanziellen Unterstützung bereits gescheitert ist – ein erster
Versuch im Senat wurde mit 53 zu 46
Stimmen abgelehnt. Die Bundesstaaten
Louisiana und Alabama haben sich inzwischen anders entschieden und geben
keine Gelder mehr für die Organisation,
in weiteren Staaten wird die Sachlage geprüft. Die Demokratin und US-amerikanische Außenministerin Hillary Clinton
versuchte nichts zu sagen, musste dann
aber doch: Sie sei stolz auf ihre Unterstützung der Organisation und würde niemals aufhören, die Möglichkeit und das
Recht jeder Frau zu unterstützen, ihre
eigenen gesundheitlichen Entscheidungen zu treffen. Auch US-Präsident Barack
Obama ist ein »Pro-choicer«. »Planned
Parenthood« pflegt politische Kandidaten der »Pro-choice«-Fraktion im Wahlkampf zu unterstützen. Sicher nicht zu-
»Louisiana und Alabama geben
keine Gelder mehr.«
in manchen Ländern die Abtreibungspraxis entsprechend geändert habe, um die
Kinder möglichst zu erhalten. Auch das
ist bekannt. So gibt es zum Beispiel manuelle Vakuumaspiratoren (ein mechanisches Gerät für Frühstabtreibungen, meist
verschleiert durch den Begriff »Menstruationsregelung«) inzwischen auch mit
größerer Kanüle, um den Kopf und etwas
größere Embryonen intakt zu halten. Die
Schrift endet mit der Empfehlung, sich
als Verband intensiv mit diesem Thema
zu beschäftigen, weil es durchaus entsprechende Anfragen geben könne. Das war
vor 15 Jahren. Es ist nicht davon auszugehen, dass es keine Anfragen gab und gibt,
zumal von privaten Praxen und Einrichtungen solche Fälle schon bekannt, nicht
aber thematisiert wurden.
LebensForum 115
the years. You just do a great, great job.« (www.plannedparenthood.org/about-us/
newsroom/press-releases/obamas-historic-speech). Er dankt Cecile Richards bei
seinem Auftritt also ausdrücklich für ihre wundervolle, außergewöhnliche Führungstätigkeit.
Die heilige Kuh »Planned Parenthood«
wird nach Jahrzehnten der unbehelligten
Tätigkeit endlich, wenn auch mit Hindernissen, geprüft. Wie heißt es noch bei
»StemExpress«? »Unser Versprechen:
Der Schutz der Privatsphäre unserer Forscher und Spender hat bei StemExpress
immer höchste Priorität.« Jetzt kann man
sich auch vorstellen, warum das so ist.
IM PORTRAIT
Alexandra Maria Linder M. A.
Die Autorin, Jahrgang 1966, hat Romanistik und Ägyptologie studiert und sich
als Übersetzerin und Lektorin selbständig gemacht. Die
1. Stellvertretende
Bundesvorsitzende
der ALfA e. V. hat
2009 das Sachbuch »Geschäft
Abtreibung« veröffentlicht, das auch dieses Thema behandelt. Sie lebt mit ihrem Ehemann und
drei Kindern im Sauerland.
7
INKLUSION
IM PORTRAIT
Prof. Dr. med. Holm Schneider
Jahrgang 1969, arbeitet als Kinderarzt und Leiter der Abteilung für Molekulare Pädiatrie am Universitätsklinikum Erlangen. Er ist verheiratet und
Vater von fünf Kindern.
8
LebensForum 115
Der weite Weg zur Inklusion
Trotz legitimer Wünsche gibt es »kein Recht« auf ein »gesundes Kind«, meint der Genforscher,
Kinderarzt und Buchautor Holm Schneider. Stefan Rehder sprach mit dem Leiter der
Molekularen Pädiatrie am Universitätsklinikum Erlangen, der auch 2. Stellvertretender Vorsitzender
der Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA) e. V. ist.
LebensForum: Herr Professor Schneider: Inklusion ist derzeit in aller Munde. Als Genforscher
und Kinderarzt, der sich besonders für Menschen mit Behinderungen einsetzt, könnte Sie
dies freuen. Wie zufrieden macht Sie der Umgang von Politik und Gesellschaft mit dem Thema Inklusion?
Professor Dr. med. Holm Schneider:
Nun, die Richtung stimmt, aber der Weg
ist noch weit. Es freut mich, dass die Familien meiner Patienten heute Möglichkeiten vorfinden, um die andere vor zehn
Jahren noch mit ganzem Einsatz kämpfen
mussten. Das ist politischen Entscheidungen zu verdanken. Ich nehme vielerorts
ein Bemühen um Chancengleichheit für
Menschen mit Behinderung wahr: in Kindergärten, Schulen, Vereinen, sogar auf
dem ersten Arbeitsmarkt. Missverständnisse bleiben da nicht aus, und manchmal
kommt es auch zu echten Interessenskonflikten – mit der Gefahr, dass Betroffene
ins mediale Rampenlicht gezerrt werden
und erbitterte öffentliche Debatten auslösen. Wie Henri aus Baden-Württemberg zum Beispiel, dem die Schlagzeile
»Geistig behindert aufs Gymnasium?«
wohl eher zweifelhafte Popularität verschafft hat. Inklusion heißt nicht, dass jedem Kind jede Schule offenstehen sollte.
Sondern?
Dass Menschen mit Behinderung
gleichberechtigt mit anderen entscheiden können, welcher Ort für sie der passende ist, und dass sie tatsächlich die gleichen Chancen bekommen. Gerade jene,
die sich von klein auf als »anders« erleben, brauchen solche Chancengleichheit, um Selbstachtung und ein realistisches Selbstbild zu entwickeln. Und da
viele Begabungen sich erst in der Gemeinschaft entfalten, profitieren auch
Gemeinschaften davon, wenn sie Ausgrenzung vermeiden und jemanden, der
ernsthaft dazugehören möchte, so annehmen, wie er nun mal ist.
LebensForum 115
Wo sehen Sie die größten Defizite?
Da, wo man meint, Inklusion lasse sich
von außen, durch Verordnungen bewirken. Das geht fast immer schief. Inklusion beginnt im Kopf, nicht auf dem Papier. In Nordrhein-Westfalen zum Beispiel, wo im Sommer 2014 das 9. Schulrechtsänderungsgesetz in Kraft trat, wird
jetzt ein Drittel der Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf an Regelschulen unterrichtet. Ich kenne Lehrer,
die das als »Zumutung« bezeichnen – und
sie haben recht. Inklusion an Schulen kann
nicht ohne die Bereitschaft der Lehrkräfte und der Klassengemeinschaft gelingen, auch nicht ohne adäquate Fortbildung und zusätzliche Ressourcen. Wenn
es an solchen Voraussetzungen mangelt,
lassen wir uns ungern etwas zumuten –
ein Wort, das ursprünglich »zutrauen,
besonderen Mut anerkennen« bedeutete. Und tatsächlich braucht es Mut, in einer Gemeinschaft aus lauter jungen, leistungsfähigen, unbehinderten Individuen
unsere eigentliche Abhängigkeit voneinander nicht zu verleugnen.
Und was schlagen Sie da vor?
Zuerst sollten wir die Bilder von Behinderung in unseren Köpfen korrigieren. Jeder von uns kann jederzeit zum
Behinderten werden. Kaum jemand wird
ein Leben lang gesund sein. Krankheiten und Handicaps gehören zum Leben
einfach dazu, manchmal schon von Anfang an. Eltern, Mitschüler und Lehrer,
die das verstanden haben, werden einander zutrauen, mitzuwachsen mit einem besonderen Kind. Die meisten Erwachsenen wissen auch, dass es sinnlos
ist, an jedes Kind die gleichen Anforderungen zu stellen. Der Überflieger lernt
dabei, dass er sich nicht mühen muss, andere werden überfordert und damit demotiviert. Bildung sollte jedoch helfen,
eigene Stärken zu erkennen und schät-
zen zu lernen, ebenso wie die der anderen. Kurz: Es braucht mehr als nur politische Vorgaben, um Behinderte inkludieren zu können.
Ist es kein Widerspruch, wenn Bund, Länder und
Kommunen überlegen, wie Inklusion in Städten und Gemeinden, in Kindergärten und Schulen, am Arbeitsplatz und in der Freizeit gelingen
kann, andererseits aber Gesetze beibehalten,
die die vorgeburtliche Tötung von Menschen mit
Behinderungen ermöglichen, und darüber hinaus die Entwicklung von Gentests fördern, mit
denen sich die Träger genetischer Besonderheiten identifizieren und selektieren lassen?
Ja, das ist ein frappierender Widerspruch, auf den ich auch immer wieder
hinweise. Wirkliche Inklusion beginnt
schon vor der Geburt.
In Deutschland ist der sogenannte PraenaTest
seit August 2012 erhältlich. Laut dem Hersteller, der Konstanzer BioTech-Firma LifeCodexx,
haben bereits im ersten Jahr 6.000 Frauen von
diesem Test Gebrauch gemacht. Rund die Hälfte davon in Deutschland. LifeCodexx bewirbt
den Bluttest als schnelle und sichere Alternative
zu Fruchtwasseruntersuchungen und der Chorionzottenbiopsie, da er eine Genauigkeit von
99,8 Prozent aufweise und nicht das Risiko einer Fehlgeburt berge. Befürworter des PraenaTests argumentieren, durch den Bluttest sei eine
vorgeburtliche Diagnostik nun mit weniger Risiken für Mutter und Kind verbunden. Ein Argument, das auch den Genforscher und Kinderarzt
Schneider überzeugt?
Nun, für das Kind ist dieser Test durchaus riskant, denn wenn es tatsächlich oder
auch nur vermeintlich – infolge falschpositiver Befunde – von der Norm abweicht, dann kann sein Lebensrecht vom
Staat nicht mehr gewährleistet werden.
Wir wissen ja zum Beispiel, dass nach der
vorgeburtlichen Diagnose einer Trisomie 21 (Down-Syndrom) über 90 Prozent der Betroffenen abgetrieben werden. Der PraenaTest wird ab der vollen9
INKLUSION
Derzeit ist der PraenaTest eine sogenannte IGeLLeistung, die von den Patientinnen privat bezahlt werden muss. LifeCodexx bemüht sich
aber um Aufnahme des PraenaTests in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen.
Der Gemeinsame Bundesausschuss berät bereits
über einen Antrag auf Erprobung des PraenaTests. Entscheidet der sich dafür, könnte als Ergebnis der dann durchzuführenden Studien die
Aufnahme des Tests in die Regelleistungen der
gesetzlichen Krankenkassen folgen. Mit welchen Veränderungen müsste unsere Gesellschaft
in einem solchen Fall rechnen?
Damit, dass der PraenaTest dann ein
Test für fast jede Schwangere wird, weil
viele Ärzte ihn dann unabhängig vom Alter der Schwangeren oder anderen Risikofaktoren anbieten werden. Die Deutsche
Gesellschaft für Humangenetik erklärte
dazu schon 2012, dass diese Untersuchung
»allen Schwangeren verfügbar gemacht
werden sollte«. Damit käme es zu einer
weiteren Aushöhlung des Lebensschutzes ungeborener Kinder, auch der genetisch normalen. Denn je breiter der Test
eingesetzt wird, desto wahrscheinlicher
ist es, dass die Diagnose einer »Chromosomenstörung« gar nicht stimmt. In Studien lag eine falsch-positive Diagnose in
0,2 bis 0,3 Prozent der Fälle vor. Würde
man alle Schwangerschaften testen, also
auch die junger Frauen, bei denen kindliche Chromosomenanomalien viel seltener sind, wären die meisten vermeintlich
Betroffenen ganz normale Kinder. Solche
Screening-Untersuchungen würden außerdem dazu führen, dass Menschen, deren genetische Merkmale aus Sicht ihrer
Eltern unerwünscht sind, keine Chance
10
mehr haben, geboren zu werden. Diese
»Eugenik von unten« könnte das Gleiche bewirken wie »von oben«, vom Staat
angeordnete Eugenik, nämlich das Aussterben bestimmter Menschengruppen.
Ich finde es absurd, so etwas als Regelleistung von Krankenkassen vorzuschlagen. Das ist ein Angriff auf die Würde
des Menschen insgesamt.
Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang auch dem Arzthaftungsrecht zu. In
der Vergangenheit haben Richter bereits Ärzte zu Schadensersatz verurteilt, weil diese Frauen nicht eindrücklich genug vor der Möglichkeit
gewarnt hätten, ein Kind mit Down-Syndrom
zu bekommen. Ist eine Kind-als-Schaden-Rechtsprechung in einer Gesellschaft, die sich die Inklusion auf die Fahne geschrieben hat, nicht ein
merkwürdiger Anachronismus?
gesundheitlichen Beeinträchtigung des
Ungeborenen seitdem immer rechtswidrig ist und das Verhindern einer rechtswidrigen Tat nie einen Schadensersatz
begründen kann, sollten Kind-als Schaden-Prozesse in unserem Land eigentlich
nicht mehr vorkommen. Trotzdem hat der
Bundesgerichtshof 2002 eine Ärztin zur
Zahlung von Kindesunterhalt verurteilt,
weil sie schwere Fehlbildungen der Arme
und Beine, die bei vorgeburtlichen Ultraschalluntersuchungen hätten erkannt
werden müssen, der Schwangeren nicht
mitteilte. Auch bei erfolglosen Abtreibungsversuchen wurden Ansprüche gerichtlich verhandelt oder über die Haftpflichtversicherung des Arztes befriedigt.
Aus meiner Sicht ist nicht die Haftpflichtversicherung des Frauenarztes, sondern die gesamte Solidargemeinschaft in
DENYS_KUVAIEV/FOTOLIA.COM
deten neunten Schwangerschaftswoche
angeboten. Das Ergebnis liegt nach vier
bis zehn Tagen vor. Laut § 218 a Absatz
1 StGB ist bis zur zwölften Lebenswoche
des ungeborenen Kindes dessen straffreie
Abtreibung möglich, wofür nur ein Beratungsschein vorgelegt werden muss. Ob
das Testergebnis der Grund dafür war,
wird nirgends erfasst. Auf dem Auftragsbogen zum PraenaTest lassen sich außer
Trisomie 21 derzeit sechs weitere genetische Besonderheiten ankreuzen, die
man beim Baby »ausschließen« möchte.
Zum Beispiel das Turner-Syndrom, eine
Chromosomenanomalie, die zu behandelbarem Kleinwuchs führt – bei normaler
Intelligenz und Lebenserwartung. Dieser Test birgt also nicht nur für Kinder
mit Down-Syndrom ein tödliches Risiko
– und er bringt Schwangere in Gefahr,
eine Entscheidung unter Zeitdruck zu
treffen und dann ein Leben lang Mutter
eines getöteten Kindes zu sein.
Über 90 Prozent der Kinder mit Down-Syndrom werden heute abgetrieben
Als Vater wie als Kinderarzt verstehe
ich natürlich den Wunsch nach gesunden
Kindern. Der ist völlig legitim. Ich weiß
aber auch, dass es kein Recht darauf gibt
und dass kein Test auf dieser Welt ein gesundes Kind garantieren kann. Dennoch
wurden Ärzte zur Unterhaltskostenzahlung verurteilt, weil die Eltern erklärten,
dass sie ihr Kind bei rechtzeitiger Kenntnis seiner Behinderung abgetrieben hätten. In Österreich zum Beispiel gab und
gibt es solche Fälle immer wieder. In
Deutschland dagegen wurde die sogenannte embryopathische Indikation vor
20 Jahren abgeschafft – wegen des Diskriminierungsverbotes im Grundgesetz.
Da eine Abtreibung allein wegen einer
der Verantwortung, wenn einer Familie
durch die Geburt eines Kindes mit angeborenen Besonderheiten Nachteile entstehen. Dafür zu sorgen, wäre notwendige Anti-Diskriminierungspolitik.
Welche Maßnahmen müsste der Gesetzgeber Ihrer Ansicht nach ergreifen, um derartige Urteile
zukünftig unmöglich zu machen?
Er müsste zunächst die immense Wirkung solcher Gerichtsurteile zur Kenntnis nehmen: Schon das erste Urteil des
Bundesgerichtshofs zur fehlerhaften Aufklärung über Pränataldiagnostik führte
zu einer sprunghaften Ausbreitung der
Fruchtwasseruntersuchung. Während
LebensForum 115
das Verfahren noch lief, verdoppelte sich
bundesweit die Zahl der Fruchtwasseruntersuchungen. Und Ärzte, die Schwangere
so berieten, dass sie ein mutmaßlich behindertes Kind nicht zur Welt brachten,
fühlten sich auf der sicheren Seite. Das
Problem ist nicht die Pränataldiagnostik an sich, sondern der Auftrag an den
Arzt, vorgeburtlich festzustellen, ob ein
Kind bestimmte Eigenschaften hat, um
sein Leben gegebenenfalls »rechtzeitig«
zu beenden. Wofür werden Ärzte bei fehlerhafter Pränataldiagnostik haftbar gemacht? Nicht für die Beeinträchtigung
des Kindes, sondern für das Unterbleiben eines Schwangerschaftsabbruches.
Der Gesetzgeber müsste also verhindern,
dass Selektion und Tötung menschlichen
Lebens als ärztliche Aufgaben angesehen
werden, die dann eben auch »Qualitätsansprüchen« zu genügen hätten. Das gilt
für das Thema Abtreibung genauso wie
für die aktuelle Debatte um aktive Sterbehilfe. Im Falle des Oldenburger Babys
Tim – eines heute 18-jährigen Mannes,
der seine eigene Abtreibung überlebte –
wurde einer Zeugin vor Gericht eine eidesstattliche Erklärung abverlangt, dass
Tims Mutter vor dem Eingriff auf das
mögliche, wenn auch unwahrscheinliche Überleben des Kindes hingewiesen
worden war. Das ist eigentlich unfassbar.
Gehört es nicht zum Grundverständnis
unseres Rechtssystems, dass Menschen
dem Versuch ihrer Tötung normalerweise Widerstand entgegensetzen und,
Gott sei Dank, manchmal überleben? Der
Gesetzgeber sollte Möglichkeiten schaffen, dass Kinder ungewollt Schwangerer
leichter von ungewollt Kinderlosen adoptiert werden können, und er sollte dafür sorgen, Alternativen zur Selbsttötung
wie Hospize und Palliativstationen noch
viel bekannter zu machen. Und nicht zuletzt sollte er der verbreiteten Vorstellung, alles einklagen zu können, entgegentreten. Ein gesundes Baby ist und
bleibt ein Geschenk.
Als Kinderarzt beraten Sie selbst ja auch
Schwangere, bei deren Kind eine Fehlbildung
oder Krankheit diagnostiziert wurde. Wie gehen
Sie selber mit dem Haftungsrisiko um?
Wenn die Diagnostik und die Informationen, die im Aufklärungsgespräch
übermittelt werden, dem medizinischen
Standard und der konkreten Situation
der Schwangeren entsprechen, ist jeder
Arzt berechtigt und nach aktueller Gesetzeslage auch verpflichtet, lebenserhaltend zu beraten. Ich muss bei ordnungsgemäßer Aufklärung keine Haftung befürchten, wenn ich versuche eine Frau
LebensForum 115
zur Fortsetzung der Schwangerschaft mit
einem mutmaßlich behinderten Kind zu
ermutigen, wenn ich Kontakte zu Familien herstelle, die das Leben mit einem
betroffenen Kind anschaulich machen,
oder auf die Nachteile und ungewollten
möglichen Folgen weiterer Pränataldiagnostik hinweise.
Wer nicht regelmäßig mit Menschen mit Behinderung zu tun hat, wirkt im Umgang mit ihnen
oft verunsichert und gehemmt. Vergleichbar jemandem, der sich in einer Sprache auszudrücken
sucht, die er nicht beherrscht. Kann man sagen,
Übung macht auch hier den Meister, oder gibt es
da vielleicht noch anderes zu berücksichtigen,
etwa dass behinderte Menschen uns unsere eigene Verletzlichkeit vor Augen führen, was zum
Beispiel auch Ängste hervorrufen kann?
Das trifft sicher zu. Menschen, deren
Grenzen sichtbar sind, erinnern uns eben
auch an unsere eigene Schwäche, daran,
dass jeder Mensch angewiesen ist auf andere, dass niemand alles alleine schafft.
Damit muss ich mich erst mal auseinandersetzen. Habe ich den Mut, mich
meiner Begrenztheit zu stellen, meinen
Schattenseiten, meinen Schwächen und
Ängsten? Das konfrontiert mich plötzlich ganz konkret mit der Frage: Was
macht mein Leben wertvoll? Und hier
können Menschen mit Behinderung uns
Wesentliches sagen: Mein Wert ist nicht
das Produkt meiner geistigen und körperlichen Kräfte. Er ist nicht an Leistungsfähigkeit gebunden, weder im Himmel
noch auf Erden – ich erinnere da nur an
Papst Johannes Paul II. bei seinen letzten
öffentlichen Auftritten. Wer über diese
Frage nachdenkt, dem kann nichts Besseres passieren, als Menschen mit Behinderung kennenzulernen, sie schätzen zu
lernen – und dadurch an die Hand genommen zu werden, die eigenen Grenzen anzunehmen. Wer sich darauf einlässt, der kann enorm viel gewinnen. Es
gibt viele Menschen mit Behinderung,
die anderen gern einen Einblick in ihr
Leben gewähren, und es gibt Gemeinschaften, wo man staunend erkennt, dass
auch Menschen mit einem ganz kleinen
Kompetenzbereich eine ihnen gemäße
Aufgabe finden können.
Kinder, die zusammen mit Behinderten den Kindergarten und die Schule besuchen, verlieren
meist recht schnell die Hemmung und lernen relativ problemlos, angemessen mit ihnen umzugehen. Aber was ist mit den Menschen, die noch
in einer exklusiven Bildungslandschaft aufgewachsen sind? Was kann ihnen helfen, die Angst
oder auch nur Scheu vor dem Umgang mit Behinderungen zu überwinden?
Am besten der eigene Wille, es einfach mal zu versuchen.
Sie sind nicht nur Kinderarzt und Genforscher,
sondern auch Autor mehrerer Kinder- und Sachbücher, die auf ganz unterschiedliche Weise zeigen, wie Menschen mit Behinderung unsere Gesellschaft bereichern. In Ihrem 2014 im Neufeld Verlag erschienenen Buch »Was soll aus diesem Kind bloß werden?« haben Sie sieben Menschen mit Down-Syndrom porträtiert und damit
gezeigt, wie eine gelungene Inklusion von Menschen mit Behinderung in der Arbeitswelt aussehen kann. Welche Rückmeldungen haben Sie
auf dieses Buch, das bereits seine 2. Auflage erlebt hat, bekommen?
Mehr als erwartet. Es gab Rückmeldungen von Eltern, die zeigen, dass diese
Geschichten tatsächlich Mut machen, dass
sie den Blick auf das lenken, was Menschen mit Down-Syndrom können. Unser
Bundespräsident Joachim Gauck schrieb,
er freue sich über die Zuversicht, die das
Buch ausstrahle und die in unserem Land
gebraucht werde. Auch der Brief eines Bischofs, der mich wissen ließ, dass er aktiv
zur Verbreitung des Buches beiträgt, hat
mich sehr berührt. Gestaunt habe ich, auf
welch originellen Wegen es in die Hände von Firmenchefs, also potenziellen
Arbeitgebern, gelangt ist – oder zu einer
Schwangeren, die voller Angst war, weil
man bei ihrem Baby im Bauch eine verdickte Nackenfalte festgestellt hatte. Sie
hat Kraft für das »Ja« zu ihrem Kind aus
diesem Buch gewonnen, zusammen mit
der Erkenntnis, dass auch aus Kindern
mit Down-Syndrom etwas werden kann.
Arbeiten Sie bereits an einem neuen Projekt?
Und wenn ja, was ist davon schon mitteilbar?
Im Sommerurlaub möchte ich ein anderes Buch abschließen, in dem es nicht
um die Arbeitswelt geht, sondern um Inklusion im privaten Umfeld: Es erzählt
von Menschen mit unterschiedlichen
Handicaps, die den Wunsch nach einer
eigenen Familie trotzdem verwirklicht
haben. Und von Kindern, die ihre Eltern, obwohl sie anders sind, nicht weniger lieben.
Es soll im Frühjahr 2016 im Neufeld
Verlag erscheinen. Patienten in meiner
Spezialambulanz fragen mich immer wieder: »Kann so jemand wie ich auch mal
heiraten und Kinder bekommen?« Darauf zu antworten, fiel mir anfangs schwer.
Deshalb habe ich sehr genau hingehört,
wenn Menschen mit Behinderung über
ihre Erfahrungen sprachen, und einige
haben mir erlaubt, ihre persönliche Geschichte weiterzuerzählen.
11
BIOETHIK-SP L I T T E R
+++ Bioethik-Splitter +++ Bioethik-Splitter +++ Bioethik-Splitter +++ Bio
CHERRYX
Straßburg (ALfA). Es gibt kein Grundrecht auf assistierten Suizid. Das hat Mitte Juli der Europäische Gerichtshof für
Menschenrechte (EGMR) in Straßburg
bekräftigt (Az.: 2478/15). Die Richter wiesen die Klage einer Britin als unbegrün-
Der EGMR in Straßburg
det ab. Mit der Klage wollte die Frau die
vermeintlichen Rechte ihres inzwischen
verstorbenen Mannes geltend machen.
Nach einem Schlaganfall litt dieser unter dem Locked-in-Syndrom: Er war bei
vollem Bewusstsein, sein Körper aber fast
völlig gelähmt. Laut den britischen Gerichten habe er sterben wollen, sei aber
aufgrund seiner Lähmungen nicht in der
Lage gewesen, sich ohne fremde Hilfe das
Leben zu nehmen.
Beihilfe zum Suizid ist in Großbritannien strafbar und kann mit bis zu 14 Jahren Haft geahndet werden. Mit der Klage wollte der Mann erreichen, dass die
britischen Gerichte seinen Sterbewunsch
akzeptieren. Dies war jedoch bis hinauf
zum Obersten Gerichtshof erfolglos geblieben. Daraufhin verweigerte der Mann
die weitere Aufnahme von Nahrung, Flüssigkeit und Medikamenten und starb im
August 2012. Seine Ehefrau rief später
den EGMR an. Das Verbot des assistierten Suizids, die Strafandrohung bei entsprechender Hilfe sowie das Urteil des
Obersten Gerichtshofs in Großbritannien hätten das Grundrecht ihres Mannes
auf Privat- und Familienleben verletzt.
Der EGMR wies die Beschwerde ab. In
ihrer Begründung beriefen sich die Richter auf ein Urteil vom 29. April 2002 (Az.:
2346/02). Damals hatten die Straßburger Richter eine Britin mit einer unheilbaren, zuletzt ebenfalls zu völliger Lähmung führenden Muskelschwäche abgewiesen. Ein Recht auf assistierten Suizid
lasse sich aus der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht unmittelbar ablei-
ten. Unter den Zeichnerstaaten gebe es
auch keinerlei Konsens in dieser Frage.
Daher hätten die Staaten bei deren Regelung einen weiten Spielraum.
In dem von den Richtern nun zu entscheidenden Fall hatte die Ehefrau einen gesellschaftlichen Wandel geltend
zu machen versucht. Die Bereitschaft, einen assistierten Suizid zu akzeptieren, sei
deutlich gewachsen. Dem hat der EGMR
nun widersprochen. Ein Konsens in dieser Frage sei nicht in Sicht. In dieser Situation biete die Menschenrechtskonvention den britischen Gerichten keinerlei
Handhabe, sich über die Gesetzesentscheidungen des Parlaments hinwegzusetzen. Die Beschwerde sei offensichtlich unbegründet und daher unzulässig,
befanden die Straßburger Richter. san
Fähigkeiten eines menschlichen Embryos
herstellen.« Menschen wären dann »in der
Lage, Menschen zu konstruieren – nach
eigenen Vorstellungen«. Dies bedrohe
die Einmaligkeit des Menschen. »Jeder
Mensch hat ein Recht auf Einmaligkeit
und eine eigene Würde. Kein Mensch
darf sich anmaßen, willkürlich die genetischen Merkmale eines anderen zu bestimmen. Das Klonen würde der Selektion von Menschen mit vermeintlich höheren Qualitäten Tür und Tor öffnen.«
Ein Mensch dürfe aber niemals »Mittel
zum Zweck« werden, so Losinger weiter.
Die »gesetzlichen Strukturen« zu einem Reproduktionsmedizin-Gesetz zusammenzuführen, hält der Weihbischof
für einen »notwendigen Ansatz«. Wichtig sei, »dass dabei die hohen ethischen
Standards gewahrt bleiben. Der Lebensschutz für Embryonen, den das Embryonenschutzgesetz garantiert, darf nicht angetastet werden«, fordert Losinger. reh
Losinger für neues
Reproduktionsmedizin-Gesetz
Berlin (ALfA). Augsburgs Weihbischof Anton Losinger hält es für notwendig, Gesetze wie das Embryonenschutzgesetz, das Gentechnikgesetz und
das Stammzellgesetz zu novellieren und
»zu einem großen Reproduktionsmedizin-Gesetz zusammenzuführen«.
Im Interview mit dem »Berliner Tagesspiegel« (Ausgabe vom 2. August) sagte Losinger, der auch Mitglied des Deut-
Mütter nur noch selten
»guter Hoffnung«
WWW.CDUCSU.DE
EGMR: Es gibt kein Recht
auf einen assistierten Suizid
Weihbischof Anton Losinger
schen Ethikrates ist, mittlerweile könnten menschliche Körperzellen »so reprogrammiert werden, dass daraus pluripotente Zellen entstehen. Aus ihnen kann
man Nerven-, Muskel-, Leber- oder Blutzellen generieren.« Das sei ethisch unbedenklich. In Kürze würden Forscher
jedoch in der Lage sein, aus menschlichen Körperzellen totipotente Zellen zu
entwickeln. »Das wäre ein gigantischer
Sprung«, so Losinger. »Denn aus totipotenten Zellen lassen sich Funktionen und
Gütersloh (ALfA). So gut wie alle
Schwangeren (99 Prozent) nehmen mittlerweile Vorsorgemaßnahmen in Anspruch,
die in den Mutterschafts-Richtlinien gar
nicht vorgesehen sind. Hierzu zählen etwa
mehr als drei Ultraschalluntersuchungen
sowie Blut- oder Herztonmessungen. So
lautet das Ende Juli präsentierte Ergebnis einer Studie der Bertelsmann Stiftung,
für die knapp 1.300 Mütter kurz nach der
Geburt befragt wurden. Nahezu unerheblich war dabei, ob bei den Frauen eine sogenannte Risikoschwangerschaft oder ein
unauffälliger Verlauf vorlag. Laut der Studie ließen 49 Prozent der Frauen mit normal verlaufender Schwangerschaft fünf und
mehr Ultraschalluntersuchungen durchführen. Nahezu jede ließ eine Kardiotokographie (CTG) durchführen. Beim CTG
werden die Herztöne des Kindes und die
Wehen der Mutter erfasst. Vier von fünf
Frauen haben für die oft unnötigen Untersuchungen auch ins eigene Portmonee
gegriffen. Laut den Autoren der Studie
hatten weder das Alter (Frauen ab 35 Jahren gelten automatisch als Risikoschwangere) noch das Einkommen oder der Bildungsabschluss der Schwangeren einen
Einfluss darauf, ob die Frauen Zusatzuntersuchungen in Anspruch nahmen oder
nicht. »Mehr ist nicht zwingend besser.
+++ Bioethik-Splitter +++ Bioethik-Splitter +++ Bioethik-Splitter +++ Bio
12
LebensForum 115
oethik-Splitter +++ Bioethik-Splitter +++ Bioethik-Splitter +++ BioethikEs gibt eine klare Überversorgung während der Schwangerschaft«, erklärte Uwe
Schenk, Gesundheitsexperte der Bertelsmann Stiftung. Experten fürchten, eine
Schwangerschaft werde immer häufiger
als etwas Krankhaftes und Behandlungswürdiges verstanden.
reh
mehr als 74 Prozent im Vergleich zum
Zeitraum März bis Mai 2014. In Sachsen und Bremen betrug der Anstieg rund
67 Prozent. Am geringsten fiel der Anstieg im Saarland und in Berlin aus mit
einem Plus von rund 21 beziehungsweise 27 Prozent.
reh
Verkaufsboom bei
»Pille danach« hält an
Zahl der Organspender
wieder gestiegen
Frankfurt am Main (ALfA). Die Zahl
der Organspender in Deutschland ist im
ersten Halbjahr 2015 erstmals seit längerem wieder gestiegen. Von Januar bis
Ende Juni gab es 464 Organspender gegenüber 435 im Vergleichszeitraum des
Vorjahres. Dies teilte die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) Ende
Juli in Frankfurt mit.
»Damit ist der seit einigen Jahren anhaltende Abwärtstrend bei der Organspende durchbrochen« wird der Medizinische Vorstand der DSO, Axel Rahmel,
zitiert. Rahmel sprach von einer »vorDANIEL RENNEN
Berlin (ALfA). Die Handlungsempfehlungen für den rezeptfreien Verkauf
der »Pille danach« in Apotheken lassen weiter auf sich warten. Die Empfehlungen würden noch an einigen Stellen
überarbeitet, sagte eine Sprecherin der
Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände Ende Juli der Katholischen
Nachrichten-Agentur. Die Grundprinzipien der bisherigen Empfehlungen blieben erhalten.
Seit Mitte März ist die »Pille danach«
in deutschen Apotheken rezeptfrei erhältlich. Versandapotheken wurden von
der Abgabe ohne Rezept ausgenommen,
um Missbrauch zu verhindern. Die Bundesvereinigung der Apothekerverbände hatte Ende Januar erste Handlungsempfehlungen und eine Checkliste veröffentlicht. Darin heißt es, der Apotheker solle die »Pille danach« der Kundin
persönlich und möglichst nicht auf Vorrat verkaufen. Bei minderjährigen Kundinnen weisen die Verbände auf die besondere Sorgfaltspflicht hin. Eine Abgabe ist aber laut Verordnung grundsätzlich an »Frauen im gebärfähigen Alter«
rechtens. Die endgültige Verkaufsentscheidung liege beim Apotheker, betonte die Sprecherin.
Frauenärzte hatten unter anderem kritisiert, dass die Empfehlungen nicht ausreichende Informationen über die nachlassende Wirksamkeit des Präparats bei
einer Zunahme des Gewicht enthielten.
Seit der Rezeptfreigabe der »Pille danach« wurden in Deutschland bis Ende
Mai 167.500 Packungen über den Tresen gereicht. Das teilte der Gesundheitsinformationsdienst »IMS Health« mit.
Im Vergleichszeitraum des Vorjahres seien es 119.800 Packungen gewesen. Das
entspreche einem Anstieg von nahezu 40
Prozent. Vor allem in ostdeutschen Bundesländern stieg der Verkauf stark an. Den
höchsten Anstieg gab es in Brandenburg
und Sachsen-Anhalt mit einem Plus von
Wertvolles Gut: Menschliche Organe
sichtigen Hoffnung«, dass sich »die Organspendezahlen weiter erholen«. Allerdings sei es zu früh, »um von einer echten Trendwende bei der Organspende zu
sprechen«. Nachdem in mehreren Transplantationszentren Manipulationen bei
der Verteilung von Organen aufgedeckt
wurden, ging die Zahl der Organspenden in Deutschland in den vergangenen
Jahren zurück. Im ersten Halbjahr 2010
hatten noch 648 Menschen Organe gespendet.
reh
PID: Ethikkommission
konstituiert
Stuttgart (ALfA). Die gemeinsame
PID-Ethikkommission der Länder Ba-
den-Württemberg, Hessen, RheinlandPfalz, Saarland, Sachsen und Thüringen zur Durchführung der Präimplantationsdiagnostik (PID) hat sich am 15.
Juli 2015 konstituiert. Sie wurde gemäß
Staatsvertrag bei der Landesärztekammer Baden-Württemberg eingerichtet.
Die PID-Ethikkommission hat die Aufgabe, Anträge auf Durchführung einer
Präimplantationsdiagnostik zu bewerten.
Nach dem Willen des Gesetzgebers ist eine solche Behandlung nur ausnahmsweise und nur unter strengen Voraussetzungen zuzulassen.
Der Kommission gehören acht Mitglieder an: Vier medizinische Sachverständige aus den durch die PID berührten Fachrichtungen, jeweils ein Sachverständiger oder eine Sachverständige der
Fachrichtungen Ethik und der Fachrichtung Recht. Ferner jeweils ein Vertreter
einer Organisation, die sich maßgeblich
für die Wahrnehmung der Interessen der
Patienten engagiert, sowie ein Vertreter
einer Organisation, die sich maßgeblich
für die Wahrnehmung der Interessen der
Selbsthilfe der Menschen mit Behinderung engagiert. Jedes Mitglied hat zwei
Stellvertreter.
Zur Vorsitzenden wählten die Mitglieder der Kommission einstimmig Dr.
med. Gabriele du Bois aus Böblingen.
Die Fachärztin für Humangenetik ist seit
Jahren im Ethikausschuss des Deutschen
Ärztinnenbundes aktiv und seit 2011 auch
dessen erste Vorsitzende.
Im März dieses Jahres hatte sich die
Bayerische Ethikkommission für Präimplantationsdiagnostik konstituiert. Sie
wird von Prof. Dr. med. Hugo Segerer
geleitet. Segerer ist Professor und Chefarzt der Neonatologie und Diabetologie
im St. Hedwig Krankenhaus der Barmherzigen Brüder. Aufgabe der Ethikkommission ist es zu prüfen, ob eine medizinische Indikation vorliegt, die zur Vornahme einer PID berechtigt. Die Kommission ist für alle vier im Freistaat angesiedelten PID-Zentren zuständig und soll
gewährleisten, dass in ganz Bayern nach
einheitlichen Kriterien entschieden wird.
»Die genetische Untersuchung von Embryonen ist ein ethisch-moralisches und
rechtliches Spannungsfeld. Klar ist: Die
PID darf auf keinen Fall als ein Selektionsinstrument wahrgenommen werden«,
betonte Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml.
pd/reh
oethik-Splitter +++ Bioethik-Splitter +++ Bioethik-Splitter +++ BioethikLebensForum 115
13
AUSL AND
Kinder sind keine Waren
Im Mai dieses Jahres hat das höchste Gericht der Schweiz einem homosexuellen Paar die Anerkennung
eines mittels Leihmutterschaft in den USA gezeugten Kindes als leibliches Kind
beider Männer verweigert und dafür in vielen Medien harsche Kritik geerntet. Ende Juli hat das
Bundesgericht nun sein schriftliches Urteil veröffentlicht. Eine lohnende Lektüre.
Von Sebastian Sander
sen hatten. Das Paar lebt in der Schweiz,
wo es am 11. Februar 2011 seine Lebensgemeinschaft eintragen ließ.
Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten erwirkte das Paar am 24. Februar 2011 zudem ein Vaterschaftsurteil des
Superior Courts des County of Kern von
Kalifornien, welches den Spermienspender zum genetischen und leiblichen Vater und dessen Partner zum vermuteten
zweiten leiblichen Vater des noch ungeborenen Kindes erklärte. Außerdem ver-
Manches stellt man heute besser gleich
am Anfang klar. In diesem Beitrag geht
es nicht um Homosexualität, sondern um
künstliche Befruchtung und Leihmutterschaft. Auf die Gefahr hin, dass der Autor den einen oder anderen Leser enttäuscht, es geht hier auch nicht um die
Frage, was sündhafte Sexualität ist, sondern darum, was Recht und Unrecht ist.
Nicht vor Gott, sondern vor dem Gesetz. Dass das Paar, das von Schweizer
Behörden die Anerkennung eines auf solche Weise gezeugten Kindes verlangte,
ein homosexuelles ist, das in einer eingetragenen Lebensgemeinschaft lebt, spielt
bei dem bemerkenswerten Urteil, das die
Schweizer Bundesrichter bereits im Mai
fällten und dessen schriftliche Fassung sie
nun veröffentlichten, keine Rolle. Es hätte auch ein heterosexuelles sein können.
In der Schweiz ist – wie in Deutschland –
nicht Homosexualität verboten, sondern
die Leihmutterschaft, und das unabhängig vom Zivilstand der Betroffenen. Natürlich steht es jedem trotzdem frei, den
Schweizer Bundesrichtern und/oder dem
Autor dieses Beitrags einen Hang zur Homophobie zu unterstellen. Es wäre allerdings wahrheitswidrig.
ner Beschwerde gegen die Entscheidung
ein. Nach mehreren Instanzen landete
der Fall schließlich vor dem Schweizerischen Bundesgericht.
DAS URTEIL
In ihrem Urteil (5A_748/2014) weisen die obersten Schweizer Richter darauf hin, dass sowohl die Schweizer Bundesverfassung als auch das Schweizer
Fortpflanzungsmedizingesetz sämtliche
DANIEL RENNEN
EINE VORBEMERKUNG
DIE VORGESCHICHTE
Am 11. April 2011 erblickte in Bakersfield im US-Bundesstaat Kalifornien ein Kind das Licht der Welt, das auf
natürliche Weise gar nicht hätte entstehen können. Denn das Kind wurde in einem Labor aus einem Spermium seines
Vaters und einer von einer anonymen
Frau gespendeten Eizelle gezeugt. Anschließend wurde die so befruchtete Eizelle in die Gebärmutter einer anderen
Frau transferiert, mit welcher der Vater
und sein homosexueller Partner im Juli
2010 einen Leihmuttervertrag geschlos14
Es gibt Dinge, die man nicht mieten können sollte: etwa den Bauch einer Frau
fügte das Gericht, in der Geburtsurkunde
des Kindes die Namen der beiden Männer einzutragen.
Zurück in der Schweiz bemühten sich
die beiden Männer um die Anerkennung
des ausländischen Gerichtsurteils und der
daraufhin ergangenen Geburtsurkunde und beantragten eine entsprechende
Eintragung in das Personenstandsregister. Nachdem das zuständige Amt dies
abgelehnt hatte, legten die beiden Män-
Formen der Leihmutterschaft verböten.
In ihrer schriftlichen Urteilsbegründung
führen die Richter dazu aus: »Das Verbot der Leihmutterschaft wird mit dem
Schutz der Frau vor Instrumentalisierung
und mit dem Schutz des Kindeswohls begründet. (...) Die biologische (austragende)
Mutter soll nicht dem Konflikt zwischen
der psychischen Bindung an ihr Kind und
der Zusage gegenüber den Wunscheltern
ausgesetzt werden und das Kind ist davor
LebensForum 115
LebensForum 115
der Leihmutter vor der Kommerzialisierung ihres Körpers, bedeutungslos wäre,
wenn die Rechtsumgehung der Wunscheltern nachträglich gültig erklärt würde.«
Ferner würde »die Verneinung der
Ordre public-Widrigkeit« die »rechtsanwendenden Behörden zwingen, ein durch
Rechtsumgehung erreichtes Kindesverhältnis als fait accompli (Anm. der. Redaktion: vollendete Tatsache) zu akzep-
Für Lebensrechtler in Deutschland ist
das Urteil der obersten Schweizer Richter in mehrfacher Hinsicht ermutigend:
Denn auch Deutschland steht eine Debatte über eine Liberalisierung des Verbots der Leihmutterschaft wie der Eizellspende bevor. Und auch deutsche Paare
– homosexuelle, aber auch heterosexuelle
– umgehen längst das geltende deutsche
Recht, indem sie im Ausland sittenwidri-
DANIEL RENNEN
zu schützen, dass es zur Ware degradiert
wird, die man bei Dritten bestellen könne.« Das Verbot der Leihmutterschaft gelte »unabhängig vom Zivilstand«.
Der US-amerikanische VaterschaftsEntscheid könne in der Schweiz nicht anerkannt werden, da er mit dem »Ordre
public«, den inländischen Wertvorstellungen, »schlechthin unvereinbar wäre«. Dabei halten die Richter ausdrücklich fest, das kalifornische Urteil sei nicht
deshalb »Ordre public-widrig«, »weil es
ein Kindesverhältnis zu zwei miteinander rechtlich verbundenen Männern herstellt«. Eine im Ausland ausgesprochene
Stiefkindadoption sei auch bei eingetragenen Lebenspartnern »grundsätzlich anerkennbar« und verstoße »nicht per se gegen den schweizerischen Ordre public«.
Und das, obwohl in der Schweiz Homosexuellen die Adoption eines Kindes, das
einer der Partner aus einer früheren heterosexuellen Verbindung mitbringt, bislang rechtlich untersagt ist.
Die beiden Männer hätten jedoch, als
sie in den USA einen Leihmutterschaftsvertrag abschlossen, die für die Schweiz
geltende Rechtsordnung bewusst umgangen. Dass die beiden Männer »als schweizerische Staatsangehörige mit Wohnsitz
in der Schweiz, ohne weiteren Bezug zu
Kalifornien – die Leihmutterschaft gerade zur Vermeidung des schweizerischen
Verbots in Kalifornien« vereinbart und
durchgeführt hätten, stelle eine »rechtlich relevante Rechtsumgehung dar«.
»Grund dafür ist«, so die Richter weiter,
»dass die Rechtsordnung offensichtlich
um die von ihr beabsichtigte Wirkung
ihrer Vorschriften gebracht werden soll,
wobei diese Vorschriften vor der Verletzung der Moral, das öffentliche Interesse
und die Menschenwürde schützen sollen«.
Da das Kind aber an der Rechtsumgehung der »Wunscheltern« keine Schuld
trage, prüften die Richter auch, ob die Anerkennung der in den USA ausgestellten
Geburtsurkunde im Interesse des Kindeswohls sein könne.
In ihrer schriftlichen Urteilsbegründung führen sie dazu aus: »Wohl ist es
möglich, dass die Anerkennung eines ausländischen Leihmutterschaftsurteils im
Interesse des Kindes ist.« »Ebenso gut«
sei jedoch denkbar, »dass sich ein Leihmutterschaftskind später als Objekt des –
durch das Recht verbotenen – Vorgehens
sieht. In diesem Fall würde ihm die Gültigerklärung der Verbotsüberschreitung
jedes Recht absprechen, sich als Opfer
zu fühlen.« »Sicher« sei jedenfalls, »dass
der Schutz des Kindes davor, zur Ware
degradiert zu werden, die man bei Dritten bestellen kann, aber auch der Schutz
Schweizer Bundesgericht: Leihmutterschaft verstößt gegen den »Ordre public«
tieren, womit der Fortpflanzungstourismus gefördert würde und das inländische
Leihmutterschaftsverbot weitgehend wirkungslos wäre«.
KONSEQUENZEN UND LEHREN
Die Richter verfügten, dass die kalifornische Geburtsurkunde von den Schweizer Behörden insoweit anzuerkennen sei,
soweit diese das Abstammungsverhältnis
des Kindes zu seinem genetischen Vater
beurkunde. Nicht anerkannt werde dagegen die Geburtsurkunde, soweit damit
ein Kindesverhältnis zwischen dem mittels künstlicher Befruchtung gezeugten
Kind und dem Lebenspartner des genetischen Vaters konstruiert wurde. Stattdessen wiesen die Richter die zuständige
Behörde an, »zusätzlich zum Kindesverhältnis gemäss Geburtsurkunde folgende
Angaben zur Abstammung einzutragen:
Genetische Mutter: anonyme Eizellspenderin«. Zu vermerken sei im Personenstandsregister ferner: »Gebärende Mutter:« und dahinter seien der Name, das
Geburtsdatum sowie der Wohnsitz der
Leihmutter einzutragen.
ge Leihmutterschaftsverträge abschließen
und anschließend über die deutschen Botschaften im Ausland eine Anerkennung
des gewünschten statt des tatsächlichen
Elternverhältnisses anstreben.
Bedenkt man, dass bei den mehrstufigen Verfahren der Laborzeugung auf jeder Stufe menschliche Embryonen sterben oder gar gezielt selektiert und getötet werden, so muss das Urteil der Schweizer Bundesrichter von Lebensrechtlern als
wegweisend betrachtet werden. Der Staat
kann zwar seine Bürger letztlich nicht daran hindern, etwas zu begehren und sich
andernorts auch zu beschaffen, das hierzulande aus guten Gründen verboten ist.
Aber er muss sich von ihnen auch nicht für
dumm verkaufen lassen und ihre rechtswidrigen Handlungen im Nachhinein zu heilen suchen. Dass Letzteres auch nicht im
Interesse des Wohles eines unschuldigen
Kindes ist, haben die Richter des Schweizer Bundesgerichts in ihrem höchstrichterlichen Urteil eindrucksvoll hervorgehoben. Vor allem aber hat der Staat dafür
Sorge zu tragen, dass Menschen nicht als
Ware (Kind) und Mittel zu ihrer Produktion (Leihmutter) herabgewürdigt werden.
15
AUSL AND
Fällt das Verbot der
Abtreibung in Chile?
Kommt nach Irland nun Chile an die Reihe? Geht es nach Chiles Präsidentin Michelle Bachelet,
dann gehört das Abtreibungsverbot, das in dem Andenstaat seit mehr als 25 Jahren gilt,
bald der Vergangenheit an. Anfang des Jahres reichte sie eine Gesetzesvorlage ein, mit der sich nun
der Kongress befasst hat. Wie auch immer das parlamentarische Verfahren am Ende ausgeht,
eines hat Bachelet bereits erreicht: Das traditionell katholische Land ist gespalten.
S
eit mehr als einem Vierteljahrhundert gehört Chile
zu den Ländern der Welt,
in denen vorgeburtliche Kindstötungen noch ausnahmslos verboten sind. Dass es dabei auch in
Zukunft bleiben wird, ist nun allerdings erstmals fraglich. Anfang August stimmte der Gesundheitsausschuss der großen Kammer des chilenischen Parlaments
mit acht gegen fünf Stimmen für
die Behandlung einer Gesetzesvorlage, mit der Chiles sozialistische Präsidentin Michelle Bachelet ein Wahlversprechen einzulösen gedenkt.
Bachelets Gesetzentwurf sieht
vor, Abtreibungen in Teilen zu legalisieren. Ihm zufolge sollen vorgeburtliche Kindstötungen in dem
Andenstaat zukünftig erlaubt sein,
wenn das Leben der Mutter in Gefahr ist, das Kind bei einer Vergewaltigung gezeugt wurde oder
Ärzte bei ihm eine schwere Missbildung diagnostizieren.
Die Reform der chilenischen
Abtreibungsgesetzgebung ist Teil
des Regierungsprogramms, mit
dem Bachelet, eine ausgebildete
Kinderärztin, 2013 die Wahlen in
Chile gewann. Stimmt die Abgeordnetenkammer der Gesetzesvorlage zu, muss sie noch durch den
Senat. Und selbst dann wäre das
Ende der Fahnenstange womöglich noch nicht erreicht. Nicht
wenige Experten halten es nämlich durchaus für möglich, dass
das Gesetzesvorhaben am Ende
16
BOLIVIEN
PAZIFIK
ARGENTINIEN
CHILE
ATL ANTIK
DANIEL RENNEN
Von Eckhardt Meister
vor dem Verfassungsgericht des
Landes landen werde: Ausgang
ungewiss.
Sicher ist hingegen, dass das
Vorhaben der Generalstochter das
Parlament und auch weite Teile
der Bevölkerung in dem traditionell katholischen Land spaltet. Als
symptomatisch für das Ausmaß der
Spaltung können zwei Kampagnen
betrachtet werden, die mit überaus drastischen Mitteln für beziehungsweise gegen die Liberalisierung vorgeburtlicher Kindstötungen zu Felde ziehen.
Auf der einen Seite steht die Organisation »Miles Chile«, die für
die sogenannten »Reproduktiven
Rechte« von Frauen eintritt. Sie
wirbt in professionell gemachten
Videos, die im Internet unter dem
Namen »Abortion Tutorials« firmieren, für das Gesetzesvorhaben.
In den ziemlich geschmacklosen
Clips gibt eine junge Frau ihren
Geschlechtsgenossinnen »Tipps«,
wie sie in Chile trotz des Abtreibungsverbots eine vorgeburtliche
Kindstötung erreichen könnten. So
sollten abtreibungswillige Frauen
etwa dafür sorgen, dass sie von einem gerade anfahrenden Auto erfasst würden oder die Absätze ihrer
High-Heels ansägen und dann so
fallen, dass sie mit ihrem schwangeren Bauch auf die Spitze eines
Hydranten treffen.
Nicht derart zynisch, aber dafür nicht minder schockierender
kommt die Kampagne »InformAborto« daher, bei der LebensLebensForum 115
Michelle Bachelet
Kind. Das Kind ist unschuldig, es ist das
zweite Opfer dieses Verbrechens. Eine
Abtreibung kann das Trauma der Vergewaltigung nicht ungeschehen machen. Im
Gegenteil. Die Abtreibung fügt diesem
Trauma noch ein weiteres Trauma hinzu.
Und das unschuldige Kind wird getötet«,
sagt Rosana Landaluce, die für die Anti-Abtreibungs-Kampagne arbeitet. Die
Spanierin ist vor mehr als 20 Jahren nach
Chile gezogen. Sie sei froh, in einem der
letzten Länder der Welt zu leben, das Abtreibung völlig verbietet. Jetzt kämpfe sie
dafür, dass das so bleibe.
Auch Vertreter der Katholischen Kirche sind über das Vorhaben betrübt. »Wir
sehen den Vorschlag, Abtreibungen in einzelnen Fällen zu erlauben, mit einiger Besorgnis, weil es in der Praxis einen Rückschritt für unsere Gesellschaft, für unsere
Kultur, bedeuten würde. Wir würden eine Form von Diskriminierung etablieren:
Wer darf leben? Und wer nicht? Das besorgt uns – sehr«, erklärt Fernando Ramos, Weihbischof des Erzbistums Santiago de Chile. »Aufgrund der teils traumatischen Erfahrungen, die wir in dieLebensForum 115
sem Land gemacht haben, stellt für uns
die Achtung der Menschenwürde, eines
jeden menschlichen Wesens, den Grundpfeiler für das Funktionieren unserer Gesellschaft dar«, sagt Ramos, der damit
auf die Militärdiktatur in Chile anspielt.
Der Erzbischof von Concepción, Fernando Chomali, sprach gar vom einem
»traurigen Tag für Chile«. Der Gesetzestext, den die beiden Kammern des Parlaments beraten werden, sei »taub gegenüber so vielen wunderbaren Erfahrungen
von Frauen, die dank einer liebevollen Begleitung oder Hilfe auch unter dramatischen Umständen ihr Kind zu Welt gebracht haben«, klagt Chomali. Auch wissenschaftliche Erkenntnisse zeigten, »dass
das Leben mit der Empfängnis beginnt«.
»Der Text ist auch taub gegenüber der
Anweisung der chilenischen Verfassung,
die die Pflege und den Respekt vor dem
Leben der Ungeborenen vorschreibt«,
so der Erzbischof weiter, der auch historische Vergleiche nicht scheut: »Auch
in anderen Ländern hat man damit angefangen, drei Ausnahmen zuzulassen,
und dann letztlich die freie Abtreibung
erlaubt«, warnt Chomali.
Vorgeburtliche Kindstötungen waren
bei Vorliegen einer medizinischen Indikation in Chile 1931 legalisiert worden.
Im September 1989 dekretierte jedoch
General Augusto Pinochet, kurz vor der
Aufgabe seiner Macht, ein absolutes Abtreibungsverbot. Keine der demokratisch
gewählten Regierungen der letzten 25
Jahre hat bisher eine Änderung in dieser
Frage für nötig gehalten.
Im chilenischen Fernsehen begründete Michelle Bachelet ihren Vorstoß unter
anderen damit, »dass die völlige Kriminalisierung nicht dazu beigetragen hat,
Abtreibungen zu verhindern«. Wie viele vorgeburtliche Kindstötungen in Chile vorgenommen werden, kann niemand
sagen. Harte Zahlen gibt es kaum. Die
Regierung spricht von rund 33.000 Fällen pro Jahr, die in Krankenhausakten
erfasst worden seien. Strafrechtlich verfolgt wurden laut einer 2014 veröffentlichten Studie zwischen Januar 2011 und
September 2012 nur 310 Fälle.
Die Schätzungen von Organisationen,
die Abtreibungen befürworten, sprechen
von 70.000 bis 160.000 Fällen im Jahr, darunter auch solche, die im Ausland durchgeführt worden seien.
Dabei ist Chile gar nicht das einzige
Land in Lateinamerika, das vorgeburtliche Kindstötungen unter allen Umständen gesetzlich verboten hat. Außer in
Chile existiert auch in Nicaragua, El Salvador und in der Dominikanischen Republik ein absolutes Abtreibungsverbot.
KURZ & BÜNDIG
Primas Welby gegen Sterbehilfe
London (ALfA). Der Primas der anglikanischen Kirche in England, Erzbischof Justin
Welby, hat vor einer Liberalisierung der
Sterbehilfe in Großbritannien gewarnt. Ein
Recht auf Suizid würde einen »rechtlichen
und ethischen Schritt über den Rubikon«
bedeuten, schrieb der Erzbischof von Canterbury in einem
Gastbeitrag für den
britischen »Observer«. Beihilfe zur
Selbsttötung »aus
Mitleid« bliebe in
der Praxis schon
jetzt strafffrei. Ein
entsprechender
Rechtsanspruch
würde auch die
Rolle der Ärzte
grundlegend ändern. Ein entsprechendes Gesetz
Justin Welby
gefährde »viele
Tausend« schutzbedürftiger Menschen.
Beihilfe zum Suizid ist in Großbritannien
verboten und kann theoretisch mit bis zu 14
Jahren Haft geahndet werden. Das britische
Parlament beriet Mitte September erstmals
über einen Gesetzentwurf, der dies ändern
will. Nach Schätzungen der Senioren-Hilfsorganisation »Age UK« erlitten jährlich 500.000
alte Menschen in Großbritannien Formen
der Gewalt. Es sei »unmöglich sicherzustellen, dass sie und andere Schutzbedürftige
nicht unter Druck gesetzt werden, ihr Leben
vorzeitig zu beenden, ohne dass die vorgeschlagenen Schutzinstanzen dies feststellen
können«, so das Oberhaupt der anglikanischen Kirche. In den US-Bundesstaaten Oregon und Washington, in denen Sterbewillige
sich tödliche Pharmaka verschreiben lassen
können, gäben vier beziehungsweise sechs
von zehn Patienten als ein Motiv die Sorge
an, ihren Angehörigen zur Last zu fallen, so
Welby. Mit der gesetzlichen Freigabe des
assistierten Suizids falle »jeder wirksame
Schutz gegen diese Sorge weg«, ganz zu
schweigen von einem »heimlichen Druck«,
der tatsächlich von Verwandten vermittelt
werden könnte. Welby äußerte die Befürchtung, ein Suizidhilfe-Gesetz leiste einer
Gesellschaft Vorschub, »in der das einzelne
Leben nicht mehr wert ist, geschützt, gewürdigt und verteidigt zu werden«. Mit dem
katholischen Kardinal Vincent Nichols und
Vertretern anderer Glaubensgemeinschaften
hatte Welby einen Aufruf gegen das geplante Gesetz unterzeichnet. Darin heißt es, die
Möglichkeit eines vorzeitigen Todes sei für
die Betreffenden kein Trost, sondern sei eine
zusätzliche Last.
reh
FOREIGN AND COMMONWEALTH OFFICE
COMANDO MICHELLE BACHELET
rechtler mit Kleintransportern und großformatigen Plakaten, auf denen die Leichen abgetriebener Kinder zu sehen sind,
durch Chiles Städte touren. Dass auf beiden Seiten zu derart schweren Geschützen gegriffen wird, ist sicher nicht nur
dem lateinamerikanischen Temperament
geschuldet, sondern zeigt auch, wie sehr
die Frage das Land spaltet.
»Vergewaltigung ist nach der Abtreibung der schlimmste Angriff auf Frauen. Aber bei diesem Verbrechen ist der
Kriminelle der Vergewaltiger, nicht das
17
AUSL AND
Klare Absage
Mit einer Dreiviertel-Mehrheit hat das britische Unterhaus Anfang September einen Gesetzentwurf
vom Tisch gefegt, der den ärztlich assistierten Suizid in Großbritannien legalisiert hätte.
Auf der Insel ist die Beihilfe zur Selbsttötung eine Straftat. Und auch wenn sie seit langem
längst nicht mehr in jedem Fall verfolgt wird – zur Normalität wollen die Briten sie offenbar auch
nicht erheben. Deswegen stimmten sie nun dagegen, sie in die Hände von Ärzten zu legen.
Von Sebastian Sander
Die ist in Großbritannien laut dem
»Suicide Act« von 1961 strafbar und kann
theoretisch sogar mit bis zu 14 Jahren Haft
geahndet werden. Theoretisch. Denn
DANIEL RENNEN
B
iopolitisch gesehen gehört Großbritannien zu den liberalsten Ländern der Erde. 1978 erblickte mit
Louise Brown hier nicht nur das erste mittels künstlicher Befruchtung im Labor erzeugte Kind das Licht der Welt. Auf den
britischen Inseln sind längst auch die Forschung mit embryonalen Stammzellen
und das Klonen menschlicher Embryonen
zu Forschungszwecken legal. Gesetzlich erlaubt ist ferner die Präimplantationsdiagnostik (PID), also die Selektion
von im Labor erzeugten Embryonen vor
ihrem Transfer in den Uterus der Mutter. Und zwar sowohl, um zu verhindern,
dass Eltern genetisch vererbbare Krankheiten auf ihre Nachkommen übertragen,
als auch, um sogenannte Designer-Babys
zu erzeugen, die als Zellspender für erkrankte Geschwisterkinder dienen
sollen. Auch die Produktion von
Tier-Mensch-Mischwesen ist
in Großbritannien seit langem legal. Seit Anfang
dieses Jahres dürfen
Reproduktionsmediziner hier sogar
Drei-Eltern-Babys
erzeugen.
Es ist nicht so,
dass ethische Argumente in den biopolitischen Debatten der Briten
keine Rolle spielten. Aber dass sie
sich auf der Insel
besonderer Wertschätzung erfreuten oder gar ausschlaggebend wären, wird man auch nicht behaupten können. Insofern hat auch Experten die klare Mehrheit überrascht, mit
der das britische Unterhaus Ende vergangener Woche einen Gesetzentwurf
ablehnte, der auf eine Legalisierung der
Beihilfe zum Suizid abzielte.
IRL AND
18
2010 erließ der damalige britische
Chefankläger Sir Keir Starmer neue
Richtlinien für den Umgang der Strafverfolgungsbehörden mit Personen, die
im Verdacht stehen, Beihilfe zum Suizid geleistet zu haben. In diesen wurden
die Staatsanwälte angewiesen, von einer
Strafverfolgung der Suizidhilfe abzusehen, wenn »das Opfer eine freie, klare,
geregelte und informierte Entscheidung,
Suizid zu begehen, erreicht« habe und
der Suizidhilfe-Verdächtige »vollständig von Mitleid motiviert wurde«. Ferner darf laut den Richtlinien die Handlung des Helfers, »obwohl ausreichend
um als Straftat definiert zu werden, nur
eine geringe Unterstützung oder Hilfe«
darstellen. Darüber hinaus muss der Suizidhelfer nach der begangenen Tat den
Suizid des Opfers bei der Polizei melden
und bereit sein, diese »in vollem Umfang bei der Aufklärung der Umstände« zu unterstützen.
Vorausgegangen war der Überarbeitung der Richtlinien ein
Gerichtsurteil. Darin hatten
die auch »Law Lords« genannten Richter, die zugleich
dem »House of Lords«, also dem Senat des britischen Parlaments,
angehören, 2009
verfügt, der britische Chefankläger
müsse die Kriterien veröffentlichen,
nach denen er Anklage in jenen Fällen zu erheben gedenkt, in denen britische Bürger Personen begleiten, die sich in der Schweiz das Leben zu nehmen beabsichtigen.
Geklagt hatte die damals 46-jährige
Debbie Purdy. Die an Multipler Sklerose erkrankte und im Alter von 51 Jahren
G R O S S B R I TA N N I E N
in der
Praxis wird davon schon lange kein Gebrauch mehr gemacht.
LebensForum 115
DEUTSCHE STIFTUNG PATIENTENSCHUT
MARCO GOVEL/FOTOLIA.COM
in einem Hospiz verstorbene Frau, die
sich mit solchen Gedanken trug, wollte wissen, inwieweit ihrem Mann eine
Strafverfolgung in Großbritannien drohe, wenn er sie eines Tages in die Schweiz
begleiten sollte.
In ihrem Urteil gingen die Lordrichter jedoch weit über ihre Aufgabe, Recht
zu sprechen, hinaus. In ihrer 43 Seiten
umfassenden Entscheidung ließen sie
wenig Zweifel daran, dass sie den »Suicide Act« für hoffnungslos überholt halten. Und zwar vor allem, weil das Gesetz
dem heute vorherrschenden Verständnis
des Begriffs der Selbstbestimmung keine
Rechnung trage.
Das sieht das britische Unterhaus offenbar anderes. Mit 330 gegen 118 Stimmen lehnten die Mitglieder des »House
of Commons« am Freitag einen von dem
Labour-Abgeordneten Rob Marris initi-
Eugen Brysch
ierten Gesetzentwurf ab. Der sah vor, dass
Patienten mit einer Lebenserwartung von
weniger als sechs Monaten sich von Ärzten eine tödliche Dosis Medikamente verschreiben lassen können, um damit Suizid
begehen zu können. Marris begründete
seinen Gesetzentwurf damit, der derzeit
geltenden Gesetzgebung fehle die Ausgewogenheit. Sie gehe an den Bedürfnissen von Sterbenskranken, deren Familien und Ärzten vorbei. Es gebe »zu viele Amateur-Suizide und zu viele Leute,
die zu Sterbehilfeorganisationen wie Dignitas gehen«.
Sein Labour-Kollege Keir Starmer –
der frühere Chefankläger sitzt seit 2015
im britischen Unterhaus – sagte, das geltende Recht toleriere amateurhafte Suizidbeihilfe durch mitleidende Angehörige, schließe aber professionelle Hilfe
aus. Es bleibe dann nur der Ausweg, zum
LebensForum 115
Sitz des bioethisch meist liberalen britischen Parlaments
Sterben in die Schweiz zu reisen. Das sei
ungerecht. »Wir sind in unseren eigenen
rechtlichen Arrangements gefangen.«
Dass er dazu maßgeblich beigetragen hat,
indem er die »Beihilfe zur Selbsttötung
aus Mitleid« von der Strafbarkeit ausgenommen hatte, sagte er nicht.
Die Tories-Abgeordnete Fiona Bruce erklärte, die Gesetzesvorlage entbehre derart der Schutzmechanismen für
Patienten, dass es »zum Lachen wäre,
wenn der Gegenstand nicht so ernst wäre«. Das Parlament habe Wehrlose zu
schützen und »keine Gesetze zu erlassen,
die sie töten«. Ihre Parteifreundin Caroline Spelman argumentierte, aus einem
»Recht zu sterben« könne »schnell eine
Pflicht zu sterben werden«.
Die Katholische Kirche begrüßte die
Ablehnung des Entwurfs durch gut drei
Viertel der Mitglieder des britischen Un-
»Wird bereits nicht verfolgt: Hilfe
zur Selbsttötung ›aus Mitleid‹«
terhauses. Der stellvertretende Vorsitzende der Bischofskonferenz von England und Wales, Erzbischof Peter Smith
von Southwark, erklärte, der Entwurf
enthalte »schwere Risiken« für das Leben schutzloser Patienten. Es gebe inzwi-
schen »exzellente Möglichkeiten« für die
Palliativmedizin. Diese sollten im Fokus
der parlamentarischen Debatten stehen.
In Deutschland begrüßte die Deutsche
Stiftung Patientenschutz den Ausgang der
Abstimmung. Der Vorstand der Stiftung,
»Nicht grenzenlos: Das Recht
auf Selbstbestimmung«
Eugen Brysch, erklärte: »Es ist gut, dass
sich Großbritannien gegen jede Form
der organisierten Suizidhilfe ausgesprochen hat.« Das Votum mache »Mut für
die Sterbehilfediskussion in Deutschland«.
Am 6. November will der Deutsche
Bundestag in Zweiter und Dritter Lesung
abschließend über die rechtliche Neuregelung der Beihilfe zum Suizid beraten.
Hier ähnelt ein von den Abgeordneten Peter Hintze (CDU) und Karl Lauterbach
(SPD) initiierter Gesetzentwurf sehr dem
Entwurf, dem das »House of Commons«
jetzt eine klare Absage erteilte. Mit ihm
wollen die Parlamentarier im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) festschreiben,
dass Ärzte unheilbar kranke Patienten bei
einem Suizid unterstützen können. Durch
die Regelung im BGB soll das Ärztliche
Standesrecht, das dem bislang entgegensteht, außer Kraft gesetzt werden.
19
MEDIZIN
Künstliche Befruchtung
lässt Gefäße schneller altern
Vom 29. August bis 2. September veranstaltete die Europäische Gesellschaft für Kardiologie einen
Kongress in London. In dessen Verlauf veröffentlichte die Deutsche Gesellschaft für
Kardiologie eine Pressemitteilung, die für Lebensrechtler von besonderem Interesse sein dürfte
und die »LebensForum« daher nachfolgend ungekürzt im Wortlaut veröffentlicht:
London/Bern/Berlin, 1. September 2015
– Neuere Studien liefern Hinweise darauf, dass In-vitro-Fertilisation ein neuer
wichtiger Risikofaktor für Herz-Kreislauf- und Stoffwechsel-Erkrankungen
sein könnte. Das berichtete Dr. Emrush
Rexhaj (Inselspital Bern) auf dem Kongress der Europäischen Kardiologischen
Gesellschaft (ESC) in London.
Eine kürzlich publizierte Studie über
»Retortenbabies« zeigte eine ausgeprägte
generalisierte Funktionsstörung der Gefäße und eine deutlich erhöhte Gefäßwanddicke (Intima-Media Dicke, IMT)
der Halsschlagader im Vergleich zu Kontrollkindern. Im Gegensatz dazu war die
Gefäß-Funktion zum Beispiel der Eltern dieser IVF-Kinder und bei natürlich gezeugten Geschwistern der IVFKinder normal. Dr. Rexhaj: »Das erlaubt
»Bei IVF-Kindern manifestierte
sich ein erhöhter Blutdruck«
den Schluss, dass IVF per se die Funktionsstörung der Gefäße verursacht.« Die
Funktionsstörung der Gefäße zusammen
mit der erhöhten IMT entsprach bereits
dem ersten Stadium einer vorzeitigen Arteriosklerose.
Als erste Folge der arteriellen Funktionsstörung der Gefäße manifestiert sich
bei IVF-Kindern bereits in jungen Jahren ein erhöhter Blutdruck im Vergleich
zu Kontrollgruppen, sagt Dr. Rexhaj: »In
unserer 5-Jahre Folge-Studie bestand bei
IVF-Kindern die Funktionsstörung der
Gefäße weiter, und 24h-Blutdruckmessungen zeigten signifikant erhöhte systolische und diastolische Blutdruckwerte. Diese Daten sprechen für eine wahr20
scheinliche Zunahme der Häufigkeit von
arteriellem Bluthochdruck in der IVFPopulation bereits in jungen Jahren.«
Zusammengefasst zeigen die vorliegenden Daten, dass beim Menschen und
im Tiermodell IVF per se zu vorzeitiger
Gefäßalterung und arteriellem Bluthochdruck führt. Im Mausmodell ist ein sogenannter epigenetischer Mechanismus
für diese Veränderungen verantwortlich,
erklärt Dr. Rexhaj. Epigenetik befasst
sich mit der Vererbung von nicht genetisch festgelegten Eigenschaften. Männliche IVF-Mäuse vererben zum Beispiel
die Funktionsstörung der Gefäße an die
nächste Generation. Ein Zusammenhang
zwischen schädlichen Einflüssen während
der Foetalzeit und einer erhöhten Häufigkeit von kardiovaskulären und metabolischen Erkrankungen im späteren Leben konnte bereits vielfach gezeigt werden, so Dr. Rexhaj. IVF umfasst die Manipulation des frühen Embryos in einer
möglicher Weise besonders empfindlichen Phase: »Ein ähnlicher Mechanismus
wird bei IVF-Kindern angenommen.«
»Die IVF-Population ist noch sehr
jung, vorzeitige kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität tritt normalerweise
ab dem fünften Lebensjahrzehnt auf. Es
werden deshalb weitere 20 bis 30 Jahre
vergehen, ehe sich genaue Zahlen zu den
IVF-induzierten kardiovaskulären Endpunkten herauskristallisieren werden«,
so Dr. Rexhaj. »Das bedeutet, dass die
pränatale Anamnese integraler Bestandteil jeder Anamnese sein und bei der Implementation von kardiovaskulärer Prävention und/oder der Behandlung kardiovaskulärer Krankheiten Berücksichtigung finden sollte.«
Die weltweite Infertilitäts-Häufigkeit
wird konstant auf etwa neun Prozent geschätzt. Bereits heute werden in westlichen Ländern zwei bis fünf Prozent aller
Geburten mit Hilfe von IVF ermöglicht.
»Diese neuen Daten machen deutlich,
dass sich hier mittelfristig wohl ein Faktor entwickelt, der künftig einen relevanten Einfluss auf die Herz-Kreislaufmorbidität haben wird und daher in der Versorgungsplanung berücksichtigt werden
sollte«, so der Pressesprecher der DGK
Prof. Eckart Fleck (Berlin).
Quelle: ESC 2015 Abstract Assisted reproductive technologies-induced premature vascular
ageing persists and evolves into arterial hypertension in adolescents; E. Rexhaj, R. Von
Arx, D. Cerny, R. Soria, E. Bouillet, C. Sartori,
U. Scherrer, SF. Rimoldi
INFO
Anm. d. Redaktion
Über Studien, die zeigen, dass Kinder,
die mittels künstlicher Befruchtung erzeugt werden, eine höhere Fehlbildungsquote aufweisen als Kinder, die
auf natürlichem Wege gezeugt werden,
wurde in »LebensForum« schon häufiger berichtet. Reproduktionsmediziner
wenden dagegen regelmäßig ein, solche Studien zeigten lediglich Korrelationen auf und belegten keineswegs, dass
die bei der künstlichen Befruchtung verwandten Verfahren ursächlich für die
höhere Fehlbildungsquote seien. Viel
wahrscheinlicher sei, dass als Ursache
für die höhere Fehlbildungsquote die
schlechtere Qualität der Ei- und Samenzellen angenommen werden müsste, da
ihre Spender häufiger ein höheres biologisches Alter besäßen und sich erst
dann an Reproduktionsmediziner wendeten, wenn Versuche, Kinder auf natürlichem Wege zu zeugen, erfolglos blieben. Zumindest in diesem Fall scheint
das Studiendesign andere Schlussfolgerungen zuzulassen.
reh
LebensForum 115
DPA
MEDIZIN
Trau keinem Test
unter dreißig
Die börsennotierte Konstanzer BioTech-Firma LifeCodexx AG hofft, dass der von ihr entwickelte PraenaTest demnächst zu einer Regelleistung der gesetzlichen Krankenkassen wird. Mit dem umstrittenen Bluttest können schwangere Frauen ihr ungeborenes Kind unter anderem auf das DownSyndrom testen lassen. Unser Autor, selbst Labormediziner und Vorsitzender der »Ärzte für das Leben« (ÄfdL), erklärt, warum eine Ausweitung des PraenaTests massenhaft falsch-positive Ergebnisse
mit sich brächte und welche Konsequenzen dies für die betroffenen Kinder und Eltern hätte.
Von Professor Dr. med. Paul Cullen
S
eit 2012 ist es möglich, ungeborene Kinder mit Down-Syndrom anhand einer Untersuchung des mütterlichen Blutes zu identifizieren. In aller Regel werden diese Kinder
dann auch abgetrieben und somit getötet – denn eine Therapie für das Down-Syndrom
gibt es derzeit nicht. Wir haben es bei diesem Test also
nicht mit der Diagnose einer
Krankheit, sondern mit Selektion zu tun.
Bei der Einführung dieses »nicht-invasiven vorgeburtlichen Tests« (engl.:
non-invasive prenatal diagnostics, NIPD)
wurde neben der Einfachheit und Risikolosigkeit der Untersuchung insbesondeLebensForum 115
re die sehr hohe Treffsicherheit der Methode ins Feld geführt. Aber wie misst
man eigentlich die »Treffsicherheit« eines Tests? Um dies zu verstehen, wird es
troffenen (in der Regel Kranke von Gesunden) trennen kann. Um dies zu ermitteln, wird die Methode bei einer Gruppe
von Kranken und einer Gruppe von Gesunden angewendet und die
Anzahl der Fälle gezählt, die
ein zutreffendes beziehungs»Es gibt Lügen und verdammte Lügen, weise ein nicht-zutreffendes
Ergebnis aufweisen.
und dann gibt es die Statistik ...«
Um dies an einem einfachen
Mark Twain
Beispiel zu illustrieren, gehen
wir bei diesem zunächst von
100 Kranken und 100 Gesunleider nötig sein, ein wenig ins Grundden aus. Bei einem perfekten Test würde
sätzliche zu gehen.
alle 100 Kranke ein »positives« TesterDie Treffsicherheit einer Untersugebnis und alle 100 Gesunde ein »negatichungsmethode wird daran gemessen, wie
ves« Testergebnis aufweisen. (Zur Erkläzuverlässig sie Betroffene von Nicht-Berung: In der medizinischen Fachsprache
21
MEDIZIN
werden die Begriffe »positiv« und »negativ« in Bezug auf Untersuchungsergebnisse meist so verwandt, dass sie genau
das Gegenteil dessen meinen, was sie in
anderen Kontexten bedeuten). Als Mediziner reden wir, um bei unserem Beispiel
zu bleiben, daher von einer Richtig-Positivrate und Richtig-Negativrate von jeweils 100 Prozent, beziehungsweise von
einer Falsch-Positiv- und Falsch-Negativrate von jeweils null Prozent.
Einen derart perfekten Test wie in unserem Beispiel gibt es jedoch in der ganzen Medizin nicht. Vielmehr weist jeder
Test einen gewissen Anteil an Ergebnis-
viele Methoden wird sogar der »Normbereich« als der Bereich definiert, der 95
Prozent der gesunden Bevölkerung einschließt, so dass fünf Prozent aller Gesunden ein »abnormes« Testergebnis aufweisen müssen).
So gesehen überrascht es nicht, wenn
die Konstanzer Firma LifeCodexx (wie
auch inzwischen andere NIPD-Anbieter) bei der Einführung des PraenaTests
mit der hohen Treffsicherheit der Methode werben. Und in der Tat lässt sich die
Treffsicherheit dieser Untersuchungsmethoden unter technischen Gesichtspunkten durchaus sehen. Auf ihrer Website
Gleichwohl sind Kennziffern wie die
»Falsch-Positivrate« und die »Falsch-Negativrate« nur die halbe Wahrheit. Denn
entscheidend in der täglichen Praxis ist
nicht, wie oft ein Test bei 100 Kranken
positiv oder negativ wird, sondern was
das Testergebnis im konkreten Einzelfall bedeutet.
Diese Aussage nennt man die positive
oder negative Vorhersagekraft eines Testergebnisses. Im Falle der NIPD lautet
die wichtigste Frage: »Was ist die Wahrscheinlichkeit bei einem positiven Testergebnis, dass diese Frau, die vor mir sitzt,
tatsächlich ein Kind mit Down-Syndrom
austrägt?« Überraschenderweise hängt die
Antwort auf diese Frage in erster Linie
nicht von der Treffsicherheit des Tests,
sondern von der Wahrscheinlich eines
Kindes mit Down-Syndrom bei der betroffenen Frau ab.
Dieser Umstand ist sehr wichtig, denn
die Häufigkeit des Down-Syndroms hängt
sehr vom Alter der Mutter (und zu einem
geringeren Grad auch vom Alter des Vaters) ab. Bei einer 20-jährigen Mutter liegt
das Risiko einer Schwangerschaft mit einem Down-Syndrom-Baby beispielsweise bei etwa 1:2.000. Wir wissen aber, dass
von 1.000 Schwangerschaften mit Babys
ohne Down-Syndrom der Test in einem
Fall »falsch-positiv« sein muss. Wird also
»Bei 20-jährigen Schwangeren
beträgt das Risiko etwa 1:2.000«
»Zuverlässig. Schnell. Sicher.«: So wird der Praenatest beworben
sen auf, die nicht richtig sind: Das heißt,
es wird bei den Gesunden trotzdem einige Testergebnisse geben, die fälschlicherweise »positiv« ausschlagen, sowie
es unter den Kranken immer auch solche
Testergebnisse geben wird, die fälschlicherweise »negativ« ausschlagen. Für
»Einen perfekten Test
gibt es nicht«
viele Untersuchungsmethoden, die jeden Tag eine breite Anwendung finden,
sind Falsch-Positiv- und Falsch-Negativraten in der Größenordnung von zehn
Prozent überhaupt keine Seltenheit. (Für
22
wirbt LifeCodexx beispielsweise damit,
dass ihr Test eine Detektionsrate von mindestens 98 Prozent (anders ausgedrückt,
eine Falsch-Negativrate von weniger als 2
Prozent) und eine Falsch-Positivrate von
rund 0,1 Prozent aufweist.
Das bedeutet, dass statistisch betrachtet
von 100 schwangeren Frauen, die tatsächlich ein Baby mit Down-Syndrom erwarten, nur zwei mittels des PraenaTests fälschlicherweise als Mütter ausgewiesen würden, deren Kind »kein Down-Syndrom«
aufweise. Und von 1.000 Frauen, deren
Babys tatsächlich kein Down-Syndrom
aufweisen, würde nur eines aufgrund des
Tests fälschlicherweise mit dem »Verdacht
auf Down-Syndrom« befundet. Aus Sicht
eines Labormediziners sind diese Werte
sensationell hoch und von kaum einer anderen Laboruntersuchung zu übertreffen.
der PraenaTest bei 2.000 jungen Frauen
mit Niedrigrisikoschwangerschaften angewendet, so müssen wir im Schnitt mit
drei positiven Testergebnissen rechnen.
Doch nur eines davon ist auch »richtigpositiv« und betrifft das Kind, das auch
tatsächlich Träger des Down-Syndroms
ist. Die beiden anderen sind »falsch-positive« Testergebnisse. Das bedeutet aber
im Ergebnis nichts anderes, als dass bei
solchen Niedrigrisikoschwangeren etwa
zwei Drittel der positiven Testergebnisse
(rund 66 Prozent) falsch-positiv und damit auch tatsächlich falsch sein müssen.
Dies entspricht im Übrigen auch den Angaben des Deutschen Ethikrats, der im
April 2013 geschätzt hatte, dass in Niedrigrisikoschwangerschaften zwei Drittel
der positiven Testergebnisse falsch-positiv sein könnten.
Als der PraenaTest und die anderen
NIPDs eingeführt wurden, hat man lediglich die sogenannten »Hochrisikoschwangerschaften« als Zielgruppe idenLebensForum 115
DPA
tifiziert. Außerdem wurde empfohlen,
den Test erst ab der neunten Schwangerschaftswoche einzusetzen. Möglicherweise getrieben durch die rege Konkurrenz
auf diesem Sektor sieht man sich inzwi-
»Gesellschaftliches Problem wird
in die Arztpraxen verlagert«
schen dazu veranlasst, diese Zielgruppe
zu erweitern. Diese Erweiterung erfolgt
erstens durch eine Ausweitung der Indikation. Das heißt, es wird nicht nur nach
Down-Syndrom, sondern auch nach anderen erblichen Störungen (beispielsweise den Trisomien 15 und 18 (PraenaTest),
dem Turner-Syndrom (Panorama-Test)
sowie nach den Geschlechtschromosomen zur Bestimmung des Geschlechts
(alle NIPD-Verfahren)) gefahndet.
Sodann wird der Test Schwangeren
angeboten, die nicht zu einer Hochrisikogruppe gehören, sprich Frauen unter
35 Jahren bis hin zu allen schwangeren
Frauen unabhängig vom Alter. Schließlich versucht man, durch technische Verbesserungen die Empfindlichkeit des Tests
zu erhöhen, so dass er auch in einer möglichst frühen Phase der Schwangerschaft
verwendet werden kann. So ist es heute
zum Beispiel möglich, ein Ergebnis des
PraenaTests deutlich vor der 12. Schwangerschaftswoche zu erhalten, was bedeutet, dass Abtreibungen noch innerhalb der
Drei-Monats-Frist und ohne Angabe einer
Indikation durchgeführt werden können.
Damit aber sind viele der Bedenken,
die Gegner dieser Untersuchung bei ihrer Einführung geltend gemacht haben,
bereits drei Jahre später Realität. Insbesondere durch die Ausweitung der Untersuchung auf Niedrigrisikoschwangerschaften weicht die Treffsicherheit der
Untersuchung deutlich von der ab, die
durch die Zahlen, mit denen die Hersteller werben, suggeriert wird. Hierbei
muss bedacht werden, dass die FalschPositivrate der Untersuchung umso höher steigt, je seltener Chromosomenstörungen wie Down-Syndrom bei der untersuchten Alterskohorte vorkommen.
Bedenkt man nun, dass der Test aber
gerade deshalb angewendet wird, um die
Chancen der Eltern auf ein »gesundes«
Kind möglichst zu erhöhen, entbehrt diese Situation nicht einer gewissen Ironie.
Selbst die Frauenärztinnen der »Arbeitsgemeinschaft Frauengesundheit«, die für
»das Recht [einer Frau], ... eine Schwangerschaft abzubrechen, deren Austragen
LebensForum 115
Bei Niedrigrisikoschwangeren müssen zwei Drittel der Testergebnisse falsch sein
sie körperlich oder seelisch überfordert«,
eintreten, sind über diese Entwicklung besorgt. »Wir sehen«, schreiben sie, »dass
durch eine immer ausgefeiltere Pränataldiagnostik ein gesellschaftliches Problem,
»Das Prinzip dieser Testung gerät
völlig ad absurdum«
nämlich der Umgang mit einem Leben
mit Behinderung ... in unsere Arztpraxis verlagert wird. Wir befürchten, dass
ein risikoorientierter Denkstil sich mit
hohen leistungsorientierten und ästhetischen Anforderungen an Kinder verbindet, während Bemühungen um Inklusion von Menschen mit Behinderung
aus dem Blickfeld geraten. Eine bewusste Entscheidung für ein erkranktes oder
behindertes Kind droht immer schwieriger zu werden.«
Wir haben bei solchen Untersuchungen das Ende der Fahnenstange noch lange
nicht erreicht. Schon in wenigen Jahren
werden NIPD-Methoden verfügbar sein,
mit denen sich Mutationen in einzelnen
Genen feststellen lassen werden. Dadurch
werden nicht nur Erbkrankheiten wie die
zystische Fibrose oder die Muskeldystrophie feststellbar sein, sondern auch Gene für Krankheiten oder Krankheitsrisiken, die sich erst im Erwachsenenleben
manifestieren, wie Morbus Huntington
oder hereditärer Brustkrebs. Ähnlich einer Hollywood-Diva, die bei dem verzweifelten Versuch, die Zeichen des Alterns aufzuhalten, zu immer drastischeren schönheitschirurgischen Maßnah-
men greift, versucht unsere Gesellschaft
inzwischen wirklich alles, um Behinderte restlos auszuselektieren und das »perfekte« Kind zu gewährleisten.
So sind wir auch bereit, diesem Bemühen Nicht-Behinderte wissentlich zu opfern. Aber selbst ein Test, der restlos alle
genetischen Störungen erkennen könnte,
würde letztlich wenig ausrichten, da über
95 Prozent aller Behinderungen erst nach
der Geburt durch Unfälle oder Krankheit entstehen.
So gerät das Prinzip dieser Testung
vollends ad absurdum. Dass die Akzeptanz von Behinderungen und behinderten
Menschen durch diese frustrane Übung
nicht gerade erhöht wird, liegt auf der
Hand. Vielmehr ist zu befürchten, dass
die Selektion umso wütender um sich
greifen wird, je deutlicher ihre Impotenz
sichtbar wird.
IM PORTRAIT
Professor Dr. med. Paul Cullen
Der 1960 in Dublin geborene Autor ist
Labormediziner, Internist und Molekularbiologe. Er leitet
ein großes medizinisches Labor in
Münster und ist
außerordentlicher
Professor für Laboratoriumsmedizin
an der dortigen Universität. Seit vier
Jahren ist er zudem Vorsitzender des
Vereins »Ärzte für das Leben«, der sich
dem Schutz des menschlichen Lebens
von der Empfängnis bis zum natürlichen
Tod widmet. Mehr Infos:
www.aerztefuerdasleben.de.
23
MEDIZIN
Neuer Trend: Babyfernsehen
Nicht nur in Deutschland nehmen die Ultraschalluntersuchungen (vgl. S. 12 f. dieser Ausgabe)
dramatisch zu. Der in den westlichen Industrieländern zu beobachtende Trend
hat offenbar zwei Ursachen. Paare wollen sichergehen, dass mit dem Kind auch wirklich
alles stimmt. Nun warnen Experten vor unnötigem »Babyfernsehen«.
Von Dr. med. vet. Edith Breburda
G
ynäkologen in den USA warnen vor zu vielen Ultraschalluntersuchungen bei normalen
Schwangerschaften. Milena Mrosovsky
erzählt, dass sie mindestens ein Dutzend
Ultraschalluntersuchungen hatte, als sie
schwanger war. »Ich war glücklich über
die vielen Bilder und klebte sie alle in mein
kleines Album.«
Solche Aussagen sind nicht ungewöhnlich für Eltern. Amerikanische Frauen
lassen heute immer mehr Ultraschalluntersuchungen an ihren Ungeborenen
durchführen. Sie posten die Bilder stolz
auf Facebook oder in anderen sozialen
Netzwerken.
Seit 2004 konnte man einen 92-prozentigen Anstieg dieser Untersuchungen
beobachten. Jeder Besuch beim Arzt beinhaltet eine Ultraschalluntersuchung. Experten warnen nun davor, dass es medizinisch nicht gerechtfertigt ist, bei einer risikoarmen Schwangerschaft so viele Untersuchungen durchführen zu lassen. Im
Mai 2014 machten verschiedene medizinische Gesellschaften, wie auch die amerikanischen Gynäkologen und Geburtshelfer, darauf aufmerksam, dass eine oder
zwei Untersuchungen bei einer Schwangerschaft ohne Komplikationen genügen
sollten. »Ultraschall sollte für die kurzmöglichste Zeit und mit der geringsten
Energiefrequenz an einem Ungeborenen
angewendet werden, und auch nur dann,
wenn es unbedingt nötig ist«, empfehlen
die Fachleute.
Daniel O’Keefe, Vizepräsident der Gesellschaft für Maternal-Fetal Medicine,
schreibt 2013 im medizinischen Journal
»Seminars Perinatology«, dass 4 bis 5 Ultraschalluntersuchungen übertrieben seien. Wenn Frau Milena Mrosovsky dieses
Wissen bei ihrer Schwangerschaft gehabt
hätte, wäre sie nicht so naiv den Anweisungen ihres Doktors gefolgt. »Früher bestand man auf einer Untersuchung um die
20. Woche herum. Neuerdings empfiehlt
man die 12. Woche. Leider lesen Ärzte
24
nicht ihre Fachzeitungen«, so O’Keeffe.
Ob Ultraschall dem Fötus schadet, untersuchte man das letzte Mal 1992. Damals war die Dosierung, mit der die Apparate arbeiteten, viel geringer. Die Schallwellen, die letztendlich vom Körper des
Ungeborenen reflektiert oder absorbiert
werden, verwandeln sich in elektrische
Impulse, die vom Ultraschallgerät verstärkt und auf einem Bildschirm dargestellt werden.
Wie man heute weiß, sind zu viele
Mammogramme, Darmspiegelungen und
andere medizinische Ultraschalluntersuchungen meistens gar nicht notwendig.
Eltern sind jedoch begeistert, dass ihnen
die moderne Technik einen Einblick in die
Gebärmutter ermöglicht. Immer genauere Bilder werden gemacht, weil man wissen will, wie das Baby aussieht. Ob man
dafür nun mehr Schallintensität benötigt
und eventuell dem Kind schadet, scheint
kaum einen zu interessieren.
»Selbst Ärzte machen sich über die Sicherheit von pränatalen Ultraschalluntersuchung keine weiteren Gedanken. Krebs
kann man davon nicht bekommen, es sei
schließlich keine Röntgenstrahlung damit verbunden«, sagt Jacques Abramowicz von der Wayne-State-Universität.
Ärzte warnen Frauen, sie sollten keinen
Alkohol zu sich nehmen, kein heißes Bad
und Stress vermeiden, wenn sie schwanger
sind. Aber über die Sicherheit und Effizienz von Ultraschalluntersuchungen redet kaum ein Arzt. Man hofft, dass Frauen sich stärker an ihr Ungeborenes binden, wenn sie es sehen.
»Lernen Sie Ihr Kind kennen, bevor
es geboren wird«, wirbt die Firma General Electric auf ihrer Website. Sie verkauft
ihre Maschinen nur an Gesundheitseinrichtungen. Einige Eltern drängen darauf, mehr von ihrem Kind zu sehen, als
die Ärzte befürworten. Andere Ärzte sind
besorgt, irgendein Detail zu übersehen,
das Aufschluss über die Gesundheit des
Ungeborenen geben könnte. Gynäkolo-
gen werden am häufigsten herangezogen,
wenn es um Kunstfehler geht. Oft wird
dann behauptet, weitere Ultraschallbilder hätten Klarheiten gegeben.
Doch wie sicher sind die Apparate?
Die Amerikanische Food und Drug Administration, die gleichbedeutend mit unserer Lebens- und Arzneimittelbehörde
ist, warnte im Dezember 2014 vor einigen Ultraschallgeräten. »Sie erhitzen das
Gewebe und verursachen die Bildung von
kleinen Blasen.«
Die Langzeiteffekte, welche diese Maschinen ausüben, kennt man nicht. Einige Tierversuche an Hühnern und Mäusen lassen jedoch schädliche Auswirkungen vermuten. So haben einige Neurowissenschaftler inzwischen ungeborene Tiere Ultraschalluntersuchungen ausgesetzt.
Eine Studie der Yale Universität, die 2006
in den »Proceedings of the National Academy of Science« erschien, brachte neurologische Auffälligkeiten bei jungen Mäusen mit den Untersuchungen in Verbindung. Australische Forscher beschrieben
2009 im »International Journal of Developmental Neuroscience«, Küken-Eier mit
Ultraschall bestrahlt zu haben. Die Küken
hatten nach ihrem Schlüpfen Gedächtnisstörungen. Ihre Lernfähigkeit war geringer ausgeprägt als die anderer Küken.
Die Universität von Washington berichtete 2014 im »Autism Research Journal« von überaktiven Mäusen, die vorgeburtlich mit Ultraschall beschallt wurden.
Dr. Pasko Rakic vom Nationalen Institute of Health untersuchte Affenhirne auf
mögliche neurologische Folgen nach der
intrauterinen Anwendung von Ultraschall.
Frank A. Chervenak, Direktor der Gynäkologie des New Yorker PresbyterianKrankenhauses ist der Überzeugung, dass
ein oder zwei Ultraschalluntersuchungen
bei einer normalen Schwangerschaft nicht
überschritten werden sollten.
2012 erschien im Amerikanischen
»Journal of Obstetrics and Gynecology« eine Studie, die ergab, dass vermehrLebensForum 115
Der Eileiter kann sich nicht ausdehnen
wie die Gebärmutter. Er kann platzen,
sobald das Kind größer ist. Eine Operation würde unweigerlich auch den Tod
des Kindes hervorrufen. Theologen argumentieren, dass das Kind hierbei indirekt getötet wird. Die Ärzte bedrängten Rebecca, ihr neuntes Kind durch die
Einnahme von Methotrexate abzutreiben. Es sollte also direkt getötet werden.
Das brachte das gläubige Ehepaar jedoch
nicht über das Herz.
RAINER KLAWKI
te Ultraschalluntersuchungen manchmal
ein falsches Bild geben. Manchmal meint
man, das Ungeborene sei zu groß, und
man macht einen Kaiserschnitt, der gar
nicht nötig gewesen wäre.
Rebecca Loretz und ihr Mann Michael
wollten immer eine große Familie. Doch
als ihr zweites Kind durch einen Kaiserschnitt zur Welt kam, warnten die Ärzte vor weiteren Kindern. Die Narbe, die
durch den Kaiserschnitt entstand, könnte
einreißen, sagten sie. Die Eltern beachte-
Faszinierend, aber unnötig und womöglich sogar schädlich: zu viel Ultraschall
ten den Rat nicht. Die medizinische Literatur beschrieb das Risiko mit nur einem Prozent. Das wollten die beiden gerne auf sich nehmen. Es folgten sechs weitere Geburten. Alle Kinder wurden durch
Kaiserschnitt entbunden.
Nach dem achten Kind dachten die Eltern, ihre Familie sei nun komplett. Doch
im Mai 2013 erwartete Rebecca wieder
ein Kind. »Das war wirklich eine Überraschung. Wir dachten, diese Schwangerschaft würde wie alle anderen verlaufen«,
sagte Michael. Die erste Ultraschalluntersuchung ergab, dass das Baby genau auf
dem Narbengewebe der Gebärmutter implantiert war. Man sagte den Eltern, solch
eine ektopische Schwangerschaft auszutragen käme einer Katastrophe gleich. Die
Ärzte gaben dem Kind keine Chance. Es
müsse abgetrieben werden, um das Leben der Mutter zu retten. Selbst Ethiker
würden in so einem extremen Fall zustimmen, die Stelle der Gebärmutter zu entfernen, wo sich das Kind implantiert hat.
Normalerweise spricht man von einer ektopischen Schwangerschaft, wenn
sich das Kind im Eileiter eingenistet hat.
LebensForum 115
Einen Plan B hatte das Krankenhaus
nicht, weil noch nie eine Mutter in so einem Fall eine Abtreibung verweigert hatte. Rebecca wurde in das Krankenhaus
eingeliefert, um genauer beobachtet zu
werden. Die Ärzte bedrängten die Mutter in den kommenden Tagen. Sie kamen
alleine oder zogen andere Experten hinzu. Sie sollte das Leben des Babys endlich beenden, um ihr eigenes zu retten.
Ein Arzt sagte zu Michael: »Ihre Chance, am Ende der Schwangerschaft ein lebendes Baby in den Armen zu halten, ist
gleich null. Höchstwahrscheinlich stirbt
auch Ihre Frau. Ist es das, was Sie wollen? Sie wollen einfach nicht die Realität
sehen und deshalb hören Sie auch nicht
auf den Rat der Experten.« Erst nachdem
den Ärzten klar wurde, dass sie das Paar
nicht zu einer Abtreibung bringen konnten, sympathisierten einige Ärzte mit den
Eltern und fingen sogar an, mit ihnen für
das Ungeborene zu beten.
Bei der nächsten Ultraschalluntersuchung hörten sie, dass die Schwangerschaft fehldiagnostiziert worden war. Das
Baby hatte sich nicht über der Narbe ein-
genistet, sondern im Muttermund. »Ist
das besser?«, fragte Michael hoffnungsvoll. Er erinnert sich an die schmerzliche
Antwort. »Nein. Im Grunde ist das noch
schlimmer.« Ein drittes Ultraschallbild,
das viel später gemacht wurde, brachte
dann dennoch Hoffnung. Es sah nur so
aus, als ob das Baby im Muttermund eingenistet wäre. Aber es war in Wirklichkeit doch in der Gebärmutter. Nur eben
sehr nahe an der Cervix.
Dies gab allen eine kleine Erleichterung, auch wenn die Beteiligten noch
sehr besorgt blieben. Das Ehepaar gab zu,
dass die Schwangerschaft sehr an ihnen
zehrte. Nur das Wissen, dass viele Leute
für Mutter und Kind beteten, half. »Fünf
Wochen war ich vor der Geburt im Krankenhaus. Die Ärzte hatten Sorge, meine
Gebärmutter würde zerreißen. Ich betete unentwegt, dass Gott mir dieses Kind
schenkt. Nach einiger Zeit übergab ich
mich in den Willen Gottes«, sagt Rebecca.
Am 1. November 2013 wurde die kleine Philomena nach einer vierstündigen
Operation entbunden. Das Kind war vollkommen gesund. Auch wenn es fast unmöglich schien, dass es überhaupt hätte
geboren werden können. Die Eltern beteten die ganze Zeit zur Heiligen Philomena und versprachen, ihrem Kind den
Namen Philomena zu geben, wenn es
ein Mädchen werden sollte. Während ihrer ganzen Ehe beteten sie, Gottes Willen folgen zu können und so großmütig
wie möglich zu sein. Das brachte ihnen
viel Kritik ein.
Michael war erstaunt, als er in der Literatur fand, dass seit 1967 bereits 60.000
ähnliche Schwangerschaften zu 99,7 Prozent mit einer Abtreibung geendet hatten.
Der Fall des Paares wurde bei einem wissenschaftlichen Symposium präsentiert.
Es wurde empfohlen, beim Vorliegen einer ektopischen Schwangerschaft mit einer Abtreibung länger zu warten und genauere Untersuchungen heranzuziehen.
IM PORTRAIT
Dr. med. vet. Edith Breburda
Die Autorin, Dr. med. vet. Edith Breburda, ehemals an der Justus-Liebig-Universität Gießen tätig, arbeitet heute
als Biomedizinexpertin in Madison,
der Metropole der
US-amerikanischen Stammzellenforschung. Sie hat mehrere Bücher
veröffentlicht.
25
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LebensForum 115
GESELLSCHAFT
In memoriam
Die Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA) e. V. trauert um ihre Gründerin
Professor Dr. Hedwig Seelentag, die mit 95 Jahren gestorben ist. Ein Nachruf.
Von Dr. med. Claudia Kaminski
D
ie im Fach Atomphysik habilitierte Dozentin der Universität Augsburg begann 1974 mit
außerordentlichem Engagement und
großem persönlichem Einsatz, sich um
Schwangere in Konfliktsituationen zu
kümmern. Dazu gehörte auch, dass sie
Frauen in Not in ihrer eigenen Wohnung aufnahm. Was bewegte die alleinerziehende Mutter von drei Söhnen auf
dem Höhepunkt der Frauenbewegung eine Initiative zum Schutz der Kinder im
Mutterleib zu gründen?
1971 bekennen sich 374 Frauen öffentlich in der Illustrierten »Stern« zu »ihrer« Abtreibung. Tatsächlich täuschten
viele die Abtreibung nur vor, doch das
Tabu ist gebrochen. In der DDR wird am
9. März 1972 das »Gesetz über die Unterbrechung der Schwangerschaft« verabschiedet: eine Fristenlösung, die Abtreibung innerhalb der ersten drei Monate erlaubt.
Auch in der Bundesrepublik Deutschland erhitzt der Paragraf 218 die Gemüter.
Nach zähen Verhandlungen wird am 18.
Juni 1974 die Fristenlösung nach DDRModell eingeführt. Kurz zuvor hatten sich
SPD und FDP unter Helmut Schmidt als
Bundeskanzler auf die Fortführung der sozial-liberalen Koalition geeinigt. Das von
der Opposition angerufene Bundesverfassungsgericht verhindert ein Inkrafttreten
der Reform mit der im Februar 1975 vorgelegten Begründung: »Das sich im Mutterleib entwickelnde Leben steht als selbständiges Rechtsgut unter dem Schutz der
Verfassung auch unter Art. 2 Abs. 2 und
Art. 1 Abs. 1 GG, und hat auch Vorrang vor
dem Selbstbestimmungsrecht der Frau.«
Vorgeschlagen wird eine so genannte Indikationenlösung.
Ein Braunschweiger Student, Rüdiger
Dürr, lässt zusammen mit einer Gruppe
Gleichgesinnter in zahlreichen Städten
Deutschlands Plakate zum Thema »Abtreibung« kleben. Als die Gesetzespläne der Regierung bekannt werden, lädt
er zur Lebensrechts-Kundgebung nach
Hannover ein und kann – da Hoffnung
LebensForum 115
auf ein Scheitern des Vorhabens bestand
– Tausende mobilisieren.
Dürr ist es auch, der Hubert Hüppe
kennen lernt und ihm die »Aktivisten«
anvertraut. Hüppe hatte schon damals
für Schlagzeilen gesorgt. 1972 organisierte Pfarrer Winfried Pietrek vor der
ersten, noch missglückten Abstimmung
zur Fristenlösung – unter Schmidts Vorgänger Willy Brandt – einen fünftägigen
Professor Dr. Hedwig Seelentag
Hungerstreik auf dem Beethovenplatz in
Bonn. Mit dabei: Hubert Hüppe.
Dürrs Plakate erregten auch in Augsburg Aufsehen. Dort verfolgt Seelentag die politische Entwicklung und beschließt, wirklich konkret zu helfen. Mit
einer Anzeige unter der Rubrik »Verschiedenes« in der »Augsburger Allgemeinen« beginnt 1974 die Lebensrechtsarbeit der ALfA: »Sind Sie Schwanger?
Sind Sie verzweifelt? Rufen Sie an ... am
Samstag zwischen 8 und 18 Uhr!« Der
Auftraggeber: Ein kleiner Freundeskreis
um Hedwig Seelentag – zusammengeschlossen, um jungen Schwangeren zur
Seite zu stehen. Nur mit einer schriftli-
chen Bürgschaft kann der Anzeigenleiter
der Augsburger Allgemeinen damals davon überzeugt werden, dass es nicht darum geht Abtreibungen durchzuführen.
Und der Erfolg gibt dem Freundeskreis
recht: Bis zu 31 Anrufe pro Tag führten
früh zu einer Zusammenarbeit mit anderen Beratungsstellen.
Politisch gesehen gibt es für die junge
Initiative schon 1976 einen Dämpfer: Am
18. Mai tritt die Neufassung des Paragrafen 218 in Kraft. Zwar wird grundsätzlich
eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren
oder eine Geldstrafe für Abtreibung vorgesehen, für die Schwangere eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe von bis zu
einem Jahr, es wird jedoch auch die Indikationenregelung eingeführt: Medizinisch, kriminologisch, eugenisch oder
durch eine Notlage begründete Abtreibungen werden straffrei gestellt.
Trotzdem – oder gerade deshalb –
wächst der Augsburger Freundeskreis um
Seelentag schnell. 1977 wird die »Aktion
Lebensrecht für Alle Augsburg« als gemeinnützig in das Vereinsregister eingetragen mit den Schwerpunkten Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit sowie
soziale Hilfen. Die sich organisierenden
40 Mitglieder denken zunächst nur an
lokal begrenzte Aktionen. Zum ersten
Vorstand der ALfA gehören die Vorsitzende Frau Prof. Dr. Hedwig Seelentag
sowie die Stellvertreter Dr. Georg Götz
und Ulrich Schieder.
Dass aus dem Verein eine bundesweite Bewegung wird, liegt an Personen, die
von der Arbeit der ALfA erfahren und
Mitglieder werden wollen: Erstes überregionales Mitglied wird bald eine Dame aus Nordrhein-Westfalen, die fleißig weitere Mitglieder begeistert. 1980
haben sich die Aktivitäten der Bürgerinitiative schon auf die gesamte Bundesrepublik ausgedehnt: Beratung, Begleitung, Nachbarschaftshilfe, der Aufbau
von Kleiderkammern für Babysachen,
Vermittlung von Babysittern, Gebetskreise, Leserbriefgruppen, ein Ärztekreis
und ein Juristenkreis.
27
GESELLSCHA F T
Briefe an Abgeordnete werden verfasst und bis 1980 hat die ALfA schon
rund 500.000 Flugblätter und Schriften
verteilt. Im gleichen Jahr schließt sich
die Jugendarbeitsgemeinschaft für das
Leben (JAL) unter der Leitung von Hubert Hüppe der ALfA, die mittlerweile 4.000 Mitglieder zählt, als Jugendorganisation an.
Die JAL ist ebenfalls überkonfessionell, überparteilich, überregional und
unabhängig und engagiert sich in der
Betreuung alter Menschen, in Nachhilfestunden für Gastarbeiter-Kinder und
ähnlichen Aktivitäten. Allmählich kristallisiert sich die Solidarität mit der werdenden Mutter und ihrem Kind immer
mehr heraus und die ALfA erlebt die Jugendlichen als besonders aufgeschlossen
für wissenschaftliche Fakten. Sie sind in
den frühen 80ern leichter davon zu überzeugen, dass das Ungeborene schon ein
Mensch ist und sich als solcher entwickelt,
und sie bringen Energie und jugendlichen Schwung ein: 1981 und 1983 treten
bis zu 30 Mitglieder der JAL in Essen in
den Hungerstreik, um gegen das geplante »Schwangerschaftskonflikt-Zentrum«
der Arbeiterwohlfahrt zu protestieren.
Leider ohne den gewünschten Erfolg.
Auch ein von der Diözese Essen organisierter Schweigemarsch mit 20.000 Teilnehmern aus ganz NRW kann die Einrichtung des Zentrums nicht verhindern.
1983 findet in Aachen das erste Bundestreffen der JAL statt, die immer mehr
zum Träger der ALfA-Aktivitäten wird.
Für die jungen Aktiven ist die Teilnahme an Kirchen- und Katholikentagen
selbstverständlich, um auch dort auf das
Recht auf Leben aufmerksam zu machen. Dieses Engagement liegt Seelen-
tag sehr am Herzen. Um die wachsende Zahl der Mitglieder besser informieren zu können, kommt 1985 der 1. ALfA-Rundbrief unter Jochen Beuckers mit
einer Auflage von 2.800 Stück heraus. Im
gleichen Jahr wird Josef Engel aus Memmingen der erste hauptamtliche Bundesgeschäftsführer.
Ein besonderes Jahr wird 1986 für die
noch junge Lebensrechtsorganisation: Auf
der am 15. März stattfindenden Mitgliederversammlung sucht die ALfA nach geeigneten Wegen, um der stark gewachsenen Organisation in der ganzen Bun-
Hubert Hüppe, CDU
Stern-Titel von 1971
desrepublik Rechnung zu tragen. Es werden Landes- und Regionalverbände in
der Satzung verankert und es erfolgt die
Umbenennung in die »Aktion Lebensrecht für Alle, ALfA e. V.«. Vorsitzende
des ersten Geschäftsführenden BundesANZEIGE
28
vorstandes nach der neuen Satzung ist
Professor Dr. Hedwig Seelentag.
Die bisher als Bundeszentrale fungierende Privatwohnung Seelentags, die für
ihren Einsatz mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wird, reicht für die
Bewältigung der Arbeit längst nicht mehr
aus. Die ALfA bezieht die erste Bundesgeschäftsstelle in der Heilig-Kreuz-Straße
in Augsburg und richtet in der Bundeshauptstadt den »Arbeitsraum Bonn« ein.
Mittlerweile haben sich 9.000 Mitglieder der Bewegung angeschlossen und
die ersten Regionalverbände werden in
Augsburg und München gegründet. Zudem erhält die ALfA ihr bis heute erhaltenes grün-blaues Logo, mit dem dann
auch 1987 das zehnjährige Bestehen gefeiert wird. Ebenfalls 1987 ruft die ALfA den 1. Juni als »Tag des Lebens« aus,
der schon im folgenden Jahr international begangen wird. Das zum »modernen Hexenprozess« stilisierte Verfahren
um den Memminger Abtreibungsmediziner Theissen beschäftigt 1988 und 1989
die Lebensrechtler in Deutschland. Gelegenheit für Seelentag und die ALfA,
klar Stellung für das Leben zu beziehen.
Rund 100 Delegierte nehmen im Januar an der ersten Bundesdelegiertenversammlung der ALfA teil. Im Büro Bonn
kommt im gleichen Jahr das erste »Lebenszeichen«, die Verbandszeitschrift,
in den Druck.
Die Gründerin hat zwischenzeitlich
die Lebensrechtsbewegung in der DDR
im Blick und gründet auf einer Reise in
den Osten erste ALfA-Freundschaftskreise. Schon zu Beginn des Jahres 1989
LebensForum 115
zeigen sich die Früchte. Es kommt zum
Treffen der ALfA-Freundeskreise in der
DDR mit katholischen und evangelischen
Kirchenvertretern in Leipzig, bei dem eine Teilnahme am »Tag des Lebens« diskutiert wird. Bereits im Oktober folgt die
zweite Reise von Professor Dr. Hedwig
Seelentag in die DDR. Sie führt offizielle Gespräche mit SED-Vertretern über
die Gründung eines ALfA-Zweiges in
der DDR. Durch die Wiedervereinigung
1990 entwickelt sich die ALfA ohne jegliche staatliche Reglementierung in den
neuen Ländern und gründet schließlich
im Mai 1991 den ersten Regionalverband
in Greiz in Thüringen.
Aufgrund eines Flugblatts, auf dem der
Kommunistische Bund Westdeutschland
sowohl Professor Dr. Hedwig Seelentag
als auch maßgebliche Persönlichkeiten
der Katholischen Kirche verunglimpfte,
wird die Katholische Kirche auf die ALfA aufmerksam. Es entwickeln sich gute
Kontakte zum Augsburger Bischof Josef
Stimpfle. Die Diözese unterstützt die ALfA großzügig und finanziert die bis heute bestehende Geschäftsstelle der ALfA
im Ottmarsgäßchen in Augsburg, die im
Sommer 1991 bezogen wird.
Ende 1991 gründet der Landesverband Bayern unter Leitung von Seelentag eine Patenschaftsaktion zur dauerhaften Unterstützung Schwangerer und
Familien in Not. Sie weitet sich schnell
auf das ganze Bundesgebiet aus und ist
bis heute eine tragende Säule der sozialen Hilfen der ALfA.
1992 kandidiert Professor Dr. Seelentag nicht mehr für den Vorsitz und wird
Ehrenvorsitzende. Ruth Reimann, geb.
Esser, Juristin aus Köln, wird zur ersten
Bundesvorsitzenden der ALfA nach der
Gründerin. Die Entwicklung ihrer ALfA
begleitet Seelentag bis in das neue Jahrtausend hinein weiter mit großem Engagement – und in den 90er Jahren schon
zeigt sich auch die kluge und geradezu prophetische Weitsicht Seelentags in
der Wahl des Namens »Aktion Lebensrecht für Alle« – denn tatsächlich sind die
Bedrohungen des menschlichen Lebens
seither in allen Phasen gewachsen: Überzählige Embryonen, Selektion durch PID
und andere Diagnostikverfahren bis hin
zur aktuell diskutierten Sterbehilfe und
den assistierten Suizid.
Nicht verschwiegen sei an dieser Stelle,
dass Frau Professor Dr. Hedwig Seelentag
die Entwicklung der ALfA nicht bis zum
Schluss weiter begleitet hat. Die Jahrtausendwende brachte der Lebensrechtsbewegung in Deutschland auch die Debatte um die Beratungsscheinvergabe durch
die Katholische Kirche. Viele sahen den
Beratungsschein als »Lizenz zum Töten«
an, weil er durch die Gesetzesänderung
die einzige Voraussetzung für eine straffreie Abtreibung darstellte. Dieser Meinung folgten auf der Bundesdelegiertenversammlung 2000 der ALfA mehrheitlich auch die Delegierten. Nach ein paar
Jahren des »Sowohl als auch« der Meinungen gab es endlich einen klaren Richtungsentscheid und Kurs der ALfA. Diesen Kurs konnte und wollte Professor Dr.
Hedwig Seelentag leider nicht mehr mitgehen, sodass sie den Ehrenvorsitz niederlegte und zu unserem großen Bedauern aus der ALfA austrat.
Der Versuch, ihr zu sagen, dass manchmal Kinder eigene Wege gehen und sich
gegen die Meinung der Eltern stellen,
konnte sie nicht mehr umstimmen, ebenso wenig wie die Tatsache, dass jedes
ALfA-Mitglied nach wie vor mit jeder
geeigneten Beratungsstelle zusammenarbeiten konnte.
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Bioethik-Akademie
Der Jugend für das Leben und Christdemokraten für das Leben
„Warum sich Lebensschutz lohnt“
Unter diesem Motto laden die Jugend für das Leben (Jugendorganisation der ALfA) und die Jungen
Christdemokraten für das Leben in diesem Jahr wieder gemeinsam zu einer Bioethik-Akademie für
Jugendliche und junge Erwachsene ein.
Die Teilnehmer der Akademie erwarten wieder interessante Vorträge und Diskussionen mit hochkarätigen Referenten und ein spannendes Wochenende mit anderen jungen Menschen, denen das
Lebensrecht jedes Menschen am Herzen liegt.
Datum:
30. Oktober bis 01. November
Ort:
JH Aachen, Maria-Theresia-Allee 260,
52074 Aachen
Tagungsbeitrag:
60 Euro (Schüler, Studenten)
130 Euro (ohne Ermäßigung)
Anmeldung:
[email protected]
LebensForum 115
29
BÜCHERFORU M
D
ieses Buch kommt zur rechten
Zeit. Denn es setzt – rechtzeitig
vor der für November geplanten
Entscheidung des Bundestags über die gesetzliche Neuregelung der Suizidhilfe
– der Freitod-Rhetorik maßgebliche
Fakten und treffende
Argumente entgegen. Die »acht Plädoyers gegen Sterbehilfe«, welche die
drei Herausgeber – der Medizinrechtler
Rainer Beckmann und die Bundesvorsitzenden der Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA) und der Christdemokraten für
das Leben (CDL), Claudia Kaminski und
Mechthild Löhr – dort
versammelt haben, basieren auf einer Fachtagung, welche CDL
und ALfA im vergangenen Herbst unter
dem provokanten Titel »Du sollst mich töten – Kommt jetzt der
ärztlich assistierte Suizid?« in Berlin veranstalteten.
Den Anfang macht
der Philosoph Robert
Spaemann. Sein Beitrag ist – wie das Buch
selbst – überschrieben
mit »Es gibt kein gutes Töten« und räumt
mit der Annahme auf,
es könne so etwas wie
ein »Recht auf Suizid« geben. Vielmehr sei der Suizid »eine Handlung, die sich der Rechtssphäre entzieht«. »Von ihr führt kein Weg
zu irgendeinem Recht, einen anderen
zu töten, beziehungsweise von einem
anderen getötet zu werden.« Jenen, die
sich auf ein »Sterben in Würde« berufen und den Suizid als geeignetes Mittel dazu betrachten, schreibt Spaemann,
mit Kant, dem Vater des Würdegedankens, ins Stammbuch: Gerade für Kant
sei der Suizid »nicht Ausdruck von, sondern Absage an Autonomie und Freiheit
des Menschen, da er ja gerade das Subjekt von Freiheit und Sittlichkeit vernichtet«. Der Suizid sei deshalb »jener Akt
der Selbstvergessenheit, mit welchem ein
Mensch dokumentiert, dass er sich selbst
nur noch als Mittel zur Erreichung oder
Erhaltung wünschenswerter Zustände
versteht, als Mittel, das sich, wenn es versagt, selbst beiseiteräumt«. Für Kant, in
dessen Tradition auch das Grundgesetz
steht, bestand die Würde des Menschen
darin, dass er nie als bloßes Mittel angesehen, sondern immer als »Zweck an
sich« betrachtet werden müsse. Wo dagegen der Suizid »als legitime Handlung,
ja als Ausdruck der
Menschenwürde«
gelte, dort ergebe
sich, so Spaemann,
»unweigerlich eine verhängnisvolle
Folge«: Denn »wo
das Gesetz es erlaubt und die Sitte es billigt, sich zu töten oder sich töten zu lassen, da hat plötzlich der Alte, der Kranke, der Pflegebedürftige alle Mühe, Kosten und Entbehrungen zu verantworten, die seine Angehörigen, Pfleger und
Mitbürger für ihn aufbringen müssen. Nicht
Schicksal, Sitte und Solidarität sind es mehr,
die ihnen dieses Opfer
abverlangen, sondern
der Pflegebedürftige
selbst (...), da er sie ja
leicht davon befreien
könnte.« Mit anderen
Worten: Die Legalisierung des ärztlich assistierten Suizids liefe auf eine Entsolidarisierung der Gesellschaft hinaus, mit der
Gefahr, dass in ihr –
früher oder später – all
jenen die Tür gewiesen
wird, die zum Weiterleben auf Hilfe Dritter
angewiesen sind.
Nicht minder erhellend nehmen sich
auch die Beiträge aus, die der Osnabrücker
Sozialethiker Manfred Spieker, der Heidelberger Medizinethiker Axel W. Bauer,
der Würzburger Medizinrechtler Rainer
Beckmann, der Onkologe und Palliativmediziner Stephan Sahm und die Leiterin des Hospiz- und Palliativberatungsdienstes der Malteser in Berlin, Kerstin
Kurzke, sowie die Journalisten und Buchautoren Gerbert van Loenen und Andreas Lombard zu diesem Band beigesteuert haben. Aus unterschiedlichen Erfahrungswelten und mit unterschiedlichen
Blickwinkeln kommen sie alle zum selben Ergebnis: Es gibt kein gutes Töten.
Es gibt kein
gutes Töten
30
Stefan Rehder
Rainer Beckmann/Claudia Kaminski/Mechthild Löhr
(Hrsg.): Es gibt kein gutes Töten. Acht Plädoyers
gegen Sterbehilfe. Edition Sonderwege. Manuscriptum Verlagsbuchhandlung Thomas Hoof KG. Leipzig
2015. 176 Seiten. Klappbroschur. 9,80 EUR.
Im Schaufenster
Kind auf
Bestellung
Die Journalistin
Eva Maria Bachinger könnte auch
Vorsitzende eines
Vereins oder einer
Stiftung »zur Pflege einer deutlichen
Aussprache« sein.
Schonungslos legt
sie in »Kind auf Bestellung« die Finger in die
Wunden einer Gesellschaft, die glaubt, auch
alles zu dürfen, was die Reproduktionsmedizin möglich gemacht hat. Dass auch bei Zeugungsunfähigkeit die Elternschaft mit genetisch eigenen Kindern als »Norm« gelte, huldige einem »Biologismus«, den man ansonsten für vernachlässigbar halte. »In der politischen Mitte ist derzeit Beschönigen und
Verharmlosen en vogue. Kritiker werden diffamiert und in ein Eck gestellt. Halbwahrheiten werden auch von Experten verbreitet. Die
Kommerzialisierung von Eizellspenden und
Leihmutterschaft sei nur »mit einem internationalen Verbot ansatzweise vermeidbar«.
Angesichts des globalisierten Marktes sei
»das Gerede vom hehren Altruismus schlichtweg Unsinn, ebenso wie die Beschwörung«,
die Präimplantationsdiagnostik (PID) bleibe
nur »in engen Grenzen« erlaubt.
Fazit: Für alle, die sich kein X für ein U vormachen lassen wollen.
reh
Eva Maria Bachinger: Kind auf Bestellung. Ein
Plädoyer für klare Grenzen. Deuticke, Wien 2015.
240 Seiten. Klappbroschur. 19,90 EUR.
Und wenn ich
nicht mehr leben
möchte?
Viele dürften sich
noch an die Debatte erinnern, die der
ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirchen
in Deutschland Nikolaus Schneider
ausgelöst hat, als er öffentlich machte, dass
er seine damals krebskranke Frau auf deren
Wunsch hin auch in die Schweiz begleiten
würde, obwohl er selbst Beihilfe zum Suizid
ablehnt. Auch wenn man nach wie vor fraLebensForum 115
gen kann, warum Schneider damit überhaupt
an die Öffentlichkeit ging, so hilft das vorliegende Buch, doch seine Haltung und seinen
Konflikt besser zu verstehen. Im Interview mit
Evelyn Finger, Leiterin des Ressorts »Glauben
und Zweifel« der Wochenzeitung »Die Zeit«,
das Finger mit ihm und Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe führte, wird vieles
differenzierter dargestellt, als es damals
durch den Blätterwald rauschte. Ergänzt wird
das Gespräch um ein Interview mit Anne
Schneider, die sich einer offenbar erfolgreichen Chemotherapie unterzog, und um einen
sehr lesenswerten Beitrag von Bundesärztekammerpräsident Frank Ulrich Montgomery.
Fazit: Beachtlich.
reh
Und wenn ich nicht mehr leben möchte?
Hermann Gröhe und Niklolaus Schneider im Gespräch
mit Evelyn Finger. Adeo Verlag, Asslar 2015. Gebunden.
190 Seiten. 17,99 EUR.
Welche Medizin
wollen wir?
Der Autor hat sich
als Befürworter des
ärztlich assistierten Suizids einen
Namen gemacht.
Und auch in diesem Werk hält er
erneut ein Plädoyer
für die Beihilfe zur
Selbsttötung durch Ärzte. »Richtig verstandene ärztliche Suizidhilfe« sei »Ausdruck äußerster empathischer Zuwendung des Arztes
zu seinem Patienten auf der Grundlage einer vertrauensvollen Beziehung«. Dem muss
entschieden widersprochen werden. Denn
im Grunde wird hier impliziert, dass Ärzte,
die nicht bereit sind, einem Patienten bei der
Selbsttötung zur Hand zu gehen, einen geringen Grad an Empathie an den Tag legten. Und von vielen dürfte dies so verstanden
werden, als seien sie schlechtere Ärzte.
Tatsächlich ist aber das Gegenteil der Fall.
Wer meint, die Beihilfe zum Suizid könne eine ärztliche Aufgabe sein, definiert in Wahrheit den Beruf des Arztes nach eigenem Gutdünken neu. Und das hat nichts mit Empathie, aber viel mit Hybris und Anmaßung zu
tun.
Das ist insofern bedauerlich, als dass der Autor in diesem Buch eine ganze Reihe bedenkenswerter Vorschläge für eine nachhaltige
Reform des Gesundheitswesens macht.
Fazit: Eingeschränkt empfehlenswert. reh
Michael de Ridder: Welche Medizin wollen wir?
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2015. 304 Seiten.
Gebunden. 19,90 EUR.
LebensForum 115
D
as vorliegende Buch besticht aus
einer ganzen Reihe von Gründen. Da ist zunächst seine politische Dimension. Dass sich der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirchen in
Deutschland (EKD),
Heinrich BedfordStrohm, der auch Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern ist, zur Suizidhilfe äußert,
ist bereits als solches ein Politikum. Zunächst weil Protestanten, anders als die
Katholiken, kein Lehramt besitzen, das
die kirchliche Lehre in solchen Fragen
verbindlich formulieren könnte, weshalb der öffentlichen
Äußerung des EKDRatsvorsitzenden, egal
zu welchem Thema,
stets besonderes Gewicht zukommt. Gewichtig ist dieses Buch
aber auch deshalb,
weil viele Journalisten die Äußerungen
von Bedford-Strohms
Amtsvorgänger, Nikolaus Schneider, er sei
bereit, seine damals
krebskranke Frau notfalls auch gegen seine
Überzeugung zum Suizid in die Schweiz zu
begleiten, überstrapaziert haben. Vielfach
wurde der Eindruck
erweckt, als müssten Schneiders umstrittene Äußerungen als Abrücken von
der Ablehnung der Suizidhilfe durch die
EKD verstanden werden. Doch dies wäre, wie der Autor klarstellt, ein Irrtum.
Nach der Lektüre dieses Buches kann
niemand mehr guten Gewissens behaupten, die EKD billige die Suizidhilfe. Mehr
noch: Unter der Überschrift »Was die
Kirchen sagen« widmet der EKD-Ratsvorsitzende ein ganzes Kapitel der Darstellung dessen, was die römisch-katholische, die griechisch-orthodoxe und die
evangelische Kirche zu diesem Thema
zu sagen haben. Selbst minimale Unterschiede werden dabei so klar herausgearbeitet, dass am Ende eines ganz deutlich wird: Mögen die Begründungen auch
unterschiedlich sein, in der Ablehnung
der Suizidhilfe sind sich die christlichen
Kirchen einig. Wer also glaubt, die Evangelische Kirche gegen die Katholische in
dieser Frage ausspielen zu können, hat jedenfalls seine Rechnung ohne Bedford-
Strohm gemacht, der hier zudem ein gelungenes Beispiel für gelebte Ökumene
gibt, die in bioethischen Fragen zuletzt
recht brüchig erschien.
Bemerkenswert ist
dieses Buch aber nicht
allein wegen seiner politischen, innerkirchlichen und kirchenübergreifenden Dimensionen. Auch die Machart
des Buches beeindruckt. Und zwar sowohl formal als auch inhaltlich. So findet
sich am Ende eines jedes Unterkapitels
eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten Passagen, für die der schnelle Leser vermutlich ebenso dankbar sein wird
wie der, welcher dieses leicht verständlich
geschriebene Werk als
ein Studienbuch betrachtet. Inhaltlich bemerkenswert macht
das Buch zweierlei. So
darf das vorliegende
Werk wohl auch als
gelungenes Beispiel
für die Synthese von
theoretischer Reflexion und pastoraler Sorge gelten, die der Autor hier wechselseitig
aufeinander zu beziehen versteht. Das beweist: Auch im Angesicht mitunter furchtbaren Leidens müssen Verstand und Herz
keineswegs gespalten vorliegen, sondern
können harmonisiert werden, wenngleich
sich der Verdacht aufdrängt, dies setze
womöglich eine ähnlich integre Person,
wie die des Autors, voraus. Bereichert
wird der Leser aber auch durch fünf, vom
Autor selbst entwickelte »ethische Leitlinien«, die dieser, nachdem er die gängigsten ethischen Ansätze treffend dargestellt hat, diesen zugesellt. Sie mögen
mit »Dankbarkeit für das Leben«, »Endlichkeitsbewusstsein«, »Selbstbestimmung und Verantwortung«, »Kontextsensibilität« und »Soziokulturelle Verantwortung« zwar teilweise recht sperrig
etikettiert sein, lohnen aber, wie das gesamte Werk, einer gewissenhaften Auseinandersetzung.
Die EKD
spricht
Stefan Rehder
Heinrich Bedford-Strohm: Leben dürfen – Leben
müssen. Argumente gegen die Sterbehilfe.
Kösel-Verlag, München 2015. 176 Seiten. 17,99 EUR.
31
KURZ VOR SC H LU S S
»
Es wäre weder human noch moralisch,
wenn der Gesetzgeber verbindlich festlegen wollte: Das kann man aushalten. Solche Entscheidungen führen jedes Jahr in
Deutschland zu Zehntausenden gescheiterten Suizidversuchen (...). Indem der Gesetzgeber diesen Menschen die Hilfe verweigert, weist er ihnen am Ende den Weg vor
die U-Bahnen.«
Der Hamburger Strafrechtsprofessor Reinhard
Merkel in einem Interview mit dem »Stern«
»
Die Idee des qualitätsgesicherten, klinisch
›sauber‹ durchgeführten Selbstmordes ist
von der Euthanasie nicht mehr zu trennen
und einer humanen Medizin fremd.«
Der Präsident der Bundesärztekammer Frank Ulrich Montgomery in einem Beitrag für das Buch
»Und wenn ich nicht mehr leben möchte«
»
Es handelt sich um ein medizinisches Problem, wenn Paare keine Kinder kriegen können. Daher gibt es keinen Grund, den Versicherten diese Leistung vorzuenthalten.«
SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach im
»Spiegel« zur Forderung, die gesetzlichen Krankenkassen sollten die Kosten für künstliche Befruchtungen wieder voll übernehmen
»
Die ›Baby-take-home-Rate‹ ist bei einer Patientin mit Mitte 25 bei zwei Embryonen pro
Versuch bei etwa 30 Prozent, bei einer Frau
mit 40 oder über 40 liegt die Wahrscheinlichkeit bei 10 bis 15 Prozent.«
»
Der Münchner Reproduktionsmediziner Wolfgang Würfel gegenüber dem Bayerischen Fernsehen
Die biologische (austragende) Mutter soll
nicht dem Konflikt zwischen der psychischen Bindung an ihr Kind und der Zusage
gegenüber den Wunscheltern ausgesetzt
werden und das Kind ist davor zu schützen,
dass es zur Ware degradiert wird, die man
bei Dritten bestellen könne.«
Auszug aus einem Urteil des Schweizer Bundesgerichts (Az.: 5A 748/2014)
zur Leihmutterschaft
32
Tops & Flops
Lebensrechtler sollten »erhobenen Hauptes und unerschrocken weiterkämpfen und sich nicht von unsachlicher Kritik oder gar Anfeindungen beeindrucken lassen«. Das riet der
CDU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang
Bosbach in einem
Interview mit dem
katholischen Nachrichtenportal kath.
net. »Wer gegen
den Lebensschutz
agitiert und polemisiert, dem fehlen
offensichtlich fundierte Sachargumen- Wolfgang Bosbach
te und deshalb sollte man diesem Teil des Publikums nicht
kampflos das Feld überlassen«, so Bosbach weiter. Der 63-Jährige, der seit vielen
Jahren den Rheinisch-Bergischen Kreis
als Direktkandidat im Bundestag vertritt, sagte, »die Zahl von über 100.000
registrierten Abtreibungen pro Jahr« sei
»nach wie vor erschreckend hoch«. »Umso überraschender ist es, dass es eine gesellschaftliche Debatte hierüber nur am
Rand gibt.«
reh
FOTO AG GYMNASIUM MELLE
Expressis verbis
Ludwig A. Minelli, Chef
der Schweizer Sterbehilfeorganisation »Dignitas«, hat
sich – offenbar in der Hoffnung, Einfluss auf die Entscheidung des
Parlaments zur rechtlichen Neuregelung
der Suizidhilfe in Deutschland nehmen
zu können – in einem Schreiben an
alle Abgeordnete
des Bundestags gewandt. In diesem
schildert er nicht
nur ausführlich den
Tod eines Krebspatienten mit Darmverschluss, der an Ludwig Minelli
seinem Kot erstickte, sondern stellt auch gleich die Kostenfrage: »An den vier Wochen im Krankenhaus nach der ersten Operation, an den
beiden Operationen, durch die künstliche
Ernährung und durch den Aufenthalt auf
den verschiedenen Stationen im Krankenhaus und im Hospiz hat die Krankheitsindustrie zu Lasten der Krankenkassen
(und damit der Prämien- und Steuerzahler) an diesem Patienten viel Geld verdient.«
reh
Betreutes
Wohnen
für unter
1-Jährige:
Uterus zu
vermieten
LebensForum 115
Aus der Bibliothek
Karl Binding/Alfred Hoche: Die Freigabe der Vernichtung
lebensunwerten Lebens. Ihr Maß und ihre Form (1920)
»Die Anstalten, die der Idiotenpflege
dienen, werden anderen Zwecken entzogen; soweit es sich um Privatanstalten handelt, muß die
Verzinsung berechnet werden;
ein Pflegepersonal von vielen
tausend Köpfen wird für diese gänzlich unfruchtbare Aufgabe festgelegt und fordernder Arbeit entzogen; es ist
eine peinliche Vorstellung,
daß ganze Generationen von
Pflegern neben diesen leeren
Menschhülsen dahinaltern,
von denen nicht wenige 70
Jahre und älter werden. Die
Frage, ob der für diese Kategorien von
Ballastexistenzen notwendige Aufwand
nach allen Richtungen hin gerechtfertigt sei, war in den verflossenen Zeiten
des Wohlstandes nicht dringend; jetzt ist
es anders geworden, und wir müssen uns
ernstlich mit ihr beschäftigen. [...]
Von dem Standpunkte einer höheren
staatlichen Sittlichkeit aus gesehen kann
nicht wohl bezweifelt werden, daß in dem
Streben nach unbedingter Erhaltung lebensunwerten Lebens Übertreibungen ge-
übt worden sind. Wir haben es, von fremden Gesichtspunkten aus, verlernt, in dieser Beziehung den staatlichen
Organismus im selben Sinne
wie ein Ganzes mit eigenen
Gesetzen und Rechten zu betrachten, wie ihn etwa ein in
sich geschlossener menschlicher Organismus darstellt,
der, wie wir Ärzte wissen, im
Interesse der Wohlfahrt des
Ganzen auch einzelne wertlos gewordene oder schädliche Teile oder Teilchen preisgibt und abstößt.«
Karl Binding/Alfred Hoche: Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens. Ihr Maß und
ihre Form (1920).
Anm. d. Redaktion: Hoche war Psychiater, Binding
Professor für Strafrecht. Ihr o. a. Buch erschien 1920 auf
dem Höhepunkt einer Debatte, die in Deutschland über
die »Tötung Geisteskranker« geführt wurde. Historiker
vertreten die Auffassung, dieses Buch habe der Reichsregierung unter Adolf Hitler die Begründungen für die
Massenmorde an Menschen mit körperlichen, geistigen
und psychischen Besonderheiten geliefert.
»Die Welt. Die von morgen« (27)
Fünf Jahre, nachdem der Bundestag
im November 2015 den ärztlich assistierten Suizid legalisiert hatte, ist im
Deutschland von morgen eine Debatte
darüber entbrannt, ob Ärzten die Approbation entzogen werden solle, die
sich weigerten, Patienten bei einem Suizid zu assistieren. Argumentiert wird
unter anderem, vor allem in ländlichen
Gebieten sei nicht sichergestellt, dass
alle Suizidwilligen auch immer einen
Arzt fänden, der bereit sei, ihnen bei
der Selbsttötung zur Hand zu gehen.
Im Petitionsausschuss des Bundestags
seien zahlreiche Beschwerden von Angehörigen eingegangen, die beklagten,
dass – obwohl ihre hochbetagten Verwandten längst eingewilligt hätten,
aus dem Leben zu scheiden – sich kein
Arzt fände, der ihnen dabei helfen wolle. Ein hochbetagtes Mitglied des wisLebensForum 115
senschaftlichen Beirats der »Giordano
Bruno Stiftung« hat sogar die Bundesrepublik Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verklagt. Er argumentiert, der
Staat hindere ihn an einem »Sterben
in Würde«, da er es versäume, Sorge
dafür zu tragen, dass es ein flächendeckendes Angebot von Ärzten gebe, die
bereit seien, Suizidhilfe zu leisten. Da
er weiter für die Kosten seiner Pflege
aufkommen müsse, entstünden »durch
die Abschmelzung des Erbes« zudem
seinen Nachkommen erhebliche finanzielle Nachteile. Die Leitungsgremien von »Amnesty International« diskutieren, ob die Organisation mit einer Kampagne für ein »Menschenrecht
auf Suizid« eine neue Zielgruppe auf
sich aufmerksam machen und als Mitglieder gewinnen könne. Stefan Rehder
KURZ & BÜNDIG
Thailand verbietet Leihmutterschaft
Bangkok (ALfA). In Thailand dürfen Kliniken
Ausländern nicht länger die Dienste von
Leihmüttern anbieten. Auch der Kauf von
Ei- und Samenzellen ist verboten. Ärzte, die
dennoch kommerzielle Leihmutterschaften
unterstützen, müssen mit Haftstrafen von
bis zu einem Jahr rechnen, Leihmütter mit
MYANMAR
L AOS
THAILAND
K AMBODSCHA
GOLF
VON
THAIL AND
VIETNAM
bis zu zehn Jahren. Das teilte Ende Juli das
thailändische Gesundheitsministerium mit.
Lediglich verheiratete, heterosexuelle Paare,
von denen mindestens einer thailändischer
Staatsbürger sein muss, dürfen – sofern
diese nicht direkt bezahlt werden – noch
Leihmütter in Anspruch nehmen. Mit der Gesetzesänderung reagierte die thailändische
Regierung auf zwei Skandale, die weltweit
für Schlagzeilen gesorgt hatten. In dem
einen Fall ließ ein australisches Paar ein
krankes Zwillingskind bei der Leihmutter und
nahm nur das gesunde Geschwisterchen mit
nach Australien. In dem anderen Fall hatte
ein reicher Japaner mindestens zehn Kinder
mit Hilfe von Leihmüttern gezeugt, angeblich
um seine Nachkommenschaft zu sichern. reh
EGMR: Richter weisen Klage ab
Straßburg (ALfA). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat
die Klage einer Italienerin abgewiesen, die
ihre künstlich erzeugten und anschließend
tiefgefrorenen Embryonen der Forschung zur
Verfügung stellen wollte. Der Staat Italien
habe das Recht, eine solche Embryo-Spende
zu verbieten, urteilten die Richter Anfang
September. Die 1954 geborene Klägerin
hatte sich 2002 einer In-vitro-Fertilisation
(IVF) unterzogen, bei der fünf Embryonen
künstlich erzeugt und tiefgefroren wurden.
Als der Mann der Frau im Jahr darauf
verstarb, lehnte sie den Embryotransfer
zur Herbeiführung einer Schwangerschaft
ab und beschloss stattdessen, die Eizellen
der Wissenschaft zur Erforschung seltener
Krankheiten zur Verfügung zu stellen. reh
33
LESERFORUM
An der Titelgestaltung von »LebensForum« wird häufiger Kritik
geübt. Woher ich das weiß? Weil Sie
sich nicht scheuen, diese, zumindest aber einen Teil davon, hier
auch zu veröffentlichen. Deshalb
hoffe ich, dass Sie auch dieses Lob
veröffentlichen werden: Ich finde
das Titelbild der letzten Ausgabe
ganz besonders gelungen.
Geradezu preisverdächtig.
Janette Husemann, Kleve
Auch Zeichen für den Tod
Hochwürden Andreas Kuhlmann, katholischer Priester, plädiert (LF114, S.
24f.) dafür, beim »Marsch für das Leben« auf das Mitführen weißer Kreuze
zu verzichten und statt ihrer leere Kinderwagen mitzuführen. Das Kreuz sei mit
Tod und Auferstehung des Sohnes Gottes zum Zeichen der Hoffnung und der
Liebe geworden. Es für politische Zwecke einzusetzen, gehe mit der Gefahr
einher, diese seine eigentliche Aussage
zu verfälschen. Da bin ich, auch ich ein
katholischer Christ, ganz anderer Meinung. Ein Freund, mit dem ich Krankendienst gemacht habe, hat es einmal
so ausgedrückt: »Das ist gerade der Unterschied zum Roten Kreuz: An unserem Kreuz hängt einer!« Der da hängt,
hat selbst gelitten und ist ungerecht gestorben. Das Kreuz ist, da stimme ich zu,
ein Zeichen für den Sieg über den Tod.
Ebenso hält es uns aber, mit dem der daran hängt, das Sterben Christi vor Augen. So ist das Kreuz auch ein Zeichen
für den Tod, für das Gedenken an die
Toten und für die Barmherzigkeit Gottes mit uns Lebenden und unseren Toten. Stirbt ein kleines Kind, so wird es oft
in einem kleinen weißen Sarg beigesetzt.
Die weißen Kreuze sind so für mich ein
starkes Symbol für den Tod kleiner Kinder, ob wir sie nun zu Tode getragen haben oder nicht.
Jesus selbst sagt uns: »Wer mein Jünger sein will, nehme täglich sein Kreuz
auf sich und folge mir nach« (Lk 9,23).
Die politisch zugelassenen vorgeburtlichen Kindstötungen sind für mich eines meiner Kreuze, die ich durch mei34
hungsweise der christliche Glaube verschwindet immer mehr aus der Öffentlichkeit. Das ist schade und sehr bedauerlich, gibt unser Glaube doch Hilfe zur
Orientierung und im Umgang mit Problemen wie zum Beispiel den Schwangerschaftskonflikten. Ich stimme mit Herrn
Kuhlmann darin überein, dass das Kreuz
unter anderem Symbol für Hoffnung
ist. Allerdings ist es auch ein Symbol für
den Tod, der zwar durch Jesus Christus
überwunden wurde, aber nur denen den
Schrecken nehmen kann, die Christus
auch als ihren Erlöser angenommen haben. Da dürften wir dann an der Stelle
sein, dass schon viele Bürger in diesem
Land eben keine (aktiven) Christen mehr
sind. Auch oder gerade diese sollen ja
durch den Marsch angesprochen werden.
Es ist und bleibt eben das Anliegen, auf
den hunderttausendfachen Tod der Ungeborenen, beziehungsweise der gezielten
Tötung eben dieser, einmal im Jahr hinzuweisen. Dieses gelingt eben am besten
durch eine Symbolik, die jeder versteht.
Mit leeren Kinderwagen, wie das vorgeschlagen wurde, ist das meiner Meinung
nen Alltag zu tragen habe. Warum soll
ich dann nicht zum Gedenken an die
durch Abtreibung um ihr Leben gebrachten Kinder dieses mein Kreuz auch beim
»Marsch für das Leben« als sichtbares
weißes Kreuz mit
mir führen? Ob ein
Kinderwagen leer ist
oder nicht, sieht nur
der, der ihn schiebt.
Keinesfalls kommen
mitgeführte Kinderwagen in ihrer Symbolkraft für die toten
Kinder an die weißen Kreuze heran.
Wir sollten sie des- Der »Marsch für das Leben« durch Berlin
halb beim »Marsch
für das Leben« auch weiterhin gelassen
nach nicht wirklich zu bewerkstelligen.
mit uns tragen. Auch wenn wir vielleicht
Zudem ist der Transport dieser Kindergerade wegen der weißen Kreuze und ihwagen schon ein logistisches Problem,
rer klaren Aussage angegriffen, beschimpft
ein teures noch dazu.
und bespuckt werden.
Nein, das Kreuz, das Symbol unseres
Glaubens, das sowohl für den Tod als
Anton Graf von Wengersky, Grafing
auch für die Vergebung steht, muss noch
massiver zurück in die Öffentlichkeit gebracht werden. In einer visuellen Welt wie
der Unseren wird man ansonsten nicht
mehr wahrgenommen. Wir haben eine
Andreas Kuhlmann und auch andere
Botschaft und diese muss durch eindeuLeser mögen es mir bitte gleich zu Antige Symbole transportiert werden. Wer
fang nachsehen, dass ich als lutherischer
kein Kreuz nehmen mag, kann wie auch
Christ nicht auf die angeführten Heiligen
in den letzten Jahren mit leeren Händen
in der Stellungnahme eingehen kann und
gehen, ein Schild tragen, gerne auch einen
möchte. Ich finde den Beitrag trotzdem
leeren Kinderwagen schieben. Ich schreiinteressant und diskussionswürdig. Vorbe es noch einmal ganz deutlich. Auf die
weg, ich empfinde das Tragen der Kreuze
Kreuze gänzlich zu verzichten, halte ich
beim »Marsch für das Leben« für richtig
allerdings für absolut falsch!
und würde nicht darauf verzichten wollen. Zur Begründung: Das Kreuz bezieSven Behrens, Bremervörde
Die Symbolik des Kreuzes
LebensForum 115
IMPRESSUM
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LEBENSFORUM
Ausgabe Nr. 115, 3. Quartal 2015
ISSN 0945-4586
Verlag
Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA) e.V.
Ottmarsgäßchen 8, 86152 Augsburg
Tel.: 08 21 / 51 20 31, Fax: 08 21 / 15 64 07
www.alfa-ev.de, E-Mail: [email protected]
Herausgeber
Aktion Lebensrecht für Alle e.V.
Bundesvorsitzende Dr. med. Claudia Kaminski (V.i.S.d.P.)
Kooperation
Ärzte für das Leben e.V. – Geschäftsstelle
z.H. Dr. med. Karl Renner
Sudetenstraße 15, 87616 Marktoberdorf
Tel.: 0 83 42 / 74 22, E-Mail: [email protected]
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LebensForum Nr. 116 erscheint am 14.11.2015. Redaktionsschluss ist der 18.09.2015.
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Datum, Unterschrift
LebensForum 115
35
LETZTE SEITE
Hilfe statt
Scheine
Gericht bestätigt den Anspruch
katholischer Beratungsstellen
auf finanzielle Förderung
Von Stefan Rehder
E
inen zählbaren Erfolg für den Lebensschutz haben die Caritasverbände des Erzbistums Berlin und
der Diözese Görlitz vor Gericht errungen. Ende Juni bestätigten die Richter
des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg aus dem Jahr
2013, das den beiden Schwangerenberatungsstellen in Strausberg und Cottbus der Caritasverbände im Erzbistum
Berlin und im Bistum Görlitz einen Anspruch auf Förderung durch das Land
Brandenburg attestiert hatte. Gegen diese Entscheidung hatte das Land Brandenburg Revision beim Bundesverwaltungsgericht eingelegt.
Das Land muss nun die rechtswidrig
vorenthaltenen Fördermittel für die Jahre 2007 bis 2015 (rund 1,6 Millionen Euro) an die beiden Caritasverbände nachzahlen. »Das Urteil ist ein Erfolg für
den Lebensschutz. Schwangere Frauen
müssen die Möglichkeit haben, eine Beratung zu wählen, die für das Leben eintritt«, erklärte Gabriela Pokall, Direktorin des Caritasverbandes der Diözese
Görlitz nach Bekanntgabe des Urteils.
»Die Entscheidung des Gerichts stellt eine Würdigung der besonderen Schwangerenberatung der Katholischen Kirche
ohne Beratungsschein dar und bedeutet, dass diese Beratungsart in der weltanschaulichen Vielfalt ihren Platz hat«,
so Pokall weiter.
Nach dem Schwangerenkonfliktgesetz
(SchKG) haben auch Einrichtungen, die
»nur« eine Schwangerenberatung und
nicht auch eine sogenannte Schwangerenkonfliktberatung anbieten – weil sie nach
dem Umstieg der Katholischen Kirche in
der Schwangerenberatung seit 2001 keine Beratungsscheine mehr ausstellen, die
schwangere Frauen zu einer straffreien
Abtreibung berechtigen –, grundsätzlich
einen Anspruch auf Förderung.
Das Land Brandenburg hatte jedoch,
nachdem es sich in einem außergericht36
Postvertriebsstück B 42890 Entgelt bezahlt
Deutsche Post AG (DPAG)
Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA)
Ottmarsgässchen 8, 86152 Ausgburg
lichen Vergleich mit den Caritasverbändes ungeborenen Lebens« ausgerichtet
den im Erzbistum Berlin und im Bistum
sei. Insofern unterscheide es sich signiGörlitz über die Nachzahlung von Förfikant von allen anderen in Brandenburg
dermitteln für die Jahre 2001 bis 2006
geförderten Beratungsstellen.
geeinigt hatte, im Jahr 2007 ein AusfühRund 75 Prozent der in Brandenrungsgesetz erlassen, das es ihm ermögliburg geförderten Beratungsstellen trägt
chen sollte, die von der Caritas getragenen
der Verband »pro familia«. Zudem wiBeratungsstellen künftig von einer Fördederspreche der Ausschluss eines Angerung auszuschließen. Dieses Gesetz bebots von der öffentlichen Förderung, wie
sagt, dass das Land für den Fall, dass es auf
es die Katholische Kirche offeriere, der
seinem Territorium mehr BeratungsstelSchutzpflicht, die dem Staat für das unlen gibt, als zur Deckung des bundeseingeborene Leben obliege.
heitlich definierten Bedarfs notwendig sind, vorrangig diejenigen
Beratungsstellen
zu fördern habe,
die beide Formen
der Beratung anbieten.
Im Verlauf des
Verfahrens, unter
das die obersten
Verwaltungsrichter in Leipzig mit
ihrem Urteil nun
einen Schlussstrich zogen, stellte sich das Land
Brandenburg auf Brandenburg muss auch scheinlose Beratung fördern
den Standpunkt,
die Beratungsstellen der Caritas seien zur
Der Rechtsstreit entstand, nachdem
Deckung des Beratungsbedarfs in Brandie deutschen Bischöfe 1999 beschlosdenburg nicht notwendig. Dem war besen hatten, die Beteiligung am staatlichen
reits das Oberverwaltungsgericht BerlinSystem der SchwangerschaftskonfliktbeBrandenburg nicht gefolgt. Nach Ansicht
ratung zu beenden. Seitdem stellen kader Richter reicht es nicht aus, dass das
tholische SchwangerschaftsberatungsstelLand dafür sorge, dass der sogenannte
len keine Beratungsscheine mehr aus, die
Mindestversorgungsschlüssel von einer
zur straffreien Abtreibung genutzt werBeratungskraft pro 40.000 Einwohner
den können. Nach Auffassung des Landes
eingehalten werde. Gesetzlich gefordert
Brandenburg verloren die Beratungsstelsei auch die Gewährleistung eines weltlen der Caritas hierdurch ihre Förderbeanschaulich pluralen Beratungsangebots.
rechtigung. Die Caritas setzte ihre BeraIn ihrem Urteil hoben die Richter austung jedoch unvermindert fort. Experten
drücklich hervor, dass das von der Kamessen dem Urteil eine grundsätzliche
tholischen Kirche getragene BeratungsBedeutung bei, die über das Land Branangebot auf den »unbedingten Schutz
denburg hinaus reiche.
LebensForum 115