Bericht über den Euro-Fighter

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Bericht über den Euro-Fighter
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15.02.2010
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COASTER
Ein Adrenalin-Kick mit
interessantem Theming
Ein Freizeitpark ist grundsätzlich ein Ort für die ganze Familie.
Ist es also sonderlich clever, eine
Achterbahn nach einer der grausamsten Horrorfilm-Serien zu
thematisieren? Die Antwort lautet: Ja – wenn man Thorpe Park
heißt!
Text:
Tim Herre
Photos:
Jennifer Born
SAW
Das Familienpublikum wird in Thorpe nur noch nebenbei bedient, der Fokus liegt aber klar auf der Zielgruppe, die Action, Action und noch mehr Action fordert. Und so ist es auch kein Wunder, dass „Saw – The
Ride” zum absoluten Crowd-Pleaser wurde. Sicherlich
U
m dies zu verstehen, muss man die Historie der
wurde kontrovers diskutiert, ob die ganze Sache nicht
Tussauds-Parks im Londoner Raum kennen. In
die Grenzen des guten Geschmacks bei Weitem
unmittelbarer Nähe buhlten dort bis Anfang des neu-
überschreitet, und diejenigen, die an dieser Stelle „Ja,
en Millenniums zwei identisch ausgerichtete Freizeit-
natürlich!” riefen und immer noch rufen, haben ja auch
parks um die Besucher der englischen Hauptstadt.
irgendwie Recht. Aber eben nur irgendwie. Denn die
Diese Ära war spätestens im Frühjahr 2002 Ge-
Faszination, die die sadistischen Spiele des zentralen
schichte, als der Thorpe Park auf Thrillpark getrimmt
Saw-Characters Jigsaw ausüben, ist ein Massenphä-
wurde und seinem Publikum „Colossus” präsentierte,
nomen geworden und die marketingtechnische Aus-
eine Intamin-Loopingbahn mit nicht weniger als zehn
weitung im Freizeitpark-Sektor war nur eine Frage der
Überschlägen. Es folgten der B&M-Inverted-Coaster
Zeit – denn Freizeitparks faszinieren schließlich auch
„Nemesis Inferno” und die Intamin-Katapult-Achter-
die Massen und müssen dies tun, sonst rechnen sie
bahn „Stealth”. Die Botschaft war also klar: „Familien,
sich nicht.
geht bitte ins 20 Kilometer entfernte Chessington
World of Adventures! Teenager, Thrillseeker, Junggebliebene – hier entlang, bitte! Hereinspaziert, hoch
Der Eingangsbereich als
rostiges Industrieareal
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verehrtes Publikum!”
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Und es ist ja nicht so, dass der Horror erst beim Ein-
aussehender Folie bestückt. Die Thematisierung wur-
Der Bahnhofsbereich sieht
steigen in den achtsitzigen Wagen des Gerstlauer-
de innen wie außen konsequent durchgezogen – also
nicht viel besser aus: Auch hier
„Eurofighters” starten würde. Schon im Wartebereich
möglichst ungemütlich im Wellblech-Look, komplett
überwiegt der rostige „Charme”
werden die Augen der prospektiven Fahrgäste mit
mit blutigen Leichenteilen, Video, wahnsinnig lautem
einer verlassenen Industriehalle
Exponaten aus den Werkstätten von Jigsaw verwöhnt,
Soundtrack und unheimlichen Blitzen.
und man braucht kein Kenner der Saw-Reihe zu sein,
Die Kapazität ist für eine Anlage mit Einzelchaisen
um sich auszumalen, wie die Opfer mit den rostigen
recht ordentlich, denn es werden immer zwei Wagen
Gerätschaften in den inzwischen sechs Saw-Filmen
gleichzeitig beladen. Im Schnitt verlässt nach jeweils
malträtiert werden. Weite Teile der Warteschlange sind
26 Sekunden ein Wagen die Station, was einer theo-
zudem aus knapp drei Meter hohen, von Stacheldraht
retischen Kapazität von nicht weniger als 1.100 Per-
gekrönten Maschendraht-Zäunen gebildet, was nicht
sonen pro Stunde entspricht.
nur Vordrängeln – in einem Teenager-Park wie Thorpe
Die Fahrt selbst verläuft zuerst im Dunkel des die Sta-
leider noch immer ein Riesenproblem – erschwert,
tion umschließenden Gebäudes. Nach einer Rechts-
sondern auch zusätzlich eine beklemmende Atmo-
kurve werden die Fahrgäste zunächst mit Jigsaw kon-
sphäre schafft. Der Stacheldraht ist freilich verlet-
frontiert, der auf einem Dreirad im Halbkreis auf sie zu-
zungs-unbedenklich, denn was da wie rasiermesser-
fährt und seine Besucher mit „Let the Games begin!”
scharf aussieht, ist in Wirklichkeit mit täuschend echt
nett begrüßt. Die Chaise fährt im folgenden Strecken-
Überall wird vor dem Zutritt und der Benutzung gewarnt
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abschnitt auf nur schemenhaft erkennbare, große Äxte
Wie lautet also das Fazit? „Saw – The Ride” ist mit
von diversen „Eurofightern” be-
zu, denen mittels einer kleiner Abfahrt ausgewichen
Sicherheit der am aufwändigsten in Szene gesetzte
kannten Manöver
wird. Besonders effektiv ist hier die anschließend zu
„Eurofighter” – ganz besonders wegen des Indoor-
sehende Walze mit Dornen, die man wirklich erst im
Teils. In diesem Frühling wird das Erlebnis zudem noch
Moment des Drops sieht, wenn sie kurz angeblitzt
um eine neue Attraktion ergänzt: Schräg hinter der
wird. Nach einer Linkskurve geht’s wieder ein paar
Achterbahn wird auf dem alten Vergnügungsdampfer
Meter hinauf, wo der Wagen in einer Lagerhaus-Sze-
„Thorpe Belle” ein ganzjähriges Horror-Maze mit Live-
nerie von beiden Seiten mit Pressluft beschossen wird
Erschreckern eröffnet – und mit so was hat der Park,
– das klappt mal mehr, mal weniger gut. Doch das
der mit den „Fright Nights” alljährlich das umfang-
Highlight der Dunkelfahrt kommt erst noch: Nach einer
reichste Halloween-Event im Vereinigten Königreich
weiteren Linkskurve erkennen die Fahrgäste das ret-
präsentiert, ja ausreichend Erfahrung. Wir sind also
tende Tageslicht, doch plötzlich vollführt der Wagen
gespannt darauf, wie viel schrecklicher „Saw” in der
einen In-Line-Twist – direkt über einer am Boden lie-
neuen Saison 2010 sein wird.
Die Inversionen sind die
genden Leiche, aus der Wasser spritzt,
bis in die Gesichter der Mitfahrer. Ein
Schreckmoment, der sitzt. Jetzt könnte
die Fahrt eigentlich vorbei sein, doch, ach
ja – da kommt ja noch der Outdoor-Part.
Hier erwartet den Thrillseeker etwas mehr
als die übliche, solide „Eurofighter”-Kost.
Die Abfolge der Elemente stellt eine willkommene Abwechslung dar, zum Bei-
FAKTEN
spiel fehlt ein Vertikallooping gänzlich.
Der große Drop schickt den Wagen direkt
■ Eröffnung: 14.03.2009
in einen Immelmann, der Rest der Strecke
■ Schienenlänge: 720 Meter
spielt sich also hinter dem Drop und dem
■ Schienenhöhe: 30,5 Meter
großen Stationsgebäude ab. Dort ist der
■ Geschwindigkeit: 89 km/h
Kurs großflächig verteilt, wartet aber trotz-
■ 3 Inversionen: In-Line-Twist,
dem mit den für Bahnen dieser Gattung
Immelmann, Dive-Loop
typischen, engen Manövern auf. Nach
■ Max. Längsneigung: 100°
einem Overbanked-Turn nach links gibt
■ Max. Beschleunigung: 4,7 g
es einen saftigen Airtime-Hill, gefolgt von
■ Fahrzeit: 1:40 min (inkl. Lift)
einem leicht nach rechts geneigten Drop
■ 8 Fahrzeuge für je 8 Pers.
und einer ansteigenden 180°-Steilkurve
■ Kapazität: 1.100 Pers./h
nach links, hinauf in die Blockbremse. Ein
■ Designer: John Wardley
weiterer, steiler Drop folgt und mit dem
■ Statik/Dynamics: Stengel,
unglaublich engen, unter Bodenniveau
München, Deutschland
angefahrenen Dive-Loop kommt das
■ Hersteller: Gerstlauer, Mün-
Highlight der Fahrt auch wirklich erst ganz
sterhausen, Deutschland.
zum Schluss. Man kann also sagen, dass
■ Betreiber: Thorpe Park,
Chertsey, England
der Fahrtablauf gut choreographiert ist.
Hier erkennt man die Handschrift des beratenden Designers John Wardley.
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