JORGE MACCHI

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JORGE MACCHI
JORGE MACCHI
Für seine erste institutionelle Einzelausstellung in der Schweiz entwickelt Jorge Macchi in situ Rauminstallationen. Dies erlaubt dem argentinischen Künstler, sensibel auf die vorhandene Ausstellungsarchitektur
einzugehen. Der Künstler behandelt die Ausstellungsräume dabei quasi
als Container, die vermeintlich zum Verwechseln ähnlich, mit ganz unterschiedlichen Dingen gefüllt sein können. Eine abwechslungsreiche
Dramaturgie mit Licht, Sound, Projektionen, Installationen und Wandmalereien erwartet das Publikum in der Ausstellung. Jorge Macchis poetisches und melancholisches Werk schafft ambivalente Stimmungen, die
gleichermassen anziehend und irritierend sind. Das besondere Interesse
des Künstlers gilt Phänomenen der Wahrnehmung, er fragt nach Zeit und
Vergänglichkeit, nach Stillstand, Balance und Ewigkeit.
For his first institutional solo exhibition in Switzerland, Jorge Macchi is
creating in situ spatial installations. This allows the Argentinean artist to
respond sensitively to the existing exhibition architecture. The artist
treats the exhibition spaces almost like containers or portakabins, which
are supposedly interchangeable but can be filled with very different objects. A varied production of light, sound, projections, installations and
murals awaits the public in the exhibition. Jorge Macchi’s poetic and melancholic work creates ambivalent atmospheres, at once attractive and
unsettling. The artist is particularly interested in phenomena of perception, he enquires into time and transience, into stasis, balance and eternity.
Ein Parcours aus Absperrbändern überfordert die Besucherinnen und Besucher gleich am Anfang der Ausstellung. Die Vielzahl der Begrenzungen
betont die Horizontale und verleiht dem Raum eine fast landschaftsartige
Anmutung. Der längstmögliche Weg durch die Ausstellung führt die Besucherinnen und Besucher in einer Choreografie, in der sie wie Herdentiere hinter einander herlaufen, durch den Saal.
Visitors are puzzled by a course marked off by barrier tapes right at the
start of the exhibition. A multitude of poles and tapes stresses the horizontal line and gives an almost landscape-like feeling to the exhibition
space. The longest possible path through the exhibition hall leads the
visitors to automatically follow a choreography in which they will walk
behind one another like animals in a herd.
Diesen Raum können wir am besten begreifen, wenn wir ihn als Situation
nach einer Überschwemmung beschreiben. Die Installation Refraction
(2012) besteht aus abgewinkelten Stahlträgern, die an den Wänden lehnen. Die graue Wandfarbe reicht bis zu dem Knick in den Trägern. Jorge
Macchi siedelt seine Arbeiten oft in diesem Spannungsfeld zwischen der
realen Objektwelt und der fiktionalen Welt der Simulation an. Die Stahlträger erscheinen wie durch den optischen Effekt der Lichtbrechung abgewinkelt, wie ein Strohhalm in einem Glas Wasser. Bei dieser Arbeit
kommt Macchis Humor zum Tragen, da es ausgerechnet das Phänomen
ist, das nur mit Wasser sichtbar wäre, welches im Raum bleibt. Wie ein
Geist verweist die Refraktion zusammen mit der grauen Farbe auf mögliche vorangegangene Begebenheiten.
The next room we can best convey if we describe it as the remains of a
flooding after the water has left. The installation Refraction (2012) consists of steel girders that rest at an angle against the wall. The grey colour of the paint reaches up to the angle of the beams. Jorge Macchi often
locates his works in this area of tension between the real world of objects
and the fictional world of simulation. The girders appear broken, like a
straw in a glass of water, by the optical effect of refraction. Macchi’s
humour comes into play as the only thing that is left is the only thing that
couldn’t be there without the water. But the optical effect persists ghostlike in the room. This and the grey wall colour indicate the possible past
events.
Der Titel Container (2013) bezeichnet die gesamte Ausstellung wie auch
das monumentalste Werk darin. In diesem Raum scheint ein massiger,
orangener Frachtcontainer durch die Decke gefallen zu sein und sich in
den Wänden verkeilt zu haben. Der tonnenschwere Koloss schafft eine
gespannte und paradoxe Atmosphäre.
The title Container (2013) refers both to the exhibition as a whole and to
the most monumental work in it. In this space a massive orange freight
container seems to have fallen through the ceiling and wedged itself in
the walls. This colossus, weighing several tons, creates an atmosphere of
tension and paradox.
In diesem Raum herrscht Stillstand: Keiner der Ventilatoren der Installation Beehive (2013) rotiert, alle ruhen und zwar in einer Position, so dass
sie gemeinsam ein Wabenmuster ergeben. Macchis Arbeiten sind unheimlich. Wenn allen Werken von Jorge Macchi etwas gemein ist, dann
die Absicht, das Gefühl von Fremdheit auszulösen. Die Verwendung von
alltäglichen Gegenständen, die sich auf einmal anders verhalten als man
es von ihnen gewohnt ist, verstärkt diesen Effekt.
In this room stasis prevails: none of the fans in the installation Beehive
(2013) rotates, they are all still, interlocked in such a position that they
produce a honeycomb pattern. Macchi’s works are supposed to be uncanny and alienating. If all the works have something in common it would be
the intention to provoke a feeling of strangeness. The use of everyday
objects suddenly behaving in an unfamiliar way intensifies this effect.
Die Projektion Second (2013) zeigt den Ausschnitt einer Minute auf dem
überdimensionierten Ziffernblatt einer projizierten Uhr. Wie ein Lichtstrahl leuchtet der schmale Ausschnitt in dem sonst dunklen Raum. Alle
60 Sekunden sieht der Betrachter, die Betrachterin den Sekundenzeiger
über den Ausschnitt huschen und nimmt daher eine Sekunde, eine Zeiteinheit, visuell wahr. Macchi übersetzt so Zeit in ein Bild, das wie ein
Blitz aus einem unteren Geschoss den Raum durchbricht.
The projection Second (2013) shows the section of one minute on the
oversized face of a projected clock. Like a ray of light the narrow triangle
is projected in the otherwise dark room. Every 60 seconds the viewer
sees the second hand darting across the section and thus perceives a second, a unit of time, in a visual way. Macchi translated time into an image
that pierces the room like a flash from a lower floor.
Die Wandmalerei Cathedral (2011) zeigt Buchstabenreihen, wie sie für
Sehtests verwendet werden, mit dem Unterschied, dass dieser Test nicht
bestanden werden kann. Denn die Buchstaben der unteren Reihen werden nicht nur kleiner, sondern auch kontrastärmer, bis sie gar nicht mehr
zu lesen sind. Macchi verleiht nach eigener Aussage gerne dem Unlogischen eine Logik, und auch hier scheint das der Fall zu sein: Es ist nur
logisch, dass die immer kleiner werdenden Buchstaben letztendlich verschwinden.
The wall painting Cathedral (2011) shows rows of letters like the ones
used for eye tests, except that this test is impossible to pass. Because the
letters in the lower rows become not only smaller, but also lower in contrast, until they are no longer legible. Macchi likes to attribute logic to
the illogical, and this seems to be the case again here. It is only logical
that the letters should, while becoming smaller and smaller, finally disappear.
Auch bei der Videoprojektion XYZ (2012) steht die Zeit still. Das Video
einer analogen, stillstehenden Bahnhofsuhr ist so in eine Ecke des Raums
projiziert, dass die drei Zeiger auf den Boden- und Wandkanten wie auf
den Achsen des Koordinatensystems liegen. Raum und Zeit werden auf
spielerische, nicht ganz ernst gemeinte Art eins. Auch hier geraten alle
Sicherheiten aus dem Gleichgewicht und die Besucherinnen und Besucher
schwanken zwischen der konzeptuellen und der sinnlichen Wahrnehmung, die sich in diesem Werk aufwiegen.
Time also stands still in the video projection XYZ (2012). The video of an
analogue station clock is projected in one corner of the room in such a
way that the three hands lie both on the edges of the floor and the wall
and on the axes of the system of coordinates. Space and time become one
in a humorous way. Again certainties are disturbed and the visitor’s perception shifts to a place where conceptual and sensual intentions balance
each other out.
Die Wandarbeit Hotel (2007) zeigt den Teil einer vermeintlichen Tapete,
den die in der Mitte befindliche Lampe ausleuchten würde, wäre sie die
einzige Lichtquelle in einem sonst dunklen Raum. Der Ausstellungsraum
ist jedoch trotz der wohnlichen Elemente noch klar in seiner Funktion zu
erkennen. Tapete und Lampe wirken wie eine zu Material gewordene Projektion, ein vergessener Teil eine Kulisse oder auch ein Geist der sich im
Ausstellungsraum festgesetzt hat. Die theatralen und filmischen Einflüsse sind in Macchis Werk unverkennbar: Das Vokabular, das er für seine
Stimmungen verwendet, ist eindeutig diesem Bereich entlehnt.
The mural Hotel (2007) shows the part of a printed piece of wallpaper
that the light in its middle would illuminate if it were the only light
source in an otherwise dark room. But the exhibition space’s function is
still clearly apparent in spite of these homely elements. Both wallpaper
and lamp look like a projection that has been made material, a forgotten
part of a backdrop or like a ghost that manifested itself in the exhibition
space. The theatrical and filmic influences in Macchi’s work are unmistakeable: the vocabulary with which he creates his atmospheres is clearly
borrowed from this field.
In der Zwei-Kanal-Projektion nimmt Jorge Macchi den Hollywood Klassiker From Here to Eternity auf paradoxe Weise wörtlich. Zwei Dauerprojektionen wiederholen die wenigen Sekunden, in welchen der Titel und
«The End» zu lesen sind. Da diese beiden Clips aber unterschiedlich lang
sind, überlagern sich die Soundtracks der beiden Ausschnitte immer anders und erzeugen eine chaotische Tonmischung im Raum. Ein Computerprogramm, das der Musiker Edgardo Rudnitzky entwickelt hat, kreiert
live eine dritte Tonspur: Die Software erzeugt auf den einzelnen Noten
der beiden Soundtracks basierend einen dritten Soundtrack, der von
Frauen gesungen wird. From here to eternity ist das neuste gemeinsame
Werk der bereits zehnjährigen Zusammenarbeit von Macchi und Rudnitzky.
In the two channel video projection Jorge Macchi takes the Hollywood
classic From Here to Eternity literally and paradoxically, showing two
loops made of the few seconds the title and the words «The End» appear
in the film. As these two clips have slightly different lengths they don't
match up and their correspondent soundtracks coexist in the exhibition
space superimposing each other always in a different way and creating a
chaotic sound mixture. A computer software programmed by musician
Edgardo Rudnitzky creates a third audio channel in real time: the software takes musical notes from both original soundtracks and develops a
third soundtrack sang by women voices. From here to eternity is the latest piece in collaboration with Edgardo Rudnitzky, with whom Macchi
has been working for the last ten years.
Licht ist ein grosses Thema in Jorge Macchis Werk. Das Sichtbarmachen
und Verräumlichen von nicht stofflichen Phänomenen spielt auch bei der
Arbeit Suspension (2013) eine Rolle. Jorge Macchi gelingt es, das Volumen eines Schattens zu visualisieren. In diesem Raum baute er den
Schatten, der hinter einer Holzplatte entsteht, mit einem Lattengerüst
nach. Die Lattenflucht entspricht dabei dem Weg, den das Licht nehmen
würde, würde es nicht von der Platte blockiert. Macchis Werke sind
Mischwesen aus Konzeptarbeit und Installation. Macchis erster Schritt,
um seine Ideen in Material zu transformieren, sind dabei immer seine
Zeichnungen und Aquarelle. Sie sind skizzenhaft und flüchtig und kein
eigenes Werk, sondern ein Schritt auf dem Weg zum Werk und der Suche nach dessen Medium.
Light is a major theme in Macchi’s work. The visualisation and spatialisation of non-material phenomena is one of his key interests in that field.
In this room Macchi copies the shadow produced behind a sheet of wood
with a scaffolding of slats. The perspective of the slats corresponds to
the path that the light would take if it were not blocked by the wood.
Macchi’s works are hybrids between conceptual work and installation.
His first step towards transforming ideas into material is always through
drawings and watercolours. They are sketchy, fleeting and not works in
their own right, but a step on the way to the work and the search for its
medium.