1 Aufbruch in ein neues Leben - Wir waren so frei... im Unterricht

Transcription

1 Aufbruch in ein neues Leben - Wir waren so frei... im Unterricht
Eine Kooperation von
W i r wa r e n s o fr e i ...
im Unterricht
Sekundar I
Aufbruch in ein
neues Leben
1
Link zu Foto 1: https://w w w.wir-waren-so-frei.de/index.php/Detail/
Object/Show/object _id/7741/set _id/426
Link zu Foto 2: https://w w w.wir-waren-so-frei.de/index.php/Detail/
Object/Show/object _id/5487/set _id/396
Link zu Foto 3: https://w w w.wir-waren-so-frei.de/index.php/Detail/
Object/Show/object _id/7178/set _id/415
A Arbeite mit einem Partner oder in der
Gruppe: Betrachte Foto 1 bis 3 und lese die dazugehörige Erinnerung 1 bis 3 durch. Tausche dich
mit deinen Mitschülern über die Texte aus und
ordne sie den Bildern zu.
B Lese anschließend
durch und notiere
dir, welche verschiedenen Formen und Beweggründe für Flucht und Ausreise erwähnt werden.
Vergleiche dann die drei dargestellten Erlebnisse und ordne sie entsprechend ein.
Text 1
C Recherchiert arbeitsteilig zu den Themen
„Flucht aus der DDR“ sowie „Ausreise mit Genehmigung“. Findet heraus:
Zur „Flucht aus der DDR“:
• wie sich die Möglichkeiten zur Flucht aus der
DDR im Laufe der Zeit veränderten und aus welchen Gründen Menschen häufig über bestimmte
Länder flohen
http://www.bpb.de/themen/
QCQNMT,0,0,Nichts_wie_raus_Flucht_unter_
Lebensgefahr.html
Hilfreicher Link:
Zur „Ausreise mit Genehmigung“:
• in welchen Fällen in der DDR ein offizieller
Ausreiseantrag genehmigt wurde und welche
Folgen ein Ausreiseantrag für den Antragssteller
bzw. seine Familie haben konnte
Hilfreicher Link:
http://www.ddr-ausreise.de/1416310.
htm
http://www.ddr-wissen.de/wiki/ddr.
pl?Ausreiseantrag
Eine Kooperation von
W i r wa r e n s o fr e i ...
im Unterricht
Sekundar I
Aufbruch in ein
neues Leben
1
Infobox: Ausreiseantrag
Wer nicht mehr in der DDR leben will oder
kann, stellt einen Antrag auf Übersiedlung
in die Bundesrepublik. Bis 1988 gibt es dafür
keine gesetzliche Grundlage. Solche Anträge werden als rechtswidrig angesehen. Wer
einen solchen Antrag stellt, kann seinen
Arbeitsplatz verlieren, seine Kinder sind von
höheren Bildungseinrichtungen ausgeschlossen.
Wer seinem Antrag durch öffentliche Aktionen Nachdruck verschafft und/oder
Unterstützung im Westen erbittet, wird
strafrechtlich belangt.
Von Mitte der 70er Jahre bis Oktober 1989
stellen etwa 250.000 Menschen einen Ausreiseantrag. Zwischen 1976 und 1988 werden
circa 20.000 Ermittlungsverfahren gegen
Antragsteller geführt, die zumeist mit Gefängnisstrafen enden.
Quelle: Veen, Hans-Joachim, Hg. (2000): Lexikon Opposition und
Widerstand in der SED-Diktatur, Berlin
E Überlegt abschließend, wie die Bürger der
ehemaligen DDR wohl im Rückblick die Umbruchszeit sehen. Welche Hoffnungen wurden
erfüllt und welche wurden enttäuscht? Haltet
eure Überlegungen stichpunktartig fest.
Hilfreiche Links:
http://www.bpb.de/themen/J9IA1Z,0,0,Fünf_Fragen_an.html
Hier findet man zahlreiche Inter views, in denen Bürger der ehemaligen DDR,
die damals meist noch Kinder und Jugendliche waren, auf die Umbruchszeit
zurückblicken und auch von ihren Hoffnungen berichten. Besonders interessant sind die Inter views mit Frank Ruhnke, Beatrice Hoffmann, Peter-Stefan
Greiner und Margit Winter.
http://www.dhm.de/ausstellungen/
lebensstationen/leidecker_1.htm
Unter dem Titel „Kinder und Jugendliche erleben die Wende“ findet Ihr Informationen zu den Hoffnungen und Sorgen, die Kinder und Jugendliche der
ehemaligen DDR wenige Jahre nach der Friedlichen Revolution hatten.
Präsentation:
Stellt eure Recherche- und Arbeitsergebnisse
der Klasse in einer kurzen Präsentation vor.
Link zur Quelle: http://w w w.deinegeschichte.de/wissen/glossar/
Zusatzaufgabe – Internetrecherche:
D Erörtert gemeinsam, mit welcher Hoffnung
DDR-Bürger bereits vor der Umbruchszeit ausreisten und beschreibt, wie sich diese Hoffnung
oder Enttäuschung in Foto 1 bis 3 widerspiegeln.
Nehmt dabei Bezug auf die Bildgestaltung sowie
die Mimik und Körperhaltung der abgebildeten
Personen.
Auf allen drei Fotos sind Eltern mit einem
Kind zu sehen. Sucht im Internet-Archiv
www.wir-waren-so-frei.de nach Fotos, die
eine andere Personenkonstellationen zeigen
(Tipp: Nutzt die Suchbegriffe „Familie“ oder
„Freunde“). Wählt ein Foto aus und schreibt
einen Erinnerungstext über die Erlebnisse
der Umbruchszeit und die Wünsche der abgebildeten Personen für die Zukunft. Erfindet
dabei weitere Aspekte der Hoffnung, die die
Menschen zur Umbruchszeit gehabt haben
könnten.
W i r wa r e n s o fr e i ...
im Unterricht
1
Eine Kooperation von
Sekundar I
Aufbruch in ein neues Leben
Foto 1
Link zum Foto: https://w w w.wir-waren-so-frei.de/index.php/Detail/Object/Show/object _id/7741/set _id/426
Foto: Familienfoto vor der Ausreise in Berlin-Prenzlauer Berg
9. August 1989
Berlin, Dietrich-Bonhoeffer-Straße
Urheberin: Marion T.
W i r wa r e n s o fr e i ...
im Unterricht
1
Eine Kooperation von
Sekundar I
Aufbruch in ein neues Leben
Foto 2
Link zum Foto: https://w w w.wir-waren-so-frei.de/index.php/Detail/Object/Show/object _id/5487/set _id/396
Foto: Familienfoto vor der Flucht
1. September bis 31. Oktober 1989
Vogtland
Urheber: Jochen Egerland
W i r wa r e n s o fr e i ...
im Unterricht
1
Eine Kooperation von
Sekundar I
Aufbruch in ein neues Leben
Foto 3
Link zum Foto: https://w w w.wir-waren-so-frei.de/index.php/Detail/Object/Show/object _id/7178/set _id/415
Foto: Nach einem missglückten Fluchtversuch zurück am Balaton
23. August 1989
Ungarn, Balatonlelle
Urheberin: Elke Schmitz
Eine Kooperation von
W i r wa r e n s o fr e i ...
im Unterricht
1
Sekundar I
Aufbruch in ein neues Leben
Erinnerung 1 – Seite 1 von 2
„Am 9. August 1989 bin ich, damals 26 Jahre
alt, mit meinem Mann und unserer 4-jährigen
Tochter offiziell von Ostberlin nach Westberlin
ausgereist. Die beiden Fotos zeigen die letzten
Augenblicke in unserer Wohnung im Prenzlauer
Berg. Anschließend fuhren wir zum Übergang
Friedrichstraße, konnten die Grenze ohne Probleme passieren und stiegen in die S-Bahn. Das
erste, was wir während unserer Fahrt sahen,
waren die nicht stillgelegten ‚Geisterbahnhöfe‘.
Ein für Westberliner normaler Anblick, für uns
etwas, wovon wir noch nie gehört hatten. Als
wir am S-Bahnhof Humboldthain im Wedding
ausstiegen, war der erste Gedanke ‚es ist so
grün hier, das muss ja beste Westberliner Lage
sein‘.
Im August 89 kamen immer mehr Ausreisende
aus der DDR und auch schon die ersten Ungarnf lüchtlinge nach Westberlin. Noch im Ostteil
sahen wir die Fernsehberichte über Massenunterkünfte in überfüllten Turnhallen. Wir wollten
uns und unserer Tochter dies ersparen, also
wohnten wir übergangsweise bei einem Onkel im
Wedding. Obwohl es nur 4 Monate waren, war
es eine prägende Erfahrung, ohne eigene Wohnung zu sein.
Die ersten 14 Tage im Westteil der Stadt waren
ausgefüllt mit der täglichen Fahrt zum völlig
überfüllten Aufnahmelager in Marienfelde. Dort
mussten wir uns bei Polizei, Krankenkasse, Rentenversicherung usw. anmelden (nie habe ich so
viele Formulare ausfüllen müssen wie in diesen
Tagen). Außerdem wurden wir von den Alliierten
verhört.
Schon Anfang September ging mein Mann
wieder arbeiten. Das war eine wichtige Grundlage für den Auf bau unseres neuen Lebens.
Bei der Suche nach einer Behörde habe ich am
U-Bahnhof Kochstraße die falsche Richtung
eingeschlagen und war plötzlich am Checkpoint Charlie – und da war gerade ein neues
Wohnhaus kurz vor der Fertigstellung. Sofort
habe ich die Kontakt-Nummer aufgeschrieben,
noch am gleichen Tag angerufen und bin gerade
noch mit in die Liste der Wohnungsbewerber
gerutscht. Ende September wussten wir, dass
wir ab Dezember in zwar absoluter Grenznähe,
aber in einer eigenen Wohnung wohnen werden.
Der Kreuzberger Teil der Friedrichstadt gehört
bis heute nicht zu den bevorzugten Wohngegenden. In den 80er Jahren wollte man das
Gebiet aufwerten und Baulücken schließen. Im
Rahmen einer Bauausstellung wurden dann
sehr hochwertige Wohnungen für den sozialen
Wohnungsbau errichtet. Wir hatten das große
Glück, eine dieser tollen Wohnungen zu bekommen. Der Preis dafür war, dass gleich nach dem
Einzug über Jahre hinweg Gruppen von Architekturstudenten in die Anlage kamen, die
Quelle: Marion T. (2010): Aufbruch in ein neues Leben, 9. August 1989
Link zur Erinnerung: https://w w w.wir-waren-so-frei.de/index.php/Detail/Object/Show/object _id/7741/set _id/426
Eine Kooperation von
W i r wa r e n s o fr e i ...
im Unterricht
1
Sekundar I
Aufbruch in ein neues Leben
Erinnerung 1 – Seite 2 von 2
die Außenanlagen besichtigten (siehe Foto)
und auch öfter mal klingelten, um in die Wohnung gelassen zu werden. Wenn wir in Richtung
Straße aus dem Fenster schauten, sahen wir das
Mauermuseum und einen Parkplatz, der von den
Alliierten genutzt wurde.
wieder zu sehen. Aber es blieb auch ein schales
Gefühl. Da kamen plötzlich Leute, die in den 5
Jahren, die es gedauert hatte, endlich auszureisen, nichts unversucht gelassen hatten, uns das
Leben in der DDR schwer zu machen.“
Marion T.
Als am 9. November ‘89 die Mauer geöffnet wurde, hatten wir sehr gemischte Gefühle. Natürlich
haben wir uns gefreut, Freunde und Verwandte
Quelle: Marion T. (2010): Aufbruch in ein neues Leben, 9. August 1989
Link zur Erinnerung: https://w w w.wir-waren-so-frei.de/index.php/Detail/Object/Show/object _id/7741/set _id/426
Eine Kooperation von
W i r wa r e n s o fr e i ...
im Unterricht
1
Sekundar I
Aufbruch in ein neues Leben
Erinnerung 2 – Seite 1 von 2
„Als meine Frau und ich uns zur Flucht aus
der DDR entschlossen hatten, lebten wir schon
lange zusammen, waren aber nicht verheiratet.
Da wir in das in unserer damaligen Vorstellung
konservative Bayern f liehen wollten, dachten
wir, es sei besser, wenn wir verheiratet wären.
Da es so kurzfristig aber keinen Termin mehr
gab, heirateten wir kurzer Hand an dem einzigen verfügbaren Tag – am Freitag, den 13.
Oktober 1989, ohne jegliche Gäste oder Trauzeugen, ohne Eltern, ganz geheim. Nur unsere
damals fünfjährige Tochter war dabei. Erst
vom ‚Westen‘ aus teilten wir unsere Hochzeit
und natürlich auch unsere gelungene Flucht
den Eltern mit. Uns ist heute noch nicht klar,
welche Mitteilung sie mehr umgehauen hat, auf
jeden Fall war erst mal ‚Funkstille‘. Aber es war
damals nicht möglich, auch nur einer Person
von unserer geplanten Flucht zu erzählen. Alle
wären in Gefahr gekommen, außerdem hätte es
das Risiko, entdeckt zu werden, für uns erheblich erhöht. Wir sind dann am 22. Oktober 1989
gegen 6 Uhr, bevor es richtig hell wurde, auf
einer abgelegenen Wiese im Vogtland in der
Nähe von Bad Brambach mit unserem selbst gebauten Motordrachen gestartet. Beim Start ist
mir beim Ansteuern des Drachens in den Wind
ein Fehler unterlaufen und wir waren schon so
schnell, dass keine Korrektur mehr möglich war.
Der Drachen wurde total zerstört. Heute bin ich
froh, dass meine beiden Passagiere, Frau und
Tochter, nicht zu Schaden kamen – bei den vielen Teilen, die durch die Luft f logen. Es war an
keinen weiteren Start zu denken.
Ich habe damals mit einem Diktiergerät, das ich
drei Monate immer bei mir hatte, die gesamte
Bauphase des Drachens sowie die schwierige
Material-Organisation in den Betrieben und
Geschäften dokumentiert und Gespräche heimlich aufgezeichnet. Ich dachte, wir könnten
damit unsere ersten Schritte in der BRD finanzieren. Leider haben wir nur wenige Fotos, aber
die Tonaufzeichnungen waren damals schon
gefährlich genug. Der emotionalste Teil der
Tonaufzeichnung ist der Start mit dem bekannten Ausgang, die mit den Händen zu greifende
Anspannung, in der wir uns in diesem Moment
befanden.
Am 4. November sind wir dann mit unserem zwei Jahre alten, auf einem Wolga selbst
aufgebauten Wohnmobil über die Tschechoslowakei nach Bayern gef lüchtet. Nach unserem
geglückten Grenzübertritt in Schirnding sind
wir zunächst in einer von Soldaten geräumten
Bundeswehrkaserne in Wildf lecken in der Rhön
untergebracht worden. Mehrere Familien mit
Kleinkindern lebten in der Soldaten-Unterkunft
in Doppelstockbetten in einem Zimmer. Von dort
aus informierten wir dann telefonisch unsere
Eltern und Bekannten. Dort erlebten wir auch
vor dem Fernseher den Fall der Mauer und das
Ende der DDR. Wir fühlten uns damals etwas
verunsichert, ob sich unser Einsatz mit dem
hohen Risiko gelohnt hat, wenn die Mauer nun
so einfach weg war. Umso härter haben wir dann
gearbeitet und sind auf unser Erreichtes stolz.
Quelle: Jochen Egerland (2009): Flucht aus der DDR, Oktober 1989
Link zur Erinnerung: https://w w w.wir-waren-so-frei.de/index.php/Detail/Object/Show/object _id/5487/set _id/396
Eine Kooperation von
W i r wa r e n s o fr e i ...
im Unterricht
1
Sekundar I
Aufbruch in ein neues Leben
Erinnerung 2 – Seite 2 von 2
Mindestens einmal im Jahr, am 9. November,
wenn wir durch das Fernsehen an diese Zeit
erinnert werden, werden wir noch heute sentimental, und des Öfteren kommen uns die
Tränen, wenn wir an unsere zwei Fluchtversuche
denken. Am Ende ist es uns doch noch gelungen,
die Grenze zu überwinden. Obwohl wir damals
unter solch einem Druck standen, haben wir es
doch wieder riskiert. Es war eine gefährliche,
nervenaufreibende Zeit, die wir mit so viel Ein-
satz und gegenseitigem Vertrauen dann doch zu
einem guten Abschluss gebracht haben. Heute
ist meine gesamte Familie froh und glücklich,
damals alles so und nicht anders gemacht zu
haben. Inzwischen leben wir in Thüringen und
hoffen, dass die damalige Zeit nicht vergessen
und vor allem nicht verklärt oder beschönigt
wird.“
Jochen Egerland
Quelle: Jochen Egerland (2009): Flucht aus der DDR, Oktober 1989
Link zur Erinnerung: https://w w w.wir-waren-so-frei.de/index.php/Detail/Object/Show/object _id/5487/set _id/396
Eine Kooperation von
W i r wa r e n s o fr e i ...
im Unterricht
1
Sekundar I
Aufbruch in ein neues Leben
Erinnerung 3 – Seite 1 von 2
„Fluchtbeginn am Balaton
Zur Tarnung unserer Ausreisepläne sind wir im
August 1989 mit einer ‚Jugendtourist‘-Reise an
den Balaton gefahren. Zu diesem Zeitpunkt war
es unsere feste Absicht, über die ‚grüne Grenze‘
nach Österreich zu f liehen.
Bei unserem Fluchtversuch am späten Abend
des 22. August 1989 haben uns ungarische
Grenzer aufgegriffen, da wir, offensichtlich
ortsunkundig, direkt auf eine Grenzstation zufuhren. Man organisierte einen Dolmetscher, es
wurden Protokolle angefertigt und man entließ
uns, von einem Armee-Jeep eskortiert, aus dem
Grenzgebiet.
Auf den Fotos vom nächsten Tag sieht man uns
vielleicht die Leere und Ratlosigkeit an, die wir
an den folgenden Tagen empfanden.
Budapest und Csillebérc
Nach diesem Fluchtversuch, von dem unsere
Campingnachbarn nichts mitbekamen (mitbekommen durften), entschieden wir uns, nach
Budapest zu gehen. Offiziell wollten wir nur
über das Wochenende zu Freunden. Am Montag,
den 28. August 1989 haben wir uns in Zugliget an die Vertreter der deutschen Botschaft
gewandt und unsere Aufnahme sowie den deutschen Pass beantragt. Der Platz um die Kirche
in Zugliget war zu diesem Zeitpunkt bereits
überfüllt. Wir kamen nach Csillebérc, wo gerade
das 2. Lager vom Malteser Hilfsdienst eingerichtet wurde.
Was man auf unseren Fotos nicht sieht, es war
für August außergewöhnlich kalt in Budapest.
Das Pionierferienlager lag auf ca. 400 Metern
Höhe in den Budaer Bergen und es regnete die
ersten Tage fast durchgehend. Die Moral war
entsprechend.
Wir sind dann oft nach Budapest runtergefahren, um die Zeit des Wartens zu überbrücken
und uns etwas aufzuwärmen. Einige sonnige
Nachmittage haben wir auf der Budapester
Fischerbastei verbracht. Auf den Fotos sehen
wir eher aus wie Touristen, nicht wie Flüchtlinge. Am 30. August, an dem Tag, an dem
wir unsere Pässe bekamen, waren wir in einem
Vergnügungspark auf der Margareteninsel. Die
Stimmung war schon viel besser!
Leider gibt es keine Bilder von der mit Zetteln
über und über bedeckten Wand am zentralen Treffpunkt. Ich habe mich nie getraut, die
Essensausgabe, den Informationspunkt oder die
Malteserzelte zu fotografieren. Wenn man einen
Fotoapparat hob, wurden die meisten Leute hysterisch aus Angst vor Stasi-Spitzeln.
Ausreise am 11. September 1989
Worauf wir 27 Jahre gewartet hatten, ging
plötzlich ganz schnell. Wir bauen unsere Zelte ab und als wir mittags das Lager verließen,
waren wir schon fast die Letzten. Um 16.00 Uhr
erreichten wir den Grenzübergang Nickelsdorf
in Österreich. Man fährt durch - das war‘s.
Quelle: Elke Schmitz (2010): Flucht über Ungarn nach Westdeutschland, August/September 1989
Link zur Erinnerung: https://w w w.wir-waren-so-frei.de/index.php/Detail/Object/Show/object _id/7178/set _id/415
W i r wa r e n s o fr e i ...
im Unterricht
1
Eine Kooperation von
Sekundar I
Aufbruch in ein neues Leben
Erinnerung 3 – Seite 2 von 2
Wien
Nach der ersten Nacht im ‚Westen‘ frühstücken
wir auf dem Parkplatz des Gutshofes Laxenburg
zwischen unseren Autos. Einen Platz auf dem
Campinggelände konnten wir nicht bezahlen.
Wir stießen aber auf viel Verständnis und großes Interesse. Neugierig aber unsicher schauten
wir uns Wien an. Wir lernten freundliche Leute kennen und durften auf dem Gelände eines
Jugendheimes noch eine Nacht verbringen, bevor
wir weiter in das Aufnahmelager nach Passau
fuhren.“
Elke Schmitz
Quelle: Elke Schmitz (2010): Flucht über Ungarn nach Westdeutschland, August/September 1989
Link zur Erinnerung: https://w w w.wir-waren-so-frei.de/index.php/Detail/Object/Show/object _id/7178/set _id/415
Eine Kooperation von
W i r wa r e n s o fr e i ...
im Unterricht
1
Sekundar I
Aufbruch in ein neues Leben
Text 1
Nichts wie raus – Flucht unter Lebensgefahr
Den Wunsch, die DDR für immer zu verlassen,
hatten Millionen. Die meisten gingen vor dem
Mauerbau 1961. Zwar war auch schon bis zu
diesem Zeitpunkt die Grenze zwischen Ost- und
Westdeutschland nur unter Gefahren illegal zu überschreiten, aber zwischen Ost- und
West-Berlin konnte relativ gefahrlos gependelt
werden. Nach dem Mauerbau veränderte sich die
Situation gründlich, da nun auch innerhalb Berlins die Grenze nicht mehr überschritten werden
konnte. Da sich aber weder die Verhältnisse in
der DDR so veränderten, dass die Fluchtgründe wegfielen, noch eine legale Ausreise einfach
zu bewerkstelligen war, entschlossen sich viele
Menschen unter abenteuerlichen Umständen,
die DDR zu verlassen.
Manche versuchten, die Berliner Mauer zu
überwinden, andere durchschwammen unter
Lebensgefahr die Spree oder die Elbe von Ost
nach West. Besonders Einfallsreiche bauten
selbst Ballons, Flugzeuge oder sogar U-Boote,
um in den Westen zu kommen. Anfang der
1960er Jahre wurden auch mehrere FluchtTunnel gegraben. Über die Ostsee kamen
ebenso Flüchtlinge in den Westen wie über die
Westgrenzen von Ländern, in die DDR-Bürger
reisen durften (CSSR, Ungarn, Rumänien,
Bulgarien). Aber auch in westlichen Autos und
LKWs wurden DDR-Bürger verborgen in den
Westen „geschmuggelt“. Und nicht zuletzt kam
es häufig vor, dass Dienstreisende, Sportler,
Wissenschaftler oder Touristen von offiziell genehmigten Westreisen nicht zurückkehrten. Bei
Fluchtversuchen kamen insgesamt über 1.000
Menschen ums Leben. Viele wurden erschossen,
manche ertranken oder stürzten ab.
Flucht als Mittel der Politisierung
Die Opposition entdeckte Flucht und Ausreise erst in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre
als Thema, weil immer mehr Menschen „raus“
wollten. Viele meinten jedoch auch, sich damit
nicht beschäftigen zu müssen, weil sie innerhalb
der DDR etwas verändern wollten. Freizügigkeit
als Menschenrecht spielte in den Forderungen
der Opposition deshalb eine große Rolle: Die
Menschen würden bewusst in Unmündigkeit
und Isolation von der Welt gehalten. Zur Demokratisierung der DDR gehöre deshalb auch die
Freizügigkeit.
[…]
Quelle: Kowalczuk, Dr. Ilko-Sascha (2005): Nichts wie raus - Flucht unter Lebensgefahr, in: Bundeszentrale für politische Bildung (bpb),
Kontraste. Auf den Spuren einer Diktatur (DVD)
Link zum Text: http://w w w.bpb.de/themen/QCQNMT,0,0,Nichts_wie_raus_Flucht _unter_Lebensgefahr.html