Speichern - bei der Zeitschrift für Sozialreform (ZSR)

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Speichern - bei der Zeitschrift für Sozialreform (ZSR)
Fachinger/Rothgang, Zerstört der demographische Wandel . .. 1
Zerstört der demographische Wandel die Grundlagen
der sozialen Sicherung?
Auswirkungen auf die Einnahmen und Ausgaben der gesetzlichen Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung
Von Dr. Uwe Fachinger und Dr. Heim; Rothgang, Bremen
I. Problemstellung: Die Auswirkungen der demographischen Entwicklung auf die gesetzliche Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung
Die demographische Entwicklung der letzten Jahrzehnte war durch zwei Trends gekennzeichnet: eine Verlängerung der Lebenserwartung, insbesondere im Segment
der Hochaltrigen, und einen Rückgang des Geburtenniveaus unter die zur Bestandserhaltung notwendige Reproduktionsrate. 1) Da keine Anzeichen für eine Trendwende erkennbar sind, werden beide Faktoren - selbst bei erheblicher Nettozuwanderung - zu einer Alterung und Schrumpfung der Bevölkerung in den ersten Jahrzehnten des nächsten Jahrhunderts führen (vgl. hierzu Deutscher Bundestag 1994:
36-52 sowie die dort angegebene Literatur).
Diese Entwicklung hat vielfältige Implikationen für die Sozialpolitik. Die am häufigsten diskutierten Auswirkungen beziehen sich dabei auf die Finanzierbarkeit der
im Umlageverfahren organisierten sozialen Sicherungssysteme. Unmittelbar betroffen sind vor allem die drei Zweige der Sozialversicherung, deren Leistungsgewährung in erheblichem Ausmaß vom Alter der Versicherten beeinflußt wird. Dies
sind die gesetzliche Renten- (GRV), Kranken- (GKV) und Pflegeversicherung
(GPV).
In Analysen zu den Auswirkungen des demographischen Wandels werden dabei
zum Teil erhebliche Beitragssatzsteigerungen allein aufgrund der demographischen
Entwicklung prognostiziert. Die demographische Entwicklung sprenge somit unser
Sozialsystem. Als Indikator für das Ausmaß dieser Entwicklung wird in der Regel
der Altenquotient, d. h. die Relation der Älteren zu den Jüngeren, verwendet (vgl.
z. B. Kaufmann 1997: 45ff.).
Ziel dieses Beitrags ist es zu prüfen, wie aussagekräftig die Entwicklung des Altenquotienten in diesem Zusammenhang ist und welche Konsequenzen die Alterung
und Schrumpfung der Bevölkerung für die genannten Sicherungssysteme hat.
Dazu wird zunächst die Entwicklung des Altenquotienten als Bezugspunkt der weiteren Analyse dargestellt (Abschnitt 2). Im Anschluß daran werden die Wirkungen
der demographischen Entwicklung getrennt für die Einnahmen- (Abschnitt 3) und
1) Seit Mitte der 70cr Jahre liegt die NettoreproduKtionsrate in den alten Bundesländern zwischen 0,6 und
0,7 (Deutscher Bundestag 1994: 4Of. ). Demnach reproduziert eine Generation sich selbst nur noch zu rund
zwei Dritteln.
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Ausgabenseite (Abschnitt 4) der drei betrachteten Systeme erörtert. Zum Abschluß
erfolgt eine kurze Zusammenfassung und Bewertung der Ergebnisse (Abschnitt 5).
2. Der Bezugspunkt: Die Entwicklung des Altenquotienten
Für die Bundesrepublik Deutschland existieren zahlreiche Modelle, mit denen die
weitere Entwicklung der Bevölkerung in Abhängigkeit von Annahmen über die fernere Lebenserwartung, die Fertilität und die Migration fortgeschrieben wird. Obwohl sich deren Annahmen zum Teil erheblich unterscheiden, projizieren doch alle
Vorausberechnungen übereinstimmend eine Alterung sowie eine Schrumpfung der
Bevölkerung (vgl. Buslei 1995 sowie Deutscher Bundestag 1994: 86-104).
Für die folgende Darstellung wird auf die "amtliche" Statistik zurückgegriffen und
die mittlere Variante (Variante 2) der 8. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes verwendet. 2) Zur Charakterisierung der strukturellen Verschiebungen im Altersgefüge der Bevölkerung sind in Abbildung 1 drei
Indexreihen dargestellt:
-
die Anzahl der 20- bis unter 65jährigen,
-
die Anzahl der 65 Jahre und älteren Personen sowie
-
der Altenquotient als Relation der heiden vorgenannten Größen.
Die Altersabgrenzung erfolgt dabei mit dem Ziel, die Personen im erwerbsfähigen
Alter von denen im Ruhestand abzugrenzen, was durch eine solche - in der Literatur übliche - Altersabgrenzung natürlich nur unvollkommen gelingt. 3)
Im Jahre 2040 werden dieser Projektion zufolge 22 Prozent weniger Personen im erwerbsfähigen Alter und 47 Prozent mehr ältere Personen in der Bundesrepublik
Deutschland leben. Die Kombination dieser beiden Entwicklungen führt dazu, daß
der Altenquotient bis zum Jahr 2040 um 88 Prozent steigt und sich somit fast verdoppelt.
Diese zum Teil als dramatisch charakterisierte Erhöhung des Altenquotienten wird
mit dem Hinweis darauf, daß "die Jungen" dann doppelt so viele "Alte" versorgen
müßten, auf die Beitragssatzentwicklung übertragen. Eine realistische Abschätzung
des Einflusses der demographischen Entwicklung auf die Beitragssatzentwicklung
setzt jedoch eine genauere Analyse der Einnahmen- und Ausgabendeterminanten
der untersuchten Systeme und deren Abhängigkeit von der demographischen Entwicklung voraus.
~) Die Wahl des demographischen Szenarios hat zum Teil erhebliche Konsequenzen für die Ausga ben- und
Einnahmeentwicklung der untersuchten Sicherungssysteme (vgl. z. B. RothgangNogler 1997b für die Pflegeversicherung). Allerdings verlieren diese Unterschiede an Bedeutung, wenn - wie im vorliegenden Beitrag - nicht primär auf die absolute Ausgaben-, Einnahme- und Beitragssatzentwicklung. sondern auf das
Verhältnis von Altenquotient und Beitragssatzentwicklung abgestellt wird.
J) SO lag das durchschnittliche Rentenzugangsalter in der BRD in den vergangenen Jahren bei etwas mehr
als 60 Jahren (Verband Deutscher Rentenversicherungsträge r 1997: 93).
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Abbildung 1: Die Entwicklung der Zahl der über 65jährigen, der 20- bis unter 65jährigen sowie des Altenquotienten
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3. Wirkungen auf der Einnahmenseite
Um Unterschiede bei der Finanzierung der Sicherungssysteme angemessen zu
berücksichtigen, müssen Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung zunächst getrennt analysiert werden (Abschnitt 3.1 bis 3.3), bevor in einem Zwischenfazit (Abschnitt 3.4) dann über die Auswirkungen des demographischen Wandels auf die Einnahmenseite befunden werden kann.
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3.1 Rentenversicherung
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Die Einnahmen der gesetzlichen Rentenversicherung hängen vom Beitragssatz, der
Anzahl der beitragspflichtigen Versicherten und deren jeweiligen durchschnittlichen Beitragsbemessungsgrundlagen sowie der Höhe des Bundeszuschusses ab (Abbildung 2). Die Summe der sonstigen Einnahmen ist mit etwa 1 Prozent an der
Summe der Gesamteinnahmen quantitativ bedeutungslos.
Abbildung 2: Determinanten der Einnahmen der gesetzlichen Rentenversicherung
Die Zahl der Beitragszahler, d. h. die Zahl der versicherungspflichtig Beschäftigten,
der registrierten Arbeitslosen, der freiwillig Versicherten und der Krankengeldbezieher sowie deren jeweiliges durchschnittliches beitragspflichtiges Einkommen
wiederum werden vor allem von der Arbeitsmarkt- sowie der Lohn- und Gehaltsentwicklung geprägt. Nachgelagert sind dann weitere Determinantengruppen, zu
denen neben der gesamtwirtschaftlichen Situation, dem Arbeitsangebotsverhalten
und den gesetzlichen Regelungen auch die Demographie zu zählen ist.
Es gibt somit keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der demographischen
Entwicklung und den Einnahmen der GRV. Wie Abbildung 2 verdeutlicht, werden
die Effekte der demographischen Entwicklung vielmehr über den Arbeitsmarkt vermittelt und "gefiltert".
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Fachinger/Rothgang. Zerstört der demographische Wandel ...1
Wird - wie beim Rekurs auf den Altenquotienten - ein direkter einnahmensenkender Effekt der demographischen Entwicklung postuliert, so wird dabei unterstellt,
daß
die Zahl der Inländer in einem bestimmten Alterssegment über das Arbeitskräftepotential entscheidet,
die Entwicklung des Arbeitskräftepotentials parallel zum Arbeitsangebot verläuft und
32 Krankenversicherung
Wie Abbildung 3 zeigt, ähneln die Determinanten der Einnahmen der gesetzlichen
Krankenversicherung denjenigen der Rentenversicherung. Allerdings sind zwei wesentliche Unterschiede sind zu beachten.
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die Entwicklung des Arbeitskräftepotentials durch Migration beeinflußt wird,
veränderte Arbeitsangebotsentscheidungen zu einer unterschiedlichen Entwicklung von Arbeitskräftepotential und Arbeitsangebot führen kann und
sich die tatsächlich Beschäftigung aus dem Wechselspiel von Arbeitsangebot und
Arbeitsnachfrage ergibt.
Hinsichtlich der Migration kommt es dabei vor allem auf die Struktur der Zuwandernden an (vgL Schmähl1995 und 1996). Insoweit es sich hierbei um erwerbsfähige
Personen handelt, kann die demographisch bedingte Reduzierung des Arbeitskräftepotentials deutlich gemindert werden. Ebenso dürfte die in allen Szenarien zur
zukünftigen Entwicklung projektierte Zunahme der Erwerbsbeteiligung vor allem
von Frauen ebenso wie eine Steigerung der Alterserwerbstätigkeit dazu führen, daß
das Arbeitsangebot nicht im gleichen Maße zurückgeht wie die Zahl der Personen
im erwerbsfähigen Alter:~) Vor allem aber ist zu bedenken, daß ein Rückgang des
Arbeitsangebots nur bei Arbeitskräfteknappheit zu einem Beschäftigungsrückgang
führt. Ist der Arbeitsmarkt dagegen - wie zur Zeit - durch einen massiven Arbeitskräfteüberhang gekennzeichnet, gehen von einem Rückgang des Arbeitsangebots
keine negativen Wirkungen auf Beschäftigung und Sozialversicherungseinnahmen
aus.
Schließlich darf nicht vergessen werden, daß die Bemessungsgrundlage der GRV
nicht nur von der Zahl der Beitragszahler, sondern auch von deren Durchschnittseinkommen abhängt. Auch letzteres kann durch die demographische Entwicklung
beeinflußt werden. Käme es nämlich tatsächlich zu einem Rückgang der Beschäftigung aufgrund - demographisch bedingter - Arbeitskräfteknappheit, so ist der ökonomischen Theorie zufolge mit einem Lohnanstieg zu rechnen. Ob dann der Preisoder der Mengeneffekt überwiegt und die-für die GRV-Einnahmen entscheidende
- Lohnsumme dadurch ceteris paribus gesteigert oder gesenkt wird, ist apriori nicht
zu sagen.
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Eine Steigerung der Alterserwerbstätigkeit beruht - ebenso wie die der Frauenerwerbstätigkcit - auf Angebots- und Naehfragcfaktoren. Hinsichtlich des Arbcitsange-bols dürfte für die Frauen vor allem ein steigendes Bildungsniveau und eine stärkere Berufsorientierung von Bedeutung sein, während die Erwerbsneigung älterer Arbeitnehmer vor allem du rch rentenrechtliche Regelungen wie die im Rentenrcfonngcsetz von 1992 eingefühnen Rentenabsch!äge bei Verrentung vor dem 65. Lebensjahr becinflußt werden
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Abbildung 3: Determinanten der Einnahmen der gesetzlichen Krankenversicherung
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Fachinger/Rothgang, Zerstört der demographische Wandel ... ?
Der eine besteht darin, daß in der GKV auch die Rentner beitragspflichtig sind,
während sie zur Finanzierung der GRV keinen Beitrag leisten. Dieser Faktor ist
auch quantitativ von erheblicher Bedeutung. So waren 1995 fast 15 Millionen Rentner in der GKV versichert, die insgesamt ca. 18 Prozent der gesamten Beitragseinnahmen aufgebracht haben (Bundesministerium für Gesundheit 1995: 278, 291).
graphischen Entwicklung wird insofern durch die Erwerbsneigung und die Migration
gefiltert bzw. modifiziert.
Der zweite Unterschied ist der- im Vergleich zur GRV - fehlende Bundeszuschuß.
Die GKV finanziert sich fast ausschließlich aus Beiträgen - es gibt in der Regel keine
Unterstützung aus allgemeinen Steuermitteln.
Im Hinblick auf die Demographie zeigt sich, daß deren Einfluß auf die Einnahmen
der GKV, soweit die Beschäftigten betroffen sind, weitgehend mit dem in der GRV
übereinstimmt. Auch bei der GKV wird der Rückgang der Zahl der ,.Jungen" über
den Arbeitsmarkt gefiltert und entfaltet daher lediglich mittelbar und in Zeiten einer Knappheit des Arbeitsangebots seine Wirkung. Analog zu den Ausführungen in
Abschnitt 3.1 kann daher auch für die GKV nicht von einem signifikanten demographisch bedingten Einnahmenrückgang ausgegangen werden. Eine Zunahme der
Rentnerzahl wirkt - dank deren eigenständigem Finanzierungsbeitrag - ceteris paribusS) sogar einnahmensteigemd und damit für das System entlastend.
3.3 Pflegeversicherung
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Allerdings gibt es einen wesentlichen Unterschied. Während in der GKV ein prinzipiell bedarfsdeckender Leistungskatalog festgeschrieben ist und sich der Beitragssatz als abhängige Größe nach den erwarteten Einnahmen und Ausgaben richtet,
wird in der GPV umgekehrt der Beitragssatz gesetzlich fixiert und die Leistungshöhe
entsprechend angepaßt (vgl. Rothgang 1994 und 1996).
Die ansonsten identische Finanzierung von GPV und GKV bedingt. daß der Demographie auch bei den Einnahmen der GPV keine unmittelbar einnahmensenkende
Bedeutung zukommt. Da die Rentner auch in der Pflegeversicherung beitragspflichtig sind, wirkt eine Erhöhung der Rentnerzahl auch hier - ceteris pari bus - einnahmensteigernd (vgl. hierzu auch Schmähl1993 sowie RothgangfVogler 1997b).
3.4 Zwischenfazit: Die Wirkungen der demographischen Entwicklung auf der Einnahmenseite
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Grundsätzlich orientiert sich die Finanzierung der Pflegeversicherung an der der
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Bei allen drei untersuchten Versicherungssystemen beeinflußt die demographische
Entwicklung deren Einnahmen nur indirekt über das Arbeitskräftepotential, also
über die Angebotsseite des Arbeitsmarktes. Das Arbeitsangebot ergibt sich dabei
aus den erwerbswilligen Inländern und den Zuwanderern. Der Einfluß der demo-
Abbildung 4: Determinanten der Einnahmen der gesetzlichen Pflegeversicherung
~) Die ceteris paribus-Klauscl bezieht sich in diesem Zusammenhang insbesondere darauf, daß die Beschäftigtenzahl nicht tangiert wird. Der Übergang eines Beschäftigten in den Ruhestand wirkt nämlich nur dann
einnahmeerhöhend, wenn dessen Arbeitsplatz von einer Person (etwa aus der stillen Reserve) besetzt wird.
die bis dahin keine oder (wie möglicherweise bei Arbeitslosen) nur geringe Beiträge gezahlt hat.
Entscheidend für die Einnahmen der Sicherungssysteme ist jedoch nicht das Arbeitsangebot, sondern die Beschäftigtenzahl, die sich aus dem Zusammenspiel von
Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage ergibt. Solange die Arbeitsnachfrage deutlich
geringer ist als das Arbeitsangebot, ist das Arbeitsangebot deshalb irrelevant. Selbst
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EinIl:UUnc:n
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Faehinger/Rothgang. Zerstört dcr demographischc Wandel ...1
eine rückläufige Beschäftigung führt aber nicht zu Einnahmeneinbußen, wenn sie
durch eine entsprechende Lohnsleigerung kompensiert wird. Lohnsteigerungen sind
aber immer dann zu erwarten, wenn die Arbeitsnachfrage das Arbeitsangebot überwiegt, also genau dann, wenn die Beschäftigung aus demographischen Gründen
zurückzugehen droht.
ein anderes Arheitsangebotsverhalten zurückgehende Zunahme der Frauenerwerbspersonen in den alten Ländern auf 1,3 - 1,9 Millionen für das Jahr 2030 1°) (Thon
1991: 684)_
Wird versucht, den Einfluß der genannten Faktoren zu quantifizieren, ergibt sich
folgendes: Die Berechnung auf der Basis der mittleren Variante der 8. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung zeigt, daß die Zahl der 20-65jährigen von 2000
bis 2040 um rund 11,4 Millionen, das sind 22% des Ausgangswertes, zurückgeht (Abbildung 1). Allerdings sinkt das Arbeitsangebot nicht in gleichem Maße, da nicht alle
Personen der genannten Altersklassen einer Erwerbsarbeit nachgehen wollen. Für
das Jahr 2000 errechnen Grütz et al. (1993: 458f.) ein Erwerbspersonenpotential6)
von 41,674 Millionen. Bezogen auf die Zahl der 20-65jährigen von 51,461 Millionen,
die sich auf Basis der 8. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung (Variante 2)
für dieses Jahr ergibt, entspricht dies einem Anteilswert von 81 %. Wird dieser Wert
mit der Zahl der Personen im erwerbsfähigen Alter multipliziert, ergibt sich ein geschätzter demographisch bedingter Rückgang des Arbeitsangebots um 9,2 Millionen
bis zum Jahr 2040.
Dabei wurde die mittlere Migrationsannahme des Statistischen Bundesamtes zugrunde gelegt. Die beiden anderen Varianten unterstellen eine niedrigere (Variante
1) bzw. eine höhere (Variante 3) Nettozuwanderung (vgl. Sommer 1994). Für das
Berichtsjahr 2040 unterscheidet sich die Zahl der 20--65jährigen dabei zwischen den
letztgenannte Varianten um rund 6,7 Millionen und selbst im Vergleich zur mittleren Variante liegt die Zahl der Personen im erwerbsfähigen Alter in Variante 3 noch
um 3,3 Millionen höher. 7 ) Der Migration wohnt somit ein merkliches Potential zur
Beeinflussung des Erwerbspersonenpotentials inne, wobei eine höhere Nettozuwanderung natürlich gerade dann als wahrscheinlich anzusehen ist, wenn Arbeitskräfteknappheiten auf dem Arbeitsmarkt auftreten. 8 )
Die Frauenerwerbsquote9 ) liegt in Deutschland niedriger als in anderen OECDLändern. So lag dieser Anteilswert 1990 bei den ledigen Frauen bei 54% und bei den
verheirateten Frauen bei 68%. Gleichzeitig betrug die Männererwerbsquote 83%
(Deutscher Bundestag 1994: 190). Insofern besteht ein erhebliches Potential für eine
Zunahme der Frauenerwerbsquote. Entsprechende Projektionen beziffern die auf
b) Der Begriff der Erwerbspcrsonen bezeichnet die Erwerbstätigen und die registrierten Arbeitslosen. Wer.
den die prinzipiell Arbeitswilligen. die aber eine Arbeitsvermittlung für aussichtslos halten. sich nicht bei
den Arbeitsämtern melden und daher nicht als arbeitssuchend registriert sind (stille Reserve). hinzuge.
zählt. ergibt sich das ErwcrbspcrsonenpotentiaJ. Diese statistische Größe wird im folgenden zur Abschät.
zung des Arbeitsangebots im weitestcn Sinne benutzt
' ) Bei einem gleichen Anteilswert von Erwerbspcrsonenpotc ntial zu Personen im erwerbsfähigen Alter ent.
spricht dies einem zusätzlichen Erwerbspcrsonenpotential von 2.7 Millionen. Allerdings ist die Übertra.
gung dcr inländischen Erwerbsneigung auf die dcr Zuwanderer problematisch.
~) Auch in der Vergangenheit wurde das Ausmaß der Nellozuwanderung vor allem von der Arbeitsmarkt.
lage beeinflußt (vgl. z. B. Buslei 1995: 16). Dureh die inzwischen im Rahmen der EU realisierte Freizügig.
keit d ürfte das Potential für derartige Arbcitsmigrationsbewegungen innerhalb der Europäischen Union
noch weiter gestiegen scin.
'1 Die Erwerbsquote mißt den Anteil der Erwerbspcrsonen an der jeweiligen Gesamtpopulation.
822
Das Potential, daß in einer Verzögerung der Verremung liegt, zeigt sich schon darin,
daß das durchschnittliche Rentenzugangsalter in den vergangenen Jahren bei gut 60
Jahren und damit um fast 5 Jahre unter der Regelaltersgrenze lag (Verband Deutscher RentenversiCherungsträger 1997: 93). Allein die Zahl der 61-65jährigen dürfte
2040 aber bei mehr als 4 Millionen liegen. 11)
Das größte Potential zur Abfederung eines Rückgangs des Arbeitsangebots besteht
jedoch sicherlich in der Integration der Erwerbslosen und der stillen Reserve, über
deren Umfang jedoch erhebliche Unsicherheit besteht. Für das Jahr 2000 wird die
Zahl der Arbeitslosen von Grütz et al. (1993: 458f.) mit 2,655 und die stille Reserve
auf 3,348 Millionen geschätzt. 12 ) Rein rechnerisch, d. h. insbesondere unter Vernachlässigung friktionaler Arbeitslosigkeit, kann somit ein Rückgang des Arbeitsangebots um mehr als 6 Millionen aufgefangen werden, ohne daß es zu einem Beschäftigungsrückgang kommt. Wird zudem eine steigende Erwerbsneigung von
Frauen und eine höhere Alterserwerbstätigkeit sowie eine bei Bedarf steigerbare
Zuwanderung unterstellt, erscheint der geschätzte Rückgang des Arbeitsangebots
um 9,2 Millionen ohne Einfluß auf die Beschäftigung kompensierbar. 13 ) Wird zudem
berücksichtigt, daß die demographisch bedingte Zunahme der Zahl der Rentner für
sich genommen in der Kranken- und Pflegeversicherung sogar einnahmensteigernd
wirkt, ist daher insgesamt nicht von signifikanten negativen Auswirkungen der demographischen Entwicklung auf die Einnahmenseite auszugehen.
4. Wirkungen auf der Ausgabenseite
Anders als bei der Einnahmenseite stimmen die Ausgabendeterminanten in vielen
Punkten nicht zwischen den verschiedenen Sicherungssystemen überein. Auch bei
\1) Das Jahr 2030 ist das letzle Jahr des Projektionszeitraums.
11) Nach der 8. koordinicrte Bevölkerungsvorausberl!chnung wird die Zahl der 61--65jährigen für 2040 auf
4,169 (Variante 1).4.472 (Variante 2) bzw. 4.TI6 (Variante 3) Millionen projiziert.
12) Angesichts der den.:citigen Arbeitslosenstatistik muß diese Schätzung aus dem Jahre 1993 sogar als zurück·
haltend bewertet werden. So wird vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (1 997: 823) als Jahres-durchschnitt für 1997 eine Arbcitslosenzahl von 4.38 Millionen angegeben. Angaben zur stillen Reserve
werden nicht gemacht. Allerdings beträgt allcin die Zahl der KurzarbeiteT (95 Tsd.). dcr Beschäftigten in
einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme (202 Tsd.). der Beschäftigten in einer Maßnahmc der beruflichen
Fortbildung (374 Tsd.) und der Bezieher von Altersübcrgangsgeld (44 Tsd.) im August 1997 zusammen 715
Tauscnd (Amt!. Nachrichten der Bundesanstalt für Arbeit. Nr. 10: 1441).
13) Werden auch andere Einflußgrößcn auf die Arbcitsmarktentwieklung berÜCksichtigt. verschiebt sich das
Bild. So wird die Zahl der Erwerbstätigen nach Grütz et aJ. (1993: 460) - bei sinkendem Erwerbsperso·
nenpotential- dureh das Abschmelzen der Arbeitslosen und dcr ..stillen Rescrvc" bis ins Jahr 2013 stei·
gen. um dann abzusinken. Am Ende des Betrachtungszcitraums. im Jahr 2030. liegt die Zahl der Beschäf·
tigten mit 31 Millionen dann um 3.6 Millionen unter dem Wert für 1995. Die sinkenden Beschäftigtenzah·
len ab 2013 resullieren dabei aber aus dem Wechselspiel aller relevanten ökonomischen Faktoren und
berücksichtigen semil auch die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung. Die Bcdeutung nichl·demogra·
phischer Einflußgrößcn zeigen aueh die Modcllrechnungen von Prognos (1995: 0·39: U·39). Diesc crgc·
ben unter Zugrundelegung optimistischer ökonomischer Bedingungen von 1992 bis 2040 einen Rückgang
der Erwerbstätigen im Inland um rund 3 Millionen. im pessimistischen Szenario aber einen Rückgang um
mehr als 9 Millionen.
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FaehingerlRothgang. Zerstört der demographische Wandel ... ?
der Erörterung der Wirkungen des demographischen Wandels ist daher auf der Ausgabenseite zunächst wieder zwischen den einzelnen Sozialversicherungszweigen zu
unterscheiden (Abschnitt 4.1 bis 4.3), bevor verallgemeinernde Schlußfolgerungen
(Abschnitt 4.4) gezogen werden können.
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Der Rentenwegfall und bei gegebenem Rentenzugang damit auch die Rentenbezugsdauer ist vor allem von der Mortalitätsentwicklung abhängig. Wird hier eine Zunahme der Lebenserwartung unterstellt, bedingt dies ceteris pari bus eine Zunahme
im Rentenbestand und damit eine Ausgabenerhöhung.
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Der Rentenzugang wird sowohl über die Kohortenstärke der einzelnen ins RentenaltervoITÜckenden Geburtsjahrgänge als auch über die Morbiditätsentwicklung mitbestimmt. Hier ist insbesondere auf die EntwiCklung der Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrenten hinzuweisen.
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Abbildung 5: Determinanten der Ausgaben der gesetzlichen Rentenversicherung
824
Der Arbeitsmarkt wirkt auf der Ausgabenseite über die durchschnittlichen Ausgaben pro Leistungsfall. Eine arbeitsmarktbedingt niedrigere Anzahl an Versicherten
bzw. geringe Beitragszahlungen führen dabei zu einer niedrigeren Zahl an Leistungsempfängern bzw. geringeren Rentenansprüchen in der Zukunft. Anders als
bei der Kranken- und Pflegeversicherung (s.u.) wirken Einnahmenausfälle dahermit einer zeitlichen Verzögerung von mehreren Dekaden -letztlich auch wieder ausgabenentlastend.
Da demographische Effekte ausschließlich über Rentenzu- und -abgang wirken,
kann ihre quantitative Bedeutung durch die Fallzahlentwicklung abgeschätzt werden. 16) Jede diesbezügliche Vorausberechnung ist allerdings mit großer Unsicherheit behaftet, da die Fallzahlentwicklung ebenfalls sehr stark von der Entwicklung
Kc:hrwender
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In Abbildung 5 sind die wesentlichen Determinanten der Ausgaben dargestellt.
Hierbei ist zwischen der Zahl der Leistungsfälle sowie der durchschnittlichen Leistungshöhe zu unterscheiden.
Die Zahl der Leistungsfälle wird vom Rentenzugang und Rentenwegfall bestimmt.
Diese beiden Größen werden nun sowohl mittelbar als auch unmittelbar von der demographischen Entwicklung beeinflußt. Demgegenüber sind die durchschnittlichen
Ausgaben pro leistungsberechtigtem Fall vor allem vom Wirtschaftsprozeß sowie der
Abgabenbelastung der Einkommen l4 ) abhängig. Demographische Faktoren spielen
hierfür keine Rolle. 1S ) Der Einfluß der Demographie auf die Fallzahl erfolgt somit
ausschließlich über Rentenzugang und Rentenwegfall.
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Struktur der
Vetsiehenen
(Alter und Gc:schlc::dn)
4.1 Rentenversicherung
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Da die Rentenanpassung seit dem Rentenreformgesetz 1992 an die Netto1ohn- und -gehaltsentwicklung
gebunden ist. verringern Abgabenerhöhungen die Rentensteigerung (vgl. z. B. Schmähll990).
IS) Ein Einfluß der Demographie kann höchstens indirekt Ober die Zahl der anreehnungsmhigen Versicherungsjahre erfolgen, wenn beispielsweise der Eintritt starker Geburtskohorten in den Arbeitsmarkt zu einer Erhöhung der unfreiwilligen Arbeitslosigkeit führt. Derartige Effekte wären dann sogar ausgabensenkend.
lb) Aussagen über die tatsächliche Ausgabenentwicklung der GRV allein aufgrund der Fal1zahlen sind allerdings nicht möglich. Die reine Fal1zahlläßt nämlich unberücksichtigt, daß die verschiedenen Ren\enarten
und Zugangsfaktoren sowie die individuelle Biographie zu ganz unterschiedlichen Rentenhöhen führen.
Zudem wird der Zeitpunkt des Rentenzugangs in erheblichem Maße von dcn jeweils geltenden gesetzlichen Regelungen becinflußt. Um sich das Ausmaß dieses Einflusses vor Augen zu führen. reicht es, daran
zu erinnern. daß mehr als ein Viertel aller Rentenzugiinge über Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrenten erfolgt und das durchschnittliche Rentenzugangsalter um fOnf Jahre unter der gesetzlichen Regelgrenze liegt.
Die folgende Betrachtung bezieht sich daher ausschließlich auf den Effekt de r demographischen Entwicklung auf die GRV-Ausgaben unter Ausklammerung anderer Einflußgrößen.
825
Fachinger/Rothgang. Zerstört der demographische Wandel ... ?
Fachinger/Rothgang. Zerstört der demographische Wandel . .. ?
des Arbeitsmarktes sowie den gesetzlichen Regelungen (siehe hierzu z. B. Fachinger 1994) abhängt.
Es zeigt sich, daß der Einfluß der demographischen Entwicklung auf die GRV-Gesamtausgaben deutlich niedriger ist, als die Zunahme der 65 Jahre und älteren Personen. Für den Zeitraum von 2000 bis 2040 liegt die durchschnittliche Wachstumsrate für die Anzahl der Fälle bei rund 0,65 Prozent pro Jahr.
Wie stark der Einfluß der Arbeitsmarktentwicklung ist, zeigt z. B. die Abweichung
der von Barth et al. (1994: 238) im Jahre 1994 für Ostdeutschland ermittelten zukünftigen Fallzahlen von der tatsächlichen Entwicklung in der Tabelle 1.
Tabelle 1: Tatsächlicher und vorausberechneter Versicherungsbestand in Ostdeutschland
Jahr
Ergebnis des Rentenmodels 1993
in Tsd. a)
tatsächlicher Bestand an
Versichertementen in Tsd. b)
1993
1994
1995
1996
1997
2.762
2.767
2.774
2.782
2.790
2.832
2.969
3.127
3.335
3.455
Quelle: a) Barth et al. 1994: 238: b) Verband Deutscher Rentenversicherungsträger 1997: 126
Nach Berechnungen des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger ergibt
sich die in Abbildung 6 enthaltene Zeitreihe 17). Zum Vergleich sind in der Abbildung auch die Indexwerte der 65 Jahre und älteren Personen sowie die des Altenquotienten enthalten.
Anders als in der Rentenversicherung beeinflußt die demographische Entwicklung
in der GKV nicht nur die Zahl der Leistungsfälle, sondern auch die durchschnittlichen Ausgaben pro Leistungsfall (Abbildung 7). Vermittelt wird der Einfluß der Demographie dabei über eine - auch im internationalen Vergleich auffindbare - altersspezifische Inanspruchnahme medizinischer Leistungen.
So verursachte die Altersgruppe der über 65jährigen im Durchschnitt von 16
OECD-Ländern 1980 viermal höhere Gesundheitsausgaben als die Gruppe der unter 65jährigen (Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen 1994: Ziffer 162). In den alten Bundesländern entfielen auf die Gruppe der
über 65jährigen mehr als doppelt so viele Gesundheitsausgaben wie auf die Gruppe
der 45-64jährigen und letztere liegt ihrerseits über dem Zweifachen der unter
20jährigen (ebd.).
Entsprechend lassen sich altersspezifische Profile für Arzneimittelverbrauch, ambulante und stationäre Behandlung sowie für andere Ausgabenarten angeben (vgl.
Reschke/Jacobs 1995).")
Da die Gesundheitsausgaben mit zunehmendem Alter ansteigen, kann vermutet
werden, daß von einer Alterung der Bevölkerung ein ausgabensteigernder Alterseffekt ausgeht. Gleichzeitig wirkt die Abnahme der Gesamtpopulation allerdings ausgabensenkend. Beide Effekte müssen deshalb gegeneinander abgewogen werden.
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4.2 Krankenversicherung
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Schwartz und Busse (1994: llf.) referrieren dazu retrospektive Schätzungen, nach denen die demographiebedingte Steigerung der Inanspruchnahme in Deutschland in
den aChtziger Jahren bei 0,2 Prozent per annum gelegen, und zu einer Ausgabensteigerung von 0,5 Prozent per annum geführt hat. Vergleichbare Werte von unter 1
Prozent werden auch für andere europäische Länder genannt.
Prospektive Schätzungen des rein demographischen Effekts hat der Sachverständigemat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen für Kernbereiche des Gesundheitswesens in seinem Sachstandsbericht 1994 präsentiert.
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Abbildung 6: Demographisch bedingte Ausgabensteigerung in der GRV
826
17) Die Berechnung der Indexentwicklung beruht ausschließlich auf den Werten für die alten Bundesländer.
Es wird somit unterstellt, daß die für Westdeutschland langfristig projizierte Entwicklung nach einer Ober.
gangsphase auch rur die neuen Bundesländer eintritt.
Ig) Die von Reschke und Jacobs vorgelegten Ausgabenprofile werden vom Bundesversicherungsamt rur die
Berechnung der Ausgleiehszahlungen im Risikostrukturausgleich verwendet und haben daher besondert!S
Gewicht.
827
Fachinger/Rothgang, Zerstört der demographische Wandel ...1
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Fachinger/Rothgang, Zerstört der demographische Wandel ... 1
Verschlechterung der finanzie llen Situation der GKV in den nächsten 15 Jahren
zu befürchten ist." (Ziffer 217)
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Im Sondergutachten 1995 wird vom Sachverständigenrat eine Abschätzung der rein
demographischen Effek te auf die gesamten GKV-Gesundheitsausgaben gegeben
(Abbildung 8).
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Abbildung 8: Demographisch bedingte Ausgabensteigerung in der GK V bei konstantem altersspezifLSchen Inanspruchnahmeverhalten
Je nach Migrationsannahmen steigen die GKV-A usgaben danach demographisch
bedingt von 1995 bis 2040 zwischen 1,7 Prozent und 12,7 Prozent. Bezogen auf den
bisher betrachte ten Zeitraum von 2000 bis 2040 entspricht das einem Wachstum von
- 1,9 Prozent bzw. +8,1 Prozent, der bei weitem unter der Z unahme der Altenbevölkerung oder dem Wachstum des Altenquotienten liegt. 19)
A lle Berechnungen des Sachverständigenrates beruhen dabei auf im Zeitablauf alters- und geschlechtsspezifisch konstanten Inanspruchnahmeprofilen. Gerade diese
Annahme wird allerdings kontrovers diskutiert. Z um einen kann der medizinische
Abbildung 7: Determinanten der Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung
Er kommt dabei zu dem E rgebnis,
"daß durch die voraussichtliche demographische Entwicklung allein bei gleichbleibenden medizinischen und ökonomischen Bedingungen keine dramatische
828
1~ Eine alle Leistungsbereiehe der GKV einschließende Projektion der demographisch bedingten Ausga.
bensteigerung in der GKV wurde aueh von Fickel (1995) als Dissertation vorgelegt. Er arbeitet dabei mit
einem eigenen Bevölkerungsmodell. daß mehrere Varianten zu den Fertilitäts- und Migrationsannahmen
enthält. vor allem aber im Gegensatz zur 8. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des Statisti.
schen Bundesamtes. die auch den Schätzungen des Sachverständigenrates zugrunde liegt. von einer übe r
den gesamten Betrachtungszeitraum rückläufigen Mortolitätsemwicklung ausgeht. Bei im Zeitveriauf konstanten Inanspruchnahmeprofiicn. kommt Ficke! in seiner .. teuersten" Variante für den Zeitraum von 2000
bis 2040 zu einer demographisch bedingten Ausgabensteigerung von insgesamt 21 Prozent.
829
Fachinger/Rothgang, Zerstört der demographische Wandel .. .1
Fachinger/Rothgang. Zerstört der demographische Wandel ... 1
Fortschritt sowie eine Verbesserung der Rehabilitation zu einer Veränderung der altersspezifischen Inanspruchnahme führen. Zum anderen ist ungewiß, wie sich der erwartete Rückgang der Mortalität auf die altersspezifische Inanspruchnahme auswirkt. Dabei stehen sich zwei Extrempositionen und vielfältige Mischtypen gegen über:
Ausgabenrelation der "Alten" zu den "Jungen'; sogar noch zugenommen hat (Wasem 1995). Da somit noch nicht abschließend entschieden werden kann, ob sich die
altersspezifische Inanspruchnahme tatsächlich zugunsten der GKV verändert, wird
im folgenden weiter auf die Modellrechnungen mit konstantem Inanspruchnahmeverhalten zurückgegriffen.
So vermutete Fries (1980), daß sich die Phase, in der in erhöhtem Maß mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu rechnen ist, bei steigender Lebenserwartung in ein
höheres Lebensalter verlagert. Da sich damit die Relation der kranken Jahre zur Gesamtlebensdauer verringert, wird dies auch als Kompressionsthese bezeichnet.
Dem steht die beispielsweise von Verbrugge (1984) vertretene These gegenüber,
daß sich die Morbiditätsphase bei höherer Lebenserwartung verlängert, so daß die
Mortalität bei im wesentlichen gleichbleibender Morbidität zurückgeht (Medikalisierungsthese).
Nun ist der Sachverständigenrat in seinem neuesten Gutachten auch der Frage nach
der Morbiditäts- und Mortalitätsentwicklung im höheren Lebensalter nachgegangen
(vgl. hierzu auch Seidler et al. 1996). Auf der Basis einer Zehnprozent-Stichprobe
(n=87.ooo) von Versicherten der Schwäbisch-Gmünder Ersatzkasse mit Daten zur
stationären Behandlung von 1989 bis 1995 kam er dabei zu dem Ergebnis, daß
weniger das chronologische Alter, als vielmehr die Nähe zum Tod entscheidend
für die Inanspruchnahme sei. Bei steigender Lebenserwartung verschiebe sich
der im Zusammenhang mit dem Tod stehende Kostenblock nach hinten, so daß
Berechnungen mit im Zeitverlauf konstanten Inanspruchnahmeprofilen den demographischen Kosteneffekt überschätzen (Ziffer 89).20)
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"durch den gleichzeitigen Rückgang der altersspezifischen Verbrauchsziffern an
kurativen insbesondere stationären Leistungen fast gänzlich kompensiert {wird];
bei komprimierter ~orbidität und damit noch stärker sinkendem altersspezifischem Ressourcenverbrauch ist sogar eine komplette Kompensation möglich."
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Diese Resultate erfahren Unterstützung durch eine ökonometrische Studie, die Zweifel et al. (t996) mit
Schweizer Daten durchgeführt haben. Danach korrelieren die Gcsundheitsausgaben für höhere Alters·
gruppen signifikant nur mit der verbleibenden Lebenszeit. nicht jedoch mit dem Lebensalter. Für eine Kri·
tik der Vorgchenswcise in dieser Untersuchung vgl. Breycr 1996.
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Dies könne - so der Sachverständigenrat - "zugleich als ein begrenzter Hinweis für
die R ichtigkeit der von Fries theoretisch postulierten ,komprimierten Morbidität'
gewertet werden" (Ziffer 96). Der Rat schlußfolgert daher, daß der Zuwachs der Älteren:
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ältere Personen zudem "billiger" sterben als jüngere, woraus sich ebenfalls eine
Dämpfung des demographischen Kosteneffektes ergibt (Ziffer 90).
Die weitreichenden Schlußfolgerungen des Sachverständigenrates aus der Auswertung einer sehr begrenzten Stichprobe sind im Anschluß an sein Gutachten jedoch
kritisiert worden (vgl. z. B. Korbanka 1996: 370f.; Burger 1996: 559). So weisen auch
Untersuchungen mit Daten der privaten Krankenversicherung darauf hin, daß die
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Abbildung 9: Determinanten der Ausgaben der gesetzlichen Pflegeversicherung
831
FachingerlRothgang. Zerstört der demographische Wandel ... ?
Fachingcr/Rothgang. Zerstört der demographische Wandel ... ?
4.3 Pflegeversicherung
Die Ausgestaltung der gesetzlichen Pflegeversicherung führt dazu, daß die von der
Sache her prinzipiell mit der GKV übereinstimmenden Determinantengruppen
(Abbildung 9) teilweise anders wirken.
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200
180
Auch in der Pflegeversicherung wirkt der demographische Effekt über altersspezifisehe Inanspruchnahmeprofile. Dabei steigt die Pflegefallwahrscheinlichkeit erst ab
dem 75. Lebensjahr deutlich an (vgl. Rothgang 1997: 3361.).
120
Die Altersstruktur der Pflegebedürftigen beeinflußt gemeinsam mit dem Pflegegrad
auch das Inanspruchnahmeverhalten. Wie Modellrechnungen zeigen, ist der Effekt
der demographisch induzierten Inanspruchnahmeveränderung aber vergleichsweise
gering (Fachinger et al. 1997: 314f.).
Wird versucht, den Effekt der demographischen Entwicklung auf die Ausgaben der
gesetzlichen Pflegeversicherung zu quantifizieren, so sind eine Reihe von Annahmen zu setzen.
Wird die mittlere Variante der 8. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des
Statistischen Bundesamtes zugrunde gelegt und werden im Zeitablauf konstante alters- und geschlechtsspezifische Pflegefallwahrscheinlichkeiten verwendet,21 ) ergibt
sich die in Abbildung 10 dargestellte Ausgabensteigerung, die zum Vergleich den
beiden Indexreihen zur Bevölkerungsentwicklung gegenüber gestellt wurde (vgl.
RothgangIVogler 1997a und 1997b).
Die durchschnittliche Wachstumsrate der Ausgabensteigerung in der GPV beträgt
etwa 0,85 Prozent jährlich und ist damit höher als in der GRV oder GKV. Selbst in
der am stärksten von der Alterung betroffenen Pflegeversicherung erscheint der demographisch bedingte Ausgabenanstieg somit noch als moderat. Wie bei der GKV
dürfte auch in der GPV von anderen Faktoren ein erheblich stärkerer Effekt auf die
Ausgabenentwicklung ausgehen (vgl. Rothgang 1997).
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So führt die betragliche Deckelung aller Leistungen der Pflegeversicherung dazu,
daß Preissteigerungen für Pflegeleistungen nicht direkt auf die Ausgaben wirken. Bei
betraglieh fixierten Leistungshöhen bewirken Preissteigerungen zunächst lediglich,
daß die Leistungsmenge, die beim Pflegebedürftigen "ankommt", zurückgeht. Allerdings besteht die Möglichkeit, daß ein sinkender Realwert der Pflegeleistungen
aufgrund überproportionaler Preissteigerungen in Zukunft bei der Dynamisierung
der Leistungen der Pflegeversicherung berücksichtigt wird und die Preiskomponente dadurch indirekt auf die Ausgaben durchschlägt.
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Abbildung 10: Demographisch bedingte Ausgabensleigerung in der GPV
4.3 ZwischenJazit: Die Wirkungen der demographischen Entwicklung auf der Ausgabenseite
Die demographische Entwicklung beeinflußt die Ausgaben der Sicherungssysteme
über die Fallzahl und bei der Kranken- und Pflegeversicherung auch über die Ausgaben pro Fall. Zur Abschätzung der dadurch hervorgerufenen Wirkungen müssen
in erheblichem Ausmaß Annahmen gesetzt werden. Bei entsprechenden Modellrechnungen ergeben sich für den Zeitraum von 2000 bis 2040 demographisch bedingte Ausgabensteigerungen von
-
29 Prozent in der Renten-
-
-2 Prozent (Variante 1) bzw. 9 Prozent (Variante 2) in der Kranken- und
-
40 Prozent in der Pflegeversicherung,
die - und zwar zum Teil deutlich - unter der Zunahme der Zahl der Alten von 47
Prozent liegen, obwohl teilweise recht pessimistische Annahmen verwendet wurden.
Insgesamt ist der Effekt der demographischen Entwicklung auf die Ausgaben der Sicherungssysteme somit geringer als die Zunahme der Zahl der über 65jährigen.
~1) Wie im Gesundheitswesen ist die Annahme konstanter allersspezifischer Profile auch im Pflegebereich _
aus den selben Gründen - kritiseh. Wird die Gültigkeit der Komprcssionsthese untcrstellt. führt diese Annahme zu einer Überschätzung des untersuchten Effektes.
832
5. Synopse: Die Bedeutung der demographischen Entwicklung für die Beitragssatzentwicklung im Oberblick
Eine synoptische BetraChtung der drei behandelten Sicherungssysteme hinsichtlich
Einnahmen- und Ausgabenentwicklung ergibt folgendes Ergebnis:
833
FachingerlRothgang. Zerstört der demographische Wandel . .. ?
Fachinger/Rothgang. Zerstört der demographische Wandel .. .?
Hinsichtlich der wesentlichen Determinanten der Einnahmen der Sicherungssysteme zeigen sich zwischen den Systemen Gemeinsamkeiten. Als unmittelbar wirkende Determinanten sind vor allem der Beitragssatz, die individuelle Beitragsbemessungsgrundlage sowie die Anzahl der versicherten Personen zu nennen. Diese
Größen sind selbst wieder abhängig von einer Vielzahl von Faktoren. Das wesentliche Determinantenbündel ist dabei, neben den gesetzlichen Regelungen, der Arbeitsmarkt. Über diesen und durch ihn "gefiltert" wirkt die demographische Entwicklung auf die Einnahmen der Sicherungssysteme. Dabei wird allerdings lediglich
die Arbeitsangebotsseite beeinflußt. Aus diesem Grund wird die demographische
Komponente für die Einnahmenseite erst in einer Situation des Arbeitskräftemangels bedeutsam. Selbst dann ist aber eine Kompensation der sich dadurch ceteris paribus reduzierenden Einnahmen in Folge der rückläufigen Beschäftigtenzahlen
durch steigende Löhne möglich.
Indexreihe des Altenquotienten, der 65jahre und älteren, der GRV-, GKVund GPV-Ausgaben
Eine Abschätzung der quantitativen Effekte zeigt dabei, daß die demographische
Entwicklung keine signifikanten Effekte auf der Einnahmenseite hat und demographisch bedingte Beitragssatzerhöhungen somit als proportional zur demographieinduzierten Ausgabensteigerung verlaufend modelliert werden können. Dabei ist
noch nicht einmal berÜCksichtigt, daß in der Kranken- und Pflegeversicherung auch
die Rentner Beitragszahler sind und eine Zunahme der Rentnerzahl in diesen Systemen somit - ceteris pari bus - einnahmensteigernd wirkt.
Bei der Analyse der Wirkung der demographischen Entwicklung auf die Ausgaben
muß zwischen den Sicherungssystemen unterschieden werden. Während die demographischen Faktoren bei der GRV nur auf die Fallzahlen einwirken, werden bei den
heiden anderen Sicherungssystemen sowohl die Fallzahl als auch die durchschnittlichen Ausgaben pro leistungsberechtigtem Fall beeinflußt. Andererseits schlägt die
wirtschaftliche Entwicklung der Vergangenheit in der Rentenversicherung über die
individuelle Komponente der Rentenformel auch auf die Ausgaben durch, während
ein solcher direkter Effekt der wirtschaftlichen Entwicklung auf die Ausgaben der
GKV und GPV nicht ersichtlich ist.
Abbildung 11 faßt die numerischen Ergebnisse noch einmal zusammen.
Die Gegenüberstellung der Indexreihen zur Beschreibung der Alterung der Bevölkerung mit denen der demographiebedingten Ausgaben- und damit auch Beitragssatzsteigerungen ergibt, daß die Steigerung der letztgenannten deutlich niedriger
ausfällt. Während der Altenquotient sich von 2000 bis zum Jahre 2040 um etwa 88
Prozent erhöht, liegen die Steigerungen für die sozialen Sicherungssysteme den Modellrechnungen zufolge bei -2 bis 9 Prozent in der GKV, 40 Prozent in der GPV und
29 Prozent in der GRV. Es zeigt sich somit, daß die Alterung der Gesellschaft in den
beitragsfinanzierten Sicherungssystemen nicht vollständig durchschlägt.
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Abbildung 11: Der Einfluß der demographischen Entwicklung auf die Beitragssatzentwicklung im Oberblick
Werden die zugrunde liegenden jährlichen Wachstumsraten betrachtet, so liegen
diese bei 0,65% (GRV),-O,05 bis 0,19 Prozent (GKV) bzw. 0,85 Prozent (GPV) pro
Jahr. Diese rein demographisch bedingten Veränderungen auf der Ausgabenseite
dürften ohne weiteres durch das Wirtschaftswachstum aufgefangen werden können,
sofern der Anteil der Arbeitseinkommen am Volkseinkommen in etwa konstant
bleibt. Damit zeigt sich, daß die Systeme mit der demographischen Entwicklung allein "fertig werden können".
Bei einer Bewertung dieses Ergebnisses ist aber zu bedenken, daß neben der demographischen auch die wirtschaftliche Entwicklung und andere beitragssatzwirksame
Faktoren zu beachten sind. Dies sind vor allem
-
Erwerbskarrieren und institutionelle Regeln in der GRV,
-
medizinisch-technischer Fortschritt, Fortschreibung des Leistungskatalogs und
Preisentwicklung in der GKV,
-
Inanspruchnahmeverhalten, Leistungsdynamisierung und - je nach Dynamisierungsregel- Preisentwicklung für Pflegeleistungen in der GPV.
Wenngleich die demographische Entwicklung allein die sozialen Sicherungssysteme
nicht gefährden kann, ist eine Gefährdung durch den Verbund der genannten Faktoren deshalb nicht auszuschließen. Allerdings sollte die Diskussion sich deshalb
auch der Gesamtheit aller relevanten Faktoren und ihren Wechselwirkungen zuwenden und sich nicht ausschließlich auf die Demographie konzentrieren.
834
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FachingerlRothgang. Zerstört der demographische Wandel ... ?
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Wie sozial bleibt die deutsche Marktwirtschaft?
Von Prof Dr. Heiner Ganßmann, Berlin
1. Die aktuelle Diskussion
Die deutsche wirtschafts- und sozialpolitische Diskussion zeichnet sich durch eine
einfache Polarisierung aus. Auf der einen Seite finden sich, unter dem ansprechen~
den Etikett "Reformer'" diejenigen, die die Wirtschaft durch Stärkung der Investi
tionsanreize wieder in Schwung bringen wollen. Dabei versteht man unter Investitionsanreizen staatlich herbeigeführte Kostensenkungen für die Unternehmen und sie
sollen im wesentlichen durch Senkung der sog. Lohnnebenkosten, die sich in Ein~
schnitte bei den Sozialleistungen übersetzen. oder durch Venninderung der Steuerbelastung der Unternehmen zustandekommen. Auf der anderen Seite finden sich
die "Reformblockierer", die an einem Gesellschaftsmodell festhalten. demgemäß
die Politik in Form des Sozialstaats regulierend in den Prozeß der Einkommensverteilung eingreift. Den Refonnblockierern wird das Festhalten an einer längst vom
ökonomischen Sachverstand als gemeinwohlschädigend diagnostizierten Umverteilungsideologie vorgeworfen. Zugleich sind die Reformer seit etwa 15 Jahren un~
ablässig und recht erfolgreich dabei, eine Umverteilung zugunsten der Gewinn~ und
Vermögenseinkommen zu bewerkstelligen. Offenbar reicht dennoch das erzielte
Gewinneinkommen nach 15 Jahren Umverteilungspolitik noch nicht aus, um zu ver~
mehrten Investitionen anzureizen. I ) Deshalb bleibt der Trend zu immer höherer Ar
beitslosigkeit ungebrochen und verschafft dem Gegensatz zwischen Refonnern und
Bewahrern jene Brisanz, die die Unveränderlichkeit der Positionen eigentlich längst
in Langeweile aufgelöst haben müßte. An der Langeweile kann auch nicht ändern,
daß die beschriebene Rollenverteilung gemessen an tradierten Politikvorstellungen
leicht verwirrend ist: Von den Parteizugehörigkeiten her sind die "Reformer" die
ehemaligen Konservativen und die Bewahrer diejenigen, die sich einst für Sozialreformen aller Art stark gemacht hatten.
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Beide Lager sind sich im übrigen darin einig, daß die marktmäßige Organisation der
Wirtschaft die einzig angemessene ist. Differenzen gibt es erst anläßlich der Frage,
welche und wieviel Wirtschaftsprobleme man allein dem Markt und seinen "Kräften" zur Bearbeitung überlassen soll. Das zeigt sich insbesondere am Umgang mit
Problemen der sozialen Sicherheit. vor allem mit der Arbeitslosigkeit. Arbeitslosigkeit als Problemkomplex läßt sich auf verschiedenen Wegen bekämpfen. Am einfachsten ist die fundamentalistische, marktkonforme Strategie: Wenn Arbeitskräfte
nicht hinreichend nachgefragt werden, müssen die Anbieter, wie bei jeder anderen
Ware auch, den Preis senken. soU der Markt geräumt werden. Wollen die Anbieter
1) Darüber wundert sich sogar der Saehverständigenrat zur Begutachtung der wirtschaftlichen Entwicklung
(SVR). nachdem er den Anstieg der Gewinne feststellt: •. Von der Investitionsdynamik, die man bei einem
so ausgeprägten Anstieg der Gewinne eigentlich hätte erwarten können. ist jedoch nichts zu spUren." (SVR
19%: 181)
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