Pädagogische Hochschule Salzburg Beiträge aus

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Pädagogische Hochschule Salzburg Beiträge aus
Ausgabe 04 2011
Pädagogische Hochschule Salzburg
Beiträge aus Wissenschaft und Lehre
AUSGABE 04/2011
Inhaltsverzeichnis
EDITORIAL
Heterogenität in Schule und Unterricht
Elfriede Windischbauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2
ASPEKTE DER LEHRERiNNENBILDUNG
Wohin die Reise geht
Josef Sampl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
Berufswahl im Spannungsfeld von Geschlecht und Zeitgeist
Jürgen Bauer, Maria Haderer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
Lehrgang „Berufsbezogene Fremdsprache Englisch“
Didaktische Konzeption und Kompetenzenkatalog
Christian Lutsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
BEITRÄGE AUS WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG
Heterogenität in der Neuen Mittelschule
Angelika McMahon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Es war einmal ... eine homogene Lerngruppe
Vom Mythos der Homogenität und dem Umgang mit Heterogenität
Hans-Peter Gottein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dialog der Esskulturen
Ursula Buchner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Die Berufsstimme am Stimmarbeitsplatz Schule
Das Stimmbetreuungsprojekt an der Pädagogischen Hochschule Salzburg
Hannes Tropper, Josef Schlömicher-Thier . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . 17
. . . . . . . . . . . 25
. . . . . . . . . . . 32
. . . . . . . . . . . 41
GASTBEITRAG
Mehrsprachige Gesellschaft - zweisprachige Schulen?
Anmerkungen zum Umgang mit sprachlicher Vielfalt
Rudolf de Cillia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48
PROJEKTE
„Cora kocht und Bernhard baut - Oder doch nicht?“
Geschlechtersensible Atelierangebote an der Praxissvolksschule der Pädagogischen Hochschule
Heike Niederreiter, Silvia Nowy-Rummel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Aus anderer Sicht - ein Projekt an der Pädagogischen Hochschule
Christian Treweller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Das Lesetagebuch als Beitrag zur individuellen Leseförderung
Christine Schober . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Differenzierung durch Komplexität - Heterogenität im Mathematikunterricht begegnen
Myriam Burtscher, Barbara Herzog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
56
60
65
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KOOPERATIONEN
Impulse der internationalen Zusammenarbeit für inklusive Pädagogik in Österreich
Irene Moser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74
ARBEITEN VON STUDIERENDEN
Mathematik mit Kindern, die schwerhörig oder gehörlos sind
Bettina Lorenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
PUBLIKATIONEN VON MITARBEITERiNNEN DER PH SALZBURG
Kinder bei Tod und Trauer begleiten
Sagmeister, Raimund - Rezension von Friedrich J. Drechsler . .
Kompetente Beratung in der Schule
Magnus, Andrea - Rezension von Ewald Moser . . . . . . . .
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AUTORINNEN / AUTOREN
Kurzporträts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
INHALT |3
EDITORIAL
Elfriede Windischbauer
Heterogentität in Schule und Unterricht
Sehr geehrte Leserin,
sehr geehrter Leser!
lernt anders und hat andere Voraussetzungen.“ (Dräger/ Ölkers 2009: 4)
Mit diesem Heft halten
Sie die Nummer 4 von
ph.script in Händen,
die sich erstmals einem
Schwer punkthema
widmet. Die Mehrzahl
der Beiträge setzt sich
mit dem Thema Heterogenität auseinander.
In diesem Sinn beschäftigen sich die AutorInnen der vorliegenden Nummer von ph.script
aus unterschiedlichen Perspektiven mit dem
Thema Heterogenität.
Die Gesellschaft, in der
wir leben, ist durch das Nebeneinander unterschiedlicher Lebensstile und Wertorientierungen geprägt. Globalisierung, offene
Grenzen innerhalb der EU, Arbeitsmigration
und internationale Fluchtbewegungen verstärken die Entwicklung hin zu einer zunehmend heterogenen Gesellschaft.
Unabhängig davon, ob LehrerInnen und
LehrerbildnerInnen diesen Tendenzen positiv
oder kritisch gegenüberstehen, kann Schule
als wesentliche gesellschaftliche Institution
sich diesen sich verändernden gesellschaftlichen Bedingungen nicht verschließen.
Vielmehr muss sie versuchen, der in der Gesellschaft bestehenden Heterogenität gerecht zu werden und die individuellen Bedürfnisse und Fähigkeiten der SchülerInnen
besser wahrzunehmen. „Die Heterogenität
von Kindern und Jugendlichen anzuerkennen bedeutet, die Unterschiedlichkeit in
den Lernbegabungen, den Interessen, den
Lerntypen, den ethnischen und kulturellen
Hintergründen zu erkennen und sie im Unterricht zu berücksichtigen. Ein modernes
Bildungssystem fördert das Potential jedes
Kindes und unterstützt das Lernen des Einzelnen, denn jedes Kind, jeder Jugendliche
4| EDITORIAL
Geschlechtersensible Fragen, wie z.B. die
Berufswahlentscheidung von Burschen und
Mädchen oder das Angebot in offenen
Lernphasen an der Praxisvolksschule der
Pädagogischen Hochschule werden ebenso behandelt wie Themenbereiche der Integration und Inklusion von Menschen mit
Lernschwierigkeiten und Behinderungen.
Wie unterschiedliche Lernwege und Inter­
essen von SchülerInnen im Unterricht berücksichtigt werden können, wird anhand
der Mathematik und der Arbeit mit Lesetagebüchern gezeigt. Im Gastbeitrag wird auf
den Umgang mit sprachlicher Vielfalt an
den Schulen eingegangen. Weiters ist der
Umgang mit Heterogenität in den Neuen
Mittelschulen Thema wie auch die Tatsache,
dass der Umgang mit Heterogenität u.a. von
Persönlichkeitsmerkmalen der LehrerInnen
beeinflusst wird.
Die Redaktion hofft, mit dieser Nummer von
ph.script auch auf die heterogenen Interessen und Zugänge der LeserInnen eingehen
zu können!
Elfriede Windischbauer
im Namen der Redaktion von ph.script
Literatur:
Dräger, Jörg / Ölkers, Jürgen: Heterogenität und Bildung. Individuelles Fördern in Deutschland. Hindernisse und Herausforderungen. Gütersloh, 2009.
Josef Sampl
WOHIN DIE REISE GEHT
Wohin die Reise geht
Josef Sampl
Die Zukunft hat schon begonnen
(Robert Jungk)
Die Zukunft war früher schon einmal besser
(Karl Valentin)
Die LehrerInnenaus-, -fort- und -weiterbildung steht zurzeit im Fokus der Bildungsreform in
Österreich. Die Zweigleisigkeit zwischen der Ausbildung von PflichtschullehrerInnen und Lehrer­
Innen der AHS/BSH wird diskutiert.
Durchlässige und flexible Aus-, -Fort- und Weiterbildungsstrukturen, die das professionelle Handeln von Lehrenden in einer modernen Wissens- und Lerngesellschaft gewährleisten, müssen das
Ziel der Reform sein. Der Reformprozess löste eine intensive, unkonventionelle Diskussion aus, in
der der vorliegende Beitrag eine deutliche Positionierung einnimmt.
1. Von den Ursprüngen der
LehrerInnenbildung
„Ich muss den Gelehrten (Franz Michael
Vierthaler) bewundern, der von seinen geliebten Büchern scheiden konnte, der den
sichern Weg zum Ruhme verließ, um sich
mit der elementaren Bildung armer Schulpräparanden abzugeben, und der sich
ohne Aussicht auf Ruhm und Belohnungen
für besseren Unterricht und bessere Erziehung des Volkes sein Leben lang einsetzen
wollte“ (Arnthaller 1880:17) formulierte Arnthaller, nachdem Franz Michael Vierthaler
im November 1790 ein „Schullehrerseminar“ eröffnet und damit in Salzburg die institutionelle LehrerInnenbildung begründet
hatte. Seit diesem Zeitpunkt sind über 200
Jahre vergangen und die LehrerInnenbildung hat in Salzburg und in Österreich eine
wechselvolle Entwicklung genommen. Intensive Reformphasen wechselten mit längeren Perioden der Reformruhe. Während
das Gymnasiallehramt aus dem Theologiestudium entstand und so von Beginn an in
der Universität lokalisiert war, begann die
Ausbildung zum Pflichtschullehrer mit einem
bloßen Anlernen bei erfahrenen Schulmeistern nach einer Art Meisterlehre. Erst Ende
des 18. Jahrhunderts entwickelten sich Lehrerseminare – wie in Salzburg das von Vierthaler gegründete. Ungefähr zur selben Zeit
kam es durch eine „Trennung vom Theologenamt“ im deutschen Sprachraum zu
einer institutionalisierten Gymnasiallehrerausbildung an den Universitäten. Die Entwicklung des Gymnasiallehramtes war aber
von Anfang an durch die Abgrenzung von
der Ausbildung der Pflichtschullehrer/innen
geprägt. (Vgl. Heinzel 2009:265 ff)
In den letzten 40 Jahren betrafen die Reformen der LehrerInnenausbildung allerdings
in erster Linie die PflichtschullehrerInnenbildung. Mit der Einführung der Pädagogischen Akademien im Jahre 1968 anstelle
der bisherigen LehrerInnenbildungsanstalten
wurde in der PflichtschullehrerInnenbildung
ein großer Reformschritt gesetzt. Von kleineren Veränderungen abgesehen, sollte es
30 Jahre dauern, bis durch das Akademien­
studiengesetz 1999 erste Elemente tertiären Bildungswesens in die österreichische
Pflichtschullehrer­Innenausbildung Eingang
ASPEKTE DER LEHRERiNNENBILDUNG |5
WOHIN DIE REISE GEHT
Josef Sampl
fanden (vgl. Härtel 2010:24 ff). Erst durch das
Hochschulgesetz 2005 (HG 2005) wurde die
Ausbildung der PflichtschullehrerInnen auf
ein akademisches Niveau angehoben und
endgültig im tertiären Bildungsbereich verankert - einundneunzig Jahre nachdem der
namhafte Schulreformer Otto Glöckel in der
Arbeiterzeitung vom 27.3.1920 die schon am
Lehrertag 1876 aufgestellte Forderung nach
einer akademischen PflichtschullehrerInnenausbildung bekräftigt hatte.
2. Die jüngsten Entwicklungen
Seit dem Hochschulgesetz 2005 und dem
Beginn der Pädagogischen Hochschulen
mit dem Studienjahr 2006/07 gibt es um die
LehrerInnenbildung in Österreich eine notwendige permanente Reformdiskussion. So
wurde im November 2008 von Unterrichtsministerin Claudia Schmied und dem damaligen Wissenschaftsminister Johannes Hahn
die ExpertInnengruppe „LehrerInnenbildung
NEU. Die Zukunft der Pädagogischen Berufe“ unter der Leitung des Bildungsexperten
und Geschäftsführers der Steirischen Volkswirtschaftlichen Gesellschaft, Peter Härtel,
eingesetzt. Die Ergebnisse der ExpertInnengruppe, der in erster Linie VertreterInnen der
Universitäten aber auch zwei Mitglieder der
Pädagogischen Hochschulen angehörten,
wurden am 18.2. von Schmied und Hahn
der Presse vorgestellt, der Endbericht am
26.3.2011 veröffentlicht. (Vgl. www.bmukk.
gv.at/medienpool/19218/labneu_endbericht.pdf)
In einem für bildungspolitische Vorhaben in
Österreich völlig neuen Verfahren wurden
diese Ergebnisse nun diskutiert. Bildungspolitik wurde in Österreich bisher von einem
(kleinen) Kreis von ExpertInnen und Politiker­
Innen gestaltet. Die beiden Ministerinnen
Schmied und Karl beschritten nun einen
völlig neuen und zukunftsweisenden Weg. In
vier sogenannten Stakeholderkonferenzen
in Linz (12.11.), Wien (30.11.), Graz (3.12.) und
Innsbruck (9.12.) wurde in der zweiten Jah-
6| ASPEKTE DER LEHRERiNNENBILDUNG
reshälfte 2010 mit 269 VerantwortungsträgerInnen aus über dreißig Institutionen unter
Beisein beider Ministerinnen in einem jeweils
sechsstündigen Meeting der Bericht (kritisch)
diskutiert. Die Ergebnisse dieses demokratiepolitisch wegweisenden „Begutachtungsverfahrens“ werden nun vor einer allfälligen
bildungspolitischen Festlegung in das Konzept ein- bzw. dieses entsprechend umgearbeitet. Eine Vorbereitungs­gruppe unter der
Leitung des steirischen Pädagogen Andreas
Schnider ist zurzeit mit der Ausarbeitung von
folgenden Eckpunkten befasst:
„„ Eckpunkten
und Standards für Rahmencurricula
„„ Eckpunkten
und Standards für Ausbildungsgänge
„„ Qualitätsstandards
für die Trägerorganisationen
„„ Inhaltlichen
Grundlagen für Einrichtung
eines Entwicklungsrates für „PädagogInnenbildung NEU – Die Zukunft der Pädagogischen Berufe“ (Vgl. www.bmukk.
gv.at/medienpool/19976process.pdf)
Im Herbst wird ein Entwicklungsrat eingerichtet, der die weiteren Implementierungs­
arbeiten begleitet. Seine wesentlichen Aufgaben sind:
„„ “Entwicklungsplan
für die Umstellungsphase
„„ Richtlinien
für Rahmencurricula, Ausbildungsgänge, Trägerorganisationen
„„ Akkreditierung
der Studiengänge
„„ Sicherung
der Ausbildungsstandards
„„ Förderung
der Qualität der Lehre und Forschung
„„ Beratung
der zuständigen MinisterInnen“
(www.bmukk.gvt.at/medienpool/19976
process.pdf)
3. Die notwendige Professionalität
Dass professionelles Handeln von Lehrenden
in einer modernen Wissens- und Lerngesell-
Josef Sampl
schaft von entscheidender Bedeutung ist,
ist unbestritten. Die Lehrerinnenbildungsprofessionalität bestimmt wesentlich die individuellen Bildungsverläufe und diese haben,
empirisch belegt, „stets starke Rückkopplungseffekte auf Berufsverläufe und damit
nicht nur Auswirkungen auf Berufs- und Lebenserfolg von Individuen, sondern auch für
die Realisierung gesamtgesellschaftlicher
Aufgabenstellungen (z. B. Stabilisierung demokratischer Strukturen, Umgang mit Mi­
gration und Integration) ebenso wie auf das
Wirtschafts- und Beschäftigungssystem (z. B.
Ressourcenallokation, Entwicklung des Humankapitals)“. (Zlatkin – Troitschanskaia u. a.
2009:13)
Für ein gelingendes professionelles Handeln
ist daher eine entsprechende spezifische
Aus- und Fortbildungsinstitution unabdingbar.
Die Komplexität der Bedingungs-, Prozessund Wirkungszusammenhänge, die professionelles Lehrhandeln ermöglicht, wurde und
wird stark unterschätzt. Trotz des intensiven
Bemühens und der Bereitstellung beträchtlicher Mittel haben sich „zentrale Probleme
unserer Bildungssysteme wie soziale Selektion, mangelnde Chancengerechtigkeit und
unzulängliche individuelle Förderung in der
letzten Dekade eher verschärft als abgeschwächt“. (Zlatkin – Troitschanskaia u. a.
2009:13)
4. Wohin die Reise geht
Die RektorInnenkonferenz der öffentlichen
Pädagogischen Hochschulen Österreichs
(RÖPH) (vgl. Brunner 2010:233 ff.)
hat im
März 2011 eine Stellungnahme veröffentlicht, die die Meinung aller Rektorate der
öffentlichen Pädagogischen Hochschulen
wiedergibt. Unter dem Titel „Das Lernen
lehren, das Lehren lernen. Positionspapier
der RÖPH zu ‘LehrerInnenbildung NEU. Die
Zukunft der pädagogischen Berufe‘“ wird
eindeutig festgestellt: „Pädagogische Berufe stellen eine eigenständige Profession
WOHIN DIE REISE GEHT
dar: ExpertInnen in den pädagogischen
Handlungsfeldern brauchen akademische
Bildung in Verbindung mit vielfältigen Lernorten ihrer Berufsrealität. Die Ausgestaltung
des Theorie-Praxis-Bezugs verlangt ein wissenschaftlich fundiertes und forschungsgeleitetes Konzept der PädagogInnen­bildung.
Die Zielsetzung orientiert sich an der Schaffung, Verwirklichung und Weiterentwicklung
einer bestmöglichen Gestaltung erzieherischen und unterrichtlichen Handelns in den
pädagogischen Herausforderungen unseres
Landes und seiner Menschen für die Gegenwart und Zukunft. Dies betrifft schulische
Lernorte, aber auch und in zunehmendem
Maß außerschulische und nicht-institutionelle Lern- und Lebensräume. Dafür erforderlich ist ein konzentrisches und partizipatives
Zusammenwirken aller beteiligten Akteure
von Wissenschaft, Bildungsmanagement
und pädagogischer Praxis. Die dazu notwendige Entwicklung erfordert strukturell,
institutionell und im Sinn einer Konzentration
der Kräfte wie auch in anderen Expertenberufen als eigenen Typus eine Universität für
pädagogische Berufe.“ (www.bmukk.gv.at/
medienpool/20260pb_roeph.pdf)
Für eine konsequente Entwicklung der professionellen
LehrerInnenbildung
spricht
auch, dass die Ausbildung von PädagogInnen Elemente der zentralen Lenkung benötigt. Es kann nicht sein – wie dies zurzeit in
der universitären LehrerInnenbildung der Fall
ist –, dass wesentliche, notwendige Vorgaben für professionelles Lehrhandeln in der
Ausbildung unberücksichtigt bleiben.
Das bm:ukk hat gegenwärtig aufgrund der
Vollrechtsfähigkeit und der damit verbundenen Autonomie der Universitäten wenig bis
keine Möglichkeiten, entscheidende Inhalte
für professionelles Lehrerhandeln im schulischen Kontext in die Ausbildung der AHSund BHS- LehrerInnen strukturiert und verlässlich zu implementieren. Als Beispiele seien
nur Themen wie Gewaltprävention, Individualisierung, Bildungsstandards, die Neue MitASPEKTE DER LEHRERiNNENBILDUNG |7
WOHIN DIE REISE GEHT
Josef Sampl
telschule oder die teilzentrale, kompetenzorientierte Reifeprüfung genannt.
Auch der Einflussnahme der Universitätsleitungen auf die Lehramtsstudien sind aufgrund der Freiheit von Wissenschaft und
Lehre enge Grenzen gesetzt, sodass es in
der Quantität und Qualität der fachdidaktischen Ausbildungselemente an ein und
demselben Standort zu großen Unterschieden kommen kann.
Aus meiner Sicht als Rektor der Pädagogischen Hochschule Salzburg ergeben sich
für die nächsten Dekaden zwei wesentliche
Forderungen:
1. Höchstmögliche Bologna-konforme Qualifikation für alle pädagogischen Berufe
2. Zusammenführung der Ausbildungen in
einer vollwertigen tertiären Bildungsinstitution (z. B. Pädagogische Universität), an
der Qualitätssicherung, Schulentwicklung
und berufsfeldbezogene Forschung und
die Aus-, Fort- und Weiterbildung für alle
pädagogischen Berufe stattfindet.
8| ASPEKTE DER LEHRERiNNENBILDUNG
Alle nun gesetzten Maßnahmen wie die geplanten Kooperationen der Pädagogischen
Hochschulen mit den Universitäten, die Akkreditierung von Studiengängen, die Richtlinien für Rahmencurricula etc. sind auf dem
Weg dazu hilfreich.
Literatur:
Anthaller, Franz (1880): Franz Michael Vierthaler, der Salzburger Pädagoge.
Ein Beitrag zur Geschichte der Pädagogik. Zitiert nach: W. von der Fuhr
(Hg.) (1904): Franz Vierthalers pädagogische Hauptschriften. Paderborn:
Ferdinand Schöningh Verlag (Sammlung der bedeutendsten pädagogischen Schriften aus alter und neuer Zeit. Bd. 29).
Brunner, Ivo (2010): Führung und Steuerung pädagogischer Hochschulen
im Handlungskontext der österreichischen Rektorenkonferenz (RÖPH) –
Möglichkeiten und Grenzen. In: Zeitschrift zu Theorie und Praxis der Ausund Weiterbildung von Lehrerinnen und Lehrern 28.2. 233-241.
Härtel, Peter (2010): Die Zukunft der pädagogischen Berufe: Wissenschaft
und Forschung als integrales Element von LehrerInnenbildung NEU. In: Erziehung und Unterricht. 1 und 2. 24-30.
Heinzel, Friederike (2009): Gleichwertige universitäre Bildung für den Elementar- Primar-, und Sekundarbereich in Deutschland. In: Dorit Posse und
Peter Posch (Hg.) (2009): Schule 2020 aus Expertensicht. Zu Zukunft von
Schule, Unterricht und Lehrerbildung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. 265-270.
Zlatkin-Troitschanskaia, Olga u.a. (2009): Perspektiven auf „Lehrerprofessionalität“. Einleitung und Überblick. In: Zlatkin-Troitschanskaia u.a. (2009):
Lehrerprofessionalität. Bedingungen, Genese, Wirkungen und ihre Messung. Weinheim und Basel: Beltz Verlag. 13-33.
www.bmukk.gv.at/medienpool/19218/labneu_endbericht.pdf (Zugriff 7.4.2011).
www.bmukk.gv.at/medienpool/19976process.pdf (Zugriff 3.4.2011).
www.bmukk.gv.at/medienpool/20260pb_roeph.pdf (Zugriff 3.4.2011).
Jürgen Bauer / Maria Haderer
BERUFSWAHL IM SPANNUNGSFELD
Berufswahl im Spannungsfeld von
Geschlecht und Zeitgeist
Jürgen Bauer/ Maria Haderer
„Geschlechterverhältnisse werden heute als historische, kulturell wandelbare Kategorien betrachtet, die für die Betroffenen Ordnungs- und Orientierungsfunktion haben, die gesellschaftlich die
Verteilung von Macht und Einfluss strukturell regeln und die Teilhabemöglichkeiten und Chancen
der Einzelnen bestimmen. Außerdem schwingen die Konzepte von Männlichkeit und Weiblichkeit in der Arbeit von Kunst, Wissenschaft und Medien mit.“ (Scheffler u. Baumann 2011: 50)
Betrachteten wir obiges Zitat im Hinblick
auf die Berufswahl und brächten wir die
Aussage mit den Berufswahltheorien in Verbindung, so müssten wir feststellen, dass es
trotz intensiven Bemühens von Schüler- und
BildungsberaterInnen und trotz Berufsorientierungsunterrichts zu keiner Veränderung in
der Wahl der Berufe gekommen ist. So können und wollen wir das aber nicht gelten
lassen. Der Artikel soll aufzeigen, inwieweit
sich der Zugang zur Berufswahl verändert
hat. Wird obiges Zitat im Hinblick auf die Berufswahl betrachtet und wird die Aussage
mit den Berufswahltheorien in Verbindung
gebracht, so stellt sich die Frage, ob das intensive Bemühen von Schüler- und BildungsberaterInnen und der Berufsorientierungsunterricht zu Veränderungen in der Wahl der
Berufe beigetragen hat. Dafür erscheint es
notwendig, zunächst die Berufswahltheorien
heranzuziehen: Der entscheidungstheoretische Ansatz betrachtet die Berufslaufbahn
als Entscheidungsprozess, den das Individuum vollzieht. Der entwicklungstheoretische
Ansatz ist ein lebenslanger, auf die Person
bezogener Prozess. Die psychologische Berufswahltheorie beschäftigt sich mit den
Persönlichkeitstypen nach Holland und der
Allokationstheorie liegen sozioökonomische
Zuweisungen zu Grunde. Abhängig von der
jeweiligen Theorie wird erläutert, welche
Einflussfaktoren auf die Entscheidung einwirken. Dies können die Familie, soziale oder
wirtschaftliche Faktoren sein. Aus heutigen
Erkenntnissen muss überlegt werden, ob die
Berufswahl ausschließlich über die Berufs-
wahltheorien erklärt werden kann, da sich
u.a. die Arbeits- und Berufswelt wie auch die
Berufsbilder gewandelt haben (vgl. Hammerer, Kanelutti, Melter 2011: 14).
Darüber hinaus ist zu fragen, inwieweit schulische Bildung Geschlechterrollen verfestigt
oder deren Aufbrechen begünstigt. Vor 15
Jahren stellte Dickinger fest:
„Dem derzeitigen Bildungssystem können
Merkmale der bürgerlichen Mädchenbildung nicht abgesprochen werden. (...) Trotz
des formalen Ziels, die Ausbildung [Bundeslehranstalten für wirtschaftliche Berufe] solle zur Ausübung gehobener Berufe in der
Wirtschaft, im Sozial- und Gesundheitswesen befähigen, haben Absolventinnen nur
wenige Chancen, tatsächlich einen ausbildungsadäquaten Beruf zu ergreifen.“
Dickingers Untersuchungen ergaben, dass
Mitte der 1990er Jahre die Absolventinnen
dieses Schultyps nach wie vor eher traditionelle „weibliche“ Berufe ergriffen und
eher heim- als berufsorientiert wären (vgl.
Dickinger 1995: 102f). Sollten diese Aussagen auch heute noch Gültigkeit haben,
würde das bedeuten, dass Mädchen überwiegend aus langer Tradition in typische
geschlechtsspezifische Ausbildungen und
Berufe streben und Burschen ihnen das
gleichtun und alle Initiativen der letzten
Jahre, die das Gegenteil angestrebt haben, wie MUT (Mädchen und Technik), Girls
Day, Boy‘s Day und einige mehr, ihr Ziel verfehlt hätten. Allerdings sollte hier auch hinASPEKTE DER LEHRERiNNENBILDUNG |9
BERUFSWAHL IM SPANNUNGSFELD
Jürgen Bauer / Maria Haderer
terfragt werden, was die Koedukation von
Mädchen und Burschen für die Berufswahl
positiv beigesteuert hat, welchen Einfluss
die soziale, geographische, kulturelle und
sprachliche Herkunft und gesellschaftliche
„Trends“ sowie die Wirtschaftslage auf die
Berufsorientierung haben und ob und wie
diese Vielfalt für die Berufswahl positiv nutzbar gemacht werden kann. Fakt ist, dass
die oben genannten Faktoren einen Einfluss auf die Berufswahl besitzen. Der Grad
der Beeinflussung kann auch gesteuert
werden: „Soziale Mobilität, die Möglichkeit,
das Milieu oder den ‘Stand‘ zu verlassen, in
den man hineingeboren wurde, einen Beruf
zu ergreifen oder einen Lebensentwurf zu
machen, der sich von den Erfahrungen und
normativen Erwartungen der Vorgeneration
unterscheidet, führt dazu, dass erreichte soziale Positionen und die zugehörigen sozialen Identitäten keine Auskunft mehr geben
über den dahinterliegenden Lebensweg.“
(Dausin 2011: 29)
Grundsätzlich wird heute in der fortgeschrittenen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft davon ausgegangen, dass Menschen ihre Position nicht mehr überwiegend
aufgrund von „Tradition“, sprich Status erwerben, sondern durch Leistung. Ein anderes Bild zeigen Bildungstests, da gerade in
Österreich der Bildungsgrad der Eltern großen Einfluss auf die soziale Mobilität ihrer
Kinder nimmt. So weisen 52% der jungen
Menschen einen gleichen Bildungsstand
wie ihre Eltern auf, 25% sind Bildungsaufsteiger und 22% Bildungsabsteiger (vgl. Specht
2009: 153). Beruf und Person werden zu einem wesentlichen Teil gleichgesetzt und der
Beruf dient als Informationsquelle, mit welcher Person wir es zu tun haben. Der Beruf ist
ein stabilisierender Faktor in einer leistungsorientierten Gesellschaft (vgl. König 2002).
Geht man in das Mittelalter zurück, war ein
gesellschaftlich stabilisierender Faktor die
Stand- und Schichtzugehörigkeit, in die man
hineingeboren wurde. Der Beruf war nicht
frei wählbar, sondern wurde von Generati-
10| ASPEKTE DER LEHRERiNNENBILDUNG
on zu Generation vererbt. Durch die Zünfte
wurde die Zugehörigkeit zu einem Berufsstand abgesichert und gefestigt. Zum Schutz
des Handwerkers mussten Gesellen, die die
Meisterwürde erlangen wollten, eine strenge Prüfung ablegen, von ehelicher Geburt
sein, das Freiheitsrecht besitzen, den Gesellenbrief und Kundschaftsbriefe vorlegen,
verheiratet sein, das Bürgerrecht besitzen
und sich mit einer respektablen Geldsumme in die Zunft einkaufen (vgl. Breitlinger/
Weinkamer/Dohle 2009). Das Gerechtsame
(das Anrecht/Vorrecht) eines Handwerks
konnte vererbt, erheiratet, verkauft oder verpachtet werden. Frauen waren bis in das 16.
Jahrhundert in einigen Handwerken tätig
und durften Zünften (wie der Weberzunft)
beitreten oder gehörten einer reinen Frauenzunft (wie Seidenspinnerinnen) an. Im 16.
Jahrhundert wurde Frauen das Arbeiten in
einem Handwerk und das Führen eines Gewerbes untersagt (vgl. Mitterauer 1993). Mit
der Gründung der ersten Manufakturen verrichteten Männer zunehmend außerhäusliche Produktionstätigkeit.
Mit der Industrialisierung entstanden viele
neue Berufe in der Produktion, Verwaltung
und im Vertrieb. Die Ausbildung dafür wurde
unsystematisch und begrenzt durchgeführt,
sodass Anfang des 20. Jahrhunderts - aus
gesamtgesellschaftlichem Interesse und
zur Verbesserung, Ordnung und Standardisierung - der Staat berufsbildende Schulen,
einschließlich den Berufsschulen einrichtete (vgl. Beck/Brater/Daheim 1980). Frauen
erhielten nur bedingt eine Ausbildung, sie
waren häufig als Anlern- und Hilfskräfte in
Fabriken, als Dienstboten oder - beginnend
- als Angestellte tätig. Die bürgerliche Frau
durfte keiner außerhäuslichen Erwerbsarbeit
nachgehen. So forderten Frauen des Proletariats und der unteren Mittelschicht „Schutz
vor einem Zuviel an Arbeit“ und bürgerliche
Frauen „Recht auf Arbeit“ (vgl. Brinker-Gabler 1979). Einigkeit gab es darüber, dass der
Hausfrauen- und Mutterberuf der Erwerbsarbeit vorzuziehen sei (vgl. Kerchner 1992).
Jürgen Bauer / Maria Haderer
Geschlechtsspezifität und Schule/Lehre
Aus dem Zitat von Dickinger sowie aus den
oben erläuterten Strukturen, wie Berufe
erlernt und übertragen wurden und sich
veränderten, gilt es, einen Blick auf die geschlechtsspezifisch unterschiedlichen Bildungskarrieren zu werfen.
Die heutigen „Top Ten der Lehrberufe“ zeigen nach wie vor das Bild typisch weiblicher
und männlicher Berufe (vgl. Abb. 1).
Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Wahl
von berufsbildenden Schulen. Bis heute ist
in technischen Schulen der Mädchenanteil
weit geringer als der der Knaben, obwohl
er von 2,2% 1990 auf 27,2% 2005 gestiegen
BERUFSWAHL IM SPANNUNGSFELD
ist. Hier könnte vermutet werden, dass Programme, welche mehr Frauen dazu motivieren sollten, traditionell typische Männerberufe zu wählen, erfolgreich waren. Das
gegenteilige Bild zeigen die Bemühungen,
Männer für typische Frauenberufe zu interessieren. An wirtschaftsberuflichen Schulen
stieg der Knabenanteil geringfügig von 0,5%
1990 auf 5,5% 2005 (vgl. Abb. 2). Es scheint
also die Frage angebracht, ob es nicht entsprechender Initiativen bedarf.
Auswirkungen des veränderten Bildungsangebotes zeigen sich in der Zahl bestandener Reifeprüfungen, die von 1970 auf 2008
um ca. 62% auf 41.546 gestiegen ist. Der Anteil der Maturantinnen betrug im Schuljahr
2008/09 bereits 57,9%.
Abb. 1: Die zehn häufigsten Lehrabschlüsse nach Lehrberufen und Geschlecht
Abb. 2: Schülerzahlen berufsbildender Schulen – nach Schularten (1960-2005)
ASPEKTE DER LEHRERiNNENBILDUNG |11
BERUFSWAHL IM SPANNUNGSFELD
Jürgen Bauer / Maria Haderer
Die Heterogenität der Geschlechter und die
damit verbundenen Eigenschaften und Stärken kommen auf Grund der unveränderten
Wahl der Lehrberufe und gering veränderten Wahl einer berufsbildenden Schule (siehe oben) kaum zu tragen und haben somit
keinen nennenswerten positiven Einfluss auf
das von der Gesellschaft wahrgenommene
Rollenbild, das vorgibt, in Prozess, in Veränderung zu sein. Das Geschlecht spielt nach
wie vor eine entscheidende Rolle für den Bildungsverlauf und die damit verbundene Berufswahl. (Vgl. Scheffler & Baumann 2011: 51)
Person und Umwelt
Der Einfluss von Personen und Umwelt auf
die Berufswahl darf nicht vernachlässigt werden. Zu berücksichtigen ist die Zeit, in der die
Entscheidung stattfindet. „Berufswahl findet
notwendigerweise immer in einem sozialen
und historischen Kontext statt.“ (Hirschi 2011:
99) Einflussfaktoren, die noch Anfang des
20. Jahrhunderts Gültigkeit hatten, haben
sich auf Grund der historischen Entwicklung
verändert. Hier sind die veränderten Ausbildungsmöglichkeiten, der offene Bildungszugang für beide Geschlechter, die Berücksichtigung des Migrationshintergrundes und
Maßnahmen in der Berufsorientierung zu
erwähnen. Wenngleich auch die Unterstützungsmaßnahmen breiter und vielfältiger
werden und die Heterogenität in der Berufsorientierung als positiver Faktor gesehen
werden kann, muss darauf hingewiesen werden, dass die soziale Herkunft nicht nur einen
massiven Einfluss auf die Berufswahl, sondern
auch auf die Chancen im Berufsleben und
die Karriere selbst hat. „Im beruflichen Bereich ist gut dokumentiert, dass der soziale
Status des Elternhauses, das Geschlecht, die
Nationalität oder die Hautfarbe einen bedeutenden Einfluss auf berufliche Entwicklungsverläufe haben.“ (Kirkpatrick, Johnson
& Mortimer 2002, zit. n. Hirschi 2011: 99f)
In vielen Bereichen lässt sich nicht erkennen,
dass kulturelle Vielfalt und die damit oftmals
12| ASPEKTE DER LEHRERiNNENBILDUNG
einhergehende Mehrsprachigkeit positiven
Einfluss auf das Fortkommen im Beruf haben.
In international agierenden Firmen wird erkannt, wie wichtig es ist, dass die MitarbeiterInnen mit den Sitten, Gebräuchen und der
Sprache der Kooperations- und Geschäftspartner vertraut sind. Trotzdem bedeuten in
vielen gängigen Berufen diese Kompetenzen keinen Mehrwert. Im Gegenteil, oft führt
die Herkunft zur Benachteiligung, wenn es
um die Berufschancen geht. Zu beachten
ist, dass Personen dennoch einen Einfluss
auf ihre Laufbahn besitzen, wie folgendes
Zitat belegt: „Wir können somit festhalten,
dass Berufswahl und berufliche Entwicklung
immer von der Dynamik von Person (Persönlichkeit, Einstellungen zur Berufswahl, Handlungen zur Berufswahl), sozialem Umfeld (Familie, Peers, MentorInnen, soziale Netzwerke)
sowie dem Arbeitsmarkt (Berufsanforderungen, Arbeitsmarkt, Personalselektion) bestimmt werden.“ (Hirschi, 2011: 100)
Bewusstmachung der Thematik im
Unterricht
Für LehrerInnen stellt sich die Frage, wie die
Inhalte an Jugendliche herangetragen und
diese für die Berufswahlfaktoren sensibilisiert
werden können, um selbst bestimmte Entscheidungen treffen zu können.
Aus diesem Grund wurden im Rahmen des
Lehrgangs „Berufsorientierung“ an der Pädagogischen Hochschule Salzburg die zukünftigen
BerufsorientierungslehrerInnen
zu einem historischen Rundgang durch die
Altstadt Salzburgs eingeladen, alte Handwerksbetriebe wurden besucht, deren Geschichte, die damaligen Einflussfaktoren auf
deren Entwicklung und deren Fortbestand
bis zur Jetztzeit besprochen und ein Einblick
in historische und aktuelle Bildungsstatistiken
(Schülerzahlen an Pflicht-, Mittel- und berufsbildenden Schulen, Studierende je Studienart an Universitäten und Fachhochschulen,
Geschlechterverhältnisse) gegeben. Im
Anschluss daran sollten die Studierenden
Jürgen Bauer / Maria Haderer
didaktische Modelle für den Unterricht gestalten, mit dem Ziel, Bewusstsein für Berufswahlentscheidungen zu entwickeln. Einige
Ergebnisse dieses Projektes werden im Folgenden präsentiert:
1. Rollenspiel:
Folgende Situation wird den SchülerInnen
vorgegeben, die sie weiterspielen sollen: Ein
Fahrer kommt mit seinem Sportwagen in die
Kfz-Werkstätte und berichtet über einen für
ihn nicht erklärlichen technischen Defekt
an seinem Fahrzeug. Dem Kunden wird eine
junge Kfz-Technikerin zugewiesen, die sich
laut Werkstättenleiter um die Fehlerbehebung kümmern wird.
2. Vergleich Hausfrauentätigkeit – Managementtätigkeit
Die SchülerInnen suchen im Internet oder
in einer Zeitung ein Stellengesuch für eine
mittlere Führungskraft und listen auf, welche
Eigenschaften an die gesuchte Person gestellt werden (z.B. Flexibilität, Stressresistenz,
Fähigkeit zur Kommunikation). Die Eigenschaften werden jenen einer Hausfrau gegenübergestellt, die zuerst herausgearbeitet
werden müssen. Danach wird über den Wert
von Arbeit diskutiert.
3. Beleuchtung der eigenen Berufsbiografie
Als Input dient eine Einladung eines Frisörs
und einer Mechanikerin in den Unterricht.
Ziel ist es, mittels Interviews die Berufsbiografien der eigenen Familie zu gestalten und
die Zufriedenheit mit der Ausbildung und
der damit verbundenen Berufswahl innerhalb der Generationen zu erfragen.
4. Erarbeiten generations- und geschlechtsübergreifender Berufsbiografien
Als Hausübung erarbeiten die SchülerInnen
die Berufsbiografien der Großeltern (jeweils
Großmutter und Großvater), der Eltern (jeweils Mutter und Vater) und gegebenenfalls
der Geschwister (Schwester und Bruder). Der
mögliche Unterschied zwischen den Generation wird im Unterricht herausgearbeitet.
BERUFSWAHL IM SPANNUNGSFELD
Weiters wird der Unterschied innerhalb einer
Generation betrachtet. Im dritten Schritt soll
die Gruppe den Einfluss auf die eigene Berufswahl herausarbeiten. Die Ergebnisse werden auf Plakaten gesichert und im Plenum
präsentiert und diskutiert.
Die vier Beispiele zeigen, dass es im Unterricht vielfältige und durchaus kreative Wege
gibt, sich mit der Thematik zu beschäftigen.
Zusammenfassung
Im 20. Jahrhundert haben zwei Weltkriege
dazu geführt, dass die Trennlinien zwischen
Männerarbeit und Frauenarbeit aufgehoben wurden. Nach dem Krieg verlief die Eingliederung der Männer in das Erwerbs- und
Familienleben nicht ohne Probleme, denn
Frauen hatten über ihre traditionelle Rolle
hinaus Erfahrungen gemacht. Trotzdem erhielten Kriegsteilnehmer sowie Familienväter
wegen des herrschenden Arbeitsmangels
bevorzugt einen Arbeitsplatz. Frauen, die
nicht unbedingt einen Arbeitsplatz benötigten, wurden entlassen. Frauen haben gezeigt, dass sie durchaus in der Lage waren,
Männerarbeit zu leisten. Nichtsdestotrotz
wurden nach beiden Weltkriegen die „alten“ Verhältnisse weitgehend wiederhergestellt (vgl. Wetterer 2002: 65f; Rouette 1993).
Das seit den 1960iger Jahren gewachsene
Bildungsangebot brachte sehr wohl eine
Veränderung auf der Ebene der Qualifikation, denn inzwischen hat sich das Bildungsund Ausbildungsniveau der Frauen an das
der Männer angeglichen. Zwischen den
Geschlechtern lässt sich mittlerweile weder auf Ebene der schulischen Abschlüsse, noch auf derjenigen der beruflichen
Ausbildung, noch bei Fachhochschul- und
Universitätsabschlüssen ein Bildungsgefälle messen. Allerdings zeigen sich weiterhin
nicht die gewünschten Auswirkungen einer
Geschlechterhomogenität bei der Berufswahl. Wie aktuelle Untersuchungen zeigen,
sind Traditionen hinsichtlich der Geschlechterrollen schwer aufzulösen, die UnterschieASPEKTE DER LEHRERiNNENBILDUNG |13
BERUFSWAHL IM SPANNUNGSFELD
Jürgen Bauer / Maria Haderer
de in der Berufswahl bleiben bestehen. Es
gibt eine ganze Reihe von Berufen, die aus
verschiedensten ökonomischen, politischen,
rechtlichen, sozialen und kulturellen Rahmenbedingungen im Laufe der Zeit das Geschlecht gewechselt haben, wie Sekretär,
Computerprogrammiererin (war anfänglich
ein „typisch“ weiblicher Beruf und wurde
erst später zu einem „typisch“ männlichen
Beruf) oder Volksschullehrer (Anm. d. Auto-
Literatur
Breitinger, Friedrich / Weinkamer, Kurt / Dohle, Gerda (2008): Handwerker,
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14| ASPEKTE DER LEHRERiNNENBILDUNG
ren: Hier wurde auf die Genderschreibweise bewusst verzichtet.). Wobei es sich zeigt,
dass der Wechsel des Geschlechts eines Berufes von männlich zu weiblich in der Regel
mit einem Statusverlust des Berufs und somit
auch seines Trägers/seiner Trägerin einhergeht. Bislang gibt es keine Berufe, die ihre
Geschlechtszugehörigkeit völlig verloren
hätten (vgl. Wetterer 2002:156f; Hoffmann
1987; auch Bundeskanzleramt 2010).
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Christian Lutsch
BERUFSBEZOGENE FREMDSPRACHE ENGLISCH
„Berufsbezogene Fremdsprache Englisch“
Didaktische Konzeption und Kompetenzenkatalog
Christian Lutsch
Der landesweite berufsbegleitende Lehrgang „Berufsbezogene Fremdsprache Englisch an Berufsschulen“ an der Pädagogischen Hochschule Salzburg vermittelt als zusätzliche Lehrbefähigung jene
Kompetenzen, die für den Unterricht an österreichischen Berufsschulen (BS) im Pflichtgegenstand
„Berufsbezogene Fremdsprache Englisch“ (BFE) und im Freigegenstand „Lebende Fremdsprache“
an Berufsschulen (BS) notwendig sind. Dieser Beitrag erläutert die pädagogisch-didaktische Konzeption und den zugrunde liegenden Kompetenzenkatalog dieses Lehrgangs.
Berufliche Handlungskompetenz – Kompetenzmodelle
Im Mittelpunkt der Berufspädagogik steht die
wissenschaftliche Auseinandersetzung mit
der Art und Weise der Vermittlung der beruflichen Handlungskompetenz, welche die Gesamtheit des Wissens, der Einstellungen sowie
der Fertigkeiten beschreibt, die zur erfolgreichen Ausübung eines Berufs nötig sind. In
der Folge soll exemplarisch auf zwei Modelle
beruflicher Handlungskompetenz näher eingegangen werden, die für die Konzeption
des Lehrganges BFE maßgeblich sind.
Zum Ersten sei der Begriff „Arbeitsprozesswissen“ von Felix Rauner (2004: 14) erwähnt, der
den Zusammenhang von praktischem und
theoretischem Wissen beschreibt und thematisiert. Beide Arten von Wissen können sowohl
subjektiv als auch objektiv sein und werden
kontextbezogen, handlungsleitend und explizit in beruflichen Tätigkeiten angewendet.
Zum Zweiten sind die für die österreichische
Berufsbildung zentralen Bildungsstandards
anzuführen. Analog zum Kompetenzmodell
von Rauner (2004) und zu jenem von Anderson & Krathwohl (2001) unterscheidet
das Raster für die Bildungsstandards ebenso zwei Dimensionen: die Handlungsdimension und die Inhaltsdimension. Die Inhaltsdimension umfasst inhaltliche Bereiche, die
für einen Gegenstand oder einen Fachbereich von Relevanz sind. Die Handlungsdimension umfasst fünf Elemente, welche
die kognitiven Prozesse in Bezug auf den
Inhalt beschreiben, d.h., wie der Lernende
mit dem Inhalt umgehen soll. (Projekthandbuch 2010: 11)
In späterer Folge werden beide Kompetenzmodelle um eine dritte, reflektierende, Komponente, die den Bereich der Einstellungen
thematisiert, erweitert, auf die jedoch aus
Platzgründen in diesem Beitrag nur hingewiesen werden kann (vgl. Rauner 2009, 9
und Projekthandbuch 2010: 19).
Sprachen- und Fachsprachendidaktik
Da Studierende berufliches Sach- und Fachwissen zertifiziert durch eine abgeschlossene
Berufsausbildung in den Lehrgang mitbringen, liegt der Lehrgangsfokus neben der
Erweiterung der Sprachkompetenzen auf
dem Gebiet der Sprachendidaktik. Durch
das doppelte Ausbildungsziel der berufsbildenden Schulen (Allgemeinwissen und berufliche Bildung) ist für den Lehrgang BFE neben allgemeiner Sprachendidaktik für den
Bereich Allgemeinwissen die Fachsprachendidaktik und CLIL (Content and Language
Integrated Learning) in Hinblick auf die berufliche Handlungsfähigkeit von besonderer
Bedeutung.
Im Bereich der Fremdsprachen werden die
Kompetenzen der Bildungsstandards in der
Berufsbildung auf Basis des Gemeinsamen
Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GERS) beschrieben. Der hier grundASPEKTE DER LEHRERiNNENBILDUNG |15
BERUFSBEZOGENE FREMDSPRACHE ENGLISCH
Christian Lutsch
gelegte Kompetenzbegriff beinhaltet Handlungsorientierung als zentrales Element:
und der Bedarfsanalyse, die in der Folge näher erläutert wird.
„Der [im GERS] gewählte Ansatz ist im Großen und Ganzen ‚handlungsorientiert‘, weil
er Sprachverwendende und Sprachenlernende vor allem als ‚sozial Handelnde‘
betrachtet, d.h. als Mitglieder einer Gesellschaft, die unter bestimmten Umständen
und in spezifischen Umgebungen und Handlungsfeldern kommunikative Aufgaben bewältigen müssen, […]“ (http://www.goethe.
de/Z/50/commeuro/201.htm)
Bedarfsanalyse
Die Methodenkompetenz im Bereich Allgemeinwissen (vgl. Domänen „Privat“ und
„Öffentlich“ in Tabelle 5 GERS), erfährt keine
berufsbezogene Ausdifferenzierung.
Im Bereich BFE, jenem Bereich, der in Tabelle
5 des GERS den Domänen „Beruflich“ und
„Bildung“ entspricht, erfährt die Handlungsorientierung eine deutlich berufsspezifische
Prägung.
Die kommunikative Kompetenz in der Fremdsprache ist Teil der beruflichen Handlungskompetenz: Berufliche Handlungskompetenz
in der Fremdsprache bedeutet, dass SprecherInnen über das Wissen, die Einstellungen
sowie Kompetenzen verfügen, die sie befähigen, in berufsspezifischen Umgebungen und
berufsbezogenen Handlungsfeldern kommunikative Aufgaben zu bewältigen.
Das bedeutet für die Sprachendidaktik eine
berufsbezogene Ausdifferenzierung der Methodenkompetenz in den Kompetenzbereichen Sprechen/mündliche Interaktion,
Schreiben/schriftliche Interaktion, Hören, Lesen, Grammatik, Vokabeln und Kultur in Richtung Fachsprachendidaktik und Fremdsprache als Arbeitssprache (FAA) bzw. Content
and Language Integrated Learning (CLIL).
Diese berufsbezogene Ausdifferenzierung
basiert auf zwei Säulen: der oben beschriebenen Handlungsorientiertheit gemäß GERS
16| ASPEKTE DER LEHRERiNNENBILDUNG
Die Bedarfsanalyse (engl. needs analysis)
dient dazu, herauszufinden, in welchen beruflichen Handlungsfeldern und zu welchem
Zweck die Zielsprache gebraucht wird.
„An ESP approach to language teaching
is an approach which bases content
and method on the learners’ reason for
learning.“(Hutchinson and Waters 1987: 19)
In der Fachsprachendidaktik und in CLIL
geht es letztlich um die Vermittlung der Methodenkompetenz, um die Sprachlehrenden
zu befähigen, berufsspezifische Bedarfsanalysen durchzuführen und davon abzuleiten,
welche sprachlichen Mittel und Kompetenzen und welche Methoden zu deren Vermittlung im BFE-Unterricht benötigt werden.
„A core element of ESP language teaching
is a needs analysis of the learner. […]ESP is
defined to meet specific needs of the learner. ESP makes use of the underlying methodology and activities of the discipline it
serves. ESP is centred on the language, skills,
discourse and genres appropriate to these
activities.“ (Dudley-Evans 1997: 5 ff.)
Eine Bedarfsanalyse resultiert in der Regel in
den sprachlichen Produktions- sowie Interaktionsanlässen und dem berufsspezifischen
Fachwissen, die für die Handlungsfelder eines bestimmten Berufes gebraucht werden.
Konkrete Anleitungen zu Bedarfsanalysen
finden sich in Gaderer (2009: 31 ff.).
Eine berufsbezogene Ausdifferenzierung der
Sprachendidaktik erfordert von den Lehrenden fundiertes berufliches Sach- und Fachwissen sowie fundierte methodologische
und didaktische Kompetenzen. Der Kompetenzenkatalog des Lehrgangs BFE unterscheidet dabei sieben Kompetenzbereiche:
Christian Lutsch
Kompetenzenkatalog für das Curriculum Lehrgang BFE
„„ Berufliche
Handlungskompetenz
„„ Sprachkompetenz
und Sprachverwendungskompetenz
„„ Kulturelle
und interkulturelle Kompetenz
„„ Methodenkompetenz
„„ Planungskompetenz
„„ Evaluationskompetenz
„„ Personale
Kompetenz
1. Berufliche Handlungskompetenz
Berufliche Handlungskompetenz beschreibt
die Gesamtheit des Wissens, der Fertigkeiten
und der Einstellungen, die zur erfolgreichen
Ausübung eines Berufs nötig sind. Für die Studierenden der Weiterbildung im Lehrgang
BFE ist eine zertifizierte Berufsausbildung Anstellungserfordernis an einer BS und somit
auch Zugangsvoraussetzung zum Studiengang Lehramt Berufsschulpädagogik.
2. Sprachkompetenz und Sprachverwendungskompetenz
Sprachkompetenz und Sprachverwendungs­
kompetenz umfasst das Wissen, die Fertigkeit und die Bereitschaft, die eigene Sprachkompetenz laufend zu pflegen und zu
verbessern. Dazu gehört, den GERS und das
Europäische Sprachenportfolio zur Selbstbewertung als Instrument zur Messung der persönlichen Sprachkompetenz einsetzen zu
können und Strategien für autonomes Sprachenlernen zu entwickeln.
3. Kulturelle und interkulturelle Kompetenz
Kulturelle und interkulturelle Kompetenz umfasst das Wissen, die Fertigkeit und die Bereitschaft, Begrifflichkeiten im Zusammenhang
mit interkultureller und multikultureller Umgebung zu kennen und in der Lage zu sein,
interkulturelles Verständnis im beruflichen
sowie persönlichen Kontext zu entwickeln.
Dazu gehört, über die Verbindungen zwischen Lehren und Lernen von Sprachen und
der Vermittlung sozialer und kultureller Werte
Bescheid zu wissen und im Klassenmanage-
BERUFSBEZOGENE FREMDSPRACHE ENGLISCH
ment entsprechend agieren zu können. Dabei können Sprachen und Kulturen in ihrer
Unterschiedlichkeit in Bezug auf Lernende
und Zielsprache betrachtet werden.
Darunter werden auch das Wissen, die Fertigkeit und die Bereitschaft verstanden,
Möglichkeiten zu kennen und anzuwenden,
um Kontakte zu PartnerInnen im Ausland
(einschließlich Besuche, Austausche oder
IKT-Verbindungen) aufzubauen. Dazu gehört auch, über Möglichkeiten eines Arbeitsoder Studienaufenthalts in einem Land oder
in Ländern, in denen die Fremdsprache als
Muttersprache gesprochen wird sowie über
bilaterale Austauschvereinbarungen zwischen Einrichtungen Bescheid zu wissen (z. B.
Europäische Förderprogramme). Dazu zählen auch Möglichkeiten und Initiativen, die
es erleichtern, in mehr als einem Land den
Unterricht zu beobachten oder daran teilzunehmen sowie der Aufbau von Kontakten zu
Bildungseinrichtungen in den entsprechenden Ländern.
4. Methodenkompetenz
Methodenkompetenz umfasst das Wissen,
die Fertigkeit und die Bereitschaft mehrere
methodische Ansätze, Unterrichtstheorien sowie Unterrichtstechniken kritisch und kreativ
im Sprachunterricht anzuwenden. Dazu gehört, Lernziele in den Kompetenzbereichen
Sprechen/mündliche Interaktion, Schreiben/
schriftliche Interaktion, Hören, Lesen, Grammatik, Vokabeln und Kultur in Unterrichtsabläufe umsetzen zu können. Hierzu zählen
insbesondere das Wissen, die Fertigkeit und
die Bereitschaft, methodische Ansätze und
Strategien in den Bereichen Fachsprache
und Fremdsprache als Arbeitssprache/CLIL
im Sprachenunterricht anzuwenden.
Dazu gehören auch das Wissen, die Fertigkeit und die Bereitschaft, Informations- und
Kommunikationstechnologien im Unterricht
methodisch-didaktisch angemessen einzusetzen und Methoden und Strategien des
autonomen Sprachenlernens anzuwenden
ASPEKTE DER LEHRERiNNENBILDUNG |17
BERUFSBEZOGENE FREMDSPRACHE ENGLISCH
Christian Lutsch
und diese Methoden und Strategien weiterzuvermitteln.
5. Planungskompetenz
Planungskompetenz umfasst das Wissen,
die Fertigkeit und die Bereitschaft, nationale oder regionale Lehrpläne im Hinblick auf
Ziele, Zielsetzung und Ergebnisse kritisch zu
evaluieren und bei der praktischen Umsetzung der Lehrpläne den Unterricht an den
Bildungskontext und die individuellen Bedürfnisse der Lernenden anzupassen. Hierbei
werden im Rahmen der Unterrichtsplanung
die Lernziele formuliert, die Unterrichtsinhalte
festgelegt und die Unterrichtsorganisation
geplant, um diese dann im Rahmen von Unterrichtsstunden praktisch umzusetzen.
Dazu gehören ebenso das Wissen, die Fertigkeit und die Bereitschaft, Informations- und
Kommunikationstechnologien in der persönlichen Planung, Organisation und beim
Recherchieren von Ressourcen einzusetzen
sowie Unterrichtsmaterialien und –ressourcen kritisch zu evaluieren, zu entwickeln und
praktisch anzuwenden.
6. Evaluationskompetenz
Evaluationskompetenz umfasst das Wissen,
die Fertigkeit und die Bereitschaft, unterschiedliche Formen der Beurteilung und
Aufzeichnung von Lernfortschritten auf Basis
des GERS und der gültigen nationalen sowie
institutionellen Benotungssysteme zu kennen und anzuwenden sowie Fehleranalysen
durchzuführen und konstruktives Feedback
zu geben.
7. Personale Kompetenz
Personale Kompetenz umfasst das Wissen,
die Fertigkeit und die Bereitschaft, Lehren
und Lernen als kontinuierlichen Prozess zu sehen und das eigene Lehren im Sinne der reflexiven Praxis und Selbstbeurteilung kritisch
zu hinterfragen. Diese Kompetenz beinhaltet
auch, Aktionsforschung und Integration von
Forschung in den Unterricht passend einzubauen und Peer-Beobachtung und Peer Re-
18| ASPEKTE DER LEHRERiNNENBILDUNG
view gezielt durchzuführen. Dazu zählt ebenso das Wissen um das Europäische Portfolio
für Sprachlehrende in Ausbildung (EPOSA)
und die Fertigkeit sowie die Bereitschaft, dieses passend als Instrument zur Reflexion der
Unterrichtspraxis anzuwenden.
Der oben beschriebene Kompetenzenkatalog wurde vom Autor dieses Artikels auf
der Grundlage von GERS, Profil und EPOSA
ausgearbeitet. Dieser Kompetenzenkatalog
wurde im Rahmen der Tagung der Arbeitsgruppe Berufsbezogene Fremdsprache Englisch in Baden bei Wien im März 2010 vom
Autor dieses Artikels vorgestellt und fand
Eingang in das vom zuständigen Ministerium
österreichweit empfohlene Rahmen- bzw.
Mustercurriculum für Lehrgänge für eine weitere Lehrbefähigung für den Gegenstand
Berufsbezogene Fremdsprache Englisch an
Berufsschulen.
Glossar
BS
BFE
EPOSA
FAA
CLIL
GERS
Berufsschule
Berufsbezogene Fremdsprache Englisch
Europäisches Portfolio für Sprachlehrende in Ausbildung
Fremdsprache als Arbeitssprache
Content and Language Integrated Learning
Gemeinsamer Europäischer Referenzrahmen für Sprachen
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Angelika McMahon
HETEROGENITÄT IN DER NEUEN MITTELSCHULE
Heterogenität in der Neuen Mittelschule
Angelika McMahon
Die Neue Mittelschule (NMS) ist als gemeinsame Schule der Zehn- bis Vierzehnjährigen konzipiert und setzt sich zum Ziel, auf persönliche Begabungen einzelner SchülerInnen einzugehen und
Freude am Lernen zu vermitteln. Der Hauptfokus liegt auf einer starken inneren Differenzierung
in allen Gegenständen mit der Absicht, alle SchülerInnen an ihre persönlichen Leistungsgrenzen
heranzuführen und ihnen durch innovativen Unterricht für eine Vielfalt von Begabungen und
Interessen in flexiblen Lerngruppen Spitzenleistungen zu ermöglichen. (Vgl. http://www.bmukk.
gv.at/schulen/bw/nms/index.xml)
Für die Schulen bedeutet das Arbeiten in
heterogenen Gruppen in allen Unterrichtsfächern vermehrtes Arbeiten und Unterrichten
im Team und damit verbunden eine ständige Auseinandersetzung mit Planung und
Gestaltung von Unterricht und förderlichen
Formen der Leistungsbeurteilung.
Im „Haus der NMS“ finden sich alle Schwerpunkte der Neuen Mittelschule unter einem
Dach. Sinnvolle Differenzierung als tragende
Säule verbindet die lernseitige Orientierung
und den Umgang mit Differenz. Rückwärtiges Lerndesign, auf das in Punkt 3 näher
eingegangen wird, und förderliche Leistungsbeurteilung sind zwei weitere wichtige
Säulen des Kompetenzlernens und der lernseitigen Orientierung.
Abb.1: „Haus der Neuen Mittelschule“ (Westfall, Tanja
2010: Powerpointpräsentation im Rahmen des 4. Regionalen Lernateliers – G2. Salzburg. 9. März 2011)
1. Umgang mit Differenz
Seit Mitte der 1990er Jahre ist die Frage
des Umgangs mit Differenz verstärkt in den
Fokus der Pädagogik gerückt. Begriffe wie
Differenz, Pluralität und Heterogenität und
ihre zunehmende Bedeutung weisen darauf hin, dass das pädagogische Bewusstsein
um gesellschaftliche Diversität zunimmt, was
für die Arbeit in der Schule bedeutet, dass
nicht mehr von einer „irgendwie selbstverständlich gegebenen Gleichheit“ (Mecheril
und Arens 2010: 9) ausgegangen werden
kann, sondern dass SchülerInnen auf unterschiedliche Weise in sehr unterschiedliche
Lebenszusammenhänge eingebunden sind.
Unter dem Motto „Jede/r ist anders anders“
geht es für Paul Mecheril und Susanne Arens
um die Frage, wie Schule im Kontext gesellschaftlicher Pluralität angemessen handelt,
ohne „das Andere“ im Sinn stereotyper Zuschreibungen als störend zu betrachten.
Von entscheidender Bedeutung ist dabei
eine reflexive Haltung, die es ermöglicht, die
Vielfalt im Klassenzimmer ohne Festschreibungen als Grundverfassung schulischer
Wirklichkeit zu verstehen. Das erfordert von
LehrerInnen unter anderem, eigene Deutungs- und Erklärungsmuster von Differenz
zu beobachten und zu verändern, ihr pädagogisches Handeln danach auszurichten
und die Verschiedenheit systematisch ins
Unterrichtsgeschehen einzubeziehen. (Vgl.
Mecheril und Arens, 2010: 9-11)
BEITRÄGE AUS WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG |19
HETEROGENITÄT IN DER NEUEN MITTELSCHULE
Angelika McMahon
2. Lernen und lernseitige Orientierung
Um lernseitige Orientierung im Unterricht umzusetzen und Lernen zu ermöglichen bzw. wie
Käthe Meyer-Drawe es formuliert „Lernen zu
verwahrscheinlichen“ (Meyer-Drawe 2008),
ein ausdrückliches Ziel der Neuen Mittelschule, erfolgt im Rahmen der Unterrichtsentwicklung in den NMS eine intensive Auseinandersetzung mit dem Begriff „Lernen“und seiner
Bedeutung. Michael Göhlich und Jörg Zirfas
formulieren ihre Überlegungen zu einem Arbeitsbegriff des Lernens folgendermaßen:
„Lernen bezeichnet die Veränderungen von
Selbst- und Weltverhältnissen sowie Verhältnissen zu anderen, die nicht aufgrund von
angeborenen Dispositionen, sondern aufgrund von zumindest basal reflektierten Erfahrungen erfolgen und die als dementsprechend begründbare Veränderungen von
Handlungs- und Verhaltensmöglichkeiten,
von Deutungs- und Interpretationsmustern
und von Geschmacks- und Wertstrukturen
vom Lernenden in seiner leiblichen Gesamtheit erlebbar sind; kurz gesagt: Lernen ist
die erfahrungsreflexive, auf den Lernenden
sich auswirkende Gewinnung von spezifischem Wissen und Können.“ (Göhlich & Zirfas 2007:17)
Lernen ist demnach ein kontinuierlicher Prozess, der uns zunehmend wissend handeln
lässt. Käthe Meyer-Drawe geht davon aus,
dass Lernen Erfahrung bedeutet. Sie sagt
über das Lernen:
„Lernen ist nicht nur Erkennen. Es hat viele Facetten, welche den Menschen als leibliches
Wesen betreffen. Etwas in Zweifel zu ziehen,
um den Grad an Gewissheit der Erkenntnis
zu steigern, ist etwas anderes, als in eine Ausweglosigkeit zu geraten, weil alles Gewohnte versagt. Lernen beginnt in dieser Hinsicht
dort und dann, wo und wenn das Vertraute
seinen Dienst versagt und das Neue noch
nicht zur Verfügung steht…“(Meyer-Drawe
2008: 15). und John Holt ist der Überzeu-
20| BEITRÄGE AUS WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG
gung: „Lehren erzeugt kein Lernen. Lerner
erzeugen Lernen. Lerner erschaffen Lernen.“
(Holt 2009: 94)
Michael Schratz bezeichnet das Erschaffen
von Lernen durch die Lernenden selbst mit
dem Begriff „lernseits von Unterricht“ (Schratz
2009: 19). Wenn man davon ausgeht, dass
Lehren kein Lernen erzeugt, bedeutet das
für die Schule, alte Muster zu verlassen und
die Aufgaben einer Schule für morgen zu
erarbeiten. Das Ziel ist eine lernende Schule, „in der die Menschen kontinuierlich die
Fähigkeiten entwickeln, ihre wahren Ziele
zu verwirklichen, in denen neue Denkformen gefördert und gemeinsame Hoffnungen freigesetzt werden, in denen Menschen
lernen, miteinander zu lernen.“ (Senge
1996:11). Michael Schratz sieht in den Begriffen „Leadership“ und „Lernen“, die aus
seiner Sicht in einer starken Wechselwirkung
stehen, Schlüsselworte für eine lernseitige
Orientierung. Im Rahmen des internationalen Projekts „Leadership for Learning“(vgl.
McBeath u.a. 2006), in dem der Frage nachgegangen wurde, wie „lernende Organisationen“ arbeiten, wurde herausgearbeitet,
„dass es drei Ebenen im Systembezug zu
verbinden gilt: das Lernen der SchülerInnen, das Lernen der LehrerInnen sowie das
Systemlernen.“(Schratz 2009:18) Für alle Systemebenen ist eine starke Lernumgebung
notwendig. Damit sind Voraussetzungen gemeint, die Lernen unterstützen. Dazu wurden
im Projekt „Leadership for Learning“ fünf
Schlüsselaspekte formuliert, die im Entwicklungsprozess Beachtung finden müssen:
„„ Fokus
auf das Lernen auf allen 3 Ebenen
„„ förderliche
Bedingungen, die als Ziel des
Unterrichts das Lernen der SchülerInnen
in den Mittelpunkt stellen (nicht was der/
die LehrerIn unterrichtet)
„„ ein
wirksamer Dialog als das konstitutive
Element von Bildungsprozessen
„„ shared
Leadership im Sinne eines gemeinsamen Bemühens, komplexe He­
rausforderungen zu bewältigen und
Angelika McMahon
„„ Verantwortungsübernahme
jedes/jeder
Einzelnen. (vgl. Schratz 2007: 18-19).
Joachim Bauer meint zu den Bedingungen
für gelingende Bildung, dass die wichtigste
Voraussetzung „konstruktive, das Lernen befördernde Beziehungen“ seien und dass es
Schulen über weite Strecken nicht gelingt,
Unterrichtssituationen herzustellen, die Lernen ermöglichen. (Vgl. Bauer, 2007, 11-12)
3. Rückwärtiges Design
Grant Wiggins sieht LehrerInnen als DesignerInnen. Ein wesentlicher Aspekt des
Lehrberufs ist seiner Meinung nach das
„Bereitstellen“ von Curricula im Sinn von
„Lernlaufwegen“ und das Bereitstellen von
Lernerfahrungen, um gewisse Absichten und
Ziele zu erreichen. Er sieht LehrerInnen auch
als DesignerInnen von Leistungsbewertung,
um Lernstand und Lernbedürfnisse von Lernenden zu diagnostizieren und damit SchülerInnen, LehrerInnen und Eltern die Beurteilung zu ermöglichen, ob bzw. inwieweit
Lernziele erreicht wurden. Nationale Standards und Curricula, die festlegen, welche
Kompetenzen SchülerInnen an bestimmten
Punkten ihrer Bildungslaufbahn erworben
haben, sollen helfen Prioritäten des Lehrens und Lernens zu identifizieren und sind
Grundlage der Unterrichtsplanung und der
Leistungsbeurteilung. Zu den Vorgaben von
außen gilt es, in der Unterichtsplanung die
Unterschiedlichkeit der SchülerInnen und
ihrer Interessen genauso zu bedenken wie
das Prinzip, dass der funktionale Aspekt dem
formalen Aspekt übergeordnet ist. Wiggins
legt den Fokus der Unterrichtsplanung auf
die Ergebnisse, die erzielt werden sollen, und
darauf, woran festgemacht werden kann,
dass diese Ergebnisse tatsächlich erzielt wurden, d.h., er geht bei seinen Planungen nicht
von Methoden, Schulbüchern und „bequemen“ Aktivitäten aus. Er nennt seinen Ansatz
der Unterrichtsplanung „rückwärtiges Design“ und unterteilt diesen in drei Schritte:
Im ersten Schritt ermittelt er die gewünsch-
HETEROGENITÄT IN DER NEUEN MITTELSCHULE
ten Lern­ergebnisse, indem er überlegt, was
SchülerInnen am Ende einer Unterrichtseinheit wissen, verstehen und tun können sollen. Er verschafft sich auf der Grundlage von
Curricula und Standards Klarheit über Prioritäten, um aus der vorhandenen Fülle von
Inhalten eine entsprechende Wahl zu treffen. Im zweiten Schritt stellt er sich die Frage,
woran erkennbar ist, dass die SchülerInnen
die erwünschten Ergebnisse erzielt haben,
bevor er im dritten Schritt auf der Basis von
klar definierten Ergebnissen und adäquaten Belegen für das erreichte Ziel über die
geeigneten Aktivitäten im Unterricht nachdenkt. (Vgl. Wiggins & McTighe 2005: 13-18)
4. Differenzierung
Binnendifferenzierung bedingt eine schülerorientierte Didaktik und erfordert eine
Unterrichtspraxis, die eine Strategie für zielorientiertes Lernen anbietet. Das bedeutet,
unterschiedliche Lerntempi zu erlauben und
damit unterschiedlich viel Zeit für Zielerreichung zu geben, für den jeweiligen Lernfortschritt die benötigten Lernmaterialien und
methodischen Hilfen anzubieten und bei
Bedarf – wenn auf eine Weise kein Lernfortschritt erzielt werden kann - durch andere
Lernmaterialien zu ersetzen sowie SchülerInnen entsprechend zu belohnen oder zu ermutigen. (Vgl. Bönsch 2009: 118)
Grundlage für die Differenzierung im Rahmen der Neuen Mittelschule ist das Theoriemodell der US-amerikanischen Wissenschaftlerin Carol Ann Tomlinson.
Sie geht davon aus, dass differenzierter Unterricht unterschiedliche Zugangsweisen
zum Lernen bedeutet und hat ihr Differenzierungsmodell aus der Erkenntnis entwickelt, dass LehrerInnen Konzepte brauchen,
die es ihnen ermöglichen, mit der gesamten
Lerngruppe, mit Kleingruppen und mit Individuen zu arbeiten, wobei hier nicht homogene Kleingruppen gemeint sind, in denen
SchülerInnen mit ähnlichen Leistungsniveaus
BEITRÄGE AUS WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG |21
HETEROGENITÄT IN DER NEUEN MITTELSCHULE
Angelika McMahon
Abb. 2: Differenzierungsmodell nach C. A. Tomlinson
(vgl. Tomlinson, 2005: 15)
zusammenarbeiten, sondern flexible Gruppen, in denen SchülerInnen mit unterschiedlichen Stärken voneinander profitieren können. (Vgl. Tomlinson 2001: 2-4) Das Konzept
von Tomlinson berücksichtigt im Rahmen der
Differenzierung drei Ebenen (vgl. Abb. 2).
LehrerInnen, die mit Erfolg differenzieren, differenzieren einen Teil ihres Unterrichts in einem Teil der Unterrichtszeit. Damit werden
nicht alle Lerninhalte, Lernprodukte, Lernumfelder und Lernprozesse grundsätzlich differenziert und auch nicht immer, sondern dort,
wo es sinnvoll und notwendig erscheint. Um
festzustellen, wo, wann und wie differenziert
werden muss, ist die ständige Lernstandsbeobachtung eine wichtige Grundlage. Daraus
beziehen die LehrerInnen die Daten, die ihnen Auskunft über die Lernbereitschaft, die
Interessen und die Lernprofile ihrer SchülerInnen geben. Leistungsfeststellung dient nicht
in erster Linie dazu, die Ergebnisse am Ende
einer Unterrichtseinheit einzuschätzen, sondern als Grundlage für die Gestaltung der
nächsten Schritte des Unterrichtshandelns.
LehrerInnen erhalten so Einblick darin, inwieweit und in welchem Ausmaß Kern­ideen verstanden wurden, wer von den Lernenden die
erzielten Fähigkeiten tatsächlich erworben
hat und welcher Grad an Interesse vorliegt.
In differenzierten Lernumgebungen dient die
Leistungsfeststellung als Messinstrument für
den Lernzuwachs. (Vgl. Tomlinson, 2005:10-11)
22| BEITRÄGE AUS WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG
Im Gegensatz zu vorherrschenden Definitionen, die unter Lernbereitschaft in erster Linie
Motivation verstehen, meint Tomlinson mit
Lernbereitschaft den Ausgangspunkt der
SchülerInnen in Relation zum Erwerb einer
gewissen Fähigkeit im Sinn von Vorwissen und
Vorerfahrungen, also im Sinn der fachlichen
Lernbereitschaft. Dieser Ausgangspunkt gibt
Aufschluss darüber, welche Herangehensweisen für die einzelnen Lernenden zielführend sein können.
Während die einen vielleicht daran arbeiten
müssen, Lücken in ihren Vorkenntnissen zu
schließen, brauchen andere unterschiedlich
komplexe Aufgaben, mehr oder weniger
Unterstützung der LehrerInnen, verschiedene Lerntempi bzw. differenzierte Stufen der
Abstraktion, um einige Beispiele zu nennen.
(Vgl. Tomlinson 2005: 11)
Die Interessen beziehen sich auf die Affinität,
die Neugier und Wissbegierde oder auch
die Leidenschaft, mit der SchülerInnen an
besondere Themen herangehen. Lernprofile
geben Auskunft darüber, wie Einzelne lernen.
Sie setzen sich aus Präferenzen hinsichtlich
unterschiedlicher Intelligenzen, Geschlecht,
Kultur und Lernstilen zusammen. (Vgl. Tomlinson, 2005: 11)
Unter Berücksichtigung dieser drei Charakteristika auf Schülerseite ist es Aufgabe der
Angelika McMahon
LehrerInnen, den Unterricht hinsichtlich der
Lerninhalte, der Lernprozesse, der Lernprodukte und des Lernumfelds zu gestalten. Es
ist dabei nicht notwendig, alle vier Elemente
zu jeder Zeit zu differenzieren. In wirksamen
differenzierenden Lernumgebungen ist die
Arbeit mit der Gesamtgruppe ein ebenso
wichtiger Teil des Unterrichts. Differenzieren
sollte man dann, wenn man erkennt, dass
es besondere Bedürfnisse seitens der Lernenden gibt bzw. wenn dadurch die Wahrscheinlichkeit steigt, dass Lernende zu besseren Lernergebnissen kommen.
Grundprinzipien der Differenzierung nach
den oben genannten Elementen sind aus
der Sicht Tomlinsons respektvolle Aufgaben,
die einzelnen Lernenden Lernoptionen bieten, die für sie passend sind, ständige Lernstandsbeobachtung und flexible Gruppen.
(Vgl. Tomlinson 2005: 12-14)
Differenzierung ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass SchülerInnen ihr Lernen
personalisieren – das heißt ihr Lernen ihren
persönlichen Lernstilen, ihrer Lernbereitschaft und ihren Interessen anpassen - können, indem sie als einzigartiger Mensch
anerkannt werden und die Möglichkeit haben, das eigene Lernen mit entsprechender
Unterstützung selbst zu gestalten und Urheberschaft darüber zu erleben. Ausgehend
von der persönlichen Identität werden in
der persönlichen Auseinandersetzung und
der Auseinandersetzung mit dem sozialen
Umfeld im bewertungsfreien Raum einzigartige Ergebnisse durch persönliche Aktivitäten erzielt. (Vgl. Schratz / Westfall-Greiter
2010: 26)
„Personalisierung erfolgt durch Selbstgestaltung und im Dialog über die Aneignung
von Wissen, Fähigkeiten und Haltungen mit
sich selbst und mit anderen während Reflexionsphasen und im Gespräch, in dem Austausch und gemeinsame Deutung (making
meaning) stattfindet.“ (Schratz & WestfallGreiter 2010: 26)
HETEROGENITÄT IN DER NEUEN MITTELSCHULE
5. Leistungsbeurteilung
Differenzierter Unterricht schließt die Leistungsbeurteilung ebenso ein wie die Unterrichtsplanung. Demnach ist der Umgang mit
Differenzen nicht nur ein wichtiger Teil der
Unterrichtsarbeit, sondern ein ebenfalls zentraler Faktor in der Leistungsfeststellung im
Hinblick darauf, den Anspruch der lernseitigen Orientierung zu erfüllen.
Im Rahmen der Neuen Mittelschule erfolgt
eine Auseinandersetzung mit Leistungsbeurteilung in differenzierten Lernumgebungen
unter dem Aspekt der Fairness, die nicht
gleichbedeutend mit Gleichbehandlung ist.
Rick Wormeli formuliert Prinzipien für erfolgreiche Leistungsbewertung in differenzierten Lernumgebungen. Als erstes Prinzip für
erfolgreiche Leistungsbeurteilung nennt
er „Begin with the End in Mind“, also den
Blick darauf richtend, was am Ende einer
Lerneinheit an Lernertrag herauskommen
soll. Es sieht es als eine mögliche Herangehensweise, den Lernenden am Beginn einer
Lerneinheit den Test vorzulegen, den sie am
Ende absolvieren sollen, und räumt gleichzeitig ein, dass der Vorschlag etwas radikal
wirken mag. Diese Vorgangsweise trage jedoch zur Transparenz der Lernziele bei und
gebe den Lernenden eine klare Vorstellung
darüber, worauf sie sich in ihrem Lernprozess
konzentrieren sollten. Je klarer die Arbeitsaufträge seien, desto wahrscheinlicher sei
es, dass sich Lernende ernsthaft um Ergebnisse bemühen, weil sie ein klares Bild von
den erwarteten Produkten hätten. Nichts sei
so frustrierend für Lernende wie die Arbeit
an einer Aufgabe, die viel Zeit in Anspruch
nimmt und am Ende nur zu der Erkenntnis
führt, dass sie nicht entsprechend gelöst
wurde. (Vgl. Wormeli 2006: 21-22)
Ein weiterer Aspekt ist der Blick darauf, was
SchülerInnen am Ende einer Lerneinheit
wissen, verstehen und tun können sollen.
Ebenso wichtig ist laut Wormeli die LernbeBEITRÄGE AUS WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG |23
HETEROGENITÄT IN DER NEUEN MITTELSCHULE
Angelika McMahon
reitschaft der Lernenden. Es gilt herauszufinden, welche Kenntnisse und Kompetenzen
Lernende in Relation zu den erwünschten
Lernergebnissen einer Lerneinheit bereits
mitbringen. Um das herauszufinden, ist eine
Lernstandserhebung zielführend, die unter
der Prämisse mit dem „Ende vor Augen“
zu beginnen von dem abschließenden Test
einer Lerneinheit ausgeht. Bei der Erstellung
einer solchen Lernstandserhebung gilt es folgende Fragen zu beachten:
„„ Welches
sind die wesentlichen und nachhaltig verfügbaren Fertigkeiten und Inhalte, die beurteilt werden sollen?
„„ Wie
können die Lernenden im Rahmen
der Leistungsbeurteilung ihre Meisterschaft zeigen?
„„ Sind
alle Bestandteile der Lernziele in der
Leistungsbeurteilung berücksichtigt?
„„ Gibt
es andere Wege für die Lernenden,
zu zeigen, dass sie entsprechende Lerninhalte gemeistert haben?
„„ Ist
die Leistungsfeststellung eine Feststellung hinsichtlich des Lernprozesses oder
des Lernprodukts und ist das der Absicht
der Leistungsfeststellung entsprechend?
Für die Entwicklung von Leistungsfeststellung
ist es zielführend, drei Arten zu unterscheiden: (vgl. Wormeli 2006:22 - 27)
1. L ernstandserhebungen (Preassessment),
die die Lernbereitschaft und Vorkenntnisse der Lernenden bewerten und damit
eine wichtige Entscheidungsgrundlage
für das Planungshandeln und den Verlauf
des Unterrichts bilden.
2. Formative Leistungsfeststellung: Diese
Form der Leistungsfeststellung wird während des Lernprozesses häufig angewendet. Das Feedback unterstützt sowohl Lernende als auch Lehrende in der weiteren
Gestaltung der Lernprozesse.
3. Summative Leistungsfeststellung: Das ist
jene Leistungsfeststellung, die am Ende
einer Lerneinheit der Leistungsbeurteilung dient.
24| BEITRÄGE AUS WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG
Wenn man davon ausgeht, dass formative
Leistungsfeststellung eine Feststellung des
Lernstands ist, deren Ergebnisse zur Anpassung weiterer Lernprozesse führen und damit
durch wiederholtes Feedback zum Lernertrag beitragen, ist es zielführend, zwischen
Lernaufgaben und Leistungsaufgaben zu
differenzieren. Während Lernaufgaben und
die Rückmeldung darüber weitgehend der
Steuerung des Lernprozesses dienen, erzeugt
die summative Beurteilung im Rahmen einer
Leistungsaufgabe durch Benotung ein spezifisches Leistungsbild zu einem bestimmten
Zeitpunkt.
Im englischen Sprachraum werden diese Formen der Leistungsfeststellung als Beurteilung
für Lernen (formativ) und Beurteilung von
Lernen (summativ) bezeichnet. Eine dritte
Ebene ist Beurteilung als Lernen (konstitutiv).
Die konstitutive Leistungsfeststellung fordert
die Lernenden heraus, Leistungsbeurteilung
als Teil ihres eigenen Lernens zu erleben und
mit Methoden der Selbsteinschätzung, des
Peer-Feedback und der Selbstkontrolle zur
Lernautonomie zu gelangen. (Vgl. Earl 2003:
21 – 28).
Zentrale Prinzipien guter Leistungsfeststellung
(vgl. Wormeli, 2006: 39 – 41):
„„ Gute
Leistungsfeststellung dokumentiert
nicht nur, sondern bringt Lernen voran
und ist ein integraler Bestandteil des Unterrichts.
„„ Leistungsfeststellung
konzentriert sich auf
grundlegendes und nachhaltiges Verständnis sowie damit verbundene Fertigkeiten.
„„ Gute
Leistungsfeststellung gibt dem Lehrer/der Lehrerin Informationen über den
Unterrichtsverlauf und steht niemals isoliert am Ende einer Einheit.
„„ Gute
Leistungsfeststellung ist transparent,
beginnt mit „dem Ende vor Augen“ und
ermöglicht den Schülerinnen und Schülern von Anfang an ein klares Bild, welche
Leistungen von ihnen erwartet werden.
Angelika McMahon
„„ Gute
Leistungsfeststellung ist authentisch
und der Lebenswelt der Lernenden entsprechend. Sie bildet Anforderungen ab,
mit denen die Lernenden im späteren
Leben konfrontiert sein werden.
„„ Gute
Leistungsfeststellung ist ein valider
Indikator, was Lernende tun können, enthält oft mehr als eine Disziplin und verlangt nach unterschiedlichen Herangehensweisen und Lösungsstrategien.
6. Die Rolle der LehrerInnen
SchülerInnen suchen Bestärkung, die Möglichkeit der Beteiligung, Herausforderungen,
Ziele und Macht über ihren eigenen Lernprozess. (Vgl. Marzano 2003: 2-4/Tomlinson
2005: 12) Die Aufgabe der LehrerInnen ist es,
eine Fülle von Lerngelegenheiten zu bieten,
in Lernprozesse zu investieren, zum Lernen
einzuladen, Lernprozesse zu reflektieren und
Beharrlichkeit zu zeigen. Das Curriculum soll
in diesem Prozess eine Herausforderung bieten, zielgerichtet, bedeutend, ansprechend
und mit passenden Unterstützungsstrukturen
versehen sein.
LehrerInnen haben einen sehr hohen Anteil
am Lernerfolg der SchülerInnen. Kompetente LehrerInnen erfüllen dabei mehrere Funktionen, die sich in drei Hauptaufgaben unterteilen lassen. Sie treffen Entscheidungen
über die effizientesten Unterrichtsstrategien,
gestalten die Lernwege in einer Weise, die
den Lernenden Lernen ermöglicht und sie
haben ein effektives „Classroom Management“. (Marzano 2003: 3)
Welche Bedeutung LehrerInnen für den
Lernerfolg ihrer SchülerInnen haben, geht
aus einer Studie hervor, die 1997 von S. Paul
Wright, Sandra Horn und William Sanders
mit einer Population von 60 000 Schülerinnen und Schülern durchgeführt wurde. (vgl.
Marzano 2003:1) Die Studie belegt, dass der
wichtigste Faktor für Lernen der Lehrer/die
Lehrerin ist. Kompetente LehrerInnen scheinen mit Lernenden aller Leistungsniveaus
HETEROGENITÄT IN DER NEUEN MITTELSCHULE
ungeachtet des Grads der Heterogenität in
ihren Klassen erfolgreich zu sein. (Vgl. Marzano 2003:1) Vergleiche zeigten, dass Lernende, die ein Jahr von LehrerInnen unterrichtet
wurden, die als höchst kompetent eingestuft
wurden, ihre Leistung um 52 Prozentpunkte
steigerten, während SchülerInnen in Klassen,
deren LehrerInnen als wenig kompetent eingestuft wurden, ihre Leistung lediglich um 14
Prozentpunkte steigerten. Der Unterschied
wird umso deutlicher, wenn die Schätzung
der ForscherInnen berücksichtigt wird, dass
ein Leistungszuwachs von sechs Prozentpunkten allein dadurch bedingt war, dass
die Lernenden während der Durchführung
der Studie ein Jahr älter geworden waren
und entsprechende Erfahrungen gemacht
hatten.
Was macht eine/n kompetente/n Lehrer/in
aus?
Kompetente LehrerIinnen haben ein großes
Instrumentarium an Unterrichtsstrategien
zur Verfügung. Sie sind fähig, Methoden des
kooperativen Lernens einzusetzen, können
Abläufe graphisch darstellen, können Hausübungen, Fragen, Lernpläne und dgl. so einsetzen, dass der Lernprozess damit gefördert
wird. Zudem wissen sie, welche Strategien
in Zusammenhang mit spezifischen Schüler­
Innen und spezifischen Inhalten förderlich
sind.
Ihre zweite Stärke liegt im Curriculumdesign
(Anm. Curriculum wird hier nicht im Sinn von
Lehrplan verwendet, sondern meint die Gestaltung der Lernwege). Die Abfolge der
Inhalte und das Tempo stehen hier im Mittelpunkt. Anstatt auf die Sequenzen des
Lehrwerks zu vertrauen, ziehen LehrerInnen
die Bedürfnisse der Lernenden in Betracht
und planen dementsprechend. Zudem besitzen sie die Fähigkeit, Lernaufgaben und
neue Inhalte in unterschiedlichen Formaten,
wie zum Beispiel Geschichten, Erklärungen,
und anderen Demonstrationsformen, zu präsentieren und sich dabei unterschiedlicher
Medien zu bedienen.
BEITRÄGE AUS WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG |25
HETEROGENITÄT IN DER NEUEN MITTELSCHULE
Angelika McMahon
Zudem verfügen erfolgreiche LehrerInnen
über gutes Management der Lernumgebung. Regeln im Klassenzimmer sind oft lehrerabhängig und unterteilen sich in diverse
Kategorien wie Erwartungen an Verhalten,
Routinen für den Anfang und das Ende des
Unterrichts, Übergänge und Unterbrechungen, den Gebrauch von Materialien und
Ausstattung, Gruppenarbeit und lehrerzentrierte Aktivitäten. In allen Bereichen ist es
wichtig, SchülerInnen in die Erarbeitung eines Regelwerks einzubeziehen. (Vgl. Marzano 2003: 4-26, Helmke 2009: 173 )
Die LehrerInnen an den österreichweit mittlerweile 320 Standorten der Modellversuche
Neue Mittelschule setzen sich in intensiven
schulinternen und schulübergreifenden Prozessen mit den Herausforderungen auseinander, die mit dem Anspruch der Neuen
Mittelschule, kein Kind zurückzulassen und
möglichst alle an ihre persönlichen Leistungsgrenzen heranzuführen, verbunden
sind. Sie arbeiten daran, Schule und Unterricht im Sinne des im vorliegenden Beitrag
Skizzierten „neu zu denken“.
Literatur:
Arens, Susanne & Paul Mecheril (2010): Schule – Vielfalt – Gerechtigkeit.
Schlaglichter auf ein Spannungsverhältnis, das die politische und erziehungswissenschaftliche Diskussion in Bewegung gebracht hat. In: Die Lernende Schule 49. 9 – 11).
Bönsch, Manfred (2009): Intelligente Unterrichtsstrukturen. Eine Einführung
in die Differenzierung. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren.
Earl, Lorna M. (2003). Assessment as Learning. Using Classroom Assessment
to Maximize Student Learning. G. Thousand Oaks, California: Corwin Press.
Göhlich, Michael & Jörg Zirfas (2007). Lernen. Ein pädagogischer Grundbegriff. Stuttgart: Kohlhammer.
Helmke, Andreas (2009): Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität.
Diagnose, Evaluation und Verbesserung des Unterrichts. 2. Auflage. SeelzeVelber: Kallmeyer.
Holt, John (2009): In jeder wachen Stunde. In: John Holt (Hg.): Das Freilerner-Buch. Winsen (Luhe): Anahita Verlag. 93-96.
Marzano, Robert J. (2009). Classroom Management that works. ResearchBased Strategies for Every Teacher.New Jersey. Pearson Education.
26| BEITRÄGE AUS WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG
Meyer – Drawe, Käthe (2008). Diskurse des Lernens. München. Wilhelm Fink
Verlag.
Schratz, Michael & Tanja Westfall – Greiter (2010): Das Dilemma der Individualisierungsdidaktik. Plädoyer für personalisiertes Lernen in der Schule. In:
Journal für Schulentwicklung. 1. 18 – 31.
Schratz, Michael et al. (2007): Domänen von Lehrer/innenprofessionalität
im internationalen Kontext. In: Journal für Lehrerinnen- und Lehrerbildung.
7, 2. 70 – 79.
Schratz, Michael (2009): „Lernseits“ von Unterricht. Alte Muster, neue Lebenswelten – was für Schulen? In: Lernende Schule. 46-47. 16-21.
Senge, Peter. (1999): Die Fünfte Disziplin. Kunst und Praxis der lernenden
Organisation. 2. Auflage. Stuttgart. Klett-Cotta.
Tomlinson, Carol Ann (2005): The Differentiated Classroom. Responding to
the needs of all Learners. New Jersey: Pearson.
Wormeli, Rick (2006): Fair Isn’t Always Equal. Portland, Maine: Stenhouse
Publishers.
http://www.bmukk.gv.at/schulen/bw/nms/index.xml (Stand: 1. März 2011).
Hans Peter Gottein
ES WAR EINMAL ... EINE HOMOGENE LERNGRUPPE
Es war einmal...
eine homogene Lerngruppe
Vom Mythos der Homogenität und dem Umgang mit Heterogenität
Hans Peter Gottein
Begriffe wie Individualisierung, Differenzierung oder Heterogenität sind in der pädagogischen
Fachliteratur der letzten Jahre sehr prominent vertreten. Es stellt sich die Frage nach dem Warum: pädagogische Notwendigkeit oder vorübergehender Hype? Im folgenden Beitrag wird auf
Heterogenität im schulischen Umfeld eingegangen. Im Anschluss daran wird der Einfluss von
LehrerInnen-Persönlichkeitsmerkmalen auf deren Einstellung zu einem positiven Umgang mit
Heterogenität im Sinne der Binnendifferenzierung dargestellt und durch eine aktuelle Untersuchung belegt.
Ausgangsvoraussetzungen
Unsere Welt verändert sich derzeit in einer
Geschwindigkeit und Radikalität, wie es in
der Geschichte der Menschheit noch nie
festzustellen war (beispielsweise die immer
schneller werdende Entwicklung der Kommunikationstechnologie oder die abnehmende Halbwertszeit des Wissens – siehe
dazu weiter unten). Nicht umsonst fordert
Ehlers (2008) die Ausrufung des Antropozäns,
des Zeitalters des Menschen. Diese – und andere – Entwicklungen bedingen auch eine
Veränderung bzw. Anpassung schulischen
Unterrichts.
Viele Schulsysteme stellen sich nur langsam
und zögerlich auf Anforderungen hinsichtlich
einer Individualisierung und Differenzierung
des Unterrichts ein. Der fragend-entwickelnde Unterricht ist immer noch die dominante Unterrichtsform (vgl. Astleitner 2007: 137).
Chen (2008: 5) spricht in diesem Zusammenhang von einem „Dominanzparadigma“.
Bastian (2007: 104) spricht von der Dominanz eines spezifischen Unterrichtsskripts, das
er als „instruierendes Unterrichtsgespräch“
bezeichnet. Auf der anderen Seite geraten
SchülerInnen durch diese Unterrichtsmethodik in Gefahr, schulische Inhalte lediglich
oberflächlich aufzunehmen. Klippert (2008:
17) spricht in diesem Zusammenhang von
vordergründigem, nicht nachhaltigem Lernen und „Konsumismus“.
Der Veränderungsbedarf von Schulsystemen
wird häufig u.a. durch die abnehmende
Halbwertszeit des Wissens begründet. Derzeit
entstehen täglich ca. 20.000 neue wissenschaftliche Publikationen (vgl. Wiater 2007:
40). Im Jahr 1900 waren 95 % aller Arbeitsplätze mit keinen oder geringen, in kurzer
Zeit anlernbaren Qualifikationen bewältigbar (vgl. Darling-Hammond 2008), ein Großteil der Arbeitsplätze heute verlangt jedoch
weitaus anspruchsvollere Kompetenzen und
Qualifikationen, wie z.B. Selbstmanagement,
Kommunikations- und Teamkompetenz, Anwendung von Wissen und Kompetenzen in
veränderten Situationen usw. Darling-Hammond argumentiert, dass unsere SchülerInnen auf Jobs vorbereitet werden, die zum
Zeitpunkt des Schulbesuchs noch gar nicht
existieren. Prensky (2001: 1) drückt dies so aus:
„Our students have changed radically. Today’s students are no longer the people our
educational system was designed to teach.”
Homogenität vs. Heterogenität
Der Versuch, Lerngruppen weitestgehend
zu homogenisieren, hat insbesondere im
deutschsprachigen Raum (im Gegensatz
zum englischsprachigen Raum, vgl. dazu
z.B. Ratzki 2004, Rüttimann 2009) eine lange
Tradition. Schon im 18. Jh. schlug Ernst Christian Trapp - der erste Pädagogikprofessor
Deutschlands - vor, den Unterricht an den sogenannten „Mittelköpfen“ auszurichten, d.h.
BEITRÄGE AUS WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG |27
ES WAR EINMAL ... EINE HOMOGENE LERNGRUPPE Hans Peter Gottein
den imaginären DurchschnittsschülerInnen
(vgl. Helmke 2009: 245). Die Geschichte der
Pädagogik im deutschsprachigen Raum ist
folglich geprägt vom Bestreben, Lernende in
homogene Lerngruppen einzuteilen (äußere
Differenzierung). Dies ist in mehrfacher Hinsicht problematisch. Die zu Grunde gelegten Leistungskriterien sind normativ, d.h., sie
unterliegen den in einer Gesellschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt gültigen Normen,
und sie sind selektiv, d.h., sie teilen Personen
in auf ein bestimmtes Merkmal gerichtete
Gruppen ein (vgl. Grubich 2005: 485-486).
Das vordergründige Einteilungsmerkmal ist
die Lernleistung im jeweiligen Fachbereich.
Zahlreiche Untersuchungen belegen jedoch, dass viele andere Kriterien einfließen,
wie z. B. der sozioökonomische Status des
Kindes oder das Schulangebot in Wohnortnähe (ebda.: 486). Aber auch das Kriterium
der Leistung ist kritisch zu betrachten. Viele
Untersuchungen weisen nach, dass Leistungen offensichtlich nicht an einer Sachnorm
(Lehrplan) gemessen werden, sondern sich
an Normalverteilungen annähern, d.h., das
Leistungsniveau der jeweiligen Lerngruppe
hat erheblichen Einfluss auf die Einschätzung
der Leistung (vgl. z.B. Eder, Neuweg & Thonhauser 2009: 256-259).
Wie bereits weiter oben angedeutet, deuten trotz aller Forderungen nach homogenen Lerngruppen aktuelle Forschungsergebnisse darauf hin, dass „Lernzuwachs
und Lernergebnisse aller Schülerinnen und
Schüler unter Bedingungen von Heterogenität besser sind“ (Klauer & Leutner, 2007, zit.
n. Kiper 2008). Ähnliche Forschungsergebnisse belegen Stierle und Wagner (2004).
Die Autoren berichten, dass vor allem bei
Gruppenaufgaben heterogene Gruppen
kreativere und qualitativ hochwertigere Ergebnisse zuwege bringen als homogene
Gruppen. Rüttimann (2009) fasst Ergebnisse
aus der Integrationsforschung zusammen
und stellt u.a. fest, dass im integrativen Unterricht von lernbehinderten und nicht lernbehinderten SchülerInnen letztere keine
Leistungsminderungen aufweisen, dass gemischte Lerngruppen kognitiv gute Effekte
zeigen sowie dass lernbehinderte SchülerInnen in gemischten Gruppen deutlich bessere Schulleistungen zeigen, allerdings auch
ein leicht niedrigeres Selbstwertgefühl. (Vgl.
Rüttimann 2009).
Viele Untersuchungen belegen es eindeutig: Eine homogene Lerngruppe gibt es
nicht! Auch wenn es noch so unpraktisch
erscheint, LehrerInnen sind aufgefordert, die
Tatsache der Heterogenität anzuerkennen.
Scheunpflug bezeichnet die zunehmende
Heterogenität insofern als große pädagogische Herausforderung, da „heterogene
Lerngruppen auf eine Lehrerschaft stoßen,
die eine homogene schulische Gruppe erwartet“ (Scheunpflug 2008: 66). Kampshoff
und Walther (2010: 401) verweisen auf den
Grundtenor vieler Studien und formulieren
vorsichtig, indem sie feststellen, dass eine
„adäquate Reaktion der Lehrerschaft auf
heterogene Lerngruppen [….] in der empirischen Schul- und Unterrichtsforschung in
Zweifel gezogen“ wird.
Best-practice Beispiele, wie z.B. die in Reinhard Kahls Film „Treibhäuser der Zukunft“
vorgestellten Schulen oder die sog. „Leuchtturmschulen“ (vgl. Fauser et. al. 2007), sind
mittlerweile sehr bekannt. Doch was sind Voraussetzungen auf Seiten der Lehrerschaft,
um erfolgreich mit einer heterogenen Lerngruppe umgehen zu können? Viele AutorInnen haben sich mit dieser Frage beschäftigt,
dementsprechend gibt es unterschiedliche
Anforderungskataloge. Einen umfangreichen Katalog legt Helmke (2009: 253-255)
vor und nennt als Erfolgsfaktoren u.a. den
nötigen Einstellungswandel, diagnostische
Kompetenz, Professionswissen und didaktische Expertise, passendes Lehr- und Diagnosematerial sowie den bewussten Einbezug
außerschulischer Faktoren.
28| BEITRÄGE AUS WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG
Voraussetzungen auf Seiten der Lehrer­
Innen für einen erfolgreichen Umgang
mit Heterogenität
Hans Peter Gottein
Beliefs und Persönlichkeitsmerkmale
Eine professionelle Lehrperson wird von verschiedenen AutorInnen unterschiedlich definiert. Beispielsweise nennen Kampshoff und
Walther (2010: 402) in Anlehnung an Baumert
und Kunter (2006) als Elemente der LehrerInnen-Professionalität u.a. Professionswissen
(Fachwissen, fachdidaktisches Wissen) und
die sog. ‚beliefs‘. Dabei handelt es sich um
„Überzeugungen, Werthaltungen, motivationale Orientierungen und selbstregulative
Fähigkeiten“ (ebda.). Über den Einfluss von
„beliefs“ auf das Verhalten von LehrerInnen
im Unterricht ist in einer Studie bei Kampshoff
und Walter (2010: 402) nachzulesen. In diesem Aufsatz liegt der Fokus auf zwei ausgewählten Persönlichkeitsmerkmalen, dem Orientierungsstil und der Motivationsstrategie.
Im Folgenden soll der Frage nachgegangen
werden, ob diese beiden Persönlichkeitsmerkmale einen Einfluss auf eine positive Einstellung gegenüber Heterogenität im Sinne
der Binnendifferenzierung haben. Dazu werden die theoretischen Konstrukte dargestellt
und mit empirischen Daten belegt. Die Auswahl hinsichtlich des Orientierungsstils begründet sich u.a. durch empirische Erkenntnisse von z. B. Kempas (1995) oder Huber
und Roth (1999), die einen Zusammenhang
zwischen der Bereitschaft zur Umsetzung bestimmter didaktischer Konzepte und der Ungewissheitsorientierung feststellen konnten.
Das Konstrukt der Autonomieförderung steht
auch bereits bei oberflächlicher Betrachtung offensichtlich im Zusammenhang mit
der Bereitschaft zur Binnendifferenzierung.
Orientierungsstil von LehrerInnen
Untersuchungen zum Orientierungsstil von
LehrerInnen sind im deutschsprachigen
Raum bislang nicht sehr häufig. Huber und
Roth (1999) stellen fest, dass jede Situation
einen Informationswert und einen affektiven
Wert besitzt. Je weniger tatsächliche Informationen verfügbar sind, desto unsicherer ist
die Situation bzw. deren Ausgang. Hier setzt
ES WAR EINMAL ... EINE HOMOGENE LERNGRUPPE
die Untersuchung des Persönlichkeitsmerkmals an. Die zentrale Fragestellung ist dabei
der Umgang mit der Unsicherheit.
Besonders intensiv haben sich Richard Sorrentino und Christopher Roney (vgl. z.B.
Sorrentino & Roney, 2000) mit dieser Frage
auseinandergesetzt. Sie definieren den Orientierungsstil als bereichsübergreifendes
Persönlichkeitsmerkmal, d.h. ein Merkmal,
das in praktisch allen Lebenssituationen zum
Tragen kommt. Weiters stellen sie fest, dass es
sich um ein überdauerndes Merkmal handelt, d.h. einmal gebildet, ist es nur schwer
veränderbar. Die Autoren unterscheiden
in ihrer Theorie zwischen Gewissheits- und
Ungewissheitsorientierung.
Ungewissheitsorientierte Menschen (UOs) sehen in unbekannten Situationen mit Lernpotential etwas
Anregendes, etwas Spannendes. Sie nutzen diese Situationen nicht nur, sie suchen
sie sogar aktiv auf (vgl. Sorrentino & Roney,
2000 4-5). Im Gegensatz dazu versuchen
gewissheitsorientierte Menschen (GOs), genau diese Situationen zu vermeiden. Sie fühlen sich in vertrauten Situationen besonders
wohl, was jedoch nicht bedeutet, dass diese Menschen Neuem gegenüber nicht aufgeschlossen sind. Sorrentino und Roney (vgl.
ebda.: 7) konnten jedoch nachweisen, dass
Misserfolgserlebnisse in ungewissen Situationen von solchen Menschen als besonders
negativ empfunden werden. UOs und GOs
bilden die beiden Enden eines Kontinuums.
Zunächst stellt sich die Frage, wie sich dieses
Merkmal bildet. Huber und Roth (1999: 96)
merken hinsichtlich der Aus­gangslage an:
„Wir können davon ausgehen, dass Menschen nicht gewissheitsorientiert auf die
Welt kommen.“ Im Laufe der Sozialisation
mit Erwachsenen wird jedoch der Orientierungsstil geprägt. Wie schon angemerkt, ist er
bereichsübergreifend und wirkt somit bei LehrerInnen auch im Unterricht. Allerdings konnte
nachgewiesen werden, dass gezielte Interventionen bei UOs und GOs Veränderungen
herbeiführen können (vgl. Kempas 1994).
BEITRÄGE AUS WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG |29
ES WAR EINMAL ... EINE HOMOGENE LERNGRUPPE Hans Peter Gottein
Aufgrund obiger Ausführungen kann vermutet werden, dass GOs das unterrichtliche
Geschehen stärker strukturieren und planen
wollen als ihre KollegInnen mit eindeutiger
Tendenz zur Ungewissheitsorientierung. Es
soll der Frage nachgegangen werden, ob
GOs eine weniger positive Einstellung zum
Umgang mit Heterogenität im Sinne von
Maßnahmen der Binnendifferenzierung haben als UOs. Verschiedene Maßnahmen
der Binnendifferenzierung, die zwangsläufig
vermehrt mit Formen offenen Unterrichts im
weitesten Sinne einhergehen, bedingen Unsicherheit bzw. mangelnde Vorhersagbarkeit unterrichtlichen Geschehens, was GOs
Unbehagen bereitet. Huber und Roth (vgl.
1999: 34-37 bzw. 86-90) konnten dies in einer Fallstudie nachweisen, ebenso Kempas
(1994) und Dalbert (1999). In einer kürzlich
durchgeführten Untersuchung (vgl. Gottein,
2010: 131-132) konnte dieser Zusammenhang ebenfalls belegt werden. 19,4 % der
Befragten (N = 150) konnten eindeutig einer
Gruppe (UO oder GO) zugewiesen werden.
Eine Korrelation nach Pearson erbrachte
ein signifikantes Ergebnis (r = .199, p = .015).
Somit kann festgestellt werden, dass Orientierungsstil und Individualisierung signifikant
positiv miteinander korrelieren, allerdings
ist der Zusammenhang nicht allzu hoch. Es
kann demnach angenommen werden, dass
ungewissheitsorientierte Personen eine positivere Einstellung zur Binnendifferenzierung
haben als Personen, die eher gewissheitsorientiert sind. Dieses Ergebnis stimmt auch mit
den Ergebnissen von Huber und Roth (1999:
34 bzw. 86) überein. Das Autorenteam berichtet, dass gewissheitsorientierte LehrerInnen ihren Unterricht stärker strukturieren und
weniger sozialen Austausch zulassen als ihre
ungewissheitsorientierten KollegInnen.
Motivationsstrategie von LehrerInnen
Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation nach Deci und Ryan (vgl. z. B. Reeve, Deci
& Ryan 2004; Deci & Ryan 2003) versucht –
vereinfacht gesagt – den Zusammenhang
30| BEITRÄGE AUS WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG
zwischen Motivation und Lernen auf Basis einer Theorie des Selbst darzustellen. Es
handelt sich dabei um eine Makrotheorie
menschlicher Motivation, die bis dato im
deutschsprachigen Raum wenig Eingang
in die wissenschaftliche Diskussion bzw. Forschung gefunden hat. Motivationen lassen
sich demnach im Wesentlichen auf drei
Quellen zurückführen, und zwar auf physiologische Bedürfnisse, psychologische Bedürf­
nisse sowie Emotionen (vgl. Deci & Ryan
2003). Edward Deci und Richard Ryan (2002)
unterscheiden in ihrer Selbstbestimmungstheorie vier Komponenten. Im Zusammenhang mit Schule und Unterricht besonders
interessant erscheint die Causality Orien­
tations Theory (COT). Es geht dabei insbesondere um die Zusammenhänge zwischen
Autonomieförderung, Struktur und Kontrol­
le. Die Theorie beschreibt dabei vor allem
Tendenzen zu selbstbestimmtem Verhalten.
Dabei werden drei mögliche Orientierungsvarianten unterschieden: Autonomieorientierung, Kontroll­orientierung sowie unpersönliche Orientierung (führt zu amotiviertem
Verhalten). Demzufolge wird Unterricht von
SchülerInnen nur dann als autonomiefördernd erlebt, wenn er wenig kontrollierend
und gleichzeitig auch sehr strukturiert abläuft. Autonomiefördernder Unterricht hat
demnach nichts mit einem niedrigen Strukturierungsgrad zu tun, im Gegenteil: Nur
durch eine klare Struktur können LehrerInnen
nötige Schritte zum Erreichen der Ziele aufzeigen (vgl. Reeve, Deci & Ryan 2004: 51).
Die Selbstbestimmungstheorie räumt dem
Bereich der intrinsischen Motivation einen
zentralen Stellenwert ein. Dass die Förderung
und Beachtung der intrinsischen Motivation
im schulischen Umfeld – realistisch betrachtet - nicht im Mittelpunkt steht, muss weitgehend akzeptiert werden. Es scheint jedoch
möglich, durch gezielte Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen LehrerInnen zumindest
soweit für diesen wichtigen Themenbereich
zu sensibilisieren, dass durch eine entsprechende Unterrichtsplanung und –gestaltung
Hans Peter Gottein
vorhandene intrinsische Motivation zumindest nicht unterdrückt bzw. zerstört wird (vgl.
Reeve, Deci & Ryan 2004). Dabei ist die Beachtung der weiter oben bereits angesprochenen grundlegenden psychologischen
Bedürfnisse von großer Wichtigkeit. Von Druck
und Kontrollverhalten geprägter Unterricht
ist wesentlich ineffektiver als solcher, der in einer positiven Atmosphäre unter Berücksichtigung der Interessen abläuft. Deci und Ryan
bezeichnen dies als das Paradoxon der Leistung, indem sie feststellen: „The harder you
push the less you get“ (Deci & Ryan 2002, zit.
n. Martinek 2007: 58).
SchülerInnen, die ihre LehrerInnen als autonomiefördernd erleben, entwickeln eher
ein intrinsisch motiviertes Verhalten. Martinek
(2007) fasst die diesbezüglichen Forschungsergebnisse aus verschiedenen Studien von
Deci und Ryan bzw. Hardre und Reeve wie
folgt zusammen (gekürzt):
„„ Autonomiefördernde
Lernumgebungen
korrelieren positiv mit Lerninteresse und
schulischer Kompetenz.
„„ Intrinsische
Motivation fördert effektives
Lernen.
„„ Kontrollierende
Motivationsformen (z.B.
extrinsische Motivation) führen öfter zu
Schulabbruch als autonome Motivationsformen (z.B. intrinsische Motivation).
„„ Selbstbestimmte
Motivationsformen bringen häufiger qualitativ hochwertigere
Lernergebnisse hervor.
„„ Autonomieförderung
führt zu besserer Tiefenverarbeitung des Lernstoffes. Dies bedingt integriertes (vernetztes) und somit
intelligentes Wissen (vgl. Martinek 2007).
Auf der anderen Seite fördert kontrollierendes Verhalten die externe Motivation. Dies
wiederum löst negative Emotionen aus, die
sich in vielfältigster Weise individuell unterschiedlich manifestieren können.
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach den Ursachen für kontrollierende
ES WAR EINMAL ... EINE HOMOGENE LERNGRUPPE
Verhaltensweisen. Lehrerinnen und Lehrer
fühlen sich vielfach von mehreren Seiten
unter Druck gesetzt. Einerseits wird immer
wieder der Druck nach Erfüllung der Lehrpläne genannt. Nicht zu unterschätzen ist
auch Anpassungsdruck an KollegInnen, an
bestimmte althergebrachte Arbeits- und Beurteilungsweisen an bestimmten Schulstandorten, Vorgaben durch Vorgesetzte, FachbereichsleiterInnen und Ähnliches. Dazu
kommt sicherlich noch, dass die Wichtigkeit
autonomiefördernder Maßnahmen in der
Ausbildung zukünftiger Lehrerinnen und Lehrer kaum thematisiert wird (vgl. Reeve 2002).
Martinek (2007) berichtet über eine israelische Studie von Assor und Kollegen. Darin
konnte nachgewiesen werden, dass regelmäßige Leistungstests bei LehrerInnen verstärkt kontrollorientiertes Verhalten bewirken
können. (Vgl. Martinek 2007)
In oben angesprochener Untersuchung
(vgl. Gottein 2010) waren von insgesamt 143
Personen 39 eindeutig kontrollorientiert, 28
eindeutig autonomieorientiert, 76 Personen
wiesen keine eindeutige Tendenz auf. Die
Prüfung von Zusammenhängen zwischen
Kontroll- bzw. Autonomieorientierung einerseits und der Einstellung zu Maßnahmen der
Binnendifferenzierung andererseits ergab
beidseitig hoch signifikante Zusammenhänge. Autonomiefördernde LehrerInnen haben
eine positive Einstellung zu Maßnahmen der
Binnendifferenzierung (r = .264, p = .≤.05),
je kontrollorientierter eine Person ist, desto
skeptischer ist die Einstellung gegenüber Binnendifferenzierung (r = -.221, p ≤.05).
Praxisbezug
Die oben dargestellten Ergebnisse weisen
nach, dass Personen mit Tendenz zur Ungewissheitsorientierung auch eine Tendenz zu
bzw. positivere Einstellung gegenüber Individualisierungsmaßnahmen und Maßnahmen
der Binnendifferenzierung haben. Dies bestätigen u.a. die Erkenntnisse von Kempas (1994)
oder Dalbert (1999). Dieses Ergebnis mag auf
BEITRÄGE AUS WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG |31
ES WAR EINMAL ... EINE HOMOGENE LERNGRUPPE Hans Peter Gottein
den ersten Blick erfreulich erscheinen: Personen, die ungewisse Situationen aufsuchen
bzw. sich in solchen wohlfühlen, sind auch in
der Lage bzw. willig, Individualisierungsmaßnahmen zu setzen. Allerdings stellt sich in
diesem Zusammenhang die Frage nach der
Anzahl der ungewissheitsorientieren LehrerInnen im beruflichen Umfeld. Betrachtet man
die berufliche Situation von LehrerInnen näher, so muss man feststellen, dass diese nicht
gerade förderliche Bedingungen für ungewissheitsorientierte Personen bietet. Eine Entscheidung für den Lehrberuf bringt in der Regel eine klar vorgezeichnete Berufsbiografie
mit sich. Hat man erst die ‚Unsicherheiten‘
der ersten Berufsjahre (Dienstvertragsverlängerung, Versetzungen und andere Unsicherheiten im Dasein von JunglehrerInnen)
überwunden, bewegt man sich in meist klar
vorgezeichneten Bahnen. Aufstiegs- und
Weiterentwicklungsmöglichkeiten sind im
Schuldienst eher dünn gesät, allerdings fällt
auch die Unsicherheit hinsichtlich eines möglichen Arbeitsplatzverlustes oder unklarer Einkommensverhältnisse weg.
Für die Praxis in Aus-, Fort- und Weiterbildung
ergibt dies die Forderung, in der Konzeption
von Unterricht und Seminaren auf die verschiedenen Ausprägungen von Orientierungsstil und Motivationsstrategie so weit wie
möglich Rücksicht zu nehmen. Die Untersuchungen von Kempas (1994) sowie Huber
und Roth (1999) bieten dazu gute Erkenntnisse. Dabei werden Rahmenbedingungen
beschrieben, die die Bedürfnisse aller drei
Gruppen miteinander vereinen können. So
brauchen beispielsweise gewissheitsorientierte Lernende (also auch LehrerInnen in Ausbildung bzw. in der Fort- und Weiterbildung)
individuelle Lernformen, während ungewissheitsorientierte Lernende vermehrt kooperative Lernformen bevorzugen. UOs fühlen
sich in Situationen wohl, in denen ein hohes
Informationsangebot dargeboten wird und
in denen sie sich mit diesem Informationsangebot inhaltlich aktiv auseinandersetzen
können, z. B. durch Diskussionen oder Rollen-
32| BEITRÄGE AUS WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG
spiele. Im Gegensatz dazu brauchen GOs
einen klar strukturierten Handlungsspielraum.
Die Kenntnis dieser Bedürfnisse ermöglicht es
LeiterInnen von Seminaren, eine ausgewogene Balance von Inhalten und Vorgangsweisen zu finden, um den Personengruppen
hinsichtlich des Orientierungsstils zumindest
ansatzweise gerecht werden zu können.
Abschließend muss noch betont werden,
dass ungewissheits- bzw. gewissheitsorientierte LehrerInnen in ihren Klassen sowohl ungewissheits- als auch gewissheitsorientierte
SchülerInnen vorfinden. Je nach Kombination
können sich SchülerInnen von Lehrpersonen
hinsichtlich ihres Orientierungsstils mehr oder
weniger angesprochen bzw. verstanden fühlen. Die Erkenntnisse von Huber & Roth (1999),
Dalbert (1999) und Sorrentino & Roney (2000)
belegen, dass der Orientierungsstil ein überdauerndes Persönlichkeitsmerkmal darstellt,
das sich – einmal gebildet – nur mehr sehr
schwer verändern lässt. Gerade jedoch
LehrerInnen von jüngeren Schüler­Innen
(insbesondere in der Grundschule, aber
auch noch in der Sekundarstufe I) treffen
auf SchülerInnen, die in ihrer Persönlichkeit
noch nicht gefestigt sind, bei denen sich der
Orientierungsstil erst herausbildet. Sicherlich
wird der wesentliche Einfluss aus dem Elternhaus stammen, der Einfluss des schulischen
Umfeldes darf in diesem Zusammenhang jedoch keinesfalls unterschätzt werden.
Individualisierung und Binnendifferenzierung
wurden vor allem in den letzten Jahren intensiv erforscht. Es gibt mittlerweile viele Belege für die positive Wirkung von Individualisierungs- und Differenzierungsmaßnahmen.
In der Umsetzung solcher unterrichtlicher
Maßnahmen kommen jedoch insbesondere
Personen mit Tendenz zur Gewissheitsorientierung und/oder Tendenz zur Kontrollorientierung in eine Konfliktsituation, denn vermehrte
Binnendifferenzierung bringt es zwangsläufig
mit sich, dass man einen Teil der Kontrolle im
Klassenzimmer aufgeben muss und dass die
Planbarkeit – und somit Gewissheit – von un-
Hans Peter Gottein
terrichtlichen Situationen ebenfalls nicht im
gewünschten Ausmaß gegeben ist bzw. gegeben sein kann. Binnendifferenzierung kann
dadurch zum Problem werden, sowohl für
SchülerInnen als auch für LehrerInnen: Eine
„Pseudo-Differenzierung“ durch die Lehrperson kann nicht gelingen, wenn SchülerInnen
durch die Lehrperson wieder stark kontrolliert
werden, sozusagen durch die ‚Hintertür‘. So
wäre es etwa vorstellbar, dass eine Lehrperson SchülerInnen während Phasen des offenen Lernens individuell an Sachverhalten
arbeiten lässt, die dabei erzielten Ergebnisse
jedoch nicht beachtet und am Ende dieser
Phase den SchülerInnen genau vorgibt, welcher Lehrstoff wichtig war, was bis wann zu
lernen ist etc. Ein auf diese Weise scheindifferenzierter Unterricht wird aller Wahrscheinlichkeit nach auch den SchülerInnen als unglaubwürdig erscheinen.
Es stellt sich auch die Frage – und dies wäre
ein äußerst interessanter und hochaktueller
Forschungsanlass – wie sich die Einführung
der Bildungsstandards im Jahr 2009 und der
teilzentralen Reifeprüfung ab 2012 auf die
Motivationsstrategie von LehrerInnen auswirkt. Diese Instrumente wurden als Instrumente der Qualitätssicherung eingeführt.
Sollte es nicht gelingen, LehrerInnen zu vermitteln, dass diese Instrumente eine Hilfestellung für den Unterricht darstellen, werden sie
aller Wahrscheinlichkeit nach als Kontrollinstrumente verstanden werden. Schon 1982
konnten Deci und Mitarbeiter nachweisen,
dass Lehrerinnen und Lehrer, die unter Druck
bzw. Erklärungsbedarf hinsichtlich des Leistungsstandes ihrer SchülerInnen standen, signifikant kontrollorientierter agierten als ihre
Kolleginnen und Kollegen, die diesen Druck
nicht verspürten.
ES WAR EINMAL ... EINE HOMOGENE LERNGRUPPE
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BEITRÄGE AUS WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG |33
DIALOG DER ESSKULTUREN
Ursula Buchner
Dialog der Esskulturen
Ursula Buchner
Die Ernährung des Menschen ist in aller Munde, täglich berichten Medien über verschiedene
Ernährungsthemen, und dank unzähliger Kochshows zu Connaisseurs und Gourmets gebildet,
wissen wir: über Geschmack lässt sich allenfalls „fachsimpeln“, aber nicht streiten. „Chacun à son
goût“: Jeder nach seinem Geschmack. Ist damit nicht schon alles gesagt?
Um dem Paradigma der Vielfalt zu folgen, werden die Dimensionen und Zugänge zu Esskulturen
aus mehreren Perspektiven heraus erschlossen und im Sinne von Diversity Management Orientierungen für mögliche Dialoge der Esskulturen aufgezeigt.
Die Ernährung des Menschen: physiologisches Grundbedürfnis und kulturelles
Regelwerk
So vielfältig wie Menschen und ihre Lebensumstände sind, so vielfältig sind auch die
Esskulturen, die sich in den verschiedenen
Lebenszusammenhängen entwickelt haben.
Esskultur soll hier verstanden werden als jede
konkrete Ausgestaltung der naturgegebenen Notwendigkeit der Nahrungszufuhr und
somit prinzipiell jede Ernährungweise (vgl.
Barlösius 1999). Das Verständnis von Kultur
als „Summe aller materiellen und immateriellen Errungenschaften“ (Methfessel 2005: 7)
des Menschen macht deutlich, dass Ernährung sowohl als naturwissenschaftliches als
auch kultur- und gesellschaftliches Lernfeld
verstanden werden muss und Ernährungs­
pädagogInnen sich deshalb einem integrativen Wissenschaftsverständnis verpflichtet fühlen, das einem Bildungsanspruch im
Sinne von Differenzfähigkeit und Mündigkeit
Rechnung trägt.
Ein Hunger – viele Möglichkeiten satt zu
werden
Alle Menschen der Welt teilen sich die Sorge ums tägliche Sattwerden. Wir benötigen (sauberes) Wasser und Nährstoffe, die
als Inhaltsstoffe unserer Nahrung zu körper­
eigenen Stoffen und Energie umgewandelt
werden („Stoff-Wechsel“). Der Mensch zählt
zu den Omnivoren, die das gesamte Nahrungsspektrum für sich nutzen, und kann sich
dadurch an die unterschiedlichsten Nah-
34| BEITRÄGE AUS WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG
rungsangebote der Regionen anpassen.
Das sichert das Überleben. Anders als Tieren fehlen dem Menschen jedoch instinkt­
gebundene, angeborene Ernährungsweisen. Die damit verbundene Unsicherheit
bezüglich des „richtigen“ Handelns macht
Orientierungswissen (Essbar, nicht essbar?
Roh oder gekocht genießbar?) nötig. Dieses
erwerben Menschenkinder im Zuge ihrer Ernährungssozialisation.
Ernährungssozialisation ist der Prozess der
Aneignung von Handlungsmustern, Werten
und Normen in Bezug auf Essen und Ernährung, Nahrungsbeschaffung, Kostzusammenstellung und -zubereitung, Essverhalten und
Gestaltung des Ernährungsumfeldes.(REVIS,
Glossar)
In der öffentlichen Ernährungskommunikation hat sich eingebürgert, Empfehlungen
für eine „gesunde Ernährung“ in Form von
Essenskreisen und Ernährungspyramiden zu
visualisieren. Abgesehen davon, dass in solchen Visualisierungsmodellen ein arg reduziertes Verständnis von Gesundheit bemüht
wird, mutet angesichts des Ungleichgewichts von Hunger und Sattsein die jüngst in
Österreich ausgetragene Diskussion über die
„richtige“ Anordnung der Lebensmittel in einer „österreichischen“ Ernährungspyramide
grotesk an, da sie den Blick auf Ernährung
als fundamentales Problem der Menschheit
verstellt:
1. B
asis für Nahrungsversorgung und Schutz
vor Krankheit bildet die Sicherstellung der
Ursula Buchner
Wasserversorgung. Trotz vorhandenen
Wissens und trotz verfügbarer Technologien ist der Zugang zu (sauberem) Trinkwasser weltweit nach wie vor nicht zufriedenstellend gelöst.
2. Getreide, Hülsenfrüchte, Knollen und Wurzeln sind welternährungswirtschaftlich gesehen die wichtigsten Energielieferanten
und sichern gemeinsam mit Gemüsen,
Früchten und Samen die Nährstoffversorgung und somit das Überleben.
3. Tierische Lebensmittel (Milchprodukte,
Fleisch, Fisch, Ei) reduzieren das zur Energiebedarfsdeckung notwendige Nahrungsvolumen, da schon kleine Mengen
gut resorbierbare biologisch hochwertige Inhaltsstoffe zur Verfügung stellen. (vgl.
Koerber, Männle & Leitzmann 2004 und
Schlieper 2004)
Schiebt man die Dimension Nahrung auf die
Seite, so eröffnet die „nationale“ Ernährungspyramide dann auch den Blick auf die kulturelle Dimension von Ernährung: In allen Gesellschaften wird nicht alles, was poten­tiell
Nährstoff- und Energielieferant ist, gegessen.
Das gilt vor allem für tierische Lebensmittel,
für die es auch in fast jeder Esskultur Nahrungstabus gibt. Ein Vergleich der Pyramiden
und Essenskreise in österreichischen und z.B.
japanischen Schulbüchern verdeutlicht:
„Es ist biologisch festgelegt, dass Menschen
sich ernähren müssen und dass ihre Nahrung gewissen physiologischen Anforderungen genügen muss, (...) aber es ist nicht biologisch festgelegt, wie er dieses natürliche
Bedürfnis befriedigt, sondern es ist Gegenstand kultureller Gestaltungen und sozialer
Auseinandersetzungen.“ (Barlösius 1999: 37)
Esskultur lernen
Essen ist naturgemäß ein egoistischer Akt:
Was ich hinunterschlucke, bleibt anderen
für immer verwehrt. Die daran geknüpfte
bange Frage: „Ist genug für alle da“? wird
seit alters her mit einem differenzierten Re-
DIALOG DER ESSKULTUREN
gelwerk gelöst, das in seiner Gesamtheit als
Esskultur bezeichnet werden kann.
„Ernährungskultur soll heißen die Gesamtheit der mit der Erzeugung, Verarbeitung,
Verteilung und dem Verzehr von Nahrung in
Zusammenhang stehenden Konfigurationen
des Denkens, Wahrnehmens, Fühlens, Verhaltens und Handelns innerhalb einer Gesellschaft, die durch Symbole vermittelt, in Wertvorstellungen und Normen ausgedrückt und
durch soziale Institutionen auf Dauer gestellt
werden sowie in Waren, Werkzeugen etc.
materielle Gestalt annehmen.“ (Setzwein,
2003: 67f.)
Im sogenannten Drei-Komponenten-Modell
beschreiben Pudel/ Westenhöfer (1991) die
das Essverhalten beeinflussenden Faktoren: Spielt für den Säugling noch die Hunger- und Sättigungswahrnehmung und die
Dringlichkeit, Spannung (Hunger) raschest
zu befriedigen, die größte Rolle, so wird mit
zunehmendem Alter die körperliche Befindlichkeitswahrnehmung überlagert von sozialen Einflüssen (Peers u.a. soziale Modelle)
bis dann im höheren Lebensalter Kognitionen (z.B. subjektive Gesundheitstheorien)
selbst grundlegende Bedürfnisse wie Hunger oder soziale Zugehörigkeit überlagern
können.
Menschen sind fähig, die unterschiedlichen
Sinnesqualitäten
der
aufgenommenen
Nahrung wahrzunehmen und zu bewerten.
Dabei gibt es zwar genetische Dispositionen
(z.B. die Vorliebe für den Geschmack „süß“
als auch die Abneigung gegen Bitteres, beides wird als „Sicherheitsgeschmack“ der Natur interpretiert), aber „guter“ Geschmack
ist in erster Linie durch Wiederholung und
„learning by tasting“ herausgebildete Gewohnheit. Die Gewöhnung an den „guten“
Geschmack - das als „mere exposure effect“ bezeichnete Phänomen - umschreibt
die Tatsache, dass wir lieben, was wir essen,
und nicht, dass wir essen, was wir lieben (vgl.
Ellrott 2009 und Klotter 2007).
BEITRÄGE AUS WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG |35
DIALOG DER ESSKULTUREN
Ursula Buchner
Über die Art der Ernährungsweise kann gesellschaftliche Zugehörigkeit oder Abgrenzung demonstriert werden. Distinktion - nach
der Theorie von Bourdieu - eignet sich besonders gut „zur Erfüllung einer gesellschaftlichen Funktion der Legitimierung sozialer
Unterschiede.“ (Bourdieu 1982: 27) Esskulturlernen ist Diskriminierungslernen und das
Stilmittel der Distinktion dient gleichzeitig als
Mittel der Identifikation. Das Wort identisch
bedeutet zwar ‚dasselbe‘, ‚das Gleiche‘,
das Nomen Identität drückt jedoch gleichzeitig eine gelungene Individualität und damit Einzigartigkeit aus. Menschen entwickeln
ihre individuelle und soziale Identität im Spiegel der Anderen. Der Begriff der „normativen Inversion“ beschreibt, dass Kulturen sich
immer als Gegenkultur zur jeweils geltenden
Herrschaftskultur entwerfen. Im Gegenentwurf findet sich zwar grundsätzlich noch die
ursprüngliche Kultur, gleichzeitig wird sie jedoch vollständig enttabuisiert (vgl. Leitner
2011: 94).
„Eine jede soziale Lage ist mithin bestimmt
durch die Gesamtheit dessen, was sie nicht
ist, insbesondere jedoch durch das ihr Gegensätzliche: soziale Identität gewinnt Kontur und bestätigt sich in der Differenz.“ (Bourdieu 1982: 279)
Essen ist individuelles und situatives Verhalten, das von Emotionen, Kognitionen und
Motiven gesteuert wird, die mit Ernährung
im Sinne physischer Bedarfsdeckung nichts
zu tun haben müssen. Physische, psychische
und soziale Wahrnehmungen und Befindlichkeiten stehen in wechselseitigen Abhängigkeiten zueinander und bedingen und beeinflussen Essverhalten und Ernährungshandeln.
Allzu häufig werden jedoch psychische und
soziokulturelle Einflüsse auf das Gesundheitsbzw. Ernährungsverhalten im Lernfeld Ernährung nur als „Barrieren“ wahrgenommen,
die es zu überwinden gelte. In interkulturellen Debatten werden Unterschiede, wie sie
z.B. in Nahrungstabus sichtbar werden, oft
stellvertretend für die eigentliche Esskultur
36| BEITRÄGE AUS WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG
behandelt und in vielfältigen Erklärungsversuchen gedeutet, rational, dogmatisch,
funktional, hedonistisch oder populistisch argumentiert.
An dieser Stelle können wir den ersten Dialog der Esskulturen eröffnen und uns über
das, was nach außen sichtbar Esskulturen
klassifiziert, austauschen: Nahrungsauswahl
und Würzmittel, Techniken der Nahrungszubereitung und Tischgeräte, Mahlzeitenrhythmen und Tischordnungen … erzählen und
zuhören, artikulieren und respektieren, nachfragen und verstehen: „Was tust du da, und
wie kommst du dazu, das … so zu verstehen,
wie du es tust?“ Die biografische Methode
bietet sich an.
Das Lernfeld Ernährung:
Vielfalt statt Einfalt!
Das über Bildung vermittelte Orientierungswissen erfolgt nach Baumert (in
Klieme 2003: 67f.) durch Erschließung der
Phänomene der Welt über vier mögliche
Modi der Weltbegegnung: der kognitivinstrumentellen Modellierung der Welt, der
ästhetisch-expressiven Begegnung und
Gestaltung, der normativ-evaluativen Auseinandersetzung und ultimaten Fragestellungen. Jeder Modus erschließt die Welt
auf andere Weise, jeder Modus ist für sich
alleine aber unvollständig. Jeder Modus
hat seine eigenen Wahrnehmungsmuster
(Methoden) und die damit verbundenen
Erkenntnisräume, aber eben auch Grenzen. (Vgl. Dressler 2006)
„Aus
naturwissenschaftlicher
Perspektive sieht die Welt anders aus als aus ästhetischer oder religiöser Perspektive. Keine
dieser Perspektiven hat einen prinzipiellen
Geltungsvorrang, keine erschließt die Welt
„besser“ als die andere, sondern immer nur
„anders“. Relativ besser ist eine Welterschließungsperspektive nur jeweils in bestimmten
Frage- oder Handlungskontexten.“ (Dressler
2006: 5)
Ursula Buchner
Menschen nähern sich ihrer eigenen Ernährung sinnlich wahrnehmend und emotional
bewertend: sehen, riechen, schmecken,
spüren,… wir empfinden Wohlbefinden und
Freude oder Abscheu und Ekel. Die Ausstattung des Körpers mit Rezeptoren gestattet
uns einen Zugang zur Nahrung über unsere Sinne. Anlässlich einer gemeinsamen
Mahlzeit eröffnet sich die Möglichkeit eines
täglich neuen Dialogs über das subjektive
Erleben und Empfinden und in diesem Sinn
kommt dem gemeinsamen Essen auch als
Mittel zur Beziehungspflege in Familien mit
Kindern eine bedeutsame Rolle zu.
„Sind genügend Omega-3-Fettsäuren drinnen?“ Funktionale Überlegungen beginnen
vom sinnlichen Vergnügen abzulenken. Aus
der Zusammensetzung des menschlichen
Körpers und Erforschung der Stoffwechselabläufe wird auf den Bedarf von zufuhrpflichtigen Inhaltsstoffen geschlossen. Ein
mechanistisches Körperverständnis ist weit
verbreitet: Gegen Muskelkrämpfe Magnesium, Schokolade als Stimmungsaufheller,
Vi­tamin C bei Erkältungen ... Fragen nach
dem Energie- und Nährstoffgehalt, nach
dem Bedarf und der Bedarfsdeckung über
die Kost werden diskutiert, Essen und Trinken
sind ja grundsätzlich existentielle Lebenserfahrungen, wenngleich die darin tief verwurzelte Sorge ums Überleben in den Wohlstandsgesellschaften auch zu paradoxen
Artefakten führt und der herbeigeredete
Mangel der Ernährungswirtschaft zu satten
Gewinnen verhilft. Die Kunst der Dialogführung im kognitiv-instrumentellen Paradigma
in Zusammenhang mit Ernährungskommunikation besteht darin, interessensgebundene
Manipulationsstrategien zu erkennen und
die buchstäbliche Bevormundung der Ernährungsindustrie zu erkennen.
„Muss/kann/darf/soll ich (etwas) essen/
nicht essen?“ Die normativ-evaluative Auseinandersetzung mit dem Phänomen „Ernährung des Menschen“ bezieht sich auf
Werte und die daraus abgeleiteten Normen
DIALOG DER ESSKULTUREN
und konkreten Handlungsanweisungen, die
unterschiedliche Verbindlichkeitsgrade haben. Normen klären die Beziehungen zwischen Mensch zu Gott (Religion), Mensch
zu Mensch (Gesellschaft und Wirtschaft),
Mensch zu Körper (Medizin) und Mensch zu
Natur (Ökologie):
Eine Kost wird ‚kosher‘ oder ‚halal‘ genannt, wenn sie den religiösen Dogmen
entsprechend kultisch rein ist. Soziokulturelle Regelwerke regeln die Verteilung der
Nahrung in den Dimensionen Zeit, Raum
und soziale Gruppe: wer isst was, wann,
wie viel, wo und mit wem? Sie können
der Vergangenheit verpflichtet sein („gut
ist, weil es bis jetzt immer schon so war“)
oder in die Zukunft weisen (Food Trends).
Der gesamte Produktionskreislauf von der
Herstellung (z.B. Codex Alimentarius) über
Verarbeitung (z.B. HACCP-Konzept) und
Handel (z.B. Marktgesetze) bis zur Werbung (z.B. Health Claims VO) ist mit vielen
Rechtsnormen unterlegt. Die ADI-Werte
normieren Empfehlungen zur Nährstoffzufuhr, die EU-Bio-Verordnungen 834/2007
und 889/2008 sind für Herstellung von BioLebensmitteln verpflichtend.
In pluralistischen Systemen resultieren da­
raus zwangsläufig Wertekonflikte. Wer „Recht
hat“ und was „wahr ist“, lässt sich – auch
wenn diese Simplifizierung gerne gemacht
und gewünscht wird – inhaltlich nicht für
alle Bereiche gemeinsam gültig definieren.
Die Möglichkeit und Notwendigkeit, täglich
aufs Neue Entscheidungen über die eigene Ernährungsweise fällen zu müssen, zwingt
uns Wertehierarchien zu bilden um den Preis
der Verantwortung für die Folgen des Ernährungshandelns. Ist der Gesundheitswert der
Nahrung (Mensch-Körper) oder sind der Genusswert und die Beziehungspflege im gegebenen Kontext (Mensch-Mensch) vorrangig?
Was tun, wenn ökonomische Zwänge ernährungsökologische Ideale (Mensch-Natur) torpedieren? Dialoge, die nach der DilemmaMethode geführt werden, bieten sich an.
BEITRÄGE AUS WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG |37
DIALOG DER ESSKULTUREN
Ursula Buchner
„Essen wir, um zu leben, oder leben wir, um
zu essen?“ Das Lernfeld Ernährung lässt sich
auch über ultimate Fragen nach dem Sinn
des Seins erschließen, die Fragen des „Woher? – Wohin? - Wozu?“ des menschlichen
Daseins greifen Philosophie und Religion auf.
Nach Dressler befähigt Bildung, Phänomene
der Welt aus unterschiedlichen Perspektiven
zu erschließen und zu erkennen, dass damit
auch Grenzen (blinde Flecke) verbunden
sind. Bildung ist nicht einheitswissenschaftliche Weltsicht, sondern Differenzfähigkeit: die
Fähigkeit zum Perspektivenwechsel und dem
damit verbundenen Unterscheidungsvermögen der Weltwahrnehmung in beruflichen,
gesellschaftlichen oder privaten Systemzusammenhängen. (Vgl. Dressler 2006: 7)
„...[Allgemeinbildung bedeutet] die Fähigkeit, die Probleme eines verantwortlichen
Weltumgangs ökonomisch, ethisch, pädagogisch, politisch, ästhetisch und religiös zu
reflektieren und zu begreifen, dass zwischen
diesen unterschiedlichen Deutungsmustern
kein harmonisches Verhältnis herstellbar ist.“
(Dressler 2006: 8)
Regelwerke zur Gestaltung eines „guten
Lebens“ gehören seit der Antike zur Philosophie. Die Diätetik - die Lehre vom „rechten und guten Leben“ - ist eine Teildisziplin
der Ethik. Regelwerke zu kennen ist gerade
heute in einer Zeit des Wegfalls traditioneller Autoritäten eine Orientierungshilfe in der
schier unübersichtlich gewordenen Vielfalt
der Ansprüche an Ernährungsentscheidungen, an Begründungen für unser Handeln
und Wählen in Bezug auf Lebensmittel und
Lebensgestaltung.
„Unter dem Begriff Ernährungserziehung
werden alle Lernprozesse, die im Zuge der
Ernährungssozialisation (der Übernahmen
von Werten und Normen) im familiären,
schulischen, beruflichen oder freizeitlichen
Kontext ablaufen, subsummiert. Diese Lernprozesse können gezielt auf die Beeinflus-
38| BEITRÄGE AUS WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG
sung des Ernährungsverhaltens gerichtet
sein oder andere Lernprozesse begleiten
(z.B. Gemeinschaftserziehung: Erziehung zu
regelkonformem Verhalten auch bei Tisch)“.
(Thematisches Netzwerk Ernährung 2009: 3)
Bildungsbedarf wird evident, wenn es da­
rum geht, Orientierungen im Ernährungshandeln nicht nur zu kennen und anwenden zu können, sondern auch zu erkennen,
ob die gewählte Perspektive der jeweiligen
Situation angemessen ist. Ernährungsbildung
erschließt im Unterschied zu Ernährungserziehung das Lernfeld Ernährung mehrperspektivisch, umfasst alle Dimensionen des
Lernfeldes und Modi der Weltbegegnung,
nicht nur das normative Paradigma:
„Mit dem Begriff ‘Ernährungsbildung‘ wird
der Anspruch auf eine ganzheitliche Persönlichkeitsbildung erhoben. Ausgehend von
einem Menschenbild, das auf der Fähigkeit
zur Reflexion des Handelns aufbaut, soll die
Fähigkeit und Bereitschaft, sich für eine bedarfsgerechte und nachhaltige Ernährung
entscheiden zu können, gefördert werden.
Bildung stellt den Menschen, der isst und
trinkt, in den Mittelpunkt, nicht die Nahrung
als solche. Sie nimmt für sich in Anspruch,
dem Menschen jene Sach-, Handlungs- und
Entscheidungskompetenzen zu vermitteln,
damit dieser selbstverantwortlich das Problem Ernährung in den einzelnen Lebensbereichen und Lebensphasen zufrieden
stellend lösen kann. Das Problem Ernährung
wird dabei umfassend im gesamtgesellschaftlichen und welternährungswirtschaftlichen Kontext gesehen“. (Thematisches
Netzwerk Ernährung 2008: 5)
Der Zugang über die vier Modi der Weltbegegnung soll zum Verständnis der erfrischenden Meinungsvielfalt beitragen, die es im
Lernfeld Ernährung gibt. Wenn wir uns Esskulturen über ästhetisch-expressive, kognitiv-instrumentelle, normativ-evaluative als auch ultimate Fragestellungen nähern, eröffnet sich
ein weites Feld für intra-, inter- und transkultu-
Ursula Buchner
relle Dialoge. Dialoge der Esskulturen können
innerhalb eines Modus geführt werden oder
das Spannungsfeld zwischen unterschiedlichen normativen Kontexten beleuchten.
Ein so verstandener Dialog der Esskulturen
leistet einen Beitrag zur Allgemeinbildung,
fördert Reflexivität (Selbst-Bewusstsein) und
Differenzfähigkeit (Mündigkeit) im Umgang
mit Vielfalt.
Thesen zum Umgang mit Vielfalt im
Lernfeld Ernährung
Durch Bildungsarbeit im Lernbereich Ernährung sollen „Schülerinnen und Schüler befähigt werden, sich für eine der Gesundheit
dienliche Ernährungsweise entscheiden zu
können“. Im Beitrag des Faches Ernährung
und Haushalt zu den Aufgaben der Schule heißt es weiter: „Verantwortungsvolles
Verbraucherverhalten durch nachhaltige
Nutzung von Ressourcen; Kultur des Zusammenlebens und partnerschaftliche Arbeitsteilung in Fragen der Alltagsgestaltung; Orientierungen für die Entwicklung sozial- und
gesundheitsverträglicher Lebensstilkonzepte“. (BMUKK Fachlehrplan Ernährung und
Haushalt 2000)
These 1: Dialoge zur Esskultur sind fair
zu führen
Der Dialog der Esskulturen beginnt als intraschulischer Dialog. Er stellt sicher, dass die Bildungsanliegen im Lernfeld Ernährung nicht
durch die Art und Weise des Verpflegungsangebots in der Schule konterkariert werden.
Ernährungssozialisation findet auch in der
Schule durch das Nahrungsangebot am
Schulbüffet und die Gestaltung von Essenssituationen in der Schule statt. Es ist unfair, Unmündige für ihre „falsche“ Lebensmittelauswahl zu verantworten und dies auch noch
als Legitimation für ein nicht-nachhaltiges
Nahrungsangebot innerhalb der Schule zu
verwenden!
DIALOG DER ESSKULTUREN
Die Verantwortung für eine bedarfsgerechte,
gesundheitsförderliche Ernährung des Kindes und nachhaltige Angebotsgestaltung
liegt bei den Erwachsenen. Ein Kind muss
sich verlassen können, dass die Nahrung, die
es angeboten bekommt, zu seinem Wohl
beiträgt. Wie in anderen Lebensbereichen,
in denen Erwachsene für Kinder Entscheidungen fällen, muss hier der Vertrauensgrundsatz herrschen. Erwachsenen ist zuzumuten, dass sie über die zugrundeliegenden
Entscheidungskriterien Bescheid wissen und
auch Konfliktentscheidungen (z.B. Preis versus Gesundheitswert) dem Kindeswohl entsprechend lösen. Kindgerechte Ernährungsentscheidungen eröffnen dem Kind die
Freiheit der Wahl zwischen zwei grundsätzlich gesundheitsfördernden Produkten. (Vgl.
Thematisches Netzwerk Ernährung 2009: 4)
These 2: Dialoge legen Orientierungen
offen
Das im Paradigma der Vielfalt enthaltene
Prinzip für Diversity Management lautet: Die
Suche nach Gemeinsamkeiten steht dabei
im Vordergrund.
Wie „gesunde“ Ernährung in den Übungen
zur Nahrungszubereitung im Unterricht veranschaulicht wird, ist im Lehrplan nicht weiter geregelt. Die Lehrkraft wird bestimmte
Lebensmittel auswählen, um ein sachlich
relevantes Zubereitungskriterium zu demonstrieren und zu üben, wie z.B. das Dampfgaren. Der Aushandlungsprozess „Was kochen
wir heute?“ innerhalb der Lerngruppe kann
aber auch als beispielhafter Lernanlass für
soziales Lernen dienen. Das Aushandeln unter Berücksichtigung von sach- und situationsgerechten Kritierien erfordert Zeit, die mit
der notwendigen Übungszeit zur Nahrungszubereitung konkurriert, sich aber als wertvolle
Lernzeit für sozialintegratives Lernen im Unterricht in Ernährung und Haushalt legitimiert.
Wo Menschen miteinander leben und arbeiten, gibt es unterschiedliche GestaltungsBEITRÄGE AUS WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG |39
DIALOG DER ESSKULTUREN
Ursula Buchner
wünsche, wobei die zugrundeliegenden
normativen Modelle dazu selten bewusst
sind, da die eigenen kulturellen Handlungsmuster als „normal“ und „natürlich“ angesehen werden. Es ist nicht nur in der Ernährungspädagogik eine Herausforderung, mit
Blick durch die eigene kulturelle Brille interkulturelles Verständnis zu fördern.
„Um den unterschiedlichen Wert- und Normvorstellungen zur Lebensgestaltung gerecht
zu werden, sind unterschiedliche Lösungstrategien zuzulassen.“ (BMUKK 2000)
These 3: Verantwortlichkeitskonzepte
erfordern die Auseinandersetzung mit
Dilemmata
Dialoge über Esskultur und Ernährung in
der Schule greifen einen sehr persönlichen
und familiär (vor)gestalteten Lebensbereich
des Menschen auf. SchülerInnen stehen im
Spannungsfeld zwischen der gelebten Esskultur in der Familie und den in der Schule
thematisierten
Entscheidungsgrundlagen
wie Gesundheit und Nachhaltigkeit. Je konkreter die Bildungsarbeit in der Schule sich
mit Essen beschäftigt und damit den soziokulturellen Kontext, religiöse Überzeugungen,
bewährte familiäre Gewohnheiten und populäre Meinungen über Tatsachen berührt,
desto offensichtlicher werden Divergenzen.
Man könnte fast geneigt sein zu behaupten,
dass ein abstrakt gehaltener, naturwissenschaftlich-technisch orientierter Ernährungsunterricht eine Form der Konfliktvermeidung
ist, da er Distanz und Hierarchie gegenüber
dem Elternhaus aufrechterhält.
Kaum ein Konsumfeld ist so ressourcenaufwändig und trägt so offensichtlich zum Ungleichgewicht von Wohlstand und Hunger
bei wie die Ernährung des Menschen. Jeder
Ernährungsentscheidung wohnen Ziel- und
Interessenskonflikte inne, die schwer zu bewältigen sind, wollte man sich täglich neu
einer bewussten Entscheidungsfindung widmen. Es bilden sich Routinen aus, die kogni-
40| BEITRÄGE AUS WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG
tive Dissonanzen ausblenden und vor Überforderung schützen. Es braucht Dialoge, die
sich nicht in moralisierender Weise einer Katastrophenpädagogik bedienen, sondern
die Urteilsfähigkeit und die Bildung von Verantwortlichkeitskonzepten unter dem Paradigma der Nachhaltigkeit unterstützen.
These 4: Wissen über Kulturtechniken ist
(noch) nicht interkulturelle Kompetenz
Das kulturelle Erforschen von Nahrungsmittelbeschaffung, -erzeugung, -zubereitung
und -konsum in den unterschiedlichen Regionen der Welt bietet auf allen Bildungsstufen - vom Kindergarten bis zur Universität
- die Möglichkeit, Gesundheitswissen und Bildung für nachhaltige Entwicklung zu vermitteln. Besonders im Kulturvergleich (z.B. Brotkulturen, Gartechniken) wird Wissen über
Kulturtechniken sichtbarer, lassen sich Gemeinsamkeiten und Unterschiede (z.B. Würzmittel) erkennen. Kulinarische Weltreisen
mit der damit verbundenen Küchenpraxis
werden von SchülerInnen in der Regel „geliebt“, entsprechen diese doch dem „natürlichsten“ Zugang zu Ernährung über die
sinnästhetische Begegnung und expressive
Gestaltung.
Die Gefahr, dass mit der folkloristischen Zubereitung von regionalen „Länderküchen“
die Andersartigkeit des Anderen als quasi
natürlich verabsolutiert wird, ist gegeben.
Ob der Bildungsanspruch kulturelle Kompetenz durch einen solcherart verstandenen
Aktionismus erfüllt wird, ist fraglich.
These 5: Die Gefahr des Kulturalismus
ist gegeben
Das Phänomen „Kultur“ wird für vielerlei soziale Probleme (politische, ökonomische,
soziale) und die Festschreibung von Unterschieden in kulturellen Differenzen (vgl.
Gürses 2010) verwendet. Damit wird die
Andersartigkeit des Anderen als natürliche
Erscheinung verabsolutiert und bestenfalls
Ursula Buchner
im politisch korrekten Diskurs als „Diversität“
erkannt, im schlimmeren Fall als Kulturalismus
verstanden. (Vgl. Leitner 2011: 99)
„Versuche, Kultur zum Gegenstand von
Lern-, Kompetenzerwerbs und Bildungsmaßnahmen zu machen, führen demnach zur
weiteren Kulturalisierung, zur Reproduktion
von kulturellen Klischees, zur Verschleierung
von Machtbeziehungen sowie von gesellschaftlichen Strukturen der Ungleichheit.“
(Gürses 2010: 285).
Eine Überforderung der Heranwachsenden,
deren lokale Umgebung von nationalen
Perspektiven geprägt wird, mag nicht verwundern. Jugendliche auf dem Weg zur
Identitätsfindung sind, auch wenn sie Kinder
und Jugendliche mit Migrationshintergrund
sind, nicht vorrangig Kulturträger, sondern
pubertierende Jugendliche auf der Suche
nach einem Selbstkonzept, die möglicherweise als eine Strategie zur Abgrenzung und
Identitätsfindung kulturelle Stereotype ebenso wie ihre Lehrkräfte benutzen. Das Konzept
„Interkulturelle Bildung“ und die Theorien zur
„interkulturellen Kompetenz“ sind kritisch zu
hinterfragen, weil sie womöglich manifestieren, was sie zu lockern vorhatten.
„Kulturalität soll auf eine jeweils besondere
Konstellation von Geschichte, Machtverhältnissen, Wissen und Handlungsmöglichkeiten hindeuten. Diese Konstellation ist nicht
überall und zu jeder Zeit gleich. Ein solches
Konzept will die Aufmerksamkeit gegenüber
dieser Differenz (Kulturalität) zum Prinzip erheben.“ (Gürses 2009: 294)
These 6: Mädchen essen anders, Burschen auch
Ein weiterer Ansatz für die Wahrnehmung
und Erklärung von Heterogenität lenkt die
Aufmerksamkeit auf die gesellschaftliche
Konstruktion von Geschlechterrollen. Eine
im Sinne des Gender Mainstreaming geforderte geschlechtersensible Pädagogik ist
DIALOG DER ESSKULTUREN
im Unterricht in Ernährung und Haushalt in
mehrfacher Weise bedeutsam. Zum einen
haben Mädchen und Jungen mit Beginn
des Wachstumsschubs in der Pubertät tatsächlich unterschiedliche Bedarfe an Energie und Nährstoffen. Zum anderen stellen
Männer und Frauen – und damit auch Mädchen und Burschen - jeweils unterschiedliche Erwartungen an Ernährung und damit
verbundene Körpermodellierung. Das spiegelt sich auch in den Ernährungsberichten
und Daten zum Lebensmittelverzehr wider.
Drittens kommen im Ernährungsunterricht
noch mögliche Schwierigkeiten mit der eigenen Rollenfindung im Haushalt zum Tragen, die sich auch in der Verweigerung der
Mitarbeit in der Schulküche oder dem „Vergessen“ der Arbeitsschürze - als Attribut einer weiblichen Rolle - äußern können.
Dialoge der Esskulturen unterstützen die Meinungsbildung zu Themen, die geschlechtersensibel bearbeitet werden müssen, wie z.B.
Ernährung und Körpermodellierung oder
Fragen der Zuständigkeit von Männern und
Frauen für Ernährung und damit verbundener Hausarbeit im Privathaushalt. Wichtig erscheint, dass diese Themen nicht nur in geschlechtshomogenen Gruppen bearbeitet
werden, sondern eben auch gemischtgeschlechtlich thematisiert werden. So können
Geschlechterstereotype in der Wahrnehmung (z.B. Werbung, Models) auch hinterfragt werden. Wird die soziale Arbeit, die in
der familiären Ernährungsfürsorge steckt,
sichtbar gemacht, kann die damit verbundene Rolle auch Wertschätzung erfahren.
These 7: Grenzen überschreiten - Kompetenzen abgeben
Im Idealfall schafft Ernährung und Essen in
der Schule Platz für Sinnlichkeit und Sinnes­
erfahrung, Genuss und Wohlbefinden. Kinder und Jugendliche erleben jedoch auch
Essensmarotten, „geschmackliche“ Mutproben und andere extrem anmutende Experimente wie z.B. Wettessen und Saufgelage.
BEITRÄGE AUS WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG |41
DIALOG DER ESSKULTUREN
Ursula Buchner
Wie in jedem Verhaltensbereich des Menschen finden auch in Bezug auf Essen Übertreibungen statt und die Grenzen zu Bulimie
und Anorexie, Orthorexia Nervosa oder Binge Eating Disorder können überschritten
werden.
Dialoge der Esskulturen führen bedeutet
hier: über Wahrnehmungen reden können,
ohne gleich jede extrem anmutende Variante der Esskultur zu pathologisieren und zu
pädagogisieren. Die Grenzen zwischen ernährungspädagogischen und ernährungstherapeutischen Interventionen sind zwar
fließend, die Grenzen der eigenen Kompetenz im Lehrberuf sollten jedoch klar sein.
Hauptsache, es schmeckt!
Esskultur lernen ist ein unterschätzter Bildungsauftrag. Neben der Sicherung der
demokratischen Grund- und Freiheitsrechte bleibt die nachhaltige Sicherung der
Lebensgrundlagen eine permanente Lebensfrage der Menschheit. Dennoch ist die
grundlegendste kulturelle Errungenschaft
des Menschen – Ernährungssouveränität –
kein selbstverständliches Bildungsgut.
In einer „Grundstruktur der Allgemeinbildung“ hat Jürgen Baumert (zitiert in: Klieme
2003: 68) die vier Modi der Weltbegegnung
den Unterrichtsgegenständen des Fächerkanons der allgemein bildenden Schulen
zugeordnet. Ein Unterrichtsfach Ernährung
kommt in dieser Grundstruktur der Allgemeinbildung nicht vor – das Fehlen lässt sich
aus der Geschichte des Schulwesens zwar
erklären – angesichts der ungelösten Schlüsselprobleme der Welt (vgl. Klafki 1994) in Bezug auf Zugang zu und gerechte Verteilung
von Ressourcen ist die Fortschreibung des
Mangels an Ernährungsbildung heutzutage
aber unverständlich.
42| BEITRÄGE AUS WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG
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Hannes Tropper, Josef Schlömicher-Thier
DIE BERUFSSTIMME AM STIMMARBEITSPLATZ SCHULE
Die Berufsstimme am
Stimmarbeitsplatz Schule
Das Stimmbetreuungsprojekt der Pädagogischen Hochschule Salzburg
Hannes Tropper, Josef Schlömicher-Thier
Die Expertengruppe LehrerInnenbildung Neu des Unterrichsministeriums richtet in ihren Ausgangsüberlegungen den Fokus auf die PädagogInnen-Persönlichkeit, ihre Kompetenzen, ihre Einstellungen und ihre Fähigkeiten. Betrachtet man das Anforderungsprofil für LehrerInnen, weisen
wissenschaftliche Arbeiten das Berufsprofil als überaus kommunikations-, stimmintensiv und
stimmbelastend aus. Daher stellt die stimmliche Konstitution und die Fähigkeit, mit seiner Stimme richtig umzugehen zweifellos eine Grundkompetenz für dieses Berufsfeld dar.
Die Anzahl an Berufen mit hohen stimmlichen
Anforderungen nimmt stetig zu. Heute sind
80 bis 90 Prozent aller ArbeitnehmerInnen
beruflich auf ihre Stimme angewiesen. Eine
Begleiterscheinung dieser Entwicklung ist die
steigende Zahl von Stimm- und Sprechstörungen. Besonders davon betroffen sind LehrerInnen. (Vgl. Medical Tribune 2008)
von etwa 80dB, die sich in bestimmten Unterrichtssituationen, wie z.B. dem Sportunterricht bis auf 115dB erhöhen kann.
Abb. 2: Der Alltag der Lehrerstimme (Hammann
2004:163)
Abb. 1: Berufliche Stimmbelastung (Gaipl 2010: 61)
PädagogInnen sind am Stimmarbeitsplatz
Schule einer Sprech-Dauerbelastung ausgesetzt. Kaum ein anderer Beruf zeigt eine
zeitlich vergleichbare Sprechdauer von vier
bis acht und auch mehr Stunden und das
durchgehend. Die Lehrperson hat etwa
pro Unterrichtsstunde zwei- bis dreihundert
wechselnde
Kommunikationssituationen
bzw. PartnerInnen, d.h., sie wechselt zwei- bis
dreihundert Mal die KommunikationspartnerInnen. Wenn man sich einen leeren Klassenraum vorstellt, in dem sich noch kein einziger
Mensch aufhält, herrscht dort eine Lärmbelastung von etwa 35 bis 54 dB. Befinden
sich in diesem Klassenraum SchülerInnen,
kommt man auf eine Sprechlärm-Belastung
Trockene, staubige Luft infolge ungenügender Raumklimatisierung erhöht zudem
die stimmliche Belastung. Moderne Pä­
dagogik fordert zusätzliche Stimmaktivitäten außerhalb des regulären Unterrichts:
bei Exkursionen, Sport- und Kulturwochen,
Schulschikursen, Sportfesten, im Pausenhof
u.a. PägagogInnen suchen aus allen Berufsgruppen mit Abstand am häufigsten
Stimmfachärzte wegen ihrer Stimmprobleme auf. Sie sorgen sich mehr als alle anderen, ob sie ihre Berufskarriere durchhalten
können, und erleben ihre Stimmprobleme
stärker als Beeinträchtigung ihrer Tätigkeit.
(Vgl. Amon 2009,9) Etwa die Häfte hält ihr
Stimmproblem für eine Quelle von Frustra­
tion und Stress und gesteht auch eine
BEITRÄGE AUS WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG |43
DIE BERUFSSTIMME AM STIMMARBEITSPLATZ SCHULE Hannes Tropper, Josef
effektive Unterrichtsverschlechterung ein,
die damit einhergeht.
Abb.3: Gesundheitliche Beschwerden bei LehrerInnen
(LehrerIn 2000: 167)
Jede neunte Lehrerperson hat ständig Probleme mit dem Hals oder der Stimme, weitere 61% geben an, zeitweise unter diesen
Beschwerden zu leiden. Das bedeutet, fast
drei Viertel der LehrerInnen verspüren in dieser Hinsicht Beschwerden. Das am weitesten
verbreitete Gesundheitsproblem der LehrerInnen geht nach Meinung der Befragten
zum größten Teil auf den Lehrberuf zurück.
(Vgl. LehrerIn 2000: 167/168)
Die in Österreich bislang unbeachtete volkswirtschaftliche Dimension von Stimmproblemen hat inzwischen international beträchtliche Ausmaße erreicht. Man spricht von
einem teuren Massenproblem. In Großbritannien sind rund fünf Millionen ArbeitnehmerInnen von regelmäßigem Stimmverlust
betroffen. In den USA betragen die Folgekosten von Stimm- und Sprechstörungen bereits 2,5% bis 3% des BIP. (Vgl. Medical Tribune
2008) Auch Österreich ist davon betroffen.
Bereits 1997 beschäftigte sich das Austrian
Voice Institute unter der Leitung des Salzburger Stimmarztes Josef Schlömicher-Thier mit
diesem Problem. Eine Studie zeigte schon
damals, dass LehrerInnen das Fortbildungsangebot einer Stimmtrainingswoche in den
Sommerferien einerseits liebend gerne annahmen und andererseits eine stimmliche
Problematik aufwiesen, die denjenigen LehrerInnen entsprach, die bereits mit entspre-
44| BEITRÄGE AUS WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG
Schlömicher-Thier
chenden massiven Diagnosen in der Praxis
eines HNO-Arztes bzw. Phoniaters in Behandlung waren. (Vgl. Schlömicher u.a. AVI, Studie 1997/1998) Es wurden daraufhin in der
Steiermark in Zusammenarbeit mit dem
Landesschulrat und dem Pädagogischen
Institut Fortbildungsseminare eingerichtet
und in Zusammenarbeit mit der Beamtenversicherung und der Kur- und ThermenAG ein Stimmkurmodell für Bad Gleichenberg entwickelt und erfolgreich erprobt. Bis
zum Jahr 2000 nahmen rund 300 steirische
PädagogInnen an Veranstaltungen dieser
Programme teil, die danach wieder abgesetzt wurden. Die neueste österreichische
wissenschaftliche Arbeit zu dieser Thematik
zeigt, dass die Problematik unverändert vorzufinden ist. Von insgesamt 484 AHS-LehrerInnen in Kärnten waren 245 (51%) Personen
aufgrund von Stimmstörungen auch bereits
im Krankenstand, davon drei Viertel Frauen
(183, 75%) und ein Viertel Männer (62, 25%),
wie die folgende Statistik zeigt.
Abb. 4: Leistungseinschränkung bzw. Krankenstand
aufgrund von Stimmstörungen (Kutej 2011,91)
Kosten durch allgemeine Arztbehandlungen
bzw. Medikamente, Kosten durch Behandlungen in Rehabilitationskliniken (16-20% aller
PatientInnen sind LehrerInnen), Kosten durch
Unterrichtsausfall / Supplierungen und Kosten durch Frühpensionierungen entstehen,
wurden jedoch nicht hochgerechnet. (vgl.
Hammann 2004: 167) Die gestörte Lehrerstimme hat Auswirkungen auf die SchülerInnen. Diese imitieren nämlich auch unphysiologische Verhaltensweisen. Schüler nehmen
Inhalte signifikant schlechter auf, die von
Hannes Tropper, Josef Schlömicher-Thier
einer stimmgestörten Person vermittelt werden. (Vgl. Hammann 2004: 164) Die Untersuchung von Schahnaz macht deutlich,
dass ca. 45% stimmgestörte LehrerstudentInnen unter den ProbandInnen zu finden
waren. Damit gleichen die Zahlen älteren
Daten. Pathologische Stimmbefunde sollten früh diagnostiziert und behandelt werden, möglichst bevor es zur Aufnahme eines
sprechintensiven Berufes kommt. Prophylaktische Maßnahmen zur Stimmbeurteilung
sind deshalb von Seiten der PhoniaterInnen
unbedingt zu fordern. Eine Stimmüberprüfung vor Berufsbeginn in einem Sprechberuf
wäre eine denkbare Umsetzung dieser Forderung, wobei neben den üblichen subjektiven Untersuchungen auch objektive Tests
in die Tauglichkeitsuntersuchung einbezogen werden sollten. (Vgl. Schahnaz 2004:
56) Schneider-Stickler betont diesbezüglich:
„Man kann konstitutionell schwache Stimmen trainieren. Unser Ziel muss sein, unter
den zukünftigen Stimmberuflern diejenigen
herauszufinden, die eine konstitutionelle
Stimmschwäche haben.“ (Schneider-Stickler 2008: 16) Im Jahr 2002 begann die Pädagogische Hochschule Salzburg auf Initiative
des damaligen Vizerektors Gottfried Niedermüller im Bewusstsein der Verantwortung
der Ausbildungsinstitution, sich der Problematik ernsthaft anzunehmen und installierte
gemeinsam mit Josef Schlömicher-Thier das
Stimmenscanning und den Freigegenstand
„Stimmtraining“. Neben der stimm- und arbeitsmedizinischen Betreuung durch den
Arzt wurde die stimm- und sprechpädagogische Betreuung des Projektes einem Stimmpädagogen übertragen, der selbst aus der
Berufsgruppe kommt und daher über die
dafür wichtige Einsicht verfügt, sich in die
Probleme der LehrerInnen einfühlen kann
und die Faktoren der Stimmbelastung im Unterricht aus eigener Erfahrung kennt.
Im Stimmenscanning werden alle Studierenden des 1. Semsters erfasst. Der Ablauf wurde im Laufe der Jahre so optimiert, dass pro
Probanden ein Zeitrahmen von 20 Minuten
DIE BERUFSSTIMME AM STIMMARBEITSPLATZ SCHULE
Abb. 5: Stimmenscanning / PH-Salzburg / Testanordnung / technische Einrichtung
ausreichend ist. Grundlage für die wissenschaftliche Gestaltung des Testablaufes sind
das Stimmdiagnostik-Protokoll der European
Laryngological Society (ELS) und der Voice
Handycap Index (VHI/SSI) nach Nawka in
der deutschen Fassung. Das Stimmenscanning, bestehend aus Perzeption, akustischen
und aerodynamischen Messungen und subjektiver Selbstevaluation, wird durch zwei
Personen, den Stimmpädagogen und den
Stimmarzt oder seine Assistentin durchgeführt. Das einzig relevante Messinstrument in
der Perzeption ist das geschulte Ohr des Untersuchers, des Stimmpädagogen und des
Stimmarztes. EDV-unterstützt wird das Stimmenscanning durch das Ling Waves digital
System for Speech and Voice / Stimmfeld
VDC 2007, das die PH-Salzburg 2010 dafür
angekauft hat. Die Ergebnisse des Tests werden auf einem eigens dafür entwickelten
Stimmstatusblatt eingetragen. Perzeptiv erfolgt die Funktionsanalyse der Sprechstimme
(Stimmeinsatz, Stimmansatz, Resonanz, Tragfähigkeit, Prosodie, Artikulation, Sprechtempo, Nasalität) während des Lesens des im
deutschsprachigen Raum eingeführten
Testtextes: „Der Nordwind und die Sonne“ in
Verbindung mit einer Tonaufnahme, gespeichert in Ling Waves und dem Probanden
als Feedback vorgespielt. Im Rahmen der
akustischen Messung werden die Ruftonlautstärke (mind.: 91dB w, 96dB m) und der
Tonumfang (mind.: 24 Halbtöne) gemessen
sowie die Indifferenzlage mit dem Messprogramm und ohrenakustisch überprüft. Die
BEITRÄGE AUS WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG |45
DIE BERUFSSTIMME AM STIMMARBEITSPLATZ SCHULE Hannes Tropper, Josef
Stimmqualität wird nach dem Dysphonia
Severity Index (DSI Referenzwert: ≥ 4,4) in
Verbindung mit der perzeptiven ohrenakustischen Beurteilung nach der RBH-Skala nach
Seidner-Wendler beurteilt. Aerodynamisch
wird die Tonhaltedauer in Sekunden gemessen und in Ling Waves gespeichert (m = ≥
20 sec., w = ≥ 15 sec). Die subjektive Selbstevaluation erfolgt mit dem VHI-Fragebogen
durch den Probanden selbst. Am Ende des
Testablaufes bekommen die Probanden ein
mündliches und schriftliches Feedback in
Form des doppelseitigen Feedback-Blattes
der PH-Salzburg, das einerseits den Studierenden persönlich mitgegeben und andererseits im Studienakt zur Dokumentation
abgelegt wird. Die Studierenden werden
vier Gruppen/Klassen zugeteilt, je nachdem,
Abb. 6a und 6b: Klasse I - Stimmfeld
46| BEITRÄGE AUS WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG
Schlömicher-Thier
wie sich ihre Stimmbeschaffenheit bzw. ihre
Basiswerte konstituierten.
Gruppe/Klasse I: In die erste Gruppe werden Studierende aufgenommen, die außer­
ordentlich gute Basiswerte, sowohl in der
stimmphysiologischen als auch in der stimmpädagogischen Beurteilung bei der gesamten Stimmuntersuchung erzielten.
Gruppe/Klasse II: In der zweiten Gruppe
werden diejenigen angesiedelt, die keine
pathologisch auffälligen Werte zeigten und
gute Basiswerte aufwiesen.
Gruppe/Klasse III: Der dritten Gruppe werden Personen zugeteilt, die einen Sprechstimm- und/oder Sing-Förderbedarf erkennen lassen. Diese Personen weisen explizit
keine pathologisch auffälligen Werte auf, je-
Abb. 7a und 7b: Klasse II - Stimmfeld
Hannes Tropper, Josef Schlömicher-Thier
doch zeigen sie einen physiologisch auffälligen Stimm- und Sprechbefund. Der Besuch
des Freigegenstandes Stimmtraining wird
dringend empfohlen.
Gruppe/Klasse IV: Die Personen, die der
vierten Gruppe zugeteilt werden, erzielen
schlechte Basiswerte. Es wird ihnen nahegelegt, sich einer stimmärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Auch wird ein Stimmtraining dringend empfohlen. Personen der
Gruppe/Klasse IV wiesen nach einer phoniatrischen Untersuchung folgende Diagnosen auf: Stimmlippenödem, Stimmlippenpolyp, Allergie, Zyste, beginnende Knötchen,
Refluxlaryngitis, Hyperfunktion, Hypofunktion,
Asthma, psychogene Stimmstörung, Pseudozyste, Bulimia, Hypernasylität, Pansinusitis.
Abb. 8a und 8b: Klasse III - Stimmfeld
DIE BERUFSSTIMME AM STIMMARBEITSPLATZ SCHULE
Eine von A. Pichler von 2002 bis 2005 durchgeführte Untersuchung an 644 Studierenden, davon 520 einer Gruppe zugeordnet
(Gruppe I - 2,3% / 12 Pers., Gruppe II - 35,6%
/ 185 Pers., Gruppe III – 49,9% / 244 Personen, Gruppe IV – 14% / 73 Pers., und damals
noch Gruppe V (deutliche, pathologische
Befunde): 1,2 % / 6 Personen) führte dazu,
dass das Rektorat der PH-Salzburg dem
Stimmenscanning und Stimmtraining mehr
Aufmerksamkeit und die Zuteilung von Ressourcen schenkte. Die Situation in Bezug auf
die Stimmkonstitution der Studierenden am
Beginn des Studiums zeigte sich von 2002 bis
dato beinahe unverändert. Rund die Hälfte
der Studierenden zeigen einen deutlichen
Betreuungsbedarf.
Abb. 9a und 9b: Klasse IV – Stimmfeld
BEITRÄGE AUS WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG |47
DIE BERUFSSTIMME AM STIMMARBEITSPLATZ SCHULE Hannes Tropper, Josef
Schlömicher-Thier
Abb. 10: Ergebnisse im
Vergleich 2002-2005,
2009/10 und 2010/11
Für die Studierenden der Feedback Klasse
III und Klasse IV wurden im Sommersmester
2011 erstmals 8 Unterrichtseinheiten für ein
Stimmtraining in einer ersten Interventionsphase bereitgestellt.
Resümee
“Ich glaube fest daran, dass man eine Stimme durch kontinuierliche Ausbildung und
Pflege vor den ganzen Stimmproblemen
schützen kann.“, meint Berit SchneiderStickler (2008: 16) Das Stimmenscanning ist
als ein wissenschaftliches Testverfahren geeignet, um die stimmliche Konstitution der
Studierenden zu beurteilen und stellt ein
Instrument der gesundheitlichen Vorsorge
dar, nämlich „kranke“ und konstitutionell
schwache Stimmen frühzeitig zu entdecken.
Der Begriff Screening „als ein[en] Prozess zur
Erkennung einer bestimmten Krankheit bei
anscheinend gesunden Menschen mit Hilfe von Reihenuntersuchungen“ (Kutej 2011:
127) böte sich dafür auch an.
Für die Studierenden an den Pädagogischen Hochschulen und Universitäten, die
sich für den Schuldienst entschieden haben,
ist eine derartige Stimmeignungsprüfung
leider noch nicht flächendeckend in Ös-
48|
BEITRÄGE AUS WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG
terreich eingeführt. Gerade für die Berufsgruppe der LehrerInnen ist diese Eignungsprüfung zu Beginn des Studiums dringend
geboten, nicht nur für den persönlichen und
pädagogischen Erfolg der Studierenden,
sondern auch aus arbeitsmedizinischen
und rententechnischen Gründen, denn ein
zu frühes Ausscheiden aus dem Lehrberuf wegen berufsbedingter Stimmstörung
und damit häufig einhergehendem Burnout mit erforderlicher Berufsunfähigkeitsrente oder Umschulung bringt ein hohes
Maß an Kosten, Zeitaufwand und Stress für
ArbeitnehmerInnen und ArbeitgeberInnen.
Die Stimmkonstitution und die Stimm- bzw.
Sprechkompetenz mancher Studierenden
bei Eintritt in das Studium ist kritisch. Es gibt
Überlegungen, ob mangelnde Stimmkonstitution, Stimm- und Sprechkompetenz wie
in vergleichbaren Studiengängen in den
stimmintensiven Fächern der Kunstuniversitäten nicht ein Drop Out darstellen könnte. Das aktuelle Curriculum in der LehrerInnenbildung sieht noch keine kontinuierliche
Stimm- und Sprechausbildung in Vorbereitung auf den stimmintensiven Beruf vor. Das
Bewusstsein für die Thematik ist jedoch nur
zu einem äußerst kleinen Teil vorhanden,
denn die Stimme findet in der üblichen Erziehung und Schulbildung der Menschen
Hannes Tropper, Josef Schlömicher-Thier
derzeit so gut wie keine Beachtung, obwohl
sie in der Kommunikation eine nicht zu unterschätzende Wirkung ausübt. „Stimmen“
sind erlernbar und willkürlich veränderbar:
Jeder Mensch wählt sich (wenn auch oft
unbewusst) seine Stimme selber. (Vgl. Eckert/
Laver 1994: 9) D.h., Bewusstseinsbildung und
Training in Aus- und Fortbildung wären notwendig, wie zum Beispiel Information über
die Stimmbelastung im Sprechberuf LehrerIn, über Anatomie und Biomechanik der
Stimme, Stimmtrainingslehre, Methoden der
Sprecherziehung, Stimmhygiene. (Vgl.LehrerInn 2000: 195 u. Amon 2009: 137) Auch die
Umsetzung der Lehrplaninhalte (Sprecherziehung/Standardsprache) ist sicherzustellen, z.B. „Individuelle Hilfen für das richtige
Bilden von Lauten anbieten können.“ (VSLehrplan 2008: 48)
Die Ergebnisse des an der PH-Salzburg
im Sommersemester 2011 vorgesehenen
Stimmbelastungstests werden voraussichtlich weitere deutliche Hinweise über die
Stimmtauglicheit und Stimmkompetenz der
Studierenden bringen. Diese können eine
Grundlage sein für die Entscheidungsfindung, in welchem Maß einer kuntinuierlichen
Stimm- und Sprechausbildung in Zukunft
Ressourcen zustehen sollen. Der richtige
Umgang mit der Stimme und deren Vorbildwirkung auf die SchülerInnen gehört zu den
Kernkompetenzen der LehrerInnen in einer
qualitätsvollen, zukunftsorientierten LehrerInnenbildung. Der Bedarf an SprecherzieherInnen bzw. StimmtrainerInnen, die aus der
Berufsgruppe der LehrerInnen kommen und
daher über die nötige Empathie verfügen,
ist deutlich gegeben.
DIE BERUFSSTIMME AM STIMMARBEITSPLATZ SCHULE
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BEITRÄGE AUS WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG |49
MEHRSPRACHIGE GESELLSCHAFT - ZWEIPSRACHIGE SCHULEN
Rudolf de Cillia
Mehrsprachige Gesellschaft –
zweisprachige Schulen?
Anmerkungen zum Umgang mit sprachlicher Vielfalt an den Schulen
Rudolf de Cillia
Der folgende Beitrag geht, sich auf Erkenntnisse der Soziolinguistik und Spracherwerbsforschung
berufend, davon aus, dass gesellschaftliche und individuelle Mehrsprachigkeit (MS) die Regel
sind, was sich in unterschiedlichen Formen von MS in den Schulen manifestiert. Schulischer
Sprachunterricht konzentriert sich aber in erster Linie auf die Entwicklung fremdsprachlicher
Zweisprachigkeit in der lingua franca Englisch. An den kritischen Befund schließen sich Vorschläge für eine bessere Förderung der Sprachenvielfalt an den Schulen an.
1. „Einsprachigkeit ist heilbar“
„Einsprachigkeit ist heilbar – Überlegungen
zur neuen Mehrsprachigkeit Europas. Monolingualism is curable - Reflections on the new
multilingualism in Europe. Le monolinguisme
est curable - Réflections sur le nouveau plurilinguisme en Europe”. (Ammon/ Mattheier/
Nelde 1997)
So betitelten die Herausgeber die Nr. 11 der
einmal im Jahr erscheinenden Zeitschrift
„Sociolinguistica“. Sie brachten damit mit
einer etwas drastischen Metapher Erkenntnisse der Wissenschaft in den Jahrzehnten
davor auf den Punkt, die zu einem völligen
Umdenken im Umgang mit MS geführt hatten, und zwar sowohl mit individueller als
auch mit gesellschaftlicher MS. Bis in die
70er Jahre des vorigen Jahrhunderts war
die Auffassung vorherrschend, dass individuelle Einsprachigkeit die Regel sei, zu frühe
MS sogar gefährlich, wie folgendes Zitat des
angesehenen Germanisten Leo Weisgerber
in einem Artikel der ebenso angesehenen
germanistischen Zeitschrift „Wirkendes Wort“
zeigt: „Dort, wo Anlagen, Familienverhältnisse, Lebensschicksale und unablässiges
Mühen zusammenkommen, wird es unter
Tausenden von Fällen einmal gelingen, die
ideale Form der Zweisprachigkeit zu gewinnen: die Stufe der souveränen Beherrschung
zweier Sprachen, [...]. Für die große Menge
behält es Geltung, daß der Mensch im Grun-
50| GASTBEITRAG
de einsprachig ist. [...] Vor allem aber gehen
corruption du langage und corruption des
moeurs Hand in Hand [...]. Das geht von einer Störung der geistigen Entfaltung zu einer
Einbuße der Geistesschärfe selbst; geistige
Mittelmäßigkeit ist die Folge, […..].Die Trübung des sprachlichen Gewissens führt nur
zu leicht zum Erschlaffen des Gewissens insgesamt.“ (Weisgerber, 1966: 73, Hervorhebung von mir)
Die sich seit den 1970er Jahren rasant entwickelnde (Zweit)Spracherwerbsforschung, die
sich im letzten Jahrzehnt zu einer „Mehrsprachigkeitsforschung“ weiterentwickelt hat, hat
schlüssig nachgewiesen, dass individuelle MS
die Regel ist, und Befürchtungen widerlegt,
dass frühe MS schädlich sei, ja sogar bis zur
moralischen Verderbnis führen könne. Die
Spracherwerbsforschung weist nach, dass
der menschliche Spracherwerbsmechanismus ein mächtiges Instrument ist, das durchaus in der Lage ist, schon in frühem Alter und
in bestimmten Fällen von klein auf simultan
zwei Sprachen gleichzeitig im so genannten
ungesteuerten, natürlichen Spracherwerb
zu erwerben. Das passiert in komplexen Sozialisationsverläufen, v. a. dort, wo drei Sprachen involviert sind, für die es noch keine unumstrittenen theoretischen Modellierungen
gibt – aber so viel ist man sich klar: Zweisprachigkeit/ Mehrsprachigkeit ist nicht nur eine
Addition von L1 + L2 + L3, und die Spracherwerbsfähigkeit ist ein unteilbares kognitives
Rudolf de Cillia
Modul, in dem die je vorher schon gemachten Sprachlernerfahrungen die weiteren
Sprachlernprozesse beeinflussen. Wie positiv
sich Zweisprachigkeit durch natürlichen, ungesteuerten Sprach­erwerb entwickelt, z.B. in
der Situation der Migration, hängt jedenfalls
von einer Reihe von Faktoren ab, wie z.B.
den Einstellungen zur MS und zur eigenen
Sprache: Sprachliches Selbstbewusstein ist
wichtig – Minderwertigkeitsgefühle und Ablehnung der eigenen Sprache – in der Situation der Migration eine mögliche Reaktion
- wirken sich negativ aus. Angst versus Selbstvertrauen in die eigene sprachliche Identität
und in die MS sind ganz wichtige Variablen,
die auch im schulischen Spracherwerb eine
zentrale Rolle spielen.
Aber nicht nur individuelle, auch gesellschaftliche MS ist die Regel: Hier haben die Soziolinguistik und die Sprachenpolitikforschung
gezeigt, dass das Konzept des europäischen
Nationalstaats „ein Staat = eine Sprache“
nicht die gesellschaftliche Realität trifft und
dass es auch nicht sinnvoll ist, das anzustreben. Bei den Mitteln, sprachliche Minderheiten zu unterdrücken, war man vom beginnenden 19. Jahrhundert bis in die jüngste
Vergangenheit nicht zimperlich, und die
Schule spielte dabei eine zentrale Rolle: Um
eine einheitliche Nationalsprache durchzusetzen, wurde Kindern verboten, in der Schule ihre Erstsprache zu sprechen, z.B. in der
Bretagne. Wer dabei erwischt wurde, musste
Eselsohren aufsetzen. Noch vor nicht allzu
langer Zeit konnte man im früheren Bahnhof
von St. Brieuc auf einer Tafel lesen: „Défense
de cracher par terre et de parler breton.“1
– ein besonders krasser Ausdruck für die Verachtung der anderen Sprache. Trotz all dieser Versuche kam die MS durch die Hintertür
wieder herein, in Form der neuen, im Zug von
Migrationsbewegungen entstandenen neuen Minderheiten. Lenkt man den Blick weg
von Europa, ist ohnehin sehr schnell klar, dass
eben die gesellschaftliche MS die Regel ist,
1
MEHRSPRACHIGE GESELLSCHAFT - ZWEIPSRACHIGE SCHULEN
nicht die Einsprachigkeit. Länder wie Indien
oder Kenia, in denen kleinräumige regionale Sprachen neben Verkehrssprachen wie
Hindi bzw. Kisuaheli und der ehemaligen Kolonialsprache Englisch ko-existieren und der
gesellschaftlichen Kommunikation dienen,
zeigen das. Und den geschätzten 2500 –
8000 Sprachen auf der Erde stehen ca. 200
Staaten gegenüber. Sogar in Europa, wo dieses nationalstaatliche Modell am weitesten
umgesetzt wurde, werden, schätzt man, 230
Sprachen gesprochen – der Europarat hat
47 Mitgliedstaaten. Und in Österreich hat die
letzte Volkszählung von 2001 an die 60 unterschiedliche Umgangssprachen dokumentiert. Nur ca. 88,6% der Wohnbevölkerung
gaben damals an, ausschließlich Deutsch zu
sprechen. (Statistik Austria 2002)
2. „Der monolinguale Habitus der
multilingualen Schule“
So hat die Hamburger Erziehungswissenschafterin Ingrid Gogolin ihr 1994 erschienenes Buch genannt, in dem sie sich mit dem
Umgang der Schule mit MS befasst hat. Sie
drückt damit aus, dass in unseren Schulen vielfach noch die im obigen Zitat von
Weisgerber ausgedrückte Vorstellung vorherrscht: dass nämlich Einsprachigkeit als
natürlicher Normalzustand wahrgenommen
wird, obwohl es sich um ein gesellschaftliches Phänomen handelt – eben einen Habitus im Bourdieu‘schen Sinn. Schulen gehen
oft noch davon aus, Individuen seien einsprachig, obwohl die Realität in den Klassen
dem nicht entspricht.
Viel anschaulicher als alle Statistiken drücken die von Hans-Jürgen Krumm gesammelten Sprachenporträts diese Tatsache
aus. Er hat Kindern die Silhouette eines
menschlichen Körpers vorgelegt und sie
wurden gebeten, „alle ’ihre Sprachen’ dort
hineinzumalen und dabei für jede Sprache
eine andere Farbe zu benutzen.“ (Krumm
„Es ist verboten, auf den Boden zu spucken und Bretonisch zu sprechen“
GASTBEITRAG |51
MEHRSPRACHIGE GESELLSCHAFT - ZWEIPSRACHIGE SCHULEN
2001: 5f) Die Ergebnisse zeigen, dass bereits in der dritten Klasse Kinder, die nur mit
einer Sprache Kontakt hatten bzw. für deren sprachliche Identität nur eine Sprache
relevant ist, die große Ausnahme sind. In
der Regel entstanden bunte, vielsprachige
Porträts, in denen Erst-, Zweit-, Fremdsprachen in ganz unterschiedlichen Kombinationen genannt werden wie etwa bei einem
Mädchen, das „Kurdisch, Deutsch, Österreichisch, Russland, Oberösterreichisch, Ungarisch, Turkish und English“ (a. a. O. 47) angibt
und dessen Porträt vielleicht die Geschichte
einer Familienmigration erzählt.
Diese Porträts dokumentieren auch eine
moderne, zeitgemäße Auffassung von Zweiund MS. Diese erfasst nämlich nicht nur die
perfekte Beherrschung zweier Sprachen,
sondern ein Kontinuum von sprachlichen
Kompetenzen, ausgehend von der schulischen Beherrschung von zwei oder mehreren Sprachen, die durch den Fremdsprachenunterricht gelernt wurden, über durch
ungesteuerten Spracherwerb im Sprachkontakt erworbene Fertigkeiten bis hin zum
ausgewogenen Bilinguismus von Menschen,
die in Familien mit unterschiedlichsprachigen Eltern aufwachsen.
3. Formen schulischer Mehrsprachigkeit
MS an den Schulen zeigt sich also nicht nur
in den durch den Fremdsprachenunterricht
erworbenen Kenntnissen, sondern auch in
der so genannten lebensweltlichen MS (der
autochthonen Minderheiten, der Zuwanderungsminderheiten, der Gebärdensprachminderheiten, z.T. sind wohl auch Englischkenntnisse schon Teil dieser lebensweltlichen
MS) und auch der „innersprachlichen“ MS.
Im Folgenden sollen diese drei Formen der
MS kurz charakterisiert werden:
3.1. Innersprachliche MS
Kompetente SprecherInnen einer Sprache
verfügen über unterschiedliche Varietäten
52| GASTBEITRAG
Rudolf de Cillia
dieser Sprache – und gerade im deutschsprachigen Raum spielt diese innersprachliche MS im schulischen Kontext eine gewisse Rolle. Gemeint ist damit z.B. die Diglossie
zwischen Dialekt und Standardsprache bzw.
die sprachliche Variation innerhalb der plurizentrischen deutschen Standardsprache,
die über zumindest drei Varietäten - das
Schweizer Hochdeutsch, das österreichische
Deutsch und das deutschländische Deutsch
– verfügt. Im schulischen Kontext spielt hier
die Einstellung der Lehrpersonen zur eigenen
Varietät, z.B. zum österreichischen Deutsch,
eine wichtige Rolle, etwa im Korrekturverhalten. Befunde aus der Forschung deuten
darauf hin, dass österreichische DeutschlehrerInnen eher geringe Sprachloyalität der
eigenen Varietät gegenüber aufweisen und
sich an bundesdeutschen Normen orientieren, also dazu tendieren, Austriazismen als
fehlerhaft zu markieren (vgl. Ammon 1995:
423-445).
Die Diglossie zwischen Dialekt und Hochsprache wiederum, die in den 1970er Jahren
unter dem Vorzeichen „Dialekt und Sprachbarrieren“ diskutiert wurde, ist heute in der
Sprachdidaktik völlig zu Unrecht kaum ein
Thema, obwohl sie regional in der Praxis mit
Sicherheit von Bedeutung ist. Zahlen zu Österreich liegen allerdings keine vor. Aber Erfahrungen in der Lehrerfortbildung in Vorarlberg zeigen, dass Lehrpersonen dort immer
wieder damit konfrontiert sind, dass SchülerInnen Referate im Dialekt halten wollen. In
der Schweiz ist die Verwendung des Dialekts
im Unterricht selbstverständlich: nur 7,5 %
der SchülerInnen verwenden regelmäßig
ausschließlich Hochdeutsch in der Schule,
52,7 % Schweizerdeutsch und Hochdeutsch
und immerhin 39% nur Schweizerdeutsch.
(Vgl. Lüdi /Werlen 2005: 83).
Wenn wir mit MS die Beherrschung nicht nur
von Varietäten, sondern von mehr als einer
Sprache meinen, so unterscheidet man einerseits fremdsprachliche MS - andererseits
lebensweltliche MS.
Rudolf de Cillia
3.2. Fremdsprachliche Zwei-/ Mehrsprachigkeit und Fremdsprachenunterricht
Die zahlenmäßig wohl wichtigste Form der
MS in den europäischen Schulen wird im
Fremdsprachenunterricht erworben - in der
Regel in Sprachen, die zu den fünf großen
internationalen Sprachen gehören. Dabei
spielt die Schulsprachenpolitik eine zentrale Rolle für die gesamte europäische
Sprachenpolitik, denn Fremdsprachenkompetenzen werden in erster Linie in den schulischen Bildungsinstitutionen erworben: 59%
der EuropäerInnen erwerben ihre Fremdsprachenkenntnisse in einer weiterführenden Schule – nur 24% in der Grundschule
(vgl. Eurobarometer spezial 2006: 22).
Im Jahr 2005 verfügte übrigens etwas weniger als die Hälfte der Bevölkerung EUweit über überhaupt keine Fremdsprachenkenntnisse (44% Durchschnitt EU-25,
62% in UK, 1 % Luxemburg, D 33%, AT 38%;
a.a.o.: 10)2. Die wichtigste Fremdsprache
(FS) ist Englisch (38 %) vor Deutsch (14 %)
und Französisch (14%), Spanisch (6 %) und
Russisch (6%) (a.a.o.; 13). Zwei Fremdsprachen sprechen 28% der EuropäerInnen,
drei Fremdsprachen 11%. (a.a.O. 9). Diese
Sprachenkenntnisse hängen wohl unmittelbar mit den in den Schulen unterrichteten
Fremdsprachen zusammen: 2005/06 lernten
in den EU-27 Ländern auf der Sekundarstufe
I (ISCED 2)3 86,4% der SchülerInnen in den
Schulen Englisch (E), 24,5% Französisch (F),
11,4% Deutsch (D), 7,6 Spanisch (ES) und
2,7% Russisch (RU). Im Primarschulbereich
(ISCED 1) lernten 73,2 % der SchülerInnen
mindestens 1 FS, dabei 59,0% E (Tendenz
steigend), 6,1% F, 4,0% D (Eurydice 2008, 62).
Auf der Sekundarstufe II (ISCED 3) waren es
84,1% für E, 24.3 % für D, 22,2 für F, 15,4 % ES
und 4,0% RU. (Eurydice 2008, 71).
MEHRSPRACHIGE GESELLSCHAFT - ZWEIPSRACHIGE SCHULEN
Ein wesentliches Merkmal dieser europäischen Schulsprachenpolitik ist übrigens,
dass nach wie vor noch nicht in allen Ländern zwei Fremdsprachen im Laufe der
Schulpflicht gelernt werden, wie es die EU
empfiehlt (Barcelona-Ziele): 45,6% der SchülerInnen lernen auf der Sekundarstufe I nur
eine Fremdsprache, auf der Sekundarstufe II
sind es 37,0% (Eurydice 2008: 58). Ein zweites
Merkmal europäischer Fremdsprachenpolitik ist die geringe Diversifizierung, d.h. die
Beschränkung auf einige wenige Sprachen,
wie die obigen Zahlen zeigen. Die Tendenzen gehen eindeutig in die Richtung Förderung von Zweisprachigkeit in der jeweiligen
Staatssprache und der Globalsprache Englisch.
Der Befund zur fremdsprachlichen MS in Österreich zeigt: Es hat in den letzten Jahrzehnten zwar eine wesentliche Entwicklung zur
Verbesserung der Fremdsprachen-Kenntnisse gegeben – jedeR SchulabgängerIn – bis
hin zum allgemeinen Sonderschüler – hat,
nach Abgang von der Schule zumindest
eine Fremdsprache gelernt. Aber das österreichische Schulwesen ist noch stärker auf
fremdsprachliche Zweisprachigkeit ausgelegt, und nicht auf MS:
Das zeigen die Zahlen, die für den österreichischen Länderbericht im Zuge des Language Education Policy Profile-Prozesss
erhoben wurden.4 Der Großteil der SchülerInnen lernt nur Englisch als FS, da die österreichische Schule bis zum Pflichtschulabschluss
nur eine verpflichtende lebende Fremdsprache vorsieht. 2004/05 lernten in der vierten
Schulstufe 98,61% der SchülerInnen EN, 1,76%
FR, 1,44% IT, 0,19% RU und 0,10% ES. In der
8. Schulstufe haben wir in der Hauptschule
99,76% für EN, 3,72% FR, 3,49% IT – alle anderen Sprachen bewegen sich unter 1% - ,
Fragestellung: „Einmal abgesehen von Ihrer Muttersprache: Welche Sprachen können Sie gut genug sprechen, um sich darin zu unterhalten?
ISCED = International Standard Classification for Education
4
In den Jahren 2006 – 2008 wurde in Zusammenarbeit mit dem Europarat ein sogenanntes „Profil der Sprach- und Sprachunterrichtspolitik“ (Language Education Policy Profile/Profil de politiques linguistiques éducatives, kurz LEPP genannt) für Österreich entwickelt. Dabei handelt es sich um folgendes Verfahren:
Die sprachenpolitische Abteilung des Europarats bietet den Mitgliedsländern Unterstützung bei der Entwicklung der (Schul)Sprachenpolitik an. Ziel: nach
bestimmten Richtlinien eine Selbst-Evaluation der Bildungssprachenpolitik eines Landes in Zusammenarbeit mit ExpertInnen des Europarats durchzuführen. Im
Rahmen dieses Verfahrens wird u. a. auch eine Bestandsaufnahme der Sprachunterrichtspolitik in Form eines Länderberichts erstellt. (S. http://www.oesz.at/
download/publikationen/lepp_dt.pdf)
2
3
GASTBEITRAG |53
MEHRSPRACHIGE GESELLSCHAFT - ZWEIPSRACHIGE SCHULEN
in der AHS 99,78% für EN, 20,69% FR, 3,37% IT
1,17% RU, 3,96% SP. 5
Erst auf der Sekundarstufe II diversifiziert der
Sprachunterricht in einem nennenswerten
Ausmaß. Als Beispiel sei hier die AHS/ 10.
Schulstufe genannt: 98,95% EN, 56,48% FR,
23,62% IT, 16,23% SP und 2,26% RU. (bmukk/
bmwf 2007: 137f). Aber 92, 85% der SchülerInnen in der Volksschule lernten nur eine FS
und 89,81 in der Sekundarstufe I. Und auch
auf der Sekundarstufe II sind es immer noch
59,6%, die nur eine FS lernen. (Vgl. Haller
2007)
Eine derartige Sprachausbildung entspricht
im Übrigen nicht dem gesellschaftlichen
Sprachbedarf: Eine Untersuchung des ibw
zum Sprachbedarf in österreichischen Betrieben zeigt zwar eine hohe Nachfrage
nach Englisch (81%), aber auch eine gewisse Nachfrage (zwischen 8 und 30%)
nach Französisch und den Nachbarsprachen, die durch das öffentliche Schulsystem nicht gedeckt wird (vgl. Archan/ Dornmayr 2006). In vielen gesellschaftlichen
Bereichen gibt es im Übrigen weiteren Bedarf an qualifizierter MS in den Migrationssprachen, in den medizinischen Berufen, in
Pflegeberufen, bei der Exekutive und nicht
zuletzt in den Kindergärten und Schulen.
3.3. Lebensweltliche Mehrsprachigkeit
3.3.1. Schulische Mehrsprachigkeit und
autochthone Minderheitensprachen
In allen europäischen Staaten gibt es autochthone, seit langem auf dem jeweiligen
Siedlungsgebiet ansässige Sprachminderheiten, die häufig durch gesetzliche Maßnahmen geschützt sind und für die es mit
der 1998 in Kraft getretenen „Europäischen
Charta für Regional- und Minderheitenspra-
Rudolf de Cillia
chen“ auch ein Instrument gibt, das die ratifizierenden Staaten zu aktivem Minderheitenschutz verpflichtet (vgl. de Cillia/ Busch
2005) – zumindest was die lautsprachlichen
Minderheiten betrifft.
In Österreich leben sechs offiziell anerkannte lautsprachliche Minderheiten6, deren Kinder in der Regel zweisprachig aufwachsen,
schon zweisprachig in die Schule kommen
und so zur MS der Schule beitragen. Und
es gibt eigene Minderheitenschulgesetze
für Kärnten und das Burgenland, in denen
Regelungen für Slowenisch, Burgenlandkroatisch und Ungarisch festgeschrieben
sind. Diese sehen im Prinzip bilingualen Unterricht in der VS vor - dieser Unterricht hat
trotz des minderheitenfeindlichen Klimas in
diesem Bundesland eine große Akzeptanz
und 2/3 der zweisprachigen Schüler kommen aus deutschsprachigen Familien –, ein
sehr mangelhaftes Angebot an den HS (mit
Ausnahme einer bilingualen HS in Großwaradorf/ Veliki Boriostof) und bilinguale Angebote an einzelnen Gymnasien und HAKs
(in Klagenfurt/Celovec bzw. Oberwart/ /
Felsöör/Borta). Für Tschechisch und Slowakischsprachige gibt es die private Komensky-Schule in Wien, die alle Schulformen anbietet.
Die schulische Ausbildung von Gehörlosen/
Hörbehinderten erfolgt im Rahmen des Behindertenschulwesens, und sie werden in
den Schulen „oralistisch“ erzogen, d. h., man
bringt ihnen Sprechen bei, ohne ihnen die
genuine Sprachform, die Gebärdensprache, verpflichtend zu vermitteln. Und das,
obwohl im Language Education Policy Profile ausdrückliche Empfehlungen für bilinguale Schulformen enthalten sind, wonach
die Österreichische Gebärdensprache und
Deutsch als Unterrichtssprachen zu verwenden sind – und obwohl gerade erst ein neuer Lehrplan erlassen wurde.
Mehr als doppelt so viele SchülerInnen wie die AHS besuchen in Österreich die HS: 25.358 gegenüber 69.163, z. B. im Schuljahr 2004/2005.
Die wichtigsten Minderheitenschutzbestimmungen finden sich im Artikel 8, Abs. 2 der Österreichischen Bundesverfassung, im Artikel 7 des Staatsvertrags von
1955 und im Volksgruppengesetz 1976.
5
6
54| GASTBEITRAG
Rudolf de Cillia
3.3.2. Schulische Mehrsprachigkeit und
SchülerInnen mit Migrationshintergrund
Die zahlenmäßig weitaus gewichtigere
Form lebensweltlicher MS in unseren Schulen bringen SchülerInnen aus Familien mit
Migrationshintergrund mit. Der Prozentsatz
der „SchülerInnen mit einer anderen Erstsprache als Deutsch“, wie der offizielle Terminus heißt, macht gesamtösterreichisch
21,7% der PflichtschülerInnen aus (Zahlen
aus 2008/2009), in der Metropole Wien ist
der Prozentsatz mit ca. 54,2% besonders
hoch, Salzburg liegt mit 19,73 % etwas unter dem Durchschnitt. Am geringsten ist er in
den Bundesländern Steiermark (11,6%) und
Kärnten (10,8%). Die Verteilung auf die unterschiedlichen Schultypen zeigt eine klare Bildungsbenachteiligung dieser SchülerInnen
mit Migrationshintergrund: In der Sekundarstufe sind sie in Hauptschulen (20,5%) und
Sonderschulen 27,8%!) überrepräsentiert
und in den Gymnasien (AHS, 13,3%, bzw. BHS,
11,0%) deutlich unterrepräsentiert. Und es
gibt die völlig unberechtigte Tendenz, diese SchülerInnen mit sonderpädagogischen
Maßnahmen zu versorgen.
Die schulischen Regelungen für diese Minderheitensprachen ruhen in Österreich, wie
in den meisten europäischen Ländern, auf
den drei Säulen: 1. Zweitsprachenunterricht
(in unserem Fall DaZ-Unterricht) im Ausmaß
von bis zu 12 Wochenstunden (integrativ
oder unterrichtsparallel); 2. Interkulturelles
Lernen als Unterrichtsprinzip – d.h. der Anspruch, die MS und kulturelle Vielfalt in allen
Unterrichtsfächern zu berücksichtigen; 3.
Muttersprachlicher Unterricht und Förderung der jeweiligen Muttersprachen und Familiensprachen als Muttersprache als freiwilliges Angebot (3-6 Wochenstunden, ca. ein
Fünftel der SchülerInnen nehmen das Angebot auch wahr).
Diese SchülerInnen stellen im Übrigen eine
große Sprachenvielfalt dar. Im Schuljahr
2007/08 wurden im Rahmen des mutter-
MEHRSPRACHIGE GESELLSCHAFT - ZWEIPSRACHIGE SCHULEN
sprachlichen Unterrichts insgesamt 19 Sprachen von 316 muttersprachlichen LehrerInnen unterrichtet: Albanisch, Arabisch,
Bosnisch/Kroatisch/Serbisch (BKS), Bulgarisch, Chinesisch, Italienisch, Makedonisch,
Persisch, Polnisch, Romanes, Rumänisch, Russisch, Slowakisch, Spanisch, Tschetschenisch,
Türkisch und Ungarisch, wobei österreichweit
der weitaus größte Teil auf Serbokroatisch
(Bosnisch/Kroatisch/Serbisch) und Türkisch
entfällt. Zumindest diese Sprachen waren
also in einem so großen Ausmaß als Muttersprachen neben Deutsch vorhanden, dass
eigene Sprachkurse für sie eröffnet werden
konnten.
Ein Problem im Zusammenhang mit den
neuen Minderheitensprachen stellt die
Ausbildung der LehrerInnen dar: Es gibt für
Deutsch als Zweitsprache keine formelle
LehrerInnenausbildung an PHs - nur an wenigen PHs ist DaZ Pflichtfach (z.B. an der KPH
Wien) – es gibt nur Zusatzstudien auf freiwilliger Basis. Es existieren auch keine Lehramtsstudien für die Migrationssprachen in der
Pflichtschullehrerausbildung an den PHs.
Lediglich an den Universitäten gibt es ein
Lehramt für Bosnisch/ Kroatisch/ Serbisch in
Wien und Graz, allerdings keines für Türkisch.
Und an der Universität Wien ist ein Studien­
element Deutsch als Zweitsprache Pflichtfach im Lehramtsstudium Deutsch.
4. Umgang mit Sprachenvielfalt an den
Schulen
Die derzeitige Situation des Sprachunterrichts an den Schulen – und damit komme
ich zu meinem Titel „Mehrsprachige Gesellschaft – zweisprachige Schulen?“ zurück – ist
dadurch gekennzeichnet, dass die vorhandene Sprachenvielfalt zu wenig gefördert
wird: Das ist u.a. zurückzuführen auf einen
ineffizienten Fremdsprachen“unterricht“ in
den Volksschulen (vier Jahre Schnuppern),
der den früheren Beginn einer zweiten FS
blockiert, auf eine zu geringe Diversifizierung,
die unmittelbar damit zusammenhängt, und
GASTBEITRAG |55
MEHRSPRACHIGE GESELLSCHAFT - ZWEIPSRACHIGE SCHULEN
auf eine zu geringe Förderung der Ressource lebensweltliche MS, v.a. in den Migrationssprachen, aber auch der verfassungsmäßig
anerkannten Österreichischen Gebärdensprache. Die Schule konzentriert sich v.a. auf
die Förderung von sprachlicher „Zweifalt“
statt Vielfalt im Fremdsprachenunterricht,
und das gegen die schon seit 15 Jahren vorliegenden Empfehlungen der EU, wonach
im Rahmen der Pflichtschulausbildung L1 +
L2 erworben werden sollen. Die große Mehrheit der SchülerInnen in Österreich lernt neben der Unterrichts- und Bildungssprache
Deutsch nur eine FS, die lingua franca Englisch. Die Vielfalt möglicher Fremdsprachen
(im Angebot alle Nachbar- und Minderheitensprachen, Französisch, Spanisch, Russisch,
BKS, Türkisch ….) wird zu wenig genutzt, und
das entspricht auch nicht dem gesellschaftlichen Sprachbedarf. Die Förderung lebensweltlicher MS wiederum lässt sehr zu wünschen übrig.
Um eine Förderung sprachlicher Vielfalt zu
ermöglichen, die nicht nur den Fremdsprachenunterricht, und da wiederum in erster
Linie den Englischunterricht, fördert, wäre
ein integrativer Zugang des Sprachenlernens notwendig, der alle Formen des Sprachenlernens umfasst, den Unterricht in der
Bildungssprache Deutsch (Entwicklung „genereller Sprachkompetenzen“, Unterricht in
Erstsprache, Zweit- oder Drittsprache), die lebensweltliche MS unterschiedlicher Formen
und den „klassischen“ Fremdsprachenunterricht. Rahmenbedingungen, Vorgaben,
Richtlinien für einen derartigen Sprachenunterricht könnten durch ein Gesamtkonzept
sprachlicher Bildung vorgegeben werden,
wie es etwa die Schweiz schon 1998 ausgearbeitet hat und wie es derzeit in Österreich
im Auftrag des bmukk entwickelt wird. Eine
Reihe von anderen, jetzt schon umsetzbaren Möglichkeiten, die sprachliche Vielfalt
an den Schulen zu fördern, seien im Folgenden angeführt: Zunächst gilt es schlicht und
einfach, die MS an den Schulen, die häufig
versteckt und verdrängt wird, sichtbar zu
56| GASTBEITRAG
Rudolf de Cillia
machen. Das kann in den Klassen durch
das Anfertigen und Besprechen von Sprachenporträts, wie sie oben gezeigt wurden,
erfolgen oder durch den Einsatz des europäischen Sprachenportfolios, durch Erstellen
von Schulsprachenprofilen oder sprachlichen Landkarten. Durch solche Maßnahmen
wird allen Beteiligten schlagartig klar, dass
die MS die Regel ist, auch in den Klassenzimmern, und es werden vorhandene sprachliche Ressourcen auf Seiten der SchülerInnen,
aber auch der LehrerInnen sichtbar.
Die Erstellung eines Sprachenprofils kann als
Maßnahme der Schulentwicklung gesetzt
werden: Durch eine Bestandsaufnahme aller
Sprachen, die an einer Einzelschule als Ressourcen vorhanden sind, können die Stärken
eines bestimmten Standorts weiterentwickelt
werden. Dabei stellen sich Fragen wie: Wie
sieht die sprachliche Situation an unserer
Schule aus? Über welche Sprachkenntnisse verfügen SchülerInnen und LehrerInnen?
Wie, wo ist man mit lebensweltlicher MS, mit
anderen Erstsprachen als Deutsch an unserer Schule konfrontiert? Welche positiven
Aspekte hat das? Welche negativen Aspekte hat das? Welche Probleme ergeben
sich daraus? Was brauchen wir an unserer
Schule, um die Ressourcen der MS optimal
nutzen zu können? Welche Unterstützung
wünschen wir uns, z.B. durch Maßnahmen
der schulinternen Lehrerfortbildung?
Die Einbeziehung aller Sprachen in den
Schulalltag heißt auch, für eine möglichst
große symbolische Präsenz aller tatsächlich
gesprochenen Sprachen in den Schulen zu
sorgen, z.B. durch Einladungen in den Muttersprachen der Kinder an die Eltern für Elternabende, durch den Ankauf von Lektüre
in allen Sprachen in den Schulbibliotheken,
dadurch, dass man, wenn möglich und nötig, für Dolmetscher bei Elterngesprächen
und Elternsprechtagen sorgt. Vorarlberg hat
z.B. hier mit den „BrückenbauerInnen“ des
Vereins „okay zusammen.leben“ eine Struktur geschaffen, die es ermöglicht, bei Be-
Rudolf de Cillia
darf ausgebildete LaiendolmetscherInnen
anzufordern.7
Der Einsatz von Programmen zur Sprachsensibilisierung, wie sie in den EU-Projekten
EVLANG und JA-LING8 entwickelt wurden –
in Österreich heißen die Materialien KIESEL
und sind über das Österreichische Sprachen
Kompetenzzentrum ÖSZ zu beziehen - , kann
ein Weiteres zur Sichtbarmachung von und
Sensibilisierung für MS beitragen.9 Ein verstärktes Angebot muttersprachlichen Unterrichts bzw. von Migrationssprachen als Schulfremdsprachen wären weitere Maßnahmen
in diesem Sinn, die v. a. bei Angehörigen der
Minderheitensprachen zu einer Stärkung der
sprachlichen Identität und damit des Selbstbewusstseins insgesamt führen können.
Weitere Anregungen für Maßnahmen zur
Förderung von innovativen Konzepten im
Sprachenunterricht geben die Projekte, die
beim Bewerb für das ESIS - Europasiegel für
innovative Sprachprojekte - eingereicht
wurden. Ergebnisse einer Studie, die die Einreichungen der ersten Jahre des Europasiegels in Österreich ausgewertet hat (de Cillia/ Kettemann / Haller 2005) haben etwa
folgende Maßnahmen als innovativ erfasst:
Ein breiteres Sprachenangebot im Unterricht einer Fremdsprache als Arbeitssprache
(nicht nur EAA); ein breiteres Sprachenangebot durch Förderung bilingualer Schulen
bzw. bilingualer Zweige; die Einführung von
Intensivphasen bzw. Intensivkursen im Regelschulwesen ; die Umsetzung von Modellen
der Interkomprehension, wie sie in Deutschland schon erprobt werden: Bei EuroComRom etwa werden – ausgehend vom Französischen – rezeptive Kenntnisse in anderen
romanischen Sprachen vermittelt.
Für die LehrerInnenaus- und -weiterbildung
schließlich sollte aus der Tatsache, dass le-
MEHRSPRACHIGE GESELLSCHAFT - ZWEIPSRACHIGE SCHULEN
bensweltliche MS letztlich die Regel ist, folgen, dass SprachlehrerInnen zu „ExpertInnen
für MS“ ausgebildet werden, nicht nur für
eine bestimmte Sprache, und dass MS thematisierende Module in die Ausbildung eines jeden Unterrichtsfachs integriert werden
sollten, nicht nur der Sprachfächer. Denn
letztlich ist jeder Unterricht Sprachunterricht
und MS geht alle Unterrichtsfächer an, nicht
nur Deutsch und die Sprachfächer
Literaturhinweise
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der Schweiz. Das Problem der nationalen Varietäten. Berlin u.a.: de Gruyter.
Ammon, Ulrich/ Mattheier, Klaus J./ Nelde, Peter H. (Hrsg.) (1997): „Einsprachigkeit ist heilbar – Überlegungen zur neuen Mehrsprachigkeit Europas.
Monolingualism is curable - Reflections on the new multilingualism in Europe. Le monolinguisme est curable - Réflections sur le nouveau plurilinguisme en Europe” Sociolinguistica Bd 11.
Archan, Sabine/ Dornmayr, Helmut (2006): Fremdsprachenbedarf und
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den Schulen. In: de Cillia/ Gruber/ Krzyzanowski/ Menz (Hrsg.) Discourse
– Politics – Identity. Diskurs – Politik –Identität. FS für Ruth Wodak. Tübingen:
Stauffenburg: 245-255.
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Gogolin, Ingrid (1994): Der monolinguale Habitus der multilingualen Schule. Münster/ New York: Waxmann
Haller, Michaela (2007): Der schulische Fremdsprachenunterricht in Österreich - Erste Ergebnisse einer Studie zum Schuljahr 2004/05. Graz: ÖSZ
Krausneker, Verena (2006): Taubstumm bis gebärdensprachig. Die österreichische Gebärdensprachgemeinschaft aus soziolinguistischer Perspektive. Alfa e Beta: Bozen.
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Wien.
Lüdi, Georges/ Werlen, Iwar (2005): Eidgenössische Volkszählung 2000.
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Weisgerber, Leo (1966): Vorteile und Gefahren der Zweisprachigkeit. In:
Wirkendes Wort 16/2--1966: 273-289.
http://www.okay-line.at/deutsch/okay.zusammen-leben/okay.zusammen-leben/, 3.3.2011.
8
Informationen über das Socrates / Lingua-Projekt „Éveil aux langues“ (1997-2001) und das am Europäischen Fremdsprachenzentrum in Graz durchgeführte
Projekt « Janua Linguarum“ finden sich unter folgender Adresse: http://jaling.ecml.at/default.htm, eingesehen am 3.3.2011.
9
Der österreichische Beitrag zu EVLANG waren unter dem Namen KIESEL entwickelte Unterrichtsmaterialien, s. http://www.oesz.at/sub_main.php?page=bereich.
php?bereich=8-tree=24, eingesehen am 3.3.2011.
7
GASTBEITRAG |57
CORA KOCHT UND BERNHARD BAUT
Heike Niederreiter, Silvia Nowy-Rummel
„Cora kocht und Bernhard baut –
Oder doch nicht?“
Geschlechtersensible Atelierangebote an der Praxisvolksschule
Heike Niederreiter/ Silvia Nowy-Rummel
Bereits Vorschulkinder haben stereotype Bilder von „weiblich“ und „männlich“ erworben. So
werden von ihnen z.B. „schwach, sanft“ als Eigenschaften für Frauen und „stark, laut“ als Eigenschaften für Männer genannt. Diese Zuordnungen entsprechen im Wesentlichen bereits denen,
die Erwachsene treffen, wenn sie Eigenschaften die „typisch weiblich“ und „typisch männlich“ sein
sollen, benennen (vgl. Alfermann 1996: 13). Atelierangebote der Praxisvolksschule zum Thema
„Gender Mainstreaming“ bieten eine Möglichkeit, in diesem sensiblen Bereich anzusetzen.
Geschlechterordnung
Barabara Rendtorff (vgl. 2003: 24), die u.a.
einen ihrer Forschungsschwerpunkte auf
die Entwicklung von Geschlechterbildern
legt, beschreibt die in unserer Gesellschaft
etablierte Geschlechterordnung als eine
Ordnung, die aufgrund einer Spaltung in
zwei Geschlechter entstand. Diesen „zwei“,
Frau und Mann, werden oftmals Seiensweisen, Charaktere, Interessen zugeschrieben,
die als naturgegeben gehandelt werden.
Rentdorff sieht in dieser Geschlechterordnung eine auf der Kultur und Geschichte
eines Volkes basierende Übereinkunft, die
die so­zialen Beziehungen untereinander
regelt und als Orientierungshilfe für jede/n
Einzelne/n dient.
Das wesentliche Ordnungselement ist die
Trennung und Entgegensetzung von Öffentlichkeit und Privatsphäre. Frauen wird dabei
der private Raum zugeordnet, was wiede­
rum zur typischen geschlechtlichen Arbeitsteilung beiträgt. Die Arbeiten im Haus und
alle „naturnahen“ Aufgaben (dazu gehören u.a. die körperliche Versorgung, Kochen,
Reinigungsarbeiten etc.) sind weiblich konnotiert, während der öffentliche Raum dem
Mann zugewiesen wird. Bereits 1802 schreibt
der Mediziner Cabanis, dass der Mann kühn,
stark und unternehmend sein muss, das
Weib hingegen schwach, furchtsam und
verschlagen (vgl. Rendtorff 2003: 26f). Sol-
58| PROJEKTE
che Vorstellungen und Zuteilungen übertrugen sich auf die gesellschaftlichen Normen,
Strukturen und Organisationen, sie entfalten
heute noch ihre Wirksamkeit und machen
auch vor der Bildungsinstitution Schule nicht
halt.
Geschlechterstereotype
Noch wirksamer als die oben erwähnten
Ordnungselemente
sind
Geschlechter­
stereotypen. „Stereotype stellen verbreitete
und allgemeine Annahmen über die relevanten Eigenschaften einer Personengruppe dar.“ (Alfermann 1996: 9) Mit Hilfe dieser
Stereotypen werden Annahmen von Frauen
und Männern und ihren personalen Eigenschaften festgemacht, deren Grundlage ein
Kategorisierungsprozess ist, der dazu dient,
Personen in bestimmte Kategorien einzuteilen. Diese Kategorien lassen sich nicht nur
kognitiv erklären, sondern erfüllen laut dem
Begründer des Kategorienansatzes in der
Sozialpsychologie, Henri Tajfel (1969), auch
eine motivationale Funktion - nämlich die
Rechtfertigung der bestehenden Rang- und
Wertordnung und deren Aufrechterhaltung
einer jeweiligen Gesellschaft.
In einer kulturvergleichenden Studie, die
in dieser Art bislang nicht wiederholt wurde, ließen Williams & Best (1990) Männern
und Frauen aus 25 Nationen weibliche und
männliche Eigenschaften zuordnen. Die in
Heike Niederreiter, Silvia Nowy-Rummel
Tabelle 1 angeführten Eigenschaften wurden übereinstimmend in allen (25) oder fast
allen (24) Staaten* als typisch männlich bzw.
weiblich bezeichnet.
Stereotype maskuline Eigenschaften
„„ abenteuerlustig
„„ aggressiv
„„ dominant
„„ kräftig
„„ kühn
„„ maskulin
„„ robust
„„ selbstherrlich
„„ stark
„„ unabhängig
„„ unternehmungslustig
Stereotype feminine Eigenschaften
„„ einfühlsam
„„ gefühlvoll
„„ liebevoll
„„ träumerisch
„„ unterwürfig
(Alfermann 1996: 16f.)
Das Thema Geschlechterrollenübernahme im Bereich der Schule
In der Organisation Schule ist es unumgänglich sich mit dem Phänomen der rollenspezifischen Geschlechtsidentifikation zu beschäftigen, was durch den gesetzlichen Auftrag in
Form des Unterrichtsprinzips „Erziehung zur
Gleichstellung von Frauen und Männern“ im
österreichischen Lehrplan verankert ist (vgl.
bm:ukk 1996). Dieses Unterrichtsprinzip entspricht dem Grundsatz des Gender Mainstreams, zu dem sich auch die österreichische Regierung und die Euro­päische Union
bekennen. „Gender Mainstream is the (re)
organisation, improvement, development
and evaluation of policy processes, so that a
gender equality perspective is incorporated
CORA KOCHT UND BERNHARD BAUT
in all policies at all levels and at all stages,
by the actors normally involved in policymaking“ (Council of Europe 1998: 1).
Allerdings kommt es innerhalb des „heimlichen Lehrplans“, wie ihn die koedukationskritische Forschung (vgl. Löw 2006: 69) bezeichnet, implizit und explizit immer wieder
zu alltagstheoretisch geleiteten Aussagen
von Lehrpersonen über die Geschlechter
und deren Platzzuweisungen. „Kinder durchlaufen in Schulen geschlechtsspezifische
Sozialisationsprozesse, in denen sie sich neben dem offiziell vermittelten Lehrstoff auch
Wissen über als angemessen geltendes geschlechtsspezifisches Handeln aneignen.“
(Löw 2006: 69) Neben dem starken Einfluss
der Printmedien, dem Fernsehen, der Spielzeugindustrie und natürlich dem familiären
und sozialen Umfeld, trägt die Schule dazu
bei, dass Mädchen wie Buben langsam lernen eine bestimmte Position einzunehmen,
die sowohl von ihnen selbst, von der Peergroup, sowie von der Gesamtgesellschaft
ihrer Kultur als allgemein gültig und akzeptabel hingenommen wird.
Sie lernen sich “typisch weiblich“ bzw. „typisch männlich“ zu verhalten, zu agieren,
sich zu kleiden, die Haare so zu tragen, wie
es erwartet wird, einen Sprachstil zu entwickeln, der angemessen erscheint und sich
für das zu interessieren, was zum jeweiligen
Geschlecht „passt“, nicht zuletzt um sich der
„eigenen“ Gruppe zugehörig zu fühlen.
Atelierangebote in der Praxisvolksschule
zum Thema „Gender Mainstreaming“
Astrid Kaiser (Kaiser 2003: 18ff) belegt anhand einer ganzen Reihe empirischer Untersuchungen der pädagogischen Frauenforschung, dass Schule bislang ihrem Auftrag,
gendergerechten Unterricht zu gestalten,
nicht ausreichend nachkommt und somit
zur Reproduktion der hierarchischen Ge-
(* Australien, Bolivien, Brasilien, Kanada, England, Finnland, Frankreich, Deutschland, Irland, Indien, Italien, Israel, Japan, Malaysia, Niederlande, Neuseeland,
Nigeria, Norwegen, Pakistan, Peru, Schottland, Südafrika, Trinidad, USA, Venezuela)
PROJEKTE |59
CORA KOCHT UND BERNHARD BAUT
Heike Niederreiter, Silvia Nowy-Rummel
Theorie 4:
Erwachsene haben Bilder von Weiblichkeit und Männlichkeit im Kopf und geben
diese unbewusst an Kinder weiter. Kinder
lernen somit das, was Erwachsene von
Ihnen erwarten.
Theorie 5:
Die Arbeitsteilung der Geschlechter in
einer Gesellschaft prägt Mädchen und
Jungen in ihrer Persönlichkeit.
schlechterverhältnisse beiträgt. „Die bisherige Praxis an Schulen erfolgt weitgehend
ohne eine bewusste Fokussierung von Geschlechterdifferenzen im didaktischen Denken.“ (Kaiser 2003: 20).
Theorie 6:
Das Selbstbild von Kindern wird dadurch
gebildet, dass Mädchen und Jungen
ständig sehen und hören, was von ihnen
verlangt wird.
Um einer geschlechterbewussten Bildung
Rechnung zu tragen, werden in der Praxisvolksschule Atelierangebote (siehe dazu
Pelzmann 2010: 52ff) initiiert, die auf die
nachfolgenden sieben „Theorien zur Erklärung der Geschlechterungleichheit“
aufbauen, welche (neben der Theorie der
Erwartungshaltung, die hier nicht explizit
ausgeführt wird) als Diskussionsgrundlage in
seriösen Debatten herangezogen werden
(vgl. Kaiser 2003: 24):
Theorie 7:
Jede Gesellschaft hat bestimmte Rollen
für Männer und Frauen vorgesehen. Mit
heimlichen und offenen Vorschriften und
Begrenzungen wird bei Kindern allmählich
das typisch männliche bzw. weibliche Rollenbild herausgebildet.(vgl. Kaiser 2003: 24)
Theorie 1:
Vorbilder sind entscheidend, da Kinder
durch die erwachsenen Vorbilder ihrer
Umwelt lernen, was männlich und weiblich
sein soll.
Ausgehend und aufbauend auf diese
„Theorien zur Erklärung der Geschlechterungleichheit“ wurden (und werden)
folgende Inhalte in der Ateliersarbeit der
Praxisvolksschule Salzburg angeboten:
Theorie 2:
Lassen wir Mädchen nur mit Puppen
spielen und Jungen nur mit technischem
Spielzeug, dann lernen sie entsprechende
Verhaltensweisen. Die Übung ist entscheidend.
Zu Theorie 1)
Erfinderinnen und berühmte Frauen
Der Schwerpunkt lag auf weiblichen Vorbildern. Speziell für Mädchen, aber auch für
interessierte Buben wurden Lebensbiographien namhafter aber auch völlig unbekannter Erfinderinnen und Entdeckerinnen
vorgestellt. Um eine Realbegegnung zu
schaffen, wurde die Dirigentin Elisabeth
Fuchs eingeladen.
Theorie 3:
Mädchen identifizieren sich mit ihren
Müttern, während Jungen sich von ihnen
abgrenzen, weil sie merken, dass sie zum
anderen Geschlecht gehören.
Zu Theorie 2)
Bauen und Konstruieren nur für Mädchen (Lego Mind Storm)
Mädchen wurde in diesem Atelier die Gelegenheit gegeben, sich mit technischen
60| PROJEKTE
Heike Niederreiter, Silvia Nowy-Rummel
Anforderungen auseinander zu setzen. Sie
konnten mit unterschiedlichen Materialien
frei bauen und nach Bauplänen Roboter
konstruieren und programmieren.
Parallel dazu wurden Garten- und Koch­
ateliers für Jungen angeboten, mit dem
Ziel der praktischen Anwendung und dem
Erleben eines verantwortungsvollen Umgangs mit der Natur.
Zu Theorie 3)
Um speziell den Buben, aber auch interessierten Mädchen, männliche Identifikationspersonen aus dem sozialen Bereich
näher zu bringen, wurden ein Kindergartenpädagoge und ein Hausmann eingeladen, die aus ihrer täglichen Arbeit
berichteten und eindrucksvoll die Arbeit
mit Kleinkindern präsentierten.
CORA KOCHT UND BERNHARD BAUT
Dass ein Meinungsumbildungsprozess bei
Schülerinnen und Schülern tatsächlich stattfinden kann, untersuchte eine der beiden
Autorinnen bereits 2001, indem sie ihren
geschlechtssensiblen Unterricht evaluierte.
(Nowy-Rummel, 2001)
In einer nicht-repräsentativen Fragerunde
am Ende der Arbeitsphasen der Ateliers war
ebenfalls deutlich eine Meinungs- und Bewusstseinsänderung erkennbar.In diesem Sinne und im Sinne des Gender­mainstreaming
ist es wichtig, dass auch in den kommenden
Jahren wieder Ateliers mit geschlechtersensiblen Themen angeboten werden. Es bleibt
aber abschließend anzumerken: „…nur in
dem Maße, wie sich bei den Lehrkräften
die starren Grenzen stereotyper Bilder von
Männlichkeit und Weiblichkeit lösen, können
auch bei Kindern Entwicklungen fortgeführt
werden.“ (Kaiser 2003: 29)
Zu Theorie 4)
Nicht als eigenes Atelier zu werten, aber
ein wesentlicher Punkt einer Pädagogik
der Gleichberechtigung, ist die im Rahmen
der Atelierarbeit ständig stattfindende Reflektierung der eigenen Erwartungen der
Lehrkräfte an Mädchen und Jungen. Dies
passiert u.a. im Rahmen von kollegialen
Gesprächen.
Zu Theorie 5)
Zukunftsträume-Berufe
In Zusammenarbeit mit dem Projekt MUT
(Mädchen und Technik) wurden u.a.
durch Selbst- und Fremdeinschätzungsübungen SchülerInnen bestärkt, ungewöhnliche Berufsvorstellungen zu äußern
und als durchaus realisierbar anzusehen.
Zu Theorie 6 und 7)
Mädchen und Buben
Themenschwerpunkt war hier die Aus­
einandersetzung mit der eigenen Rolle
und dem anderen Geschlecht. Dies
geschah in Rollenspielen und sorgfältig
ausgewählten Arbeitsmaterialien.
Literatur:
Alfermann, Dorothee (1996): Geschlechterrollen und geschlechtstypisches Verhalten. Stuttgart, Berlin, Köln: Kohlhammer.
bm:ukk/Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur: Grundsatzerlass zum Unterrichtsprinzip „Erziehung zur Gleichstellung von Frauen und
Männern“ 1995 URL: http://www.bmukk.gv.at/schulen/unterricht/prinz/
erziehung_gleichstellung.xml [Stand: 30.3.2011].
Council of Europe (1998): Directorate General of Human Rights and Legal
Affairs Gender Equality Division ; Gender mainstreaming: Action undertaken by the Council of Europe. URL: http://www.coe.int/t/dghl/standardsetting/equality/03themes/gender-mainstreaming/Factsheet-GMainstr_
en.pdf [Stand: 4.4.2011].
Kaiser, Astrid (2003): Projekt geschlechtergerechte Grundschule. Erfahrungsberichte aus der Praxis. Opladen: Leske und Budrich.
Löw, Martina (2006): Einführung in die Soziologie der Bildung und Erziehung.2. durchgesehene Auflage. Opladen & Farmington Hills: Barbar Budrich.
Nowy-Rummel, Silvia (2001): Mögliche Auswirkungen eines geschlechtssensiblen Unterrichts. Diplomarbeit. Rosa Mayreder College. Wien.
Pelzmann, Deborah (2010): Unterricht in Ateliers. Aus dem Schulalltag erzählt… In: ph.script. Pädagogische Hochschule Salzburg. Beiträge aus Wissenschaft und Lehre 2010. Heft Nr. 02. 52ff.
Rendtorff, Barbara (2003): Kindheit, Jugend und Geschlecht. Einführung in
die Psychologie der Geschlechter. Weinheim, Basel, Berlin: Beltz.
PROJEKTE |61
AUS ANDERER SICHT
Christian Treweller
„Aus anderer Sicht“
Ein Projekt an der Pädagogischen Hochschule Salzburg
Christian Treweller
Gesellschaft als Ganzes besteht aus vielen unterschiedlichen Teilen, erst die Summe aller Teile gibt
der Gesellschaft ihren gesamten Wert. Zu diesen Teilen gehören auch Menschen mit Behinderungen, mit voller Teilnahme an gesellschaftlicher Mitgestaltung in allen Bereichen. Bildung stellt
auch und gerade bei Menschen mit Behinderungen nicht nur einen von mehreren Lebensbereichen dar, sondern legt elementare Grundvoraussetzungen für viele andere gesellschaftliche Bereiche, wie etwa Erwerbsleben, kulturelle Teilhabe und gesellschaftspolitisches Engagement, in denen
Menschen mit Behinderungen nach wie vor Diskriminierung erfahren. (Vgl. Behindertenbericht,
Diskriminierung von Gehörlosen, Essl Social Index)
Um Menschen mit Behinderungen eine
uneingeschränkte und gleichberechtigte
Teilnahme und Mitgestaltung an der Gesellschaft zu ermöglichen, ist eine Schule
notwendig, welche diese Teilhabe fördert.
Dazu gehören vor allem qualifizierte LehrerInnen, die nicht nur aufgrund theoretischer
Grundlagen in der Ausbildung mit ihren Haltungen und Einstellungen den Lebensraum
Schule prägen. Einen praxisrelevanten Teil
der LehrerInnenbildung an der Pädagogischen Hochschule Salzburg stellt hierbei das
Projekt „Aus anderer Sicht“ dar.
Ursprung und Entwicklung des Projektes
Aufgrund unterschiedlicher regionaler, nationaler und interessensbedingter Gegebenheiten existiert keine allgemeine Definition des Begriffes „Behinderung“. Den
unterschiedlichen Definitionen gemeinsam ist die zumindest sechs Monate dauernde Beeinträchtigung der Teilhabe am
wirtschaftlichen
und
gesellschaftlichen
Leben aufgrund ungünstiger Umweltfaktoren und persönlicher Eigenschaften (vgl.
International Classification of..., Bundesbehindertenbericht 2008, Bundesbehinderteneinstellungsgesetz 1970/2011, Salzburger Behindertengesetz).
„Barrierefreiheit“ meint generelle Zugänglichkeit und Benützbarkeit von Angeboten,
Dienstleistungen, Information etc. für alle,
62| PROJEKTE
egal ob mit oder ohne Behinderungen (vgl.
Integration:Österreich 2003 und Bundesbehindertengleichstellungsgesetz 1970/2011).
Das Projekt „Aus anderer Sicht“ wurde 1998
im Behindertenbeirat der Stadt Salzburg entwickelt. Intention der im Behindertenbeirat
vertretenen Interessensverbände war eine
nachhaltige Sensibilisierung und der Abbau von Barrieren für Menschen mit Behinderungen. Zu dieser Zeit gab es so gut wie
keine vergleichbaren Initiativen (in der Recherchearbeit wurde der Behindertenbeirat im deutschsprachigen Raum nur in Bern,
Schweiz, fündig; vgl. AKBS 81 1981). Die Konzeptentwicklung betrat damit Neuland und
bezog die theoretischen Grundlagen vor
allem aus der Auswertung von qualitativen
Interviews (vgl. Lamnek 1995) mit VertreterInnen von Interessensverbänden der Salzburger Behindertenorganisationen, Jugendeinrichtungen und LehrerInnen.
Im Juni 2001 konnten auf Initiative von Angela Faber erstmalig Studierende der „Pä­
dagogischen Akademie Salzburg“ das Projekt erleben. Aufgrund des positiven Echos
setzte sich der Direktor der damaligen „Pädagogischen Akademie“, Josef Sampl, für
eine kontinuierliche Einbettung der Projektinhalte ein und das Projekt wurde als Bestandteil der LehrerInnenausbildung in Salzburg
institutionalisiert. Mittlerweile ist das Projekt
im Seminar „Integration und Inklusion“ für
Christian Treweller
alle Studiengänge im 3. Semester der Ausbildung an der Pädagogischen Hochschule
fest verankert.
Nach wie vor stehen die Mitgliedsorganisationen des Behindertenbeirates der Stadt
Salzburg einhellig mit bereitgestellten Personalressourcen zu diesem Projekt und zudem
ist dieses Projekt in Österreich nach wie vor
einzigartig mit dem umfassenden Anspruch,
alle Behinderungsformen einzubinden und
so eine entsprechende Vielfalt zu bieten.
Intention
Das Projekt „Aus anderer Sicht“ soll durch
Kennenlernen, Selbsterfahrung und Reflexion zu einem nachhaltigen Barriereabbau
beitragen und die unterschiedlichen Lebensrealitäten von Menschen mit Behinderungen vermitteln.
Inhaltlicher Ablauf
AUS ANDERER SICHT
Die Aktivitäten in den Gruppenphasen gliedern sich in drei Bereiche: Kennenlernen
bzw. Information - Selbsterfahrung - Reflexion.
Kennenlernen bzw. Information: Durch den
persönlichen Kontakt mit Menschen mit
Behinderungen entsteht ein vertrauteres
Verhältnis, welches beitragen soll, Berührungsängste, Unsicherheiten und Vorurteile
abzubauen. In direktem Dialog erfahren Studierende mehr über den Alltag, bestehende
Barrieren und mögliche Chancen von Menschen mit Behinderungen.
Selbsterfahrung: Soweit wie möglich erleben
Studierende die Lebensrealitäten von Menschen mit Behinderungen durch Ausprobieren, z.B. durch Ertasten der sonst vertrauten
Umgebung mit Blindenbrille und Langstock,
durch eine Tour im Rollstuhl, durch Lippenlesen und Kommunikation in Gebärdensprache... .
In Blöcken zu je vier Unterrichtseinheiten treffen sich die Studierenden des 3. Semesters
mit betroffenen ExpertInnen in Gruppengrößen von durchschnittlich 10 bis 15 Personen.
Die Thematik in den Gruppen ergibt sich
aus den unterschiedlichen Formen von Behinderungen (Mobilitätsbeeinträchtigung,
Sehbehinderung, Gehörlosigkeit, Psychische
Krankheit und Lernbeeinträchtigung).
Orte der Umsetzung sind einerseits das den
Studierenden vertraute Umfeld an der Pädagogische Hochschule und andererseits
die Niederlassungen der Behinderteninteressensverbände bzw. alltägliche Orte von
Menschen mit Behinderungen.
Beteiligte Partnerorganisationen stammen
aus dem Behindertenbeirat der Stadt Salzburg und stellen die wesentlichen Vertreter
aller Menschen mit Behinderungen in Salzburg dar (Gehörlosenverband, Blinden- und
Sehbehindertenverband, Zivilinvalidenverband, Pro Mente, Laube, Lebenshilfe...).
PROJEKTE |63
AUS ANDERER SICHT
Christian Treweller
Diese veränderte Perspektive lädt ein, bisher
bewusste, aber auch unbewusste Denkmuster zu hinterfragen und in der Folge neue
Sichtweisen zu entwickeln.
Reflexion: Die Information und durch Selbsterfahrung getätigte Erlebnisse werden in
Begleitung der ExpertInnen aufgearbeitet,
in Frage und Antwort können noch offene
Punkte besprochen werden. Die Studierenden erstellen nachfolgend einen Bericht, in
dem ihre Erfahrungen aufgearbeitet und zusammengefasst werden.
Neben Fachkompetenz durch Wissenszuwachs über unterschiedlichste Formen von
Behinderung und den damit einhergehenden Barrieren und Möglichkeiten, stellt die
Erlangung von vor allem sozialen Kompetenzen und Selbstkompetenzen die Zielsetzung
des Projektes dar. In einem erweiterten Verständnis für grundlegende Begriffe wie „Behinderung“ und „Barrierefreiheit“ können
Einstellungen und Haltungen der Studierenden nachhaltig verändert werden und können somit in die spätere Unterrichtspraxis mit
einfließen.
Inklusion als Perspektive
Der lebendige Praxisbezug, die Berührtheit
durch den persönlichen Kontakt und die
Erweiterung des eigenen Horizontes wird
von den Studierenden selbst immer wieder
als bereichernder Nutzen geschildert. In der
Folge sollten aber auch die SchülerInnen
dieser angehenden LehrerInnen von einer
durch Verständnis für „Inklusion“ geprägten
Haltung profitieren.
Den Begriff „Inklusion“ erklärt Andreas Hinz
im schulischen Kontext wie folgt: „Das Einbezogensein als vollwertiges Mitglied der
Gemeinschaft ist zentral (‚full membership‘,
LIPSKY/GARTNER 1999, 13), unabhängig von
Fähigkeiten und Unfähigkeiten. Es ist keine Qualifikation nötig für die Zugehörigkeit
zum gemeinsamen Unterricht, die über eine
64| PROJEKTE
Diagnose von Mindestfähigkeiten erfolgen
müsste, ein Kind muss sich nicht erst sein
Recht auf Inklusion verdienen oder kämpfen
es zu erhalten‘ - ‚a child does not have to
earn his or her right to be included or struggle to maintain it‘ (SAPON-SHEVIN 2000, 4).“
(Hinz 2002)
„Inklusion“ insgesamt geht von der Grundannahme aus, dass alle Menschen gleichberechtigten Zugang und Mitwirkungsmöglichkeiten besitzen sollten. Schließen etwa
Regelungen und Strukturen bestimmte Teile
der Gesellschaft hiervon aus, so sind diese
Regelungen und Strukturen zu ändern, sodass in der Folge strukturelle Förderung wirksam werden kann - und nicht die dadurch
ausgeschlossenen Personen oder Gruppen
gänzlich außerhalb bleiben.
Rückmeldungen der Studierenden
Im Wintersemester 2010/11 wurden den Studierenden im Rahmen einer abschließenden Evaluation zum Seminar „Integration
und Inklusion“ folgende Fragen zur Evaluation vorgelegt:
1. Welche Barrieren entstehen für Menschen mit Behinderungen in unserer Gesellschaft/ in unserem Bildungssystem?
2. Welche Angebote, Assistenzleistungen
und Unterstützungsmöglichkeiten gibt es
für Menschen mit Behinderungen?
3. Wie hat sich durch das Projekt meine persönliche Sichtweise verändert?
4. Welche Auswirkungen hat das Projekt auf
meine berufliche Praxis?
Von den 250 Studierenden im 3. Semester im
Studienjahr 2010/11 konnten anhand der zur
Verfügung gestellten schriftlichen Aufzeichnungen von drei Seminargruppen insgesamt
97 Rückmeldungen ausgewertet werden:
Vorab: Die Fragen 1 und 2 wurden zum Teil
sehr ausführlich beantwortet und gaben
den individuellen, kognitiven Lernzuwachs
Christian Treweller
wieder. Hier erfolgte eine beinahe durchgängige Wiedergabe der von den ExpertInnen erläuterten Problemstellungen, Möglichkeiten und Angebote.
Besonders relevant für eine Evaluation des
Projektes war die Auswertung zu den Fragen
3 und 4. Eine klare und detaillierte Auswertung ist hier allerdings nicht möglich, da die
schriftlichen Rückmeldungen der Studierenden formal sehr indifferent gestaltet sind, von
der kurzen Schilderung persönlicher Eindrücke bis hin zu umfassenderen Beschreibungen bzw. einem konkreten Eingehen auf die
Fragestellungen. Die folgende Auswertung
kann daher nur Tendenzen in den Rückmeldungen aufzeigen, die sich an der inhaltlichen, qualitativ orientierten Auswertung der
Texte orientiert.
ad 3: Grundsätzlich war festzustellen, dass
der persönliche Profit umso höher lag, je
weniger Vorerfahrung im Umgang mit Menschen mit Behinderungen die Studierenden
hatten. Aussagen wie „Es war mir nicht bewusst, dass...“ belegen, dass sich ein großer
Teil der Studierenden in der bisherigen Lebenspraxis wenig Kompetenzen in der Arbeit mit Menschen/SchülerInnen mit Behinderungen aneignen konnte.
Unter Aussagen wie etwa „war mir neu“,
„ich wusste nicht, dass...“ und „das Projekt
hat mir neue Sichtweisen eröffnet...“ fand
sich folgender Anteil von Studierenden:
„„ hat neue Sichtweisen eröffnet: 82%
„„ war bereits bekannt 12,5%
„„ ohne Angaben 5,5%
Beinahe durchgängig wurde als entscheidender Faktor für die Veränderung der persönlichen Sichtweise der direkte Kontakt
zu betroffenen ExpertInnen (Menschen mit
Behinderungen) genannt. Der unmittelbare
Kontakt und der zum Teil sehr intime Einblick
in den Alltag von Menschen mit Behinderungen berührte, wie in Beiträgen von Studie-
AUS ANDERER SICHT
renden zu lesen war: „ich war beeindruckt
von der Lebensfreude...“, „...war begeistert,
wie Frau/Herr XY ihr/sein Leben meistert...“.
Immer wieder überraschend für Studierende war, wie ein praktisch „normales“ Leben
trotz Behinderung geführt werden kann. Die
prozentuelle Auswertung der Rückmeldungen ergibt folgendes Bild:
„„ Von ExpertInnen beeindruckt und berührt: 48,5%
„„ aufgrund beruflicher Erfahrungen bereits
sehr vertraut: 3%
„„ ohne Angaben 48,5%
Der Selbsterfahrungsanteil beim Projekt wird
als sehr bereichernd beschrieben, jedoch
im Rahmen der Möglichkeiten der jeweiligen Veranstaltung vereinzelt als zeitlich zu
kurz empfunden:
„„ Selbsterfahrung war wichtig und bereichernd: 36%
„„ ohne Angaben: 64%
ad 4: Hier war zu beobachten, dass der
von den Studierenden selbst eingeschätzte
Profit durch das Projekt mehr auf der Bereicherung der persönlichen Haltungen und
Einstellungen lag als auf der direkten Verwertbarkeit für die berufliche Praxis:
„„ für Beruf Neues gewonnen: 41%
„„ derzeit keine Transfermöglichkeiten: 6%
„„ ohne Angabe: 53%
Manche Studierende (aus der Volks- und
HauptschullehrerInnenausbildung) berichteten zum Teil sehr kompetent, wie sie sich
einen Unterricht in Integrationsklassen vorstellen können und welche Voraussetzungen
dafür erforderlich sind:
„„ kann mir nun gut vorstellen mit SchülerInnen mit Behinderungen bzw. in Integrationsklassen zu unterrichten: 19%
„„ kann ich mir nicht vorstellen: 1%
„„ ohne Angabe: 80%
PROJEKTE |65
AUS ANDERER SICHT
Christian Treweller
Schlussbemerkung
Um inklusiven Unterricht zu gewährleisten, ist
nicht nur die selbstverständliche Teilnahme
von SchülerInnen mit unterschiedlichen Behinderungen als Teil einer Lerngemeinschaft
Voraussetzung. Die Einbindung der Kompetenz von Menschen mit Behinderungen in
die LehrerInnenausbildung und im schulischen Alltag bewährt sich, um der Zielsetzung eines Verständnisses von „normalem“
Miteinander auf allen Ebenen näher zu
kommen.
Ein Anliegen ist sicherlich die Entwicklung
weg von einem Modellprojekt hin zu einem
selbstverständlichen Bestandteil in der LehrerInnenausbildung, über die Grenzen Salzburgs hinaus.
„Ich hoffe, dass sich dieses System mithilfe
der Inklusionsansätze ändern wird, denn alle
haben ein gleiches Recht auf Bildung und
Anerkennung“, so eine Studierende der Pädagogischen Hochschule im Studienjahr
2010/11.
Links zum Projekt und den dabei engagierten Organisationen:
„„ http://www.sisal.at/aas (Soziale Initiative
Salzburg)
„„ http://www.gehoerlose-salzburg.at (Salzburger Gehörlosenverband)
„„ http://www.sbsv.at (Salzburger Blindenund Sehbehindertenverband)
„„ http://www.promentesalzburg.at
(Pro
Mente Salzburg)
„„ http://laube.at (Laube)
„„ http://www.oeziv.org
(Zivilinvalidenverband)
„„ http://www.lebenshilfe-salzburg.at
(Lebenshilfe Salzburg)
„„ http://bundessozialamt.gv.at (Bundessozialamt)
„„ http://www.stadt-salzburg.at/internet/
salzburg_fuer/menschen_m_behinderu/
p2_93658.htm (Behindertenbeauftragte
der Stadt Salzburg)
Nachtrag
Im Projekt „Teacher Education for Inclusion“
der “European Agency for Development in
Special Needs Education” (siehe Seite 72 in
der aktuellen Ausgabe) wurde das Projekt
„Aus anderer Sicht“ bereits als Modellprojekt
aufgenommen. ExpertInnen aus allen Ländern Europas haben die Möglichkeit, von
diesen Erfahrungen zu lernen. Im Rahmen
einer nationalen RektorInnen-Konferenz im
Frühjahr 2011 mit internationaler Beteiligung
werden im Kontext der LehrerInnenbildung
NEU Modelle vorzeigenswerter Praxis auch
anderen Pädagogischen Hochschulen in
Österreich nähergebracht. (Siehe http://
www.european-agency.org/agency-projects/teacher-education-for-inclusion/country-info)
66| PROJEKTE
Literatur:
AKBS 81 (Hg.) (1981): Knacker. Bern.
Integration:Österreich (2003): Buch der Begriffe. Wien.
Behinderteneinstellungsgesetz (BEinstG): BGBl. Nr. 22/1970 idF BGBl. I Nr.
7/2011
Bundesgesetz über die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen
(Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz – BGStG). BGBl. I Nr. 82/2005 idF
BGBl. I Nr. 7/2011.
Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz (Hg.)
(2008): Behindertenbericht 2008 - Bericht der Bundesregierung über die
Lage von Menschen mit Behinderungen in Österreich. Wien.
Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz (Hg.)
(2010): Sozialbericht 2009 - 2010, Ressortaktivitäten und sozialpolitische
Analysen. Wien.
Essl Foundation (2010): Essl Social Index. Pilotstudie 2010, Situation von
Menschen mit Behinderungen. Klosterneuburg.
Hinz, Andreas (2002): Von der Integration zur Inklusion - terminologisches
Spiel oder konzeptionelle Weiterentwicklung? In: Zeitschrift für Heilpädagogik 53. 354-361.
Abrufbar unter der Webseite: http://bidok.uibk.ac.at/library/hinz-inklusion.
html#id3229796. (25. März 2011).
Lamnek, Siegfried (1995): Qualitative Sozialforschung. Methoden und
Techniken. Bd. 2, 3. korr. Aufl. Weinheim.
Österreichischer Gehörlosenbund (Hg.) (2008): Diskriminierungsbericht
2007/08. Wien.
Weltgesundheitsorganisation (Hg.) (2005): Internationale Klassifikation der
Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit. Genf.
Christine Schober
DAS LESETAGEBUCH ALS BEITRAG ZUR INDIVIDUELLEN LESEFÖRDERUNG
Das Lesetagebuch als Beitrag zur
individuellen Leseförderung1
Christine Schober
Den Leselernprozess erfolgreich zu begleiten stellt für VolksschullehrerInnen immer wieder eine
Herausforderung dar. Besonders die Heterogenität der Leseleistungen versetzt PädagogInnen in
die schwierige Lage, den individuellen Entwicklungsstand zu berücksichtigen und gleichzeitig
Arbeitstechniken zu vermitteln, die das Fortkommen aller Kinder einer Klasse garantieren. In
diesem Beitrag soll durch das Konzept des Lesetagebuches eine Möglichkeit aufgezeigt werden, wie
sich beides vereinen lässt.
Das Thema Lesen, dem immer dann vermerkte Aufmerksamkeit geschenkt wird,
wenn PISA-Ergebnisse veröffentlicht und in
den Medien präsentiert werden, ist für LehrerInnen täglich präsent. SchülerInnen weisen sehr unterschiedliche Lesekompetenzen
auf und die Förderung bzw. Forderung aller
SchülerInnen sollte eine Selbstverständlichkeit darstellen. Es gilt also, den individuellen
Leistungsstand zu berücksichtigen und die
Motivation zum Lesen im Allgemeinen zu fördern. Im vorliegenden Beitrag soll dargelegt
werden, wie mithilfe eines Lesetagebuches
ein ganzheitlicher Lesebegriff und die Berücksichtigung von Interessen in einem In­
strument zusammenfließen und wie damit
der Leseunterricht für alle zu einem befriedigenden und förderlichen Unternehmen
werden kann. Dazu wird vorerst der mehrdimensionale Lesebegriff und das Konzept der
Basic Needs kurz vorgestellt. Im Anschluss
folgt der Entwurf des Lesetagebuches, der
zu eigenen Konzeptionen anregen soll.
Lesen in kulturwissenschaftlicher
Perspektive
Hurrelmann (2002) plädiert für einen Lesebegriff, der neben der kognitiven auch motivationale, emotionale und interaktive Komponenten inkludiert. Erstere betreffen das
umfassende Verstehen von Texten, das beim
Ermitteln von Informationen beginnt, den Bogen über die Interpretation spannt und mit
Reflexion von Inhalt und Form endet. Dieser
Lesekompetenzbegriff, der auch die Grundlage für PISA stellt, wird bei Hurrelmann (vgl.
2002: 8) um weitere wichtige Aspekte zur
Anwendung in der Lesedidaktik erweitert:
„„ Die
motivationale Dimension umfasst die
positive Hinwendung zu Texten und das
Verständnis, etwas Wertvolles darin entdecken zu können. Darüber hinaus ist
auch eine gewisse Beharrlichkeit erforderlich, wenn es gilt, das Ziel des Textverständnisses nicht aus den Augen zu verlieren und die Wertigkeit hochzuhalten.
„„ Der
emotionale Aspekt ermöglicht das
Verbinden eigener Erfahrungen und erlebter Gefühle mit der Lektüre genauso,
wie die individuell richtige Wahl des Lesestoffes. Auch das Ertragen vorübergehender Unlustgefühle einerseits und der
Genuss literarischer Ästhetik andererseits
werden hier inkludiert.
„„ Der
soziale bzw. interaktive Faktor schließlich betrifft die Möglichkeit, sich über die
gelesenen Inhalte auszutauschen. Hier
werden Interpretationsvarianten diskutiert und gleichzeitig Verständnis gebildet
für die soziale Konstruktion unterschiedlicher Meinungen.
Diese neben der Kognition so wichtigen Aspekte der Motivation, der Emotion und der
Interaktion sollen im Folgenden in einem
theo­retischen Hintergrund verankert werden.
1
Die in diesem Artikel dargestellten Gedanken sind in einer umfangreichen empirischen Studie bereits erschienen in: Schober, Christine (2009): Leseverhalten
von Grundschulkindern. Eine empirische Studie unter den Aspekten Geschlecht und Interesse. Saarbrücken: VDM Verlag Dr. Müller.
PROJEKTE |67
DAS LESETAGEBUCH ALS BEITRAG ZUR INDIVIDUELLEN LESEFÖRDERUNG
Das Konzept der Basic Needs
Der Mensch steht in wechselseitiger Beziehung mit seiner Umwelt. Dadurch befindet
sich das Individuum in einem permanenten
Veränderungsprozess, bei dem persönliche
Entwicklung nicht selbstverständlich, sondern von der sozialen Umgebung abhängig ist (vgl. Deci & Ryan 2002, Krapp 2005a).
Trotz dieses gegenseitigen Lernprozesses
zwischen einer Person und den InteraktionspartnerInnen des sozialen Umfelds bleibt
der Mensch als individuelle Einheit in Form
einer „guten Gestalt“ (vgl. Krapp 1992: 301)
erhalten. Dieser lebenslang wirksame Entwicklungsprozess, bei dem gewisse Inhalte
in das Persönlichkeitskonzept übernommen,
andere aber abgelehnt werden, steuert die
Balance zwischen individuellem Wachstum
und sozialer Bindung (vgl. Krapp 2005a). In
diesem Zusammenhang spricht Krapp (1992:
300) von einem ‚inneren Kern‘ oder dem ‚individuellen Selbst‘ eines Individuums. Dieses
Zentrum der Persönlichkeit wird durch die
permanente Auseinandersetzung mit dem
Umfeld und der damit einhergehenden Anpassung geformt. Welche Inhalte integriert
werden und welche nur marginale Bedeutung haben, bestimmen neben einem kognitiven Regulativ vor allem auch die grundlegenden psychologischen Bedürfnisse (vgl.
Deci & Ryan 2002, Krapp 1992, 2005a):
„„ Das
Bedürfnis nach Kompetenz und
Wirksamkeit (competence) betrifft das
Kompetenzerleben eines Menschen. Darunter versteht man seine grundsätzliche
Handlungsfähigkeit und den Wunsch,
den gestellten Aufgaben gewachsen zu
sein sowie diese durch eigenes Bemühen
bewältigen zu können (vgl. Deci & Ryan
2002, Krapp 1992, 2005a).
„„ Das
Streben nach Autonomie und Selbstbestimmung (autonomy) stellt eine wichtige Voraussetzung für das Kompetenz­
erleben dar. Skinner und Edge (2002:
301) definieren dies als „the desire to act
according to their genuine desires and
68| PROJEKTE
Christine Schober
preferences“, Krapp (2005a) spricht vom
Wunsch nach Selbstständigkeit, der bereits von früher Kindheit an besteht.
„„ Der
Wunsch nach sozialer Eingebundenheit (social relatedness) gilt als drittes
Grundbedürfnis und betrifft den Wunsch
nach
zufriedenstellenden
Sozialkontakten. Jeder Mensch braucht die Inte­
gration in ein soziales System, wofür er/
sie auch bereit ist, Handlungsmuster und
Wertesysteme bestimmter Gruppierungen zu übernehmen (vgl. Krapp 2005a).
Dieses „primär emotionsgesteuerte Rückmelde- und Gratifikationssystem“ (Krapp
2005a: 634) gilt als Ausgangspunkt von Energie und Richtung für Motive und Zielsetzungen. Nachfolgende Grafik wurde zur Verdeutlichung erstellt.
Grafik 1: Darstellung der Funktionsweise der Basic
Needs als Grundlage für Richtung und Energie (unterbrochene Pfeile) von motivationalen Handlungen.
Die Verbindung zur Person (P), die mit der Umwelt (U)
in ständigem Austausch steht, fungiert mittels einer Art
Regulationssystem, das über die Passung des Verhaltens Rückmeldungen an die Basis liefert.
Die Basis der Bedürfnisse, die in den Basic Needs individuell festgelegt ist, steht in
Christine Schober
DAS LESETAGEBUCH ALS BEITRAG ZUR INDIVIDUELLEN LESEFÖRDERUNG
permanentem Austausch mit dem Individuum und dessen Bezug zur Umwelt. Dabei wird eine Art Regulationssystem durchlaufen, das abklärt, inwieweit das Handeln
der Person mit den drei psychologischen
Grundanliegen kompatibel ist. Ein motivationales Antriebssystem (unterbrochene
Linie) ermöglicht die Entwicklung bestimmter zielgerichteter Handlungspläne. So entfaltet sich ein Regelkreis, durch den Rückmeldungen an die Person erfolgen, ob die
aktuellen Handlungen den grundsätzlichen
Erfordernissen entsprechen oder einer Korrektur bedürfen. Folglich ist es von diesem
Regelsystem abhängig, den Bezug zu einem bestimmten Gegenstand2 aufzubauen bzw. weiter zu pflegen und daraus unter
bestimmten Umständen Interesse zu entwickeln (vgl. Krapp 1992). Im Individuum äußert sich diese Rückmeldung in unterschiedlichen Graden von Wohlbefinden. Herrscht
hohe Übereinstimmung zwischen den Person-Umwelt-Interaktionen und den Zielen
von optimalem Wachstum, stellt sich Zufriedenheit und wohltuendes Empfinden ein,
bei geringer Kongruenz ist die Gefühlslage
irritiert (vgl. Krapp 2005a: 631). In diesem Zusammenhang weisen Deci und Ryan (2002)
darauf hin, dass Erfahrung von Kompetenz
und Autonomie die intrinsische Motivation
ansteigen lassen, was höchst förderlich für
sämtliche Lernprozesse ist.
Es gilt als erwiesen, dass Interessen eine
positive Komponente im motivationalen
Geschehen darstellen. Das Einbinden von
neuen Lerninhalten in bereits bestehende
Schemata erfolgt schneller und erfolgreicher. Auch Lösen komplexer Inhalte und
Ermitteln unkonventioneller Lösungsoptionen gelingt bei vorhandenem Interesse
wesentlich besser (vgl. Krapp 2005b). Wie
sollen nun die unterschiedlichen Interessen
Berücksichtigung im Leseunterricht erfahren? Wie können neben den kognitiven
auch die motivationalen, emotionalen und
interaktiven Aspekte des Lesekompetenzmodells verwirklicht werden? Dazu wird
nachfolgend das interessengeleitete Lesetagebuch vorgestellt.
Lesetagebuch
Dieses Instrument stellt kein Tagebuch im
herkömmlichen Sinne dar (vgl. Block 2004),
sondern der Einsatz ist sowohl für offenen als
auch für gebundenen Unterricht verstanden. Da nach Krapp (2005b: 635) eine Person sich nur dort Handlungsfreiheit wünscht,
„wo sie glaubt, anstehende Aufgaben mit
hinreichender Wahrscheinlichkeit erfolgreich
bewältigen zu können“ (Krapp 2005b: 635),
werden die Aufträge vorstrukturiert. Damit
soll sichergestellt werden, dass alle SchülerInnen Kompetenz im Sinne der grundlegenden psychologischen Bedürfnisse erleben
können. Das Autonomieerleben ist durch
die Wahlmöglichkeit von Aufgaben gegeben. Ein während der Bearbeitung oder
im Anschluss erfolgender Austausch über
die Ergebnisse entspricht der interaktiven
Komponente. Die Ausführung erfolgt in Einzel- oder auch in Gruppenarbeit und kann
sowohl für kurze Texte als auch für Bücher
konzipiert werden. Die Eintragungen können
in einem Heft oder auf Blättern erfolgen, die
in einer Mappe gesammelt werden. Somit
schaffen SchülerInnen eine Art Journal zu
den bearbeiteten Texten, was die Wertigkeit
von Lesen wiederum erhöht. Die Aufgabenstellungen müssen drei Typen enthalten, die
auch in der Komplexität unterschiedliche
Dimensionen aufweisen:
„„ Kognitive
Aufgaben, wie beispielsweise
Fragen zur inhaltlichen Erfassung
„„ Aufträge
affektiver Art, die die unterschiedlichen Gefühlslagen aufgreifen
und
„„ Angebote
zur freien Gestaltung, bei denen der Phantasie keine Grenzen gesetzt
sind.
2
Als ‚Gegenstand‘ werden in diesem Verständnis alle kognitiven Schemata bezeichnet, die im Repräsentationssystem eines Menschen als strukturierte Einheit
abgebildet sind (vgl. Krapp 1992: 305).
PROJEKTE |69
DAS LESETAGEBUCH ALS BEITRAG ZUR INDIVIDUELLEN LESEFÖRDERUNG
Bei der Bearbeitung von Texten in dieser
Weise ist auch die Rückmeldung der Lehrperson besonders wichtig. Diese darf keineswegs wertend oder in Form einer Notenbeurteilung stattfinden, sondern muss direkt
auf den Inhalt Bezug nehmen und eventuell
dadurch noch zum Weiterarbeiten anregen.
Tabelle 1 zeigt eine Auswahl an möglichen
Arbeitsaufträgen, die auf die jeweilige Lektüre und die Entwicklungsstufe der SchülerInnen zugeschnitten und erweitert werden
kann und soll (vgl. Schober 2009: 87ff).
Der Einsatz dieses Lesetagebuches wurde
an der Volksschule Faistenau im Schuljahr
2006/2007 im Rahmen einer Masterarbeit erprobt und lieferte sehr erfreuliche Ergebnisse.
Es ist in hohem Maße gelungen, unterschiedliche Interessen und Kompetenzniveaus in
einem Instrument zu vereinen und Arbeitsangebote fern von geschlechtstypischen Zuschreibungen zu stellen. Der erfolgreiche
Einsatz dieses Tagebuches hängt wesentlich
von der Auswahl der Geschichten ab, inwieweit sich die Kinder mit den ProtagonistInnen
identifizieren und/oder phantastische Elemente aufgreifen und als reizvoll erachten.
Konstant hoch fielen die Werte für positive
Emotionen und Kompetenzerleben aus.
70| PROJEKTE
Christine Schober
Zusammenfassend soll festgehalten werden,
dass die Beachtung von Motivation, Emotion und Interaktion möglichst in allen Unterrichtssituationen stattfinden soll. Besondere
Bedeutung erhalten diese Komponenten
jedoch im Leseunterricht. Dabei kann dieser
Beitrag möglicherweise als Anregung dienen, das interessengeleitete Lesetagebuch
selbst zu erproben.
Literatur:
Block Iris (2004): Lesetagebücher im 2. Schuljahr. In: Grundschulzeitschrift
51. 11. 27-34.
Deci Edward & Ryan Richard (1993): Die Selbstbestimmungstheorie der
Motivation und ihre Bedeutung für die Pädagogik. In: Zeitschrift für Pädagogik 39. 2. 223-238.
Deci Edward & Ryan Richard (2002): Overview of Self-Determination Theory: An Organismic Dialectical Perspective. In: Edward Deci & Richard
Ryan (Hg.): Handbook of Self-Determination Research. Rochester: University Press. 3-33.
Hurrelmann, Bettina (2002): Leseleistung – Lesekompetenz. Folgerungen
aus PISA, mit einem Plädoyer für ein didaktisches Konzept des Lesens als
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Development. In: Edward Deci & Richard Ryan (Hg.): Handbook of SelfDetermination Research. Rochester: University Press. 297-337.
Myriam Burtscher, Barbara Herzog
DIFFERENZIERUNG DURCH KOMPLEXITÄT
Differenzierung durch Komplexität
Heterogenität im Mathematikunterricht begegnen
Myriam Burtscher, Barbara Herzog
Mit der Implementierung der Bildungsstandards in Österreich und der Entwicklung von Kompetenzmodellen, die diesen Standards zugrunde liegen, wurde die Forderung nach kompetenzorientiertem Unterricht laut – einem Unterricht, der neben inhaltlichen auch methodische, soziale
oder kommunikative Kompetenzen fördert. Gleichzeitig gilt es, den individuellen Bedürfnissen
von SchülerInnen in sehr heterogenen Lerngruppen gerecht zu werden. Für den Mathematikunterricht wurden in den letzten Jahren Modelle und Aufgabenformate entwickelt, die einerseits
Differenzierung ganz „natürlich“ zulassen und dabei die Kompetenzentwicklung unterstützen.
Heterogenität als Normalität
Die Leistungsheterogenität in Schulklassen
und Lerngruppen ist eine mittlerweile unumstrittene Tatsache. Largo (2009) zeigt in
seinen Langzeitstudien zur kindlichen Entwicklung eindrucksvoll, wie stark Vielfalt
ausgeprägt sein kann: So ergab etwa eine
Untersuchung 20 Siebenjähriger ein Entwicklungsalter von 5.5 bis 8.5 Jahren (vgl. Largo
2009: 32). Um diese interindividuelle Heterogenität auszugleichen, sieht unser Schulsystem verschiedenste Mechanismen vor.
Zurückstellung, Klassenwiederholung oder
der Unterricht in Leistungsgruppen sollen einer Homogenisierung dienen, wie Tillmann
(2004: 6) in seinem Beitrag „Schule jagt Fiktion – Die homogene Lerngruppe“ ausführt.
All diese Maßnahmen ändern jedoch nichts
an der Tatsache, dass sich nach wie vor in
allen Klassen SchülerInnen mit unterschiedlichsten Lernvoraussetzungen, Vorkenntnissen, Motivationslagen und Interessen finden, die sich trotz dieser Maßnahmen nicht
homogenisieren lassen. Der Umgang mit
Heterogenität stellt demnach eine große
Herausforderung – nicht nur an den Mathematikunterricht – dar.
Differenzierung als Notwendigkeit im
Umgang mit Heterogenität
Während das Schulsystem dieser Heterogenität vor allem mit äußerer Differenzierung (wie oben ausgeführt) begegnet, ver-
suchen Lehrkräfte den unterschiedlichen
Lernvoraussetzungen durch innere Differenzierung gerecht zu werden. Dies geschieht
häufig durch Organisationsformen von offenem Unterricht, wie etwa der Wochenplan- oder Werkstattarbeit. Peschel (2009:
9ff.) sieht in diesen Unterrichtsformen Kriterien wie etwa Eigenverantwortung oder
auch Differenzierung jedoch nur bedingt
umgesetzt. Er verwendet hier die Bezeichnung „geöffneter Unterricht“ als Vorstufe für
offenen Unterricht. Die Öffnung bezieht sich
dabei auf den nach seinem Erachten weniger wichtigen Aspekt der Unterrichtsorganisation (vgl. Peschel 2009:88). Die Differenzierung wird „von oben“ (vgl. Peschel 2004:
21ff.) inszeniert, indem LehrerInnen den Lehrstoff in von ihnen festgelegten „Portionen“
bzw. Schwierigkeitsgraden und in Form von
unterschiedlichen Arbeitsmaterialien und
–mitteln anbieten. Peschel (2004: 21ff.) bezweifelt jedoch, dass den unterschiedlichen
Bedürfnissen und Lernvoraussetzungen von
SchülerInnen durch diese Differenzierung
von oben entsprochen werden kann. Er
sieht hier nicht schülerzentrierten und damit
differenzierten Unterricht realisiert, sondern
vielmehr „materialzentrierten Unterricht“
(vgl. Peschel 2009: 9ff).
Materialeinsatz im differenzierten (Mathematik-)Unterricht
Diese kritische Ansicht wird beispielsweise
auch von Krauthausen & Scherer geteilt, die
PROJEKTE |71
DIFFERENZIERUNG DURCH KOMPLEXITÄT Myriam Burtscher, Barbara Herzog
die Diskussion über den Umgang mit Heterogenität und Differenzierung sehr stark in
organisatorisch-methodischer Hinsicht wahrnehmen: „Praxisberichte und Fortbildungen
machen Vorschläge zur Organisation von
Lernstationen, Werkstattarbeit, Lerntheken
und (letztlich) zur Vergrößerung der Material­
flut.“ (Krauthausen, Scherer 2010a: 3).
Große Mengen an Materialien (z.B. Arbeitsblätter, Lernspiele) sind in den letzten Jahren
auch auf verschiedensten Internetplattformen einfach und häufig kostenlos erhältlich.
Durch diese einfache Zugänglichkeit besteht
möglicherweise die Gefahr, dass Arbeitsblätter und Materialien unreflektiert übernommen werden und die Differenzierung in erster
Linie durch den Materialeinsatz stattfindet.
So werden beispielsweise den SchülerInnen
Arbeitsblätter in unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden angeboten. Dabei – so die
Kritik von Krauthausen & Scherer (2010a) – ist
jedoch nicht gesichert, dass diese vordefinierten Schwierigkeitsgrade auch den Bedürfnissen der SchülerInnen entsprechen.
Darüber hinaus ist darauf zu achten, dass Kriterien, die generell für Unterrichtsmaterialien
gelten, nicht ins Hintertreffen geraten: Die
Materialien und Veranschaulichungen im
Mathematikunterricht sollen der Entwicklung
und Festigung von Zahl- und Operationsverständnis dienen. Ziel ist es, dass sich die Kinder, ausgehend von konkreten Handlungen
an Materialien letztlich von diesen lösen und
die Aufgaben mit guten Strategien im Kopf
bewältigen können (vgl. Schipper 2009: 288).
Materialien sollen den Kindern also als Hilfe
beim Aufbau von leistungsfähigen mentalen Vorstellungen dienen und nicht nur dem
Lösen einer bestimmten Aufgabenstellung.
Dafür ist es unter anderem notwendig, dass
die an den Materialien vollzogenen Handlungen strukturell mit den angestrebten
Operationen übereinstimmen und dass im
Material an sich die grundlegenden mathematischen Strukturen repräsentiert sind (vgl.
Schipper: 302).
72| PROJEKTE
In den angeführten bzw. empfohlenen Unterrichtsformen und im materialgeleiteten
Unterricht besteht also die Gefahr, dass die
Differenzierung an Material festgemacht
wird und die Bedürfnisse der SchülerInnen in
den Hintergrund geraten (vgl. Krauthausen,
Scherer: 2010a).
Auf inhaltlicher Ebene findet die Differenzierung häufig durch die Reduktion von
Komplexität und damit einem reduzierten
Lernangebot besonders für langsame oder
schwache LernerInnen statt. Bezogen auf
mathematische Inhalte wird eine solche
Reduktion zum Teil sehr kritisch bewertet, da
die Gefahr besteht, dass damit ein inhaltlicher Verlust einhergeht (vgl. Krauthausen,
Scherer 2010: 5).
„Natürliche“ Differenzierung im Mathematikunterricht
Die bisher gängigen Formen innerer Differenzierung werden v.a. in Bezug auf den
Mathematikunterricht nun um das Modell
der „natürlichen Differenzierung“ erweitert
(vgl. Krauthausen, Scherer 2010). Mathematikunterricht, der diesem Prinzip folgt,
soll einerseits mathematisch angemessene
Komplexität erhalten und gleichzeitig Differenzierung ermöglichen. Die Differenzierung
findet dabei „von unten“ – also in der Art
und Weise, in der SchülerInnen eine Aufgabe oder Lernumgebung bearbeiten, in der
Wahl individueller Lernwege und Bearbeitungsstrategien - statt.
Lernumgebungen, die zum Ziel haben, alle
Kinder zu fördern und nach dem Prinzip der
natürlichen Differenzierung aufgebaut sind,
unterscheiden sich demnach wesentlich
von Aufgaben, die nach der inneren Differenzierung vorgehen: Alle SchülerInnen arbeiten an einem Arbeitsauftrag, der Wahlmöglichkeiten bietet und so die natürliche
Differenzierung ermöglicht (vgl. Wittmann,
Müller 2004: 15). Scherer und Moser Opitz
(2010: 57f) beschreiben solche Aufgaben
Myriam Burtscher, Barbara Herzog
DIFFERENZIERUNG DURCH KOMPLEXITÄT
als besonders geeignet für den fördernden
Mathematikunterricht.
Aufgabenstellungen, die diese natürliche
Differenzierung ermöglichen sollen, müssen
auch gewissen innermathematischen oder
sachbezogenen Kriterien entsprechen. So
haben Hirt und Wälti den auf Kompetenz­
erwerb und die mathematische Tätigkeit
ausgerichteten Lernumgebungen folgende
Kriterien zu Grunde gelegt:
Thema und Intention:
„„ „Mathematische
Substanz mit sichtbar werdenden Strukturen und Mustern
(fachliche Rahmung)
„„ Orientierung
an zentralen Inhalten
„„ Hohes
kognitives Aktivierungspotential
„„ Orientierung
der Tätigkeit an mathematischen und inhaltlichen Prozessen
„„ Eigentätigkeit
aller Lernenden
„„ Förderung
individueller Denk- und Lernwege sowie eigener Darstellungsformen
„„ Zugänglichkeit
für alle: Ermöglichen mathematischer Tätigkeit auch auf elementarer Ebene durch die Möglichkeit an
Vorkenntnisse anknüpfen zu können
„„ Herausforderungen
für schnell Lernende
mit anspruchsvollen Aufgaben
„„ Ermöglichen
des sozialen Austauschs und
des Kommunizierens über Mathematik“
(Hirt, Wälti 2008: 14)
Bei Ulm (2008) wird deutlich, dass auch solche Aufgaben gut geeignet sind, die eine
„Modellierung außermathematischer Situ­
ation erfordern, um die Bedeutung der Mathematik für ein Verständnis der „Welt“ erlebbar zu machen“ (Ulm 2008: 8).
Ein Unterrichtsbeispiel aus der Praxis
Nachfolgende Aufgabenstellung ist dem
Buch „Gute Aufgaben Mathematik – Heterogenität nutzen“ (Ulm 2008: 37ff) entnommen und wurde im Schuljahr 2009/10 im
Rahmen der unverbindlichen Übung „Mathematik Begabungsförderung“ an einer
Salzburger Volksschule ausprobiert.
Entsprechend den Kompetenzbereichen
der österreichischen Bildungsstandards für
Mathematik, lassen sich diesem Beispiel alle
vier allgemeinen Kompetenzbereiche zuordnen. In der Erarbeitungsphase kommen vor
allem das Modellieren (Entnahme relevanter
Information aus einer Sachsituation, Finden
passender Lösungswege), das Operieren
(Durchführung arithmetischer Operationen
und Verfahren) und das Problemlösen (Bezug zu einem innermathematischen Problem,
Anwendung geeigneter Lösungsaktivitäten
und zielführender Denkstrategien) zum Tragen. In der Phase der Partnerarbeit und der
Präsentation spielt darüber hinaus auch das
Kommunizieren (Beschreibung und Protokollierung der Vorgehensweise, Vergleich und
Begründung von Lösungswegen) eine große
Rolle (vgl. Bifie 2009: 17). Bei Ulm (2008) wird
zudem besonders der Aspekt des Problemlösens hervorgehoben: Problemorientierte
Aufgaben zeichnen sich dadurch aus, dass
den Kindern zunächst kein Standardverfahren zur Bewältigung bekannt ist. Ob eine Aufgabenstellung zu einem Problem wird, hängt
also stark vom Vorwissen der SchülerInnen
ab, welches im Lösungsprozess neu strukturiert, geordnet und kombiniert werden muss
(vgl. Ulm 2008: 37).
Durchführung:
Ausgehend von der dargestellten Aufgabe
versuchten 18 Kinder (14 Buben, 4 Mädchen)
einer sehr heterogenen Lerngruppe (2. bis 4.
PROJEKTE |73
DIFFERENZIERUNG DURCH KOMPLEXITÄT Myriam Burtscher, Barbara Herzog
Schulstufe) diese offene Knobelaufgabe zu
lösen. Um den Kindern eine eigenständige
Auseinandersetzung mit der Problemstellung und ein Anknüpfen an das individuelle Vorwissen zu ermöglichen, arbeiteten die
SchülerInnen in der ersten Phase alleine.
Bereits hier zeigten sich sehr unterschiedliche Denk- und Lösungsansätze. Auch in ihrer Herangehensweise unterschieden sich
die SchülerInnen stark voneinander. Die Art
der Aufgabenstellung, die sich deutlich von
den sonst üblichen Aufgaben im Unterricht
unterschied, verunsicherte die SchülerInnen
anfangs, vor allem hinsichtlich der Tatsache,
dass es nicht den einen richtigen und zuvor
erlernten Lösungsweg zu geben schien.
In einer zweiten Phase tauschten sich die
SchülerInnen mit einem bzw. einer selbst gewählten PartnerIn aus und arbeiteten gemeinsam am Lösungsweg weiter. Dabei wurden unterschiedliche Strategien sichtbar.
Exemplarische Bearbeitungsansätze:
Von den 18 beteiligten SchülerInnen haben
10 ohne Hilfestellungen den gesamten Lösungsweg eigenständig bewältigt. Bei weiteren 4 SchülerInnen waren bis zu zwei Interventionen der Lehrerin notwendig, um die
Bearbeitung der Aufgabe abzuschließen. 4
SchülerInnen haben darüber hinaus Hilfestellungen benötigt und 2 von ihnen waren
zudem nicht in der Lage, am Ende des Bearbeitungsprozesses ihre Lösungen richtig zu
interpretieren.
Zwei Schüler der zweiten Klasse näherten
sich der Problemstellung zeichnerisch und
malten auf ein Plakat immer wieder die drei
unterschiedlichen Fahrzeuge, bis die geforderte Anzahl der Räder (52) erreicht war. Allerdings mussten sie dazu öfter nachzählen,
was zu einigen Fehlern führte.
Ganz anders gingen zwei Schüler der dritten
Klasse vor, die sich zunächst ihre unterschiedlichen Lösungsansätze gegenseitig erklärten
74|
PROJEKTE
und offensichtlich in der Lage waren, den
Denk- und Lösungsweg des Partners nachzuvollziehen. In dem von ihnen zur Präsentation gewählten Lösungsweg multiplizierten
sie die Anzahl der Autoreifen (4) mit einer
angenommenen Größe (10). Die so erhaltenen 40 Räder, zogen sie von der Ausgangszahl 52 ab. Die restlichen 12 Räder teilten Sie
auf die beiden verbleibenden Fahrzeugtypen auf und kamen zu dem Ergebnis, dass
10 Autos, 2 Dreiräder und 3 Roller vor dem
Kindergarten stehen könnten. Anschließend
berechneten sie noch 3 weitere Möglichkeiten.
Im Gegensatz dazu stand der Lösungsansatz zweier Schüler der vierten Klasse: Diese
hatten offenbar zuvor den Algorithmus der
schriftlichen Division gelernt und waren sich
darin einig, dass bei dieser Aufgabenstellung
die Division anzuwenden sei. (Wir interpretieren das als Ergebnis eines schulischen Lernprozesses, in dem Sach- und Textaufgaben
häufig in engem Zusammenhang mit direkt
davor Erlerntem bearbeitet werden.) Sie
zählten zunächst die Anzahl der Räder aller
Fahrzeugtypen zusammen (7) und dividierten die Gesamtzahl der Räder (52) durch 7.
Diese Division mit Rest stellte für die Kinder
kein Problem dar. Jedoch waren sie nicht in
der Lage, den Zusammenhang zur Aufgabe herzustellen. So konnten sie auch nach
mehrmaliger Anregung ihr Ergebnis nicht interpretieren und waren sich nicht im Klaren
darüber, was der Rest in Bezug auf die Aufgabe zu bedeuten hatte.
In einer dritten Phase stellten die SchülerInnen ihre Arbeitsergebnisse auf einem Plakat
dar und präsentierten dieses der gesamten
Gruppe. Dadurch wurden erste Diskussionen
und Gespräche über die unterschiedlichen
Lösungswege angeregt. Besonders jene
Kinder, die ihre Lösungswege eigenständig
gefunden hatten, waren sichtbar an denen
der anderen SchülerInnen interessiert. Letztlich konnten in dieser Phase alle SchülerInnen ein Plakat präsentieren, da alle zu ei-
Myriam Burtscher, Barbara Herzog
nem Ergebnis gekommen waren. Durch die
Diskussion und nach der Präsentation der
jeweils anderen stellte sich sogar bei den
beiden Viertklässlern, welche ihr Ergebnis zunächst nicht interpretieren hatten können,
ein „Aha-Erlebnis“ ein: Sie verstanden nun,
was der von ihnen errechnete „Rest“ in Bezug auf die Aufgabenstellung zu bedeuten
hatte.
Resümee
Kompetenzorientierte Aufgaben und Lernumgebungen eigenen sich dazu, Kindern
in heterogenen Lerngruppen Mathematik
auf „ihrem Niveau“ zu ermöglichen. Ausgehend von ihren Vorerfahrungen nähern
sie sich den Aufgabenstellungen auf ganz
individuelle Art und Weise. Lernumgebungen und gute Aufgaben sollten daher als
Lernanlässe gemeinsamen Mathematiktreibens andere Unterrichtsformen ergänzen.
Um die entsprechenden allgemeinen mathematischen Kompetenzen aufbauen zu
können, ist es notwendig, dass SchülerInnen
die Möglichkeiten bekommen, auch im Bereich der Mathematik auf unterschiedliche
Art und Weise tätig zu sein. Zudem wird es
DIFFERENZIERUNG DURCH KOMPLEXITÄT
entscheidend sein, dass LehrerInnen zunehmend unterschiedliche Denk- und Lösungsansätze nicht nur zulassen, sondern diese
auch fördern und unterstützen.
Literatur
Bifie (Hg.) (2009): Praxishandbuch für „Mathematik“ 4. Schulstufe. Graz:
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Natürliche Differenzierung für Rechenschwache bis Hochbegabte. Seelze-Velber: Kallmeyer/Klett.
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Natürliche Differenzierung im Mathematikunterricht der Grundschule. URL:
http://www.sinus-an-grundschulen.de/fileadmin/uploads/Material_aus_
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Krauthausen, Günter; Scherer, Petra (2010a): Heterogenität, Differenzierung, Individualisierung – Hintergründe des EU-Projekts NaDiMa (Natürliche
Differenzierung im Mathematikunterricht). URL: http://www.mathematik.
tu-dortmund.de/ieem/cms/media/BzMU/BzMU2010/BzMU10_KRAUTHAUSEN_Guenter_Differenzierung.pdf (Stand: 12.3.2011).
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Peschel, Falko (2004): Ganz normale Kinder! Differenzierung von oben
oder Individualisierung von unten. In: Friedrich-Jahresheft (2004). XXII. 21ff.
Peschel, Falko (2009): Offener Unterricht. Idee – Realität – Perspektive und
ein praxiserprobtes Konzept zur Diskussion. 5. Auflage. Baltmannsweiler: Schneider (Basiswissen Grundschule).
Schipper, Wilhelm (2009): Handbuch für den Mathematikunterricht an
Grundschulen. Braunschweig: Westermann/Schrödel.
Scherer, Petra; Moser Opitz, Elisabeth (2010): Fördern im Mathematikunterricht der Primarstufe. Heidelberg: Spektrum (Mathematik Primar- und
Sekundarstufe).
Tillmann, Klaus-Jürgen (2004): System jagt Fiktion. Die homogene Lerngruppe. In: Friedrich-Jahresheft (2004). XXII. 6ff
Ulm, Volker (Hg.) (2008): Gute Aufgaben Mathematik – Heterogenität nutzen. Berlin: Scriptor.
http://www.mathematik.tu-dortmund.de/ieem/cms/media/BzMU/
BzMU2010/BzMU10_KRAUTHAUSEN_Guenter_Differenzierung.pdf.
PROJEKTE |75
INKLUSIVE PÄDAGOGIK
Irene Moser
Impulse der internationalen
Zusammenarbeit für inklusive Pädagogik
in Österreich
Irene Moser
Die internationale Zusammenarbeit im Bereich der Sonderpädagogik hat bereits eine lange Tradition. Schon vor dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union haben österreichische VertreterInnen an HELIOS Programmen (Bildungsprogramme der EU mit dem Schwerpunkt Sonderpädagogik) teilgenommen und den Wert der europäischen Vernetzung erkannt (vgl. Bürli 2010).
Der folgende Beitrag soll exemplarisch zeigen, welche Impulse von internationalen Projekten und
Deklarationen ausgegangen sind und wie sie die sonderpädagogische Förderung in Österreich
beeinflusst haben.
1. Die Gründung und die Aufgaben der
European Agency
Die eingangs angesprochenen HELIOS Projekte wurden 1996 nicht mehr weitergeführt,
weshalb eine Lücke geschlossen werden
musste. Innovative PädagogInnen und Bildungsverantwortliche gründeten deshalb
in Zusammenarbeit mit den jeweiligen Ministerien die Agentur „European Agency for
Development in Special Needs Education“
(EA). Diese versteht sich als selbst verwaltete
Einrichtung, die seitdem von den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union sowie Island, Norwegen und Schweiz als Plattform
für die Zusammenarbeit im Bereich der sonderpädagogischen Förderung genutzt wird.
Die Organisation ermöglicht und unterstützt
den Wissenstransfer und bietet den Mitgliedsländern verschiedene Möglichkeiten
des Informations- und Erfahrungsaustausches im Rahmen von Tagungen und Seminaren für ExpertInnen oder durch virtuelle
Plattformen. Auf der Website der EA sind
Länderinformationen im Bereich der Sonderbzw. Integrationspädagogik genauso abrufbar wie die Ergebnisse diverser Projekte im
Bereich der Frühförderung, Aktivitäten im
schulischen Bereich oder Maßnahmen zur
Unterstützung für Studierende mit Behinderungen im tertiären Bildungsbereich (www.
european-agency.org).
76| KOOPERATIONEN
Nominierte Fachleute des Bildungsministeriums (bmukk), der Pädagogischen Hochschulen und Sonderpädagogischen Zentren in Österreich arbeiteten von Beginn an
aktiv in der EA mit und unterstützten diese
Projektaktivitäten mit dem Ziel, die Lernbedingungen für Kinder und Jugendliche mit
besonderen Bedürfnissen zu verbessern. Die
Leitprinzipien von Chancengleichheit, Partizipation und Inklusion orientieren sich an
den europäischen Deklarationen zur sonderpädagogischen Förderung, welche die
inklusive Bildung stark ins Zentrum des Interesses rücken.
2. Internationale Deklarationen
unterstützen den inklusiven Ansatz
Zu nennen wären beispielsweise die Salamanca Deklaration, die sich für eine gemeinsame, stärkenorientierte Bildung aller
Kinder ausspricht, die Chancengleichheit
fördert und individuelle Unterschiede wertschätzt. Wegweisend sind auch die zentralen
Botschaften im Europäischen Jahr der Menschen mit Behinderungen (2003): „Gleichstellung durchsetzen, Selbstbestimmung
ermöglichen und Teilhabe verwirklichen“
sowie die UN-Standardregeln (1993), welche
besagen, dass allgemeine Bildungssysteme
grundsätzlich für die Bildung jedes einzelnen
Schülers/ jeder Schülerin verantwortlich sind.
In den Dokumenten, die sich auch auf die
Irene Moser
Menschenrechtskonvention von 1949 beziehen, finden sich Empfehlungen zur Weiterentwicklung von demokratischen Grundsätzen, zum Abbau von Bar­rieren für Menschen
mit Behinderungen, zur Wertschätzung der
Vielfalt als Chance für multikulturelle Gemeinschaften und zur Entwicklung von inklusiven Kulturen. Sie betonen die Wertigkeit
der inklusiven Bildung als eine Grundlage für
ein friedliches soziales Miteinander, das vor
allem als normatives Konzept verstanden
wird. (Vgl. Meijer 2010)
3. Von der Integration zur Inklusion
Die Bedeutung von Inklusion geht in diesem Kontext gesellschaftspolitisch und im
pädagogischen Sinne weiter als der Begriff
Integration. Hinz beschreibt Integration als
Hereinnehmen eines „nicht Gleichwertigen“
(Hinz 2002a) unter den Bedingungen einer
sozialen Gruppe, welche die Norm vorgibt.
Diejenigen, die außerhalb der Norm stehen,
benötigen Unterstützung bei der Anpassung.
Festgestellte Defizite Einzelner sollen verbessert werden, um ihnen den Verbleib in der
Gruppe zu ermöglichen, wie es die Integration von Kindern mit Förderbedarf vorsieht.
Inklusion meint das selbstverständliche und
gleichwertige Recht aller, Teil der sozialen
Gruppe zu sein und gleiche Bildungschancen vorzufinden. Für die österreichische
Schule würde das bedeuten, dass auch Kinder und Jugendliche mit schweren Behinderungen oder mit schweren Verhaltensauffälligkeiten, mit Migrationshintergrund oder aus
bildungsfernen Haushalten selbstverständlich in der Regelschule unterrichtet werden
können und die notwendigen Maßnahmen
zur Integration bereit gestellt werden. Dazu
müssen sich auch die schulischen Strukturen
ändern. Das ist eine Vision, die auch von allen getragen wird, die hinter einer Pädagogik der Vielfalt stehen. (Vgl. Prengel 1995)
Zudem wäre es nicht nur Aufgabe der Schule, für eine optimale Inklusion zu sorgen, auch
INKLUSIVE PÄDAGOGIK
die Gemeinden und deren Mitglieder sollten
dafür verantwortlich zeichnen. Dass dies keine leichte Aufgabe ist und es eines immerwährenden Entwicklungsprozesses bedarf,
konnte ich als Schulentwicklungsberaterin in
mehreren Prozessen von Schulen und als nationale Koordinatorin der European Agency
in den oben genannten Projekten erfahren.
3.1. Projekte vorzeigenswerter Praxis
Reutte in Tirol ist in den „sonderpädagogischen Communities“ als ein Bezirk bekannt,
in dem bereits in den 1990er Jahren alle Sonderschulen aufgelöst worden sind, um die
Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf in den Regelschulen zu unterrichten.
Seitdem wurden noch weit mehr Initiativen
gesetzt. Die Region Außerfern z.B. hat ein
Inklusionsleitbild erstellt, in dem es um mehr
soziale Integration von Menschen geht, die
tendenziell eher am Rande der Gesellschaft
stehen, wie alte Menschen, psychisch Kranke und Drogenabhängige, Menschen mit
Migrationshintergrund und mit Behinderungen. Die European Agency hat in einem
dreijährigen Projekt (2006-2009) zum Thema
Assessment mit den Lehrkräften der Region
zusammengearbeitet, um deren Know-how
an andere ExpertInnen weitergeben zu können und Impulse zur Qualitätsentwicklung
der Integration von Kindern und Jugendlichen mit schweren Behinderungen in den
Volks- und Hauptschulen in Reutte zu geben.
(Vgl. Moser 2009: 48)
Ebenfalls zum europäischen Vorzeigeprojekt
hat sich Wiener Neudorf entwickelt. Ausgehend von einer Schulentwicklungsinitiative
mit dem Ziel einer verbesserten Integration
der Kinder und Jugendlichen in Kindergärten, Volks- und Hauptschulen erweiterte sich
das Projekt auf die Gemeindeebene mit
der wissenschaftlichen Begleitung der Pä­
dagogischen Hochschule Niederösterreich.
Die MitarbeiterInnen haben sich am „Index für Inklusion“ (vgl. Booth/Ainscow 2003)
orientiert. Das ist ein Analyse- bzw. ReflexiKOOPERATIONEN |77
INKLUSIVE PÄDAGOGIK
Irene Moser
onsinstrument, um über die verschiedenen
Arbeitsfelder der integrativen Pädagogik
in Schulentwicklungsprozessen strukturiert
reflektieren zu können. Nachzulesen ist der
derzeitige Stand der Entwicklung auf der
Website: http://www.wiener-neudorf.gv.at/
system/web/zusatzseite.aspx?menuonr=218
605890&detailonr=218608690.
Die EA hat in Zusammenarbeit mit der
UNESCO die Wiener Neudorfer Initiative im
Projekt „Inklusive Bildung in Aktion“ aufgegriffen und mit anderen europäischen Projekten vorzeigenswerter Praxis publiziert (http://
www.inclusive-education-in-action.org).
4. Das Projekt QSP
Das Zentrum für Schulentwicklung in Zusammenarbeit mit der Pädagogischen Akademie der Diözese Graz- Seckau startete 2005
eine ExpertInnenstudie zum Thema „Qualität
in der Sonderpädagogik“ (QSP). Auf Basis
dieser Ergebnisse wurden unter der wissenschaftlichen Leitung von Werner Specht österreichweite Arbeitsgruppen eingerichtet,
die sich über ein Jahr mit folgenden zentralen Themen der Förderpädagogik befassten:
„„ Integrativer
Unterricht als Leitform sonderpädagogischer Förderung
„„ Flexibilisierung
der Ressourcenvergabe
„„ Sonderpädagogische
Zentren als Qualitätsagenturen
„„ Objektiviertes
Verfahren zur Feststellung
von Fördernotwendigkeiten
„„ Individuelle
Förderpläne – Prozessstandards für die sonderpädagogische Förderung
„„ Optimale
Nutzung von Ressourcen und
Förderpotentialen in voll ausgebauten Integrationsklassen
„„ Mindeststandards
für materielle und personelle Ausstattung. (Vgl. Feyerer/Specht
2009: 39)
Die Entwicklung der Rahmenstandards in
den Regelschulen führte in den sonderpä-
78| KOOPERATIONEN
dagogischen Fachkreisen zu intensiven Diskussionen, ob für Kinder und Jugendliche mit
sonderpädagogischem Förderbedarf Standardtestungen durchgeführt werden sollten.
Problematisch erschien den österreichischen
ForscherInnen und Bildungsverantwortlichen
des bmukk vor allem der wissenschaftlichmethodische Zugang für Testungen von
SchülerInnen mit Lernbehinderungen oder
schweren geistigen Behinderungen (vgl.
Specht et al. 2006: 69f.). Das bmukk hat sich
in den Folgejahren deshalb für die Einführung
der Prozess- und Rahmenstandards und die
verpflichtende Einführung der individuellen
Förderpläne ausgesprochen. Im Rundschreiben Nr. 18/2008 wird detailliert beschrieben,
was unter Qualität verstanden werden soll.
(Nachzulesen unter: http://www.cisonline.
at/fileadmin/kategorien/RS_18_2008_Qualitaetsstandards_5.8.08.pdf)
Internationale Entwicklungen und Projekte
der EA, wie beispielsweise „Inclusive Education and Classroom Practise“ und „Assessment in Inclusive Settings“, haben diese
Qualitätsentwicklungsmaßnahmen sicherlich beeinflusst.
5. Die Auswirkungen der UN-Behindertenrechtskonvention im Bildungsbereich
in Österreich
Die aktuell bedeutendste Grundlage zur
Gewährleistung des Rechts auf Bildung für
Menschen mit Behinderung, die UN- Behindertenrechtskonvention (2008: §24), haben
fast alle europäischen Staaten ratifiziert.
Sie verpflichten sich damit, ihre Bildungspolitik auf die beschriebenen Grundsätze
auszurichten und in Folge ein integratives
Bildungssystem auf allen Ebenen zu entwickeln. „Praktisch gesehen bedeutet dies
mittel- und langfristig eine deutliche Reduzierung der Sonderschulen, die Umstrukturierung der Regelschulen und den Abbau von
baulichen Barrieren, um Kindern mit Behinderung eine hochwertige Bildung anbieten
zu können.“ (Hausotter 2009: 1) Laut Feyerer
Irene Moser
zielt die EU auf einen Integrationsgrad von
80 bis 90 %, „was bei einer SPF Quote von 5%
einem Segregatinsquotienten von weniger
als 1% entsprechen würde. Dieses rein quantitative Ziel wäre in drei Bundesländern (Steiermark, Burgenland, Oberösterreich) bereits
erreicht, andere sind noch meilenweit davon entfernt.“ (Feyrer 2011: 2f.)
Zur schrittweisen Verwirklichung dieser Konzepte geht das bmukk (Abteilung I/5: Diversitäts- und Sprachenpolitik; Sonderpädagogik
und inklusive Bildung; Begabungsförderung)
derzeit den Weg der aktiven Teilhabe der
VerantwortungsträgerInnen durch sogenannte „Stakeholder Konferenzen“, um
diese für die Thematik zu sensibilisieren und
sie in Entscheidungsprozesse frühzeitig einzubinden. Im Frühjahr 2011 wird im Rahmen
eines Expertenmeetings der EA zum Thema
„Teacher Education for Inclusion“ eine Tagung in der Pädagogischen Hochschule
Oberösterreich abgehalten, in die auch alle
RektorInnen eingebunden sind.
Internationale Fachleute aus Universitäten
und lokalen Behörden (mit einer Vertreterin
der OECD) werden mit den Hochschulverantwortlichen darüber diskutieren, wie man
in einer zukünftigen LehrerInnenbildung für
alle LehrerInnen mehr inklusive Inhalte implementieren kann. (http://www.europeanagency.org/agency-projects/teacher-education-for-inclusion)
5.1 Qualitätsentwicklung der integrativen Angebote in Salzburg 2011
Die Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention ist auch an Salzburg nicht
spurlos vorübergegangen. Auf Basis des
Landtagbeschlusses vom Juni 2010 werden
derzeit unter der Leitung des Landeschulinspektors für Sonderpädagogik Konferenzen abgehalten, die bis Mitte Juni zu einem
sogenannten „Masterplan“ führen sollen.
Dieses zu entwickelnde Konzept zielt auf die
Qualitätsentwicklung der integrativen An-
INKLUSIVE PÄDAGOGIK
gebote und deren quantitative Erhöhung.
Derzeit werden an Sonderschulen 1017 und
in Volks- und Hauptschulen 994 SchülerInnen
mit sonderpädagogischem Förderbedarf
unterrichtet. Das ist eine Integrationsquote
von 49,43%. Sollte es gelingen, diese um ca
10 % zu erhöhen, würde man im Bundesland
Salzburg für weitere 60 Integrationsklassen
Strukturen bereitstellen müssen.
Um festzustellen, um welche mengenmäßigen Dimensionen es sich handelt, soll eine
Analyse der Bezirke erfolgen. Die möglichen
Auswirkungen einer Steigerung von Integrationszahlen, z.B. auf den Stellenplan, die Adaption von Schulbauten, die Rolle der Sonderschulen oder die Maßnahmen der Aus-,
Fort- und Weiterbildung sollen von ExpertInnen in Arbeitsgruppen diskutiert werden.
Parallel dazu soll für eine Reform der Sonderpädagogischen Zentren (SPZ) ein Pilotversuch eingerichtet werden, indem die SPZ
Leitung von der Sonderschulleitung getrennt
wird. Die Prüfung des Einsatzes von Pflegepersonen ist ebenso ein Baustein in der sonderpädagogischen Entwicklungsarbeit wie
die Unterstützung der Kinder und Jugendlichen mit Autismus-Spektrumsstörungen
durch ein Assistenzsystem.
Ausblick
Die internationale Zusammenarbeit gewinnt
im Bildungsbereich immer mehr an Bedeutung. Bekannt sind die groß angelegten Studien wie PISA, TIMMS und PIRLS. Diese haben
besonders in den deutschsprachigen Ländern die politischen und medialen Bildungsdiskussionen angeheizt, denn im Gegensatz
zu den skandinavischen Ländern gelingt es
in den deutschsprachigen kaum, Kindern aller gesellschaftlichen Schichten annähernd
gleiche Bildungschancen zu ermöglichen.
Diese Ergebnisse provozieren auch in Österreich einen Reformdruck, der die Chancen für die Entwicklung einer Schule für alle
Kinder erhöht. Der deutsche BildungsforKOOPERATIONEN |79
INKLUSIVE PÄDAGOGIK
Irene Moser
scher Fischer weist darauf hin, dass derzeit
„bildungspolitische, ökonomische, kulturelle
und pädagogische Anstrengungen von erheblicher Reichweite erforderlich“ (Fischer
2007: 7) sind, um die Reproduktion der derzeitigen Klassenverhältnisse zu verändern.
Die bereits aufgebauten internationalen
Kontakte, der Wissenstransfer über moderne
Medien und die Erkenntnisse der Inklusionspädagogik könnten diese Entwicklung positiv unterstützen.
Literatur:
Ainscow, Mel/Booth, Tony (2003): Der Index für Inklusion. Lernen und Teilhabe in der Schule der Vielfalt entwickeln. Übersetzt von Ines Boban & Andreas Hinz. Luther Universität. Halle/ Wittenberg. URL: http://www.inklusionspaedagogik.de/content/blogcategory/19/58/lang,de/ (Stand 7.2.2011).
Bauer Lucie/ Moser, Irene (2009): Die European-Agency for Development
in Special Needs Education – ein multinationales Netzwerk zur Verbesserung der sonderpädagogischen Förderung auf europäischer Ebene. In:
BMUKK (Hg.): Sonderpädagogik aus inklusiver Sicht. Studientexte. Wien:
Jugend und Volk. 45-52.
Bürli, Alois (2010): Wie hast du’s, Europa, mit der Integration Behinderter?
Inklusive Bildung in den nordischen Ländern im Kontext gesellschaftlicher Entwicklungen. In: Online-Zeitschrift für Inklusion, 2/2010. URL: http://
www.inklusion-online.net/index.php/inklusion/article/view/59/63
(Stand
15.11.2010)
Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur (2008): Rundschreiben
Nr.18. (URL: http://www.cisonline.at/fileadmin/kategorien/RS_18_2008_
Qualitaetsstandards_5.8.08.pdf (Stand 17.3.2011).
European Agency for Development in Special Needs Education: international approach to inclusive education. URL: http://www.european-agency.org/agency-projects/key-principles/a-european-and-international-approach-to-inclusive-education/?searchterm=international
declarations
(Stand 7.2.2011).
Feyerer, Ewald/ Specht, Werner (2009): Evaluationsstudien zur Entwicklung
der schulischen Integration. In: BMUKK (Hg.): Sonderpädagogik aus inklusiver Sicht. Studientexte. Wien: Jugend und Volk. 34-39.
Feyerer, Ewald (2011): Inklusion als Chance für Sonderschulen. In: Heilpädagogische Gesellschaft Österreich (Hg.): Sonderdruck aus der Zeitschrift
für Heilpädagogik. Höbersdorf: Kaiser. 1-8.
Specht, Werner et al. (2006): ZSE Report 70. Qualität in der Sonderpädagogik. Ein Forschungs- und Entwicklungsprojekt. Graz. URL: bmukk. http://qsp.
or.at/downloads/ZSER70.pdf (Stand 17.3.2011).
Fischer, D. (2007): Einleitung: Gerechtigkeit im Bildungssystem. In:
V. Elsenbast/ D. Fischer (Hg.): Zur Gerechtigkeit im Bildungssystem.
Münster:Waxmann. 7-14.
Hausotter, Anette (2009): UN-Konventionen – inklusive Bildung im europäischen Vergleich. Unveröffentlichter Vortrag.
Hinz, Andreas (2002a): Inklusion – mehr als nur ein neues Wort? URL: http://
www.gemeinsamleben-rheinlandpfalz.de/Hinz__Inklusion_.pdf
(Stand
6.2.2011).
Hinz, Andreas (2002b): Von der Integration zur Inklusion - terminologisches
Spiel oder konzeptionelle Weiterentwicklung? In: Zeitschrift für Heilpädagogik 53. 354-361.
Meijer, Cor (2010): Inclusive Education: Facts and trends. Speech at the
Madrid conference. European Agency.
Prengel, Annedore (1995): Pädagogik der Vielfalt. Opladen.
Salamanca Statement (1994): http://www.unesco.org/education/pdf/
SALAMA_E.PDF (Stand 6.2.2011).
Soziales Leitbild Außerfern: URL: http://www.allesausserfern.at/servicebox/
protokolle-zum-sozialen-leitbild (Stand 8.2.2011).
UN Behindertenrechtskonvention (2008): URL: http://www.un.org/disabilities/documents/maps/enablemap.jpg (Stand 8.2.2011).
United Nations Standard Rules (1993): URL: www.un.org/esa/socdev/enable/dissre00.htm (Stand 6.2.2011).
Eine Kooperation zwischen
Pädagogischer Hochschule,
Universität und Fachhochschule Salzburg.
Informationen:
[email protected]
80| KOOPERATIONEN
Bettina Lorenz
MATHEMATIK MIT KINDERN, DIE SCHWERHÖRIG ODER GEHÖRLOS SIND
Mathematik mit Kindern,
die schwerhörig oder gehörlos sind
Bettina Lorenz
In den letzten Jahren setzte sich die Forschung intensiv mit Gebärdensprache und Sprach­­­entwicklung gehörloser Menschen auseinander. Leider gibt es im deutschsprachigen Raum nur wenige
Arbeiten, die sich mit der Ausbildung der mathematischen Fähigkeiten von Kindern, die schwerhörig oder gehörlos sind, beschäftigen. Meine Bachelorarbeit widmete sich daher genau diesem
Thema mit dem Ziel, Unterrichtsideen, die auf die speziellen Stärken und Schwächen dieser
SchülerInnen eingehen, anbieten zu können.
Basis dieses Artikels ist die Überzeugung,
dass der Gebrauch der jeweiligen Gebärdensprache für Kinder mit einer Hörbeeinträchtigung oder Gehörlosigkeit unabhängig von allen technischen Hörhilfen eine
Be­reicherung darstellt, Identität geben
kann und Kommunikationsmöglichkeiten erschließt, was, wie im Folgenden ausgeführt,
auch Auswirkungen auf die mathematischen Fähigkeiten hat.
Aus verschiedensten Forschungsarbeiten
während der letzten 50 Jahre ergibt sich,
dass schwerhörige und gehörlose Kinder
mit ihren mathematischen Leistungen im
Durchschnitt ca. zweieinhalb Jahre hinter
denen von hörenden Kindern liegen. Die Ursachen dafür konnten bislang nicht eindeutig geklärt werden (vgl. Iversen 2008: 87-88).
Auch eine Untersuchung an der Josef-RehrlSchule Salzburg zeigt die Tendenz zu einem
Entwicklungsrückstand im mathematischen
Denken (Lorenz 2010: 68). Derartige Verzögerungen können jedoch nicht durch mangelnde intellektuelle Fähigkeiten erklärt werden (vgl. Nunes 2004: 9-11).
Nachgewiesen werden konnte ein Zusammenhang der Rechenfertigkeiten Gehörloser mit dem Hörstatus der Eltern: War ein Elternteil gehörlos und der andere hörend, so
zeigten deren Nachkommen im Schnitt die
besten Rechenfertigkeiten. Dieser Gruppe
folgten Menschen mit zwei gehörlosen Eltern.
Am schlechtesten schnitten jene Hörgeschädigten ab, deren Eltern beide hörend waren.
Aus diesen Ergebnissen leitet Kramer ab, dass
der bilinguale „Erziehungs- und Kommunikationsansatz“ (Kramer 2007: 178), der Kindern
sowohl lautsprachliche als auch gebärdensprachliche Kommunikation anbietet, den
Kindern hilft, bessere Rechenleistunden zu
erzielen (vgl. Kramer 2007: 177-178).
Schwerhörige und gehörlose Menschen haben beim Lernen spezielle Bedürfnisse, die
unter anderem auf eine andere Abspeicherung von Information im Gehirn zurückzuführen sind. Gehörlose Menschen kodieren Informationen visuell, während hörende
Menschen dies phonologisch, also über die
Lautsprache, tun. Auf diesem Unterschied
basieren auch die Typen von Irrtümern, die
Menschen bei der Erinnerung machen. Beispielsweise wird der Buchstabe X von Gehörlosen am ehesten mit Buchstaben wie K, M,
N, deren Bild ähnlich ist, vertauscht. Hörende verwechseln dagegen Laute, die ähnlich
sind. Die beiden Kodierungen (phonologisch
bzw. visuell) scheinen auch einen Einfluss darauf zu haben, wie man sich an Dinge erinnert. Die phonologische Kodierung ist gün­
stiger, um eine serielle Ordnung zu behalten;
die visuelle Kodierung hilft dagegen besser,
die räumliche Anordnung zu behalten. Daher gibt es Gedächtnisleistungen, in denen
gehörlose Kinder besser bzw. schlechter als
Hörende abschneiden, je nachdem wie ihnen die Information präsentiert wird – räumlich oder seriell – und auf welche Weise sie
wieder abgerufen wird. In einer Studie von
Todman und Seedhouse sollten Kinder als
ARBEITEN VON STUDIERENDEN |81
MATHEMATIK MIT KINDERN, DIE SCHWERHÖRIG ODER GEHÖRLOS SIND Bettina Lorenz
Antwort auf ein willkürlich paarweise zusammengesetztes Signal mit einer Aktion antworten, zum Beispiel auf ein Quadrat vor einem
rosa Hintergrund den Mund öffnen. Im ersten
Schritt mussten sie eine große Anzahl dieser
paarweise zusammengesetzten Signale und
die dazu gehörenden Antworten lernen. Anschließend konnte das Gedächtnis je nach
Präsentation (räumlich oder seriell) getestet
werden. Bei der räumlichen Präsentation –
hier wurde eine Matrix mit vier Mustern gezeigt, nach dem Zudecken mussten die vier
Aktionen mit den Plätzen gepaart werden
– schnitten die gehörlosen Kinder besser ab
als die hörenden. In der seriellen Präsentation wurden die Figuren nacheinander gezeigt. Mussten nun die Antwortaktionen in
der richtigen Reihenfolge erfolgen, waren
die hörenden Kinder besser. Durften die Kinder in diesem Test in einer freien Reihenfolge antworten, gab es keine Unterschiede
zwischen den beiden Testgruppen. Die Art
der Präsentation und die Form der Abfrage
beeinflussen also die Ergebnisse (vgl. Nunes
2004: 25-26). Weitere internationale Studien bestätigen die besonderen Stärken bei
der räumlichen Vorstellung sowie die spezifischen Schwächen Hörgeschädigter beim
‚serial recall’ (vgl. Kramer 2007: 156-160).
Leider haben Studien gezeigt, dass schon
gehörlose Vorschulkinder beim Erlernen der
Zahlenreihe (sowohl der lautsprachlichen als
auch der Zahlenreihe in der Gebärdensprache) einen Rückstand zeigen. Das scheint
nicht an den Regeln der Zahlbildung zu liegen, sondern dürfte einerseits damit zusammenhängen, dass für das Einprägen und
Erlernen der Zahlenreihe der ‚serial recall’
notwendig ist, was für gehörlose Kinder bei
einer größeren Anzahl einfach schwieriger
ist. Dazu könnten auch noch äußere Umstände, wie z.B. kleinere Klassen, einen Einfluss haben, da die Kinder dadurch weniger
Möglichkeiten erhalten, höhere Zahlen abzuzählen. Dieser Mangel an Erfahrung kann
nur ausgeglichen werden, wenn LehrerInnen
und BetreuerInnen schon in der Vorschulzeit
82| ARBEITEN VON STUDIERENDEN
mehr Zeit für das Zählen aufwenden (vgl.
Nunes 2004: 33-34).
In einer weiteren Untersuchung beobachteten Nunes und Moreno gehörlose Kinder
beim Abzählen. Für das Abzählen und damit
das Erkennen der Anzahl der Objekte ist es
notwendig, eine Eins-zu-eins-Korrespondenz
der Gegenstände mit den Zahlwörtern herzustellen. Hörende Kinder benutzen dabei
oft eine Hand, um auf einen Gegenstand zu
zeigen, gleichzeitig sprechen sie das Zahlwort. Nunes und Moreno zeigten, dass das
Hinweisen mit der einen Hand auf ein Objekt und das gleichzeitige Gebärden mit der
anderen Hand gehörlose Kinder verwirrte.
Sie waren sich oft nicht mehr sicher, ob sie
ein Objekt bereits gezählt hatten oder nicht
und fingen daher wieder von vorne an zu
zählen. Kinder, die die Gebärde mit dem
Zeigen auf das Objekt kombinierten, waren
erfolgreicher und konnten besser abzählen. Es scheint daher für ein gehörloses Kind
leichter zu sein, mit der zählenden Hand auf
das Objekt hinzuweisen, d.h., die zahlengebärdende Hand zeigt gleichzeitig auf den
Gegenstand, als diese beiden Bewegungen
zu trennen (vgl. Nunes 2004: 35-36).
In diesem Zusammenhang ist zu beachten,
dass Nunes und Moreno Kinder untersuchten, die British Sign Language verwenden.
In dieser Gebärdensprache wird einhändig
gezählt. In unserem Sprachraum wäre es
gar nicht möglich, mit einer Hand auf den
Gegenstand zu zeigen und mit der anderen
Hand zu zählen, da für die jeweilige Gebärde der Zahlen auch beide Hände benötigt
werden. Erfreulich ist, dass sich die zusammengezogene Gebärde – hier wird der Zeigevorgang in die Zahlgebärde inkorporiert
– als der erfolgreichere Weg herausgestellt
hat, da diese Möglichkeit auch Gebärdensprache verwendenden Kindern im deutschen Sprachraum offen steht.
Für Kinder, die schwerhörig oder gehörlos
sind, sind Textaufgaben eine besondere He­
Bettina Lorenz
MATHEMATIK MIT KINDERN, DIE SCHWERHÖRIG ODER GEHÖRLOS SIND
rausforderung. Erstens einmal müssen sie den
Text erfassen, zweitens soll dann eine richtige Lösung ermittelt werden. Um die Probleme dabei besser verstehen zu können, ist es
notwendig, diverse Aufgaben bzw. Gedankengänge genau zu analysieren, um im Sinne von Modellbildung mit den SchülerInnen
Lösungswege erarbeiten zu können. Als Beispiel seien hier Austauschprobleme, die der
additiven Logik zuzuordnen sind, angeführt.
inversen Problemen, wie x + a = b und x – a
= b, müssen jedoch gleichzeitig sowohl die
Veränderung der Situation als auch die der
Quantität der Mengen beachtet und da­raus
die Schlussfolgerungen gezogen werden.
Daher bedeuten sie für alle Kinder eine größere Herausforderung. Trotzdem fällt auf, dass
gehörlose und schwerhörige Kinder damit
statistisch gesehen signifikant mehr Schwierigkeiten haben (vgl. Nunes 2004: 55-56).
Addition und Subtraktion werden auch bei
Gehörlosen meistens als Hinzufügen zu bzw.
Wegnehmen von einem Ganzen unterrichtet. Dabei handelt es sich jedoch um Prozeduren, die nicht helfen, Aufgabenstellungen desselben Typs erkennen und lösen zu
können. Durch Modellbildung jedoch könnte die Logik eines Systems verstanden, die
einzelnen Aufgaben später dem jeweiligen
Typ zugeordnet und alle damit zusammenhängenden Probleme gelöst werden (vgl.
Nunes 2004: 51).
Um das Problemlöseverhalten dieser Kinder
genauer zu untersuchen, wurden ihnen von
Moreno Rechengeschichten wie: ‚Ein Bub
hatte Spielsachen, sein Vater schenkte ihm
noch welche dazu’, erzählt. Zu derartigen
Texten wurden den Kindern zwei Bilder gezeigt (ein Kind mit wenigen Spielsachen und
dasselbe Kind mit mehr), die sie nun in die
richtige Reihenfolge bringen mussten. Für
das Lösen der Aufgaben waren keine numerischen Angaben notwendig – die Kinder mussten also nicht rechnen. Sie sollten
nur aus dem Zusammenhang erkennen, ob
sich die Anzahl der Gegenstände ver­größert
oder verkleinert hätte. In dieser Untersuchung wurden ca. achtjährigen SchülerInnen acht verschiedene, derartige Fragen
gestellt. Es zeigte sich, dass die gehörlosen
Kinder bei direkten Problemen gleich gute
Ergebnisse erzielten wie hörende. Inverse Probleme fielen allen Kindern schwerer.
Trotzdem schnitten hier die gehörlosen Kinder signifikant schlechter ab als die hörenden. Das Mittel der richtigen Antworten bei
den Hörenden war 6,7; bei den Schwerhörigen und Gehörlosen lag es nur bei 3,0. Da
keine numerische Antwort erwartet wurde,
können die Probleme der Kinder mit einer
Hörbeeinträchtigung allerdings nicht mit
möglichen schlechteren Zählfähigkeiten erklärt werden. Dieser Typ von Textaufgaben
beinhaltet jedoch eine zeitliche Abfolge
(vorher – nachher), wodurch die Reihenfolge der Ereignisse nicht verändert werden
darf; gleichzeitig muss erkannt werden, wie
sich die Mengen verändert haben. Für das
Lösen dieser Aufgaben sind daher mehrere
Austauschprobleme sind gekennzeichnet
durch eine Anfangsgröße, eine Änderung
der Größe und einen Endstatus. Daraus lassen sich unterschiedliche Textaufgaben mit
unterschiedlichen Strukturen ableiten:
1. Anfangsgröße und Änderungsrate sind
bekannt, die Endgröße ist gesucht.
2. Anfangs- und Endgröße sind bekannt, die
Änderungsrate ist gesucht.
3. Änderungsrate und Endgröße sind bekannt, die Anfangsgröße ist gesucht (inverse Probleme).
Da die Änderungsrate jeweils steigend oder
fallend sein kann, ergeben sich im Ganzen
sechs verschiedenen Untergruppen:
a + b = x und a – b = x; c + x = d und c – x =
d; x + e = f und x – e = f
Die Fälle a + b = x bzw. a – b = x, die auch
als direkte Probleme bezeichnet werden,
sind für die Kinder die einfachsten. Bei den
ARBEITEN VON STUDIERENDEN |83
MATHEMATIK MIT KINDERN, DIE SCHWERHÖRIG ODER GEHÖRLOS SIND Bettina Lorenz
aufeinanderfolgende Schritte notwendig.
Nunes folgert daraus, dass bei diesen Problemen ein ‚serial recall’ notwendig ist, der
eben Kindern mit einer Hörbehinderung sehr
schwerfällt (vgl. Nunes 2004: 53-56).
Bis zu dieser Untersuchung nahm man an,
dass die Schwierigkeiten von gehörlosen
Kindern, Probleme zu lösen, mit ihren Leseschwierigkeiten erklärt werden könnten. Morenos Versuche weisen nun darauf hin, dass
zur Verbesserung des Problemlöseverhaltens
der Fokus mehr auf Mathematik gelegt werden muss. Es wird sogar vermutet, dass dadurch auch die sprachlichen Fähigkeiten
der Kinder verbessert werden könnten (vgl.
Nunes 2004: 58-59).
Besonders bei inversen Problemen beeinflussen unterschiedliche Wege der Präsen­tation
der numerischen Information den Erfolg von
gehörlosen Kindern. Das formale Rechnen
steht hier oft nicht im Zusammenhang mit
der eigentlichen Aufgabe. Um jedoch die
grundsätzliche additive Logik verstehen und
daraus Modelle bilden zu können, benötigen die Kinder praktische Erfahrungen und
Kenntnisse (vgl. Nunes 2004: 63). Daneben
sollte versucht werden, das Potenzial der
räumlichen Kodierfähigkeit von Kindern mit
einer Hörbeeinträchtigung zu nutzen (vgl.
Nunes 2004: 82).
Aufgrund ihrer Erfahrungen entwickelten
Nunes und Moreno ein Interventionsprogramm, das das Problemlöseverhalten der
Kinder verbessern und dafür geeignete Unterrichtsmittel anbieten sollte. In einer Langzeitstudie (Dauer ca. ein halbes Jahr) wurde
dieses Programm von sechs Lehrkräften bei
23 Kindern getestet und die Aufgaben sowie
die logischen Prinzipien, die sie beinhalteten,
im LehrerInnenkreis diskutiert. Das Förderprogramm soll den Kindern helfen, informelle
mathematische Konzepte kennenzulernen,
84| ARBEITEN VON STUDIERENDEN
bzw. Verbindungen zwischen informellen
und formellen Konzepten schaffen zu können. Außerdem sollen gehörlosen Kindern
durch das Zeichnen von Diagrammen neue
Zugänge zu Informationen eröffnet werden
(vgl. Nunes 2004: 67-68).
Das Material des Interventionsprogramms
ist visuell aufgebaut; zusätzlich dürfen die
SchülerInnen die Repräsentanten der Probleme aufzeichnen. Die Aufgaben sind
nach den Themen ‚Aufgaben zu additiven
Zusammensetzungen, Zahlen und Größen’,
‚Aufgaben zum additiven Verständnis’ und
‚Aufgaben zum multiplikativen Verständnis’
geordnet. Innerhalb dieser Abschnitte sind
die Aufgaben nach dem Grad der Schwierigkeit sortiert (vgl. Nunes/Moreno 1998: 2).
Mittels eines Vor- und eines Nachtests konnten Nunes und Moreno nachweisen, dass
sich die mathematischen Fähigkeiten der
Kinder, die am Interventionsprogramm teilnahmen, signifikant verbesserten (vgl. Nunes
2004: 159-161).
Das Interventionsprogramm wurde von mir
im Rahmen meiner Bachelorarbeit übersetzt
und für den deutschen Sprachraum adaptiert und kann dort nachgelesen und im Unterricht eingesetzt werden.
Literatur:
Iversen, Wiebke (2008): Keine Zahl ohne Zeichen. Der Einfluss der medialen Eigenschaften der DGS-Zahlzeichen auf deren mentale Verarbeitung. Dissertation. URL:http://darwin.bth.rwth-aachen.de/opus3/volltexte/2009/2654/pdf/Iversen_Wiebke.pdf [Stand: 18.10.2009].
Kramer, Florian (2007): Kulturfaire Berufseignungsdiagnostik bei Gehörlosen
und daraus abgeleitete Untersuchungen zu den Unterschieden der Rechenfertigkeiten bei Gehörlosen und Hö-renden. Dissertation. URL: http://
darwin.bth.rwth-aachen.de/opus3/volltexte/2007/1929/pdf/Kramer_Florian.pdf [Stand: 15.02.2011].
Lorenz, Bettina (2010): Mathematik mit Kindern, die schwerhörig oder gehörlos sind. Bachelorarbeit an der Pädagogischen Hochschule Salzburg.
Nunes, Terezinha (2004): Teaching Mathematics to Deaf Children. London
and Philadelphia: Whurr Publishers.
Nunes, Terezinha / Constanza Moreno (1998): Addressing the Communication Needs of Deaf children in the Mathematics Classroom: General
instructions. Per E-Mail am 19.2.2009 zur Verfügung gestellt.
Friedrich J. Drechsler
KINDER BEI TOD UND TRAUER BEGLEITEN
Kinder bei Tod und Trauer begleiten
Raimund, Sagmeister - rezensiert von Friedrich J Drechsler
Der Schulalltag wird immer
wieder von Tod und Trauer
überschattet Diese grundlegenden Erfahrungen gehen
an Kindern und Jugendlichen
nicht spurlos vorüber LehrerInnen und Schulen sind herausgefordert, SchülerInnen in
diesen prekären Situationen
eine adäquate Unterstützung
und Hilfestellung anzubieten
Vielfach werden Tod und Trauer in unserer Gesellschaft tabuisiert und verdrängt Raimund
Sagmeister hat eine sehr gute
und praktische Handreichung
für PädagogInnen verfasst, in
der er sich diesem Problemfeld stellt Er geht
dem Phänomen „Trauer“ sehr tiefgründig
nach und legt in seinem Buch „Kinder bei
Tod und Trauer begleiten – eine Aufgabe
der Schule“ Grundlagen für eine adäquate
Trauerbegleitung dar
Nach einer differenzierten Darlegung des
komplexen Phänomens der „Trauer“ werden
verschiedene psychologische Konzepte des
Trauerprozesses von renommierten PsychologInnen ausführlich erörtert, wie z B das fünfphasige Konzept von Kübler-Ross über den
psychischen Prozess Sterbender, das sich auf
den Trauerprozess und die Aufgaben der
Trauerbewältigung übertragen lässt und als
Grundlage neuerer Ansätze dient Erwähnung finden im Buch aber auch die Konzepte von Y Spiegel, J Bowlby, M Schilbilsky, V
Kast und anderen
Rituale, vor allem Trauer-, Abschieds- und
Beerdigungsrituale, dienen dem positiven
Verlauf eines Trauerprozesses Licht, Kerzen,
Blumen, Naturmaterialien, Musik und vielerlei Formen gemeinschaftlicher Vollzüge unterstreichen diese Rituale Sie spielen in der
Trauerbegleitung eine sehr wichtige Rolle, da
sie symbolhaft und kreativ, in gemeinschaftlicher Verbundenheit und Anteilnahme, der
Trauer Sprache, Ausdruck und Gestalt ver-
leihen und starke Zeichen der
Hoffnung setzen können Sie
bieten Halt und Orientierung,
wenn der persönliche Gefühlshaushalt großen Schwankungen ausgesetzt ist
Raimund Sagmeister befasst
sich eingehend mit den altersabhängigen
Todesvorstellungen von Kindern und
Jugendlichen, die sehr oft mit
entsprechenden Ängsten und
Phantasien verbunden sind
Diese entwicklungspsychologischen Kenntnisse sind für PädagogInnen eine große Hilfe,
um Kinder und Jugendliche
einfühlsam und verständnisvoll in ihren Trauerprozessen begleiten zu können
Abschließend werden die Voraussetzungen
für die Begleitung von Kindern und Jugendlichen bei Tod und Trauer durch die Schule
und die im Umgang mit Tod und Trauer verbundenen Schwierigkeiten dargelegt Die
Trauerbegleitung setzt ein bestimmtes Anforderungsprofil voraus PädagogInnen sollen sowohl ein Einfühlungsvermögen in die
Gefühls- und Gedankenwelt als auch das
Wissen um die Gesetzmäßigkeit innerpsychischer Prozesse, vor allem des Trauerprozesses,
aufweisen Darüber hinaus sind Kenntnisse
über Regeln der Gesprächsführung hilfreich
Raimund Sagmeister spricht sehr ausführlich
Aspekte konkreter Begleitung von trauernden Kindern und Jugendlichen an und setzt
sich sehr intensiv mit den spezifischen Aufgaben für eine Trauerbegleitung in der Schule
auseinander
Anmerkung:
Der Autor des Buches, Raimund Sagmeister,
ist Professor für Religionspädagogik an der
Pädagogischen Hochschule Salzburg
Literatur:
Sagmeister, Raimund (2010): Kinder bei Tod und Trauer begleiten Eine Aufgabe der Schule Saarbrücken: VDM
REZENSIONEN |85
KOMPETENTE BERATUNG IN DER SCHULE
Ewald Moser
Kompetente Beratung in der Schule
Andrea Magnus - rezensiert von Ewald Moser
„Kompetente
Beratung
in
der Schule“ von Andrea Magnus ist ein wichtiges Buch in
der Diskussion über die Frage, welche Kompetenzen die
Lehrerrolle in der heutigen
Zeit umfassen sollte Die Autorin beschreibt auf Grundlage
wesentlicher Literaturquellen
hilfreiche theoretische Modelle
und überprüft empirisch, inwieweit ihnen im gegenwärtigen
Schulalltag entsprochen wird
Auch die Praxis der Kooperation
mit
außerschulischen
Diensten wird hinterfragt und
aufgezeigt, dass künftighin sowohl in der theoriegeleiteten Beratungsarbeit als auch in der differenzierten Nutzung
von Helferinstitutionen Verbesserungen notwendig sind
„Fachkompetenz allein genügt nicht, um die
Herausforderungen zu bewältigen“, postuliert
Andrea Anna Magnus, selbst Hauptschullehrerin, am Beginn des Einführungsteiles Was
aber gehört noch dazu? Schon die Durchsicht des Literaturverzeichnisses lässt fundierte Aussagen erwarten, sind doch unter den
AutorInnen auch die großen Namen Rogers,
Watzlawick und Schulz von Thun prominent
zitiert
Tatsächlich gelingt es der Autorin darzustellen, dass Beratung, wenn sie kompetent bei
alltäglichen Schulproblemen und deren
Bewältigung eingesetzt wird, die Professionalität von Lehrkräften wesentlich erweitert
Dazu gehört auch das Erkennen der Grenze
zu Störungen und Krankheitsbildern, die der
Unterstützung externer Dienste bedürfen
In einem weiteren Kapitel führt die Autorin
kurz in die Entwicklungsgeschichte der pädagogisch-psychologischen Beratung ein
und beschreibt schulische Konfliktsituationen
als besonders relevante Beratungsanlässe In
weiterer Folge werden notwendige Schritte
zum Erwerb der beschriebenen Kompeten-
86| REZENSIONEN
zen in der Aus-, Fort- und Weiterbildung von LehrerInnen
dargestellt
Besonders wertvoll erscheint
mir das folgende Kapitel, in
dem die Autorin eine theoriegeleitete schulische Beratungsarbeit beschreibt, die Rolle und
die Kompetenz von BeraterInnen klärt und hilfreiche theoretische Modelle hinsichtlich ihrer
Praxistauglichkeit benennt
In einem anschließenden empirischen Teil untersucht Frau
Magnus Fragen des theorieorientierten Handelns von Lehrkräften: Theoriewissen, Einstellungen zu Aus-, Fort- und Weiterbildung sowie
Wissen um verfügbare außerschulische Beratungs- und Therapieeinrichtungen
Dazu wird ein selbsterstellter Fragebogen mit
statistischen Auswertungen vorgelegt Die
genaue Ergebnisdarstellung erleichtert das
Verstehen der zusammengefassten Ergebnisse und deren Diskussion
Die Schlussfolgerungen zeigen auf, „dass es
in der Beratungskompetenz von Lehrkräften
Verbesserungspotentiale gibt“ Dazu werden
Seminarkonzepte und Ablaufplanungen angeboten
Abschließend gibt die Autorin einen Überblick über außerschulische Beratungsangebote in Salzburg und verweist damit auf
eine Reihe fachverwandter Einrichtungen
in Ergänzung zu Schulpsychologie und Jugendamt Eine wichtige und fundierte Arbeit,
besonders für LehrerInnen, die eine fachkundige Orientierung in ihrer persönlichen Fortund Weiterbildungsplanung suchen
Anmerkung:
Andrea Magnus, die Autorin des Buches,
lehrt an der Praxishauptschule und an der
Pädagogischen Hochschule
Literatur:
Magnus, Andrea (2010): Kompetente Beratung in der Schule Theorieorientierung im Alltagshandeln von Lehrkräften Saarbrücken: VDM
Autorinnen und Autoren
Ausgabe 4/2011
Jürgen Bauer
Bakk. phil. MA: Lehramt für HS (M, BU, GZ, BO) und PTS.
Studium der Erziehungswissenschaft an der Universität Salzburg,
Koordinator des Projektbüros A-Z, Genderbeauftragter und Lehrender in der Aus-,
Fort- und Weiterbildung an der PH Salzburg, externer Lehrbeauftragter an der Schule für Kinder- und Jugendlichenpflege Salzburg.
Ursula Buchner
Maga. Dipl.Päd.: Lehramt für den ernährungswirtschaftlichen und haushaltsökonomischen Fachunterricht an berufsbildenden mittleren und höheren Schulen, Studium Psychologie und Pädagogik, Ausbildung in Gesprächspsychotherapie, Universitätslehrgang für Fach- und Verhaltenstrainer. Seit 1986 Lehrtätigkeit in der Aus-,
Fort- und Weiterbildung im Fachbereich Ernährung und Haushalt an der Pädagogischen Akademie bzw. Hochschule Salzburg.
Myriam Burtscher
Maga.phil. Dipl.Päd.: Lehramt für Volksschule, Studium der Erziehungswissenschaft
an der Universität Salzburg, Mitarbeiterin an der PH Salzburg in der VS-Ausbildung
Mathematik-Didaktik, Referentin in der Fort- und Weiterbildung Bildungsstandards
Mathematik.
Rudolf de Cillia
Professor für Angewandte Linguistik und Sprachlehrforschung am Institut für Sprachwissenschaft der Universität Wien. Forschungs- und Publikationstätigkeit zu folgenden Gebieten: Sprachlehrforschung, Sprachenpolitik und Sprachplanung, Sprache
und Politik, sprachliche Minderheiten, Migrationsforschung, kritische Diskursanalyse
und linguistische Vorurteilsforschung.
Friedrich J. Drechsler
Mag: maturierte am Humanistischen Gymnasium der Herz Jesu Missionare, studierte
Theologie an der Universität Salzburg. Koordinator für die Allgemeine Pflichtschule
am Institut für Religionspädagogische Bildung der KPH-Edith Stein in Salzburg. Hans-Peter Gottein
Prof. Dipl. Päd. MA: Lehramt für Hauptschulen (E, GW) an der PÄDAK Salzburg, Studium der Erziehungswissenschaften an der Universität Salzburg, Hochschullehrer an
der PH Salzburg im Bereich der Aus-, Fort- und Weiterbildung.
Maria Haderer
Akademische Lehrerin für Gesundheitsberufe: Nach 6-jähriger Berufstätigkeit als diplomierte Kinderkrankenschwester 15 Jahre Lehrtätigkeit an einer Gesundheits- und
Krankenpflegeschule, Leitung eines Bachelor-Studiengangs Gesundheits- und Krankenpflege. Derzeit Studium der Soziologie an der Universität Salzburg.
AUTORINNEN / AUTOREN |87
Autorinnen und Autoren
Ausgabe 4/2011
Barbara Herzog
Dipl.Päd. Bakk.phil.: Lehramt für Volks- und Sonderschulen, Studium der Pädagogik
an der Universität Salzburg, Mitarbeiterin an der PH Salzburg in Aus-, Fort- und Weiterbildung, Referentin, Koordinatorin der Pädagogischen Werkstatt Pinzgau (PWP).
Bettina Lorenz
Dipl.Päd. BEd: Lehramt für kath. Religion und Mathematik, unterrichtet seit 2003 kath.
Religion an der Josef Rehrl Schule Salzburg (Volks- und Hauptschule für gehörlose
und schwerhörige Kinder).
Lutsch, Christian
Mag. Dr.: Lehramtsstudium für die Unterrichtsfächer Englisch und Französisch, Doktorat in anglistischer Linguistik; Lehrer an den Tourismusschulen Salzburg Klessheim,
Leiter der Arbeitsgruppe Englisch an humanberuflichen Schulen in Salzburg; LehrerInnen Fort- und Weiterbildung im Bereich Fremdsprachen an Berufsbildenden
höheren und mittleren Schulen und im Lehrgang Berufsbezogene Fremdsprache
Englisch an Berufsschulen an der Pädagogischen Hochschule Salzburg.
Angelika McMahon
Dipl. Päd.: Pädagogische Hochschule Salzburg, Institut für Lebensbegleitendes Lernen APS (Lehrer/innenfort- und Weiterbildung für allgemeinbildende Pflichtschulen).
Arbeitsbereiche: Schulmanagement, Schulentwicklung, Neue Mittelschule, Fachdidaktik und Bildungsstandards Englisch.
Ewald Wolfgang Moser
Dr.phil.: Studium Psychologie und Pädagogik an der Universität Salzburg. Klinischerund Gesundheitspsychologe. Leitender Schulpsychologe beim Landesschulrat für
Salzburg.
Irene Moser
Dipl. Pädin. Bakk. phil. MA: Lehramt für Sonderpädagogik und Ergänzungsstudien, Studium der Erziehungswissenschaften. Lehrende in der Aus-, Fort- und Weiterbildung
der PH Salzburg mit den Schwerpunkten Inklusionspädagogik und Schulenwicklung.
Nationale Koordinatorin der “European Agency for Development in Special Needs
Education” von 1999-2010.
Heike Niederreiter
Maga.: Lehramt für Volksschule, Studium der Erziehungswissenschaften an der Universität Salzburg, Lehrtätigkeit in der Ausbildung der Pädagogischen Hochschule.
88| AUTORINNEN / AUTOREN
Autorinnen und Autoren
Ausgabe 4/2011
Silvia Nowy-Rummel
Maga.Dipl. Päd.: Lehrende an der Praxisvolksschule und Pädagogischen Hochschule Salzburg. Studium der Erziehungswissenschaften an der Universität Salzburg
und Feministisches Grundstudium am Rosa Mayreder College. Schwerpunkte in der
Frauen- und Mädchenarbeit im Gender Mainstreaming, sowie e-Learning in der VS.
Tätigkeit als Seminar- und Workshopleiterin, Gutachterin
Josef Sampl
Mag. Dr.: Studium der Fachbereiche Deutsch, Psychologie, Philosophie und Pädagogik an der Universität Salzburg, Lehrer an Volks-, Haupt- und Mittelschulen, Universitätslektor in Klagenfurt (1976-1979) und Salzburg(1977-1995), Mitarbeit in zahlreichen Fachgremien des Bildungsministeriums, Präsident des Landesschulrates für
Salzburg von 1994 bis 1996, Rektor der Pädagogischen Hochschule Salzburg.
Josef Schlömicher – Thier
Dr.med.FA-HNO: Gesangsstudium in Graz, Arzt für Arbeitsmedizin, Stimmarzt der
Salzburger Festspiele, Ordination in Neumarkt a. W., Vorsitzender des Austrian Voice
Institutes, Europasekretär der internat. Gesellschaft der Stimmärzte / COMED, Abgeordneter zum Salzburger Landtag, seit 2002 Lehrbeauftragter der Pädagogischen
Hochschule Salzburg: Stimmbetreuungsprojekt „Stimmenscanning-Stimmtraining“.
Christine Schober
Bakk. phil. MA: Volksschullehrerin und Volksschuldirektorin, Lehrbeauftragte an der
Pädagogischen Hochschule Salzburg im Bereich Humanwissenschaften; Studium
der Erziehungswissenschaften an der Universität Salzburg.
Christian Treweller
Diplompädagoge (Lehramt für Volksschule), Diplomierter Sozialarbeiter, Studium der
Erziehungswissenschaften im Diplomarbeitsstatus.
Lehrbeauftragter an der Pädagogischen Hochschule Salzburg,
Leiter der Sozialen Initiative Salzburg, Mitglied im Behindertenbeirat der Stadt Salzburg.
Hannes Tropper (amtlich: Johann)
Mag.art. Dipl.-Päd.: Lehramt für Hauptschulen, Studium an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Graz, Gesang und Sprecherziehung, Internat. Zertifikat
für Atemrhythmisch Angepasste Phonation (AAP) , stellv. Vorsitzender des Austrian
Voice Institute; Präsidium „stimme.at“, Referent i.d. Erwachsenenbildung, LehrerInnenfort- und –weiterbildung, Lehrbeauftragter der Pädagogischen Hochschule
Salzburg seit 2002 mit dem Projekt „Berufsstimmvorsorge“.
Elfriede Windischbauer
Profin. Maga. Drin.: Studium der Geschichte und Deutschen Philologie an der Univ.
Salzburg, Lehramt für HS an der PÄDAK. Lehrerin an verschiedenen HS, Fachdidaktikerin für Geschichte und Politische Bildung an der PH Salzburg. Seit 2008 Leiterin des
Instituts für Didaktik und Unterrichtsentwicklung an der PH Salzburg, Mitarbeiterin der
Zentralen Arbeitsstelle für Geschichtsdidaktik und Politische Bildung (Fachbereich
Geschichte an der Universität Salzburg).
AUTORINNEN / AUTOREN |89
ph.script
Beiträge aus Wissenschaft und Lehre
Pädagogische Hochschule Salzburg
Ausgabe 04/2011
erscheint ein- bis zweimal jährlich
Impressum:
Medieninhaberin, Verlegerin:
Pädagogische Hochschule Salzburg
Akademiestraße 23
A- 5020 Salzburg
Herausgeber:
Rektorat der Pädagogischen Hochschule Salzburg
Rektor Dr. Josef Sampl
Redaktion:
Ursula Buchner, Peter Haudum, Christoph Kühberger, Hubert Mitter, Heike Niederreiter, HansPeter Priller, Dorothea Rucker, Elisabeth Seitlinger, Elfriede Windischbauer, Günter Wohlmuth
Chefredaktion:
Elfriede Windischbauer
Layout/Satz:
Hans-Peter Priller
Lektorat:
Peter Haudum
Fotos:
Günter Wohlmuth
Druck:
Huttegger, Salzburg
Offenlegung gemäß § 25 Mediengesetz:
ph.script ist die Informationsschrift der Pädagogischen Hochschule Salzburg und enthält
Beiträge aus Wissenschaft und Lehre. Im Zentrum stehen Informationen über Aspekte der
LehrerInnen-Bildung, wissenschaftliche Arbeiten, Projekte, Kooperationen und Publikationen
von MitarbeiterInnen der Pädagogischen Hochschule Salzburg. Die veröffentlichten Beiträge
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Inhalt
Inhaltsverzeichnis
Heterogenität in Schule und Unterricht
Wohin die Reise geht
Berufswahl im Spannungsfeld von Geschlecht und Zeitgeist
Lehrgang „Berufsbezogene Fremdsprache Englisch“
Heterogenität in der Neuen Mittelschule
Es war einmal ... eine homogene Lerngruppe
Dialog der Esskulturen
Die Berufsstimme am Stimmarbeitsplatz Schule
Mehrsprachige Gesellschaft - zweisprachige Schulen
„Cora kocht und Bernhard baut - Oder doch nicht?“
Aus anderer Sicht - ein Projekt an der Pädagogischen Hochschule Salzburg
Das Lesetagebuch als Beitrag zur individuellen Leseförderung
Differenzierung durch Komplexität - Heterogenität im Mathematikunterricht begegnen
Impulse der internationalen Zusammenarbeit für inklusive Pädagogik in Österreich
Mathematik mit Kindern, die schwerhörig oder gehörlos sind
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Ausgabe 04 2011
Pädagogische Hochschule Salzburg
Beiträge aus Wissenschaft und Lehre