Talentförderung im Sportverein - Der Deutsche Olympische Sportbund

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Talentförderung im Sportverein - Der Deutsche Olympische Sportbund
IN EIGENER SACHE
Erik Anthes/Arne Güllich/Eike Emrich
Talentförderung im Sportverein
Teil 1: Vereins- und Mitgliederstruktur
Sportvereine werden in der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen sportlicher
Nachwuchsförderungskonzepte als
Basisteil einer umfassenden Produktionskooperative Spitzensport angesehen,
welche in ihrer Gesamtheit gewährleisten sollen, dass dem leistungssportlichen
Nachwuchs möglichst optimale Bedingungen zur Entwicklung der sportlichen
Leistungsfähigkeit geboten werden (zur
Organisationsstruktur vgl. Emrich & Güllich, 2005). Die autonomen Vereine bilden somit die Grundlage bzw. die „Keimzelle des Nachwuchs-Leistungssports“
(DSB, 20013, S. 23). Ihnen wird in der
Nachwuchsförderung in erster Linie das
Segment der Talentsuche und anfänglichen Talentförderung als Aufgabe zugeschrieben, also Kinder und Jugendliche
in das System des Sports einzubinden
und an den Wettkampfsport heranzuführen. Anregungen oder „Anleitungen“
für die Durchführung solcher Sichtungsund Förderungsmaßnahmen erhalten
die Vereine u. a. von Landes- und Spit-
1. Nachwuchsförderung
in Sportvereinen
Zur Quantifizierbarkeit der Qualität
von Nachwuchsförderung
„Qualität beschäftigt sich mit mehr als der Frage, was wir wollen und was wir davon erreicht
haben, Qualität erfasst auch die Frage, was ist
wünschenswert“ (Emrich, 2003, S. 43; vertiefend vgl. Emrich & Wadsack, 2005). So wird
zwischen einer subjektiven, einer objektiven,
einer normativen und einer instrumentellen Dimension von Qualität unterschieden (ebd., s.
Abb. 1). Im Hinblick auf die oben genannte Fragestellung erscheint eine Zugrundelegung jeder dieser Dimensionen legitim. Vorbildliche
Talentförderung in Sportvereinen kann also als
eine Förderung aufgefasst werden, die von den
Leistungsempfängern – sprich: von den Talenten, Trainern1, Eltern – als solche bewertet wird
(subjektive Dimension), die von lizenzierten
Trainern und Übungsleitern durchgeführt wird
(objektive Dimension), die als hochwertig erachtet wird (normative Dimension) und/oder
die den gewünschten Ertrag realisiert, die
nämlich junge Nachwuchssportler so fördert,
dass aus ihnen erfolgreiche Spitzenathleten
werden (instrumentelle Dimension). Die Ausprägungen der Qualitätsdimensionen in Sport-
zenverbänden, die im Rahmen diverser
Konzepte mit z. T. wissenschaftlicher Unterstützung festgelegt haben, wie Nachwuchsförderung (idealtypisch) aussehen
sollte. Dabei bedient man sich technokratischer Programme in Form von Konzepten etc., wobei die Entscheidung der
Vereine, inwieweit man sich an diesen
orientiert, in hohem Maße vom Verhältnis
von Entscheidungsautonomie zu Kooperationskosten bestimmt wird.
Dabei gilt es zu bedenken, dass es sich
bei Sportvereinen um höchst heterogene
soziale Gebilde handelt, z.B. hinsichtlich
der Größe der Organisation (gemessen
über die Mitgliederanzahl), des Alters
und der Abteilungszahl. Zu diesen rein
„äußerlichen“ Verschiedenheiten kommen Unterschiede im Hinblick auf die
Mitgliederstruktur, wie z. B. die absolute
Anzahl oder den relativen Anteil von Kindern und Jugendlichen an der Gesamtmitgliederzahl im betreffenden Verein.
Emrich, Pitsch und Papathanassiou stellen fest, dass sich Sportvereine – unab-
vereinen können untereinander zusammenhängen, müssen aber nicht ohne Weiteres
übereinstimmen.
Zwar gibt es sowohl seitens Sportorganisationen (z.B. Verbände) als auch seitens mancher
ABB. 1
hängig davon, wie groß, alt und abteilungsspezifisch ausdifferenziert sie sind –
zum größten Teil „mit steten Einnahmen,
die autonom bestimmbar sind und zu
mehr als der Hälfte aus internen Quellen
stammen“, finanzieren (2001, S. 24; vgl.
auch Emrich & Pitsch, 2004). Da vermutet
werden kann, dass strukturspezifisch derart unterschiedliche Organisationen
auch in unterschiedlichem Maße
leistungsfähig sein können, ggf. auch im
Bereich der Talentförderung, stellt sich
die Frage: Besteht zwischen der Vereinsund Mitgliederstruktur und der Qualität
der Talentförderung in den Organisationen ein systematischer Zusammenhang?
Der vorliegende Artikel fasst eine diesbezügliche Vereinsstudie in wesentlichen
Punkten zusammen (vgl. Anthes, 2004).
Eingegangen: 5.8.2005
1
Verbum hoc „si quis“ tam masculos quam feminas
completitur (corpus iuris civilis).
Vertreter der Sportwissenschaft eine Vielzahl
von Darstellungen als funktional attribuierter
Bedingungen von Sichtungs- und Förderungsmaßnahmen in Sportvereinen (Beispiel in Tab.
1). Empirische Studien liegen den beschriebe-
Dimensionen des Qualitätsbegriffs
Subjektive Qualitätsdimension
Normative Qualitätsdimension
Subjektive Meinung von Talenten,
Übungsleitern/Trainern, Eltern im Verein,
ob und inwiefern der Sportverein optimale
Talentförderung betreibt.
Aus idealtypischer Sicht optimale Bedingungen
und Maßnahmen effektiver Talentförderung,
z.B. in Form von programmatischen Vorgaben
der Sportverbände.
Wie erleben junge Sportler, Übungsleiter/
Trainer, Eltern die Talentförderung in einem
Sportverein?
Inwieweit entspricht die Talentförderung im
Sportverein einem normativ gesetzten
Idealtypus?
Objektive Qualitätsdimension
Instrumentelle Qualitätsdimension
Objektiv feststellbare Qualifikationen der
Trainer, Übungsleiter und Betreuer, z.B. zu
erfassen in Form von Lizenzen, die von den
jeweiligen Ausbildern erworben wurden.
Effektivität der Talentförderung im Sportverein
im Hinblick auf ihren beabsichtigten Zweck.
Inwieweit werden die Leistungen des Vereins
in der Talentförderung lege artis erbracht?
Inwieweit tragen die Maßnahmen im Sportverein zu Spitzensporterfolgen der geförderten
Talente bei?
Dimensionen des Qualitätsbegriffs – übertragen auf den Bereich der Talentförderung in Sportvereinen
(zur Mehrdimensionalität des Qualitätsbegriffs vgl. Emrich, 2003, S.43)
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nen Zielzuständen allerdings meist nicht zugrunde, sondern sie sind zumeist eher normativ begründet (vgl. die vielfältigen Hinweise in
Emrich & Güllich, 2005). Eine instrumentelle
Qualität von Vereinsmaßnahmen auf dem Gebiet der Talentförderung ist demnach noch
nicht empirisch nachgewiesen, unter Umständen auch gar nicht nachweisbar. Es stellt sich
die Frage, inwieweit solche idealtypisch formulierten Maßnahmen in der Realität umgesetzt
werden bzw. inwieweit sie überhaupt umsetzbar sind:
Welche Bedingungen sollten in Sportvereinen gegeben sein, damit Talentförderung in der Form geleistet werden kann, wie man sie aus einer normativen Perspektive als optimal erachtet?
TAB. 1
Diese Frage ist insofern relevant, als ihre Beantwortung das Fundament für eine begründete Hypothesenbildung für den strukturmerkmalsbedingten Qualitätsunterschied in der Talentförderung liefern kann, dies unter der Annahme, dass Sportvereine mit unterschiedlichen Ausprägungen der Strukturmerkmale und
der Mitgliederstruktur unterschiedlich leistungsfähig sind – und somit auch unter Umständen in unterschiedlichem Maße fähig, vermutete optimale Voraussetzungen und Bedingungen für eine qualitativ hochwertige Nachwuchsarbeit zu schaffen.
Aus diesem Grund werden im Folgenden Bedingungen und Voraussetzungen herausgearbeitet, die – basierend auf logisch-normativen
Überlegungen – in Sportvereinen gemeinhin
als notwendig für die Realisierung einer idealtypisch optimalen Nachwuchsförderung angesehen werden.
Talentsichtung und -förderung im Sportverein
Maßnahmen im Bereich Talentsichtung
Kooperation mit der Schule
Einbindung der Schule im Bereich der Talentsuche und anfänglichen Talentförderung.
Maßnahmen auf Vereins- und Verbandsebene
Veranstaltungen, die das Interesse von Kindern und Jugendlichen am Vereinssport und am
Leistungssport wecken und sie durch ein attraktives Sportangebot, z.B. Schnupperkurse, „Talentiaden“, Vereinswettkämpfe, Präsentationsveranstaltungen, Ferienfreizeiten etc. längerfristig an den
Verein binden sollen.
Sichtungskriterien
Anwendung von Sichtungskriterien, nach denen talentspezifische Auswahlentscheidungen getroffen
werden.
Sichtungsinstanzen
Durchführung der Sichtung und Auswahl durch qualifizierte Trainer/Übungsleiter in Sportverein und
Schule.
Maßnahmen im Bereich Talentförderung
Nutzung konzeptioneller Grundlagen
Existenz eines leistungssportlichen Konzepts im Verein, Ausrichtung der Talentförderung an verbandlichen Förderkonzeptionen und Rahmentrainingsplänen o.ä.
Nutzung spezieller Förderprogramme für Verbandskader
Verbandliche athletenbezogene Fördermaßnahmen, die in Ergänzung zur vereinsinternen Nachwuchsarbeit genutzt werden, wie z. B. ein zusätzliches Kadertraining und/oder Stützpunkttraining sowie auf
Vereins- bzw. Verbandsebene durchgeführte Trainingslager.
Trainer- und Übungsleitersituation im Verein
Anzahl und Qualifikation der mitwirkenden Trainer und Übungsleiter in der Talentförderung.
Zusammenarbeit mit übergeordneten Förderinstanzen
Zusammenarbeit mit Landesfachverbänden, Spitzenverbänden, dem Landesausschuss für Leistungssport etc. sowie eine Kooperation mit Betreuungseinrichtungen wie z. B. den Olympiastützpunkten.
Zusätzliche Förderung benannter Kadersportler im Nachwuchsbereich
Ergänzende Fördermaßnahmen zugunsten der im Verein organisierten Kaderathleten, u.a. pauschale
finanzielle Zuwendungen in Form von Prämien o. ä., Aufwandsentschädigungen für trainings- und
wettkampfbezogene Kosten, Bereitstellung von Trainings- und Wettkampfgeräten etc.
Soziale und pädagogische Maßnahmen
U.a. Entlastung/Unterstützung in Kooperation mit der Schule, Pflege des Kontakts zu den Eltern, Unterstützung sozial schwacher Familien.
Idealtypische Maßnahmen von Sportvereinen in den Bereichen Talentsichtung und Talentförderung (vgl.
Dresdner Bank, 2003, modifiziert und ergänzt nach Anthes, 2004, vgl. auch DSB, 20013).
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Mögliche Voraussetzungen und
Bedingungen für eine optimale Talentförderung in Sportvereinen2
Bei der Bestimmung idealtypisch optimaler
Voraussetzungen und Bedingungen gilt es zu
bedenken, dass diese ebenso auf normativen
Überlegungen basieren wie die Maßnahmen
selbst, d. h., sie sind zunächst gedanklich-logischer Natur und noch nicht (ausreichend) empirisch fundiert. Dies bedeutet eben auch, dass
es sich um im Sinne des soziologischen Neoinstitutionalismus in der Institution Sport verankerte kognitive Orientierungsmuster handelt, die sich auch in hohem Maße als resistent
gegenüber widersprechenden Befunden erweisen dürften (vgl. z. B. zu Rationalitätsmythen
Meyer & Rowan, 1977). Im Rahmen der Vereinsstudie wurden fünf Bedingungen geprüft,
die substanzieller Bestandteil dieser kognitiven
Orientierungen sind.
Ökonomische Einflussgrößen
Es wird gemeinhin davon ausgegangen, dass
die Talentförderung kostspieliger ist als andere
Bereiche des Vereinssports, und zwar in personeller, materieller und damit auch finanzieller
Hinsicht, wobei die Kosten sowohl im Wettkampf- als auch im Trainingsbereich anfallen3.
Baur betont: „Vor allem aber ist die Nachwuchsarbeit auf der Vereinsebene in die Sozialökologie des jeweiligen Sportvereins eingebunden, durch die ihr jeweils unterschiedliche
Möglichkeiten eröffnet und Grenzen gesetzt
werden“ (1991, S. 68). Es ist hier zwar nicht
genau spezifiziert, was unter Sozialökologie zu
verstehen ist, mit Vorbehalt kann aber konstatiert werden, dass die Vermutung eines Einflusses der Finanzkraft eines Vereins auf die Qualität seiner Nachwuchsförderung aufgrund der
Möglichkeit, dass der Kinder- und Jugendarbeit
ein größeres Budget zugute kommen könnte,
nahe liegend ist, dass eine empirische Absicherung jedoch noch nicht vorliegt.
Leistungssportorientierung
Die Gestaltung der Nachwuchsförderung in
Sportvereinen kann davon abhängen, inwieweit
ein Verein die Aufgabe einer leistungssportlich
orientierten Nachwuchsförderung als Ausdruck
intensiver und engagierter Talentförderung in
seine Selbstdarstellung integriert. Dabei ist
zum einen davon auszugehen, dass sich eine
solche Orientierung in einem entsprechenden
Sportangebot widerspiegelt, zum anderen
dürfte sie im Hinblick auf das vermeintliche Erfordernis eines leistungssportfreundlichen Umfelds für die heranwachsenden Athleten eine
wesentliche Rolle spielen4.
Andererseits stellen Heinemann und Schubert
fest, dass „[...] traditionelle Bindungen an bestimmte Sportarten, ein nur als ‚Nachwuchsförderung’ verstandenes Konzept von Jugendarbeit und eher ‚konservativ’ ausgeprägte Vereinsstrukturen die Chancen in diesem Bereich
[Nachwuchsrekrutierung, Anm. d. Verf.] mindern [...]“ (1994, S. 132). Allerdings wird nicht
klar, wieso diese Chancenminderung eintreten
sollte. Entscheidend auf Vereinsebene ist doch
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zunächst, welche Ziele der Verein sich setzt und
welche Mittel er dazu verwendet. Insofern ist
nicht klar, warum es die Chancen der Nachwuchsrekrutierung mindern sollte, wenn er
nicht expressis verbis Talentförderung betreibt;
möglicherweise deshalb, weil Jugendliche mit
Aufstiegsambitionen sich von bloßer Nachwuchsförderung nicht angesprochen fühlen.
Hinzu kommt ein eventuelles Problem, das sich
aus einem gespannten Verhältnis zwischen
Hochleistungs- und Breitensport ergeben
könnte (vgl. Bette & Neidhardt, 1985, S. 121).
Gerade auf diese Unterstützung sind die einzelnen leistungssportlich orientierten Vereinssparten jedoch angewiesen (ebd.). Die Autoren
schreiben: „Dass die leistungssportlichen Abteilungen unter den gegebenen Knappheitsbedingungen gerade in den mehrspartigen Vereinen oft ‚den Kürzeren’ ziehen, liegt auf der
Hand“ (ebd., S. 122). Allerdings fehlen hierzu
trotz aller behaupteter Evidenz die empirischen
Belege.
Mitgliederstruktur
Es ist eine triviale und doch zugleich unverzichtbare Voraussetzung für Talentförderung in
der Mitgliederstruktur der Sportvereine verankert: ohne Nachwuchs keine Nachwuchsförderung. Bezüglich dieses Gedankens ist einerseits
zu argumentieren, dass mit steigender Zahl
von Vereinsmitgliedern im Heranwachsendenalter auch die Wahrscheinlichkeit steigt, dass
2
Auf der individuellen Ebene ist die Talentförderung
dort optimal, wo die höchstmögliche Leistungsausprägung im Spitzensport erzielt wird. Diese höchstmögliche Leistungsausprägung ist allerdings stets unbekannt, insofern sind wir auf Näherungsprozesse angewiesen und „produzieren“ in gewissem Sinne stets suboptimal. Im Hinblick auf die subjektive Dimension wissen wir etwa, dass ein Optimum dort liegt, wo Anforderungsstruktur und Fähigkeit übereinstimmen, also weder Langeweile (vor Erreichen des optimalen Punkts)
noch Angst (nach dem optimalen Punkt) entstehen.
Für die Organisationsseite ist dies wiederum anders zu
bewerten. Ein Verein überschreitet dann das Optimum
der Förderung, wenn er verschwenderisch wird, also zuviel fördert angesichts der erzielten Leistung. Das Optimum wäre hier möglicherweise so zu sehen, dass der
Verein bei gegebenen Mitteln eine optimale Zahl von
Athleten betreut. Da dieser Punkt aber mangels verlässlicher Suffizienz- bzw. Effizienz- und Saturationsparameter für Training und Betreuung notgedrungen unbekannt bleibt, kann er sich ihm nur mehr oder weniger
sich in den jeweiligen Altersgruppen Talente befinden. Darüber hinaus hängen auch in Bezug
auf kooperative und/oder vereinsinterne Maßnahmen der Talentsuche die Gestaltungsmöglichkeiten der Sportvereine davon ab, über welche personellen Ressourcen die jeweiligen Organisationen verfügen.
Andererseits könnte jedoch ebenso vermutet
werden, dass mit hohen Mitgliederzahlen im
Kindes- und Jugendalter Engpässe im Bereich
der Trainer, Übungsleiter und Betreuer oder im
Bereich der Sportstätten wahrscheinlicher werden. Nicht zu vernachlässigen sind darüber hinaus finanzielle Implikationen des relativen Kinder- und Jugendlichenanteils in Sportvereinen:
Der Jugendsport in einem Sportverein wird
überwiegend durch erwachsene Vereinsmitglieder finanziert (vgl. Emrich, Pitsch und Papathanassiou, 2001, S. 298) – je höher also der
Anteil der Heranwachsenden in einem Verein,
desto niedriger im Allgemeinen der Leistungsumfang, der auf das einzelne Mitglied im Kindes- und Jugendalter entfällt. Zudem steht in
Organisationen mit hohem Heranwachsendenanteil aufgrund der in der Mehrzahl der Vereine
angewandten altersgemäßen Beitragsstaffelungen5 einer relativ großen Zahl an geringere
Beiträge zahlenden Kindern und Jugendlichen
eine relativ niedrige Zahl an Erwachsenen gegenüber, die im Rahmen des organisierten, solidargestützten Umverteilungssystems Sportverein höhere Beiträge entrichten.
Nutzungsmöglichkeiten von Sportstätten
Kindern und Jugendlichen in Sportvereinen
sollen ausreichende Möglichkeiten zum sportlichen Training geboten werden, um als erforderlich angesehene Trainingsumfänge im Kindesund Jugendalter realisieren zu können. Dies
setzt auf der einen Seite eine ausreichende Anzahl an Trainern und Übungsleitern mit einem
ausreichenden Zeitbudget voraus, auf der anderen Seite sind entsprechende Nutzungsmöglichkeiten von Sportstätten erforderlich. Aus einer idealtypischen Perspektive wären im Hinblick auf den letztgenannten Aspekt also diejenigen Sportvereine begünstigt, die über umfangreiche Möglichkeiten zur Nutzung von
Sportstätten verfügen und deren genutzte
Sportanlagen angemessen ausgestattet sind6.
Andererseits konnte ein systematischer Zusammenhang zwischen der Trainingshäufigkeit
im Kindes- und Jugendalter und Erfolgen im
Spitzensport bislang empirisch noch nicht belegt werden, bzw. scheint es, dass sehr frühzeitige hohe Trainingsumfänge7 langfristig auch
erfolgsmindernde Effekte haben können (Carlson, 1990; Hill et al., 2002; aktuell: Güllich et
al., 2004; Emrich & Güllich, 2005).
nähern. Das Ganze erinnert an Rennmotoren, die generell nur mit einem definierten Maß an Benzinüberschuss, also einer höheren Menge als physikalisch eigentlich notwendig, optimal laufen.
5
3
Gemäß Emrich, Pitsch und Papathanassiou (2001, S.
302) beziehen sich von den zehn am häufigsten genannten Ausgabepositionen der Sportvereine fünf auf
den Wettkampfsport einschließlich Training, insbesondere auf Kosten für Sportgeräte und -kleidung, Trainer
und Übungsleiter, die Durchführung eigener sportlicher
Veranstaltungen, Unterhaltung und Betrieb eigener Anlagen und Reisen für den Trainings- und Wettkampfbetrieb, weiterhin Verwaltung, Versicherungen, Mieten,
Sportstättennutzung. Maßnahmen zur Bindung erfolgreicher Sportler werden offenbar vorrangig auf den
Kinder- und Jugendbereich bezogen (Emrich, 2004).
4
In der Selbstdarstellung der Sportvereine in Deutschland rangiert die Leistungssportorientierung gegenwärtig nach der Dimension „Solidargemeinschaft“ an zweiter Stelle (Emrich, Pitsch und Papathanassiou, 2001).
Betreuungsleistungen, Trainersituation
und Professionalisierungsgrad
Die Qualität der Betreuungsleistungen – und
somit indirekt, wenn auch nicht zwangsläufig,
der Verberuflichungsgrad im betreffenden VerIn 80 Prozent der Sportvereine sind die Mitgliedsbeiträge nach Alterskategorien gestaffelt (Emrich, Pitsch &
Papathanassiou, 2001, S. 312).
6
Die These wird durch Ergebnisse von Carlson gestützt,
wonach schwedische Spitzentennisspieler berichteten,
dass im Kindes- und Jugendlichenalter in ihren jeweiligen (dörflichen) Vereinen – im Gegensatz zu weniger
erfolgreichen Spitzenspielern – Sportstätten quasi stets
frei verfügbar waren (1990, S. 117 ff.).
7
Während in geistigen Berufen das Überdrussphänomen auch bei extremer Arbeit immer wieder durch die
Freude am geistig Neuen kompensiert wird, kann Training eben auch die Wiederholung des ewig Gleichen
sein und notwendigerweise Überdruss produzieren, vor
allem bei sich ständig steigernden Trainingsumfängen.
Im Gegensatz zur Arbeit, die dank gewerkschaftlichen
Engagements verkürzt wurde, wurde die Trainingszeit
immer weiter intensiviert und verlängert, wobei allerdings die „Lohnzahlung“ angesichts der Ergebnisunsicherheit im Spitzensport ein Lotteriespiel blieb.
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ein – wird gemeinhin als relevante Voraussetzung für eine vorbildliche Nachwuchsförderung
angesehen. Nach Auffassung von Carl bedarf es
zur Umsetzung von verbandlichen Konzeptionen wie denen des DSB sowie anderer anspruchsvoller Trainingskonzepte vor allem
hauptamtlicher Nachwuchstrainer (1993, S.
30)8. Auf dieser Grundlage ließe sich vermuten,
dass in Vereinen, die einen höheren Professionalisierungsgrad aufweisen – vor allem im Bereich Trainer, Übungsleiter und Betreuer – bessere Bedingungen für eine optimale Nachwuchsförderung vorliegen.
Nach Meinung von Carl ist es dagegen ebenso
gut möglich, dass eine unter Umständen mangelnde Qualifikation der Trainer und Übungsleiter mit hohem Engagement kompensiert werden kann (1993, S. 29)9. Da solche Trainereigenschaften nicht unmittelbar an den Erwerb von
bestimmten Lizenzen oder an einen beruflichen
Status gebunden sind, könnte vermutet werden, dass auch die Qualität der Betreuungsleistungen in Vereinen nicht in erster Linie von der
(fachlichen) Qualifikation der Trainer und/oder
ihrer beruflichen Stellung abhängig ist. Sinngemäß gilt Gleiches für die Betreuung der Talente in Kooperation des Vereins mit Schulen.
Zwischenfazit
Die genannten möglichen Einflussgrößen der
Qualität der Talentförderung im Sportverein
können untereinander interdependent sein.
Hinsichtlich der möglichen Bedeutung der Vereins- und Mitgliederstruktur lässt sich Folgendes zusammenfassen:
Gemeinhin wird davon ausgegangen, dass die
Talentförderung im Sportverein mit höheren
Kosten einher geht als andere Bereiche im
sportlichen Vereinsangebot und dass die Mitgliedsbeiträge der Talente selbst zu deren Kostendeckung nicht ausreichen, womit innerhalb
autonom bestimmbarer Ressourcen Umverteilungen zugunsten der Talentförderung als günstige Voraussetzung angesehen werden. Vereinsmitglieder jenseits der Talente und Vereinsabteilungen jenseits derjenigen der betreffenden Talentförderung bedeuten im Hinblick auf
die Ressourcenallokation im Verein jeweils einerseits mehrheitlich höhere Einnahmen als
Kosten, andererseits potenziell konkurrierende
Ansprüche an den Verein hinsichtlich der Leistungserstellungen.
TAB. 2
Eine höhere absolute Mitgliederzahl im Kindesund Jugendbereich geht u. a. einher mit
– einer erhöhten Wahrscheinlichkeit, dass darunter viele Talente sind;
– höheren absoluten Einnahmen aus Mitgliedsbeiträgen;
– aufgrund des höheren personellen und finanziellen Volumens mit einer höheren Optionsvielfalt und flexibleren Gestaltungsmöglichkeiten in der Einteilung der Einheiten für
Übungsleiter/Trainer,
Trainingsgruppen,
Wettkampfmannschaften, Sportstättenbelegung usw.;
– erhöhten Chancen auf externen Ressourcenzufluss (kostenfreie Belegzeiten in Sportstätten, Zuschüsse, Spenden, Einnahmen von
Sponsoren/Mäzenen); andererseits
– erhöhter Wahrscheinlichkeit von Engpässen
hinsichtlich der Betreuung und der Sportstättenbelegung sowie
– insgesamt höheren Kosten und insbesondere
einer höheren Anzahl von Mitgliedern, deren
Mitgliedsbeiträge die jeweiligen Kosten nicht
decken.
Ein höherer relativer Anteil an Kindern und Jugendlichen unter allen Vereinsmitgliedern geht
u. a. einher mit
– einem höheren Gewicht im vereinsinternen
Kräfteverhältnis für den Fall von Konflikten
um die Ressourcenverteilung bzw. -reallokation gegenüber einem geringeren Mitgliederanteil mit potenziell anderweitigen Ansprüchen; andererseits
– einem ungünstigeren Verhältnis zwischen
Mitgliedern, bei denen die Einnahmen aus
Mitgliedsbeiträgen höher sind als die Kosten
der für sie zu erstellenden Leistungen des
Vereins, und Mitgliedern, bei denen die Kosten des Vereinsangebots die Einnahmen
durch ihre Beiträge übersteigen. Gleiches gilt
für eine höhere oder geringere Anzahl an Abteilungen jenseits der betreffenden Abteilung, in der die Talentförderung erfolgt. Dabei ist allerdings nicht zu übersehen, dass die
jeweiligen Optima erstens teilweise vereinsspezifisch sein können, und zweitens Optima
sich prozesshaft über die Zeit verändern können.
Insofern sind Fragestellungen nach Zusammenhängen zwischen vereins- und mitglieder-
strukturellen Merkmalen und der Qualität der
Talentförderung zunächst prinzipiell nicht spezifisch gerichtet, sondern zweiseitig offen zu
formulieren.
2. Fragestellung
Die Argumentationsrichtungen im Hinblick auf
Voraussetzungen für eine aus idealtypischer
Sicht optimale Nachwuchsförderung in Sportvereinen weisen z. T. starke Gegensätzlichkeiten auf. Demnach liegen keine begründeten
Aussagen für oder gegen eine qualitativ hochwertige Nachwuchsförderung in Sportvereinen
vor, die in unterschiedlichem Maße die genannten Kriterien erfüllen. Deshalb erscheinen gerichtete Annahmen bzw. Hypothesen als Grundlage der empirischen Untersuchungen nicht legitim, nahe liegender ist vielmehr eine allgemein gehaltene Fragestellung, die im Rahmen
der Vereinsstudie wie folgt formuliert wurde:
Gibt es zwischen Sportvereinen mit
höherer und geringerer Qualität der
Talentförderung systematische Unterschiede in der Vereins- bzw. Mitgliederstruktur?
Im Einzelnen bezieht sich die Frage auf das Alter und die Binnendifferenzierung der Vereine,
die gesamte Mitgliederzahl und die Zahl der
Kinder und Jugendlichen im Verein sowie deren
Anteil an der Gesamtheit der Mitglieder.
3. Untersuchungsmethode
In einem ersten Zugang sollten Sportvereine,
denen von Experten besonders hohe Qualität in
der Talentförderung zugeschrieben wird, mit
solchen verglichen werden, für die dies nicht
der Fall ist10. Die allgemeine Fragestellung
wurde auf der Grundlage der Strukturdaten von
Sportvereinen bearbeitet, welche sich in den
Jahren 1997 bis 2002 im Rahmen des Wettbewerbes „Das Grüne Band für vorbildliche Talentförderung im Verein“ – initiiert von der
Dresdner Bank und dem Deutschen Sportbund
– um eine Auszeichnung bemüht haben und innerhalb eines zweistufigen Auswahlverfahrens
von den jeweiligen Spitzenverbänden für eine
Prämierung vorgeschlagen wurden. Die Stich-
Qualität der Talentförderung und Vereins- und Mitgliederstruktur
Stichproben
GB gesamt
Gründungsjahr
Anzahl Abteilungen [n]
Mitglieder gesamt [n]
Kinder und Jugendliche [n]
Kinder und Jugendliche [%]
Nominierte
Prämierte
FISAS
M
SD
n
M
SD
n
M
SD
n
M
SD
n
1946
5,4
963
345
41
44
6,5
1925
515
19
693
669
673
666
664
1946
5,8
911
330
42
46
6,7
1561
503
20
363
345
347
343
342
1945
5,0
1019
360
40
43
6,3
2250
528
18
332
324
326
323
322
1951
2,8
298
93
25
42
3,4
459
186
62
3024
2938
3024
3024
2942
GB – Grünes Band, M – Mittelwerte, SD – Standardabweichung. Daten der Stichprobe FISAS aus Emrich, Pitsch & Papathanassiou, 2001
40
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probe umfasste Vereins- und Mitgliederstrukturdaten von 789 Abteilungen aus 757 Vereinen. Erhoben wurden u. a. das Gründungsjahr,
die Anzahl der Abteilungen im Verein, die gesamte Mitgliederzahl und die Anzahl der Mitglieder im Kindes- und Jugendalter (bis 18
Jahre), die beiden letzteren sowohl für die Vereins- als auch die Abteilungsebene. Die Vereine
bzw. die Abteilungen unterschieden sich insofern, als eine Gruppierung von Vereinen/Abteilungen in dem besagten Zeitraum mit dem
Grünen Band ausgezeichnet wurde (Stichprobe
„Prämierte“), während die andere Gruppierung
von Vereinen/Abteilungen in dem selben Zeitraum zwar (mindestens) ein Mal für die Auszeichnung vorgeschlagen11, jedoch zu keinem
Zeitpunkt prämiert wurde (Stichprobe „Nominierte“). Darüber hinaus lagen die im Rahmen
der Finanz- und Strukturanalyse der Sportvereine in Deutschland von 1996 ermittelten
Strukturdaten von Vereinen vor, die einer repräsentativen Stichprobe der Vereinsgrundgesamtheit entstammen (Stichprobe „FISAS“,
Emrich, Pitsch & Papathanassiou, 2001). Durch
die Zugrundelegung dieser drei Stichproben
lag das zu untersuchende Kriterium der Qualität der Talentförderung dreifach gestuft vor.
Die Vergleiche der Stichproben erfolgten anhand von t-Tests für unabhängige Stichproben
und ⑂2-Tests.
4. Untersuchungsergebnisse
Die Vereine, die für das Grüne Band vorgeschlagen wurden, und zwar sowohl die nur nominierten als auch die prämierten, unterschieden
sich jeweils von der FISAS-Stichprobe in allen
Strukturmerkmalen signifikant (Tab. 2): Sie
sind älter, abteilungsspezifisch stärker ausdifferenziert, insgesamt größer, verfügen über eine
8
Preising (1990, S. 41) bezieht sich des Weiteren auf Verberuflichungserfordernisse im Bereich der Zusammenarbeit von Schul- und Sportsystem, wo nach seiner Auffassung die mit den Anforderungen verbundene „personelle Belastung [...] in aller Regel, d. h. von besonders
engagierten Einzelfällen abgesehen, nur durch Professionalisierung von Einzelfunktionen gelöst werden
[kann], was die Einstellung von hauptamtlichen Mitarbeitern bedingt“. (Zur differenzierten Betrachtung des
Professionalisierungsbegriffs vgl. Emrich, Pitsch & Papathanassiou, 2001, S. 82 ff.)
9
So war in 574 Talentfördergruppen in Baden-Württemberg kein systematischer erfolgsdifferenzierender Effekt
(hinsichtlich Anzahl der Aufsteiger in einen Kader) der
formalen Trainerqualifikation festzustellen (Fessler,
1999). In anderen Studien berichten Spitzenathleten,
dass ihre ersten Betreuer im Kindesalter zumeist kaum
oder keine fachliche bzw. formale Qualifikation besaßen, und als wichtigste Eigenschaften ihrer Trainer
werden „teaching ability“, „ability to motivate or encourage“ genannt, während „skill competence“ erst an
fünfter Stelle rangiert (u.a. Hill et al., 2002; Carlsson, 1990;
Salmela, 1994).
10
Dabei kann nicht ausgeschlossen werden, dass in die
Beurteilungen durch Experten ggf. Sichtweisen einfließen, die sich u. a. an Merkmalen von Talentförderung orientieren, welche z.B. in Verbänden als optimale
Nachwuchsförderungsmaßnahmen angesehen werden, sodass die Grundlagen zur Beurteilung somit partiell normativer Färbung unterliegen können.
11
Bei Fällen mit mehrfacher Nominierung wurden die
Daten des ersten Erhebungszeitpunkts zugrunde gelegt.
qualitätsdifferenzierender Effekt der Strukturmerkmale auf Vereinsebene allerdings empirisch nicht festzustellen. Die Vermutung liegt
nahe, dass es sich um Schwellenmerkmale
handelt, die bis zu einem bestimmten Qualitätsniveau differenzierende Effekte haben, innerhalb eines relativ hohen Qualitätsniveaus
aber keine Erklärungskraft besitzen.
Die zusammenfassende Betrachtung der Befunde auf Vereins- und Abteilungsebene, dass
nämlich
• prämierte und nominierte Vereine sich von
der repräsentativen Vereinsstichprobe durch eine höhere Anzahl der Abteilungen unterscheiden,
• prämierte Abteilungen in absoluter Hinsicht
höhere Mitgliederzahlen im Kinder-/Jugendbereich aufweisen als lediglich nominierte, und
• die nominierten und prämierten Vereine
sich aber diesbezüglich nicht systematisch unterscheiden,
spricht dafür, dass Abteilungen mit besser beurteilter Talentförderung nicht durch höheren
vereinsinternen Ressourcenzufluss aus Mitgliedsbeiträgen anderer Abteilungen gekennzeichnet sind – ihre Leistungserbringung erfolgt also offenbar nicht stärker als in den übrigen Vereinen auf Kosten anderer Abteilungen
innerhalb des Vereins. Dies würde wiederum
darauf hindeuten, dass entweder Vereine hochwertiger zugeschriebener Talentförderung in
höherem Maße von externen Ressourcenzuflüssen und/oder von Beiträgen von Mitgliedern innerhalb der selben Abteilung, deren
Kosten für den Verein unter den Einnahmen aus
den Mitgliedsbeiträgen liegen, profitieren,
oder dass die Qualität der Talentförderung im
Sportverein von den mittleren verfügbaren
Ressourcen pro Kind/Jugendlichem weitgehend unabhängig ist.
höhere absolute Anzahl an Kindern und Jugendlichen, und deren Anteil unter allen Mitgliedern des Vereins ist höher (alle p < 0,01).
Unter den Sportvereinen, die für den Wettbewerb um das Grüne Band vorgeschlagen wurden, sind solche aus den östlichen Bundesländern deutlich überrepräsentiert (p < 0,01), innerhalb dieser Gruppierung werden wiederum
Vereine aus den östlichen Bundesländern häufiger prämiert als aus den westlichen Ländern (p
< 0,05; Tab. 3). Die prämierten und die „lediglich“ nominierten Vereine unterscheiden sich
aber hinsichtlich der untersuchten Merkmale
der Vereins- und Mitgliederstruktur nicht signifikant (alle p > 0,05).
Betrachtet man die Ebene der Abteilungen, unterscheidet sich die Stichprobe der „Prämierten“ von den „Nominierten“ durch mehr Mitglieder (p < 0,01), einen höheren Anteil der
Abteilungsmitglieder an der Gesamtheit der
Vereinsmitglieder (p < 0,05) und mehr Kinder
und Jugendliche (p < 0,01) in der Abteilung
(Tab. 4).
5. Diskussion und Ausblick
Analytisch wurde aufgezeigt, dass für Merkmale der Vereins- und Mitgliederstruktur von
Sportvereinen jeweils positive wie negative Zusammenhänge mit der Qualität der Talentförderung denkbar wären, dass sie also begünstigende wie auch hemmende Effekte oder beide
in spezifischem Überlagerungsverhältnis aufweisen könnten. Empirisch wurde die spezifische Richtung vorhandener Zusammenhänge
aufgezeigt, indem sich aufgrund zugeschriebener hochwertiger Talentförderung (vor)ausgewählte Vereine von einer repräsentativen Vereinsstichprobe systematisch unterscheiden.
Innerhalb der (vor)ausgewählten Vereine ist ein
TAB. 3
Anteile der Vereine aus Ost- und Westdeutschland
West
DSB
Grünes Band gesamt
Nominierte
Prämierte
Ost
n
Anteil
n
Anteil
73.730
550
301
249
84 %
73 %
76 %
69 %
13.987
205
94
113
16 %
27 %
24 %
31 %
Grundgesamtheit (DSB, 2001) und Teilnehmer am Grünen Band
TAB. 4
Strukturmerkmale von Vereinsabteilungen
Merkmale der Abteilung
Anzahl der Mitglieder [n]
Anzahl der Kinder und Jugendlichen [n]
Anteil der Mitglieder am Gesamtverein [%]
Nominierte
Prämierte
M
SD
n
M
SD
n
244
109
58
345
133
40
360
361
358
355
148
64
435
197
39
329
327
329
Vereinsabteilungen, die für das Grüne Band vorgeschlagen wurden
LEISTUNGSSPORT 5/2005
41
IN EIGENER SACHE
Die Tatsache, dass Vereinen aus den östlichen
Bundesländern häufiger eine vorbildliche Talentförderung zugeschrieben wird, wird als
Hinweis dafür interpretiert, dass Muster des
früheren DDR-Sports sich entweder auch in
den heutigen Sportvereinen widerspiegeln,
oder aber, dass solche Muster – unter der Annahme, dass sie auch unter heutigen Bedingungen mit hoher sportlicher Erfolgswahrscheinlichkeit einhergehen – den östlichen
Vereinen im Rahmen der Beurteilung zugeschrieben werden12.
Auf welchen der oben skizzierten möglichen Effekte (Abschnitt „Mögliche Voraussetzungen
und Bedingungen für eine optimale Talentförderung in Sportvereinen“) die Befunde in welchem Maße basieren, kann anhand der Datenlage noch nicht inhaltlich interpretiert werden.
Denkbar wäre, dass
• auf der individuellen Ebene der Talente qualitativ höherwertige Interventionen realisiert
werden, was durch ein höheres gesamtes Finanzvolumen, höheren vereinsin- und -externen Ressourcenzufluss und damit auch höhere
Flexibilität in der Mittelverwendung begünstigt
sein könnte, oder
• die Befunde Effekte der Größe der Risikopopulation widerspiegeln, dass sich also – unabhängig von der Qualität der Talentförderung auf
der individuellen Ebene – unter mehr Kindern
und Jugendlichen schlicht mehr Talente befinden, oder
• beide Effekte sich überlagern.
Diese Frage sowie Wettkampferfolge im Nachwuchs- und Spitzenbereich, die Trainerausstattung und -qualifikation, gewährleistete konkrete Bedingungen und Maßnahmen zur Talentsuche und -förderung im Verein mit und ohne Zusammenarbeit mit intermediären Förderorganisationen sowie Implikationen für die gezielte
12
Zu beachten ist dabei, dass sich Vereine in Ost- und
Westdeutschland insgesamt nicht systematisch in der
Leistungssportorientierung unterscheiden (Emrich,
Pitsch & Papathanassiou, 2001).
Förderung von Sportvereinen werden in Kürze
in Teil 2 dieses Berichts thematisiert. Angesichts der Überrepräsentation östlicher Bundesländer unter den mit dem „Grünen Band für
vorbildliche Talentförderung“ prämierten
Sportvereinen werden diese Aspekte außerdem
im Regionenvergleich vertieft. Dies sollte aber
nicht darüber hinwegtäuschen, dass möglicherweise konkrete Fallstudien zur Ergänzung
wohl notwendig werden, da auch auf institutioneller Ebene das Prinzip individueller Erklärung
(kein Verein ist identisch mit einem zweiten)
stärker zu berücksichtigen sein wird.
*
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*
Die Autoren
Erik ANTHES M.A., Doktorand am Lehrstuhl für Sportentwicklung des Instituts für Sportwissenschaften der Johann
Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main
Dr. Arne GÜLLICH, Ressortleiter Nachwuchsleistungssport im
Bereich Leistungssport des Deutschen Sportbundes
Prof. Dr. Eike EMRICH, Institut für Sportwissenschaften der
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main,
Lehrstuhl für Sportentwicklung
Anschrift der Autoren: Prof. Dr. Eike Emrich, Institut für
Sportwissenschaften der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, Lehrstuhl für Sportentwicklung,
Ginnheimer Landstr. 39, 60487 Frankfurt/Main
E-Mail: [email protected]