Wahrnehmung - Heilpädagogischer Dienst St.Gallen
Transcription
Wahrnehmung - Heilpädagogischer Dienst St.Gallen
Heilpädagogischer Dienst St. Gallen – Glarus Wahr-Nehmung Wir nehmen mit unseren Sinnen Eindrücke auf und bewerten sie als wahr. So wie wir sie spüren, schmecken, sehen, hören und riechen, so ist unsere Welt in Wahrheit. Oder doch nicht? Könnten wir mit den Augen einer Biene sehen, sähe unsere Welt ganz anders aus. Gibt es verschiedene Wahrheiten die Welt zu begreifen? Auch unsere Kinder in der Früherziehung lernen mit ihren Möglichkeiten die Welt zu begreifen. Unsere Arbeit ist eine stete Gratwanderung im Bereich von führen und gewähren lassen, von formen und entstehen lassen von, leiten und begleiten. Wenn sich ein Kind die Welt zu eigen macht, nimmt es immer sich selber und gleichzeitig die Aussenwelt wahr, die mehr oder weniger verlässlich ist. Für Kinder ohne Probleme in ihrer ‚Wahr-Nehmung‘ erweist sich die Aussenwelt als spannendes Lernfeld. Dabei erleichtern Regeln das Lernen: das Stuhlbein ist hart, wenn ich mit dem Kopf dagegen krieche, ich kann darum herumkriechen. Auf den Tisch kann man steigen und es hat einen Rand, da fällt man hinunter, also komme ich dem nicht zu nahe. Ich sehe die Geiss und weiss, dass sie mich gleich an stupsen wird, ich fühle die Wärme des Feuers und weiss, da wird es gleich heiss, ich muss stoppen. Langsam erschliesst sich die Welt und alles hat seinen Platz, auch das Kind. Was aber, wenn das Kind sich selbst zu wenig spürt und wenn es die Reaktionen der Aussenwelt nicht genügend einordnen kann? Wenn das Laufen über die Wiese ein Problem ist, ich nicht sicher weiss, wo das Büsi zum Streicheln sitzt, eine Tischhöhe die Gueztli unerreichbar werden lässt, das Glas ausleert bevor ich daraus trinken kann? Warum soll ich für den Bären ein Bett machen, wenn ich selber nicht weiss, was zu meiner Bettsituation dazugehört? Wie soll ich ein Zimmer aufräumen, wenn ich nicht erkennen kann, wo bei dieser Handlung der Einstieg ist? Warum meidet mich das Nachbarskind, obwohl ich doch immer wieder stupsend auf es zugehe? Dies können Schwierigkeiten sein, mit denen sich Kinder auseinander setzen müssen, wenn die Rückmeldungen von Nerven oder die Verarbeitung dieser Reize im Hirn nicht so funktionieren, wie wir es uns gewohnt sind. Oder wenn die Informationen der einzelnen Sinne sich nicht genügend verbinden lassen. Wir sprechen hier von einer taktil-kinästhetischen Wahrnehmungsproblematik. Kinder mit diesen Schwierigkeiten erleben sich vermindert als ‚Be-wirker’. Sie be-greifen die Dingwelt nicht wie andere, können Druck und Kraft nicht angepasst einsetzen. Sie erkennnen die einzelnen Schritte einer Handlung nicht so, dass sie es als ihr Wissen speichern können. Die Entwicklungsrückstände können sich in allen Lernbereichen zeigen. Diese Kinder werden unterstützt, indem sie in den Inter-aktionen mit der Umwelt geführt werden. Gemeinsam wird ein Stuhl zur Küchenkombination geschoben, so dass das Kind hinaufsteigen kann. Die Sirup Flasche mit beiden Händen ergreifen, sonst rutscht sie weg, wird begleitet durch die umfassenden Hände der Früherzieherin. Statt weit von sich gestreckt, wird die begehrte Flasche nun an den Bauch des Kindes gezogen, ganz nah, mit Druck, sodass eine Verbindung entsteht zwischen Flasche und Kinderbauch, die Sicherheit gibt. Das Gefühl, sie ist noch da, auch wenn ich mich jetzt vom Stuhl hinunter bewege. Wir suchen uns eine sichere Ecke, wo zwei Wände 9000 St. Gallen, 13. September 2016 Macintosh HD:Users:sandra:Dropbox (ifriends):Kundenprojekte:hpdienst.ch:texte:methoden:Wahrnehmung.docx 1 /2 Heilpädagogischer Dienst St. Gallen – Glarus dem Rücken und den Armen Halt geben, sodass die Flasche gefahrlos zwischen den Beinen des Kindes auf dem Boden platziert werden kann. Auf demselben Weg wird ein Glas geholt und die Sirup Flasche geöffnet. Dieses Drehen am Verschluss kann das Kind alleine, da braucht es keine Hilfe. Beim Einschenken wird unterstützend die Hand geführt, da die Flasche sonst zu schwer zum Kippen ist. Hui, da schiesst der Saft kopfvoran aus der Flasche über das Glas und auf den Boden. ‚Du meine Güte…‘, die Flasche wird hochgerissen, anpassen des Neigungswinkels, gaaaaaanz langsam nochmals einschenken und siehe da, es klappt. Nun die Rolle mit dem Saugpapier holen und aufputzen, die Blätter werden ganz lumpig und versinken in der Sirupsauce. Da braucht es viiiiiel mehr Papier. Einen Blätterberg, weiss wie Schnee: „Lueg, jetzt wachsed roti Bluemä usäm Schnee…!“ Astrid Solenthaler, Dipl. Heilpädagogin, Reitpädagogin SG-TR Katrin Schönenberger, Dipl. Heilpädagogin, Wahrnehmungs-Therapeutin 9000 St. Gallen, 13. September 2016 Macintosh HD:Users:sandra:Dropbox (ifriends):Kundenprojekte:hpdienst.ch:texte:methoden:Wahrnehmung.docx 2 /2