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Brigitte Zypries
Mitglied des Deutschen Bundestages
Entscheidungen des Deutschen Bundestages am 09. März 2007
Heute hat der Deutschen Bundestag zwei wichtige Entscheidungen getroffen, über die viel
und kontrovers diskutiert wurde: Zum einen ging es um die Erhöhung des gesetzlichen
Renteneintrittsalters (Rente mit 67), zum anderen stand der Einsatz deutscher Tornados in
Afghanistan auf der Tagesordnung. Beide Themen sind - so unterschiedlich sie sind - von
großer Bedeutung für Deutschland. Wir haben in der SPD-Bundestagsfraktion über beides
ausführlich diskutiert und uns die Entscheidung darüber nicht leicht gemacht.
Ich möchte Ihnen gerne erläutern, warum beide Vorhaben meine Unterstützung finden.
Rente mit 67
Schon im Koalitionsvertrag haben sich die beteiligten Parteien auf die Anhebung des
Renteneintrittsalters auf 67 geeinigt. Dieser Koalitionsvertrag wurde im Herbst 2005 auf
einem Parteitag der SPD mit einer sehr breiten Mehrheit beschlossen und ist somit gültige
Beschlusslage
der
SPD.
Ein
Koalitionsvertrag
ist
nicht
nur
eine
unverbindliche
Willenserklärung, sondern eben tatsächlich ein Vertrag, der auch einzuhalten ist.
Die geplante langfristige Anhebung des gesetzlichen Rentenalters war auch für uns als SPD
eine schwierige Entscheidung. Wir haben zugestimmt, da aufgrund der nicht zu leugnenden
veränderten demografischen Grundbedingungen eine andere Entscheidung fahrlässig wäre,
denn das neue Renteneintrittsalter von 67 Jahren trägt der gestiegenen Lebenserwartung
und damit dem längeren Rentenbezug Rechnung. So ist die Rentenbezugsdauer in den
letzten 40 Jahren im Durchschnitt um rund 7 Jahre auf nunmehr 17 Jahre gestiegen. Das hat
dieselben finanziellen Auswirkungen für die Rentenversicherung als wäre die Rente jedes
einzelnen in diesem Zeitraum um 70% erhöht worden! Und es ist davon auszugehen, dass
die Lebenserwartung bis zum Jahr 2030 bei 65-jährigen Männern und Frauen um weitere 2,8
Jahre anwachsen wird.
Hinzu kommt die ebenfalls demografisch bedingte Verschiebung im Verhältnis von
Beitragszahlern und Rentnern. Während das Verhältnis der 65-Jährigen und Älteren zu den
20- bis 65-Jährigen im Jahr 2005 noch ca. 1 zu 3 betrug, wird es im Jahr 2020
voraussichtlich bei 1 zu 2 liegen. Unvertretbar hohe Beitragssätze wären die Folge, wenn wir
nicht
gegensteuern
würden.
Eine
moderate
und
schrittweise
Anhebung
der
Lebensarbeitszeit ist also auch ein Gebot der Fairness gegenüber den aktiven
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Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und hilft mit – durch Entlastung bei den
Lohnnebenkosten – Arbeitslosigkeit zu bekämpfen.
Die Erhöhung des Rentenalters geschieht darüber hinaus keineswegs abrupt, sondern sie ist
ein langfristiger, schrittweiser Prozess: Ab 2012 erhöht sich das Rentenalter um einen Monat
pro Kalenderjahr, ab 2024 erfolgt die Anhebung in Zwei-Monatsschritten bis zum Jahr 2029.
Die beschlossene Regelung greift also erst im Jahr 2029 voll.
Richtig ist, dass eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit ins Leere laufen würde, wenn wir
nicht zukünftig mehr Arbeitsplätze für Ältere haben würden. Wir wollen erreichen, dass
verstärkt in ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer investiert wird. Mit der von
Bundesarbeitsminister Franz Müntefering angestoßenen „Initiative 50plus“ wollen wir den
Mentalitätswechsel in den Unternehmen für mehr Beschäftigung Älterer fördern. Die
Beschäftigungsfähigkeit soll verbessert und die Qualifizierung ausgebaut werden, damit Die
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer den Anforderungen des Arbeitsmarktes von morgen
genügen.
Deshalb
übernimmt
der
Bund
die
Weiterbildungskosten
für
ältere
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in kleineren und mittleren Betrieben. Weiterhin ist
vorgesehen, den Kombilohn für Ältere auszubauen und Eingliederungszuschüsse bei einer
Einstellung von älteren Arbeitnehmern zu gewähren.
Gute Arbeitsbedingungen sind Voraussetzungen für längeres Arbeiten – deshalb
unterstützen wir die Betriebe mit der Initiative INQA (Initiative Neue Qualität der Arbeit)
dabei, ihre Arbeitsbedingungen modern und alternsgerecht zu gestalten. Qualifizierung und
Gesundheit sind die Schlüssel für die Fähigkeit und Bereitschaft Älterer, berufstätig zu sein.
Mit dem Programm „Perspektive 50plus“ werden Regionalprojekte zur beruflichen
Wiedereingliederung Älterer gefördert. Und wir ermöglichen für Ältere 30.000 Zusatzjobs bis
zu einer Laufzeit von drei Jahren. Zusammen mit der insgesamt erfreulichen Entwicklung am
Arbeitsmarkt werden diese Maßnahmen dafür sorgen, dass sich die Beschäftigungschancen
älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer deutlich verbessern werden, da bin ich sicher.
Fest steht, dass die Anhebung des Rentenalters kein Selbstzweck sein darf. Genau
deswegen haben wir diese an die Erfüllung bestimmter Bedingungen geknüpft: Als
Bundesregierung sind wir verpflichtet, ab 2010 regelmäßig über die Beschäftigungslage
älterer Arbeitnehmer zu berichten. Trotz aller o.g. Notwendigkeiten darf die Anhebung des
Renteneintrittsalters nur umgesetzt werden, wenn sie mit den tatsächlichen Entwicklungen
im Einklang steht. Eine Revision bleibt also möglich und ist von der SPD mit genau dieser
Intention in den Verhandlungen durchgesetzt worden.
Die Rente mit 67 und die „Initiative 50plus“ sind meiner Meinung nach angemessene und
notwendige Antworten auf die Herausforderungen des demografischen Wandels. Nur so sind
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wir rechtzeitig auf die tief greifenden Veränderungen der kommenden Jahre vorbereitet – vor
allem im Hinblick auf die nachfolgenden Generationen, unsere Kinder und Enkelkinder.
Wenn wir jetzt nicht reagieren und die notwendige Vorsorge treffen, müsste in einigen
Jahren ein Beitragszahler einen Rentner finanzieren – heute kommen auf einen Rentner drei
Beitragszahler.
Die SPD hat sich darüber hinaus entschieden, in einer gemeinsame Arbeitsgruppe des
Präsidiums und der Fraktion zum Thema „Rentenzugang flexibilisieren – Arbeitsbedingungen
verbessern“ die Diskussion in den kommenden Monaten intensiv weiterzuführen. Mit der
eingesetzten Arbeitsgruppe sollen weitere Ideen und Konzepte – unter Beteiligung von
Expertinnen und Experten aus Praxis und Wissenschaft – konkretisiert werden. Die
Arbeitsgruppe formuliert ein Eckpunktepapier, in dem die Möglichkeiten beschrieben sind,
wie die Arbeitsbedingungen verbessert und der Rentenzugang flexibilisiert werden können.
Auf dieser Grundlage werden anschließend vor Ort Gespräche mit Unternehmen,
Betriebsräten, Tarifvertragsparteien, Wohlfahrtsverbänden und weiteren Expertinnen und
Experten geführt werden, um deren Anregungen und Ideen aufzunehmen. Bis Ende des
Jahres 2007 soll das Konzept abschließend beraten werden.
Einsatz deutscher Tornados in Afghanistan
Der
Tod
von
Dieter
Rübling
in
Afghanistan
hat
uns
alle
sehr
erschüttert.
Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul hat in ihrer heutigen Rede im
Bundestag unsere Trauer um den Entwicklungshelfer der Deutschen Welthungerhilfe zum
Ausdruck gebracht. Unsere Gedanken sind bei den Angehörigen und Freunden des Toten.
Die Stabilisierung und der Wiederaufbau Afghanistans nach Jahrzehnten des Bürgerkriegs,
der Fremdherrschaft und des Talibanregimes ist eine der schwierigsten Aufgaben, die es in
unseren Tagen gibt. Wir wissen, dass die Arbeit in Afghanistan für die zivilen Helfer mit
großen Risiken verbunden ist. Gerade deshalb ist es wichtig, dass wir den Terroristen im
Land nicht das Terrain überlassen und wir Afghanistan nicht aufgeben.
Die Bundesrepublik Deutschland ist seit über fünf Jahren aktiv am Aufbau von staatlichen
und gesellschaftlichen Strukturen in Afghanistan engagiert. Eine Kooperation gibt es auch in
verschiedenen Bereichen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Die Rolle Deutschlands
beim Aufbau rechtsstaatlicher und demokratischer Strukturen ist eine führende: Wir haben
drei Afghanistan-Konferenzen organisiert (2001, 2002 und 2004).
Es liegt in unserem eigenen Interesse, dass Afghanistan nicht wieder Basis und
Ausbildungsstätte für militante, gewaltbereite Fanatiker wird. Dies hätte verheerende
Auswirkungen nicht nur auf die gesamte Region, sondern auch auf die Sicherheit bei uns.
Deshalb leistet die Bundeswehr seit Beginn des internationalen Engagements im Rahmen
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eines UN-Mandates einen wichtigen und unverzichtbaren Beitrag zur notwendigen
militärischen Absicherung des Stabilisierungs- und Wiederaufbauprozesses in Afghanistan.
Der laufende ISAF-Einsatz hat unverändert das Ziel, Afghanistan bei der Aufrechterhaltung
der Sicherheit so zu unterstützen, dass sowohl die afghanischen Staatsorgane als auch das
Personal der Vereinten Nationen und anderes internationales Zivilpersonal - insbesondere
solches, das dem Wiederaufbau und humanitären Aufgaben nachgeht - in einem sicheren
Umfeld arbeiten können.
Leider hat es hat sich in den vergangenen Jahren immer wieder gezeigt, dass 23 Jahre
Bürgerkrieg und Taliban-Herrschaft in Afghanistan nicht kurzfristig überwunden werden
können. Seit dem letzten Jahr hat sich die Anzahl der Selbstmordattentate in Afghanistan
verfünffacht, die gewaltbereite Opposition, regionale „War-Lords“ und die organisierte
Kriminalität sind immer noch bestimmende Faktoren für die Sicherheitslage in Afghanistan.
Nach wie vor sickern militante Taliban-Anhänger über die 2.400 km lange Grenze zu
Pakistan ein. Diese stellen nicht nur für die Soldaten der internationalen ISAF-Schutztruppe
eine Gefahr dar – sie drohen auch die gesellschaftlichen, sozialen und ökonomischen
Fortschritte für die Menschen im Land kaputt zu machen. Darüber hinaus fordern die
Anschläge der Taliban-Kämpfer immer mehr zivile Opfer. Die Probleme, mit denen sich die
afghanische Regierung und die internationale Gemeinschaft konfrontiert sehen, sind
substantiell.
Aufgrund der weiterhin angespannten Sicherheitslage in Afghanistan ist die luftgestützte
Aufklärungsfähigkeit der Internationalen Stabilisierungstruppe von großer Bedeutung. Die
NATO ist daher mit der Bitte an Deutschland herangetreten, für einen zeitlich befristeten
Zeitraum Kapazitäten zur luftgestützten Aufklärung zur Verfügung zu stellen. Mit der
Bereitstellung der „Recce-Tornados“ zur Luftaufklärung wird Deutschland einen Beitrag dazu
leisten, dass vor allem der unsichere Süden des Landes über bessere Informationen über
die aktuelle Gefährdungslage verfügt. Mehr Sicherheit und mehr Schutz liegen auch im
Interesse des deutschen Kontingents in Nordafghanistan – vor allem aber im Interesse der
NATO-Partner, die ihre Soldaten im Süden im Einsatz haben.
Es bleibt bei den klar getrennten Mandaten und Aufgaben zwischen ISAF und dem
Antiterrormandat OEF. Dies wird so auch für Einsätze der „Recce“-Tornados gelten: Eine
regelmäßige Weitergabe umfassender Aufklärungsergebnisse an Dritte ist grundsätzlich
nicht vorgesehen. Natürlich wird eine enge Koordinierung zwischen beiden Operationen
angestrebt, ja ist ausdrücklich erwünscht. Aufklärungsergebnisse der Tornados werden aber
nur dann weitergegeben, wenn dies zur Erfüllung und Unterstützung der ISAF-Operation
oder zur Sicherheit von ISAF-Kräften erforderlich ist.
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Die Bekämpfung der Gewalt in Afghanistan erfordert einen umfassenden und nachhaltigen
Ansatz. Militärische Mittel sind dabei nur ein – allerdings unerlässliches – Element, das von
polizeilichen, politischen, entwicklungspolitischen, zivilgesellschaftlichen und wirtschaftlichen
Maßnahmen begleitet werden muss. Deutschland leistet auch in diesen Bereichen einen
wichtigen Beitrag.
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