Die Musik in der Wiener Klassik (ca. 1750 n.Chr. bis 1820 n.Chr.)

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Die Musik in der Wiener Klassik (ca. 1750 n.Chr. bis 1820 n.Chr.)
Die Musik in der Wiener Klassik
(ca. 1750 n.Chr. bis 1820 n.Chr.)
Gesellschaftliche Hintergründe
Unter „Wiener Klassik“ versteht man in der Musikgeschichte Zeit und Stil der drei in Wien
lebenden Komponisten Haydn, Mozart und Beethoven (im Gegensatz zur Weimarer Klassik in der
Literatur mit Goethe und Schiller).
Die in der Barockzeit herrschende Gesellschaftsschicht, der Adel, wird allmählich abgelöst durch
das Bürgertum, das sich zu dem wichtigsten Träger „klassischer“ Kultur entwickelt. Konzertsaal
und Opernhaus werden zu Einrichtungen, die den BürgerInnen eine Teilnahme am öffentlichen
Musikleben ermöglichen. Neben einem jetzt erweiterten Konzertpublikum, den Hörern, gibt es die
Musikausübenden in vielen Liebhaberorchestern und Chören. Durch Finanzierung des
öffentlichen und privaten Musiklebens übernimmt das Bürgertum zugleich die Urteilsbildung
(Musikkritik). Am Ende des 18. Jahrhunderts hat die bürgerliche Gesellschaft die alleinige
Definitionsmacht darüber, was als Kunst angesehen wird.
In diesem Zusammenhang tritt nun auch der „schöpferische Mensch“, der jetzt im Unterschied zum
Barock, nicht mehr als Handwerker, sondern als Genie (lat. genius: „der Erzeuger“) angesehen
wird, in den Mittelpunkt. Es ist dabei zu beachten, dass lediglich KünstlerInnen aus dem
(wohlhabenden) Bürgertum oder Adeligen diese Ehre zuteil wurde, was auf das beträchtliche
soziale Ungleichgewicht (Zugang zum öffentlichen Musikleben, Zugang zu Musikinstrumenten,
Zugang zu musikalischer Ausbildung...) zwischen den Klassen zurückzuführen ist.
In der neuen bürgerlichen Musikkultur mit Haus- und Salonmusik, öffentlichem Konzert und Oper,
anonymem Publikum, Verlagswesen und Musikkritik müssen sich MusikerInnen jetzt als freie
KünstlerInnen behaupten.
Die philosophische Grundlage dieser gesamtgesellschaftlichen Veränderung bildet die Aufklärung.
Exkurs: Die Aufklärung
Schon bald nach der Durchsetzung des Absolutismus entstand als Gegenbewegung die sog.
Aufklärung. Die Menschen sollten der Allgewalt von Staat und Kirche entzogen und bezüglich ihrer
Rechte auf Gleichheit und Selbstbestimmung „aufgeklärt“ werden. Viele Wurzeln der Aufklärung
gehen auf die Antike und den Humanismus zurück. Träger der Aufklärung war das gebildete
Bürgertum.
Die Aufklärung ist eine von zwei Strömungen der Philosophie geprägte Bewegung: dem
Rationalismus (s. Barock), besonders vertreten durch René Descartes und dem englischen
Empirismus, u.a. von John Locke, unter dessen Einfluss die amerikanischen Verfassungsgrundsätze
entstanden.
Das logische und unabhängige Denken der Rationalisten war zunächst auf eine Stärkung des
Staates ausgerichtet und hatte religionskritische Züge. Bald wendete sich die Analyse jedoch auch
gegen die weltlichen Herrscher. Zweifel an Religion und Absolutismus verbreiteten sich schnell,
natürlich auch aufgrund von handfesten ökonomischen Interessen des Bürgertums. Durch die
Entwicklung des Manufakturwesens, die das Bürgertum zur wirtschaftlich bedeutendsten Schicht
machte, erlangte diese Klasse ein grosses Selbstwertbewusstsein und Selbstwertgefühl.
Im späteren Verlauf legte der schottische Philosoph Adam Smith 1776 in Abgrenzung zum
Merkantilismus die Grundlage für die sog. „Klassische Nationalökonomie“ (ein Vorläufer der
„Neoklassischen Theorie“), die besagt, dass Arbeitsteilung zu erhöhter Produktivität und ein
eigennütziges Streben nach Besitzvermehrung, geregelt allein durch den Markt, zum Wohlstand in
einem breiten Sinn führt.
Grundsätze der Aufklärung:
• Kritik an der Religion, bzw. die Forderung nach religiöser Toleranz, die sich aufgrund der
Meinungsfreiheit zwingend ergibt (z.B. durch den Philosophen Voltaire).
• Das Interesse an der Natur: ZoologInnen und BotanikerInnen teilten die Natur in Klassen
ein (z.B. durch Carl von Linné).
•
Belehrung des Volkes: Es entsteht die Pädagogik als eigene Wissenschaft, die Aufklärung
forderte auch die Einführung einer allgemeinen Schulpflicht. (z.B. durch Pestalozzi).
• Bedeutung der Wissenschaft: Auch wenn die Verbreitung von wissenschaftlichen
Ergebnissen nach wie vor nur eine kleine gebildete Schicht von BürgerInnen erreichte, war
dennoch der Anfang zu einer „Volksbildung“ gemacht.
Die Französische Revolution markiert das Ende der Aufklärung im Sinn einer Epoche.
Kulturelle Strömungen im Umfeld der Wiener Klassik
Die Betonung des Gefühls
Die neue Betonung des Gefühls war ein bestimmender Grundzug, auch beeinflusst durch:
– die religiöse Bewegung des Pietismus;
– die Dichtung der Empfindsamkeit (z.B. Goethe: Werther, 1774) und des Sturm und Drang (Goethe:
(Götz von Berlichingen, 1773)
– die Musik der Vorklassik, die durch den Willen zur Vereinfachung aller Formen und
Stilmittel gekennzeichnet ist. Im Vordergrund steht die schlichte, harmonisch begleitete
Melodie, die nicht mehr durch komplizierte Polyphonie und ein Übermaß an Verzierungen
verändert werden sollte.
Das Ideal der Natürlichkeit
Jean Jacques Rousseaus Forderung „Retournons a la nature“ („Kehren wir zurück zur Natur!“)
findet ihre Entsprechung nicht nur in der antiken Kunst, sonder auch:
- im neuen Interesse an Volksdichtung und
Volksmusik (vgl. Johann Gottfried Herder: Stimmen
der Völker in Liedern, 1778);
- in der Mode: Männer tragen statt Perücke langes,
zerzaustes Naturhaar, lockere Kleidung. Reifrock und
Schnürbrust verschwinden aus der Frauenkleidung.
Humanität
Die Beschäftigung mit der Antike war – wie schon in der Renaissance –
verbunden mit der Hoffnung auf eine „Veredelung des Menschen“, auf
eine Erziehung zur Humanität.
Der Humanitätsgedanke der Klassiker, sowohl der DichterInnen als
auch der MusikerInnen, traf sich mit den Idealen der Aufklärung, der
Freimaurer und der Französischen Revolution: Toleranz, Freiheit,
Gleichheit, Brüderlichkeit.
Der Humanitätsgedanke ist in den bekanntesten Werken der Klassik
besungen worden:
z.B. in Mozarts Zauberflöte (Text: Emanuel Schikaneder):
„Er ist ein Prinz - Noch mehr – er ist Mensch!“
Musikphilosophie der Wiener Klassik
„Die Melodie, die Beugungen der menschlichen Stimme nachahmend, drückt Klagen, schmerzoder freudenvolle Ausrufe, Drohungen, Seufzer aus; alle stimmhaften Zeichen der Leidenschaften
sind ihr Bereich. Sie imitiert nicht nur die Sprachakzente und Affektwendungen, sie spricht selbst,
und ihre unartikulierte, aber lebhafte, feurige, leidenschaftliche Diktion hat hundertmal mehr Kraft
als das bloße Wort.“ (Jean Jacques Rousseau, 1753).
Die Musik wird also als eine Art „Sprache der Empfindung“ verstanden, die als
„Universalsprache“ sogar für die ganze Menschheit Gültigkeit haben soll:
vgl. J. Haydn: „Meine Sprache versteht man in der ganzen Welt.“
W.A. Mozart: „In meiner Oper ist Musik für aller Gattung Leute – ausgenommen für lange Ohren
nicht.“
Der Epochenbegriff „Wiener Klassik“ entstand nach Beethovens Tod, angeregt durch den angeblich
„hohen humanitären Gehalt“ und das „Schönheitsideal“ der Musik. Der Begriff „Klassisch“ meint
allgemein soviel wie „mustergültig, wahr, schön, voll Ebenmaß und Harmonie“, dabei „einfach und
verständlich“.
Gefühl und Verstand, aber auch Inhalt und Form sollten ein Gleichgewicht in der Gestalt eines
„Kunstwerks“ finden. Das Ergebnis sollte dann „zeitlose Gültigkeit“ haben.
Der Archäologe und Kunstschriftsteller Joachim Johann Winckelmann erhob die „Edle Einfalt und
stille Größe“ des griechischen Altertums, sowie die Suche nach der idealen Form zum Kunstideal
(vgl. Renaissance).
Den Hintergrund dieser absoluten Anforderungen an die Musik (bzw. die ganze Menschheit,) bildet
die Philosophie des sog. ästhetischen Idealismus.
Sein Ziel ist die ästhetische Bildung der Menschen. Der Leitsatz dazu stammt von Johann Wolfgang
von Goethe: „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut.“
Die Ursprünge dieser Philosophie gehen bereits auf den griechischen Philosophen Platon und seiner
Ideenlehre zurück, in der er sich Ideen als Ur-Modelle bzw. Pläne von Dingen und Handlungen
vorstellt. Die Wirklichkeit ist demnach lediglich ein Abbild von bereits existierenden Ideen.
Klassische Musik kann daher als Versuch interpretiert werden, sich diesen Ideen (z.B. „Schönheit“,
„Natürlichkeit“, „Harmonie“...) anzunähern.
Die Gegenposition dazu wäre der sog. Materialismus, der davon ausgeht, dass alle Vorgänge und
Phänomene der Welt rein irdischer Natur sind und keinen „höheren“ (meist gedacht als religiösen
oder schicksalhaften) Zweck erfüllen. Das führt unter anderem zu der Erkenntnis, dass die
Geschichte (auch die Musikgeschichte!) nicht durch Ideen, oder einen „Weltgeist“ (z.B. auch
Gott) „gelenkt“ wird, sondern im wesentlichen aus menschlichem, d.h. gesellschaftlichem Handeln
resultiert.
Historisch beobachten kann man dann, dass menschliche Gesellschaften die meiste Zeit in
Herrschaftssystemen organisiert waren, die die Menschen in Klassen sich widersprechender
Interessen gruppierten (z.B. Sklavenhalter – Sklave/Sklavin, Grundherr – Bauer/Bäuerin,
Fabriksbesitzer – ArbeiterIn). Das wesentliche Merkmal von Klassen ist ihre unterschiedliche
Stellung im Vorgang der Herstellung von Reichtümern und Gütern und auch deren Genuss (wie
Zugang zu Wohnen, Essen, Gesundheitsversorgung, Technologie, Bildung/Kunst/Kultur etc.). Ein
weiteres Merkmal ist, dass jede dieser Klassen (wie sie historisch auch ausgesehen haben) eigene
Bewusstseinsformen (Sprachgewohnheiten, modischer/musikalischer Geschmack, Manieren usw.)
hervorgebracht haben.
Klassische Musik ist also (wie jede Form von Kunst) als eine Art „kultureller Code“ einer
bestimmten Schicht (Adel, bzw. reiches Bürgertum) zu verstehen, der ganz bestimmte
gesellschaftliche Interessen bedient. Gleichzeitig aber erhebt das Bürgertum den Anspruch, eine
Form von Musik hervorgebracht zu haben, die über die eigenen Grenzen hinaus universal schön
und gültig sein soll (siehe oben: Zitat Haydn). Die Durchsetzung dieser Ansicht funktioniert
deswegen so gut (wer die Schönheit dieser Musik nicht versteht, darf Banause genannt werden),
weil sie auch die ökonomisch vermögendste Gruppe der Gesellschaft ist.
Fakt ist aber, dass klassische Musik nicht überall „gleich“ verstanden wird. Sie ist vielmehr ein
Phänomen der europäischen bürgerlichen Gesellschaft geblieben, die sich natürlich auch auf andere
Orte der Welt ausgeweitet hat.
Die positive Resonanz, die klassische Musik scheinbar weltweit hervorruft, hat daher wenig mit
irgendeiner „Erhabenheit“ oder behaupteter musikalischer Perfektion zu tun, sondern ist vielmehr
ein Merkmal der sich durchsetzenden westeuropäischen und angloamerikanischen Hegemonie.
Dieser Vorgang findet in erster Linie auf wirtschaftlicher Ebene statt (Globalisierung). Mit diesem
sogenannten Zusammenrücken der Welt, entfaltet sich die einst wirtschaftliche/militärische
Dominanz der kapitalistischen Zentren auch in der Zivilgesellschaft (Alltagskultur, Folklore,
Aberglauben...) und beeinflusst dadurch auch Dinge wie Ästhetikempfinden und Geschmack.
Kennzeichen der Klassischen Musik
• Funktionsharmonik: Alle Harmonien haben eine bestimmte Beziehung zueinander – es
sind in der Musik der Wiener Klassik vor allem die sog. Hauptfunktionen (I., IV. und V.
Stufe einer Tonleiter) wichtig. Die Stufen einer Tonleiter erhält man, indem man über jedem
ihrer Töne einen Dreiklang bildet.
z.B. Stufen der C – Dur – Tonleiter:
Die Hauptfunktionen der C – Dur – Tonleiter wären also der Dreiklang auf c (I. Stufe), der
Dreiklang auf f (IV. Stufe) und der Dreiklang auf g (V. Stufe).
•
Periodisch/Motivisch gegliederte Melodik: Motiv und Periode sind Bezeichnungen für
eine kleine musikalische Einheit. Die Periode ist zweiteilig und besteht aus einem
Vordersatz und einem Nachsatz. Das Motiv ist die kleinste melodische Sinneinheit.
z.B.
•
Dreiklangsmelodik: Viele Melodien der Wiener Klassik ergeben sich einfach aus der
Zerlegung von Dreiklängen: vgl. Mozart, Eine kleine Nachtmusik:
•
Dur – Tonarten sind vorherrschend, Moll wird seltener verwendet – Der Charakter
klassischer Musik ist eher optimistisch (im Vergleich zu barocker Todessehnsucht).
•
Vor allem Homophonie (eine Stimme hat die Melodie), die anderen Stimmen übernehmen
meistens eine Begleitfunktion.
•
Vor allem weltliche Musik – die Aufklärung war eher kirchenkritisch eingestellt, die
KünstlerInnen mussten sich im neuen öffentlichen (bürgerlichen) Umfeld behaupten.
•
Ausgleich zwischen Form und Inhalt: Der Inhalt eines Werkes ist genau so wichtig, wie
seine formale Struktur – das wird vor allem mit dem Begriff der Vernunft begründet, die
man als ein objektives und die Welt ordnendes Prinzip begreift (vgl. Idealismus).
•
Verbindung zu Volksmusik: Bezugnehmend auf das „Ideal der Natürlichkeit“ greift die
Musik der Wiener Klassik sehr oft auf (v.a. österreichische) Volksmusik zurück.
Vgl. Joseph Haydn, Sinfonie Nr. 94 G-Dur (mit dem Paukenschlag)
•
Ein weiterer Grund für die Verwendung
von Volksliedern ist natürlich auch, dass
die jetzt freischaffenden KomponistInnen
natürlich ein besonderes Interesse daran
hatten, dass ihre Kompositionen in den
„Köpfen der Menschen“ hängenbleiben
sollten.
Grössere Bedeutung der Instrumentalmusik: Formen wie Sonate, Variation, Streichquartett
und v.a. die Sinfonie verkörpern das Ideal der zweckfreien Musik.
Die Variation
Die Variation ist das Urprinzip musikalischer Gestaltungsmöglichkeit. Ein musikalisches Thema
(bestehend aus mehreren Motiven – s.o.), wird immer leicht verändert (variiert), sodass es immer in
neuem Zusammenhang präsentiert wird.
Die Variation war zunächst die Grundlage für musikalische Improvisation, ab dem 18. Jh. wurde sie
zu einer eigenständigen Form, die auch aufgeschrieben (komponiert) wurde.
Mögliche Veränderung können betreffen:
✔ die Melodie: Veränderung einzelner Intervalle oder durch Verzierung → sog.
Figuralvariation;
✔ das Tongeschlecht: Ein Wechsel von Dur nach Moll oder umgekehrt → sog.
Charaktervariation;
✔ den Rhythmus (das Verhältnis der Tondauern), den Takt, das Tempo → sog.
Rhythmusvariation;
✔ die Harmonik: durch Veränderung der begleitenden Akkorde;
✔ hinzugefügte neue Stimmen, während das Thema im Wesentlichen gleich bleibt
(Polyphonie);
✔ die Instrumentation – durch andere oder zusätzliche Instrumente entsteht eine neue
Klangfarbe;
✔ die Lautstärke (Dynamik);
vgl. W.A. Mozart, Zwölf Variationen über „Ah, vous dirai-je Maman“ KV 265
Aufgaben:
✗ Was ist bei dem oben gehörten Musikstück „typisch klassisch“?
✗ Wie viele Takte dauert das Thema?
✗ Haben die Variationen eine unterschiedliche Dauer, oder nicht?
Die Sonatensatzform
Der Begriff Sonatensatzform (auch „Sonatenhauptsatzform“) bezeichnet ein Formschema, nach
dem in der Regel der erste Satz (=Hauptsatz), manchmal auch der letzte Satz einer Sonate, bzw.
Sinfonie aufgebaut ist.
Ein Satz ist ein in sich geschlossener Teil eines mehrteiligen musikalischen Werks. Die klassische
Sonate, bzw. Sinfonie hat meist vier Sätze.
Ein nach der Sonatensatzform gegliederter Satz besteht aus drei Hauptteilen + Coda (Schlussteil).
Bei ausgedehnten Werken, wie einer Sinfonie, kann vor der Exposition auch eine langsame
Einleitung stehen:
➔ Exposition: In der Exposition wird das Thema mit verschiedenen Variationen vorgestellt:
◦ Der Hauptsatz mit dem Hauptthema in der Grundtonart.
◦ Der Seitensatz bringt eines oder mehrere Seitenthemen (meistens ein Kontrast zum
Hauptsatz).
◦ In der Schlussgruppe wird oft auf vorangegangene Motive zurückgegriffen.
Seitensatz und Schlussgruppe stehen in Dur – Sätzen meistens auf der V. Stufe (siehe
Funktionsharmonik), in Moll – Sätzen meist in der parallelen Dur – Tonart (z.B. stehen bei
einem Werk in C – Moll Seitensatz und Schlussgruppe in Es – Dur).
➔ Durchführung: In der Durchführung wird thematisches Material aus der Exposition
variiert (s. Variation). Sie ist als dramatische Auseinandersetzung der beiden
kontrastierenden Themen von Hauptsatz und Seitensatz angelegt und geht oft in harmonisch
weit entfernte Bereiche. Nur selten kommen völlig neue Gedanken ins Spiel.
➔ Reprise: In der Reprise (frz. reprendre = wiederaufnehmen) werden Haupt- und Seitensatz
in der Grundtonart wiederholt. Der „Konflikt“ zwischen Haupt- und Seitensatz ist damit
gelöst - insofern schafft die Reprise einen Ausgleich im Spannungsablauf einer
Sonatensatzform.
➔ Coda: Als Coda wird der Schlussteil bezeichnet, in dem meist mit thematischem Material
aus dem Hauptthema der Satz gesteigert und zu Ende gebracht wird. (Die Coda wird vor
allem bei Beethoven zu einem sehr wichtigen Abschnitt, sie ist manchmal sogar länger als
die Reprise.)
W.A.Mozart, Serenade in G-Dur („Eine kleine Nachtmusik“)
W.A.Mozart, Sinfonie in g-Moll
Formen und Gattungen der Wiener Klassik
Die Sinfonie
Sinfonie (oder Symphonie) ist eine seit Beginn des 17. Jahrhunderts gebräuchliche Bezeichnung für
ein Instrumentalwerk. Nach klassischem Verständnis handelt es sich dabei um ein aus mehreren (in
der Regel vier) Sätzen bestehendes Stück für Orchester ohne Solisten.
Die klassische Sinfonie ab Mitte des 18. Jahrhunderts wird vor allem mit den Komponisten Joseph
Haydn (ca. 107 Sinfonien), Wolfgang Amadeus Mozart (ca. 60 Sinfonien) und Ludwig van
Beethoven (9 Sinfonien) in Verbindung gebracht.
Viele der Sinfonien haben, v.a. in der Epoche der Romantik, Beinamen erhalten, die auf einen
außermusikalischen Inhalt hinweisen sollen.
z.B. J. Haydn: Abschiedssinfonie (Nr. 45), Der Schulmeister (Nr. 55), Militär (Nr. 100), Die Uhr
(Nr. 101) usw.
W. A. Mozart: Haffner–Sinfonie (KV 385), Prager Sinfonie, Jupiter–Sinfonie (KV 551) usw.
L. v. Beethoven: Eroica (3.), Schicksals–Sinfonie (5.), Pastorale (6.) usw.
Übersicht: Formschema der klassischen Sinfonie
Satz
Form
1. Satz,
Tempo
Tonart
schnell
Sonatensatzform
„Kopfsatz“
Grundtonart (Tonika)
(z.B. Allegro)
V. Stufe (Dominante) oder
Liedform oder
2. Satz
langsam
IV. Stufe (Subdominante) oder
(Adagio, Andante, ...)
VI. Stufe oder
Sonatensatzform oder
Variationsform
in Moll: III. Stufe (Durparallele)
mittelschnell (Menuett)
Menuett oder
schnell bis sehr schnell
Scherzo
(Scherzo)
3. Satz
Grundtonart
tanzartig
4. Satz,
Sonatensatzform oder
schnell
„Finale“
Rondo oder
(Allegro, Vivace, Presto, ...)
Grundtonart
Variationsform
Besetzungen
Ein Orchester der Zeit umfasste etwa 30 (heute: 100 – 120) MusikerInnen, konnte aber auch
wesentlich kleiner sein. Generell werden die Besetzungen im Lauf der Zeit immer grösser und die
Werke umfangreicher. Vor allem die sehr anspruchsvollen Sinfonien Beethovens führten dazu, dass
die zahlreichen Amateurorchester durch Konzertorchester mit Berufsmusikern ersetzt wurden (vgl.
1842: Gründung der Wr. Philharmoniker).
L. v. Beethoven, 5. Sinfonie in c – Moll, op. 67 („Schicksals-Sinfonie“)
Das Streichquartett
Das klassische Ideal der zweckfreien Musik wird unter anderem im Streichquartett erreicht, als
dessen Begründer und Vollender Joseph Haydn gilt. Kompositionen in dieser Besetzung waren nicht
(wie die Sinfonie) für ein grösseres Publikum, sondern für (vor allem adelige) KennerInnen
bestimmt.
Von der Wiener Klassik bis in die heutige Zeit ist das Streichquartett in der Besetzung aus zwei
Violinen, Bratsche und Violoncello die bedeutendste Gattung der Kammermusik.
Das Streichquartett entwickelte sich aus der barocken Triosonate und dem Concerto grosso. Durch
die zunehmende Gleichberechtigung der Stimmen, bei der das Violoncello nicht, wie in der
Barockmusik üblich, nur eine begleitende Rolle (im Generalbass) einnahm, sondern solistische
Passagen erhielt, entstand ein vierstimmiger Satz, der oft mit einem Gespräch verglichen wird:
„Man hört vier vernünftige Leute sich untereinander unterhalten, glaubt ihren Discursen etwas
abzugewinnen und die Eigenthümlichkeiten der Instrumente kennenzulernen.“ (Goethe, 1829)
Vor allem Haydn und Mozart beeinflussten sich in ihren Werken gegenseitig stark, was dem
Streichquartett in der Wiener Klassik zu einer Blütezeit verhalf.
J. Haydn, Streichquartett in C-Dur, Op. 76 Nr. 3, 2. Satz („Kaiserquartett“)
Die Oper
Die italienische Opera seria (= ernste Oper) behauptete sich bis gegen Ende des 18. Jahrhunderts.
Während Mozart noch die Auffassung vertrat, „bey einer opera muß schlechterdings die Poesie der
Musik gehorsame Tochter sein“, sollte bei der Opernreform Ch. W. Glucks die Musik ganz im
Dienst des Dramas stehen.
Ab ca. 1750 trat die Opera buffa (= heitere Oper) immer mehr in den Vordergrund. Der Spielraum
der Opera buffa reichte vom gesellschaftskritischen Ernst bis zur derben Komik und zur Parodie der
ernsten Oper. Eine neue Kantabilität, sowie der Verzicht auf ornamentale Gesangskunst (s. Barock)
prägten die späte Phase der Opera buffa bis etwa 1800.
Angeregt von der Opera buffa und der
englischen „Ballad – Opera“ begannen auch die
deutschen KomponistInnen, sich mehr dem sog.
Singspiel zuzuwenden. (Im Unterschied zur
Opera buffa hat das Singspiel zwischen den
Gesangsnummern keine Rezitative, sondern
gesprochene Dialoge.)
Das Wiener Singspiel verband sich mit den
verschiedenen Formen des bodenständigen und
volkstümlichen Theaters, der Posse, der
Märchen- und Zauberstücke.
Bei der „Zauberflöte“ (W. A. Mozart) steht z.B. Singspielhaftes (Papageno und Papagena) neben
dem Pomp und der Feierlichkeit der Opera seria (Sarastro, Königin der Nacht). In der Arie „Der
Hölle Rache kocht in meinem Herzen“ setzte Mozart barocke Gesangskunst zur Charakterisierung
des Bösen ein.
W. A. Mozart, „Die Zauberflöte“, Arie der Königin der Nacht
usw.
W. A. Mozart, Figaros Hochzeit
Der Text stammt von Pierre Augustin Caron (1732-1799), genannt
Beaumarchais, der als gesellschaftskritischer Dramatiker in Erscheinung trat.
Sein „Barbier von Sevilla“ (1773) durfte erst zwei Jahre nach der
Fertigstellung aufgeführt werden. Auch die öffentliche Aufführung der
„Hochzeit des Figaro“ (1781), der Fortsetzung des Barbiers, wurde von
Ludwig XVI. verboten.
„Le mariage de Figaro“ ist ein Spiegelbild der vorrevolutionären
französischen Gesellschaft. Kritisiert werden darin:
– die Politik im allgemeinen: Politik und Intrige sind für Figaro eng
verwandt;
Beaumarchais
– die Gerichtsbarkeit: Die Adeligen sind Gebieter über ihre Religion, sie üben sowohl
polizeiliche als auch richterliche Gewalt aus;
– die Vorrechte des Adels, u.a. das sog. „Herrenrecht“ oder „Ius primae noctis“;
Figaro zum Grafen: „Glauben Sie, weil Sie ein großer Herr sind, wären Sie auch ein großer Geist?
Adel, Reichtum, Rang und Würde machen Sie so hochmütig? Was haben Sie denn geleistet, all das
zu verdienen? Sie haben sich die Mühe gegeben, geboren zu werden, weiter nichts. Im übrigen sind
Sie ein ganz gewöhnlicher Mensch. Während ich, zum Donnerwetter, verloren im dunkelsten
Gewühl der Menge, mehr Fleiß und Verstand aufwenden musste, mich emporzuarbeiten, um nackt
existieren zu können, als die gesamte Regierung Spaniens nicht in hundert Jahren verbraucht hat!
Und Sie wollen den Kampf mit mir...“ (5. Akt, 3. Szene)
Die Aufführung des Figaro als Theaterstück wurde in Wien verboten. Das
Sprechtheater wandte sich damals an die bürgerliche Gesellschaft, die
Hofoper – schon aus Gründen der hohen Eintrittspreise – an die Adeligen.
Dieser Gesellschaft mutete es Joseph II. zu, dass ihr ein Spiegel
vorgehalten wurde – allerdings in italienischer Sprache. Auch
verpflichtete er den Textdichter Lorenzo da Ponte dazu, das Libretto von
allen politischen Anspielungen „gründlich zu reinigen“.
Mozarts Wiener Konkurrenten, insbesondere Salieri und die gesamte
italienische Opern – Clique, versuchten unter dem Verweis auf den
politisch und moralisch anrüchigen Text die Proben und Aufführungen zu
Fall zu bringen. Es bedurfte schließlich eines Machtwortes des Kaisers,
um die Aufführung durchzusetzen.
Lorenzo da Ponte
Ouvertüre
Figaro: Kavatine (= Auftrittsarie für den Sänger/die Sängerin)
Kavatine der Gräfin
Figaro: Aria
Rezitativ und Duett: Gräfin und Susanna
Berühmte KomponistInnen
Joseph Haydn (1732-1809)
Den grössten Teil seiner beruflichen Laufbahn verbrachte
Haydn als Hofmusiker auf dem Landsitz der adeligen
Familie Eszterházy, wo er deren Orchester und Oper leitete.
Er war somit einer der letzten KomponistInnen, die
absolutistisches Untertanentum erleben mussten.
Ein englischer Journalist kommentierte die Situation des
Künstlers im absolutistischen Heiligen Römischen Reich
so: „Auf einen liberalen Geist muss Haydns Werdegang
äußerst bedrückend wirken. Dieser wundervolle Mann, der
der Shakespeare der Musik ist und einer der Höhepunkte
der Ära, in der wir leben, ist dazu verurteilt, auf dem Hof
eines unbedeutenden deutschen Fürsten zu wohnen, der ihn
weder entsprechend entlohnen kann noch die Ehre seiner
Anwesenheit wert ist.“
So provinziell und eingeengt das Leben auch war, die
ökonomische Sicherheit gaben ihm Raum, eine reichhaltige kompositorische Tätigkeit zu entfalten.
Haydns Dienstzeit endete erst durch den Tod des Fürsten. Er wurde zu zwei Konzertreisen nach
England eingeladen, wo er grosse Triumphe feierte.
Wichtige Werke:
• ca. 107 Sinfonien
• 6 Oratorien (u.a. „Die Schöpfung“, „Die Jahreszeiten“)
• 83 Streichquartette (u.a. „Kaiserquartett“, „Lerchenquartett“, „Sonnenaufgangsquartett“)
Joseph Haydn, Die Schöpfung Nr. 1b (2) „Im Anfange schuf Gott Himmel und Erde“
Dieser Satz bezieht sich auf die Genesis. Es beginnt mit einem Rezitativ in c-Moll. Auf die Worte:
Und Gott sprach: „Es werde Licht“ folgt ein plötzlicher, im absoluten Kontrast zu dem leisen
Rezitativ stehender Choral im Fortissimo (in C-Dur). Dieser Moment wurde bei der öffentlichen
Premiere zu einer Sensation, es wird berichtet, dass das Orchester danach vor Verzauberung einige
Minuten nicht weiterspielen konnte.
Um das nachvollziehen zu können muss man verstehen, dass das Licht ein wichtiges Symbol der
Aufklärung (franz. auch Siècle des Lumières – Jahrhundert der Lichter) war. Religiöser
Enthusiasmus hat sicher auch das Seine dazu beigetragen.
Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791)
Die Musikgesellschaft der Zeit, für die sein Vater Leopold
das sog. Wunderkind „dressierte“, war in erster Linie die
europäische Aristokratie und das mit Musik befasste,
wohlhabende Bürgertum.
Von einer Emanzipation aus dem „Untertanentum“ konnte
bei dem „Kammermusikus“ des absolutistischen Kaisers
Joseph II. keine Rede sein.
Die revolutionäre politische Kraft, die seinen Werken laut
manchen BiographInnen nachgesagt wird, ist nicht haltbar.
Der Inhalt seiner Opern ist großteils geprägt von
aufgeklärtem Katholizismus („Wohltätigkeit“...) und
weisen ihn als einen Zeitgenossen des literarischen „Sturm und Drang“ aus. Auch die These vom
„verarmten Genius Mozart“ ist ein Produkt der Romantik. Nach heutigen Maßstäben war Mozart
ein Großverdiener, war jedoch aufgrund seines Lebenswandels zeitweise in finanziellen Nöten.
(Ein Beispiel: Mozart erhielt für ein Engagement „wenigstens 1000 Gulden“, wobei er seiner Magd
1 Gulden im Monat bezahlte.)
Wichtige Werke:
• ca. 60 Sinfonien
• 18 Messen (u.a. Krönungsmesse, Requiem)
• 22 Opern (u.a. Die Entführung aus dem
Serail, Le nozze di Figaro, Don Giovanni,
Die Zauberflöte)
W. A. Mozart, Requiem, „Kyrie“
Das Requiem war das letzte Werk, an dem Mozart arbeitete. Obwohl es nur zu etwa zwei Dritteln
tatsächlich von Mozart stammt, ist es eines seiner am höchsten eingeschätzten Werke. Die
ungewöhnlichen Umstände des Kompositionsauftrags und der zeitliche Zusammenhang dieser
Messe mit Mozarts frühem Tod haben zu einer großen Mythenbildung angeregt.
Ludwig van Beethoven (1770-1827)
Beethoven stammte aus kleinbürgerlichen Verhältnissen und
soll von seinem Vater, einem Alkoholiker, regelmäßig
geschlagen und zum Üben gezwungen worden sein. Ziel dieser
Erziehungsmethode war der bereits modern gewordene Status
als „Wunderkind“, von dem auch Vater Mozart beseelt war.
Durch Empfehlungen kam er nach Wien und wurde zunächst
vor allem als Pianist und Klavierlehrer Star der adeligen Salons.
Um ihn davon abzuhalten, Wien zu verlassen, bewilligten ihm
Adelige ein Gehalt, sodass er in Wien bleiben und ungestört
komponieren konnte.
Beethoven war kein Revolutionär. Er musste keinen Bruch mit
adeligen Dienstherren vollziehen, da er in Wien nie Bediensteter
war. Die Wiener Musikgesellschaft war zwar von Aristokraten
bestimmt, Beethoven wird jedoch nicht mehr als „Musicus“, sondern als Künstler akzeptiert.
Beethovens Umgang mit dem Hochadel, seine Freundschaft mit Grafen und Baronen ist großteils
frei von Devotheit. Er sagt und schreibt, was er denkt, wenn er z.B. seinem Gönner Lichnowsky
vorhält: „Fürst! Was Sie sind, sind Sie durch Zufall und Geburt, was ich bin, bin ich durch mich.
Fürsten hat es und wird es noch tausende geben, Beethoven gibt es nur einen !“
Beethoven war somit der erste Komponist, der vom Entgelt für die Aufführung seiner
Kompositionen und von Ehrengehältern, die ihm verschiedene VerehrerInnen zukommen ließen, gut
leben konnte, wenngleich er auch von der ihn umgebenden Gesellschaft finanziell stark abhängig
war.
Wichtige Werke:
• 9 Sinfonien (u.a. „Schicksalssinfonie“,
„Eroica“, „Pastorale“, „Die Neunte“)
• 2 Messen (u.a. „Missa Solemnis“)
• 1 Oper („Fidelio“)
• 32 Klaviersonaten
Sein Ausspruch: „Ich bin mit meinen bisherigen
Arbeiten nicht zufrieden, von nun an will ich einen
anderen Weg beschreiten“ ist typisch für seine
Kunstauffassung und seinen Kompositionsstil –
Beethoven skizziert und modelliert oft über Jahre,
bis aus einem Einfall eine endgültige Gestalt wird.
(s. auch nebenstehenden Autograph seiner letzten Klaviersonate).
Ludwig van Beethoven, Klaviersonate Nr. 14 op. 27 Nr. 2 in cis-Moll („Mondscheinsonate“)
Schon zu Beethovens Lebzeiten war die Mondscheinsonate eines seiner populärsten Klavierwerke –
so beliebt, dass er selbst anmerkte, „doch wahrhaftig Besseres geschrieben“ zu haben. Sie gilt mit
ihren tonalen und formalen Freiheiten als wichtige Vorläuferin der musikalischen Romantik.