Fall Columbia (STS 107)

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Fall Columbia (STS 107)
4.3: Organisation der
Risikokommunikation im
Unternehmen
Fall Challenger (STS 51-L)
Fall Columbia (STS 107)
Return-to-flight missions
Alexander C.H. Skorna
Risikokommunikation
1
Challenger Disaster
Am 28. Januar 1986 explodiert
Space Shuttle Challenger ca. 73
sec. nach dem Abheben.
Alle 7 Crew-Mitglieder starben,
darunter auch „America´s Teacher
in Space“ Christie McAuliffe.
Das Unglück zerstörte mehr als
das Space Shuttle:
Ein Teil der amerikanischen Vision
nach grenzenloser Freiheit und
Unfehlbarkeit ist ebenfalls zerstört
worden. (Schwartz, 1986)
Risikokommunikation
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Technische Ursache
• Gummidichtungen am
Feststoffbooster
versprödeten auf Grund
starker Kälte (Nachtfrost)
während der
Startvorbereitungen und
hielten dem Druck nicht
mehr stand.
• Durch ein Leck trat
Treibstoff aus, das sich am
Feuerstrahl entzündete und
zur Explosion des
Haupttanks führte.
Risikokommunikation
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Managementversagen
• Konstruktionsmängel des Boosters waren
bekannt (ähnliche Probleme bereits 1 Jahr zuvor
beim Start der Discovery, STS 51-C)
• Ingenieure der Zulieferfirma Morton-Thiokol
warnten noch kurz vor dem Start. Tests hätten
ergeben, die Ringe seien ab 50° Fahrenheit (10°
Celsius) nicht mehr zulässig.
Æ Wie konnte das Unglück trotzdem geschehen?
Æ Beachte den Prozess der Startfreigabe
Risikokommunikation
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Organisationschart
Startfreigabe: vierstufig, hierarchisch aufgebauter Prozess (prinzipiell).
• Ebene IV: Einzelbaugruppen (Zulieferer)
• Ebene III: Subsysteme (NASA)
• Ebene II: Bündelung der Subsysteme, Pre-Flight-Check
• Ebene I : sämtliche Rahmenbedingungen, definitive Startfreigabe Mission-Control
Risikokommunikation
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Tatsächlicher Ablauf
• Telefonkonferenz zwischen NASA-Managern (Ebene III)
und Ingenieuren des Booster-Herstellers (Ebene IV):
– Ingenieure erläutern Risiken des Starts bei niedrigen Temperaturen
– NASA-Manager beharren, nach bereits mehrmaligem Verschieben
des Starttermins, auf frühestmöglicher Startfreigabe
– Pause: Thiokol-Manager bringt seine Ingenieure dazu, ihre
Bedenken zu verdrängen
– Nach Wiederaufnahme der Konferenz: Thiokol-Manager teilt NASAManagern mit, dass die Einschätzung revidiert wurde
• Übermittlung der Zustimmung zur Startfreigabe an nächst
höhere Ebene, dabei keine Erwähnung der Probleme an
den Dichtungsringen
Æ Information blieb an Schnittstelle zwischen Ebene IV und
III hängen
Æ Vorgänge können durch Groupthink erklärt werden
Risikokommunikation
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Groupthink (Backup)
Definition: Übermäßiges Streben nach Harmonie und Konsens, das zu Lasten
einer kritischen Analyse der Sachlage geht.
Symptome:
Typ I: Überschätzen von Gruppenmoral und –stärke
Typ II: Engstirnigkeit
Typ III: Uniformitätsdruck
Innerhalb der 3 Typen treten 8 spezifischere Richtungen auf (Janis, 1982):
Typ I:
Typ II:
1. Illusion der
Unverwundbarkeit
3. Kollektive
Rationalisierung
Typ II:
5. Selbstzensur
6. Illusion der Einstimmigkeit
4. Stereotypisierung von
2. Bedingungsloses
Vertrauen in die
Außenseitern
7. Druck auf Abweichler
feste Gruppenmoral
8. Selbsternannte „Mindguards“
Risikokommunikation
7
Struktur des Groupthink-Modells
Risikokommunikation
8
Übertrag auf Challenger
1.
Illusion der Unverwundbarkeit:
¾
¾
2.
Vertrauen in die feste Gruppenmoral:
¾
3.
NASA Manager gingen automatisch von der Zuverlässigkeit
der Zulieferer aus.
Kollektive Rationalisierung:
¾
¾
4.
Bedenken über O-Ring werden von NASA Manager
beschwichtigt.
24 erfolgreiche Starts suggerieren „alles wird schon gut gehen“
Trotz besseren Wissens hielten NASA Manager die Dichtung
für funktionsfähig, zumindest innerhalb der frühen Startphase.
Æ Abwurf nach etwa 2 Minuten.
Erkannte Risiken sind für politische und ökonomische Ziele
verharmlost worden.
Stereotypisierung von Außenseitern:
¾
Herablassende Bemerkungen der NASA Manager in Bezug auf
die Thiokol Ingenieure.
Risikokommunikation
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Übertrag auf Challenger (2)
5.
Selbstzensur:
¾
6.
Illusion der Einstimmigkeit („Gruppenzensur“):
¾
7.
NASA Manager üben Druck auf Thiokol aus und appellieren
zur Solidarität. Sie verschweigen die Unschlüssigkeit von
Thiokol, und halten Fiktion einer einstimmigen Startempfehlung
aufrecht.
Druck auf Abweichler:
¾
8.
Thiokol Ingenieur gibt lediglich „Empfehlung“ den Start zu
verschieben, anstatt darauf zu beharren.
Erheblicher Druck auf Thiokol Ingenieure, zum einen von der
NASA, zum anderen von den Thiokol Managern aus Angst
keine zukünftige Aufträge zu bekommen.
Mindguards:
¾
Schützen Leiter vor Angriffe von „Quertreibern“. Aber ORingexperte von Thiokol ist nicht in die Entscheidung
eingebunden worden.
Risikokommunikation
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Konsequenzen von Groupthink
• Unvollständige Prüfung von Alternativen.
• Fehlende Hinterfragung von Zielen und
Entscheidungsprämissen.
• Ungenügende Prüfung der Risiken der
bevorzugten Handlungsstrategie.
• Unterlassene Neubeurteilung anfänglich
verworfener Alternativen.
• Mangelhafte Informationsbeschaffung.
• Befangenheit im Umgang mit Informationen.
• Unzureichende Auseinandersetzung mit
Negativszenarien.
?? Tragische Parallelen bei STS-107 ??
Chart
Risikokommunikation
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Columbia Unglück
• Am 1. Februar 2003
verglüht Space
Shuttle Columbia über
Texas während des
Wiedereintritts in die
Erdatmosphäre ca. 16
Minuten vor der
geplanten Landung in
Cap Canaveral
(KSC).
Risikokommunikation
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Ursache
• Technisch: Während des
Starts am 16. Januar löste
sich ein ca. 800g schweres
Stück der Isolierung des ET
und beschädigt den
Hitzeschild im Bereich der
linken Tragfläche erheblich.
• Management: Ablösendes
Isoliermaterial trat bei
nahezu jedem Start auf,
etwa 200 Einschläge auf die
Hitzeschutzkacheln gelten
als normal. NASA stufte den
Vorfall als unbedenklich ein.
Æ Übeltäter: Groupthink
Risikokommunikation
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Struktur des Groupthink-Modells
Risikokommunikation
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Randbedingungen
•
Gruppenkohäsion:
– alle Gruppen verfolgen ähnliches Ziel, Shuttleprogramm am leben zu
halten („public interest“), dazu Klientelismus.
– Widerwille Probleme anzusprechen, politische und wirtschaftliche
Probleme gefürchtet.
•
Strukturelle Mängel:
– Chairwoman lässt nur optimistische Deutungen zu.
– Chairwoman wird nicht offiziell über Anfragen informiert, das Shuttle mit
Spionagesatelliten zu untersuchen.
– NASA-Spitze streicht Anfragen von unabhängigen Zulieferern nach
Satellitenphotos.
•
Provokativer Kontext:
– Chairwoman lobt Arbeitsweise des Missionmanagement- Team und
beklagt gleichzeitig, dass ihr nicht alle Berichte vorliegen.
– Klima, in dem es fast unmöglich ist, Sicherheitsaspekte zur Sprache zu
bringen.
– Dringlichkeit, die Mission als unproblematisch darzustellen, wiegt mehr
als die Untersuchung der Gefahrenquellen.
Risikokommunikation
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Struktur des Groupthink-Modells
Risikokommunikation
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Symptome
• Typ 1, Selbstüberschätzung, Unverwundbarkeit:
– Abwertung des Schaumstoffproblems.
– Sture „Don´t worry“ Einstellung; Routine.
– Ablösendes Isoliermaterial ist als unbedenklich
anzusehen, obwohl im Mai 2000 BeinaheKatastrophe, Atlantis STS-101.
– Während der Missionsdauer (16 Tage) nur 5
Meetings, obwohl sie täglich vorgeschrieben wären.
– Verlängertes Wochenende, d.h. das MissionManagement-Team bestand nur aus einer
Notbesetzung.
– Leugnen der bestehenden Probleme durch NASA
Management.
Risikokommunikation
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Symptome (2)
• Typ 2, Engstirnigkeit, Rationalisierung, Stereotypen:
– Unrealistisches und lückenhaftes Verständnis des
technischen Zustands und des operationalen Betriebs der
Shuttle.
– Keine Thematisierung von wissenschaftlichen,
unbemannten Orbitalmissionen.
• Typ 3, Uniformitätsdruck, Selbstzensur, Mindguards:
– NASA Ingenieure bemerken den Einschlag, melden es
aber nicht beim Missions-Meeting, aus Furcht den Job zu
verlieren.
– Nur oberflächliches Interesse bei den selbstgefälligen
NASA Managern im Bezug auf Sicherheit.
– Untergebene Ingenieure äußern nur sehr zögerlich
Belange, die eine Mission beeinträchtigen könnten.
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Return-to-flight-mission STS-114
• Zwischenfall in Analogie
zur STS-107 beim Start
der Discovery am 26. Juli
2005.
• Scan und
Detailaufnahmen von der
Shuttleunterseite
gehörten zum Einsatzplan
(OBSS).
• Testreparatur am
Hitzeschild ohne
Werkzeug.
• Ausarbeitung des
Rettungsplans (STS-300)
als allerletzten Ausweg.
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Schlussfolgerung
• Verschiebung des Starts von Discovery (STS121) auf frühestens März 2006.
• Weitere Verbesserungen am ET notwendig,
obwohl bereits 1 Mrd. $ Entwicklungskosten
verpufften.
• Shuttles werden als „developmental“ klassifiziert,
was sich bis zur Stilllegung nicht mehr ändert.
• Konstruktionsfehler sind bekannt und von NASA
eingeräumt worden; kommen dem
Nachfolgemodell zugute.
• Bei STS-114 erste Anzeichen für wiedererlangte
„safety-first“ Kultur bei der NASA.
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Interessante Quellen
• Farraris, C., Carveth, R. NASA and the Columbia Disaster.
Association for Business Communication, 2003.
• Kammerer, S. Gefährliche Mission im All. Der Stern EXTRA,
2003
• Randow, G. Ikarus will nach Hause. Die Zeit, 32/2005
• Rounds, J. Groupthink. Web published, 2000
http://www.colostate.edu/Depts/Speech/rccs/theory16.htm
Link: 04.12.2005
• Spiegel-Dossier. Raumfähre: Hinkend im All, 2005
• Starbuck, W., Milliken F. Challenger: Fine-Tuning the odds
until something breaks. Journal of Management Studies,
1988
• Vendantam, S. Cultural Divide Plagues NASA. The
Washington Post Company, 2003
Æ Alles „en bloc“ herunterladbar unter: www.skorna.de
zusammen mit weiteren Materialien.
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