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Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek:
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie, detaillierte bibliografische
Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
1. Auflage, Januar 2011
Katalogbuch zur gleichnamigen Ausstellung im rock‘n‘popmuseum, 23.01.2011 - 03.07.2011,
Udo-Lindenberg-Platz 1, D-48599 Gronau, www.rock-popmuseum.de
Copyright © 2011 rock‘n‘popmuseum Gronau
Telos Verlag Dr. Roland Seim M.A. • Im Sundern 7-9 • D-48157 Münster/Westf.
www.telos-verlag.de • [email protected] • Tel/Fax 0251-326160
Alle Rechte vorbehalten
Die Urheberrechte der Texte bzw. der Abbildungen liegen bei den Rechteinhabern. Die Reproduktionen verstehen sich als
Bild- bzw. Großzitate im Sinne von § 51 des Urheberrechts.
Herausgeber und Ausstellungskuratoren: Prof. Dr. Henry Keazor, Dr. Thomas Mania, Thorsten Wübbena
Layout: Frank Schürmann • pressebüro & medienservice schürmann • Hullerner Str. 9 • D-45721 Haltern am See • www.
schuermann.ws / Thomas Mania
Cover-Zeichnung: Raphael Homölle
Coverdesign: Frank Schürmann / Thomas Mania
Textredaktion: Henry Keazor / Thomas Mania / Thorsten Wübbena
Druck und Verarbeitung: Möllers Druck und Medien GmbH • Markusstraße 6-10 • 48599 Gronau-Epe •
www.moellers-druck.de
Printed in Germany 2011
ISBN-13/EAN: 978-3-933060-36-5
rock‘n‘popmuseum / Thomas Mania, Henry Keazor, Thorsten Wübbena (Hrsg.)
Imageb(u)ilder
Vergangenheit, Gegenwart und
Zukunft des Videoclips
Telos Verlag Dr. Roland Seim M.A.
Verlag für Kulturwissenschaft
Münster 2011
Dankes- statt Vorworte
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Leser,
inzwischen ist es gute Tradition des rock’n’popmuseums in Gronau, zu den größeren Sonderausstellungen des Hauses einen Katalog vorzulegen. Dennoch ist es immer wieder ein
höchst erfreuliches Ereignis, nach den intensiven Arbeiten endlich ein Buch in der Hand
zu halten, an dessen Entstehung so viele Personen beteiligt waren, die ihr ganzes Wissen
und ihre Erfahrung im Dienste dieser Publikation eingebracht haben. Damit bekommt
das naturgemäß Flüchtige einer Sonderausstellung die Nachhaltigkeit, die die aufwendige
Auseinandersetzung und Aufarbeitung der Geschichte und Bedeutung des Videoclips als
„Imageb(u)ilder“ inzwischen allemal verdient hat. Erstmalig entstand die Ausstellung und
der Katalog in Kooperation mit den Universitäten Frankfurt am Main und der Universität
des Saarlandes in Saarbrücken. Neben dem Kurator des Hauses, Dr. Thomas Mania, komplettierten Prof. Dr. Henry Keazor (Saarbrücken) und Thorsten Wübbena (Frankfurt) das
Ausstellungs-, Herausgeber- und Autorenteam. Ihnen gilt mein besonderer Dank.
Dieses ehrgeizige Projekt konnte jedoch nur mit intensiver finanzieller Unterstützung
derjenigen realisiert werden, die bereits zu Zeiten der Antragstellung in dem Projekt ein
Gewinn für die Region, das Land und auch darüber hinaus sahen. Ich bedanke mich beim
Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes NRW, insbesondere der regionalen Kulturförderung, der LWL-Kulturabteilung und LWL-Kulturstiftung,
dem Kreis Borken sowie der EUREGIO für ihr Engagement.
Auch hausintern möchte ich meine Anerkennung aussprechen. Die technischen Anforderungen dieser Ausstellung haben die Messlatte für die bereits hohen Standards des Hauses
noch einmal höher gelegt. Für den Dauereinsatz, die Tücken der Techniken zu bezwingen,
sei Rainer Hisker, Rüdiger Stahlberg, Frank Strodtmann und Kurt Schumann gedankt, für
die Pressearbeit Anja Habel, für die Exponatrecherche Andrea Fehmer. Daneben haben
die Ausstellung und der Katalog eine breite hausexterne Unterstützung erfahren. Den Personen und Institutionen, Autoren, Leihgebern, Inserenten, Sponsoren und Kooperationspartner, die das Projekt mit Wohlwollen und Tat begleitet und ermöglicht haben:
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Alessandra Pescetta, Mailand
Autokran Greving GmbH&Co. KG, Ahaus
Babsi Vahle, BLX-Entertainement, Münster
Bart Borghesi, Melbourne
Bavaria Filmstadt, München
Bob Orlowsky, Washington
Christian Jegl, B.A., München
Christina Walke, Heimat Werbeagentur GmbH, Berlin
Christoph Bertels, Gronau
Deutsches Filmmuseum, Frankfurt am Main
Deutsche Kinemathek, Museum für Film und Fernsehen, Berlin
feuerstake film, Duisburg
Farin Urlaub, Berlin
Frank Schürmann, Dipl. BW, pressebüro & medienservice schürmann, Haltern am See
Gabi Bührmann, Menslage/Hahlen
heddier electronic, Coesfeld
Jean-Marie Potiez, Paris
Kathrin Wetzel, B.A., München
Kim McKenzie, Canberra
Kurzfilmtage Oberhausen
Mag. phil. Daniel Klug
Möllers Druck & Medien GmbH, Gronau
Musik Produktiv, Ibbenbüren
Netside, Gronau
Norbert Heitker, Hamburg
Prof. Iain McCalman, Sydney
Prof. Dr. Christoph Jacke, Paderborn
Prof. Dr. Klaus Neumann-Braun
Prof. Dr. Michael Rappe, Köln
Provinzial, Gronau
Raphael Homölle
Robert Poulter, Kent
Ruhrpott-Film, Oberhausen
Scopium, Agentur für Recherche, Gestaltung und Präsentation historischer Bildmedien,
Essen
Siegmund Woytaszek, Gronau
Suloja, Neuss-Norf
tape.tv, Berlin
Thomas Rath, Haltern am See
Thomas Sandmann, Braunschweig
Ulrich Burger, Icking-Dorfen
gilt mein herzliches Dankeschön, natürlich in der Hoffnung, auch in Zukunft auf Ihre
Unterstützung bauen zu können.
Thomas Albers,
Geschäftsführer der rock‘n‘popmuseum gGmbH
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Inhaltsverzeichnis
Thomas Mania: „Imageb(u)ilder - Ausstellung und Katalog.“
8
Henry Keazor / Thorsten Wübbena: „Imageb(u)ilder im Wandel: Zur Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Musikvideos.“
16
Thomas Sandmann: „Die Musikvideo-Produktion im zeitlichen Wandel.
Kreativität statt Budget, Demokratisierung der Produktionsmittel.“
32
Daniel Klug / Klaus Neumann-Braun: „All eyes on... music? Musik und
Audiovision im Wandel.“
52
Christoph Jacke: „Public Images Unlimited: Multimediale Gesamt-Texte.
Imagekonstruktionen von Popmusik-Stars in Musikclips und darüber
hinaus.“
72
Norbert Heitker: „Musikvideo-Produktion und Produktionsablauf Farin
Urlaub ‚Sumisu‘, 2001.“
96
Diverse Autoren: „Die Perspektiven des Videoclips / Interviews.“
112
Literatur
126
Autoren
134
7
I
Thomas Mania
mageb(u)ilder
Ausstellung und Katalog
Historisierung und Neuorientierung
Seit Beginn der 1980er Jahre avancierte der Videoclip zu einem der wichtigsten Imageproduzenten beim Verkauf von Musikträgern. In Deutschland erreicht der Videoclip mit der ARD-Serie „Formel Eins“ einen ersten
Höhepunkt, mit MTV und VIVA folgten später eigenständige Kanäle. Die
Clipproduktionen wurden immer aufwendiger, immer teurer, sie erreichten
bisweilen beeindruckenden künstlerischen Status. Regisseure wie Michel
Gondry, Chris Cunningham, Spike Jonze, Anton Corbijn, Jonathan Glazer,
Mark Romanek, Stephane Sednaoui und viele andere stehen für die Qualität des Genres, ihre Videos wurden z.T. vom Museum of Modern Art in
New York in dessen ständige Sammlung aufgenommen, vielen von ihnen
wurden bereits eigene DVD-Editionen („The Work of Director“, EMI Music) gewidmet. Die, die vorher im Schatten der Popstars agierten, waren
nun selbst zu welchen geworden. Das Werk Chris Cunninghams würdigte
2004 die Kestner-Gesellschaft in Hannover sogar mit einer eigenen Ausstellung „Come to Daddy“. Im selben Jahr zeigte in Düsseldorf das NRWForum Kultur und Wirtschaft die Ausstellung „Video - 25 Jahre Videoästhetik“, kuratiert von Ulf Poschardt.
8
Im Jahr 2005 gelang mit der Publikation „Video Thrills the Radio Star“
von Henry Keazor und Thorsten Wübbena auch auf dem wissenschaftlichen Buchmarkt eine Neubetrachtung des Themas. Inzwischen ist das
Thomas Mania: Imageb(u)ilder – Ausstellung und Katalog
Ausstellung
Von Chris Cunningham signierte Storyboard-Zeichnung zum Video „All Is Full Of Love“ von Björk. Edition der
Kestner-Gesellschaft zur Cunningham-Ausstellung „Come to Daddy“.
Buch 2007 in einer zweiten, überarbeiteten Auflage erschienen und gilt
als Standardwerk zur Thematik. Alle diese Dokumentationsbestrebungen
scheinen auf eine Phase der Historisierung hinzudeuten, wie sie genau
dann einsetzt, wenn ein Phänomen seinen Zenit längst überschritten hat
und seinen letzten Atemzügen entgegenschauert.
Zweifellos ist auch das Video im Strudel des Niedergangs der Musikindustrie in eine tiefe Krise geraten. Die Musikindustrie leidet an einem herben
Verlust ihrer Bilderwelten und verliert damit ein wichtiges Instrument ihrer
Marketingstrategie zum Aufbau von Künstler-Images. Ein nüchterner Da-
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tentransfer per MP3-Download hat kein Booklet. Nicht nur der anarchistische illegale, sondern auch der legale Download-Markt wächst in einem
beeindruckenden Tempo. Im Jahr 2007 verbuchten Musikfirmen Einnahmen von 3 Milliarden Dollar und damit eine Steigerung von fast 30% gegenüber dem Vorjahr. Der weltweite legale Download betrug 2007 1,7 Milliarden Musiktitel, das bedeutete einen unglaublichen Zuwachs von 53% in
einem Jahr. Der digitale Musikmarkt teilt sich dabei zwischen Internet und
Mobilfunk auf, deren Verteilung von Land zu Land höchst unterschiedlich
ausfällt. Bevorzugten in den USA zu 67% das Internet für den Download,
waren es 2007 in Japan fast marktdeckende 90%, die sich für einen Download per Mobilfunk entschieden haben (NZZ Online, 2008). Dabei ist hier
nur von legalen Downloads die Rede, auf jeden legalen Download kommen jedoch 20 illegale.
Sorgt die Krise also für eine Neuorientierung und –segmentierung des
Marktes? Mit den Tablett-PCs hat bereits eine neue technische Revolutionierung ihren Fuß auf die Schwelle des Musik- und Videomarktes gesetzt.
Diese neue Technik könnte wegen ihres hochauflösenden großen Displays
durchaus zur Renaissance des Musikclips beitragen. Denn ein Blick in die
Geschichte des Genres zeigt sehr deutlich, dass auch die technischen Entwicklungen immer wieder Einfluss auf die Gestaltung und Verbreitung des
Musikvideos genommen haben.
Parallel zum Niedergang der Musikindustrie hat das Internet dem Selfmanagement von Künstlern und damit auch der demokratischen Musikvideoproduktion Tür und Tor geöffnet. Eine Vorstellung von dem, was per
Internet alles möglich ist, gab Sandi Thom. Aus ihrer Wohnung in Tooting,
nahe London, veranstaltete sie 2006 ihre virtuelle Konzertreihe „21 nights
in Tooting“, die ihrer Single „I Wish I Was A Punk Rocker“ einen MajorVertrag bei RCA und einen weltweiten Verkaufshit eintrug.
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Ein weiteres Beispiel ist das Musikvideo zum Ulk-Song „Schland O
Schland“, eine Adaption des Lena-Meyer-Landrut-Erfolgs „Satellite“,
gedreht von 8 Münsteraner Studenten anlässlich der Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika 2010. Universal Music als Rechteinhaber erwirkte
Thomas Mania: Imageb(u)ilder – Ausstellung und Katalog
Ausstellung
zunächst eine Löschung und ein Verbot der weiteren Verbreitung über die
Plattform YouTube, bewirkte damit jedoch lediglich eine exponentielle
Verbreitung über andere Portale. Schließlich hatte „Schland O Schland“
eine so breite Fan-Ebene erreicht, dass sich Universal Music dazu entschloss, statt weitere rechtliche Schritte einzuleiten Uwu Lena einen Plattenvertrag anzubieten.
Die Ausstellung
Es ranken sich also interessante Storys um die Geschichte, die Gegenwart
und auch die mutmaßliche Zukunft des Videoclips. Damit ist im Wesentlichen auch das Forschungsinteresse und das inhaltliche Rückgrat der Ausstellung definiert. Nach der Veröffentlichung der Erstauflage ihres Buches
(Keazor/Wübbena, 2005) suchten die beiden Kunsthistoriker Henry Keazor
und Thorsten Wübbena den Kontakt zum rock’n’popmuseum. Sie wollten
ihre Forschung einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen und vor
allem das nachholen, was ihnen in ihrer Publikation aus lizenzrechtlichen
Gründen nicht möglich war: Inhalte in direkter Kombination mit den dazugehörigen Videoclips zu präsentieren. Beim rock’n’popmuseum stießen sie
damit auf offene Ohren, lag doch schon seit Jahren die Idee zu einer Ausstellung in der Schublade. Mit dem rock’n’popmuseum hatten sie zudem
den richtigen Partner gefunden, setzen doch in guter Tradition die Ausstellungen des Hauses in Gronau auf einen interaktiven Zugriff des Besuchers auf multimediale Inhalte und Darstellungen. Aus der Perspektive des
Museums versprach neben ästhetischen und inhaltlichen Gesichtspunkten
eine funktionale Analyse des Gegenstandes Gewinn, das Musikvideo als
Imageb(u)ilder, als ein bedeutendes Instrument zur Marketingstrategie
der Musikindustrie und als Projektionsfläche für den Rezipienten, die ihm
gruppenintern und –extern Distinktionsgewinn verschafft.
„Zurückgespult“
Die Geschichte des Videoclips beginnt in grauer Vorzeit. Das Eidophusikon versuchte bereits im 18. Jahrhundert, dem Publikum mit den damals
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beschränkten Mitteln, ein multimediales Ereignis aus Musik, Licht und
Darstellung zu bieten. Den Endpunkt dieser chronologischen Abhandlung
setzt das, was verbreitet, historisch aber nicht korrekt, als das erste Musikvideo bezeichnet wird: Queen mit „Bohemian Rhapsody“.
Die diskontinuierliche Entwicklung des Musikvideos zeigt bereits zu Anfang des vergangenen Jahrhunderts interessante Analogien zu den Musikvideos der 1980er Jahre, die historisch den kometenhaften Aufstieg des
Videoclips markieren. Dieser „bruchartigen Kontinuität“ (zur Geschichte
siehe Keazor/Wübbena, in diesem
Buch) entspricht eine Wandabwicklung mit verspringenden Flächen.
Vor und auf diesen verspringenden Flächen
sind Stellvertreter-Exponate präsentiert, deren Interpretation und
Zusammenhänge der
Besucher behilflich
einer Datenbank per
Touchscreen interaktiv abrufen kann.
Diese Datenbank
Das Schwergewicht der Ausstellung: der Studebaker aus der Sendung „Formel Eins“
Foto: Frank Schürmann
befindet sich in einer nachinszenierten Kamera, die auf einem Schienensystem, vergleichbar
einer Dolly-Fahrt, von dem einen zum anderen Themengebiet verschoben
werden kann.
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Dem chronologischen Strang folgt eine thematische Aufarbeitung, die
zeigt, welche Themenvielfalt im Clip zur Sprache kommt. Die Bereiche
‚Medien’, ‚Politik’, ‚Malerei/Fotografie’, ‚Werbung’, ‚Oberhausener Kurzfilmtage’, ‚Comic/PC’, ‚Film’ und ‚Choreografie’ geben einen detaillierten
Einblick in das breit gefächerte Spektrum.
Thomas Mania: Imageb(u)ilder – Ausstellung und Katalog
Ausstellung
„Making Of“
Dieser Ausstellungsbereich gewährt einen Blick hinter die Kulissen der
Musikvideopräsentation. Neben der Darstellung diverser Stilmittel wie die
extreme Zeitlupe, die so genannte „Frozen Bullet Time“, das „Morphing“
oder der Einsatz des „Greenscreen“ kommen auch die Macher zu Worte.
Director Norbert Heitker zum Beispiel berichtet über seine Arbeiten zur
Produktion des Videos „Sumisu“ von Farin Urlaub. Zu diesem Video gibt
es auch das entsprechende Storyboard zu sehen, das den Dreharbeiten zugrunde lag und dem Besucher einen Einblick in die Planungen der konkreten Produktionsabläufe erlaubt.
„Imageb(u)ilder“
Der Bereich Imageb(u)ilder widmet sich der zentralen Funktion des Videoclips, dem Aufbau bzw. der Unterstützung von Künstler-Images. Dies
betrifft übrigens inzwischen nicht nur die Musiker selbst, auch diverse
Clip-Regisseure sind inzwischen selbst zu Stars, zu Imageträgern mutiert.
Eine Datenbank stellt dem Besucher breitgefächerte Informationen und
eine Vielzahl aussagekräftiger Videobeispiele zur Verfügung und macht
dadurch die mannigfaltigen Imagestrategien transparent.
„Vorgespult“
Der Blick in die Zukunft schließt den Rundgang durch die Geschichte, die
Produktion und die Intention des Musikvideos ab. Fünf Experten stellen
sich der Frage nach der Zukunft des Videoclips, der sich als demokratische
Produktion heutzutage in den Weiten des Internets ein wenig zu verlieren
scheint.
„Best Of“
Das ästhetische Zentrum der Ausstellung definiert der Bereich der besten
Musikvideos aller Zeiten. Hier wird deutlich, dass trotz aller ökonomischer
Strategien das Genre eigenständige Kunstwerke hervorbringen konnte.
Einen besonderen Höhepunkt und Abschluss der Ausstellung bildet der
„Besucher-Dreh“. Der Besucher kann in einer Greenbox aufgenommene
Bilder mit diversen Hintergründen abmischen und damit seinen eigenen
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Videoclip produzieren. Der Sound dazu kommt aus dem Klangcontainer
des Museums, in dem Soundsamples produziert und dem Video als Tonspur unterlegt werden können.
Katalog
Die Beiträge dieses Katalogs folgen im Wesentlichen dem Aufbau der Ausstellungsargumentation. Die Kunsthistoriker Henry Keazor und Thorsten
Wübbena gewähren einen tiefen Einblick in die Geschichte des Musikvideos. Diese Entwicklung war auch immer eng verbunden mit technischen
Möglichkeiten, zu deren Wandel sich der Musik- und Videoproduzent Thomas Sandmann in seinem Beitrag äußert. Am Beispiel MTV und VIVA
zeigen die beiden Medienwissenschaftlicher Daniel Klug und Klaus Neumann-Braun zwei klassische Ebenen der Distribution von Videoclips. Der
Imageaufbau steht im Zentrum der Überlegungen des Paderborner Kommunikations- und Musiktheoristen Christoph Jacke. Der Director Norbert
Heitker erläutert exemplarisch eine Videoclipproduktion von den ersten
konzeptionellen Überlegungen bis hin zur konkreten Umsetzung. Den Abschluss bietet ein Ausblick in die Zukunft des Genres. Dafür wurde von
den Herausgebern dieses Buches ein Fragebogen entwickelt, der Beteiligten des Videoproduktions- und Vermarktungssektors vorgelegt wurde.
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Thomas Mania: Imageb(u)ilder – Ausstellung und Katalog
Ausstellung
Die „Dolly-Fahrt“ mit dem Themenbereich PC-Games / Comics in der Ausstellung
Foto: Frank Schürmann
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I
Henry Keazor / Thorsten Wübbena
mageb(u)ilder
im Wandel: Zur Vergangenheit, Gegenwart und
Zukunft des Musikvideos
Is Music Video Dead?
Bereits seit einigen Jahren wird wiederholt die Frage aufgeworfen, ob das
Musikvideo tot sei, und die seither gegebenen Antworten fallen dabei stets
unterschiedlich aus, je nachdem, auf welche Phänomene das Augenmerk
gerichtet ist und wie diese sodann interpretiert werden: Die Bejaher dieser
Frage verweisen auf die von den Plattenfirmen zur Verfügung gestellten,
sinkenden Budgets für die Produktion der Clips, deren zunehmenden Rückzug aus dem Musikfernsehen (vgl. hierzu den Beitrag von Daniel Klug und
Klaus Neumann-Braun in diesem Katalog) sowie deren Abwanderung ins
Internet (sei es z.B. auf YouTube oder aber die Website
der Bands und Musiker) bzw. auf das Handy. Sie betonen ferner die damit einhergehenden reduzierten ästhetischen Möglichkeiten: Auf den neuen Abspielmedien
werden Details weniger prägnant wahrgenommen, was
zum einen durch die stark verkleinerten Displays sowie
die reduzierte Auflösung bedingt ist, zum anderen aber
auch auf die reduzierte Aufmerksamkeit zurückgehen
Screenshot der Website
kann, die einem auf YouTube oder Handy-Display verhttp://videos.antville.org/ vom 15. Juli
folgten Clip zugemessen wird (vgl. dazu Giessen 2007
2006
und 2008). Auch der Umstand, dass eine Interpretin wie
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Henry Keazor / Thorsten Wübbena: Imageb(u)ilder im Wandel
Geschichte
Lady Gaga es mit ihren Skandal-Videos auf die Titelseiten von Internetportalen, Zeitungen und Illustrierten schafft, wird aus dieser Perspektive
als ein eher vorübergehendes, schnell ermüdendes Phänomen: als ein letztes Aufflackern des in den 1980er und 1990er Jahren so markanten ClipBooms interpretiert.
Diejenigen, die auf die Frage nach dem Tod des Musikvideos hingegen
mit einem klaren „Nein“ antworten, verweisen auf den Umstand, dass die
sinkenden Budgets auch eine Chance darstellen können, da das nun mangelnde Geld durch Ideen ersetzt werden könne (vgl. dazu auch den Beitrag
von Thomas Sandmann in diesem Katalog), Regisseure und Musiker angesichts der neuen Präsentationsorte im Internet und auf dem Handy von der
früheren, durch Musiksender ausgeübten Zensur befreit seien und wirklich
Interessierte die Clips nun gezielt ansteuern und daher aufmerksamer verfolgen würden.
Beiden Argumentationen ist jedenfalls eigen, dass sie klare Veränderungen diagnostizieren, die darauf hinweisen, dass eine bestimmte Phase in
der Entwicklung des Musikvideos zu Ende geht oder bereits beendet ist.
Ein solcher Eindruck wird auch durch eine allgemein beobachtbare Musealisierung des Clips bestätigt: Musikvideos werden auf Speichermedien
wie z.B. der DVD-Serie „Directors Label“ geordnet und gesammelt und
in Fernsehsendungen im Rahmen historisch ausgerichteter Best-of-Listen
präsentiert („100 Greatest Pop Videos“, „100 Greatest Music Videos Ever
Made“, „Greatest Music Videos Of All Times“, „100 Best Dance Videos
of All Times“ etc.). Auch in der akademischen Literatur werden sie hinsichtlich ihrer Geschichte und Bezüge erforscht und in Museen und Ausstellungshallen in entsprechend historisch ausgerichteten Rückschauen gezeigt (vgl. z.B. die 2004 von Ulf Poschardt organisierte Retrospektive „25
Jahre Videoästhetik“ oder die hier ausgerichtete Ausstellung). Gerade eben
jedoch diese Musealisierung eröffnet zugleich auch eine Chance, bestimmte Fragen zu stellen – zum einen im Sinne einer Ortsbestimmung: Wo genau steht man, nachdem offenbar eine bestimmte Phase zu Ende gegangen
zu sein scheint? Zum anderen: Wie ist die dem vorangegangene, bisherige
Entwicklung verlaufen?
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Eine Geschichte – mehrere Geschichten?
Der eingangs zitierten Frage, ob das Musikvideo tot sei, muss man bei eingehender Betrachtung sodann jedoch gleich die Gegenfrage stellen: Was
genau meint man mit „dem Musikvideo“? Ist damit (im strengeren Sinne)
eben jene Form gemeint, die man allerspätestens seit dem Start von MTV
im Jahr 1981 regelmäßig im Fernsehen, und hier insbesondere auf Musiksendern, verfolgen konnte? Oder ist damit schlichtweg (und allgemeiner)
eine Kombination von Musik, gesungenem Text und bewegten Bildern gemeint, wie es sie schon lange vor den 1980er Jahren gab?
Eine solche Sichtweise eröffnet nämlich den Blick darauf, dass das ab den
1980er Jahren im Fernsehen massiv präsente Musikvideo schon mehrere
Vorläufer hatte, die ebenfalls bereits jeweils unterschiedliche Abspiel- und
Rezeptionsorte hatten. In dieser Betrachtung verlöre die derzeitige Krise
ihre Einzigartigkeit und hätte demzufolge in der Vergangenheit bereits
schon mehrere Male stattgefunden.
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So gab es in den 1960er und 1970er Jahren bereits die so genannten „Scopitones“ (von „Scope-a-tone“, also: „Zeig einen Ton/Klang“ – vgl. Keazor/
Wübbena 2007², S. 58), Kurzfilme zur Bewerbung von Musikstücken, die
für visuelle Musikboxen gedreht wurden, auf denen die einzelnen Stücke
sodann (eben wie bei einer rein akustischen Jukebox) ausgewählt und nach
Geldeinwurf abgespielt werden konnten. Ähnlich wie heute bei YouTube oder Handy-Clips bestand hier mithin bereits die Möglichkeit der gezielten Auswahl, wie sie im Musikfernsehen (wo man warten musste, bis
das jeweils interessierende Video gezeigt wurde) oder dem Vorläufer des
„Scopitones“ nicht gegeben war. Denn bereits ab 1939 gab es von Amerika
ausgehend die so genannten „Soundies“, visuelle Jukeboxen, in denen der
einzelne (nun allerdings noch: schwarz-weiße) Musik-Kurzfilm nicht separat angesteuert werden konnte. Aus technischen Gründen bekam man per
Geldeinwurf lediglich den gerade als nächstes bereitstehenden Teil einer
längeren Filmrolle gezeigt, die aus einer Vielzahl einzelner Kurzfilme zusammengestellt worden war (vgl. Keazor/Wübbena 2007², S. 57). Ähnlich
wie später bei den Musikfernsehsendern musste man mithin auch hier da-
Henry Keazor / Thorsten Wübbena: Imageb(u)ilder im Wandel
Geschichte
rauf warten, bis der jeweils interessierende Titel mit seinem „Clip“ an die
Reihe kam, was hier wie dort eventuell den Vorteil hatte, dass man einem
bis dahin unbekannten Musikstück begegnen und mithin „Entdeckungen“
machen konnte.
Den Soundies vorangegangen waren wiederum zwischen 1890 und 1915
in Amerika die so genannten „Sound“- oder „Song Slides“, zumeist farbige Diabilder, die in Kinos und Vergnügungstheatern auf eine Leinwand
projiziert wurden, um auf diese Weise für ein dazu erklingendes Musikstück (eben meistens einen „Song“) zu werben, dessen Text und Noten
man sodann im Anschluss kaufen konnte. Um die entsprechende, entweder
live, z.B. von einer Band, einem Pianisten oder bereits per Grammophon
eingespielte Musik möglichst attraktiv zu machen, zeigten die projizierten
Dias nicht nur schlichtweg Noten- und Songtext (nach Art des heutigen
„Karaoke“ kam es damals bei bereits bekannten und beliebten Stücken zu
Momenten, in denen das Publikum mitsang), sondern präsentierten nicht
selten ausgesprochen raffinierte, gemalte und/oder fotografierte Bilder, die
z.B. die im Lied besungene Handlung darstellten oder diese (ähnlich wie
später bei den Musikvideos) zum Ausgangspunkt für assoziative Szenenfolgen nahmen. Da die „Song Slides“ dadurch (ebenso wie später die Videoclips) zunehmend selbst zur Attraktion wurden, konnte man mit ihnen
schließlich nicht nur für die angebotenen Songs, sondern auch für die Orte
der Aufführung werben.
Im Laufe der Zeit zeigte man pro Stück bis zu 16 „Song Slides“, mit deren Hilfe zuweilen fast schon an den Film heranreichende Bewegungsabläufe simuliert werden konnten (vgl. dazu Keazor/Wübbena 2010a, S.
224). Tatsächlich zeigt auch ein Blick auf den Vorläufer des Kinos, Thomas
Alva Edisons „Kinetophone“ von 1891, dass der Erfinder hierbei zunächst
die Möglichkeit anvisiert hatte, musikalische Darbietungen wie z.B. eine
Opernarie auf möglichst getreue Weise per Bild und Ton in jedes Wohnzimmer zu bringen: Die seinerzeit hoch verehrte Opernsängerin Adelina
Patti als Beispiel nehmend, entwarf Edison bei der Präsentation des Gerätes die Vision, dass seine Erfindung in der Lage sei, „ihr vollständiges
Bild derart perfekt auf eine Leinwand zu werfen, dass wir in der Lage sind,
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jeden Zug und jeden Ausdruck auf ihrem Gesicht zu verfolgen, alle ihre
Bewegungen zu sehen und der berückenden Melodie ihrer unvergleichlichen Stimme zu lauschen“ (Edison übersetzt nach Eyman 1997, S. 26), und
dies „obgleich die Aufführung möglicherweise schon Jahre zurückliegt“
(Edison 1888). Oder, wie es ein Berliner Rezensent 1895 formulierte, als
man dort die ersten Apparate aufstellte: „(…) daß jedermann in seinem
eigenen Zimmer, im Lehnstuhl sitzend, eine ganze Opernvorstellung nicht
alleine telephonisch hören, sondern auch die Vorgänge auf der Bühne sehen kann“ (Berliner Lokal-Anzeiger, 3. März 1895, zit. nach Loiperdinger
1999, S. 58). Das „Kinetophone“ war folglich ursprünglich als eine Art
Fernsehgerät gedacht, mit dessen Hilfe ein Ersatz für den Besuch eines
Live-Konzerts geschaffen werden konnte, das die Musikliebhaber bequem
von zu Hause aus verfolgen und jederzeit erneut genießen könnten: Die
überzeugende Präsenz von zeitlich und räumlich entfernten musikalischen
Vorgängen und Interpreten in Ton und Bild mittels eines audiovisuellen
Mediums war hier mithin bereits das erklärte Ziel.
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Fragt man schließlich nach einem möglichen Vorläufer zu Edisons „Kinetophone“, so stößt man auf das so genannte „Eidophusikon“, ein mechanisches Miniatur-Bildertheater, das der Maler Philippe-Jacques de Loutherbourg fast 100 Jahre zuvor entwickelt und der begeisterten Öffentlichkeit
1781 in London vorgestellt hatte. Der Name „Eidophusikon“ setzt sich aus
den griechischen Begriffen „eidos“ = „Bild“ und „phusikos“ = „ursprünglich“, „natürlich“ zusammen, meint also so etwas wie „Bild der Natur“
bzw. „von der Natur hervorgebrachtes Bild“ (vgl. dazu Mungen 2006, Vol.
1, S. 168 – 175 sowie Keazor/Wübbena 2010a, S. 223). Anders als die zu
seiner Zeit sonst üblichen Theater brauchte es keine Schauspieler, sondern
arbeitete ausschließlich mit kleinen, mechanisch animierten Figuren und
Bühnenbildern, mit deren Hilfe de Loutherbourg auch keine abendfüllenden Stücke aufführte, sondern zumeist kürzere (wie später das Musikvideo
lediglich einige Minuten dauernde) Szenen präsentierte. In deren Zentrum
standen häufig Naturereignisse wie Mondauf- oder Sonnenuntergänge,
Stürme bzw. Katastrophen wie z.B. Schiffsuntergänge. Da diese Szenen
von darauf abgestimmter Musik begleitet wurden, lobte ein Zeitgenosse
de Loutherbourg insbesondere dafür, etwas vollkommen Neues, nämlich
Henry Keazor / Thorsten Wübbena: Imageb(u)ilder im Wandel
Geschichte
„the pictoresque of sound“ (also: das Malerische des Klangs) präsentiert
zu haben (Hardcastle 1823, S. 42-43).
Betrachtet man die hier grob skizzierte Entwicklung oder besser deren Abfolge im Hinblick auf eventuelle Konstanten oder Wiederholungen noch
einmal rückblickend, so wird mehrerlei deutlich:
1. Die Gattung der ein Musikstück präsentierenden (und damit auch bewerbenden) audiovisuellen Form kam nicht erst in den 60er, 70er oder 80er
Jahren des 20. Jahrhunderts mit dem Musical- oder Musikfilm (man denke
hier z.B. an die Filme der Beatles wie z.B. Richard Lesters „A Hard Day´s
Night“ aus dem Jahre 1964) bzw. dem Musikvideo auf (gerne werden als
„Ahnväter“ des Musikvideos die so genannten „Promo“-Filme von a oder
Queen aus den 70er Jahren angeführt – vgl. dazu Keazor/Wübbena 2007²,
S. 61 – 65).
2. Es lässt sich beobachten, dass die diversen Formen dieser audiovisuellen Kombination jedes Mal an ihre zumeist technischen Grenzen stießen,
die Kombination selbst jedoch dann in einem anderen Medium und einer anderen Form weiter existierte. Dies zeigt sich besonders plastisch am
Beispiel der „Soundies“. Ein wesentlicher Schwachpunkt war die fehlende Anwahl- und damit Auswahlmöglichkeit der zusammengeschnittenen
Schwarzweiß-Musikfilme. Mit dem Kriegseintritt der USA, 1941, wurden
die „Soundies“ nur noch eingeschränkt produziert und, nach 1945, durch
das sich immer stärker verbreitende Schwarzweiß-Fernsehen verdrängt.
Die mit dem Farbfilm arbeitenden und die direkte Anwahl ermöglichenden
„Scopitones“ lösten ab 1960 die „Soundies“ endgültig ab, wobei diese zu
diesem Zeitpunkt bereits weitestgehend in Vergessenheit geraten waren.
3. Hierbei ist zugleich festzuhalten, dass selten nahtlose Übergange und
stattdessen vielmehr Brüche beobachtet werden können: Die Regisseure
der „Scopitones“ (oder der späteren Musikvideos) studierten keineswegs
die von den Machern der „Soundies“ (oder den „Scopitones“) erarbeiteten
ästhetischen Errungenschaften, sondern begannen quasi wieder bei „Null“,
was zum einen manchmal zu einer scheinbaren „Neu“-, doch tatsächlichen
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Mit dem Aufkommen des Musikvideos in den 70er Jahren wurden einige Ideen anscheinend neu-, tatsächlich jedoch
eher wiederentdeckt:
Stills aus: Gjon Mili/Norman Granz, Soundie zu „Jammin´ the Blues“
(1944) und aus: Bruce Gowers, Musikvideo für Queen: „Bohemian Rhapsody“ (1975)
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Henry Keazor / Thorsten Wübbena: Imageb(u)ilder im Wandel
Geschichte
„Wiedereroberung“ bereits zuvor erlangter Ideen führte; zum anderen bedingte dies ein sozusagen vom „Ballast der Vergangenheit“ jedes Mal unbelastetes Experimentieren.
4. Eben dieses Experimentieren stand jeweils im Dienst einer von Anfang
an äußerst produktiven und kreativen Bilderfabrik, die stets darauf abzielte, mit Hilfe dieser Bilder ein bestimmtes „Image“ (vgl. dazu den Beitrag von Christoph Jacke in diesem Katalog) des jeweils im Mittelpunkt
stehenden Sujets (seien dies – wie im Falle des „Eidophusikons“ – z.B.
Naturereignisse oder aber – wie im Fall der „Song Slides“ – Elemente des
Liedtextes oder aber schließlich – wie im Fall der „Soundies“, „Scopitones“ und Musikvideos – bestimmte Musiker) zu schaffen, zu inszenieren
und zu vermitteln.
Dabei kam es jedes Mal zu einem intensiven Austausch zwischen der jeweils gerade modernsten Technik und den anderen (audio-)visuellen Genres: Die „Song Slides“ z.B. verbanden die mit den Dias gegebene Überblendungstechnik einerseits mit in populären Unterhaltungsgattungen
entwickelten Formen wie z.B. Tänzen oder Kostümen (die Darbietungen
waren schließlich für populäre Vergnügungsorte wie Vaudeville-Theater
oder Kinos gedacht), andererseits mit den aus der bildenden Kunst entlehnten Motiven. Der amerikanische Erfolgskomponist Charles K. Harris,
Autor des seinerzeit berühmten Liedes „Hello, Central, Give me Heaven”,
plädierte z.B. zwar 1907 für einen solchen Rückgriff auf traditionelle
Kunst, wandte sich jedoch zugleich entschieden gegen deren einfallslose,
direkte Übernahme, wenn er in einem „Illustrating Song Slides” betitelten
Aufsatz jene Produzenten von „Song Slides“ anklagte, welche „die Songs
bebildern, indem sie auf das Publikum einfach ein Mischmasch an alten
Stichen loslassen, die sie aus alten Druckereien und Bilderläden mitgenommen haben“ (übersetzt nach Harris 1907). Demgegenüber wies Harris
auf den Aufwand hin, den man dabei betrieben habe, als es darum ging,
sein Lied „Hello, Central“ mit adäquaten „Song Slides“ zu begleiten, in
denen ebenfalls Motive der Alltagskultur mit solchen der bildenden Kunst
kombiniert wurden.
23
„High“ and „Low“?
In vergleichbarer Weise griffen sodann auch die „Soundies“, „Scopitones“
und das Musikvideo auf in der Literatur, der Kunst, im Film und dann
in der Werbung entwickelte formale und motivische Errungenschaften zurück, was den Musikfilmen wiederholt den Vorwurf des „kulturellen Kannibalismus“ eintrug (vgl. dazu Keazor/Wübbena 2006). Wie jedoch spätestens die 1990 von Kirk Varnedoe und Adam Gopnik am Museum of
Modern Art in New York organisierte Ausstellung „High and Low. Modern
Art and Popular Culture“ zu zeigen bestrebt war, hat sich von jeher nicht
nur die „Popular Culture“ bei der „High Art“ bedient, wenn es darum ging,
kreative Impulse zu entwickeln: Auch umgekehrt inspirierten sich Avantgarde-Künstler immer wieder an Ausprägungen der Populärkultur wie z.B.
im Falle der Pop-Art, die u.a. auf die Ästhetik von Comics, Illustrierten
und der Werbung zurückgriff. Vergleichbares lässt sich bis heute auch bezüglich der Musikvideos beobachten: In der Literatur erfährt z.B. nicht nur
ein Video-Regisseur wie Chris Cunningham eine Hommage (vgl. William
Gibsons 2003 erschienenen Roman „Pattern Recognition“), in dem ein
deutlich am Vorbild Cunninghams modellierter Musikvideo-Regisseur erscheint, sondern auch narrative Strukturen des Clips – wie z.B. die plötzlichen Ortswechsel in dem von Filmregisseur John Landis 1991 für Michael
Jacksons „Black or White“ gedrehten Video – finden ihren Weg in literarische Werke (vgl. dazu Keazor/Wübbena 2010b, S. 8). Warf man Musikvideos früher paradoxerweise vor, sich auch an ästhetischen Vorbildern aus
der Werbung zu vergreifen („paradoxerweise“, da ein Clip fast immer auch
Werbung für das zugrunde liegende Musikstück ist), so ist es jetzt nicht selten die Werbung, die sich in formaler Hinsicht oder bezüglich bestimmter
Ausgangssituationen an Musikvideos orientiert.
24
Darüber hinaus aber haben die Musikkurzfilme allerspätestens seit den
„Scopitones“ einen erheblichen Beitrag zur Entwicklung der Filmkunst
geleistet, während man ihnen und ihren Nachfolgern, den Musikvideos,
gerne vorwirft, dass sie schamlos die Filmgeschichte plünderten: So berühmte Regisseure wie z.B. Claude Lelouch, Francis Ford Coppola, Robert
Altman, Ridley Scott oder David Fincher erlernten ihr im Kino eingesetz-
Henry Keazor / Thorsten Wübbena: Imageb(u)ilder im Wandel
Geschichte
tes Handwerk nicht nur erst beim Dreh von „Scopitones“ bzw. Musikvideos, sondern sie entwickelten hier z.T. sowohl in technischer als auch
ästhetischer Hinsicht wichtige Errungenschaften. Lelouch experimentierte
hier mit dem für seine später im Rahmen der „Nouvelle Vague“ so wichtigen, da Spontaneität und Ungekünsteltheit garantierenden neuen lichtempfindlichen Filmmaterial, David Fincher entwickelte die seine Filme „Fight
Club“ (1999) und „Panic Room“ (2002) prägenden, ohne Schnitte mit
scheinbar schwereloser Kamera vorgenommenen, fließenden Ortswechsel
im Kontext seiner Musikvideos.
Selbst der Musikvideo-Produktion eigentlich ferne
Regisseure wie z.B. Marc Foster haben in der Vergangenheit ästhetischen Profit aus dem gezogen,
was zuvor innerhalb des Musikvideos entwickelt
worden ist: In seinem Film „Stranger than Fiction“
(2006) setzt er den jeweils gezeigten Raum durchziehende Grafiken und Diagramme ein, um auf
diese Art und Weise den peniblen Ordnungssinn
anschaulich zu machen, der im Kopf seines Protagonisten Harold Crick regiert. Die dahinterstehende
Idee mit ihren im Raum schwebenden Texten, Grafiken und Diagrammen geht jedoch zum einen auf
den Werbespot „Magazine Wars“ (1994) des Regisseurs David Fincher zurück. In diesem bewarb er
die Firma Nike mittels einer Bildersequenz, in der
auf den Covern von Magazinen abgebildete Sportler zum Leben erwachen und aus ihrem typografischen Umfeld heraus zu agieren beginnen. Fincher
adaptierte das Konzept dann selbst fünf Jahre später
für seinen Film „Fight Club“, wo der Protagonist
einen quasi begehbaren Möbel-Katalog durchwanStills aus: Marc Foster, „Stranger than Fiction“
dert, ehe es sodann 2002 von Mike Lipscombe für (2006)
seinen Clip zu Anastacias Song „Why´d You Lie
to Me?“ weiter entwickelt wurde (vgl. dazu Keazor/Wübbena 2007², S.
274). Zum anderen geht die Sequenz aus Fosters Film auf das 2002 von
25
H5 (Ludovic Houplain, Antoine Bardou-Jacquet
und Hervé de Crécy) für den Titel „Remind Me“
von Röyksopp produzierte Musikvideo zurück, in
dem der Tagesablauf einer Angestellten im Kontext von ihre individuelle Existenz übergreifenden
Zusammenhängen gezeigt wird, zu deren Illustration ebenfalls beständig Texte, Grafiken und Diagramme erscheinen.
Stills aus: H5 (Ludovic Houplain, Antoine BardouJacquet und Hervé de Crécy), Musikvideo für
Röyksopp: „Remind Me“ (2002)
Graphik aus: Bo Lenntrop, Paths in Space-Time
Environments (1976)
26
Die Idee einer solchen kartografischen Verknüpfung von Raum, Zeit und menschlichen Handlungen geht auf den schwedischen Geografen Törsten
Hägerstrand zurück, der dieses Konzept in den
1970er Jahren entwickelte – (vgl. dazu Löw 2001,
S. 38). Auch hier lässt sich beobachten, dass das
zunächst im Musikvideo ausgestaltete Verfahren
sodann in der Werbung Anwendung fand: 2004
hat der französische Energie- und Nuklear-Konzern Areva H5 damit beauftragt, die logistischen
und technischen Hintergründe zur Produktion und
Nutzung nuklearer Brennstäbe im Rahmen eines
45-sekündigen Clips (und zu den Klängen des Hits
„Funky Town“ aus dem Jahre 1980 von Lipps,
Inc.) mit Hilfe eben solch grafischer Veranschaulichungen zu bewerben.
Schließlich wäre das z.B. die „Matrix“-Trilogie
(1999-2003) der Gebrüder Andy und Larry Wachowski prägende „Frozen Moment“- oder „Bullet
Time“-Verfahren ohne dessen vorherige Perfektionierung insbesondere durch Michel Gondrys Musikvideos zum Zeitpunkt der Produktion von „The
Matrix“ wohl kaum auf dem Stand gewesen, auf
dem es in dem Science Fiction-Thriller dann eingesetzt werden konnte. Dass die Form des Musik-
Henry Keazor / Thorsten Wübbena: Imageb(u)ilder im Wandel
Geschichte
videos schließlich demnächst vielleicht sogar die
Struktur eines ganzen Films prägen könnte, erhellt
z.B. die Kritik, die der österreichische Journalist
Bert Rebhandl vor einigen Monaten an dem Film
„Gainsbourg“ (2010) des französischen Regisseurs Joann Sfar übte: Den Umstand bemängelnd,
dass Sfar mit seinem biografischen Film über den
französischen Chansonnier, Komponisten, Schauspieler und Schriftsteller Serge Gainsbourg „eher
einen Mythos abklappert, als ihn neu zu schaffen“,
schreibt Rebhandl, dass Sfar „vermutlich besser
daran getan [hätte], einfach zu allen großen Chansons von Gainsbourg ein Video zu erfinden – das
wäre wahrscheinlich eine tolle Revue geworden“
(Rebhandl 2010).
Auch bezüglich der bildenden Kunst kann schließlich festgestellt werden, dass die Wechselbeziehungen zum Musikvideo äußerst komplex geworden sind: Zum einen drehten und drehen arrivierte
Künstler wie z.B. Damien Hirst, Floria Sigismondi, Sam Taylor-Wood oder Takashi Murakami Stills aus: H5 (Ludovic Houplain, Antoine BardouJacquet und Hervé de Crécy), Werbespot für Areva
Musikvideos (vgl. dazu Krause-Wahl 2010); zum (2004)
anderen vermischen sich Clip und Kunst zunehmend bis fast zur Ununterscheidbarkeit. So verwenden Regisseure wie Jonas Åkerlund oder Chris Cunningham für ihre Musikvideos und Kunstwerke nicht nur motivisch ähnliches bzw. im Falle Åkerlunds sogar identisches
Material (Åkerlund präsentierte 2004 auf einer Ausstellung mit künstlerischen Kurzfilmen eine Arbeit, die in Bildern und Musik vollständig auf
seinen 1998 für die Band Metallica gedrehten Clip zu dem Stück „Turn the
Page“ zurückging), sondern Cunninghams 1999 vorgelegtes Musikvideo
für Björks „All Is Full of Love“ lief 2001 nicht nur auf der Biennale von
Venedig, sondern es wurde dort zudem gemeinsam mit seiner damals neuen Videoarbeit „Monkey Drummer“, gezeigt, die – obgleich als autonomes
Kunstwerk präsentiert – alle Züge eines seiner Musikvideos hat. Selbst die
27
für das Kunstwerk verwendete Musik, das Stück „Mt. Saint Michael + St.
Michaels Mount“, stammt von dem irischen Musiker Aphex Twin (Richard
David James), für den Cunningham seit 1997 Musikvideos dreht.
Film und Musikvideo
Zuweilen lassen sich mittlerweile sogar zum einen engste Wechselbeziehungen zwischen Film und Musikvideo, zum anderen die Bildung von regelrechten „Klassikern“ innerhalb der Auseinandersetzung des Musikvideos mit dem Film beobachten. So hat sich Stanley Kubricks 1968 gedrehter
Science-Fiction Film „2001 – A Space Odyssey“ als feste Größe hinsichtlich seiner Rezeption im Medium des Musikvideos erwiesen: Sowohl bereits ältere Clips wie z.B. Mick
Rocks Clip zu David Bowies
„Space Oddity“ (1973), Michel
Gondrys Musikvideo zu Lenny Kravitz´ „Believe“ (1993)
oder Mark Romaneks Video zu
„Scream” von Janet and Michael Jackson (1995) als auch
Clips jüngeren Datums wie der
von Rob Chandler für „Other
Side“ von Pendulum (2008)
oder das Video zu „Little Secrets“ von Passion Pit (2009)
greifen Motive und Sequenzen
Still aus: Mel Stuart, „Willy Wonka and the Chocolate Factory“ (1971)
aus dem Film auf.
28
Gleiches tut das 2002 von Regisseur Little X vorgelegte Musikvideo zu
Craig Davids „What´s Your Flava“ in Bezug auf den Handlungsstrang und
die Szenerien einer Verfilmung von Roald Dahls 1964 erschienenem Roman „Charlie and the Chocolate Factory“, die Mel Stuart 1971 unter dem
Titel „Willy Wonka and the Chocolate Factory“ vorgelegt hatte. Interes-
Henry Keazor / Thorsten Wübbena: Imageb(u)ilder im Wandel
Geschichte
santerweise rekurrierte Regisseur
Tim Burton bei seiner 2005 unternommenen Neuverfilmung „Charlie
and the Chocolate Factory“ offensichtlich nicht nur auf Dahls Roman
und die erste Verfilmung, sondern
auch auf das Musikvideo zu Davids „What´s Your Flava“: Die Paralellen hinsichtlich des Aussehens
des „Television Chocolate Room“
in Stuarts und Burtons Verfilmung Still aus: Tim Burton, „Charlie and the Chocolate Factory“ (2005)
sowie in Little Xs Clip-Adapation
gehen zwar vor allem auf das Konto der in der Roman-Vorlage Dahls
gelieferten Beschreibung – während
Stuart die Besucher des „Television
Chocolate Room“ jedoch sämtlich
in weiße (in Dahls Roman: rote)
Schutzanzüge steckt, belassen Little
X und Burton ihnen hingegen ihre
Straßenkleidung, und auch hinsichtlich der Positionierung des die
Kamera bedienenden Technikers
scheint die Neuverfilmung sich an Still aus: Little X, Musikvideo für Craig David: „What´s Your Flava“
(2002)
dem mit dem Craig-David-Clip gelieferten Modell orientiert zu haben. Darüber hinaus jedoch scheint Burton
dem Musikvideo von Little X insofern Reverenz zu erweisen, als der sich an
die Szene anschließende (und schon im Roman jede Szene moralisch auslegende) Song der zwergenhaften Angestellten der „Chocolate Factory“,
der Oompa-Loompas, als Teil eines Musikfernsehprogramms ausgewiesen
wird – ganz im Unterschied zum Roman und zu Stuarts Erstverfilmung, in
der die Oompa-Loompas das Stück einfach vor Ort, also im „Television
Chocolate Room“ selbst, darbieten. In dem dagegen von Burton gezeigten
Musikfernsehen treten zwei von den Ooma-Loompas verkörperte Bands
auf, die zum einen einer Kreuzung der Rockgruppen Queen und Kiss,
29
Stills aus: Tim Burton, „Charlie and the
Chocolate Factory“ (2005)
30
zum anderen jedoch den Beatles nachempfunden sind.
Wie in einer Vorahnung des Umstands, dass er sich im
nächsten Moment in miniaturisierter Form als Teil einer
Musik-Sendung wiederfinden wird, vollführt Mike Teavee, bevor er sich von der riesigen Kamera auflösen und
in das Fernsehprogramm transportieren lässt, dann auch
noch die berühmten Tanzgesten John Travoltas aus John
Badhams „Saturday Night Fever“ aus dem Jahre 1977:
Miniaturisiert und im Fernsehen angekommen, vergehen
ihm diese Posen jedoch rasch, denn er wird dort von den
(sämtlich durch den Schauspieler Deep Roy verkörperten) Musikern der Rockband bedroht bzw. von ihnen
durch die Luft gewirbelt und in den Auftritt der BeatlesBand geschleudert. Schon der von Little X für Craig gedrehte Clip nutzte die Szene im „Television Chocolate
Room“ dazu, um selbstverliebte Medienlüsternheit mit
strafenden Folgen zu versehen: Die junge Frau, die Craig
David auf die Tour durch seine „Factory“ begleiten darf,
stößt ihn aus dem Aufnahmefeld der riesigen Kamera
und zu Boden, um sich seines Zylinders zu bemächtigen
und, mit diesem eitel posierend, alleine vor den im Hintergrund tanzenden Frauen erscheinen zu können. Dieses
Verdrängen des Stars quasi aus seinem eigenen Clip wird
dann auch sofort geahndet, indem die junge Frau (wie in
Dahls Roman und dessen Verfilmungen Mike Teavee) in
kleinste Partikel aufgelöst wird, die von der Kamera aufgesogen und versendet werden – im Unterschied zu den
anderen Interpretationen von Dahls Geschichte jedoch
mit offenbar unbekanntem Ziel: Wird Mike Teavee dort
ins Fernsehen transportiert (bei Dahl und in Stuarts Verfilmung auf einen hierfür eigens hierfür vorgesehenen,
also kein sonstiges Programm zeigenden Monitor, bei
Burton hingegen in eine laufende Sendefolge mit Musikdarbietungen), so bleibt das weitere Schicksal der Frau
in dem Clip von Little X beunruhigend ungewiss. Sie be-
Henry Keazor / Thorsten Wübbena: Imageb(u)ilder im Wandel
Geschichte
fand sich, als Protagonistin eines Musikvideos, ja gewissermaßen bereits
im Fernsehen, scheint dort also keinen Sendeplatz mehr finden zu können.
Solch wechselseitiger Austausch zwischen Film und Musikvideo zeigt,
dass die Regisseure von Musikvideos ebenso auf die Bilderwelten des Kinos rekurrieren wie umgekehrt Film-Regisseure auf die technischen wie
ästhetischen Errungenschaften des Musikclips zurückgreifen.
In jedem Fall wird dabei deutlich, dass das Genre des Musikkurzfilms,
wie er sich – vorbereitet von „Eidophusikon“, „Song Slides“ und „Kinetophone“ – im Laufe der Geschichte in den verschiedenen Formen der
„Soundies“, der „Scopitones“ und der Musikvideos manifestiert hat, sich
weiterhin vital fortentwickelt. Ein dreifacher Blick 1) zurück (auf diese
Vorstufen und Vorläufer des im Fernsehen gezeigten Musikclips), 2) in die
Gegenwart (auf zunehmend im Internet und auf Handydisplays verfolgte
Clips) sowie 3) in die Zukunft (zu der auch das iPad mit seinen wieder erweiterten ästhetischen Möglichkeiten gehört) erweist, dass es sich bei dem
uns seit den späten 1970er Jahren bekannten Fernseh-Musikvideo nur um
eine Spielform des Musikclips gehandelt hat – und man darf auch künftig
neugierig darauf sein, in welche Richtungen und in welchen Formen sich
dieser „Imagebuilder“ weiterentwickeln wird.
31
D
Thomas Sandmann
ie
Musikvideo-Produktion im zeitlichen Wandel
Kreativität statt Budget
Demokratisierung der Produktionsmittel
In der noch jungen Geschichte des Musikvideos hat in den vergangenen
Jahren die erste große Veränderung stattgefunden. Waren es bis vor kurzer
Zeit noch wenige bekannte Firmen und Produzenten, die für den größten
Teil aller Musikvideos verantwortlich zeichneten, so stammen heute immer mehr Videos aus weitaus kleineren Studios oder sogar direkt aus dem
Computer des kreativen Kopfes, der die Idee des betreffenden Videos hatte
und diese dann auch selbst umsetzt. Allerdings kann sich dieser moderne
Videoproduzent nur noch bedingt mit der Technik beschäftigen, weil sonst
der Inhalt leiden würde. Ein solches Vorgehen ist mit moderner Schnittsoftware kein Problem, da viel Know-how bereits in deren Standard-Routinen
integriert ist. Wie diese Entwicklung begann und warum heute möglich ist,
was früher undenkbar war, zeigt dieser Beitrag.
Geschichte des Musikvideos
32
Musik-Inhalte im Fernsehen bestanden früher hauptsächlich aus Live-Auftritten der Bands in entsprechenden Shows. Dabei wurde nicht immer live
gespielt, sondern vielfach im Halb- oder gar Vollplayback gesungen. Die
Band oder der Interpret waren aber immer persönlich anwesend. Unver-
Thomas Sandmann: Die Musikvideo-Produktion im zeitlichen Wandel
Produktion
gessen sind Sendungen wie beispielsweise „Disco“ mit Ilja Richter, leichtere Muse wie „Bananas“ mit Olivia Pascal oder für die Schlagerfreunde
die ZDF-Hitparade mit Dieter Thomas Heck.
Wann es das erste Musikvideo gab, darüber streiten sich die Gelehrten.
Wesentlich hängt dies von der Definition ab, was ein Musikvideo überhaupt ist. Zählt man musikalische Promo-Filme nicht mit dazu, die es ab
1966 beispielsweise von den Kinks und den Beatles gab, so wird gern
das Video von Bruce Gowers zu „Bohemian Rhapsody“ von Queen aus
dem Jahr 1975 genannt. Das Video entstand zum einen, weil die Gruppe den Song aufgrund der darin verwendeten aufwändigen Studiotechnik
nicht hätte live aufführen können, zum anderen aber auch, weil Queen zu
zwei verschiedenen Auftritten zur gleichen Zeit eingeladen war. Die Band
entschied daraufhin, für einen der Auftritte, eine Performance in der englischen Chart-Show „Top of the Pops“, das von Gowers gedrehte Video
herstellen zu lassen, das deshalb auch noch viele typische Elemente eines
Konzert-Auftritts (Bühnensituation, Mikrofone, Scheinwerfer etc.) aufweist. Die ersten Musikvideos in der Form, wie wir es heute von den Musiksendern kennen, waren dann jedoch die ebenfalls 1975 von Lasse Hallström gedrehten so genannten Clips für die Songs „Bam-A-Boomerang“
und „SOS“ von ABBA, wo bereits das später typische Formenrepertoire
(Außenaufnahmen, schnelle Schnitte, visuelle Effekte etc.) zum Einsatz
kommt.
Bis in die frühen 1980er Jahre hatten Musikvideos in Deutschland praktisch keine Bedeutung. Das sollte sich schlagartig ändern, als die ARD im
Jahr 1983 die wöchentliche Musikvideo-Sendung „Formel 1“ mit Peter Illmann startete. Mit ihr begann in Deutschland ein wahrer Video-Boom. Wer
in den Charts war und noch kein Video hatte, wurde persönlich eingeladen.
Oft wurde dieser Auftritt bei Formel 1 vor einer Kulisse aus alten Autos
und ein paar Ölfässern mitgeschnitten und fungierte fortan als Video. MTV
gab es zu dieser Zeit nur in den USA, das erste dort 1981 ausgestrahlte
Video war treffender Weise der zwei Jahre zuvor bereits gedrehte Clip von
Russel Mulcahy zu „Video Killed the Radio Star“ von den Buggles.
33
Es folgten die aufwändigsten und teuersten Videos der Geschichte. Den
Rekord für das teuerste Video hält Michael Jackson mit seinem 7 Millionen
Dollar teueren Clip von Mark Romanek zu „Scream“ aus dem Jahre 1995,
aber auch schon die „Wild Boys“, 1984 von Russel Mulcahy für Duran
Duran gedreht, kosteten über eine Million. Man übertrumpfte sich gegenseitig mit filmischen Highlights und Spezialeffekten, und wiederum war es
Michael Jackson, der die Messlatte 1982 mit dem 15 Minuten langen, von
Film-Regisseur John Landis gedrehten Video „Thriller“ auf nahezu unerreichbare Höhe legte, denn es war fast schon ein kleiner Kinofilm.
In den folgenden Jahren erlebten die Musikvideos Höhen und Tiefen. Die
letzte Sendung der „Formel 1“ ging 1990 über den Bildschirm, allein dadurch verloren Videos in Deutschland an Bedeutung. Seit Ende der 1980er
Jahre schaut man dann aber auch hier zu Lande MTV, und mit VIVA gingen
1993 sogar deutschsprachige Inhalte an den Start. Die Musikvideos aus der
jeweiligen Zeit spiegeln diese Situation wieder, sehen je nach reichen oder
armen Jahren entsprechend aufwändiger oder spartanischer aus.
Qualitätsanspruch
Die bedeutenden Musiksender, allen voran sicher MTV, prägten einen hohen Qualitätsanspruch. Das Programm war nämlich nicht unbedingt ein
Spiegel des gesamten Musikmarkts, sondern nur eines Teils davon. Dieser
wurde dem eigenen, beabsichtigten Image entsprechend ausgewählt, Sender wie MTV verstehen sich als eigene Marke und definieren diese durch
die gespielten Videos. Bei der Auswahl kommt es nicht nur auf die Musik,
sondern auch auf den Look an.
34
Eine Videoproduktion war daher in den meisten Fällen eine Filmproduktion. Reichte das Budget nicht für den vom Kinofilm bekannten 35-Millimeter-Standard, so konnte man sich auch mit 16-Millimeter-Filmen begnügen. Die aber mussten es mindestens sein, und erst das Ergebnis wurde
dann abgetastet und als Video umgesetzt. Der technische Aufwand und die
Thomas Sandmann: Die Musikvideo-Produktion im zeitlichen Wandel
Produktion
entstehenden Kosten waren dermaßen hoch, dass eine Videoproduktion
nur von professionellen Firmen realisierbar war. Zwar wäre die Zusammenarbeit eines einzelnen Kreativen, beispielsweise eines Bandmitglieds,
mit einer Video-Firma denkbar gewesen, jedoch war so etwas eher die
Ausnahme als die Regel.
Auch die Plattenfirmen überließen dem Videoproduzenten zumeist die gesamte Entscheidungsfreiheit über das Video, während ein Eingreifen selbst
in kleinste Details der Musik typisch war. Diese vollkommen unterschiedliche Handhabung begründet sich im Status, den das Musikvideo damals
hatte und zum Teil immer noch hat: Es war nämlich nicht Bestandteil des
künstlerischen Werkes der Band, sondern es wurde von den Plattenfirmen
vor allem für die Promotion des Interpreten und als Anreiz zum Kauf der
CD in Auftrag gegeben. Das ist auch daran erkennbar, dass man die meisten Videos nicht auf einem Bildtonträger kaufen kann.
Dient das Video nur dazu, bei den einschlägigen Sendern gespielt zu werden, wird schnell klar, dass eine Plattenfirma sicher kein Geld für ein Video
ausgibt, wenn es auf einen Einsatz bei den Musiksendern ohnehin keine
Chance hat. Aber es wird noch komplizierter: Obwohl die Videos ihrer
Natur nach eine Art Werbung sind, kostet das Spielen die Plattenfirmen
nichts. Im Gegenzug können sie auch nicht beeinflussen, ob das Video gespielt wird oder nicht. Das Video ist damit als kostenlos zur Verfügung
gestellter Programminhalt zu verstehen, der aus Sicht des Senders so attraktiv sein soll, dass die zwischen den Songs liegenden Werbeblöcke gut
verkauft werden können. Bei dieser Betrachtung wird verständlich, dass
die Plattenfirmen die Entscheidung, wie das Video auszusehen hat, lieber
einem Experten aus dieser Branche überlassen als dem Künstler, der mit
einem gänzlich anderen Ansatz an die Produktion ginge.
Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel. So veröffentlichte die Rockgruppe KoRn 2004 zu dem Song „Y‘all Want a Single“ ein von Andrew
Jenkins gedrehtes Musikvideo, in dem grobkörnige Schwarzweiß-Qualität
kurzerhand zum Stilmittel erhoben wurde. Dass das Video inhaltlich zeigt,
wie ein Schallplattengeschäft kurz und klein geschlagen wird, lässt Kritik
35
nicht nur an den bisherigen Musikvideos, sondern am gesamten Business
offensichtlich werden.
Der Beginn der Wende
Aufgrund eines extremen Überangebotes an Videos und vergleichsweise
wenigen Sendeplätzen haben heute hauptsächlich Videos eine Chance,
deren zu Grunde liegende Songs oder deren Interpreten bereits bekannt
sind. In den meisten Fällen gilt das auch, wenn der Inhalt schlechter ist als
der eines Konkurrenten, der aber nicht bekannt ist. Das liegt hauptsächlich
im Verhalten der heutigen Konsumenten begründet. Und dem Sender geht
es um die Einschaltquoten, denn die bestimmen den Preis der Werbung.
Gleichzeitig liegt die Messlatte für einen qualitativen Mindeststandard
aber immer noch relativ hoch, was an dem durch das Überangebot verursachten Konkurrenzdruck auf die Videoproduzenten liegt. Da das immer
weniger vorhandene Geld aber ohnehin ein Umdenken erzwingt, werden
immer mehr kostensparende Vorgehensweisen entwickelt.
Um den erheblichen Aufwand einer Aufnahme auf Film zu verringern, gab
es schon frühzeitig Versuche, ein Video tatsächlich auch als Video zu drehen. Die meistens von ihnen scheiterten, einige von ihnen aber nicht einmal an der Qualität an sich. Entsprechend hochwertig produzierte Aufnahmen sahen nämlich schon Mitte der 1990er Jahre objektiv betrachtet sicher
nicht schlechter aus. Subjektiv betrachtet allerdings schon, denn unsere
Sehgewohnheit bezog die Eigenarten des Filmlooks in die Erwartungshaltung ein, und Video sah eben nicht so aus wie Film.
Die Bemühungen vieler Pioniere auf diesem Gebiet hatten folglich das
Ziel, sich mit der Videotechnik an den gewünschten Filmlook anzunähern.
Dadurch wurde das Wort Filmlook ein wichtiges Schlagwort der Videoschaffenden, das heute noch immer Bestandteil vieler Fragen aus der Amateur-Liga ist, während die meisten Profis das Problem gelöst haben.
36
Thomas Sandmann: Die Musikvideo-Produktion im zeitlichen Wandel
Produktion
Den Weg zu dieser Lösung beschritt jedoch jeder anders. Während einige
die Eigenarten des Films an sich betrachteten und beispielsweise mit Hilfe von PlugIns im digitalen Schnittsystem die drei Farbschichten nachzubilden versuchten, die im Gegensatz zu den Grundfarben des Videos nie
gleichzeitig scharf sein können, beschäftigten sich andere mit den chemischen Eigenschaften des Films, analysierten die eher unerwünschten Effekte und versuchten, diese nachzubilden. Ganz wesentlich unterscheidet sich
das Video vom Film aber durch den zeilenweisen Aufbau. Im Gegensatz
zum Film, der aus aneinander gereihten Bildern besteht, baut Video das
Bild aus Zeilen auf und arbeitet dabei mit so genannten Halbbildern. Zuerst
werden alle ungeradzahligen, danach alle geradzahligen Zeilen geschrieben. Dadurch scheint das Video „glatter“ zu laufen. Schon früh gelang man
zu der Erkenntnis, dass diese für Video typischen Halbbilder unbedingt
durch Vollbilder ersetzt werden müssen, was erst mit dem Einzug digitaler
Videokameras möglich wurde.
Die ersten Videoproduzenten, die erfolgreich Video statt Film für die Aufnahmen einsetzten, taten dies heimlich. Gelang der angestrebte Filmlook in
der Produktion, dann war es eben Film. Der nächste Schritt war das Märchen speziell umgebauter Kameras, die mit einer ominösen Modifikation
dem angestrebten Ergebnis schon sehr nahe kämen, In Wirklichkeit hatte
der Erzähler des Märchens aber einfach nur eine der frühen Kameras, die
schon den Vollbild-Modus beherrschten, und erreichte den Rest des Eindrucks durch geschickte Bearbeitung und Kameraführung.
Unabhängig von der Technik kann man inhaltlich ebenfalls kostensparend denken. Für das Budget von Wayne Ishams 2001 gedrehtem Video zu
Britney Spears´ „I‘m Not a Girl, Not Yet a Woman“ mit seinem vor roten
Gebirgszügen stattfindendem Hubschrauber-Überflug könnte man sicher
tausende von Clips im Stil eines „Nordisch by nature“ von Fettes Brot
produzieren, die mit einer Graffiti-Wand in Hamburgs Hafengegend auskamen. Ob dieses Video deshalb wirklich schlechter ist, darüber kann man
vortrefflich streiten.
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Filmlook
Beim Video ist meist von vorn bis hinten alles scharf.
Filmlook bedeutet auch Mut zur Unschärfe. Hier hebt
sich der scharfe Vordergrund viel besser vor dem unscharfen Hintergrund ab.
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Nur die gewohnten Nebeneffekte des Films
zu simulieren, führt bei Aufnahmen direkt auf
Video nicht zum Ziel. Viel wichtiger ist es
beispielsweise, bei der Aufnahme die Schärfentiefe zu reduzieren. Video entlarvt sich
gegenüber dem Film nämlich meist durch die
Tatsache, dass immer alles scharf ist. Viel natürlicher wirkt eine Szene, wenn der wichtige
Bereich scharf und der Rest unscharf ist. So
konzentriert sich das Auge des Zuschauers automatisch auf den Vordergrund, wenn der Hintergrund unscharf ist.
Auch die bei Video oft eingesetzten, kurzen
Brennweiten würde kein Kameramann beim
Film wählen. Der Einsatz einer längeren
Brennweite, also die Nutzung des leichten
Tele-Bereichs, sieht daher allein schon viel
eher nach Film aus. Soll der Bildausschnitt
langsam verändert werden, macht es einen
gewaltigen Unterschied, ob nur gezoomt oder
die Kamera wirklich auf das Objekt zu oder
von diesem weg bewegt wird. Weil Zoomen
einfach und Fahren schwierig ist, wird beim
Video meist gezoomt und im Film selbstverständlich gefahren. Soll das Video nach Film
aussehen, muss also gefahren werden.
All diese Maßnahmen müssen nicht unbedingt zusätzliches Geld verschlingen. Manche Fahrten benötigen nicht zwingend einen schienengeführten
Kamerawagen, der in der Branche auch Dolly genannt wird. Ein vom Supermarkt nebenan ausgeliehener Einkaufswagen kann unter Umständen
reichen und bringt den Filmlook auch in preisgünstige Produktionen, die
Thomas Sandmann: Die Musikvideo-Produktion im zeitlichen Wandel
Produktion
von vornherein auf Video aufgenommen
wurden. Kreativität zählt hier also mehr
als die teuerste elektronische Filmlook-Simulation, und Experimentieren lohnt sich.
Im folgenden sei ein Beispiel vorgestellt,
das Sie sicher aus dem einen oder anderen
Film wiedererkennen. Die Methode geht in
der Filmgeschichte schon auf Alfred Hitchcock zurück und erzeugt typisches KinoGefühl, obwohl sie auf Video ganz genauso
aufgenommen werden kann wie auf Film:
Ein Darsteller ist in unveränderter Größe
im Bild zu sehen, hinter ihm zoomt aber
der Hintergrund auf. Wer hier an zwei einzelne Videoaufnahmen und das Blue-BoxVerfahren denkt, ist völlig auf dem Holzweg. Das geht nämlich alles nur mit einer
Kamera und direkt bei der Aufnahme, wie
die folgenden Bilder zeigen.
Die Kamera fährt kontinuierlich auf den Darsteller zu.
Gleichzeitig wird der Bildausschnitt mit dem Zoom so
verkleinert, dass der Darsteller in gleicher Größe im Bild
bleibt.
Was bei diesem Trick passiert, wird auf der Ansicht von
oben deutlich: Hält man beim Näherkommen den Darsteller gleich groß im Bild, öffnet sich der Bildwinkel immer
weiter. Entsprechend mehr Hintergrund wird abgebildet.
Das Ergebnis: Bei gleichbleibendem Vordergrund zoomt der Hintergrund auf.
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Die Grenzen der Technik
Zu jedem Zeitpunkt innerhalb der durch rasante Weiterentwicklung geprägten Geschichte der Videotechnik wurden die technischen Grenzen vollständig ausgeschöpft. Die Möglichkeiten waren dabei durch technikbedingte
Restriktionen derart begrenzt, dass viel Know-how und Expertenwissen
nötig waren, um überhaupt ein Video in ansehnlicher Qualität zustande zu
bringen. Dadurch war zu dem Zeitpunkt, als Film keine notwendige Voraussetzung mehr war und wesentlich einfacher auf Video gedreht werden
konnte, noch immer nicht daran zu denken, dass ein Mitglied der Band
diese Aufgabe mal eben selbst übernimmt. Um ein Bewusstsein für die Zusammenhänge zu schaffen, sei ein kurzer Ausflug in die Technik gestattet.
Ein herkömmliches, analoges Videosignal ist aus Zeilen aufgebaut. Die
Anzahl der Zeilen ist fest vorgegeben, die Auflösung in vertikaler Richtung
also wie bei einem Digitalbild diskret. Jede einzelne Zeile wird dagegen als
kontinuierlicher Spannungsverlauf übertragen. Dabei entspricht die momentane Spannung des Videosignals der Bildhelligkeit: Schwarz bedeutet
keine Spannung, Weiß Vollaussteuerung.
Die Grautöne belegen die Werte zwischen diesen
beiden Grenzen. Stellen Sie sich nun ein Bild vor,
das aus acht vertikalen Streifen besteht, die links
mit Weiß beginnen, dann in der Helligkeit immer
weiter abnehmen, um rechts schließlich in einem
schwarzen Streifen zu enden. Zerlegen wir dieses
Bild in Zeilen, sieht jede Zeile exakt identisch aus.
Umgesetzt auf die oben genannten Spannungswerte ergibt sich ein treppenförmiges Signal, das
mit Vollaussteuerung (Weiß) beginnt, dann immer
niedrigere Spannungswerte (Graustufen) durchläuft und schließlich bei
Null (Schwarz) endet. Damit die Zeilen später wieder exakt untereinander
dargestellt werden und die vertikalen Linien nicht verschoben sind, muss
jede Zeile sehr genau zum richtigen Zeitpunkt starten, und die Durchlauf-
Acht vertikale Streifen mit von links nach rechts
abnehmender Helligkeit.
40
Thomas Sandmann: Die Musikvideo-Produktion im zeitlichen Wandel
Produktion
zeiten aller Zeilen müssen gleich lang sein. Wieviel Zeit für solch einen
Zeilendurchlauf zur Verfügung steht, ist vorgegeben, denn 25-mal pro
Sekunde müssen 625 Zeilendurchläufe erfolgen können. So ergeben sich
15.625 Bildzeilen pro Sekunde. Folglich beträgt die Dauer einer Zeile
genau 64 Mikrosekunden, wovon 52 für die tatsächliche Darstellung des
Bildes genutzt werden und die restliche Dauer der Synchronisation dient.
Damit ergibt sich das BAS-Signal (Bild-Austast-Synchron-Signal), das im
englischen Sprachraum auch VBS (Video Blanking Signal) genannt wird.
Eine Zeile eines BAS-Signals mit achtstufiger Grautreppe.
Enthält ein Bild viele Details, ändert sich die Spannung beim Zeilendurchlauf häufiger als bei wenigen. Viele Details führen folglich zu höheren Frequenzen im Bildsignal. Ist ein Bild besonders scharf, entstehen innerhalb
dieses stets kontinuierlichen Spannungsverlaufs steilere Flanken. Aus der
Audiotechnik kennen Sie vielleicht den Zusammenhang, dass steile Flan-
41
ken gleichbedeutend mit hohen Frequenzen sind. Entsprechend kann ein
Videosignal detailreicher und schärfer übertragen werden, je höher die
obere übertragbare Grenzfrequenz und damit die Bandbreite ist.
Vom Kopieren von Tonbändern oder Audio-Cassetten kennen Sie den Effekt, dass die Qualität schlechter wird. Hauptsächlich nimmt das Rauschen
zu, und die Höhen werden dumpfer. Nun sind die technischen Anforderungen an die Audiotechnik mit ihrem Frequenzganz bis 20 kHz aber vergleichsweise gering, denn die Videotechnik benötigt für eine gute Qualität
eine Bandbreite von 5 MHz. Diese war aber erst
kurz vor Ende der Analog-Ära mit dem Format
Beta SP verfügbar, typische Bandbreiten Anfang der 1980er Jahre lagen unter 3 MHz. Ein
ständiger Kampf mit der Qualität und gegen
Kopierverluste war die Folge, professionelle
Aufzeichnungsgeräte waren im Preissegment
eines Mittelklasse-PKW angesiedelt, und die
wesentlich schlechtere Amateurtechnik war
Typische Videomaschine im professionellen Beta-Format, deren Videobandbreite später durch ein Nachrüst- gar nicht erst in der Lage, die zur Weitergabe
modul auf Beta SP erhöht werden konnte.
erforderliche Kopie herzustellen.
Farbe im Video
42
Bei Einführung des Farbfernsehens hatte noch kaum jemand einen Farbfernseher. Eine wichtige Anforderung war daher die Kompatibilität zum
Schwarzweiß-Fernsehen, die bis heute besteht. Da die Helligkeit des gesamten Bildes, auch Luminanz oder einfach Y genannt, im SchwarzweißSignal bereits enthalten ist, genügen zur Übertragung der drei Grundfarben
Rot, Grün und Blau (RGB) zwei weitere Signale, nämlich die Farbdifferenzsignale R-Y und B-Y. Sie werden gebildet aus dem Helligkeitssignal
der jeweiligen Farbe minus dem ohnehin schon vorhandenen Signal der
schwarzweißen Helligkeit. Aus Y, R-Y und B-Y lassen sich im Monitor
dann die Signale für die drei Grundfarben R, G und B erzeugen.
Thomas Sandmann: Die Musikvideo-Produktion im zeitlichen Wandel
Produktion
Um das farbige Videosignal nun über
eine einzige Leitung zu übertragen
und gleichzeitig für einen Schwarzweiß-Empfänger zu verstecken, wird
der Farbanteil mit einer hohen Frequenz moduliert. Als Resultat ergibt
sich eine hochfrequente Schwingung
um den jeweiligen Helligkeitspegel.
Eine Schaltung, die derart hohe Frequenzen nicht verarbeiten kann, erkennt dabei den Mittelwert, der dem
ursprünglichen Grauwert unverändert
entspricht. Eine solche Schaltung ist
beispielsweise der SchwarzweißFernseher, der damit kompatibel zum
Farbvideo bleibt: Er stellt die Farben
dann als Graustufen dar.
Die typischen Betacam-Cassetten, auf denen neben der Luminanz
zwei Farbdifferenzsignale aufgezeichnet wurden.
Weiß und Schwarz beinhalten keine Farbe und haben daher auch kein
Modulationssignal. Aufgrund der Spannungswerte ihrer SchwarzweißHelligkeit kann das Farbsignal bei gelber und blauer Farbe nicht so hoch
ausgesteuert werden wie bei allen anderen Farben. Dadurch ergeben sich
Einschränkungen im darstellbaren Farbraum. Außerdem ist die Bandbreite
des Farbsignals durch die Modulation auf 1,3 MHz begrenzt. Um sicherzugehen, dass die Farben nicht verfälscht werden, dürfen Videoproduktionen
nur mit maximal 75 Prozent Pegel im Chrominanz-Signal aufgenommen
werden.
Raucht Ihnen der Kopf? Das sind nur einige wenige der absoluten Grundlagen, die jeder Videoproduzent kennt, bei jeder einzelnen Ausspielung beachten und mit Messtechnik überprüfen musste. Klar, dass ein ausschließlich kreativer Ansatz ohne Beachtung der Technik zum Scheitern verurteilt
sein musste, denn ein nicht normgerecht angeliefertes Band wurde unbeachtet seines Inhalts von der Fernsehanstalt einfach abgelehnt.
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Eine Zeile eines FBAS-Signals mit acht Farbbalken. Das Bild beginnt mit einem weißen Balken, darauf folgend Balken
mit abnehmender Helligkeit. Die zusätzlich übertragene Farbinformation befindet sich in den grauen Bereichen, die
eine hochfrequente Schwingung darstellen sollen. Ihre Höhe gibt die Intensität an, die hier nicht dargestellte Phasenlage den Farbton.
44
Thomas Sandmann: Die Musikvideo-Produktion im zeitlichen Wandel
Produktion
Digitales Video
Beim digitalen Video besteht jedes Einzelbild aus Pixeln. Während die
vertikale Auflösung mit 576 Pixeln selbstverständlich den Zeilen des Analogvideos entspricht, ist die horizontale Auflösung wegen des kontinuierlichen Signalverlaufs zunächst nicht definiert. Wählt man naheliegender
Weise quadratische Pixel, ergibt sich die horizontale Auflösung aus dem
Seitenformat des Bildes, bei herkömmlichem 4:3 sind das 768 x 576 Pixel.
Niedriger aufgelöste Digitalformate finden sich beispielsweise mit 480 x
576 Pixeln auf der SVCD (Super Video CD) und 544 x 576 bei DVB (Digital Video Broadcasting), um mit niedrigeren Datenraten auszukommen.
Hier blieb die Anzahl der Zeilen gleich, die Verringerung der horizontalen
Auflösung entspricht einer analogen Übertragung mit geringerer Bandbreite. Diesem Ansatz entwuchs auch das Bildformat 720 x 576 Pixel der
DVD. Bei allen diesen Formaten sind die Pixel nicht quadratisch.
Diese Zusammenhänge muss der Anwender aber bereits nicht mehr wissen,
wenn die Schnittsoftware die Formate richtig bearbeitet. Auch die komplizierte Umwandlung zwischen digitalem Video in das zum Betrachten noch
häufig analoge Format geschieht für den Anwender transparent, das Knowhow steckt inzwischen in der Technik. Digitales Video wird damit zu einer
Folge von Digitalbildern, die einfach am PC bearbeitet werden können.
Und doch sollte es noch lange dauern, bis diese Vision Wirklichkeit werden konnte.
Im Wege stand nämlich die schiere Datenmenge. Analoges Video in herkömmlicher Auflösung und im alten Seitenverhältnis 4:3 benötigte nämlich
schon eine Datenrate von weit über 30 MB pro Sekunde. So etwas konnte
aber mit einem PC nicht bearbeitet werden. Schlimmer noch: Es konnte
nicht einmal wiedergegeben werden, weil es keine einzige Festplatte auf
dem Markt gab, die eine solche Datenrate überhaupt liefern konnte. Eine
sehr starke Datenreduktion war folglich die einzige Möglichkeit, Video
auf einem PC zu bearbeiten, der damit verbundene Qualitätsverlust aber
war für professionellen Einsatz nicht tragbar. Profi-Schnittsysteme arbeiteten mit speziellen DSP-Erweiterungen (DSP: Digitaler Signal-Prozessor)
45
für die Rechenleistung sowie Kombinationen aus mehreren Festplatten für
den Datendurchsatz und waren so teuer, dass an einen Einsatz jenseits der
Profi-Liga weiterhin nicht zu denken war.
Der Durchbruch
Eine miniDV- und eine DVCPro-Cassette
im Vergleich
Eine Art Segen für Amateure und Semi-Profis war die
Einführung des Formats DV (Digital Video). Es wird
immer auf Magnetband aufgezeichnet, im ConsumerBereich auf erstaunlich kleine miniDV-Cassetten, im
semiprofessionellen Bereich auf die doppelt so großen
DV-Cassetten. Ein bis auf kleine Details identisches
Format für den Profi-Bereich hat Sony mit DVCAM
und Panasonic mit DVCPro. Alle diese Formate arbeiten mit einer Datenrate von 25 Mbit/s und werden zusammengefasst auch DV25 genannt.
Die recht erhebliche Datenreduktion um den Faktor 12 ist erstaunlich unauffällig, darf aber keinesfalls mehrfach hintereinander erfolgen, da dann
durch kumulative Fehler Kopierverluste entstehen. Die Schnittstelle IEEE
1394, auch Firewire genannt, verhalf dem Format DV im Consumer-Bereich zum Durchbruch, da hiermit verlustfrei überspielt werden konnte.
46
Inzwischen ist auch MPEG-2-Video sehr verbreitet, das auf Festplatten
oder Speicherkarten aufgezeichnet und ebenso verlustfrei auf Dateiebene
über die USB-Schnittstelle auf den Rechner kopiert werden kann. Im Vergleich zu DV ist es meist noch weiter datenreduziert, was jedoch nicht
zwangsweise eine schlechtere Qualität bedeutet. MPEG-2 nutzt nämlich
zusätzlich die Technik, aufeinander folgende Bilder in Gruppen einzuteilen (Englisch „Group Of Pictures“, abgekürzt „GOP“), die beispielsweise jeweils eine halbe Sekunde lang sind. Nur das erste Bild wird wie beschrieben datenreduziert, es wird I-Frame (intra coded) genannt. Folgende
P-Frames (predictive coded) kommen dann mit deutlich weniger Daten
Thomas Sandmann: Die Musikvideo-Produktion im zeitlichen Wandel
Produktion
aus, denn sie enthalten nur noch die Informationen aus der Differenz zum
vorangegangenen I-Frame oder einem anderen P-Frame. Da beim ungeschnittenen Video aufeinander folgende Bilder stets eine große Ähnlichkeit
aufweisen, kommt das Verfahren hier mit sehr wenigen Daten aus. Aber es
geht noch besser, denn zwischen I- und P-Frames können noch B-Frames
(bidirectionally predictive coded) gesetzt werden, die die Differenzinformationen aus den Bildern davor und danach enthalten können.
Beispiel eines MPEG-2-Signals als Abfolge von GOPs mit I-, P- und B-Frames.
Sowohl bei MPEG-2 als auch bei DV werden die Bilder mit 8 Bit pro Bildpunkt codiert, die Farbe wird aber mit geringerer Auflösung abgetastet.
Die Technik macht sich die Eigenschaft des menschlichen Auges zunutze,
im Farbbereich unempfindlicher zu sein. Sowohl bei MPEG-2 als auch bei
DV entfallen nicht nur die Farbwerte jedes zweiten Pixels pro Zeile, sondern auch die in jeder zweiten Zeile. Um zu einem natürlicher wirkenden
Ergebnis zu gelangen, werden dabei gern die Farbwerte benachbarter Pixel
gemittelt, wofür es verschiedene Varianten gibt. MPEG 2 beispielsweise
mittelt die jeweils relevanten Pixel in vertikaler Richtung, DV dagegen alle
benachbarten vier.
Im Gegensatz zu MPEG gibt es bei DV generell keine GOPs, weshalb
DV25 an jeder Stelle ohne Qualitätsverlust geschnitten werden kann. DV
arbeitet mit einer Bildgröße von 720 x 576, einige Kameras können statt
der Halbbilder auch Vollbilder aufzeichnen (24p oder 25p). DV existiert
auch als Datei, auf dem PC im AVI- und bei Apple im Quicktime-Containerformat.
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Verschiedene Chrominanz-Auflösungen im Vergleich. Die weißen Kreise stehen für die Abtastung der Luminanz, die
schwarzen für die Chrominanz.
Durch die Möglichkeit der verlustfreien Übertragung auf den Computer
über die Firewire-Schnittstelle und die Funktion „Smart Render“ der aktuellen Schnittprogramme, bei der nur bearbeitetes Video neu encodiert
und unbearbeitete Frames 1:1 und damit weiterhin verlustfrei übernommen
werden, erreicht DV25 für ein derart stark datenreduziertes Format eine
erstaunliche Performance.
Zum ersten Mal in der Geschichte des Musikvideos war eine Situation erreicht, in der die benötigte Technik auch für Semiprofis erschwinglich war.
Zwar entwickelt sich die Profi-Technik in gleichem Maße weiter und ist
den Consumer- und Semiprofi-Lösungen noch immer um Längen voraus.
Umgeht man aber die allzu offensichtlichen Schwachpunkte, indem kritische Situationen durch einen geschickt gewählten Inhalt vermieden werden, ist die Herkunft des Videos selbst für manch einen Profi nur schwer
zu erkennen.
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Heute gehört auch die bis vor kurzem zur Betrachtung eines Videos notwendige Umsetzung zurück in die analoge Ebene der Vergangenheit an,
denn digitale Plasma-, LCD- oder LED-Fernseher haben längst Einzug in
die Wohnzimmer gehalten. Mit ihnen verschwinden die letzten Fallstricke,
deren Umgehung viel technisches Know-how erforderte. Um die Einhaltung korrekter Signalpegel und ähnliche, bis vor wenigen Jahren essentielle Aspekte bei der Produktion eines Videos, scheint sich plötzlich niemand
Thomas Sandmann: Die Musikvideo-Produktion im zeitlichen Wandel
Produktion
mehr zu kümmern. Ein Verfall der Video-Moral? Nicht unbedingt, denn
zumindest über die technischen Zusammenhänge wacht fortan die Software, die unter der Haube Prozesse vorhält, um dem User den Rücken
frei zu halten. Der neben dem kreativen Kopf nötige Techniker sitzt damit
heute nur woanders, nämlich in der Entwicklungsabteilung des Schnittsoftware-Herstellers.
Ist das Ziel also erreicht? Sind die Produktionsmittel durch niedrige Preise
vollständig demokratisiert, so dass nur noch die Fähigkeiten der Videoschaffenden und deren Kreativität zählt? Wenn man sich auf etwa zwei
Drittel der heute erreichbaren Bildqualität beschränkt, kann man das so
sehen. Für absolute Spitzenaufnahmen kommt man um teure Kameras mit
teuren Objektiven nicht herum, und die Profi-Technik mit ihren extrem
niedrigen Datenreduktionsraten trägt ihr übriges bei. Aber die teure Technik lässt sich heute durch Kreativität ersetzen: So lassen sich Inhalte finden, für die auch die Consumer-Bildqualität ausreicht.
Die in jüngster Zeit erfolgte Umstellung auf die hochauflösenden Videoformate, deren Aufzeichnung auf Blu-ray Disc und Sendung im HDTV tat
dieser Entwicklung übrigens keinen Abbruch. Es schien zunächst zwar so,
dass die Consumer-Technik mit den rapide gestiegenen Datenraten überfordert sei, aber der technische Fortschritt und der Zuwachs an Rechenleistung verlief so rasant, dass auch diese Formate heute schon gut am
Computer bearbeitet werden können und spätestens mit der übernächsten
Computergeneration ihren Schrecken vollends verloren haben sollten.
Bedeutung für das Video als Kunstform
Von Jahr zu Jahr werden weniger Tonträger verkauft. Die an dieser Stelle
sinkenden Einnahmen haben unmittelbaren Einfluss auf die Budgets der
Musikvideos, deren noch vor wenigen Jahren normale Höhe schon heute alle Einnahmen aus den CDs wieder zunichte machen würde. Folglich
muss immer billiger produziert werden, in naher Zukunft werden die Bud-
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gets nochmals schrumpfen, und für viele Songs wird überhaupt kein Budget mehr zur Verfügung gestellt und deshalb von der Plattenfirma auch
keine Produktion beauftragt.
Die schwindenden Inhalte könnten die Musiksender unattraktiv werden
lassen, weshalb man um Werbeeinnahmen durch fallenden Wert der Werbeblöcke fürchtet. Folglich gelangen auch andere attraktive Programminhalte mit auf den Sendeplan. Probieren Sie es einmal aus und schalten Sie
zu einem beliebigen Zeitpunkt MTV oder VIVA ein. Früher lief dort fast
immer Musik, heute nicht mehr. Damit sinkt aber auch der Wert als Musikplattform für die Industrie, weshalb noch einmal weniger Videos in Auftrag
gegeben werden.
Gleichzeitig gibt es viele neue Möglichkeiten, ein Video vorzustellen. Allen voran seien Internet-Plattformen wie beispielsweise YouTube genannt.
Diese werden von privaten Nutzern zwar auch für den Upload von kommerziellen Musikvideos benutzt, wodurch fast immer Urheberrechte verletzt werden, aber diese Plattformen sind ernst zu nehmen. Noch unbekannte Bands merken das meist schon bei ihren ersten Auftritten: Irgendwann
kommt sie, die erste Fan-Frage nach Material bei YouTube.
Aber das ist noch nicht alles. Bild und Ton sind heute zusammengewachsen. Veranstaltern gefällt es, die sich bewerbende Band vorher nicht nur
zu hören, sondern auch einmal zu sehen. Eine mitgeschickte DVD ist da
keine schlechte Idee. Und Speicherplatz sowie ein ausreichendes Transfervolumen haben heute auch die meisten Hosting-Angebote bei den InternetProvidern, so dass per Streaming abspielbare Videos keine unüberwindbare Hürde mehr bilden. Und wenn die Band keinen Plattenvertrag hat,
aber trotzdem bei ihren Konzerten in Eigenregie hergestellte CDs verkauft,
möchte sie das Verkaufsprogramm häufig um eine DVD erweitern.
50
Neben allen kühlen, marktstrategischen Überlegungen haben sich Musikvideos längst zur eigenständigen Kunstform entwickelt. Manchmal will
man ein Video einfach haben, auch wenn es bei rationaler Überlegung keinen Sinn macht. Heute ist das jedem möglich: Mit einer Videokamera für
Thomas Sandmann: Die Musikvideo-Produktion im zeitlichen Wandel
Produktion
500 Euro, einem leistungsstarken PC für 900 Euro und einer einfachen
Schnittsoftware für 100 Euro ist man bereits in der Lage, ein erstaunlich
gutes Video zu produzieren und auf eine DVD-R zu brennen, wenn man
weiß, worauf zu achten ist. Die Produktionsmittel sind demokratisiert, und
fehlendes Budget lässt sich durch Kreativität ausgleichen. Der nächste Einsatz ist zum Sehen: Jetzt kommt es nur noch auf die persönlichen Fähigkeiten an.
51
A
Daniel Klug / Klaus Neumann-Braun
ll
eyes on... music?
Musik und Audiovision im Wandel
„Das Musikfernsehen ist tot, es lebe das Web-Musikfernsehen!“ (Patalong
2007) titelte Spiegel Online bereits im November 2007 und auch Experten
der Zeitung Die Welt meinen: „Das MTV-Zeitalter ist zu Ende – und der
Tod des Musikfernsehens steht bevor“ (Osterloh/Ronzheimer 2008). Trotz
teilweiser Richtigkeit dieser Aussagen besteht jedoch zunächst kein Grund,
kulturpessimistisch den Verfall des Musikfernsehens auszurufen, denn die
Musik bleibt den ZuschauerInnen ebenso erhalten wie auch die dazugehörigen Musikclips. Die Veränderungen betreffen in erster Linie die mediale
Verbreitung, d.h. die Musikclips wandern aus dem Musikfernsehen ins Internet ab, besser gesagt: in spezifische(re) populärkulturelle Kontexte, in
denen Musik und Musikclip wieder verstärkt in den Vordergrund rücken.
Die Rezeption von Musikclips war bis vor einigen Jahren traditionell an
das Medium Fernsehen und – in Deutschland – an die spezifischen Spartensender MTV und VIVA gebunden. Technische und marktpolitische Entwicklungen haben in jüngster Zeit jedoch sowohl die Programmlandschaft
der großen Musikfernsehsender als auch die Verbreitungsmöglichkeiten
von Musikclips in wechselseitiger Abhängigkeit voneinander verändert:
Die Verbreitung und die Rezeption von Musikclips findet immer stärker
cross-kulturell und cross-medial statt.
52
Daniel Klug / Klaus Neumann-Braun: „All eyes on... music?“
Distribution
Kickstart: Die Geschichte von MTV bis heute
Am 1. August 1981 startete MTV in den USA sein Programm mit dem Musikclip zu dem vielsagenden Song
„Video Killed The Radio Star“ der Band The Buggles. Musikfernsehen als Vollprogramm wurde aber erst
durch einige historische, musiktechnologische und
popkulturelle Entwicklungen ermöglicht. Zum Start
von MTV war die Pop- und Rockmusik gerade mal 30
Jahre jung und das Potential ihrer Visualisierung noch
lange nicht ausgereizt und die entstehende globale
bzw. lokale Verbreitung des Fernsehens via Kabel und Der Start von MTV
Satellit bot neue, ungeahnte Möglichkeiten. Bereits in
den 1970ern wurde Populäre Musik in TV-Shows (z.B. „Shinding“, „Hullaballoo“ oder „In Concert“), Filmen und Werbespots verwendet und präsentiert. Pop- und Musikkultur vermischten sich zusehends mit Werbung.
Dies ebnete schließlich den Weg für das Musikvideo als Basis-Element des
zukünftigen Erfolgs von MTV (vgl. Schmidt 1999, S.94f). Die anfängliche
Einzigartigkeit innerhalb der popkulturellen Landschaft machte MTV von
Beginn an zu einer strategischen Speerspitze im internationalen Konkurrenzkampf großer Medienkonzerne. Entstehungs- und Wandlungsprozesse
von MTV müssen daher immer auch hinsichtlich ökonomischer, institutioneller und soziokultureller Faktoren betrachtet werden (vgl. Schmidt/
Neumann-Braun/Autenrieth 2009b, S.212f). Die Entwicklung von MTV
lässt sich in die drei historischen Phasen der Etablierung (1981-83), der
Konsolidierung (1983-1985) und der Expansion (1986-1996) untergliedern. Die erste Phase war entscheidend davon gekennzeichnet, MTV als
eigenständigen Sender zu etablieren, der mehr als nur ein zusätzlicher
Spartenkanal mit Fokus auf das Format Musikclip sein sollte. Grundlegend hierfür war die Verbindung von Rock- und Popmusik als existierendem Jugend-Entertainment und der innovativen Form des Musikvideos als
neuentstandenem Kurzformat zu einer programmfüllenden Medienform
(„Programm-Flow“). Zielgruppe von MTV waren die „Young Urban White
Males“, die sowohl das Interesse an dem präsentierten „Album Oriented
Rock“ mitbrachten, als auch die entsprechenden finanziellen und techni-
53
54
schen Mittel, um MTV empfangen zu können. Jedoch musste auch MTV
zu Beginn Abstriche machen, denn es konnte hauptsächlich nur auf Videos
britischer „New Pop“-KünstlerInnen zurückgegriffen werden, da diese das
neue Genre Musikclip als einzige intensiv nutzten. Doch genau dies wurde
MTV zum Vorteil und führte zu dem erfolgreichen Anfangsimage, mit dem
MTV auch heute noch verbunden wird (vgl. Schmidt/ Neumann-Braun/Autenrieth 2009b, S.216f). Die zweite Phase war davon gekennzeichnet, die
Marktposition von MTV zu stärken und Konkurrenten auszuschalten. Ab
1984 wurden erstmals schwarze Zahlen geschrieben, die Senderreichweite
nahm stark zu und der Siegeszug des Musikvideos startete. Die Plattenfirmen erkannten, dass MTV im Popmusikgeschäft eine ernsthafte Alternative zur klassischen Radiopräsenz darstellte, die unbekannten Bands schnell
zum Durchbruch verhelfen konnte (vgl. Schmidt 1999, S.104ff). Das Musikvideo wurde in der Folge zu einem wirksamen Werbemedium und MTV
zu dessen Plattform. Dies zeigte sich auch in harten Zahlen: 1981 besaßen
gerade mal 23% aller Top 100-Songs einen begleitenden Videoclip, 1983
waren es bereits 59% und 1984 gar 76%. Das Musikvideo wurde zu einem
Standardelement der Popmusikbranche, im Durchschnitt stiegen die Produktionskosten zwischen 1982 und 1984 von 15.000 auf 50.000 US-Dollar
und erreichten in Einzelfällen Rekordhöhen von über 100.000 US-Dollar.
MTV richtete sich werbeökonomischer aus, die Programmstruktur wurde
von dem Flow-Prinzip zu Gunsten erster eigener Sendungen wie z.B. „The
Basement Tapes“ oder „MTV Countdown“ verändert (vgl. Schmidt/Neumann-Braun/Autenrieth 2009b, S.217f). Nachdem sich MTV als Marke
und als populärkulturelles und ästhetisches Konzept etabliert hatte, folgten
in der dritten Phase von 1986 bis 1996 nach und nach Veränderungen der
präsentierten Medieninhalte, des Selbstbildes von MTV und der ökonomischen Ausrichtungen sowie der Firmenorganisation des Senders. So wurden weitere Trends geschaffen, die MTV bis heute nachhaltig prägen. Im
Bereich von Musikstilen, Musikclipästhetik und damit verbundener Programmgestaltung setzte MTV nun zunehmend auf eine Ausweitung seines
Angebots. Besonders sogenannte Special-Interest-Formate sollten junge
ZuschauerInnen verschiedener (jugend-)kultureller Herkunft anlocken
und das Werbepotential von MTV vergrößern. Hierzu wurden zum einen
Clips der Genres Rap und Cross-Over gesendet, zum anderen zu festen
Daniel Klug / Klaus Neumann-Braun: „All eyes on... music?“
Distribution
Sendezeiten Musiksendungen in Orientierung an spezifischen Musikstilen
gezeigt (z.B. „YO! MTV Raps“ (Rap), „Headbangers’ Ball“ (Heavy Metal) oder „120 Minutes‘ (Alternative Rock)). Zu dem wurden klassische
Fernsehformate wie z.B. Cartoons, Nachrichtensendungen, Gameshows
und Film-/Kulturmagazine in das Programm aufgenommen. Durch dokumentarische Formate zu aktuellen Ereignissen der Popwelt sicherte sich
MTV den Anspruch, der Sender einer internationalen Jugendkultur zu sein.
VJs wie z.B. Ray Cokes und selbstproduzierte Sendungen der frühen 90er
Jahre wie die Reihe „MTV-Unplugged“ oder die Comic-Serie „Beavis and
Butt-Head“ erlangten Kultstatus. Außerdem bereitete MTV als Konzern
seine Expansion durch kontinentale und nationale Ableger der US-Version
und durch globale Werbefeldzüge im Verbund mit der Platten- und Konsumgüterindustrie vor. So startete am 1. August 1987 mit MTV Europe die
Eroberung des europäischen Marktes, die sich 1997 mit MTV Central als
deutschsprachiger Variante für Deutschland, Österreich und die Schweiz
fortsetzte (vgl. Schmidt/Neumann-Braun/Autenrieth 2009b, S.218ff).
Most Wanted: MT–V–iacom
Trotz anfänglichem Erfolg wurde MTV Networks 1986 für insgesamt 780
Mio. US-Dollar an den Konzern Viacom Inc. (www.viacom.com) verkauft,
der MTV in einen Jugendsender für konzerneigene Produkte verwandeln
konnte. MTV profitierte jedoch von diesem weiteren „Neubeginn“: Es
wurden Exklusivverträge mit nahezu allen großen Plattenfirmen geschlossen, die Einnahmen stiegen im Jahr 1991 auf 44.7 Mio. US-Dollar und
MTV erreichte 1996 jeden vierten Haushalt der Welt. 1993 startete der
deutschsprachige Konkurrenz-Sender VIVA, der bereits nach zwei Jahren finanziellen Erfolg feiern konnte und MTV in Deutschland schnell
auf Platz zwei verwies (Marktanteile bei den 10- bis 18-Jährigen 1996:
VIVA: 31,2%, MTV: 22,3%). Dies lag besonders am regionalen und bodenständigen Auftreten von VIVA und der Präsentation deutschsprachiger
InterpretInnen (vgl. Schmidt/Neumann-Braun/Autenrieth 2009a, S.32f).
Die frühen 2000er Jahre brachten jedoch den wirtschaftlichen Einbruch
55
der VIVA Medien AG und im Jahr 2004 schließlich die Übernahme von
75,83% durch Viacom. Dies bedeutete für Viacom zwar die Entledigung
eines Konkurrenten, eine Strategie für die mittlerweile vier deutschen Musiksender MTV, MTV2Pop, VIVA und VIVA Plus lag jedoch nicht vor. Als
Folge dessen wurde das eingesessene VIVA-Konzept aus Musikclips und
alternativen Shows für ein älteres Publikum zu Gunsten eingedeutschter
Formate des Viacom-US-Archivs aufgegeben. Was mit Dating-Shows und
„Big-Brother“-Wiederholungen begann, gipfelte schließlich in Dauerwerbung für Klingeltöne und Handy-Spiele (vgl. Neumann-Braun/Schmidt
2009, S.173f). Ab 2005 erfolgte eine Umstrukturierung der Senderpalette:
Der Kinderkanal NICK ersetzte den Musiksender MTV2, VIVA zeigte nun
verstärkt deutsche, chartorientierte Musik, MTV orientierte sich eher am
internationalen Musikmarkt und sollte insgesamt progressiver erscheinen.
Als bisher letzter Schritt wurde VIVA Plus durch den Comedy Kanal Comedy Central abgelöst (vgl. Neumann-Braun/Mikos 2006, S.115ff).
Neben der Sendergruppe MTV Networks gehören z.B. in den USA noch
weitere musikzentrierte Spartensender wie VH1, Famous Music oder CMT
(Country-Musik-Sender) zum Viacom-Konzern (vgl. MTV Networks,
2010). Zudem bietet Viacom auch in Deutschland weitere kostenpflichtige Musikspartensender an, diese sind: MTV Entertainment, MTV Dance;
MTV Hits, MTV Music, MTV Rocks und MTVNHD, sowie VH1 und
VH1 Classic (vgl. Viacom Brand Solutions, 2010d).
MTV World Stage: Z.B. Deutschland, Österreich und
Schweiz
56
Nach anfänglichen Auseinandersetzungen mit Medienanstalten und Kabelnetzbetreibern kam 1987 MTV Europe in englischer Sprache nach
Deutschland. Es entstanden jedoch erst ab 2004 nationale Ableger von
MTV, die auch eigenständige Programme zeigten. Zunächst beschränkte
man sich in Österreich und der Schweiz auf die länderspezifische Anpassung der Werbeblöcke und des Videotexts, dann entstanden in Österreich
Daniel Klug / Klaus Neumann-Braun: „All eyes on... music?“
Distribution
die 15-minütige Show „MTV Austria Sixpack“ (ca. 14tägig: Themen aus
Musik, Events, Lifestyle, Film und Sport) und von 2006-2007 das Chartmagazin „music’n’more“ (im Wechsel mit RTL2 und VIVA Austria). Erst
seit 2006 existieren die völlig eigenständigen Ableger MTV Austria und
VIVA Austria (vgl. Schmidt/Neumann-Braun/Autenrieth 2009a, S.74ff).
In der Schweiz war die Entwicklung ähnlich, auch hier startete MTV zunächst Werbefenster und Videotext mit Schweizbezug, bevor erst 2007 das
10-minütige Veranstaltungsmagazin „Tilllate-Nightlife-TV“ (jeden Samstagabend, Berichte zu Partys, Konzerten, Interviews mit DJs etc.) geschaltet wurde (vgl. Schmidt/Neumann-Braun/Autenrieth 2009a, S.82ff). Beim
Einstieg in die Musik-TV-Landschaft der kleineren Länder Österreich und
Schweiz traf der Viacom-Konzern auf die bereits bestehenden, national erfolgreichen Musiksender SWIZZ (Schweiz) und goTV (erst nur Wien, später gesamt Österreich). Während in der Schweiz durch Aufkauf der neue
Sender VIVA Swizz entstand, kann sich goTV (www.gotv.at) in Österreich
bis heute mit einem reinen Musikclip-Programm gegen das große MTV
behaupten.
Taking the (digital) stage: MTV mobil und MTV online
Die technischen Strukturen des Fernseh- und des Tonträgermarktes haben
sich durch die Digitalisierung in den letzten Jahren entscheidend verändert.
Dies betrifft sowohl die Produktion als auch die Distribution von Musikclips
und bedingt, dass sich der Wirkungshorizont von MTV (und VIVA) auf die
teils interaktiven Bereiche digitales TV, Internet und Mobilfunk ausgeweitet hat. Die Hauptprogramme von MTV sind analog via Satellit und Kabel
zu empfangen, digitale Zusatzangebote können kostenpflichtig erworben
werden und bieten z.B. Musik(-clip)sendungen im klassischen Stil. Das
Angebot umfasst in Deutschland derzeit: MTV2 (unkonventionellere Musik und Shows, Hintergrundberichte etc.), MTV Hits (Mainstream-Musik,
Szene-News, Modetrends, Gossip etc.), MTV Base (HipHop, R&B, Soul),
VH1 Classic (Klassiker, Oldies, Evergreens), VH1 Europe (Chart-Musik
der letzten Jahre), MTV Dance (europäische Club-Music) und MTV Music
57
(aktuelle Hits der European Top 40). Zudem betreibt MTV zahlreiche Angebote im Bereich des interaktiven Fernsehens (vgl. Schmidt/NeumannBraun/Autenrieth 2009a, S. 47ff). Als innovativer Vorreiter zeigt sich MTV
auch im Sektor des mobilen Fernsehens („Handy-TV“) und der Video-onDemand-Branche. Seit Sommer 2006 sind so in Kooperation mit T-Mobile, O2 und Vodafone die Sender MTV Music (Musikclips rund um die Uhr)
und – je nach Anbieter – MTV Shorts, MTV Snax bzw. MTV mobile (je
täglich aktualisiertes 60-minütiges Best-of-Programm in Endlosschleife)
zu empfangen. In Deutschland sind MTV und VIVA zudem über IP TV
(Internet Protocol Television) zu empfangen und bereits 2006 startete die
deutsche Version des Video-on-Demand-Onlinedienstes MTV Overdrive,
mit dem die Zuschauer
ihr eigenes Programm
zusammenstellen können
(vgl. Schmidt/NeumannBraun 2010).
MTV verfügt seit 1995
über eine eigenständige
Homepage (www.mtv.
com) – mit jeweils länderspezifischen Versionen –,
die neben Rubriken wie
TV, Stars, Charts, Events,
Style, Win und Handy
auch erweiterte InformaDie Startseite von mtv.de im Mai 2010
tionen zu Shows, Künstlern, Kinofilmen und
Tourdaten bietet. Im Juli 2009 erreichte MTV mit seiner deutschen Internetdomain (www.mtv.de) 21,1 Millionen Page Impressions bzw. 640.000
„unique users“ und 3,1 Millionen Besuche (vgl. Viacom Brand Solutions,
2010b).
58
Daniel Klug / Klaus Neumann-Braun: „All eyes on... music?“
Distribution
Im Download-Sektor ist MTV in den USA in Kooperation mit Microsoft
über die Plattform Urge – trotz exklusiver Angebote wie z.B. Konzertausschnitte aus der Reihe „MTV Unplugged“ – bisher eher wenig erfolgreich.
Auch in den Bereich senderexterner Streaming-Angebote von Musikclips versucht MTV durch Zusammenarbeit mit dem Internet-TV-Service
„Joost“ einzusteigen. Ab 2005 erweiterte Viacom das Online-Angebot um
MTV: Zuerst stieß das Online-Video-Netzwerk iFilm zu der MTV Networks-Familie, 2006 wurden das Video- und Entertainmentportal Atom
Entertainment Inc. und die Firma Xfire (spezialisiert auf Foren für Onlinespiele) erworben. Ziel ist es, einerseits den Anschluss zu Marktführern wie
YouTube zu halten, andererseits aber auch kostengünstige Werbeplattformen im neuen Internet-Markt zu etablieren. Zusätzlich bietet MTV über
seine Homepage in Deutschland vier verschiedene Radiosender im kostenfreien Audiostreaming an, mit der Social-Network-Seite MTV Flux wird
aktuell in Großbritannien versucht, in den Markt des Web 2.0 einzusteigen
(vgl. Schmidt/Neumann-Braun 2010).
Im Mobilfunkbereich kooperierte MTV mit dem Klingeltonanbieter Jamba!: Zum einen schaltete dieser massiv Werbeblöcke bei MTV, was dem
Sender ernorme Werbeeinnahmen, aber auch starke Kritik einbrachte; zum
anderen ist Jamba! im deutschsprachigen Raum exklusiver Vertreiber aller
mobilen Inhalte von MTV; zusätzliche Produkte wie Klingeltöne, Wallpapers und Handygames zu MTV-Serien sollen gemeinsam entwickelt
und vermarktet werden. Im mobilen Entertainmentsektor bietet MTV über
das Portal MTV Wap weitere kostenpflichtige Unterhaltungsangebote wie
Klingeltöne, Games usw. für das Handy an, außerdem finden sich hier ein
Chat-Bereich und Infos rund um das MTV-Programm sowie die aktuellen
Charts. Über die MTV-Homepage können SMS gesendet werden, für die
jugendliche Zielgruppe bietet das MTV-Portal FunkySexyCool eine Social
Community, die die Möglichkeiten des Mobilfunks integriert (Jugendliche
können sich gegenseitig via SMS bewerten, Sieger erhalten Preise) (vgl.
Schmidt/Neumann-Braun/Autenrieth 2009a, S.55ff).
59
MTV (Self-)Made: MTV Eigenpromotion
Die Abteilung Viacom Brand Solutions des MTV-Mutterkonzerns Viacom
ist für die Suche nach Werbepartnerschaften, deren Verwaltung und die
Vermarktung der diversen TV-Sender des Unternehmens zuständig. Zudem
vermarktet sich der Sender MTV effektiv durch eigene Werbekampagnen,
um so bei seinen Zielgruppen weiterhin die Position als deren Sprachrohr
zu sichern (vgl. Schmidt/Neumann-Braun/Autenrieth 2009b, S.224). Marketingengagements, die über Musikclips und Werbespots hinausgehen,
sind zumeist längerfristigere Kooperationsverträge mit Unternehmen, die
sich werbestrategisch innerhalb des Sektors der MTV-Zielgruppe lifestyleorientierter Jugendlicher und junger Erwachsener befinden. Typisch
hierfür sind z.B. sogenannte „on air“-Kooperationen, bei denen die Marke oder das Produkt direkt im Programmumfeld von MTV platziert wird,
etwa wenn ein Sponsor eine bestimmte Sendung präsentiert. Zusätzlich
werden konkrete Marketing-Aktionen wie z.B. Gewinnspiele in das MTVProgramm eingebaut und cross-mediale Werbung in anderen Fernsehformaten, Zeitungen und Zeitschriften geschaltet. In so genannten Promostorys bietet MTV den Werbekunden ca. 90 Sekunden lange Clips an, ebenso
werden exklusive Erstausstrahlungen spezieller Werbespots gezeigt. Auch
bei sendereigenen Events wie den MTV Video Music Awards oder dem
VIVA Comet werden Marketingstrategien durch Sponsoring, Präsenzen
vor Ort und/oder online usw. verwirklicht (vgl. Schmidt/Neumann-Braun/
Autenrieth 2009b, S.224).
All eyes on…: Das MTV Design
60
Die Art der Programmgestaltung – das was heute unter „MTV-Style“ verstanden wird – war von Anfang das Element, mit dem sich MTV auch
ästhetisch von traditionellen TV-Sendern abgrenzte. Charakteristisch für
die Frühphase ist z.B. das grell-bunte gesprayte Programmlogo, der berühmte „moonman“, die bewusst schlampige Innenausstattung der Studios,
aber auch Sprache und Kleidung der VJs. Dieses jugendkulturelle Image
Daniel Klug / Klaus Neumann-Braun: „All eyes on... music?“
Distribution
von MTV wurde sowohl „on air“ (d.h. durch das
Aussehen des MTV-typischen TV-Fensters) wie
auch „off air“ (d.h. z.B. durch Anzeigen, Logos
etc. in Zeitungen, mit Plakaten usw.) verbreitet.
Im Laufe der Zeit hat MTV seinen jeweiligen
Sendungen entsprechend der dort präsentierten
Musik eigene Designs verpasst, die das Musikspektrum des Senders auch optisch darstellen
sollten. Das Grund-Design blieb konstant, wurde
jedoch auch im Laufe der Zeit und entsprechend
aktueller musikalischer und visuell-kultureller Das MTV-Design ‚All eyes on...‘ (hier mit der deutTrends verändert. Seit Oktober 2008 lautet das schen Band Mia)
globale „on air“-Design für MTV „All Eyes
on…“: In kurzen, zwischengeschalteten Werbefilmen werden unterschiedliche KünstlerInnen/
Bands unter dem genannten Motto präsentiert.
Zudem wurde das globale MTV-Design „on
air“ vereinheitlicht: So gibt es nun eine InfoLeiste, die anzeigt, welche Sendung aktuell läuft
und welche als nächste folgt; für die Anzeige
der Cliptitel und anderer Elemente wurde die
Schrift „Heinz“ im Stile eines Etikettierbands
entwickelt; schließlich werden für die Sendein- MTV ‚on air‘-Design mit „wishful object“ und Bild
der US-Sängerin Avril Lavigne
formationen symbolische Objekte (so genannte
„wishful objects“) verschiedener Jugendkulturen (z.B. Kopfhörer, Spraydosen, Basecaps, Gitarren) mit „Layovers“ der MTV-Shows kombiniert.
MTV will damit eine klare Farben- und Formensprache bieten, die sich auf
das Wesentliche und auf Funktionalität konzentriert (vgl. Goldbach Media,
2008).
Das neue MTV-Design wird auch für den Internetauftritt, für Werbeanzeigen in Printmedien und auch darüber hinaus verwendet. War es bereits
früher so, dass MTV exklusiv in den Filialen der Modekette H&M zu
sehen (und hören) war, so wird die Verbindung zur Modewelt nun sogar
durch eine offizielle MTV-Kollektion hergestellt. Seit Dezember 2009 ver-
61
treibt der Textilkonzern Zara in 69 Ländern Herren-T-Shirts mit dem neuen
MTV-Design. Dieses ist gleichzeitig auf allen 66 internationalen MTVKanälen zu sehen. Die vier Design-Varianten tragen die Namen „Mister
Furry“, „Mad Drummer“, „Chocolate Gold“ und „Windkiss“ (vgl. MTV
Presse Service, 2009).
Zudem bietet MTV Marketing-Kooperationen nach den Vorstellungen interessierter Unternehmen an, so dass wechselseitig voneinander profitiert werden kann. MTV-Eigenkonzepte wie „MTV Rookie“ (Bandwettbewerb)
oder „MTV Web Shows“ (online Versionen
bekannter MTV-Musikshows) stellen für
andere Marken eine Plattform für Sponsoring dar und etablieren sich zugleich als
Marke einer Jugendkultur (vgl. Viacom Brand
Solutions, 2010e). Neben Sponsoring und Marketing-Kooperationen versucht der Viacom-Konzern außerdem, durch soziales Engagement beim
jugendlichen Zielpublikum zu punkten. Hierzu
werden im Namen von MTV z.B. Kampagnen
wie „MTV Switch“ (Kampagne zum bewussten
Stromsparen) oder „MTV Exit“ (Kampagne zur
Bekämpfung von Menschenhandel und sexuellem
Missbrauch) gestartet (vgl. Viacom 2010). Zudem
T-Shirt im MTV-Design, ‚Mister Furry‘ von Zara
schließt MTV Networks gemeinnützige Kooperationen ab, z.B. 2010 mit dem Projekt „Hope for Haiti“ (Hilfsprojekt für die
Erdbebenopfer in Haiti) (vgl. MTV Presse Service 2010).
M is (still) for Music: Der Musikclip
62
Musikclips (bzw. gleichbedeutend: Musikvideos) sind essenzieller und
ureigener Bestandteil des Musikfernsehens. Sie sind eine Kunstgattung,
die von Beginn an eine eigene „Clipästhetik“ konstruierte, durch welche
Daniel Klug / Klaus Neumann-Braun: „All eyes on... music?“
Distribution
die ZuschauerInnen in spezifischer Weise werbewirksam, unterhaltend
und auch künstlerisch angesprochen werden sollen: Videoclips sind in der
Regel drei- bis fünfminütige Videofilme, in denen ein Musikstück (Popund Rockmusik in allen Spielarten) von einem Solointerpreten oder einer
Gruppe in Verbindung mit unterschiedlichen visuellen Elementen präsentiert wird (Neumann-Braun/Schmidt 1999, S.10). Zu dem zeichnen sich
Musikvideos durch Reproduzierbarkeit und technische Manipulierbarkeit
aus: Sie müssen als Produkt unabhängig von einer Aufführung (wie etwa
Oper oder Konzert) verfügbar sein und außerdem eine Bearbeitung des
Gezeigten aufweisen (z.B. technische Eingriffe wie Zeitlupe oder die Montage anderweitigen Materials) (vgl. Keazor/Wübbena 20072, S.55f).
Bereits in den Anfangszeiten von MTV entstanden Musikvideos wie „Take
On Me“ (A-ha, 1985), „Sledgehammer“ (Peter Gabriel, 1986) oder der
13-minütige Horror-Clip zu „Thriller“ (Michael Jackson, 1984), die bis
heute als Klassiker gelten. Jedoch sind solche kunstvoll gestalteten Musikclips eher die Ausnahme, der Großteil der Clips basiert auf wiederkehrenden Mustern einer positiven, die ZuschauerInnen ansprechenden Präsentation der Star-Person (bspw. zeigen die meisten Rap/HipHop-Clips
männliche Künstler als reiche, von leicht bekleideten Frauen umworbene
„coole“ Stars). Musikclips waren von Beginn an populärkulturelle Massenprodukte für die Konsumgesellschaft, ihren kommerziellen Höhepunkt
erreichte die Musikclip-Branche Mitte der 1990er Jahre.
Opulente Musikclips internationaler Superstars sprengten finanzielle wie
auch technische Rekorde: Z.B. kostete der Clip zu „Scream“ (Michael
Jackson & Janet Jackson, 1995) 7 Mio. US-Dollar oder der zu „What’s
It Gonna Be?!“ (Busta Rhymes feat. Janet Jackson, 1999) über 2 Mio.
US -Dollar. Die Hardrock-Band Guns N’Roses ließ für ihre drei epischen
Songs „Don’t Cry“ (4:45 Min., 1991), „November Rain“ (8:57 Min., 1992)
und „Estranged“ (9:23 Min., 1993) Musikclips im Stile zusammengehöriger Mini-Filme produzieren. Michael Jackson ging in seinen Clips noch
einen Schritt weiter, in seinen überlangen Musikclips spielten sogar andere Weltstars mit: Kinderstar Macaulay Culkin („Kevin allein zuhaus“)
in „Black or White“ (1991), Komiker Eddie Murphy in „Remember the
63
Time“ (1992) oder Basketball-Star Michael Jordan (Chicago Bulls) in
„Jam“ (1992).
Spätestens mit dem Internet als wachsender Konkurrenz für die Musikbranche sanken die Budgets für Musikclips jedoch schlagartig, so dass der
Pop-Musikclip zu Beginn der 2000er Jahre eher zu einer künstlerisch unbedeutenden Massenware verkam. Einige Clip-Regisseure stechen jedoch
bis heute aus der Menge hervor: der Brite Chris Cunningham schuf düsterverstörende, apokalyptische Clips wie „Come To Daddy“ (für Aphex Twin,
1997) oder „Sheena Is A Parasite“ (für The Horrors, 2006); der Franzose
Michel Gondry experimentiert in seinen Clips zu „Around The World“ (für
Daft Punk, 1997) oder „Star Guitar“ (für The Chemical Brothers, 2001)
mit Bildtechniken der modernen Videokunst; Romain Gavras, ebenfalls
Franzose, schockiert derzeit mit ungeschönten Darstellungen sozialer Gewalt und Missstände in seinen Clips zu „Stress“ (für Justice, 2008) oder zu
„Born Free“ (für M.I.A., 2010).
Eine weitere aktuelle Entwicklung sind Musikclips, die ausschließlich
durch ihren Bezug zum Medium Internet bekannt geworden sind. So treten
z.B. im Musikclip zu „Pork and Beans“ (2008) der US-Rockband Weezer
verschiedene Internet-Stars in Aktionen auf, die sie berühmt gemacht haben. Dieser Clip feierte seine Premiere passender Weise exklusiv auf der
Videoplattform YouTube. Dies galt ebenso für den Clip zu
„Here It Goes Again“ (2006) der US-Band OK Go, in welchem die Band eine Choreografie auf mehreren, nebeneinander stehenden Laufbändern zeigt. Der Clip wurde von der
Band selbst und ohne Zustimmung der Plattenfirma gedreht
und ins Internet gestellt. „Here It Goes Again“ entwickelte
sich zu einem der meist angeklickten Videos auf YouTube,
verhalf der Band zu neuem Ruhm und gewann 2007 einen
Still aus ‚Here it goes again‘ (OK Go) Grammy. In dieser und anderer Weise nutzen Pop-MusikerInnen der Stunde den Musikclip wieder verstärkt für
ihre eigenen künstlerischen Vorstellungen – die unzähligen popkulturellen
Internet-Foren, -Blogs und -Magazine machen es möglich.
64
Daniel Klug / Klaus Neumann-Braun: „All eyes on... music?“
Distribution
Still aus ‚Telephone‘ (Lady Gaga)
Allen voran die US-Amerikanerin Lady Gaga weiß sich durch Musikclips
skandalös in Szene zu setzen. In ihren Musikclips zu „Pokerface“ (2008),
„LoveGame“ (2009) oder „Bad Romance“ (2009) kopiert sie nicht nur das
Aussehen weiblicher Superstars wie Madonna oder Christina Aguilera,
sie präsentiert sich selbst in verschiedenen extremen Stilen als lebendiges
Pop-Gesamtkunstwerk – und das bisher mit Erfolg in der Musik- als auch
in der Mode-Branche. Ihr neuester Clip zu „Telephone“ (2010, zusammen
mit Beyoncé) unter der Regie von Jonas Åkerlund ist ein 9:32 Minuten
dauernder Musik-Kurzfilm, der Szenen aus bekannten Filmen wie „Thelma & Louise“, „Pulp Fiction“ oder „Kill Bill“ mit dem „unbedingten Willen zur Opulenz“ nachspielt und so ironisch-provokativ ein „top-aktuelles
Sampling- und Hommage-Kunstwerk“ kreiert (Borcholte 2010).
Der Musikclip ist zwar zunehmend aus dem Musikfernsehen verschwunden, er ist deswegen aber noch lange nicht ausgestorben, sondern bleibt
weiterhin das wichtigste Instrument zur massenmedialen Bewerbung ei-
65
nes Pop-Stars und seiner Songs. Unabhängig und selbstproduzierte Clips
scheinen diesem Medium ebenso einen zweiten Frühling bescheren zu
können wie auch filmähnliche und künstlerisch anspruchsvolle(re) Werke.
Auf Dauer kann diese Tendenz den Musikclip wieder verstärkt ins Fernsehen zurückbringen: zum einen durch Ähnlichkeiten zwischen kurzen,
Soap-ähnlichen MTV-Formaten und neuen Clip-Geschichten, zum anderen durch MTV-Shows, die populäre Internet-Clips präsentieren (z.B.
„MTV Charts: Most Clicked on mtv.de“).
From music to motocross: Die aktuellen MTV-Shows
Nachdem MTV als reiner Musikvideosender gestartet war, wurde das
Programm im Laufe der Zeit schrittweise durch informative Magazine zu
bestimmten Musikstilen (z.B. „MTV Rockzone“,
„MTV Urban“, „Yo! MTV Raps“), Live-KonzertFormate (z.B. „MTV Unplugged“, „MTV Rock
am Ring“, „MTV World Stage“) und Berichte von
Musik- und Lifestyle-Events (z.B. „MTV Designerama“) erweitert. Zusätzlich etablierte MTV ab
1984 die jährlich stattfindenden MTV Video Music
Awards, denen im Zuge der Expansion kontinentale
und regionale Ableger folgten (z.B. ab 1994: MTV
Europe Music Awards, ab 2002: MTV Asia Awards).
Die Preiskategorien orientieren sich an Musikstilen
(z.B. „Best Pop“, „Best Rock“, „Best HipHop“) und
küren zu dem das „Video of the Year“. Des Weiteren rief MTV 1992 die ebenfalls jährlich vergebenen
MTV Movie Awards (nur in den USA) ins Leben,
die sich, ebenso wie die Music Awards, in der Branche zu anerkannten Alternativen entwickelten – auch
weil sie Preise in ungewöhnlicheren Kategorien wie
Print-Werbung für die MTV-Cartoons
z.B. „Best Kiss“ oder „Best Fight“ vergeben.
66
Daniel Klug / Klaus Neumann-Braun: „All eyes on... music?“
Distribution
So wurde MTV nach und nach zu „More Than Videos“. Ab Anfang der
1990er Jahre wurden verstärkt Sendungen gezeigt, die sich im Umkreis
von Musikszenen und Jugendkulturen ansiedelten. Shows wie das Heavy-Metal-Comic-Duo „Beavis and Butt-Head“ oder die Skate-Stuntshow
„Jackass“ genießen bis heute Kultcharakter und gelten als Vorreiter späterer subkultureller Lifestyle-Shows. Auch im Bereich des Reality-TV leistete MTV Pionierarbeit. 1992 läuft erstmals die Show „The Real World“, die
bis heute fester Bestandteil des Programms ist (aktuell startet im Juni 2010
die 24ste Staffel „The Real World: Back to New Orleans“).
Ein grundlegendes Konzept dieser und anderer MTV-Sendungen wie
„Viva la Bam“ (2003-2005), „Wildboyz“ (2003-2006) oder „Mein neuer Freund“ (2005) und von Animationssendungen wie „Drawn Together“
(2004-2007) oder „Celebrity Deathmatch“ (1998-2007) ist die Auslotung
der Geschmacksgrenzen und das Testen der Tabus der Fernsehgesellschaft der 2000er Jahre (vgl. Neumann-Braun/Schmidt 2009, S.168ff).
Krönender Höhepunkt schien bisher der pubertäre Papst-Satire-Cartoon
„Popetown“ (2005) zu sein, der einen eher „stark vereinfachten Sinn für
Humor“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung 2006) aufwies. Mit Cartoons/
Animés und Reality-Formaten entwickelte sich MTV zu einem jugendkulturellen Lifestyle-Sender, der die Musik in Clipform nach und nach aus
seinem Programm verbannte. Stattdessen wurden in Eigenproduktion weitere Shows rund um alltägliche Themenspektren wie Dating (z.B. „Next“,
„Dismissed“, „Date My Mom“), Auto und Wohnen (z.B. „Pimp My Ride“,
„Room Raiders“, „Cribs“) oder Hilfestellungen/Verwirklichungen im Alltag (z.B. „MTV Made“, „Bully Beatdown“) entwickelt.
Diesem Trend folgen aktuell weitere Show-Formate, die sich zwischen Reality-TV, Soap Opera und Celebrity/Prominenz bewegen. So begleitet „My
Supersweet Sixteen“ reiche Mädchen bei den Vorbereitungen zur Feier ihres 16ten Geburtstags, in „Paris Hilton’s My New BFF“ sucht die gleichnamige Hotel-Erbin ihre/n neue/n beste/n Freund/in, und die Reality-Soaps
„Laguna Beach“, „The Hills“ oder „The City“ zeigen das glamouröse Leben aufstrebender amerikanischer Jugendlicher. MTV thematisiert somit
jugendrelevante Themen wie Sexualität, Paarbeziehungen, Identitäts- bzw.
67
Statusrepräsentationen in Peer-Groups sowie Karrieren im Medienbereich,
Celebrities, Mode, Styling und Freizeitgestaltung (vgl. Schmidt/NeumannBraun/Autenrieth 2009b, S. 226ff).
In den aktuellen MTV-Shows lassen
sich jedoch zwei Trends erkennen,
die beide eine Verknüpfung von
Alltäglichkeit und Lebensbewältigung und von Außergewöhnlichkeit
jugendlicher Normalität verfolgen.
Zum einen fokussieren die RealitySoaps teilweise extreme(re) soziale
Themen (so ließen sich z.B. in „I
want a famous face“ (2004-2005)
Jugendliche ihr Aussehen durch
Schönheitschirurgie an das von
Stars anpassen), zum anderen werDie Stars der MTV-Show ‚Nitro Circus‘
den in den Sendungen neue (MTV-)
Stars gemacht und alte reaktiviert. Im deutschsprachigen Raum zeigte
MTV z.B. die Reality-Shows „Hogan Knows Best“ und „Brooke Knows
Best“ (in den USA liefen beide Sendungen auf VH1), die das Leben des
Alt-Wrestlers Hulk Hogan – bzw. im Spin-Off das seiner Tochter Brooke
– zeigen. Beide Personen erlangten durch diese Sendung weltweit alten
bzw. neuen Ruhm. Andere Pop-Musikstars wie die Schwestern Jessica und
Ashlee Simpson oder auch Rockstars und ihre Familien wie die von Blink
182-Schlagzeuger Travis Barker („Meet The Barkers“) oder die des RockGitarristen David Navarro („Carmen and Dave: An MTV Love Story“)
bekamen eigene Reality-Shows auf MTV. Wieder andere Formate konzentrieren sich auf subkulturelle Themen und besetzen Stars der Szene(n) als
Moderatoren oder Hauptpersonen (z.B. die Motorrad-Stunt-Show „Nitro
Circus“ mit dem US-Motocross Champion Travis Pastrana oder die voyeuristische Comedy-Show „Pranked“, in der Mitglieder der bekannten Internetshow „The CollegeHumor Show“ Homevideos von Streichen unter
Freunden präsentieren).
68
Daniel Klug / Klaus Neumann-Braun: „All eyes on... music?“
Distribution
In Umkehrung dazu werden in den Geschichten der MTV-Shows auch „Alltags-Stars“ gemacht. So dokumentiert
MTV in der Sendung „16 and pregnant“
seit 2009 schwangere Teenager und die
Veränderungen ihres jugendlichen Lebens in den USA. Daran anknüpfend
entstand die Fortsetzung „Teen Mom“
(ebenfalls seit 2009), die das Leben als
junge Mutter mit Baby zeigt. Die Grundaussage dieser Sendungen ist zwar po- Szene aus ‚Teen Mom‘ mit der 18-jährigen Farrah und Ihrer
sitiv und auf das erfolgreiche Meistern Tochter Sophia
des Alltags fokussiert, es schwingt aber
auch ein mahnender Unterton mit. In einer abschließenden Episode diskutieren die jungen Mütter ihre Erfahrungen mit dem bekannten US-Mediziner Dr. Drew Pinsky, der bereits mit der Sendung „Celebrity Rehab with
Dr. Drew“ (2008-2010, in D, A, CH auf MTV, in den USA auf VH1) für
Aufmerksamkeit sorgte. Hier wurden (ehemalige) Stars des Showbusiness
bei ihrem Drogenentzug gezeigt, was einigen, wie z.B. der Schauspielerin
Brigitte Nielsen, zurück ins Rampenlicht verhalf.
Aber auch die Dating-Formate auf MTV nehmen extremere Formen an
und auch hier sind die angesprochenen Tendenzen zu erkennen. Die Formate „A Shot at Love with Tila Tequila“ (2007, Staffel 2: 2008) und „A
Double Shot at Love“ (2008-2009) reizen nicht nur sexuelle, sondern auch
emotionale Grenzen neu aus. So ist Tila Tequila, Star der gleichnamigen
Sendung, bekennend bisexuell und suchte in den beiden Staffeln ihre/n
neue/n Lebenspartner/in aus jeweils 16 heterosexuellen Männern und 16
homosexuellen Frauen aus, die in unterschiedlichsten Spielen mit- und gegeneinander um die Liebe von Tila buhlten. „A Double Shot at Love“ verfolgte dasselbe Prinzip, nur dass es sich bei den Protagonistinnen diesmal
um bisexuelle Zwillinge handelte. Als Kombination aus (Alt-)Star- und
Casting-/Dating-Show sind zwei weitere Sendungen konzipiert, die im
deutschsprachigen Raum von MTV gezeigt wurden (in den USA wiederum
von VH1). In „Flavor of Love“ suchte der Rapper Flavor Flav (Band: Pu-
69
blic Enemy) in drei Staffeln (2006-2008) seine große Liebe, gleiches galt
für den Alt-Hardrocker Bret Michaels (Band: Poison), der bezeichnenderweise in der Sendung „Rock of Love“ (2007-2009) Hauptfigur desselben
Konzepts war. Diese Sendungen waren ein derartiger Erfolg, dass z.B. die
„Flavor of Love“-Kandidatin Tiffany Pollard (Pseudonym: New York) ihre
eigene Version der Show unter dem Namen „I Love New York“ (20072008) bekam.
Andere Ex-TeilnehmerInnen diverser MTV-Casting-/Dating
Shows traten in von MTV Germany ausgestrahlten (in den
USA auf VH1) Nachfolgesendungen wie „Charm School“
(2007-2009, „Party-Girls“ erlernen unter Anleitung gutes Benehmen, am Ende gewinnt eine einen Geldpreis) oder „I Love
Money“ (2008-2009, TeilnehmerInnen kämpfen alleine oder
in Teams in unterschiedlichsten Aufgaben um einen finalen
Geldpreis) auf. Zudem zeigt MTV in Deutschland, Österreich,
Schweiz unter anderem teils fiktive Soaps wie „Blue Mountain
Logo der Dating-Show ‚A Shot at State“ oder „Jersey Shore“, amerikanische Cartoons und AniLove with Tila Tequila‘
mationen wie „Family Guy“ oder „South Park“, musik- und
tanzbezogene Shows wie „Taking the Stage“ oder „America’s Best Dance
Crew“ und zu dem Sendungen wie „Bully Beatdown“ (jugendliche Tyrannen müssen als Vergeltung für ihre Taten gegen Martial-Arts-Kämpfer
antreten) oder „Scarred“ (Skater erzählen begleitet von Originalaufnahmen
von ihren schwersten Verletzungen) (vgl. MTV Showdescriptions, 2010).
70
Der zunehmende Wegfall von Musikclips und die Konzentration auf genannte Show-Formate haben im deutschsprachigen Raum zu einem Wandel im MTV-Programm geführt. So behandelten z.B. von insgesamt 41
MTV-Sendungen, die zur Jahresmitte 2009 ausgestrahlt wurden, nur 12
auch Musikthemen, eine Vielzahl der gezeigten, musikfremden Shows waren zudem Wiederholungen (vgl. Kleiner/Jacke 2009, S.150ff). Dazu passt,
dass im März und April 2010 die Cartoons/Animations „South Park“, „Family Guy“ und „Drawn Together“ jeweils die ersten drei Plätze der Top
5 der meistgesehenen Sendungen auf MTV belegten (vgl. Viacom Brand
Solutions, 2010b).
Daniel Klug / Klaus Neumann-Braun: „All eyes on... music?“
Distribution
MTV Next: Ausblick
Wie zu bemerken ist, hat sich das Musikfernsehen im neuen Jahrtausend
immer mehr von der Popmusik als seinem ursprünglichen Hauptelement
entfernt. Besonders in Deutschland führte der Zusammenschluss der Sender MTV und VIVA zu einem drastischen Rückgang musikzentrierter Formate und von Musikclips im Allgemeinen. MTV wurde wirtschaftlicher,
es erfolgte eine verstärkte Ausrichtung an Quoten und der Zielgruppe der
14-29-Jährigen, was sich in einer Mischung des Programms aus Mainstream und Provokation zeigt. Der Erfolg gibt dem Eigentümer-Konzern
Viacom jedoch recht: Sowohl mit den importierten Cartoons und DatingShows, als auch mit themenspezifischen Musikshows konnte MTV Profit
einfahren (vgl. Schmidt/Neumann-Braun/Autenrieth 2009b, S. 228). Der
Konzern Viacom informiert mit seinem online-Newsletter „node“ zudem
über neue Trends im Feld von Musik, Fernsehen und Internet und gibt
sich dadurch zugleich als informiert und zukunftsorientiert aus (vgl. Viacom Brand Solutions, 2010c). Die Chancen für ein Revival des Musikclips scheinen jedoch durchaus zu steigen. Die Abwanderung der Popmusik aus dem Musikfernsehen (wo sie momentan eher als Begleitung des
Programmflusses dient) ins Internet bedeutet für Clip-KünstlerInnen und
MusikerInnen gleichermaßen eine kreative und teilweise auch finanzielle
Eigenständigkeit. Beide Aspekte könn(t)en zu einer neuen Ära des Musikclips beitragen, wenn diese jedoch auch nicht opulente Hollywood-Clips
„wie Thriller“ (Michael Jackson, 1984) oder „November Rain“ (Guns
N’Roses, 1992) hervorbringen wird (vgl. Neumann-Braun/Schmidt 2009,
S. 176f).
71
P
Christoph Jacke
ublic
Images Unlimited: Multimediale Gesamt-Texte
Imagekonstruktionen von Popmusik-Stars in Musikclips
und darüber hinaus.
Einleitung
„Public Image!“
“Public image
You got what you wanted
The public image belongs to me
It‘s my entrance
My own creation
My grand finale
My goodbye”
Public Image Limited, Public Image. In: Public Image. First Issue. Virgin 1978
72
John Lydon, ehemals bei den Sex Pistols noch unter dem Namen von
„Johnny Rotten“ singend, fordert im gleichnamigen Song seiner neuen
Band Public Image Limited (P.I.L.) Ende der 1970er Jahre das Recht am
eigenen Bild. Dieser Song war in jeder Hinsicht ein Kommentar zur angeblich von Manager Malcom McLaren durchgeplanten Karriere der Sex
Pistols. Böse augenzwinkernd benannte Lydon sich um, taufte die neue
Band P.I.L. und ließ das Cover von deren erster LP aussehen wie eines der
gängigen britischen Boulevard-Magazine jener Zeit – erste Ausgabe – first
Christoph Jacke: Public Images Unlimited
Public Images
issue. Hier nahm sich also eine ehemalige Punk-Band aus dem Kunsthochschulumfeld der Mittel der Musikindustrie an, um gegen diese zu protestieren. Sicherlich war auch der zunächst den Sex Pistols nicht unähnliche
Sound von P.I.L. und die klagend-leiernde Stimme von John Lydon für
damalige Ohren ungewöhnlich. Doch in erster Linie formierten sich Ironie
und Protest hier über Lyrics und Bilder.
Ob nun vom ehemaligen Manager McLaren gelernt oder
nicht, Lydon und P.I.L. hatten zentrale Mechanismen der
medialen Aufmerksamkeitsökonomien für den Bereich der
Popmusik schon früh begriffen und spielerisch-sarkastisch
offen gelegt.
25 Jahre später verurteilt der französische Werber Frédéric
Beigbeder, der mit seinem 2001 erschienenen Roman
„Neununddreißig Neunzig“ auch über die Werbebranche
hinaus Bekanntheit erlangte, Clips als Prostituierte der Werbung, die ihre Zuschauer systematisch und vorsätzlich zum Quelle: http://www.pilofficial.com/disZwecke des ökonomischen Ertrags belügen. Insbesondere co.html#albums (Stand: 07.07.2010)
im Bereich der Musikclips würde zu kommerziellen Zwecken gnadenlos in Bereichen der Kunst „gehurt“. Diese provokative Schelte veröffentlichte der ehemalige Werber in einem Katalog zur groß angelegten Ausstellung „Video – 25 Jahre Videoästhetik“ des NRW-Forums
Kultur und Wirtschaft im Jahre 2004 (vgl. Beigbeder 2003). Klar wird an
diesen beiden Beispielen, dass die Kritik am Industriellen und Kommerziellen der Popmusik schon immer genauso zur Popmusik gehört hat wie das
Industrielle und Kommerzielle selbst, und dass zwischen diesen extremen
Einstellungen vielfältig experimentiert und ausprobiert wird. Die durchaus
ernsthafte Spielwiese der Popmusik – der Umsatz der phonographischen
Industrie betrug in Deutschland bei allen Rückgängen etwa 2008 immer
noch knapp 1,6 Milliarden Euro und steht damit keinesfalls nur für eine
Nebenbeschäftigungsindustrie (vgl. zu Zahlen und Entwicklungen den
Bericht „Musikindustrie in Zahlen“ des Bundesverbands Musikindustrie
e.V. 2008) – bietet offenbar ideale Möglichkeiten und auch Begrenzungen, um Identitäten und Kompetenzen konzipierend und anwendend zu
73
üben. Popmusik ermöglicht fortlaufend innovative Charaktere und neue
Lebenstechniken, die zeitlich im Voraus sind, wie es der Journalist Ulf Poschardt (2004) formuliert. Umgekehrt lernen Mediengesellschaften immer
versierter an „ihren“ Popkulturen und -musiken etwas über sich selbst, insbesondere, weil dort ein sehr schneller Wandel stattfindet (vgl. Jacke 2006,
2009). Wenn wir also Popmusik zu lesen lernen, dann müssen wir zwangsläufig ihre Texturen und Texte nicht nur kennen, sondern auch analysieren
und in Zusammenhänge stellen können.
Im Folgenden sollen hier deshalb diese einzelnen Texte als Ebenen von
Popmusik kurz skizziert werden, um die Komplexität von Images als
Gesamt-Texte aufzuzeigen sowie den Bereich zu strukturieren (Kapitel
„Bilder – Sounds – Texte – Images“). Anschließend werfen wir genauere
Blicke auf das Feld der Musikclips und fragen anhand von Beispielen, inwiefern diese ebenfalls aus verschiedenen Texten bestehen und zur ImageKonstruktion von Popmusikerinnen und Popmusikern beitragen (Kapitel
„Bewegte Bilder“). Abschließend soll neben einem Fazit auch ein kurzer
Ausblick gegeben werden, der in der Frage der Bebilderung von Popmusik
über die „klassischen“ Musikclips hinaus geht und neue Möglichkeiten der
bildlichen Image-Konstruktion aufzeigt (Kapitel „Fazit: Images als Multimediale Gesamttexte“). Aber kommen wir zunächst auf diese Images im
Pop zurück und schauen wir sie uns in ihrer Struktur und Bedeutung einmal genauer an.
Bilder – Sounds – Texte – Images
Popmusik-Personen zwischen intendierter Produktion und
individueller Reproduktion
„Image is taking over the music, and that’s a sin.”
Miss Kittin 2005, S. 17
74
Die französische DJane, Produzentin und Musikerin Miss Kittin bringt in
ihrer Kritik an der Dominanz der Bilder in der Popmusik auch gleich den
Christoph Jacke: Public Images Unlimited
Public Images
eher marktwirtschaftlich orientierten Begriff des „Images“ mit ins Spiel:
Auch die Images scheinen mittlerweile in der Popmusik beinahe wichtiger
als die Musik selbst. Dabei wirken Miss Kittins Worte zwar nachvollziehbar, wenn man die oben zitierten Worte auf Kittins eigene Performances
bezieht und sie von der Rolle der Diversifizierung im Pop durch ihre eigenen Auftritte, also des Sich-Abhebens, spricht. Für eine wissenschaftliche
Beobachtung der Popmusik sollte allerdings noch einmal genauer hingeschaut werden, welche Bedeutung speziell in Popmusik etwa Performance
– hier im Sinne von Live-Auftritten – und Musik für die öffentlichen Wahrnehmungen haben. Dann wirft Miss Kittins Zitat die Frage nach dem Begriff des Images auf. Meint Kittin generell den Sieg, die Übernahme der
Musik durch die Bilder oder durch die Images? Worin besteht der Unterschied zwischen „Bildern“ und „Images“, wenn es überhaupt einen solchen gibt? Umgangssprachlich bedeuten „image“ und „picture“ zunächst
einmal im Englischen nahezu dasselbe, nämlich eine Abbildung, eine Darstellung. Im Deutschen hingegen scheint „Image“ im Gegensatz zu „Bild“
etwas zu professionellen Zwecken Hergestelltes zu meinen. Beschäftigt
man sich eingehender wissenschaftlich mit diesem Unterschied, so lassen
sich zwischen Medien-, Kultur-, Musik- und Wirtschaftswissenschaft mannigfaltige Definitionen der Begriffe „Image“ und „Bild“ finden. Da es in
diesem Beitrag um die Bedeutung von öffentlich produzierten, distribuierten und ebenso rezipierten und verarbeiteten Bildern von Popmusik-Stars
(mit dem Schwerpunkt auf Musikclips) geht, scheint es angebracht, diese,
im Gegensatz zu privaten Eindrücken und Bildern für den öffentlichen Bereich, zu bestimmen. Und öffentlich bedeutet heute eben medienöffentlich.
Zudem scheinen Images komplexer und intertextueller als Bilder zu sein,
worauf im Weiteren noch genauer eingegangen wird.
Der Medien- und Filmwissenschaftler Stephen Lowry beschäftigt sich seit
Jahren mit Stars in Fernsehen und Film und beschreibt Images als in der
Wahrnehmung aus zahlreichen, einzelnen Merkmalen und Eigenschaften
zusammengefügte Vorstellungsbilder, die ein vereinfachtes und verdichtetes Gesamtbild eines Objektes entstehen lassen, das mit Assoziationen
verbunden wird (vgl. Lowry 2003, S. 259). Hier wird also Image mit Gesamtbild gleich gesetzt, was die komplexere, vielseitigere Bedeutung von
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Image/Gesamtbild gegenüber dem einzelnen Bild verdeutlicht. Demgegenüber benutzt der Soziologe Jean-Claude Kaufmann, der sich mit Identitäts- und Subjektentwicklungen auseinandersetzt, den Begriff des Bildes,
bei ihm oftmals bezogen auf Selbst- und Fremdbild von Individuen, als
eine nicht eindeutig vom Image zu trennende Kategorie, die auf jeden Fall
gesellschaftlich vorgeschlagen und geprägt wird und auf subjektiver und
emotionaler Ebene wirkt (vgl. Kaufmann 2005, S. 72-74). Bringt man beide Vorschläge systematisch zusammen, ergibt sich eine für die Behandlung
von Popmusik-Stars sinnvolle, integrierende Definition. Sie enthält sowohl
subjektive, sozial vorschematisierte Eindrücke, als auch medienindustriell
vorgefertigte Bilder und deren oftmals vermengte Ausprägungen – in den
Worten des bekannten Bildwissenschaftlers W.J.T. Mitchell:
„Das ‚picture’ ist also das ‚image’, wenn es auf einem materiellen Träger oder
einer bestimmten Fläche erscheint. Dazu gehört auch das mentale Bild, das
[…] in einem Körper, im Gedächtnis oder in der Vorstellungskraft auftritt. Das
‚image’ erscheint nie anders, denn in irgendeinem Medium ist aber auch das,
was die Medien transzendiert, was von einem Medium zum anderen übertragen werden kann.“
Mitchell 2009, S. 322
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Diese kunsthistorische, bildwissenschaftliche Erweiterung eines Begriffs
von Bild erscheint erkenntnistheoretisch generell und insbesondere für
den Bereich von Medien- und Popkultur dringend notwendig, um kommunikative Konstruktionsprozesse zwischen Produktion und Rezeption
umfassender zu erläutern. Im Sinne des Medienkultur- und Kommunikationswissenschaftlers Siegfried J. Schmidt (1994, S. 281) erfolgen solche
Modalisierungen von Wirklichkeitserfahrungen zwischen kognitiver Autonomie des Rezipienten und seiner sozialen Orientierung an Medien, Kultur und Gesellschaft, wie Schmidt hier auch im Hinblick auf Musikclips
ausführt. Diese Modalisierungen, Aushandlungen und Angleichungen von
Wirklichkeitserfahrungen erfolgen kommunikativ und anhand von Medienangeboten wie sie z.B. Popmusik-Stars in Clips offerieren. Hierbei unterteilt Schmidt die alltäglichen Konkretisierungen dieser Modalisierungen
in vier Gruppen von Schemata:
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„So lassen sich Wahrnehmungsschemata (z.B. Gesichter, bestimmte Objekte), Erkenntnisschemata (z.B. Begriffe, Theorien), Handlungsschemata
(Einkaufen, Autofahren) und Kommunikationsschemata (z.B. Gattungsoder Diskursschemata) voneinander unterscheiden.“ (Schmidt 2003, S. 4748)
Im Erkenntniszusammenhang fungieren diese Schemata als Instrumente
der Wissenskonstruktion, sind netzwerkartig organisiert und verbinden kognitive, affektive, normative und empraktische, prärationale Aspekte. Diese
Schemata unterscheiden sich laut Schmidt dann von etwa in der Werbung
oder Public Relations nach professionellen Standards erzeugten Images,
die aber prinzipiell eine ganz ähnliche Orientierungsfunktion haben. „Sie
[Images, C.J.] erzeugen Wissen und Meinungen über Objekte außerhalb
der Reichweite persönlicher Erfahrungen, gegen die sie unempfindlich sein
dürfen.“ (Schmidt 2003, S. 55) Wenn diese sich zunehmend in Bezug auf
Meinungsbildung an Medien orientieren oder sogar durch diese erzeugt
werden, verschwimmt der Bereich aus lebensweltlichem Erfahrungswissen und medial vermittelten Meinungen. Wenn dann auch noch, wie im
Falle der Social Communities oder Homepages, dieses individuelle Wissen wiederum nach Kriterien der (Selbst-)Vermarktung angeboten und erneut in den kommunikativen Kreislauf gebracht werden kann, wird klar,
wieso wir derzeit eine „Amateurisierung“ medialer Kommunikation erleben, die mit allen Vorteilen (Demokratisierung, Enthierarchisierung) und
Nachteilen (Unüberprüfbarkeit, Sichtbarkeit) einher geht (vgl. auch Jost/
Neumann-Braun 2010).
Mit den kritischen Worten des Kulturphilosophen und Kunsthistorikers
Gerhard Johann Lischka: „Sind wir uns der Inszenierung des Lebens bewusst, sind wir immer Teil einer Szene, in der wir eine Rolle mit unserem
Körper als Medium mit den Medien spielen, auf irgendeine Weise Images
haben und einen Namen tragen.“ (Lischka 2003, S. 18) Diese Verschiebung etwa der Image-Konstruktionen aus den dafür professionellen Industriebereichen in das Individuelle macht auch die Unterscheidung aus Bild
und Image schwer erkennbar. Kann man diese auf der Produktionsseite
von Bildern und generell Medienangeboten noch ziehen, und das dürfte
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bei genauerer Betrachtung in den meisten Fällen gelingen, bleibt also der
Image-Begriff für den Bereich der Public Relations reserviert. Dieses Berufsfeld konzipiert oder rahmt bekanntlich auch auf den Feldern der Popmusik die öffentlichen Bildangebote der jeweiligen Popmusik-Stars. Man
muss hier ferner differenzieren zwischen dem Image als Begriff und dem
Image als Prozess.
Image als Begriff beschreibt also professionell und beabsichtigt, zumeist
nach industriellen und messbaren Standards erschaffene öffentliche Bilder,
die über massenmediale Angebote in den kommunikativen Prozess eingespeist werden (vgl. auch Schmidt 2003, S. 55-56). Dabei versuchen sowohl
PR- als auch Werbeagenturen (z.B. der großen Tonträgerunternehmen wie
auch im sogenannten Indie-Bereich), wünschenswerte Wirklichkeiten im
Sinne der Kommunikations- und PR-Wissenschaftler Klaus Merten und
Joachim Westerbarkey (1994) zu konstituieren, die Aufmerksamkeit, Interesse, Teilnahme- und Kaufbereitschaft erzielen und auf sozialer, kognitiver
und affektiver Ebene Effekte erzielen. Dadurch beeinflussen sie öffentliche
Meinung mit, die oftmals auch im negativen Sinne zu Stereotypisierungen
führt, also zu eher negativ konnotiert vereinfachenden, an vermeintlich –
weil medientransportiert und oftmals unterstellt – öffentlicher Meinung
orientierten Vorverurteilungen.
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Image als Prozess beschreibt den gesamten Konstruktionsprozess dieser
öffentlichen Bilder, die im Falle von Popmusik natürlich in Agenturen und
Managements, aber auch von Musikerinnen und Musikern selbst entworfen und distribuiert werden. Diese Bilder müssen aber auf Seiten der Medien und vor allem der Rezipienten angenommen und weiter verarbeitet
werden, wenn sie letztlich aufmerksamkeitsökonomisch und kommerziell
erfolgreich sein sollen. Nur so werden Popmusik-Figuren letztlich zu Prominenten und Stars (vgl. dazu Borgstedt 2008, Jacke 2004, 2008 und Keller 2008). Der Literaturwissenschaftler Thomas Hecken (2010) beschreibt
in seinem Beitrag zu Fotografie und Image in der Rockmusik sehr anschaulich, wie sehr wir als Betrachter von diesen Bildern auf Kohärenz achten
und gewissermaßen Zusammenhänge erwarten – nichts erscheint bekanntlich überraschender und unpassender als ein nicht in unsere Vorprägungen
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einzufügendes Bild. Gleichzeitig führt laut Hecken dieses unauflösliche
Zusammenspiel zu einer erstaunlichen „Natürlichkeit“ der passenden Bilder.
Zurück zum eingangs genannten Beispiel von John Lydons Postpunk-Band
P.I.L.: Das Image der Band Public Image Limited wurde Ende der 1970er
Jahre von Band, Agenturen und Plattenfirma konzipiert, über diverse Medienangebote wie z.B. die Songs, das Cover des ersten Albums etc. distribuiert und letztlich in Artikeln und Interviews seitens der (Musik-) Medien
aufgenommen und thematisiert, um dann von Rezipienten und Extrem-Rezipienten, den Fans, wahrgenommen, genutzt und evtl. sogar weiter verarbeitet zu werden. Daraus entstanden auch Formen neuer Medienangebote
wie die Fan-Magazine, die Fanzines, jenseits eines direkten, außermedialen
Kontaktes mit der Band. Wer Lydon als Fan etwa persönlich traf, machte
sich ein Bild, welches er dann mit dem medial kreierten Image abgleichen
konnte. An dieser Stelle beginnt der Kommunikationsprozess von neuem.
Dabei spielen sowohl Bilderkonglomerate wie Cover, Fotos etc. als auch
Bildfolgen, z.B. in Berichten und eben Musikclips, eine große Rolle für
die Zielsetzung eines Images der Band. Erst aus den vielfältigen Angeboten ergibt sich ein möglichst kohärentes Image auf Seiten der Rezipienten,
welches zu der bereits oben in Anlehnung an Hecken (2010) erwähnten
„Natürlichkeit“ und Einpassung führt.
Ein weiteres Beispiel: Lena Meyer-Landrut, die deutsche Gewinnerin des
„Eurovision Song Contest 2010“, wurde als Popmusik-Figur von Stefan
Raab, dem Management und eventuell zu Teilen auch ihr selbst konzipiert,
über mediale Angebote sehr prominent in die Öffentlichkeit getragen und
dort letztlich weitgehend mit dem Image des international orientierten,
unbekümmerten, natürlichen, etwas verrückten Mädchens versehen. Erst
durch die Begeisterung der verschiedenen Publika, deren Wahl Lenas und
den Kauf der Songs wurde die Hannoveraner Abiturientin in kürzester Zeit
zu einem popmusikalischen Star. Der Wirtschafts- und Kommunikationswissenschaftler Dieter Herbst beobachtet für Personen als Images: „Images müssen gezielt und deutlich wahrnehmbar sein sowie ein Bedürfnis des
Verbrauchers einzigartig befriedigen[.]“ (Herbst 2003, S. 71)
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Haben diese Figuren anhand ihrer öffentlichen Bilder und Eindrücke,
also anhand ihrer Images, eine gewisse Aufmerksamkeits- und Kommerzialitätsschwelle überschritten, ob nun durch eingeladene Freunde auf
Internet-Plattformen oder schlicht Auftritte zur Fernseh-Primetime, und
sollen die bekannten Prominenten und beliebten Stars auf einer bestimmten Erfolgsebene bleiben, so lassen sich mit Herbst (2003, S. 76-78) und
dem Forscherteam um den Medienkulturwissenschaftler Werner Faulstich
(Faulstich et al. 1997) folgende Anforderungen an das Image feststellen:
Einzigartigkeit, Kontinuität, Konsistenz, Individualität. Wobei sich Herbst
eher auf Persönlichkeiten generell als Marken bezieht und das Besondere der Popmusik-Stars nicht berücksichtigt und Faulstich et al. Filmstars
analysieren, die ja ein spezielles, ausgebildetes Verhältnis zu ihren Rollen
haben. Dennoch gelten die genannten Kriterien sicherlich auch für große
und langjährige Karrieren von Stars der Popmusik, Herbst spricht hier von
starken Images. Die einzelnen Ebenen der Images, auf die wir gleich zu
sprechen kommen, sollten auf Dauer ein zugleich besonderes und dennoch
im Großen und Ganzen stimmiges Bild abgeben. Sie unterliegen damit im
Übrigen der zentralen produktiven Paradoxie der Werbung: Dasselbe wiedererkennbar und doch immer ein bisschen anders und neu zu erschaffen
und zu beschreiben. Insofern können Popmusik-Stars natürlich mediale, öffentliche Figuren, Persönlichkeiten und Marken sein, für sich selbst – aber
auch, je nach Wunsch und Bedarf der Stars, ihrer Managements, für andere
Produkte. Ebenso kann Erfolg durchaus bis zu einem gewissen Grad mit
herkömmlichen Methoden des Image-Managements konzipiert und überprüft werden: Analyse, Planung, Umsetzung, Kontrolle (vgl. Herbst 2003,
S. 85).
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Im Gegensatz zu den bei Herbst (2003, S.77) widerspruchsfreien Bildern
einer Person leben manche Popmusik-Stars allerdings von Brüchen, Wandel und Verweigerungen. Hier werden Widersprüche oftmals sogar erst
interessant für die Fans, wenn etwa Musiker sich den Vermarktungsmechanismen verweigern und dennoch erfolgreich sind (vgl. Jacke 2004, S.
270-300, Jacke 2008, Jacke 2009, S. 149-191). Und im Unterschied zu
den Filmstars bei Faulstich et al. spielen diese meist medial und öffentlich
mehrere Rollen, Popmusikerinnen und -musiker jedoch meist nur die eine
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ihrer selbst, wenn auch in Phasen und Variationen. Innerhalb dieser können
sie freilich – die berühmten postmodernen Beispiele Madonna und David
Bowie zeigen es, und Lady Gaga könnte deren Erbe antreten – ständig
ausprobieren und variieren, wie es ihnen Pop erlaubt. Kontinuität bezieht
sich hier also sowohl auf die diachrone als auch synchrone Ebene und kann
sehr wohl zumeist mit (gelegentlich auch: homöopathischen) Widersprüchen versehen sein. Offensichtlich lassen sich diese Brüche umso besser
in Vorhandenes integrieren, je gewachsener und verbürgter ein Image erst
ist (vgl. Jacke 2003). Auf der synchronen Ebene gibt es den öffentlichen
Popmusik-Star, also in seinem sichtbaren Handeln als Musiker, den privatöffentlichen in seinem sichtbaren Handeln als Privatmenschen und den
privat-privaten Musiker in seinem nicht sichtbaren Handeln als Privatmenschen und Musiker. Dieser dritte Bereich ist für die Images der Stars
besonders wichtig, wenn auch oftmals sensibel und lästig. Denn – siehe
Michael Jacksons Tod – Vermutungen, Spekulationen, Gerüchte und Verschwörungstheorien sind der geschwätzige Humus für Mythenbildungen.
Für wissenschaftliche Untersuchungen ist daran zunächst eher uninteressant, ob diese stimmen oder nicht, sondern, was sie über die Aussagenden
und die Diskurse um z.B. Michael Jackson aussagen.
Images dienen mit Schmidt und auch Lischka zwar eindeutig der Komplexitätsreduktion: „Images reduzieren Komplexität zu massengängigen
Befehlsformen, die uns als Kurz-Slogans von überall her verfolgen und
die uns rund um die Welt als Globalitäts-Signale zeigen, was wir tun, kaufen und denken sollen.“ (Lischka 2003: 18). Sie erschienen aber gleichermaßen anhand der hiesigen Ausführungen nunmehr äußerst komplex. Die
„SuperSurFaces“ von Lischka (2003), die globalen Gesichter auf medialen Oberflächen, sind offensichtlich nicht nur super-oberflächlich, sondern
auch super-verwobene Super-Texte im Sinne von Gesamt-Texten. Auch
Mitchell spricht von Metabildern, die die Vernetzung von Bildern und
Integration von Bildern in anderen Bildern meinen. Die Medienwissenschaftlerin Ramona Curry, die sich ausgiebig mit dem Phänomen Madonna
auseinandergesetzt hat, spricht hier vom „Gesamtstarbild“ (Curry 1999, S.
181) als komplexem intertextuellem Begriff aller damit zusammenhängenden einzelnen Texte. Auch Bilder und Kontexte sind für Curry in diesem
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Sinn zeichenhafte, also codierte und vom Lesenden zu decodierende Texte
im weitesten Sinn, können aber nicht gleichgesetzt werden mit Schrift. Sie
ergeben gemeinsam den Text einer Musikerin oder eines Musikers. Diesen
müssen wir insbesondere als Kritiker und Wissenschaftler in seiner Vielfalt
lesen und beurteilen lernen (vgl. zu Bildsehkompetenzen Mitchell 2008,
Holert 2000, 2005).
Das Image eines Popmusik-Stars kann in seiner Texthaftigkeit in Anlehnung an Currys Argumentation (vgl. Curry 1999) und in Umformulierung
der Ausführungen des Literaturtheoretikers Gérard Genette (2001) in bestimmte Ebenen eingeteilt werden:
Primäre Texte inklusive der so genannten Paratexte: Sounds, Lyrics (Songtexte), Ringtones, auf Covern, Inner Sleeves, Fotos, Clips, Homepages,
Konzerten etc. Paratexte sind dabei Intros, Credits, Fußnoten zu den primären Texten, bei Genette auf Bücher bezogen etwa Vorworte, Dankesworte, Klappentexte etc. Dabei können bestimmte Äußerungen des Musikers zwischen primären und sekundären Texten changieren, wenn diese
sich etwa in Interviews in Medien artikulieren.
Sekundäre Texte: Professionelle Berichterstattung über die Musiker, also
Interviews, Features, Rezensionen u.a. in Musikzeitschriften, Fernseh-,
Radiosendungen, Feuilletons, Filmen etc.
Tertiäre Texte: Weiterverarbeitungen all dieser primären und sekundären
Texte durch v.a. Fans etwa in Fanzines, Blogs, Foren.
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Die Vernetzung dieser Textebenen und ihrer Einzeltexte ergibt dann das
Gesamtstarbild, den Super- bzw. Gesamt-Text, hier das Image eines Popmusik-Stars und verdeutlicht dessen Umfang und Reichhaltigkeit, bedenkt
man zusätzlich auch noch die gesellschaftlichen und historischen Kontexte,
die Genette (2001, S. 15) ebenfalls zu den Paratexten zählt. Damit haben
wir nun eine Definition von Image, die viele Einzelaspekte integriert und –
je nach Analyse – auch deutlich macht, welche Komponenten außer Acht
gelassen werden (müssen). Wenn diese Texte nun auch noch im wahrsten
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Sinn des Wortes zu laufen lernen, also die Bilder zu „Moving Pictures“
prominent im Bereich der Popmusik zu Clips werden und die einzelnen
Stufen einer Popmusik-Star-Entwicklung in Zusammenhang als Karriere
gebracht werden, wird die Komplexität des Untersuchungsgegenstands
nicht gerade eben geringer.
Bewegte Bilder
Musikclips als Faktor der Imagebildung in Pop
„Elektronische Klangerzeugung ist mit visuellen Medien untrennbar verflochten, ob als Musik zum Film, als Geräuschsynchronisation oder als akustische
Sprache neben der Bildinformation. Bild und Ton sind elektronische Zwillinge.“
Ilschner 2003, S. 19
Der Anglist und Journalist Frank Ilschner beschreibt hier pointiert den Zusammenhang von neuer, elektronischer Tanzmusik und deren Visualisierungen. Ilschners Beobachtung kann so sicherlich aber auch für die gesamte Geschichte des Gegenübers aus Bild und Sound in der Popmusik gelten.
Dennoch scheinen Ilschners Zwillinge nicht ganz ebenbürtig, klingen doch
auch hier Konnotationen wie Musik als Hintergrund, Begleiter, Gehilfe
oder Dienstleister an. Auch die für die Kommerzialisierung und Etablierung von Popmusik in Mediengesellschaften so wichtige Visualisierung im
einstigen Leitmedium Fernsehen durch Musikfernsehen und insbesondere
Musikclips wird oftmals mit dem engen Zusammenhang zwischen Klang
und Bild (und Kontexten) erläutert. Wie der systematische (Pop-)Musikwissenschaftler Helmut Rösing (2003) gezeigt hat, werden dabei immer
wieder die Eigenheiten etwa von Klang und Rhythmus der Musik zu wenig beachtet. So besteht dementsprechend oftmals in den Analysen eine
Asymmetrie zu Gunsten der Bilder und Lyrics. Ferner werden laut Rösing
Konvergenzen und Synchronisationen der Sinnesebenen in Produktion und
Rezeption wie etwa im Fall von synästhetischen Effekten vernachlässigt
und eher additiv und nicht integrativ geforscht. In der Geschichte der Pop-
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musik-Clips, also der Kurzfilme zu einzelnen Songs von Musikerinnen und
Musikern, wurde in der Tat sehr häufig die Bildebene bevorzugt analysiert.
Zwischen visueller Kunst, Musikfilm im Kino, Clips und Visualisierungen im Internet haben sich verschiedene Kategorien von Bebilderungen
für Popmusik-Stars entwickelt, die zur Imagekonstruktion dieser Figuren
beitragen.
Viel wird mittlerweile diskutiert über die nachlassende Tragweite der Clips
und vor allem ihrer eigentlichen Abspielstationen, der Musiksender (vgl.
dazu Kleiner/Jacke 2009). Immer wieder werden die 1980er und 1990er
Jahre als die Jahrzehnte der Clips und Musiksender gefasst (vgl. etwa Diederichsen 1996).
Denken wir an die Images als oben beschriebene Gesamtstarbilder oder
Gesamt-Texte, so sind die Musikclips auch heute noch zweifelsohne ein
wichtiges intertextuelles Medienangebot für die Images von PopmusikStars, in dem nun selbst wiederum diverse Text-Ebenen konglomerieren.
Der Medienkultur- und Journalismuswissenschaftler David Machin versteht die Clips in seiner Einführung in die Popmusik-Analyse als Modulkomplexe: „[…] sound, image and word work together multimodally […]”
(Machin 2010, S. 185). Demnach werden auch für die wissenschaftliche
Analyse von Musikclips entweder multimodale, Fächer übergreifende Verfahren oder klare Problem- und Schwerpunktsetzungen unter Berücksichtigung der vernachlässigten Ebenen notwendig (vgl. Jacke 2009, S. 134-148,
Jacke 2010 und Rösing 2003). Auch der bekannteste deutschsprachige
Poptheoretiker Diedrich Diederichsen kritisiert die weithin in Deutschland
nicht vorhandene, übergreifende, multiperspektivische Pop-Analyse:
„In Deutschland gab es lange keine weitergehende theoretische Beschäftigung
mit dem kulturellen Format der Pop-Musik, sondern nur die beiden klassischen (und reduktionistischen) Varianten, Pop-Musik entweder als Musik des
Protests oder der Subkultur zu adeln oder als Bestandteil der Kulturindustrie
und der Massenkultur zu verdammen.“
Diederichsen 2008, S. 95
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Musikclips sind in Weiterführung von Genettes Konzept primäre Texte der
Popmusiker, die in Kooperation mit Regie, Dramaturgie, Technik, (Post-)
Produktion und Label entworfen werden. In der erwähnten Hochzeit der
Clips, den späten 1980ern und frühen1990ern, hatten sich etwa in Deutschland einige wenige Musiksender und Musiksendungen in den Vollprogrammen der öffentlich-rechtlichen sowie der privaten Fernsehsender etabliert.
Daneben hatten sich in diversen, nicht musiklastigen Formaten wichtige
Sendeplätze für Auftritte von Popmusikern herausgebildet wie etwa in der
großen, bis heute laufenden Samstagabend-Spielshow „Wetten Dass?!“.
Durch die begrenzten Ausstrahlungsmöglichkeiten ergab sich zwar auf der
einen Seite eine ungeheure Konkurrenz für die Bands und ihre Clips. Auf
der anderen Seite war zum Beispiel für den deutschen Fernsehraum klar,
dass man mit derartigen Auftritten oder als ausgestrahlter Clip in der Heavy Rotation der beiden Musiksender MTV und VIVA große Reichweiten
erzielen und somit auf hohe Teilnahme- und Kaufbereitschaft hoffen konnte. Umgekehrt formuliert hat die zunehmende thematische Ausdifferenzierung der Medienlandschaft in Deutschland bis in kleinste Nischen bei
Sendungen und Sendern in TV und Radio, auf dem Zeitschriftenmarkt und
erst Recht im Internet gegen diese Möglichkeit, effektiv sehr große Zielgruppen zu erreichen, gewirkt und gleichzeitig eben thematische Vielfalt
für einen gewissen Moment vereinfacht. Hinter dieser Beobachtung von
sich wandelnden popmusikalischen Repräsentationen in sich wandelnden
Medien lassen sich gleich mehrere Konstanten der Medienentwicklung
(vgl. Schmidt/Zurstiege 2000, S. 206-210) erkennen, die in der Medienund Popmusikgeschichte offenbar immer wieder stattfinden: Neue mediale
Plattformen sorgen zunächst für eine Demokratisierung und Aufweichung
bisheriger Meinungshierarchien, bevor sie medienkonzentriert verteilt,
vernetzt bzw. aufgekauft und kommerzialisiert werden und sich damit keinesfalls komplett verdrängen, sondern in ihren Funktionen verändern. Die
Musiksender von einst sind schon längst nicht mehr als Opinion Leader
der Popmusikindustrien zu bezeichnen, die auch neuen musikalischen und
stilistischen Genres oder Bewegungen ihr Augenmerk schenken, sondern
sind zu mainstreamigen Jugend- und Lifestyle-Vollprogrammen geworden, was man dann, je nach Rezipientensicht, betrauern oder für gut hei-
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ßen kann. Mit dieser Ausdifferenzierung der medialen Foren ging das Ende
des Trends zur Millionen teuren Clip-Produktion im Sinne hollywoodesker Kurzfilme wie etwa bei Madonna oder Michael Jackson einher. Keineswegs aber hat sich die Bedeutung der Clips für die Imagekonstruktion
der Popmusik-Stars gänzlich verändert oder sind die Clips verschwunden
(vgl. zu diesen Entwicklungen Kleiner/Jacke 2009, Neumann-Braun/Mikos 2006, Schmidt/Neumann-Braun/Authenrieth 2009). Sie finden in der
Regel nur nicht mehr so spektakulär und massenwirksam statt.
Längst haben sich die Clips auf Homepages der Bands, als Teaser oder
Snippets in Online-Kaufhäusern, auf DVD-Compilations oder sogar auf
Film-Festivals oder in Museen etabliert. Sie sind – siehe den vorliegenden
Ausstellungskatalog – Bestandteil der popmusikalischen Mediengeschichte bzw. der medialen Popmusikgeschichte geworden, werden zunehmend
analysiert und historisiert, zunächst einerlei, ob Low Budget, eingängiger Mainstream oder verquere Subkultur. Dass auch absolut erfolgreiche, massenkompatible und chartstaugliche Musikerinnen wie Madonna
vor zwanzig oder Kate Bush schon vor über dreißig Jahren in ihren Clips
Grenzüberschreitungen, etwa in Geschlechterfragen, en masse beschritten,
zeigen ausführlich Curry 1999 und Deborah M. Withers 2010, die Kate
Bush sogar neben dem Clip ein „akustisches ‚Cross-Dressing‘“ attestiert
(vgl. Withers 2010: 99).
Zudem sind die Ästhetiken der Clips (Farben, Schnittfolgen, Rhythmen,
Perspektiven, Tempi, Handkameras, Regelverstöße etc.) längst in alle
möglichen anderen medialen Bereiche unserer Gesellschaft diffundiert wie
etwa in Spielfilme, Computer Games, Werbung, Kunst oder Sportberichterstattung, was dann oftmals auch als deren Popularisierung oder Ver-popung bezeichnet wird.
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Widmen wir uns nun noch einigen Beispielen von Musiker-Typen in Clips,
die hier nur exemplarisch illustrierend aufzeigen sollen, aus welcher Perspektive man an welchem Punkt der unübersichtlichen Clip-Welten mit Untersuchungen und Einordnungen beginnen könnte, welche popkulturellen
Geschichten hinter den konkreten Geschichten einzelner Clips zu finden
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sind und wie diese mit den Images der Musikerinnen und Musiker kollaborieren, wenn man einerseits nur genau genug hinschaut und andererseits
sinnvoll kontextualisiert.
Indie-Jungs
Die Goldenen Zitronen, eine 1984 gegründete Punk Rock-Band aus Hamburg, die mittlerweile u.a. bis ins hochkulturelle Theater vorgedrungen sind,
spielen auf all ihren Ebenen stetig mit ihrem Image als intelligente Protestler und thematisieren sich ständig gleich selbst in ihrer Gesellschaftskritik
mit. In dem Clip „Mila“ (2006) sieht man den Sänger Schorsch Kamerun
in Einspielungen in den Hauptplot des Clips während eines Live-Auftritts
auf der Bühne im Kleid, wie er es tatsächlich bei Live-Konzerten trägt und
wie es neben zahlreichen weiteren Kostümen der Musiker zu den Konzerten gehört.
Laut eigener Aussage auf der Homepage der Band (www.die-goldenenzitronen.de) bemühte sich die Band stets um die „denkbar uncoolsten“
Outfits. Das der Band dementsprechend anhaftende und
von ihnen immer wieder mit
entworfene Image beinhaltet als Konstanten also Verweigerung gegenüber der
vermeintlich
zwanghaften
Coolness im Musikbusiness,
ja sogar Verweigerung gegenüber den eigenen Geschichten
bei ständiger Selbstthematisierung, eine für Punk- und
Indie-Kultur nicht untypische
Anti-Attitüde-Attitüde, mit
den an die Bands herangetragenen Erwartungen zu spielen Die Goldenen Zitronen (2006), „Mila”, in: „Die Goldenen Zitronen Material”, Buback 2008.
und auch die eigene Inszenierung zu betonen.
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Aus ähnlichen Umfeldern, allerdings wesentlich unsperriger in Sound, Lyrics und Bild ist die ebenfalls in Hamburg lebende, ursprünglich wie viele
andere deutschsprachige Indie-Künstler (Blumfeld, Bernadette LaHengst,
Bernd Begemann) aus dem ostwestfälischen Bad Salzuflen stammende,
1992 gegründete Band Die Sterne um Sänger Frank Spilker. Die Sterne
haben sich beständig als eine dem tanzbaren Groove verschriebene Band
mit durchaus selbstkritischen persönlichen Lyrics und dem Image der intelligenten, pophistorisch bewanderten Musiker inszeniert, die sehr wohl
bewusst in Musik und auch Bild zitieren und entlehnen (Homepage: www.
diesterne.de). So fühlt man sich bei Spilkers Bühnenauftritt im Clip zu
einem der bis heute bekanntesten Sterne-Songs „Was hat Dich bloß so ruiniert?“ (1996) in Gestik und Mimik an
typische Rockgesten aus Stadionkonzerten erinnert, dargeboten werden sie
aber eben von dem eher introvertiert
und seltsam anti-rock’n’roll-haften
Spilker.
Die Sterne (1996), „Was hat dich bloß so ruiniert”, in: „Die Interessanten. Singles 1992-2004”, L’age D’or 2005.
Beide Bands und ihre Sänger brechen
und zitieren in den Clips gängige Images der Popmusik, spielen mit ihnen
und untermauern damit ihr Image als
(selbst-)kritische, unabhängige „IndieJungs“ auf der Meta-Ebene von Pop.
Gezeichnete Rock-Stars
Keinesfalls ohne Distanz zu sich selbst, ihren Images und ihren eigenen
Karrieren, aber auf ganz andere Arten hingegen präsentieren sich zwei internationale Popmusik-Stars, die auf ihre Weisen sicherlich auch eher aus
verweigernden, innovativen Musikszenen entstammen und Zeit ihres Lebens und bei allen auch kommerziellen Erfolgen für ein gewisses Außenseitertum stehen.
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Johnny Cash, der 2003 verstorbene große alte Mann des Alternative Country (Homepage: www.johnnycash.com), wurde im hohen Alter vom Musikproduzenten Rick Rubin quasi wieder entdeckt. Rubin gelang es, Cashs
Image sowohl in Anbindung (Konstante) als auch in Abgrenzung (Variable) an seine von Erfolgen, aber auch Skandalen jahrzehntelang geprägte
Karriere gewissermaßen inszenatorisch neu zu justieren. Dabei gelang ihm
die perfekte Mischung aus Altem und Neuem. Der Produzent integrierte die Brüche im Image der Country-Legende, flaggte sie sogar als Auszeichnungen aus, wie in dem Clip zu „Hurt“. Zudem überzeugte Rubin den
alternden Sänger, Songs jüngerer
Musiker wie Will Oldham, Depeche Mode oder Nick Cave zu
covern, um Anschluss an popmusikalische Szenen zu erhalten. Im
Clip zur „Hurt“ (2008), einer Coverversion der brachialen Industrial-Band Nine Inch Nails, wird
Cash als überaus vom Leben gezeichnet und in der Ambivalenz
von Glam und Krankheit (über-) Johnny Cash (2003), „Hurt”, in: „25 Jahre Spex. 25 Musikvideo-Klaslebend dargestellt.
siker aus 25 Jahren Spex”, Spex 2005.
Der australische Sänger, Musiker und Autor Nick Cave, der auch von Cash
gecovert wurde und sich selbst durchaus immer wieder auch auf Cash in
dessen Rolle als Vorbild und Außenseiter des vermeintlich konservativen,
spießbürgerlichen Country bezog, zitiert im Clip zu „The Mercy Seat“
(1988) als auf den elektrischen Stuhl wartender Gefängnisinsasse sowohl
Cash als auch Elvis Presley. Cave stellt aber vor allem ebenso einen Außenseiter der Gesellschaft dar und verweist damit auf seine eigene, von
Drogensüchten und Skandalen geprägte Karriere (Homepage: www.nickcaveandthebadseeds.com). Auch Cave gibt sich bereits in diesem frühen
Clip gezeichnet, geläutert und mit dem eigenen Image des Outlaws spielend. Nicht immer scheint klar, ob der Häftling nur irgendein Häftling oder
Nick Cave selbst darstellt. Dieses Spiel mit dem Gezeichnetsein inklusive
ständiger Verweise auf ältere, gebrochene Helden der Popmusikgeschich-
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te ist äußerst typisch für Nick Cave und seine Bands, Chris Bilton spricht hier von einer
„doomed celebrity“ als dunkler, verdammter
Persönlichkeit und „an über-celebrity amalgamation of Elvis and Jesus“ (Bilton 2009, S.
88), Angela Jones (2009) beschreibt Cave und
seine Band Grinderman als selbst-reflexive
Meta-Rockband.
Verweis-Stars auf afroamerikanische Popmusiktradition und sich selbst
Ganz anders gehen hingegen die weiblichen
Nick Cave & The Bad Seeds (1988), „The Mercy Seat”,
Popmusik-Stars Missy Elliott und Madonna
in: “25 Jahre Spex. 25 Musikvideo-Klassiker aus 25
Jahren Spex”, Spex 2005.
mit ihren eigenen und der allgemeinen Popmusikgeschichte um. Hier wird nicht geläutert
oder gereinigt, hier wird bestenfalls zwar auch einmal mit einem Auge
selbstironisch gezwinkert (vgl. Curry 1999). Doch generell steht hier die
bereits als Image installierte Figur im Vordergrund – und wie sie eben in
die Geschichten von Pop und Missy Elliott/Madonna eingewoben ist.
90
Missy Elliott hat sich in ihren Tracks, Clips und ihrem Gesamtstarbild als
Image immer wieder mannigfaltiger Verweise auf die afroamerikanische
Black Music angenommen (Homepage www.missy-elliott.com), so auch
insbesondere im viel beachteten Clip zu „Work It“ von 2002, dem der
Musikpädagoge und Popmusikforscher Michael Rappe (2010) eine ausführliche multiperspektivische Analyse gewidmet hat. Elliott präsentiert in
Gestalt, Mode, Detail, Rap, Lyrics, Sound, Tanz und Bild, wie Rappe akribisch und umfassend belegt, geradezu einen Referenzkern, der zitiert, entlehnt und umformt. Elliott stellt hier Statussymbole wie etwa neue Technologien (Handys) in Frage, in dem sie sie in der für Hip Hop so typischen
ambivalenten Art überhöht und abfeiert. Gleichzeitig verweist sie in Tanz,
Mode und allgemein in ihrem Look hier auf die Kunstform des B-Boyings
und Old School-Figuren (vgl. Rappe 2010, S. 281-328, hier insbesondere
S. 292-295).
Christoph Jacke: Public Images Unlimited
Public Images
Letztlich wird Missy Elliott in jedem Fall als
die auf der Meta-Ebene sämtliche Referenzen kontrollierende und gezielt einsetzende
Musikerin dargestellt, was ihrem (damaligen) Image entspricht.
Selbstkontrolle und Macht sind sicherlich
auch Aspekte, die im Hinblick auf die Kar- Missy Elliott (2002), „Work It”, in: Rappe 2010, Band 2:
riere von Madonna – und hier oftmals mit S. 73.
Betonung des Weiblichen (vgl. Curry 1999,
Schwichtenberg 1992) – immer wieder als Kern ihres Images identifiziert
werden können, und um die dann über Jahrzehnte der modisch-musikalische Wandel als Konstante gelegt wurde (Homepage www.madonna.com).
Dabei gelingt es Madonna und ihren Song- und Clip-Produzenten immer
wieder, sie als Figur gerade eben soviel zu wandeln, dass sie letztlich gleichzeitig nie komplett mit ihrer Vergangenheit bricht, wodurch die für Madonna so typische postmoderne Glaubwürdigkeit entsteht. Dazu gesellen sich
ständige, auch selbstironische (vgl. Curry 1999) Zitate und Verweise, die
als Bezugnahmen auch auf sich selbst zentrales Element von Madonnas
Image und Karriere sind, wie der Kunsthistoriker Matthias Weiß (2007)
anhand von ausgewählten Clips belegen konnte. Schließlich – und hier sei
der Still aus einer Konzert-DVD anstelle eines Bilds aus einem MadonnaClip erlaubt – mündet dieses stetige Miteinander von Übernahme und Manipulation
auch der eigenen Figur (vgl. Weiß 2007) in
der multimedialen Präsentation der Figur
Madonna bei ihren 2007er-Live-Auftritten.
Hier findet Madonna auch beim Live-Konzert auf zahlreichen Bildschirmen spektakulär statt – etwa im abgebildeten Auftakt
„Music Inferno“ (2007) – und lässt die reale
Figur Madonna erst nach einigen Minuten
gewissermaßen als realen Special Effect auf-
Madonna (2007), „Music Inferno“, in: „Madonna. The
Confessions Tour”, Warner Bros. Records Inc. 2007.
91
treten: Die Selbstzitation gipfelt also im allmählichen Verschwinden der
realen Figur, einem Effekt, der auf ganz andere, einmal eher strategische,
einmal eher makabere Weise auch bei Madonnas popmusikalischen Superstar-Weggefährten Prince und Michael Jackson stattfand:
„Wo Madonna zu Beginn ihrer Karriere die subkulturellen Strömungen in ihre
Videos aufnimmt, bezieht sie sich jetzt nur noch auf die Popmusik und -kultur der 1970er Jahre und auf sich selbst und – gemäßigt aber konstant – auf
ihre eigene mediale Verkörperung einer aktiven, selbstbestimmten weiblichen
Erotik.“
Decker 2008, S. 597
Abwesenheit des Stars
Schließlich sollen zwei Beispiele für Clips nicht unerwähnt bleiben, die
kohärent zum Image ihrer Musiker beitragen, in dem sie diese gar nicht
erst zeigen. Hier ist das Verschwinden der Musiker geradezu integraler Bestandteil ihres Images. Da sowohl Sensorama als auch die Chemical Brothers aus elektronischen Musikstilen und -szenen
kommen, die u.a. mit der Entpersonalisierung
von Musik im aufklärerischen Sinn, also der Befreiung von den schweren Zeichen der Stars und
der Wiederbesinnung auf Rhythmus und Sound
arbeiteten (vgl. Diederichsen 2005), erscheinen
diese – im übrigen prämierten – Clips ohne die
Musiker nur logisch. Nicht unerwähnt bleiben
soll, dass es dem gegenüber auch wieder in Clips
zu elektronischer Musik besonders körperbezogene Konzepte (vgl. Karnik 2005) oder entpersonalisierte Clips wie bei George Michael oder
Sensorama (1998), „Star Escalator”, in: „25 Jahre
Spex. 25 Musikvideo-Klassiker aus 25 Jahren Spex”, Daft Punk gibt, die deren Star-Status nur noch
Spex 2005.
bestätigen. Das Frankfurter Elektronik-Duo Sensorama ist sicherlich in Bezug auf seinen Bekanntheitsgrad nicht mit Cash, Cave, Elliott oder Madonna zu vergleichen.
Eher waren Roman Flügel und Jörn Elling Wuttke in kleinen Szenen und
Nischen bekannt (Infos über das Netzmusikportal laut.de: http://www.laut.
92
Christoph Jacke: Public Images Unlimited
Public Images
de/Sensorama). Umso interessanter ist, dass der von Michel Klöfkorn und
Oliver Husain konzeptionierte und bei den Oberhausener Kurzfilm-Tagen
prämierte Clip zu „Star Escalator“ (1998) mit seinem Garagentür-Ballett,
bei dem sich eher minimale Variationen in Bild und Sound harmonisch
aneinander anpassen, auch heute vielen Rezipienten bekannt ist.
Die britischen Chemical Brothers stehen zwar
für elektronische Musik, können aber mit eher
zurückhaltenden Acts in Sound und Bild wie
Sensorama nicht verglichen werden, da Tom
Rowlands und Ed Simons seit ihrer Gründung
unter diesem Namen 1995 für eher protzende,
kraftvolle Big Beats stehen und sich auch in
ihren Live-Auftritten nicht bescheiden (Homepage: www.chemicalbrothers.com). Dennoch
steht der von Michel Gondry produzierte Clip
zu „Star Guitar“ (2002) für eine hoch interessante Synchronisation von Bild, Rhythmus und The Chemical Brothers (2002), „Star Guitar”, in:
Sound, wodurch sich in diesem Clip der be- „The Work of Director Michel Gondry. A Collection
of Music Videos, Short Films, Documentaries and
rühmte Effekt der Tagträumerei beim Zugfah- Stories”, Sleeping Train Productions 2003.
ren, Musikhören und gleichzeitigem Blicken aus
dem Fenster ergibt (vgl. zu diesem Effekt Rösing 2003). Die Figuren der
Chemical Brothers tauchen hier nicht auf, dennoch wird durch einen derart
viel beachteten Clip an ihrem Image als umtriebige, kreative Musiker, DJs,
Produzenten weiter konzeptioniert.
An diesen acht Beispielen lässt sich die Bedeutung der Clips für Popmusiker ganz unterschiedlicher Genres, Szenen und Bekanntheitsgrade ablesen.
Umgekehrt zeigt sich auch, inwiefern Popmusiker mit unterschiedlichen
kreativen und finanziellen Mitteln an ihren eigenen Visualisierungen und
somit auch Images anhand von Clips mitarbeiten oder diese sogar bestimmen. Zudem wird bei der hier vorliegenden Definition von Image für den
Bereich von Popmusik klar, dass Musikerinnen und Musiker kein NichtImage haben können, sondern, selbst bei Abwesenheit, ein öffentlicher
Gesamt-Text sichtbar wird.
93
Fazit
Images als multimediale Gesamt-Texte
Images können also als öffentliche Gesamt-Texte von Popmusik-Stars aufgefasst werden, die als Stellvertreter für nicht direkt erreichbare Medienfiguren fungieren und dabei diachron sowie synchron auf verschiedenen
Ebenen ablaufen und Kontinuitäten aufweisen. Images werden gerade im
Pop durch unterschiedliche Texte im weitesten Sinn – mit Genette als primäre, sekundäre und tertiäre Texte, Paratexte und Kontexte definiert – konstituiert und erst im Vollzug des gesamten Kommunikationsprozesses über
Produktion, Distribution, Rezeption und Weiterverarbeitung konstruiert.
Im Unterschied dazu sind Bilder eher Momentaufnahmen und nicht Komplexe oder Prozesse, können aber im Sinne von Genette und Curry als Texte bzw. Bestandteile von Gesamt-Texten gelesen werden. Für die Analysen
von Clips ist es wichtig, die Fragestellungen und Probleme genau zu formulieren, um dann entweder multimodal und -perspektivisch zu forschen
oder sich der Reduktionen und der mit ihnen verbundenen Vernachlässigungen anderer Ebenen dieser Gesamt-Texte bewusst zu sein. Musikclips
haben die Imagekonstruktionen zahlreicher Musikerinnen und Musiker in
den letzten dreißig Jahren entscheidend mit inszeniert und medial offeriert. Trotz aller Krisen der Medien- und Musikindustrien, trotz aller Ausdifferenzierungen der Medien- und Musiklandschaften sind sie weiterhin
auch in neuen Formen und auf neuen Foren ein wichtiges Element der
Visualisierung von Popmusik – ebenso wie die in der Forschung nahezu
sträflich vernachlässigten Fotografien zu Popmusik übrigens. Im Gegensatz zu letzteren laufen die Bilder der Clips weiter: Sie haben mittlerweile
ein neben den Fotografien und den Musikfilmen ganz eigenes Werbe- und
Kunstmedium der Popmusik definiert und sind nicht umsonst Gegenstand
zahlreicher Forschungsarbeiten, Veröffentlichungen, Tagungen, Ausstellungen, Museen und Festivals.
94
„Dabei zeigen die Erfindungen der Bildtechnologien in ihrer historischen
Entwicklung von Anfang an eine Tendenz hin zur Imitation von mehr als
nur Bewegung, nämlich zur Imitation von Leben. Sie entwickelten sich
Christoph Jacke: Public Images Unlimited
Public Images
von der Simulation von Bewegung (motion picture) zur Simulation von
Belebtheit, zur Interaktion zwischen Bildsystem und Betrachter.“ (Weibel
2006, S. 5)
Bleibt also abzuwarten, inwiefern neben der erleichterten, wenn auch
oftmals qualitativ minderwertigen Zugänglichkeit der Clips auf diversen
Internet-Portalen neueste technologische Entwicklungen den vom Kunsttheoretiker Peter Weibel angesprochenen Wahrnehmungsapparat und somit auch die Rezeption von Popmusik in Bild und Sound weiter verändern
und inter-aktivieren. Die britische Popmusikwissenschaftlerin Holly Tessler etwa spricht in Bezug auf Computer-Games und deren zunehmende
Bedeutung für die Vermarktung und Präsentation von Popmusik vom Spielen im Sinne von Computer-Spielen (‚Daddeln‘) der Popmusik auf neuen
Technologien als neuem MTV:
„[…] music is no longer listened to, or even watched, but instead, played on
mobile phones, on computers and websites, on media players, but especially
on video game consoles as part of an overall gaming experience.“
Tessler 2008, S. 21
Auf Ebene der Imagekonstruktion von Popmusik-Stars werden diese Figuren genauso wenig wie die Clips verschwinden, aber auch hier werden die
Formen der Figuren immer wieder neu geartet, wenn etwa mit den Gorillaz
eine rein virtuelle Band eschaffen und sogar auf Tour geschickt wird bzw.
mit realen Musikern in einer Gesamt-Performance vermengt wird (vgl.
Kelly 2007), oder wenn mit den japanischen Animé-Charakteren Hatsune
Miku und Megurine Luka rein virtuelle, computergenerierte Figuren aus
der Software „Vocaloid“ kommerziellen Erfolg und große Fangruppierungen erreichen (vgl. Tsuji 2010). Alle genannten Beispiele und Entwicklungen und nicht zuletzt auch die Ausstellung, in deren Begleitkatalog der
vorliegende Text erscheint, belegen, dass die Geschichten und Analysen
von Popmusik-Stars und insbesondere den dazugehörigen Clips, die ihre
Images mitbestimmen, gerade erst seit einigen Jahren in eine systematische Archivierung, Aufarbeitung, Analyse und Kritik geraten sind und sich
erst noch formieren und auf neueste Entwicklungen ausrichten müssen.
95
M
Norbert Heitker
usikvideo-Produktion
und Produktionsablauf Farin Urlaub „Sumisu“
2001
Musikvideo-Produktion
Die Produktion eines professionellen Musikvideos unterliegt im allgemeinen zwei vorgegeben Hauptfaktoren: dem Song und leider dem meist recht
begrenzten finanziellen Budget. Weitere Punkte sind die Wünsche und Vorstellungen der auftraggebenden Plattenfirma und natürlich nicht zuletzt die
des Künstlers - wobei es hier nicht selten zu großen Diskrepanzen zwischen
den beiden Beteiligten kommt. Denn ein Musikvideo ist natürlich auch
eine kommerzielle Werbung, die Verkäufe von Platten und Konzerttickets
anregen soll. Deshalb kann ein Musikvideo mitentscheidend für den Erfolg
oder Misserfolg eines Songs sein. Wird ein Videoclip für gut befunden und
erreicht es dadurch eine große Aufmerksamkeit, kann z.B. ein unbeachteter Künstler dadurch plötzlich sehr bekannt werden. Gleichwohl ist ein
brillantes Musikvideo sicherlich noch kein Garant für einen Nummer-EinsHit. Es kann aber Initiator für eine erfolgreiche Karriere sein und einem
etablierten Künstler zu noch mehr “Ruhm“ verhelfen.
Produktionsablauf
96
Zunächst fragt in der Regel die zuständige Plattenfirma via eine auf Musikvideos spezialisierte Filmproduktion Regisseure an, ob Interesse bestünde,
Norbert Heitker: Die Musikvideo-Produktion und Produktionsablauf
Making Of
und gibt die ersten Fakten (das so genannte
“Briefing“) wie den zu bearbeitenden Song
und ein Budget vor. Auch erste Ideen von
den Musikern und die gewünschte Einbindung (Performance / Schauspiel) derselbigen
können angeführt sein. Nach dem Briefing
beginnt die erste Phase der Konzeption. Bei
der Herangehensweise zur Ideenfindung hat
vermutlich jeder Regisseur seine eigene Methode. Eine Arbeitsweise ist es zum Beispiel,
das Lied zunächst einmal auf Dauerschleife
laufen zu lassen, um ein Gefühl für die Musik zu bekommen. Dabei kann es hilfreich
sein, den Song an verschieden Orten (Auto,
Supermarkt, Park etc.) in stark differierender
Lautstärke zu hören. Ebenso kann akribische
Recherche, die größtenteils durch bestimmte Worte oder Textzeilen angeregt wird, zur
Inspiration beitragen. Dienlich sind zudem
vorhandene Moods (Video- und Bildmaterial, welches verschiedene Stimmungen
darstellt), die den Regisseur zu neuen Kreationen anregen. Am Ende dieser Phase hat
man jedoch bestenfalls erst einmal nur eine
ganze Ideensammlung. Im nächsten Schritt
muss geprüft werden, ob diese Ideen Potenzial für das endgültige Konzept besitzen
und ob sie überhaupt produktionstechnisch
realisierbar sind. Deshalb sind besonders in
dieser frühen Phase schon die enge Zusammenarbeit und ein reger Austausch zwischen
Regie und Filmproduktion vonnöten. Denn
letztendlich kümmert sich die Produktion um
das endgültige, zur Verfügung stehende Budget, den möglichen Drehort, um die Termine
97
und die Crew. Dann werden ein Konzept und
eine Kostenvoranschlag erstellt, die am Ende
an Künstler und Produktionsfirma geschickt
werden. Wenn das Konzept des Regisseurs
beiden Parteien gefällt, wird das festgelegte
Budget unterzeichnet.
Pre-Production
98
In der Vorproduktion gibt es viele organisatorische und technisch-kreative Schritte zu
beachten. Die Produktion kümmert sich z.B.
um das Casting von eventuellen Darstellern,
stellt ein Team aus Kameramann, Beleuchter, Art Director, Stylisten und Maskenbildnern zusammen, organisiert Equipment für
Kamera, Licht und Ton und begibt sich nach
dem Briefing durch den Regisseur auf Motivsuche. Die Regie bleibt dabei im ständigen
Kontakt mit dem Produzenten und den leitenden Personen der Abteilungen für Kamera, Art Direction, Styling etc. Der Regisseur
hat nun die Aufgabe, sein Konzept zu konkretisieren und gegebenenfalls Bild für Bild
in Form eines Storyboards zu visualisieren
und zu planen. Zuvor fertigen viele Regisseure, nicht nur für das eigene Verständnis,
eine so genannte Timeline an. Die Timeline
ist eine Aufteilung des Songs in Abschnitte
wie Intro, Strophe, Refrain und Bridge auf
einer Zeitachse. Die Timeline wird dabei zur
Grundlage des Videos, was die Längen und
die Anzahl der möglichen Bilder in bestimm-
Norbert Heitker: Die Musikvideo-Produktion und Produktionsablauf
Making Of
ten Abschnitten des Songs angeht. Mithilfe der Timeline wird nun das eigentliche
Drehbuch für das Musikvideo erstellt. Aus
der Timeline wird eine Timeline–Action.
Hierbei legt man die späteren Aktionen, die
Storyline und die dramaturgische Höhepunkte im Kontext zur Musik fest.
Die Musik bestimmt beim Clip das Bild und
die Geschichte und nicht, wie beim klassischen Film, das Bild und die Geschichte die
Musik. Jedoch gibt es zwei alte Filmweisheiten, die sowohl für Fiction Movies als
auch für Musikvideos gelten:
1. Aus einem schlechten Drehbuch wird
kaum ein guter Film, und umgekehrt kann
aus einem guten Drehbuch nur mit sehr vielen Unpässlichkeiten ein schlechter Film
werden.
2. Es ist möglich, dass ein schlechter Regisseur aus einem exzellenten Drehbuch einen
schlechten Film macht. Aber kein Regisseur, und sei er noch so gut, kann aus einem
schlechten Drehbuch einen guten Film machen.
Deshalb ist das Drehbuch, im Fall des Musikvideos die Timeline-Action, auch in der
Vorproduktion einer der essentiellsten Arbeitsschritte und deren Erstellung ist dementsprechend meistens sehr aufwendig und
zeitintensiv.
99
Es folgt ein Storyboard, welches eine Visualisierung der Timeline-Action bedeutet
und sozusagen die erste bildliche Version des Films darstellt. Es dient nicht nur
dazu, allen anderen Beteiligten das geplante Video leicht verständlich zu machen,
sondern ein präzises Storyboard zeigt und
beschreibt auch schon die Bildkomposition, die Positionen der Darsteller/Objekte,
die Stimmung und teilweise sogar die Objektivwahl der Kamera. Grundsätzlich erleichtert ein genaues Storyboard erheblich
die späteren Dreharbeiten und sorgt dafür,
dass die Geschichte klar erzählt wird und
unnötige zeitraubende Diskussionen am Set
vermieden werden. Es spart Zeit, Geld und
oft auch Nerven.
Alfred Hitchcock war z.B. für seine präzisen Drehvorbereitungen bekannt und setzte schon sehr früh detaillierte Storyboards
ein, um später beim Dreh keine Zeit mit
überflüssigen Einstellungen zu verlieren,
und um später im Film genau den visuellen
und dramaturgischen Effekt zu erreichen,
den er sich zuvor in der Pre-Production in
aller Ruhe überlegt hatte. Früher wurden
Storyboards grundsätzlich immer per Hand
gezeichnet, heutzutage und dank der modernen Computertechnik werden sie oft mit
speziellen 3D-Programmen angefertigt.
100
Am Ende der Pre-Production arbeitet nun
der Regieassistent zusammen mit der Produktion unter Mithilfe aller Vorgaben wie
Norbert Heitker: Die Musikvideo-Produktion und Produktionsablauf
Making Of
Termine, Storyboard etc. einen Drehplan
aus, der dem gesamten Team anzeigt, wann
und wo was gefilmt wird.
Production – Dreharbeiten
Bei den Dreharbeiten findet die Konzeptrealisierung statt, d.h. es wird das umgesetzt,
was die Gestaltungsvorlage, sprich das
Storyboard, vorgibt. Für ein Musikvideo
benötigt das Produktionsteam meist nur
ein bis zwei Drehtage. Grund dafür sind
die Spiellänge des Videoclips und das oftmals zu knappe Budget. Wie oben schon
erwähnt, kann dabei die gute Planung die
Arbeitszeit um etliche Stunden verkürzen.
Gedreht wird entweder “on Location“ (an
Originalschauplätzen) oder in einem Filmstudio. Meist wird der Drehort oft nur einfach das Set genannt, was nicht vielmehr als
das komplett ausgestattete Motiv bedeutet.
Beim Dreh selber herrscht dann eine recht
strenge Hierarchie, die allerdings auch
nötig ist, um für einen reibungslosen und
schnellen Ablauf zu sorgen. Der Kopf des
Ganzen ist unumstritten der Regisseur, wobei dieser natürlich nichts ohne sein Team
ist. Ein guter Regisseur spielt deshalb auch
nicht den König, sondern schafft es, in der
ihm zur Verfügung stehenden Zeit und mit
den vorhandenen Mitteln, zusammen mit
allen Beteiligten, dem Team, das bestmögliche Ergebnis zu erzielen.
101
Außer Betracht lassen darf man allerdings
bei einem Musikvideo nicht, dass es sich um
eine Auftragsarbeit des Regisseurs für die
zahlende Plattenfirma und den meist auch
zahlenden Künstler handelt.
Die Produktionsfirma und der Regisseur
sind letztendlich bezahlte Dienstleister, die
konkret vertraglich gebunden sind. Diskussionen über gedrehte Szenen zwischen Plattenfirma, Musikern, Produktion und Regie
gehören deshalb nicht selten zu einem festen
Bestandteil eines Drehs. Natürlich bestätigen auch hier die Ausnahmen die Regel.
Post-Production
Sind die Dreharbeiten beendet, beginnt
die Bearbeitung des Filmmaterials. Dafür
kommt das gesamte Material, sofern man
auf Film gedreht hat, in die Telecine. Hier
wird nicht nur von dem analogen Film ein
digitales Video angefertigt, sondern ebenso
die finale Farbkorrektur erstellt. Ist dieser
Schritt getan, kommt das Material in den
Schnitt. Zu diesem Zweck wird ein Cutter
engagiert, der gemeinsam mit dem Regisseur zunächst den Rohschnitt (Offline) erarbeitet. Dabei werden die Bilder auf die Musik zugeschnitten. Dieser Prozess nimmt für
solch eine Produktion meistens zwei bis drei
Tage in Anspruch.
102
Norbert Heitker: Die Musikvideo-Produktion und Produktionsablauf
Making Of
Der erste Schnitt wird dann der Plattenfirma und den Künstlern vorgeführt. Wenn
alles vorher anhand der Timeline und dem
Storyboard besprochen wurde, gibt es oft
nur noch wenige Änderungswünsche. Ist
die vorgestellte Schnittversion abgenommen, beginnt die qualitativ hochwertige
Bearbeitung im Online-Schnitt. Hier werden beispielsweise Retuschen vorgenommen, digitale Effekte eingebaut etc. Diese
Phase dauert je nach Aufwand ungefähr ein
bis zwei Tage. In besonderen Fällen kann
sie aber auch mehrere Wochen dauern,
wenn zum Beispiel aufwendige 2D- oder
3D- Animationen realisiert werden sollen.
Das fertige Musikvideo wird dann an die
Plattenfirma übergeben, die wiederum das
zu promotende Video an die jeweiligen TVSender bzw. an die Online-Portale weitergibt.
Produktionsablauf von Farin
Urlaub “Sumisu“
Das Musikvideo “Sumisu“ wurde im
Herbst des Jahres 2001 zum ersten Mal im
Fernsehen ausgestrahlt. Der Song ist die
zweite Single-Auskopplung des ersten Soloalbums “Endlich Urlaub“ von Farin Urlaub (Mitglied der Band „Die Ärzte“). Die
Melodie und der Text erinnern dabei an die
britische Kultband der 80er „The Smiths“,
das Musikvideo an Murnaus großen Vam-
103
pirklassiker “Nosferatu – Eine Symphonie
des Grauens“ aus dem Jahre 1922. Wie das
zusammenpasst, folgt in den nächsten Abschnitten.
Erste Gedanken
104
“Sumisu“ - mit seiner markanten Melodie
und der direkten Erwähnung lenkt der zweieinhalbminütige Song unweigerlich zur
englischen Indie-Rock-Band „The Smiths“.
Der Titel des Liedes ist ebenfalls ein Hinweis auf die Band, da „Sumisu“ übersetzt
aus dem Japanischen “Smith“ bedeutet.
Ich war in den 80er Jahren selber ein großer „The Smiths“ - Fan und kannte daher
die meisten Lieder und ihre schwermütigen
Texte. Zunächst fühlte ich mich ein wenig eingeschränkt, Ideen zu finden, da das
Thema „The Smiths“ übermächtig zu sein
schien. Doch die erste Textzeile ‚Unsere
Tage waren dunkel‘ änderte das Problem.
Nach genaueren Recherchen stieß ich auf
Liedtexte des kontroversen „The Smiths“
–Bandleaders und Songwriter Morrissey:
„Last Night I Dreamt That Somebody Loved Me“, “Death Of A Discodancer“, “Girlfriend In A Coma“, “Panic“, “Asleep“,
“Unloveable” und “The Queen Is Dead”
sind Lieder, die zeigen, dass Morrissey
einen Hang zur dunkeln Seite des Lebens
besaß. Zusammen mit der ersten Liedzeile von “Sumisu“ erweckten die Songtexte
Norbert Heitker: Die Musikvideo-Produktion und Produktionsablauf
Making Of
Assoziationen von Vampiren und Untoten.
Meine fiktive These lautete: Morrissey war/
ist ein Vampir.
Idee
Mit ‚Unsere Tage waren dunkel‘ bietet Farin Urlaubs Liedtext einen guten Anknüpfungspunkt für die weiterführende Vampiridee. Da die Single “Sumisu“ so viele
„The Smiths“ - Hinweise enthält, muss
Farin Urlaub im geplanten Videoclip zum
Vampir verwandelt werden. Doch die Idee
zum Vampirfilm brauchte noch ein großes
Vorbild. Für mich persönlich gab es da nur
einen Wahl: Friedrich Wilhelm Murnaus
Stummfilm “Nosferatu – Eine Symphonie
des Grauens“. Das Ergebnis wäre folglich
ein Musikvideo, angelehnt an den Klassiker Murnaus, im Stil der 20er Jahre – in
schwarz-weißen Bildern, mit handgekurbelte Kamera, mit Lochblenden und Tricks
der damaligen Filmära.
Murnaus „Nosferatu“
“Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“ von Friedrich Wilhelm Murnau ist der
Urvater aller Vampirfilme und somit der
große Klassiker schlechthin. Der noch zur
Stummfilmepoche gehörende Film ist einer der ästhetisch wertvollsten deutschen
105
Horrorfilme. Die markante Titelfigur Graf
Orlok, gespielt von dem Schauspieler Max
Schreck (nomen est omen?), ist ein hagerer,
kahlköpfiger Untoter mit unnatürlich langen
Fingernägeln, den es nach menschlichem
Blut dürstet. Graf Orlok bietet somit schon
rein optisch viele Anknüpfungspunkte für
eine Nachbildung. Unvergessen sind auch
Murnaus malerische Stimmungsbilder und
die charakteristischen Szenen des Films,
wie das groteske Schattenspiel der Hauptfigur oder das schwebende Aufrichten Orloks
aus dessen Sarg.
Konzept
106
Zu Beginn sieht man eine schwarz-weiße,
düstere Landschaft und die Umrisse einer Burg. Aus einem Sarkophag in einem
dunklen Keller erhebt sich Farin Urlaub
als Vampir. Darauf sieht man einen stark
gekrümmten Schatten, der die Treppen hinaufgeht. Die erste Textzeile ‚Unsere Tage
waren dunkel‘ wird als Zwischentitel eingeblendet. Farin U. holt aus einem Schmuckkästchen ein altes Amulett, das ein Foto
seiner Geliebten enthält. Er schwelgt in Erinnerungen und kurbelt ein altes Grammofon an. Auf dem Teller dreht sich die Platte
“The Queen Is Dead“ von The Smiths, passend zum Liedtext ‚…und da hörten wir die
Smiths‘. Es folgt eine Rückblende, die das
Zimmer seiner Liebe zeigt. Die junge Frau
Norbert Heitker: Die Musikvideo-Produktion und Produktionsablauf
Making Of
ist allein und stickt die Worte “Morrissey“
und “San“ (ein japanisches Suffix an Namen, das große Verehrung ausdrückt) in
ihr Sticktuch. Da erscheint Farin Urlaub
im offenen Fenster. Sie fürchtet sich vor
dem Eindringling und weicht zurück auf
ihr Bett. Langsam schleicht er auf sie zu
und am Spiegel vorbei. Sein Spiegelbild
ist nicht zu sehen. Sanft setzt er sich zu ihr
auf das Bett. Ein Schatten seiner langen
Finger wirft sich über sie. Wenn es heißt
‚…nahm ich dich in meine Arme‘ beißt
Farin sie in den Hals und trägt dann die
bewusstlose Frau aus dem Zimmer.
Zurück in der Gruft wird das Bild langsam
farbig und wir befinden uns in der Gegenwart. Farin Urlaub blickt auf ein Sofa, wo
die Frau aus der Rückblende liegt. Sie hört
Musik über Kopfhörer und hat die Augen
geschlossen. Sie schlägt die Augen auf, als
er sich über sie beugt. Sie lächelt. Zu sehen
sind lange scharfe Eckzähne - Abblende.
Erste Reaktion
Persönlich hatte ich bei der Reaktion seitens Farin Urlaub zunächst Bedenken, da
dessen Bandkollege Bela B. (abgeleitet
vom Dracula Darsteller Bela Lugosi) ein
große Vampirfan ist und somit ihm eigentlich die Rolle des “Fürsten der Finsternis“ gebührt. Doch als Farin Urlaub von
107
der Idee hörte, war er sofort begeistert. In
seiner Jugendzeit zierte eine Poster von
Murnaus “Nosferatu“ sein Zimmer, was
erklärt, warum Farin U. unbedingt das
Konzept umsetzen wollte. Und dass Herr
Urlaub auch optisch mit seinen knappen
zwei Meter Körpergröße perfekt für das
Auferstehen von Graf Orlok geeignet war,
zeigte sich spätestens bei der Anprobe des
aufwendig geschneiderten Maßkostüms.
Pre-Production
108
In den Vorbereitungen für den Dreh gab
es zunächst für den zuständigen Kameramann Michael Mieke technische Probleme zu lösen, da eine Kurbelkamera, die
den Effekt der Stummfilm-Ära so gut wie
möglich nachahmen sollte, in keinem angefragten Verleih aufzutreiben war. Das
Phänomen des schwimmenden Bildes in
den Stummfilmen kommt von den ständigen Drehbewegungen an der Kurbel.
Die einzige Möglichkeit war eine 35 mm
Kamera aus den 70er Jahren, die diesen
Effekt noch erzeugen konnte, weil diese
nicht via Federzug, sondern auch per Kurbel angetrieben werden konnte. Üblicherweise wird diese Art von Kamera nur noch
für Car-Crashaufnahmen verwendet. Bei
Testaufnahmen stellte sich heraus, dass die
Filmgeschwindigkeit mit circa 25 Bildern
pro Sekunde nicht so einfach konstant bei
Norbert Heitker: Die Musikvideo-Produktion und Produktionsablauf
Making Of
zu behalten war. Die Lösung war ein Metronom, das dem Kameramann den Takt zum
Kurbeln vorgeben sollte. Um die herrlichen
Kreisblenden zu erzeugen, wurde einfach
vor die 35 mm Kamera eine klassische FotoLochblende montiert.
Ein weiteres Problem war die Location, in
der die Dreharbeiten stattfinden sollten. Da
es kein verwittertes Schloss in der Nähe von
Hamburg und Umgebung gab und auch das
Budget für aufwendige Studioarbeiten fehlte,
musste ein anderes düsteres Motiv gefunden
werden. Schließlich fiel die Wahl auf ein zum
Drehzeitpunkt leerstehendes Haus am Schuppen 52A mitten im Hamburger Freihafen.
Während der Organisation von Drehort und
Technik kümmerte sich die Produktion QFilm zusätzlich um das Casting einer Japanerin. Angeregt durch den japanischen Titel
“Sumisu“, sollte die junge Frau im Musikvideo ebenfalls eine Japanerin sein. Die Wahl
fiel letztendlich nach Absprachen mit Farin
Urlaub auf Masako Furuichi, einem Model
aus Köln. Speziell für Farin Urlaub wurde ein
stilechtes Kostüm entworfen, welches dem
des Grafen Orlok aus “Nosferatu“ in nichts
nachstand. Auch die Ausstattung baute neben
der Einrichtung des Schlosses eigens für die
Produktion von “Sumisu“ z.B. ein über zwei
Meter hohes Scherenschnittmodell, das die
im Video zu Anfang eingeblendete Landschaft zeigt, sowie eine aufwendige Konstruktion für die Szene, in der “Graf Urlaub“
aus dem Sarg gehoben wird.
109
Dreharbeiten
Im Februar 2001 fand der 16-stündige Dreh des Videos “Sumisu“ im
Schuppen 52A statt. Trotz des knappen Budgets für diese Produktion hatten die Ausstatter am Set beste Arbeit geleistet. Doch leider reichte das
Geld nicht mehr für die Verkleidung der Heizungsrohre, die im Film dann
auch zu sehen sind. Ebenfalls beim genauen Hinsehen ist der Arm des
Ausstatters zu erkennen, der Farin Urlaub bei der “Gruft-Szene“ aus dem
Sarg stemmen musste. Das Ereignis des Tages war ein Unfall mit Folgen.
Als der Art Director Bader El Hindi für die Schattenszene die präparierte
Treppe testen wollte, brach die Konstruktion aus Apple Boxen (Holzkisten,
Standard-Equipment beim Film) zusammen. El Hindi brach sich den Arm
und musste ins Krankenhaus.
Post-Production
Die Nachbereitung des Musikvideos dauerte nur ein paar Tage. Der grobe
Schnitt war nach einem Tag abgeschlossen, weil alle Bilder des Storyboards
gedreht wurden und diese genauso aneinander editiert werden konnten. Im
Online-Schnitt wurden dann nur noch die Zwischentitel eingeblendet, im
Video zu sehende Plattencover aus urheberrechtlichen Gründen retuschiert
und eine animierte Fledermaus gebaut, die zu Beginn des Videoclips durch
die gespenstische Landschaft fliegt.
110
Übrigens gibt es, was viele nicht wissen, zwei unterschiedliche Endings
für das Video. Ursprünglich war die Idee nämlich, dass Farin Urlaub und
seine japanische Schönheit am Ende einen Walzer tanzen. Diese Version
wurde auch fertiggestellt, aber meines Wissens nie wirklich gezeigt. Das
Winken war nie geplant und entstand nur zufällig nach dem Dreh einer beabsichtigen Szene. Zum Glück, denn dieses Bild am Ende unterstreicht den
typischen und charakteristischen Humor von Farin Urlaub und mir. Es lebe
der Outtake (Outtakes – auch „blooper“ – sind häufig humorvolle Teile des
gefilmten Materials, die nicht für den Film verwendet werden können).
Norbert Heitker: Die Musikvideo-Produktion und Produktionsablauf
Making Of
Storyboard „Sumisu“, Director Norbert Heitker, 2001
111
D
Diverse Autoren
ie
Perspektiven des Videoclips / Interviews
Welchen Rang hatte der Videoclip innerhalb der gesamten Werbestrategie
zum Promoten eines Stars in der Vergangenheit?
„Als einst die Videos den Markt eroberten, waren sie ein wichtiges Tool,
um einen Künstler und seine Veröffentlichungen zu promoten. VIVA
und MTV sendeten zu Beginn 24 Stunden täglich Musikvideos und der
interessierte Musikhörer war nun ein sehr dankbarer Zuschauer und entdeckte auf diese Weise neue Musik für sich.“
Babsi Vahle / BLX-Entertainment
„In der Hochphase des Musikvideos, Mitte der 1980er bis Mitte 2000er,
waren Videoclips wohl das wirksamste und zudem wahrscheinlich auch
verkaufsförderndste Werbemittel - Musikvideos waren Teil der damaligen Jugendkultur und ein Gesprächsthema auf dem Pausenhof.“
Norbert Heitker / Werbefilme und Musikvideos
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„Der Videoclip hatte schon immer eine essenzielle Rolle in der Steigerung der Plattenverkäufe. In den Hochzeiten des Musikfernsehens
erreichte man mit dem Musikvideo vor allem den Musikliebhaber und
somit den potenziellen Käufer. Der Musikclip entwickelte sich schließlich zu einem Teil des so genannten „Popstar-Pakets“ (zusammen mit
CD, Tourpräsenz, Interviews in Musikzeitschriften etc.). Ein Michael
Jackson musste zwar nicht mehr mittels des Musikvideos bekannt gemacht werden, dennoch zählte es zur Pflicht seines Popstar-Daseins.
Diverse Autoren: Die Perspektiven des Videoclips
Die Zukunft
Der Clip diente also der Komplettierung des medialen Gesamtprodukts.
Trotzdem behielt das Musikvideo eine Art „Köder-Funktion“, mit der
zusätzlich die Kaufkraft der Musikfans angesprochen wurde. Die Entwicklung des Musikvideo ging also weg vom sichtbaren Promo-Tool
(Band im Fokus des Videos), hin zum „Kurzfilm“. Man könnte sagen,
dass das Musikvideo somit aus der Sklaverei der Marketing-Maschine
entlassen wurde. Somit konnte neben der musikaffinen zusätzlich auch
die kunst- bzw. filmaffine Zielgruppe angesprochen werden. Der Videoclip hat seine eigene visuelle Kultur gefunden. Trotzdem ist der Wert,
den die Video-Promotion heute in sich birgt, nach wie vor spannend.
Diese wird oft in erster Linie zum Bekanntmachen der Band genutzt.
Heute sind Video-Views eine wichtige Einheit im Marketing. Dass jeder noch so unbekannte Künstler ein Musikvideo mit dem Geld aus der
Sparbüchse produziert und noch keine Band bewusst gesagt hat „Wir
machen keinen Clip“, spricht für die anhaltende Wichtigkeit dieser eigenen Kunstform.“
Conrad Fritzsch / tape.tv
Haben sich Musikbusiness und Musikvideos in gewisser Weise auseinander gelebt? Werben Videoclips noch wirklich für den Verkauf von Musik
oder sind sie eher eine Art Nebenprodukt geworden? Wie können Plattenlabels weiter von Musikvideos profitieren?
„Falls das Video phantastisch originell ist, könnte es auch heutzutage
noch zum Promoten eines Albums/einer Single eines Künstlers beitragen. Da aber ALLE versuchen, etwas schrecklich Originelles zu drehen
(am liebsten für unter 8000,- Euro), ist es schwierig, aufzufallen. Seit
der ständigen Verfügbarkeit sämtlicher Videos im Netz wird es immer
schwieriger, irgendeine Art von kommerzieller Verwertung zu versuchen.“
Farin Urlaub / Die Ärzte
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„Ich glaube nicht, dass sich Musikbusiness und Musikvideos auseinander gelebt haben. Der Konsum und der Umgang mit den Musikprodukten haben sich einfach im Laufe der Zeit, parallel zu den ständigen Neuerungen in der Technik, verändert. Sicherlich sind Musikvideos dabei
ein wenig auf der Strecke geblieben, jedoch bleibt für Labels das Medium Musikvideo, neben Live-, TV- , Printmedien- und Internetauftritten,
weithin ein probates Mittel, um potenzielle Konsumenten zu erreichen
und ihren Künstler damit ein visuelles „Gesicht“ zu geben.“
Norbert Heitker / Werbefilme und Musikvideos
„Nein, beide gehören nach wie vor zusammen. Musikvideos werden,
wie gesagt, mittlerweile nicht mehr allein produziert, um Plattenverkäufe anzukurbeln. Sie bieten dem Künstler die Möglichkeit, sich auf
verschiedenen Kanälen (vor allem im Netz) selbst zu promoten oder sie
setzen die Stimmung der Musik visuell-artistisch um. Nicht umsonst
gibt es heutzutage eine ganze Reihe Musikvideopreise, die sich nicht
nur mit der Präsentation des Stars auseinandersetzen, sondern vor allem die Kunstform prämieren. Durch MTV ist eine ganze Generation
mit dem Musikvideo groß geworden und kann sich Musik ohne visuelle Umsetzung gar nicht mehr vorstellen. Visualität gewinnt im neuen Jahrzehnts immer mehr an Bedeutung. Man kann quasi von einem
Paradigmenwechsel hin zur visuellen Welt sprechen. Egal ob Zuhause,
auf dem iPad, im Auto oder auf der Straße. Überall wird es neue „Bildflächen“ geben, auf denen Videos wieder stattfinden können. Fernsehen
ist schließlich schon heute nicht mehr nur mit dem Fernsehgerät verbunden. Nachdem die 2000er das Jahrzehnt des Musik-Streamings waren,
werden die 2010er nun also die Dekade der visualisierten Musik. Dieser Trend bringt natürlich auch neue Vertriebswege für die Labels mit
sich. tape.tv hat deshalb eine Plattform geschaffen, die nicht nur Musik,
Künstlern und Fans eine visuelle Heimat bietet, sondern den Plattenfirmen auch eine Möglichkeit, davon zu profitieren.“
Conrad Fritzsch / tape.tv
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Diverse Autoren: Die Perspektiven des Videoclips
Die Zukunft
Welche Chancen haben Sender wie MTV oder VIVA langfristig ohne Videos?
„Sehr schwierig zu sagen, da beide Sender ja schon seit Jahren daran
arbeiten, ein Vollprogramm à la RTL 2 oder PRO 7 zu werden. Ob es der
richtige Weg ist, wir werden es sehen, oder auch nicht.“
Norbert Heitker / Werbefilme und Musikvideos
„Ohne Musikvideos werden beide Sender sich wohl kaum weiterhin als
Musiksender behaupten können. Nicht ohne Grund hat MTV Anfang
2010 den Zusatz Music Television aus dem Logo gestrichen. Das veränderte Produktportfolio vom Musikvideo zur Dating-Show zieht eine
Verschiebung der Markenpositionierung mit sich. Durch die neue Produkt- und Markenstrategie begeben sich MTV und Viva in ein neues
Marktumfeld mit veränderter Zielgruppe. Ob sie in dieser erfolgreich
sein werden, ist eine andere Frage. Generell kann Musikfernsehen heute
nur noch funktionieren, wenn man sich wirklich um die Musik kümmert. Es gilt, alle Geschichten, die um Künstler und ihre Musik herum
geschehen, audiovisuell umzusetzen, egal ob live, im Interview oder im
Musikvideo.“
Conrad Fritzsch / tape.tv
Wie sehen Sie die Zukunft des Musikvideos bzw. kommt etwas nach YouTube, und wenn ja: was? Und in welche Richtung wird bzw. kann sich
das Musikvideo im Zeitalter immer weiter schrumpfender Budgets entwickeln?
„Die Zukunft des Musikvideos liegt meines Erachtens definitiv nicht
bei dem heutigen Medium YouTube. Ich glaube, in den nächsten Jahren
wird es in der Medienwelt noch zu gravierenden Veränderungen kommen, denn die Herstellung von qualitativ hochwertigen Medien, egal ob
Musik, Print oder Video, kostet nun einmal Geld. Konsumenten werden
für Inhalte zahlen oder mit ständiger Werbung leben müssen. Wo die
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Reise hingehen wird, zeigt uns schon seit Jahren die Firma APPLE mit ihrem iTunes-Store und ihren speziell dazu
passenden Endgeräten. APPLE verkauft mit großem Erfolg
meist plattformgebundene Musik, Filme, TV-Programme,
Bücher und Apps, und ich denke, in 10 oder 20 Jahren werden persönliche Tablet-PCs mit den entsprechenden Inhalten zu den ganz normalen alltäglichen Gebrauchsgegenständen gehören.“
Norbert Heitker / Werbefilme und Musikvideos
Babsi Vahle
seit 1999 arbeite ich bei der Firma
BLX-Music & Entertainment GmbH
in Münster. Das Büro wurde von den
beiden Köpfen der Band H-Blockx
gegründet, um sich um die Belange
der Band selbständig kümmern zu
können. Hier trage ich gemeinsam
mit Henning Wehland, dem Sänger
der Band H-Blockx, Mitglied der
Söhne Mannheims und Inhaber der
Firma BLX-Music & Entertainment
GmbH und unserem Team, die Verantwortung.
Ein wichtiger Kernpunkt ist die Beratung und Durchführung verschiedener Firmenprojekte, wie z.B. das große Nachwuchsprojekt Ideensounds
im Jahr 2008, der Earth Day von National Geographic, die NDR Sendung
Lobbysounds und das aktuelle Projekt CeBIT Sounds!, die Musikmesse
im Rahmen der CeBIT, die sich das
Thema Musik und IT zum Schwerpunkt gesetzt hat und im März 2011
zum zweiten Mal stattfinden wird.
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„Musikvideos sind nach wie vor ein wichtiges Tool für
jeden Künstler, nicht aber die Veröffentlichung auf VIVA
oder MTV. Schon lange schaffen es nur noch wenige Videos
in die beiden Kanäle, was in erster Linie daran liegt, dass
beide Sender über nur noch wenig Musikvideosendezeit
verfügen. MTV wird Anfang des Jahres zu einem Pay-TVSender, was den Anreiz, ein Video ‚für’ MTV zu drehen,
natürlich gegen Null verringert.“
Babsi Vahle / BLX-Entertainment
„Ja, es kommt was: Musikfernsehen! Und zwar im Internet. Schrumpfende Budgets heißen nicht, dass es keine
Musikvideos mehr geben wird: auch mit kleinen Budgets
kann man großartige Videos machen. Wir bei tape.tv haben
gemerkt, dass die Leute Musikvideos immer noch lieben.
Dass das Konzept des linearen Musikfernsehens in Zeiten
der Individualisierung überholt ist, ist ja keine Neuigkeit
mehr. YouTube und weitere On-Demand-Anbieter können
jedoch nicht das Bedürfnis nach einfachem Entertainment
stillen, mit dem wir alle herangewachsen sind. Musikfernsehen muss für das digitale Zeitalter neu interpretiert werden und an die neuen Nutzungsweisen angepasst werden.
Man muss die Neugierde des Users mit den technischen
Möglichkeiten und redaktioneller Intelligenz paaren. Das
Diverse Autoren: Die Perspektiven des Videoclips
Die Zukunft
haben wir mit tape.tv bereits erfolgreich getan. Jetzt leisten wir unseren
Beitrag zum Schritt des Musikvideos in die Zukunft. Der User will in
Zeiten der digitalen Kälte Authentizität und Musik zum Anfassen. Mit
unserem Format „Auf den Dächern“ gehen wir deshalb weg von den
überteuerten Hochglanzprodukten oder verpixeltem User-Generated
Content. Gezeigt wird wieder das, worum es wirklich geht: Musik, pur
und aus dem Herzen.“
Conrad Fritzsch / tape.tv
Bedeuten sinkende Budgets für die Videoclips zwingend Einschnitte in deren ästhetische Qualität oder sind sie vielleicht sogar Auslöser einer neuen
Kreativität im Umgang mit dem Medium?
„Schon lange gibt es Unterschiede zwischen den Musikvideos, da deren
Weg auch schon lange nicht mehr zwangsläufig ins Fernsehen, sondern
eher ins Internet läuft. Seiten wie YouTube, MyVideo o.ä. sorgten dafür, dass Videos nicht mehr zwangsläufig auf MTV „maßgeschneidert“
werden, sondern durch Originalität oder eben Emotionalisierung als
Hervorhebung des Songs oder des Künstlers ausgelegt sind. Seit dem
Riesenerfolg von zB: tape.tv (es gibt natürlich noch viele andere gute
Kanäle) ist aber auch klar, dass nach wie vor ein Video als wichtiges
Tool gilt. Es gibt immer noch viele Musikkonsumenten, die gerne ihre
Musik selbst entdecken wollen und sich daher von den einschlägigen
Kanälen ihre Musik besorgen, vorschlagen lassen und Videoplay-Listen
im Netz erstellen. Die ästhetische Qualität muss nicht zwangläufig darunter leider, auch wenn manche Ideen zwangsläufig bei niedrigen Budgets nicht realisiert werden können. Und ja, die Kreativität ist natürlich
sehr gefragt, gute Ideen für kleines Budget umzusetzen, ist eine kreative
Herausforderung für den Produzenten und das ganze Team.“
Babsi Vahle / BLX-Entertainment
„Selbstverständlich bedeuten sinkende Budgets zwingende Einschnitte
in die ästhetische Qualität von Videos. Aufwendige Studiobauten, spek-
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takuläre Kamerafahrten oder aufwendige Kostüme benötigen nun einmal finanzielle Mittel. Allerdings macht viel
Geld auch noch keinen guten Film! Die kreative Idee war
und ist immer noch der Schlüssel zum Erfolg. Bestes Beispiel für ein geniales No-Budget-Video war schon 1999 das
Spike-Jonze-Video zu Fatboy Slim, ‚Praise You’.“
Norbert Heitker / Werbefilme und Musikvideos
Conrad Fritzsch
ist Gründer und CEO der tape.tv AG.
Er wurde 1969 in Berlin geboren und
studierte Regie an der Filmhochschule Babelsberg. Conrad Fritzsch
besitzt langjährige Erfahrung und
ausgewiesenes Know-how in der Musik- und Filmwirtschaft sowie in der
Werbebranche, u.a. als Gründer der
Werbeagentur Fritzsch & Mackat. Im
Juli 2008 gründete er den Musikfernsehsender tape.tv, der Musikvideos
und innovativen Entertainmentformaten eine visuelle Heimat im Internet und auf weiteren Devices gibt.
Das erklärte Ziel: Musikfernsehen
ins neue Jahrzehnt zu holen - besser
und schöner als je zuvor.
tape.tv ist das Musikfernsehen der digitalen Zukunft. Seit Juli 2008 bietet
der Berliner Musiksender individualisierte Unterhaltung mit einfacher
Bedienung. Mit nur einem Klick bestimmt der User sein persönliches
Programm nach eigenen Vorlieben.
Das Prinzip: Deine Musik findet
Dich!
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„Sinkende Budgets sind definitiv kein zwingender Einschnitt in die ästhetische Qualität. Was zählt, ist nach wie
vor ein guter Song und eine gute Idee. Mit der Entwicklung des Internets und der daraus resultierenden YouTubeMentalität steigt der Wunsch nach unterhaltsamen Ideen.
Diese umzusetzen, muss nicht mehr kostenintensiv sein.
Die gefragte Lo-Fi-Ästhetik und die Renaissance eines
DIY-Bewusstseins sind sogar Gründe, die für günstige Produktionen sprechen. Heute braucht man lediglich ein paar
gute Freunde und eine HD-Kamera, um seine visuelle Idee
umzusetzen. Weniger Budget ist sicherlich einer der Auslöser für einen neuen kreativen Ansatz, aber auch die Entwicklung der Popkultur spielt eine entscheidende Rolle. In
einer Zeit, in der Kunst oft wie Fast-Food konsumiert wird,
stellt sich die Frage, ob es ratsam ist, zu viel Geld in ein
Musikvideo zu stecken. Den Künstler und seine Musik im
Zusammenhang mit einer außergewöhnlichen Bildsprache
oder einer Idee zu präsentieren, könnte hier eher wegweisend sein. Produktionsfirmen wie „el nino“ beweisen dies:
das Regisseuren-Duo „Jonas & Francois“ hat begonnen für
unbekannte Künstler Videos ohne großes Budget zu drehen und sind heute bekannt für ihren legendären Clip zu
„D.A.N.C.E.“ von Justice, sowie Arbeiten mit Kanye West
und Madonna. Hier führten die Idee, das Ästhetikbewusstsein sowie die Experimentierfreude zu großen Aufträgen.“
Conrad Fritzsch / tape.tv
Diverse Autoren: Die Perspektiven des Videoclips
Die Zukunft
Lady Gaga: Ein Revival des Musikvideo-Booms oder nur ein letztes Aufflammen?
„Es wird immer wieder Videos von großen Künstlern geben, die durch
großes Budget die Aufmerksamkeit der Massen erreichen.“
Babsi Vahle / BLX-Entertainment
„Lady Gaga ist ein Sonderfall, sie ist ein reines Kunstprodukt und spielt
mit der Provokation. Und da Provokation heutzutage hauptsächlich über
visuelle Medien funktioniert, finden auch ihre Videos die entsprechende
Beachtung.“
Norbert Heiker / Werbefilme und Musikvideos
„Die wichtigste Zutat für das Produkt Lady Gaga ist ihre Selbstinszenierung. Ohne diese würde auch ihre Musik nicht funktionieren. Das Musikvideo ist bei ihr ein Mittel zum Zweck und muss daher, ähnlich wie
damals bei Michael Jackson, im großen Stile aufgezogen werden. Es
wäre vermessen „Telephone“ mit „Thriller“ zu vergleichen. Dennoch
nutzt Lady Gaga ihr Image als „Kunstfigur“ und lässt sich ebenfalls zu
einem wesentlichen Teil über ihre Musikvideoauftritte definieren. Und
auch andersherum sind die Musikvideos dabei selbst ein wichtiger Teil
für die Existenz dieser „Kunstfigur“. Lady Gaga hat den Star erneut
in den unmittelbaren Zusammenhang Musikvideo gestellt. Die visuelle
Erfahrung ist dabei gleichgesetzt mit der musikalischen. Dieser Hang
zur extremen Visualität hängt vor allem auch mit drei gesellschaftlichen
Strömungen zusammen: Globalisierung, Individualisierung und Digitalisierung. Bedingt durch diese ist es möglich, viel schneller Bekanntheit
zu erlangen als es früher der Fall war. Um diesem Speed gerecht zu werden benötigt man aber auch eine viel größere Bildkraft und eine richtig
gute Story. Lady Gaga aber auch Künstler wie Kesha oder Kanye West
haben vorgemacht, wie es geht. Man kann also von einem kleinen Musikvideo-Boom sprechen, der auch Großproduktionen wieder zur Mode
gemacht hat. Dabei handelt es sich definitiv um ein kurzes Aufflackern.
Denn mit dem Fortschritt der Technik werden sich auch Musikvideos
119
verändern. Neue Technik birgt neues Potenzial, schafft neue
Ideen und Kreativität. Das letzte Aufflammen ist noch lange nicht in Sicht, viel eher wird sicher bald wieder gutes
Brennholz nachgelegt.“
Conrad Fritzsch / tape.tv
Was kann oder sollte man der Gattung „Musikvideo“ wünschen?
Farin Urlaub
„Gute Musik und kreative offene Köpfe.“
Solo-Musiker und Sänger der Ärzte
Norbert Heitker / Werbefilme und Musikvideos
„Nur Gutes natürlich! Nein, ganz ehrlich: Wir wünschen
dem Musikvideo, dass es auch weiterhin tolle Musik gibt,
zu dem es geschaffen werden kann und viele Ideen, diese Musik visuell umzusetzen. Des Weiteren Menschen, die
sich für die Gattung begeistern, sie gerne ansehen und produzieren. Zuletzt ganz klar, dass es auch weiterhin Orte gibt
an denen sie gespielt und genossen werden können.“
Conrad Fritzsch / tape.tv
Wer wählt wie den Regisseur zu einem Clip aus und verändert sich das Auswahlverfahren mit der Bekanntheit des zu
promotenden Stars?
„Ich kann nur für uns sprechen: wir schicken den zu verfilmenden Song an ein paar Regisseure, und die beste Idee
(gepaart mit dem schlüssigsten Konzept) gewinnt.“
Farin Urlaub / Die Ärzte
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„Es kommt in erster Linie auf die Macht des Künstlers gegenüber der Plattenfirma an. Je größer und bekannter der
Diverse Autoren: Die Perspektiven des Videoclips
Die Zukunft
Star ist, umso mehr Mitspracherecht hat er in der Regel. Dies bezieht
sich natürlich auch auf die Auswahl eines passenden Regisseurs. Wobei
dieser natürlich bei entsprechender Bekanntheit wiederum die Macht
hat, wenn ihm der Künstler oder der Song nicht gefällt, einfach Nein zu
sagen.“
Norbert Heitker / Werbefilme und Musikvideos
„Die Auswahl wird meistens von der Plattenfirma und den Künstlern
getroffen. Natürlich steht die Bekanntheit des Regisseurs bei der Wahl
im Fokus: Im digitalen Zeitalter erreichen gute Musikvideos in Windeseile selbst die kleinste Nische des Netzes. Der Name des Regisseurs
wird dabei zum Qualitätssiegel. Ein Videoclip von Spike Jonze erhält
schnell große Aufmerksamkeit und der Künstler kann davon profitieren.
Es ist aber kein Must. In Zeiten, in denen auch unbekanntere Bands ihre
eigenen Videos produzieren und über das Netz verbreiten, steht die kreative Idee absolut im Vordergrund. Der digitale Raum und die bereits erwähnte DIY-Kultur bieten deshalb auch unbekannten Regisseuren eine
Fläche für die Verwirklichung und Präsentation ihrer Werke.“
Conrad Fritzsch / tape.tv
Welche Rolle spielt bei der Auswahl der Regisseure die ästhetische Frage,
also die „Handschrift“ des einzelnen Regisseurs?
„Wir fragen natürlich nur Regisseure an, deren Arbeit wir schätzen; das
ist aber weit gefächert und es gibt stilistisch keine Berührungsängste
unsererseits.“
Farin Urlaub / Die Ärzte
„Die Handschrift des Regisseur sollte eigentlich die Grundlage bei der
Auswahl sein, allerdings ist ein vorschnelles Schubladendenken auch
fehl am Platze, denn gute Regisseure haben meisten auch ein großes
Spektrum an Stilen.“
Norbert Heiker / Werbefilme und Musikvideos
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Norbert Heitker
Eine ausführliche Biografie befindet
sich in der Autorenvorstellung dieses
Buches
„Die Auswahl des Regisseurs spielt auch immer noch eine
große Rolle. Aber am Wichtigsten ist die Idee für das Video
und die kommt sehr häufig auch vom Künstler selbst. Ich
möchte hier nicht auf den Unterschied zwischen Künstler und
Casting-Super-Star oder ähnliches weiter eingehen, aber es
gibt ihn eben, und ein Künstler, der sich sein eigenes Umfeld
selbst geschaffen hat, hat selbstverständlich auch viel größeren Einfluss auf das, was passiert, als ein Künstler, der von
seiner Plattenfirma oder seinem Management gelenkt und
geleitet wird. Der Videoregisseur und seine Handschrift sind
sehr wichtig, was aber nicht bedeutet, um so teurer, um so
besser. Die Zeiten sind vorbei.“
Babsi Vahle / BLX-Entertainment
„Wie bereits gesagt: Die visuelle Ästhetik ist ein entscheidender Faktor, denn sie entscheidet, wie schnell ein Video
Begeisterung entfacht und es sich medial verbreitet. Zwar
ist die Handschrift eines versierten Regisseurs fast immer
über seine Werke hinweg erkennbar, sie sollte aber nicht das
einzige Ausschlusskriterium sein. Wichtig ist vor allem das
perfekt inszenierte Zusammenspiel von Bild und Musik. Erst
die originelle Umsetzung der musikalischen Eigenschaften in
die Visualität des Musikvideos macht den Clip zum Erlebnis
für die Zuschauer. Ein interessanter, ästhetischer Clip findet
sich z.B. schneller auf diversen Blogs und Kanälen wieder
und verbreitet sich fast wie von selbst. Dabei spielt es keine
Rolle, ob der Regisseur schon eine gefestigte „Handschrift“
vorweisen kann. Die Idee und spannende Umsetzung zählen.
Das Musikvideo hat deshalb die Qualität, auch neue Talente
hervorzubringen.“
Conrad Fritzsch / tape.tv
122
Diverse Autoren: Die Perspektiven des Videoclips
Die Zukunft
Inwieweit ist heute die Fähigkeit eines Regisseurs, für neue Abspielmedien
zu produzieren, ein Entscheidungskriterium?
„Ein professioneller Regisseur sollte sich immer damit auseinandersetzten, auf welchem Abspielmedien später sein Film hauptsächlich zu
sehen sein wird. Imposante Totalen wirken nämlich auf einem kleinen
Mobiltelefon nicht mehr sonderlich imposant wie sie es z.B. auf einer
großen Kinoleinwand tun.“
Norbert Heitker / Werbefilme und Musikvideos
Würden Sie zustimmen, dass der Stellenwert des Musikvideos für die Musikindustrie in den vergangenen 10 Jahren abgenommen hat (z.B. an den
Budgets ablesbar), aber die Beschäftigung mit den Musikvideos unter verschiedenen Gesichtspunkten (Ausstellungen, Spezial-DVDs zu einzelnen
Regisseuren) zugenommen hat. Und wie erklären Sie das?
„Musikvideos galten einmal als Revolution des Musikmarktes und sind
dann über die Jahre zum festen Bestandteil der ‚Evolution’ geworden.
Sie sind ein Stück der Musikgeschichte, Zeugen der Kreativität und der
Kultur der letzten Jahrzehnte. Sicherlich hat sich ihr Stellenwert dabei
verändert, jedoch wird es auch in Zukunft immer wieder wahre Kunstwerke geben, egal, ob nun mit großen oder kleinen Budget produziert.
Allein diese Umstände rechtfertigen eine angemessene Anerkennung
von Musikvideos, egal, ob nun einem Nachschlagewerk oder in einem
Museum.“
Norbert Heitker / Werbefilme und Musikvideos
„Die Behauptung, dass die Budgets für Musikvideos gesunken sind, ist
schlichtweg falsch. Zwar wurde in den 90er Jahren der Großteil der
dreißig teuersten Musikvideos produziert, doch ein Drittel dieser Top30
entstand erst in der letzten Dekade. Das teuerste Musikvideo aller Zeiten (30 Seconds To Mars ‚From Yesterday’) sogar erst vor drei Jahren.
Es hat sich davon emanzipiert, ein reines Artefakt der Marketing-Ma-
123
schinerie zu sein, was aber nicht heißt, dass seine Bedeutung in der Musikindustrie gesunken ist. Wie schon oben erwähnt, hat das Musikvideo
aber auch einen Stellenwert als Kunstform erhalten. Die Aufarbeitung
seiner Qualitäten ist deshalb nicht mehr alleine mit der Platzierung als
Promotion-Tool verknüpft, sondern schenkt dem Videoclip neuen Spielraum.“
Conrad Fritzsch / tape.tv
Wäre es dann nicht auch wichtig, dem Musikvideo ein Museum für die
„Aufarbeitung“ einzurichten bzw. eine solche Abteilung in einem bestehenden Museum zu etablieren?
„Wie gesagt, hat sich die Bedeutung des Videos nicht verringert, sondern verändert, weil die Wege andere geworden sind. Im Museum die
Geschichte des Videos zu erzählen, halte ich für eine sehr interessante
Sache. Die ersten Videos, über Michael Jacksons ‚Thriller’ bis hin zu
z.B. OK GO über viele sehr schöne und emotionale Videos, würden
nicht nur die Musikvideogeschichte erzählen, sondern auch einen großen Teil der Musikentwicklung verdeutlichen.“
Babsi Vahle / BLX-Entertainment
124
„Definitiv. Das Musikvideo ist ein Spiegel der kontemporären Kulturgeschichte. In den letzten vierzig Jahren spielt Popkultur eine immer
größere gesellschaftliche Rolle. Wenn Jugendliche sich wie Rihanna kleiden oder wie Bushido artikulieren, sind wir verpflichtet, dieses
Phänomen unter die Lupe zu nehmen und zu deuten. Es muss deshalb
einerseits eine Einrichtung geben, die dem Publikum das Musikvideo
als Medium von einem historischen und kulturellen Standpunkt näher
bringt. In Studiengängen, die sich mit visueller und musikalischer Popkultur auseinandersetzen, steht der Videoclip schon einige Jahre auf
dem Lehrplan. An akademischer und analytischer Auseinandersetzung,
die eine museale Aufarbeitung bewerkstelligen würde, mangelt es also
nicht. Andererseits ist es auch wichtig, allen Arten von Musikvideos
Diverse Autoren: Die Perspektiven des Videoclips
Die Zukunft
eine Fläche zu bieten, auf der sie auf unterhaltsame Art und Weise in
ihrem ‚natürlichen’ Kontext gezeigt werden können. Die Zusammenarbeit zwischen dem rock’n’popmuseum und tape.tv für die Sonderausstellung ‚Imageb(u)ilder’ ist also ein erster Schritt, dem Musikvideo als
Stück Zeitkultur eine mediengerechte Aufarbeitung zu bieten.“
Conrad Fritzsch / tape.tv
125
L
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133
A
utoren
Dr. Thomas Mania,
geb. 12.02.1960 studierte an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster Volkskunde / Europäische Ethnologie, Publizistik und Philosophie. Ab dem Jahr 2000 gehörte er dem Team
zur Errichtung des rock’n’popmuseums an. Seit Eröffnung des
Hauses im Jahr 2004 ist er hier als Kurator tätig. In dieser Zeit hat
er zahlreiche Sonderausstellungen inhaltlich konzipiert und designerisch umgesetzt. Seine Publikationen: rock’n’popmuseum
/ Thomas Mania (Hrsg.): Techno. Münster: Telos-Verlag, 2009.
rock’n’popmuseum / Thomas Mania (Hrsg.): On the road. Münster: Telos-Verlag, 2008. Thomas Mania (Hrsg.): Jugend. Protest.
Kultur ... 1968 ... ; [Begleitbuch zur gleichnamigen Wanderausstellung des
Westfälischen Museumsamtes, Münster, Landschaftsverband WestfalenLippe; das Museumsamt zeigt die Ausstellung vom 28.2.1999 bis zum
6.8.2000 in: Vreden, Hamaland-Museum/Kreismuseum Borken ... Recklinghausen, Vestisches Museum] / [Landschaftsverband Westfalen-Lippe.
Red.: Thomas Mania ; Günter Bernhardt]. Münster 1999. Thomas Mania:
„Weißte was - `nen Schnaps?“: die Gaststätte als Kommunikationszentrum ; Theorie und Praxis am Beispiel eines Dortmunder Wohnquartiers.
Münster; New York; München; Berlin: Waxmann 1997. Zugl.: Münster
(Westfalen), Univ., Diss., 1995.
134
Autoren
Prof. Dr. Henry Keazor,
Studium der Kunstgeschichte, Germanistik, Musikwissenschaft
und Philosophie in Heidelberg, Promotion ebd. 1996. Bis 1999
Stipendiat und Assistent am Institut für Kunstgeschichte in Florenz, dann: Wissenschaftlicher Assistent am Kunstgeschichtlichen Institut der Johann Wolfgang Goethe-Universität in
Frankfurt/Main. 2005: Habilitation an der Universität Frankfurt.
Danach Gastprofessor am Institut für Kunstgeschichte der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. 2006 – 2008 HeisenbergStipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft; seit WS
2008/09: Lehrstuhl für Kunstgeschichte an der Universität des
Saarlandes in Saabrücken.
Forschungen zur französischen und italienischen Malerei des 16. und 17.
Jahrhunderts, insbesondere zu Nicolas Poussin, den Carracci sowie zur
zeitgenössischen Architektur (Jean Nouvel). Ferner Publikationen zum
Verhältnis von Kunst und Medien, insbesondere zu Musikvideos und den
„Simpsons“. Jüngste Publikationen: Rewind – Play – Fast Forward: The
Past, Present and Future of the Music Video (zusammen mit Thorsten
Wübbena als Herausgeber und Autor), Bielefeld 2010 sowie FilmKunst:
Studien an den Grenzen der Künste und Medien (als Autor sowie, zusammen mit Fabienne Liptay und Susanne Marschall, als Herausgeber),
Marburg 2011.
Thorsten Wübbena,
Studium der Kunstgeschichte, Kulturwissenschaften und Geschichte. Abschluss 1999, danach am Zentrum für Kunst und
Medientechnologie in Karlsruhe (ZKM) und seit 2000 als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Kunstgeschichtlichen Institut der
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt. Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich der angewandten Informationstechnologie in der kunstgeschichtlichen Forschung (DILPS, ConedaKOR, Sandrart.net) sowie den Neuen Medien (Musikvideos).
Publikationen dazu: Video Thrills The Radio Star. Geschichte,
Themen, Analysen, 2. Auflage, Bielefeld 2007, (gemeinsam mit
Henry Keazor), Musikvideo, in: Dieter Daniels/Sandra Naumann
135
(Hrsg.): Audiovisuology 1. See this sound. An Interdisciplinary Compendium of Audiovisual Culture, Köln 2009, S. 223-234 und Rewind – Play –
Fast Forward. The Past, Present and Future of the Music Video (zusammen
mit Henry Keazor als Herausgeber und Autor), Bielefeld 2010.
Thomas Sandmann
arbeitet seit 30 Jahren als Musik- und Videoproduzent. Sein Unternehmen „master orange media group“ produzierte Videos und
DVD-Inhalte für international bekannte Künstler, aber auch für
Independant-Projekte mit sehr kleinem Budget. Dazu entwickelte Sandmann, der auch europaweit als Berater für Rundfunk und
Fernsehen aktiv ist, neue Konzepte und gilt in Fachkreisen als
Experte für Lösungen des Zielkonflikts von „anspruchsvollen
Low-Budget-Produktionen“. Zu diesem Thema verfasste er auch
das im PPV-Verlag erschienene Buch „Musikvideoproduktion“.
Prof. Dr. Klaus Neumann-Braun
Nach Lehr- und Forschungstätigkeiten an den Universitäten Freiburg, Trier, Frankfurt, Koblenz-Landau und Wien (Gastprofessur)
ist Prof. Dr. Klaus Neumann-Braun seit 2005 Ordinarius für Medienwissenschaft am Institut für Medienwissenschaft (ifm) der Universität Basel und Autor zahlreicher Publikationen insbesondere
zu den Themenschwerpunkten Medien- und Kommunikationssoziologie, Populärkulturanalysen, Publikumsforschung, Jugendmedienkulturforschung, Interpretative Methoden (Ethnographie,
Visuelle Soziologie); zuletzt u.a. „Coolhunters – Jugendkulturen
zwischen Medien und Mark“, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2005
(zus. m. B. Richard), „Die Bedeutung populärer Musik in audiovisuellen
Formaten“, Baden-Baden: Nomos 2009 (zus. mit Ch. Jost, D. Klug, A.
Schmidt), „Doku-Glamour im Web 2.0: Party-Portale und ihre Bilderwelten“, Baden-Baden: Nomos 2010 (zus. mit J. Astheimer).
136
Autoren
Mag. phil. Daniel Klug,
Studium der Soziologie, Theater-, Film- und Medienwissenschaft
und Cultural Studies an der Universität Wien; seit Juli 2008 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt „Bild-Text-Ton-Analysen
am Beispiel der Gattung Videoclip“ (Leitung Prof. Dr. K. Neumann-Braun); Forschungsschwerpunkte u.a. Populärkulturanalysen, Musikfernsehen, Reality TV; Dissertation (in Vorbereitung)
zu „Audiovision und Diegese des Musikclips am Beispiel des ‚lip
synching’“; aktuelle Publikationen: „Die Bedeutung populärer
Musik in audiovisuellen Formaten“, Baden-Baden: Nomos 2009
(zus. mit Ch. Jost, K. Neumann-Braun, A. Schmidt), „…don’t be
afraid, don’t have no fear.“ Horrorästhetik im Musikclip zu ‘Everybody
(Backstreet’s back)’, in: pop:aesthetiken. Werkstatt Populäre Musik, Band
2 (Hrsg. A. Brunner, L. Leitich, M. Parzer), Wien (i. Ersch.).
Prof. Dr. phil. Christoph Jacke, M.A.,
geb. 1968, Professor für Theorie, Ästhetik und Geschichte der
Populären Musik im Studiengang „Populäre Musik und Medien“
im Fach Musik an der Universität Paderborn. Bis 2008 wissenschaftlicher Mitarbeiter, Koordinator und Geschäftsführer im Studiengang „Angewandte Kulturwissenschaften/Kultur, Kommunikation und Management“ der Universität Münster. Sprecher der
„AG Populäre Kultur und Medien“ in der Gesellschaft für Medienwissenschaft und Herausgeber der Reihe „Populärkultur und
Medien“ (LIT), beides mit Martin Zierold. Zuletzt erschienen:
„Populäre Kultur und soziales Gedächtnis: theoretische und exemplarische Überlegungen zur dauervergesslichen Erinnerungs- Foto: Eric Gressel
maschine Pop“. Siegener Periodicum für Internationale Empirische Literaturwissenschaft (SPIEL). Frankfurt/M.: Peter Lang 2008 (Hg.
mit Martin Zierold); „Einführung in Populäre Musik und Medien“. Münster u.a.: LIT 2009. „Populäre Erinnerungskulturen. Erinnern und Vergessen
in der Medienkultur“. Themenschwerpunkt Medien & Zeit. Kommunikation in Vergangenheit und Gegenwart. Wien 2009 (Hg. mit Martin Zierold).
137
Norbert Heitker
Date Of Birth: 9th July 1971
Based in Hamburg, Germany
1993 – 1996
Hamburg, Study of Media technology
1996 – 1997
Vienna, Conception, Art Direction and Director,
Music Videos, Department M, DoRo,
1997 – 2000
Berlin, Director, Music Videos + Commercials,
Department M, DoRo, Berlin
2000 – Today
Hamburg, Director, Music Videos, Q-Film-Produktion
2001 – 2002
Los Angeles, Director, Music Videos + Commercials, Satellite Films /
Propaganda Films
2001 – 2003
Berlin, Director, Commercials, Trigger Happy Production
2003 – 2006
Amsterdam, Brussels, Berlin – Director, Commercials,
CZAR Film
138
2004 – Today
Hamburg – Director, Freelancer, Commercials +
Music Videos. Agency: Saward Graf Kurle & Baas
Management
Autoren
139
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Verlagswerbung
Thomas Mania / rock‘n‘popmuseum (Hrsg.)
On the Road
Unterwegssein – ein Mythos der Popkultur
Folks, Hippies, Rocker, durchgeknallte Trucker, alle sind sie unterwegs – auf der Suche nach sich selbst,
einem Abenteuer oder auch nur dem One-Night-Stand. Die Versprechungen der Straße sind vielfältig,
gleichzeitig Chance aber auch Gefahr.
Unterwegssein bedeutet den Gegenentwurf zur bürgerlichen, in sich selbst ruhenden Sesshaftigkeit. Wer
sich on the road begibt, den umweht der Hauch des Rebellen. In Amerika geboren, transportiert die Popkultur den Mythos vom Unterwegssein des Individualisten über den Atlantik. Hier hinterlässt er zunächst
deutliche Spuren in der Jugendkultur mit lang angelegter Sprengkraft für die bundesdeutsche Gesellschaft. Individualität, Flexibilität und Mobilität in sozialer und physischer Hinsicht haben in heutigen
Zeiten unser Zusammenleben tiefgreifend verändert.
Das Begleitbuch zur gleichnamigen Ausstellung des rock’n’popmuseum beschäftigt sich mit den zahlreichen Facetten dieses komplexen Themenbereiches, wie sie sich im Film, der Literatur und natürlich auch
der Musik niederschlagen.
Thomas Mania / rock‘n‘popmuseum (Hrsg.): On the Road. Unterwegssein – ein Mythos der Popkultur; Münster 2008, 21x21 cm, 800 g, 282 S., über 200 Farb- und Sw-Abb., Farbcover, br., ISBN
978-3-933060-24-2, € 19,95
Erhältlich im Buchhandel oder direkt beim:
Telos Verlag Dr. Roland Seim M.A. - Verlag für Kulturwissenschaft Im Sundern 7-9 • D-48157 Münster • Tel/Fax 0251-32 61 60 • www.telos-verlag.de • [email protected]
148
Merle Mulder
Straight Edge
Subkultur, Ideologie, Lebensstil?
Erweiterte Neuauflage
„Don´t drink/Don´t smoke/Don´t fuck/At least I can fucking think“, sang Ian MacKaye, Frontmann der
Washingtoner Band Minor Threat, 1981 in seinem Song „Out of Step (with the World)” und sprach damit nicht nur vielen jugendlichen Altersgenossen aus der Seele, sondern formulierte auch die Grundgedanken eines Phänomens, das sich mehr als 25 Jahre später auf inzwischen allen Kontinenten der Erde
wiederfinden lässt: Straight Edge (sXe).
Vor allem die Zurückweisung von Alkohol, Tabak, Drogen und Promiskuität, der Wunsch nach Kontrolle über den eigenen Körper und Geist, eine positive Grundeinstellung und die Liebe zur Musik
zeichneten Straight Edge insb. in seiner Anfangszeit aus.
Im wissenschaftlichen Diskurs ist Straight Edge bisher weitestgehend unbeachtet geblieben. So wurde
auch die grundlegendste Frage bislang außer Acht gelassen: Was ist Straight Edge überhaupt? Und damit ist nicht nur die Frage nach den Inhalten oder einer Definition von Straight Edge gemeint, sondern
auch die Frage nach einer sinnvollen theoretischen Einordnung.
So soll das bisher Versäumte in der vorliegenden Arbeit nachgeholt werden. Hierfür wurden die am
häufigsten verwendeten Begriffe in Zusammenhang mit Straight Edge ausgewählt: „Subkultur“, „Lebensstil“ und „Ideologie“. Welche Konzepte stecken hinter diesen Kategorisierungen und sind sie überhaupt geeignet, um ein Phänomen wie sXe angemessen zu erfassen?
Merle Mulders sehr gute, mit dem Frauenförderpreis 2008 der Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Universität Hamburg ausgezeichnete Diplomarbeit bietet nicht nur eine ausführliche
Darstellung des Phänomens Straight Edge, sondern auch eine umfangreiche und dennoch kompakte
Einführung in die wichtigsten Subkultur-, Ideologie- und Lebensstilansätze.
Merle Mulder: Straight Edge: Subkultur, Ideologie, Lebensstil? Erweiterte Neuauflage, Münster
2010, 185 S., 5 Schautafeln, Bibliogr., Farbcover, br., ISBN 978-3-933060-33-4, € 18,90
Erhältlich im Buchhandel oder direkt beim:
Telos Verlag Dr. Roland Seim M.A. - Verlag für Kulturwissenschaft Im Sundern 7-9 • D-48157 Münster • Tel/Fax 0251-32 61 60 • www.telos-verlag.de • [email protected]
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Verlagswerbung
Roland Seim, Josef Spiegel (Hrsg.)
The Sun Ain‘t Gonna Shine Anymore
Tod und Sterben in der Rockmusik
Musik als flüchtige Kunstform ist ein Symbol für Vergänglichkeit. So liegt die Verbindung mit dem Thema Tod und Sterben nahe. Erstaunlich ist allerdings, wie vielfältig sich die vorwiegend an Jugendliche
gerichtete Rockmusik damit befasst. In welcher Form das in den unterschiedlichen Stilrichtungen geschah, soll dieses Buch zeigen. Vom Psychedelic Rock der 1960er Jahre über Punk, Death Metal, Gothic
bis hin zu HipHop werden anhand von relevanten „Leitfossilien“ markante Stationen nachgezeichnet.
Zahlreiche Farbabbildungen von themenrelevanten Covern, Flyern usw. illustrieren die einzelnen Aufsätze.
Nach einer Einleitung von Josef Spiegel zeichnen weitere Texte markante Stationen der Rock- und Popgeschichte vom Ende der 50er Jahre bis heute anhand dieses wichtigen Themas nach. Leitlinie ist dabei
das Verhältnis von Musikgenre, Szene und Jugendbewegung auf der einen und der existentiellen Erfahrung von Tod auf der anderen Seite. Zeitgeist, Genre und Stilart der Musik bewirkten jeweils einen ganz
eigenen Umgang mit dem Thema.
Roland Seim, Josef Spiegel (Hrsg.): The Sun Ain‘t Gonna Shine Anymore, Münster 2009, 267 S., ca.
185 Farbabb., Farbcover, kt., ISBN 978-3-933060-26-6, € 16,80
Erhältlich im Buchhandel oder direkt beim:
Telos Verlag Dr. Roland Seim M.A. - Verlag für Kulturwissenschaft Im Sundern 7-9 • D-48157 Münster • Tel/Fax 0251-32 61 60 • www.telos-verlag.de • [email protected]
150
Andreas Meier
Tabubrüche in der Musik
Über den Zusammenhang zwischen gezielten Tabubrüchen
und dem Käuferverhalten in der Musikbranche
Tabubrüche kann man in der Musikgeschichte weit zurückverfolgen. Die Beatles, Johnny Cash, Jimi
Hendrix, Rolling Stones, Alice Cooper machten es. Die aktuellsten Ableger sind wohl Sido, Bushido
und die neue Generation des deutschen Gangsta-Rap.
„Die vorliegende Untersuchung löst das Phänomen des Tabubruchs aus der emotionalen und affektiven
Wahrnehmungsebene und führt es einer wissenschaftlichen und differenzierten Betrachtung zu. Dem
Autor gelingt es dabei sehr anschaulich, das Phänomen der Tabubrüche in seinen vielfältigen Wirkmechanismen zunächst in einem historischen Kontext zu relativieren und es gleichzeitig aus der Sicht des
Marktgeschehens mit seinen Implikationen für das Konsumentenverhalten zu betrachten.“ (Prof. Dr.
Christoph Brake).
Andreas Meier: Tabubrüche in der Musik; Münster 2009, 150 S., Abb. & Tab., Farbcover, br.,
ISBN 978-3-933060-30-3, € 19,80
Erhältlich im Buchhandel oder direkt beim:
Telos Verlag Dr. Roland Seim M.A. - Verlag für Kulturwissenschaft Im Sundern 7-9 • D-48157 Münster • Tel/Fax 0251-32 61 60 • www.telos-verlag.de • [email protected]
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Verlagswerbung
Roland Seim, Josef Spiegel (Hrsg.)
Nur für Erwachsene
Rock- und Popmusik: zensiert, diskutiert, unterschlagen
Pop und Provokation gehören zusammen wie Rock und Roll. Sex, Gewalt und Political Correctness sind
einige der Gründe für Musikkontrolle. Dieses farbig illustrierte Buch zeigt anhand von zensierten oder
diskutierten Covern seit den Anfängen des Rock über Beat, Punk bis hin zu Death Metal und HipHop,
wie sich Werte und Grenzen verschoben haben.
Roland Seim, Josef Spiegel (Hrsg.): Nur für Erwachsene – Rock- und Popmusik: zensiert, diskutiert, unterschlagen; 246 S., br., ca. 250 Farbabb.; Münster 2004, ISBN 978-3-933060-16-7; jetzt
nur noch € 12,40
Erhältlich im Buchhandel oder direkt beim:
Telos Verlag Dr. Roland Seim M.A. - Verlag für Kulturwissenschaft Im Sundern 7-9 • D-48157 Münster • Tel/Fax 0251-32 61 60 • www.telos-verlag.de • [email protected]
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Jens Reisloh
Deutschsprachige Popmusik:
Zwischen Morgenrot und Hundekot
Von den Anfängen um 1970 bis ins 21. Jahrhundert
Grundlagenwerk - Neues Deutsches Lied (NDL)
In diesem Grundlagenwerk zur gesamten deutsprachigen Popmusik wird erstmals ihre ganze Geschichte von den Anfängen um 1970 bis heute erzählt und als ’Neues Deutsches Lied’ (NDL) benannt.
Die Vielfalt im NDL mit den etwa einhundert Musikstilen reicht von Deutsch-Rock, Punk / Neue Deutsche Welle, Polit-Rock, Hamburger Schule über Liedermacher, Pop-Chanson, Elektro-Pop, Industrial
bis hin zu HipHop. Wichtige Vertreter sind beispielsweise Ton Steine Scherben, Udo Lindenberg, Konstantin Wecker, Kraftwerk, Nina Hagen, BAP, Herbert Grönemeyer, Ideal, Einstürzende Neubauten,
Die Ärzte, Die Goldenen Zitronen, Die Fantastischen Vier, Element of Crime, Blumfeld, Tocotronic,
Rammstein und Wir sind Helden. Das Buch ermöglicht dem Leser an vielen Stellen ‚seine’ Musik in
einem übergeordneten Rahmen neu zu entdecken.
Der Autor zeigt in unterhaltsamer Weise, dass es an der Zeit ist für eine ernsthafte Beschäftigung mit
deutschsprachiger Popmusik. Grundlegende Sachverhalte werden transparent gemacht: die literarische
und musikalische sowie die gesellschaftliche, subkulturelle und individuelle Bedeutung, der prominente
Platz in der Liedgeschichte, internationale Bezüge, Abgrenzung, Entwicklung und Periodisierung sowie
Formen- und Themenvielfalt. Das Buch erfasst zum ersten Mal dieses „hochkomplexe Gesamtphänomen“.
Jens Reisloh: Deutschsprachige Popmusik: Zwischen Morgenrot und Hundekot. Von den Anfängen um 1970 bis ins 21. Jahrhundert. Grundlagenwerk - Neues Deutsches Lied (NDL), Münster
2011, zugl. Diss. phil., Univ. Hannover, 503 S., 2 Falttafeln und mehrere Schaubilder/Listen, br.,
Farbcover, Register, ISBN 978-3-933060-34-1, EUR 39,Erhältlich im Buchhandel oder direkt beim:
Telos Verlag Dr. Roland Seim M.A. - Verlag für Kulturwissenschaft Im Sundern 7-9 • D-48157 Münster • Tel/Fax 0251-32 61 60 • www.telos-verlag.de • [email protected]
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Verlagswerbung
Thomas Mania / rock‘n‘popmuseum (Hrsg.)
Techno
Ein Blick zurück in die Zukunft
20 Jahre ist es bereits her und doch sind die Erinnerungsbilder noch so frisch. Eine neue Revolution der
Populären Musik drängte an das Licht der Öffentlichkeit: Techno. Ein ganzes Jahrhundert hatten Wissenschaftler und avantgardistische Musiker getüftelt, um elektronischer Musik zum Durchbruch zu verhelfen. Doch nun trugen die Jünger des Techno statt weißer Ingenieurskittel schlicht ihre blanken Brüste
und den Sadomaso-Lederstring.
Dabei geht es hier um wesentlich mehr als die voyeuristische Oberfläche. Beiträge derjenigen, die die
Strippen hinter den Kulissen zogen, vermitteln ein intimes Bild der Szene. So ergibt die Melange aus
wissenschaftlichen Beiträgen und den Erinnerungen von Szene-Insidern eine spannende Perspektive von
enormer Dimension. Die CD-Beilage „Supercity“ versteht sich als Leistungs-Hearing der bunten Szene
der Elektronischen Musik in der Ruhrstadt Essen.
Die Ausstellung war vom 8.11.2009 bis zum 18.4.2010 im rock‘n‘popmuseum Gronau zu sehen.
Thomas Mania (Hrsg.): Techno; Münster 2009, 152 S., 21x21 cm, zahlreiche Farbabb., Farbcover,
br., mit CD, ISBN 978-3-933060-32-7, € 14,95
Erhältlich im Buchhandel oder direkt beim:
Telos Verlag Dr. Roland Seim M.A. - Verlag für Kulturwissenschaft Im Sundern 7-9 • D-48157 Münster • Tel/Fax 0251-32 61 60 • www.telos-verlag.de • [email protected]
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